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<strong>„Männerforschung</strong> <strong>und</strong> <strong>Männerpolitik</strong> <strong>–</strong> <strong>Eine</strong> <strong>Einführung“</strong><br />

Überarbeitetes Vortragsmanuskript von Klaus Drechsel<br />

für das Feminismusseminar vom 9.-11.7.2004 in Rastede bei Oldenburg<br />

<strong>Inhalt</strong>:<br />

<strong>Inhalt</strong>: ............................................................................................................................................... 1<br />

1. Einleitende Worte ....................................................................................................................... 1<br />

2. Historische Herleitung................................................................................................................ 2<br />

3. Einführung in die Männerforschung.......................................................................................... 3<br />

3.1 Vorbemerkungen .................................................................................................................. 3<br />

3.2 Gesicherte Voraussetzungen <strong>und</strong> theoretische Kontroversen in der deutschsprachigen<br />

Männerforschung ........................................................................................................................ 4<br />

3.3 Wissensfeld Psychoanalyse <strong>und</strong> Tiefenpsychologie des Mannes ..................................... 4<br />

3.4 Holger Brandes’ Vorschlag eines theoretischen Rahmenkonzepts „männlicher Habitus“<br />

...................................................................................................................................................... 5<br />

3.5 Eindrücke zum Stand der Männerforschung <strong>und</strong> Männerprojekte heute.......................... 7<br />

3.6 Mein Hauptkritikpunkt an der zeitgenössischen Männerforschung <strong>und</strong><br />

Männerprojekteszene:................................................................................................................. 8<br />

4. <strong>Männerpolitik</strong>: Was könnte das sein?........................................................................................ 8<br />

4.1 Vorbemerkung ...................................................................................................................... 8<br />

4.2 Trend seit den 70er Jahren ................................................................................................... 9<br />

4.3 In der Geschlechterpolitik beginnt ein Umdenken, das sich aus zwei Quellen speist ..... 9<br />

4.4 Die Interessenlage der Männer generiert zwei Hauptanliegen für <strong>Männerpolitik</strong> ......... 10<br />

4.5 Männer sind keine homogene soziale Gruppe,................................................................. 11<br />

4.6 Die Eigenlogik der Institutionen <strong>und</strong> die Kardinalfrage .................................................. 11<br />

4.7 Aufgaben geschlechterdemokratischer <strong>Männerpolitik</strong>..................................................... 12<br />

4.8 Basisbewegung für <strong>Männerpolitik</strong>..................................................................................... 13<br />

5. Literatur:.................................................................................................................................... 14<br />

1. Einleitende Worte<br />

Einleitend möchte ich mich Euch vorstellen <strong>und</strong> meinen Dank sagen insbes. an Angela Klein<br />

<strong>und</strong> Kim Goerens für die Einladung zu diesem Seminar, die sie an mich gerichtet haben. Ich<br />

beschäftige mich seit anderthalb Jahrzehnten in verschiedenen Formen mit<br />

männerspezifischen Fragestellungen: Ich war zwischen 1992 <strong>und</strong> 2001 Teilnehmer in einer<br />

psychotherapeutischen Männergruppe <strong>und</strong> habe meine geschichtswissenschaftliche<br />

Magisterarbeit 1997 dem Thema der „väterlichen Gewalt gegen Söhne in<br />

Nachkriegswestdeutschland im Spiegel der zeitgenössischen familiensoziologischen


Literatur“ gewidmet. Meine Verb<strong>und</strong>enheit mit der Männerarbeit dokumentierte sich auch in<br />

der redaktionellen Arbeit für die Männerkalender der Jahre 2000 <strong>und</strong> 2001. Von April 2000<br />

bis Mai 2002 leitete ich im Rahmen eines vierköpfigen Teams eine Selbsterfahrungsgruppe<br />

für Männer. Augenblicklich bin ich erwerbstätig in der persönlichen Assistenz mit<br />

Körperbehinderten, wovon ich mein Zweitstudium in Psychologie finanziere. Die Agenda<br />

2010 sowie den Irakkrieg nahm ich zum Anlaß, mich nach einer gut zehnjährigen Auszeit ab<br />

Mai 2003 wieder politisch, d.h. in der ‚internationalen sozialistischen linken“ (www.die-weltist-keine-ware.de/isl/)<br />

zu organisieren Der Vierten Internationale (Vereinigtes Sekretariat)<br />

fühle ich mich seit 1989 verb<strong>und</strong>en.<br />

Es ist mein Anliegen, die Männerfrage in Geschlechterpolitik einzubringen. Das meint u.a.<br />

das Erarbeiten eines sozialistischen männerpolitischen Programms als Teil eines<br />

entsprechenden geschlechterpolitischen. Dabei interessiert mich insbes.<br />

Psychotherapieförderung als ein Politikum. Ich suche zuallererst Diskussions- <strong>und</strong><br />

KooperationspartnerInnen. Das möchte ich betonen.<br />

Dieser Vortrag referiert über weite Strecken, teilweise sinngemäß wiedergebend <strong>und</strong> teilweise<br />

in direkter Zitatmontage die von mir aufbereitete Literaturgr<strong>und</strong>lage. Die referierten<br />

Positionen sind nicht mißzuverstehen als meine politische Position. Es handelt sich in erster<br />

Linie um die Monografie des Psychologen, Psychoanalytikers <strong>und</strong> Professors an der FH für<br />

Sozialarbeit Dresden, Holger Brandes, Der männliche Habitus, Band 2: Männerforschung <strong>und</strong><br />

<strong>Männerpolitik</strong>, aber auch um Ideen des australischen Soziologen Robert W. Connell (2000),<br />

nicht zu vergessen das Sammelsurium meiner Erfahrungen <strong>und</strong> Gedanken insbes. aus den<br />

letzten 13 Jahren.<br />

2. Historische Herleitung<br />

Nach 1968 entstand eine kleine Männerbewegung als positive Reaktion hetero- <strong>und</strong><br />

bisexueller Männer auf die Neue Frauen- sowie Schwulenbewegung. Sie bildete ein<br />

relevantes Phänomen v.a. im angloamerikanischen <strong>und</strong> im deutschsprachigen Raum, aber<br />

auch in Skandinavien <strong>und</strong> Holland. Diese Bewegung hat nach meinem Eindruck ihren Zenit<br />

in der ersten Hälfte der 90er Jahre überschritten. Seither sind ein Ersterben der Bewegung,<br />

einhergehend mit der Professionalisierung der Männer- <strong>und</strong> Jungenprojekte, sowie Ansätze<br />

einer Akademisierung als Tendenzen zu verzeichnen. M.E. weitgehend verloren hat sich<br />

leider der umfassende politisch-emanzipatorische Impuls. Stattdessen haben sich seit dem<br />

Ende der 80er Jahre <strong>und</strong> über die reaktionäre Periode seit dem Zusammenbruch der<br />

Sowjetunion hinweg deutlich reaktionäre Tendenzen ausgebreitet. Hier sind u.a. die


mythopoetische Bewegung (Robert Bly u.a.), antifeministische Stellungnahmen von<br />

Scheidungsvätern (oft in Machtpositionen sitzend) <strong>und</strong> generell neoliberale Tendenzen<br />

angesichts der zunehmenden Privatisierung psychosozialer Dienstleistungen zu nennen (wie<br />

schaffe ich es, mich mit meinem Projekt durchzuschlagen?).<br />

3. Einführung in die Männerforschung<br />

3.1 Vorbemerkungen<br />

An dieser Stelle möchte ich zwei Vorbemerkungen machen. Die erste beginnt mit Brandes’<br />

Definition: „Wenn ich von Männerforschung spreche, meine ich interdisziplinäre Forschung<br />

über Männer als Geschlechtswesen, über männliche Lebenswelten, über Männer <strong>und</strong><br />

Männlichkeiten als ‚historisch, kulturell <strong>und</strong> sozial variierende <strong>und</strong> konstruierte Phänomene’<br />

(BauSteineMänner 1996, S.5), <strong>und</strong> nicht zuletzt über die Konsequenzen männlicher<br />

Dominanz für beide Geschlechter.“ Interdisziplinarität verweist hier insbes. auf Wissen aus<br />

der Tiefenpsychologie, Soziologie, Ethnologie, Geschichtswissenschaft <strong>und</strong> auf „politisches<br />

Wissen“ in <strong>und</strong> aus sozialen Bewegungen. Ich empfehle hier den beeindruckenden Überblick<br />

bei Connell (2000, Erster Teil). Interdisziplinarität erfordert notwendigerweise Zwei- oder<br />

sogar Mehrsprachigkeit seitens der Forschenden bzw. AktivistInnen: Dieser programmatische<br />

Gedanke des marxistischen Psychoanalytikers Siegfried Bernfeld, der von Helmut Dahmer<br />

wieder aufgegriffen wurde <strong>und</strong> den ich den bislang überzeugendsten finde, wenn ich das<br />

Verhältnis freudianischen <strong>und</strong> marxistischen Denkens produktiv machen will, sieht die<br />

einzige zukunftsweisende Perspektive für eine neu zu begründende analytische<br />

Sozialpsychologie in der Zweisprachigkeit hinsichtlich Freudscher Psychoanalyse (für die je<br />

individuelle Perspektive) <strong>und</strong> Marxscher Soziologie (für die Totalitätsperspektive der<br />

Klassenindividuen), da beide nicht integrierbar seien, sondern sich wie Teile eines<br />

Vexierbilds zueinander verhielten. Sie müssten also parallel geführt, gelehrt, gelernt <strong>und</strong><br />

gesprochen werden. Ihre Erkenntnisgegenstände überschnitten sich gleichwohl. Diese<br />

Forderung gilt nicht nur für AusbildungskandidatInnen im psychoanalytischen Verfahren, wie<br />

von Dahmer einst aufgestellt, 1 sondern m.E. auch für marxistische oder feministische Polit-<br />

AktivistInnen heute. Mein Vortrag wird stärker aus der Perspektive einer analytischen<br />

1 Vgl. Dahmer (1980), S.663-681.


Sozialpsychologie denn aus derjenigen der marxschen Soziologie blicken. Es liegen kaum<br />

marxistische Arbeiten zum Thema vor. 2<br />

3.2 Gesicherte Voraussetzungen <strong>und</strong> theoretische Kontroversen in<br />

der deutschsprachigen Männerforschung<br />

Zwei Konsense hebt Holger Brandes hervor: Erstens seien männliche Selbstsichten,<br />

Lebenslagen <strong>und</strong> Interessen inzwischen als legitimer Ausgangspunkt von Forschungsfragen<br />

akzeptiert (das war nicht immer so!), ohne dass damit der Anspruch einer<br />

gesellschaftskritischen <strong>und</strong> selbstreflexiven Position aufgegeben wäre. Außerdem sei<br />

weitgehend abgesicherter Konsens die Auffassung von der Relativität des<br />

Männlichkeitsbegriffs, von Männlichkeit als sozialem Prozess des doing-gender, von pluralen<br />

Männlichkeiten, nicht monolithischer Männlichkeit.<br />

Kontrovers blieben die vier vertretenen theoretischen Orientierungen. Der rollentheoretische<br />

Ansatz (Joseph Pleck u.a.) stehe dem konstruktivistischen (Judith Butler u.a.), dem<br />

kultursoziologischen (Pierre Bourdieu) sowie demjenigen Robert W. Connells gegenüber.<br />

Letzterer arbeite den Machtaspekt sozialer Praxis differenziert aus. Brandes verficht die These<br />

von der Überlegenheit sowie Verbindbarkeit der Ansätze von Bourdieu <strong>und</strong> Connell (siehe<br />

unten).<br />

3.3 Wissensfeld Psychoanalyse <strong>und</strong> Tiefenpsychologie des Mannes<br />

Diesen Abschnitt habe ich aus Raum- <strong>und</strong> Zeitgründen ausgelassen. Ich möchte ganz kurz<br />

einige Stichworte hierzu in den Raum stellen: 1. Die Erfahrungen aus psychotherapeutischer<br />

Männergruppenarbeit <strong>und</strong> Männer-Selbsterfahrungsgruppen sind nach meiner festen<br />

Überzeugung von unschätzbarem Wert für emanzipatorische <strong>Männerpolitik</strong> <strong>und</strong> sollten zur<br />

Kenntnis genommen werden. 3 2. Ein sozialpsychologisches F<strong>und</strong>ament für die<br />

individualpsychologisch orientierte Psychoanalyse sei, so Holger Brandes, ebenso notwendig<br />

wie 3. eine Revision hinsichtlich ihrer Peniszentriertheit. Letztere sei nicht nur der weiblichen<br />

Perspektive unangemessen, sondern führe auch zu einer erheblichen Unterschätzung der<br />

2 Die Ausnahme ist Jeff Hearn (1987), Gender of Oppression, Men, Masculinity and the Critique of Marxism,<br />

Brighton; für SozialistInnen von Interesse sind ebenso die Arbeiten der Briten Victor Seidler <strong>und</strong> Arthur Brittan<br />

sowie die Texte auf der profeministischen Website aus der australischen Männerbewegung: www.xyonline.net.<br />

3 Ich verweise hier lediglich exemplarisch auf das Werk von Wilfried Wieck, den ersten Band von Holger<br />

Brandes’ Monografie sowie auf die Arbeiten meines therapeutischen Lehrers Joachim Parpat (1997), Wie<br />

Männer lieben, Mainz) <strong>und</strong> last but not least auf Holger Brandes, Hermann Bullinger (Hg.) (1996), Handbuch<br />

Männerarbeit, Weinheim.


männlichen Entwicklungsproblematik , z. B. hinsichtlich der ursprünglichen Identifikation<br />

des Sohnes mit der Mutter.<br />

3.4 Holger Brandes’ Vorschlag eines theoretischen<br />

Rahmenkonzepts „männlicher Habitus“<br />

Diesen werde ich anhand von 12 Schlüsselbegriffen kompakt darlegen. Falls das Folgende<br />

etwas sehr akademisch daherkommt, so bitte ich schon im Voraus um Verzeihung sowie<br />

Nachfragen. Es ist dem Zeitmangel bei der Vortragerstellung geschuldet.<br />

(1) Konstruktivistischer Ansatz nach Judith Butler:<br />

Dies ist eine radikale Perspektive, die sowohl „gender“ (soziales Geschlecht) als auch „sex“<br />

(biologisches Geschlecht) als diskursiv hervorgebracht, also sozial konstruiert denkt. Jenseits<br />

der binären Zweigeschlechtlichkeit öffnet sie das Tor zur „Erfindung“ mehrerer Geschlechter.<br />

(2) Kritik des Konstruktivismus nach Judith Butler:<br />

Diese lautet dahingehend, daß Judith Butler Praxis falsch verortet, indem sie diese auf Diskurs<br />

<strong>und</strong> Text reduziere. Körperlichkeit <strong>und</strong> Sinnlichkeit sollen aber Teil des legitimen<br />

analytischen Rahmens sein.<br />

(3) Soziale Praxis:<br />

Es geht Connell um die Frage, wie soziale Prozesse, soziale Muster <strong>und</strong> soziale Beziehungen<br />

körperlich Gestalt annehmen, ‚verkörpert’ werden. In diesem Sinne schlägt er vor, Geschlecht<br />

als gesellschaftliche, als soziale Praxis zu verstehen.<br />

(4) Sozialer Habitus:<br />

Sehr plastisch ist die folgende Definition: Dadurch dass der Leib im praktischen Handeln in<br />

sozialen Situationen immer präsent ist <strong>und</strong> dabei zwangsläufig <strong>und</strong> wiederholt auf die<br />

Erfordernisse dieser Situation ausgerichtet wird, kommt es durch Anpassung oder schlichte<br />

Gewöhnung zu einer dauerhaften Formung des Körpers <strong>und</strong> der Umgangsweise mit ihm. Der<br />

Begriff verbindet die individuelle <strong>und</strong> die kollektive Praxis. Der soziale Habitus eignet sich<br />

auch als Mittel der ‚Distinktion’, d.h. der Unterscheidung, <strong>und</strong> zwar auch für die Zuordnung<br />

<strong>und</strong> Abgrenzung im Geschlechterverhältnis, bspw. also für die Zuordnung zu Männern <strong>und</strong><br />

nicht zu Frauen oder auch zu Schwulen <strong>und</strong> nicht zu Heteros oder umgekehrt.<br />

(5) Sinnlich-symbolische Interaktionsformen nach Lorenzer:<br />

Es sei gerade der weitgehend vorsprachlich konstituierte Zusammenhang von unmittelbarer<br />

Körperlichkeit <strong>und</strong> sozialer Bedeutung (Symbolik), so der marxistische Psychoanalytiker<br />

Lorenzer, der <strong>–</strong> so Brandes hieraus ableitend - dafür verantwortlich ist, dass eine bestimmte<br />

soziale Interpretation von „Weiblichkeit“ bzw. „Männlichkeit“ so f<strong>und</strong>amental mit dem


Selbstempfinden als Frau oder Mann verknüpft ist, dass jede Infragestellung dieser<br />

Interpretation leicht als Angriff gegen die eigene Person empf<strong>und</strong>en wird.<br />

(6) Männlicher Habitus:<br />

Zusammenfassend ergibt sich nun die folgende Definition: „…ein Geschlecht (existiert) nur<br />

dadurch (sozial), dass die Angehörigen einer Geschlechtkategorie gemäß einem Prinzip<br />

handeln, das für diese, nicht aber für die andere Geschlechtskategorie Gültigkeit hat. Mit<br />

anderen Worten: Die soziale Existenz eines Geschlechts ist an einen spezifischen Habitus<br />

geb<strong>und</strong>en, der bestimmte Praxen generiert <strong>und</strong> andere verhindert.“ (Michael Meuser, zitiert<br />

nach Brandes, S.76) In diesem Sinne kann man von einem „männlichen Habitus“ als<br />

verkörperter männlicher Praxis sprechen. Bourdieu selbst bindet diesen männlichen Habitus<br />

unmissverständlich an eine Position der Herrschaft <strong>und</strong> symbolischen Macht. Und nun<br />

kommen die Begriffe Connells ins Spiel.<br />

(7) Männlichkeiten<br />

Diese „sind durch das Geschlechterverhältnis strukturierte Konfigurationen von Praxis. Sie<br />

sind von Gr<strong>und</strong> auf historisch; <strong>und</strong> ihre Entstehung <strong>und</strong> Wiederherstellung ist ein historischer<br />

Prozess, der das Interessengleichgewicht in der Gesellschaft <strong>und</strong> die Richtung sozialen<br />

Wandels beeinflusst“ (Connell 1999, S.64)<br />

(8) Hegemoniale Männlichkeit<br />

Diese ist in Anlehnung an Gramsci definiert als das kulturell dominierende<br />

Männlichkeitsideal, das in den bürgerlichen Gesellschaften durch Dominanz <strong>und</strong><br />

Heterosexualität, insbes. durch die Unterordnung von Frauen gekennzeichnet ist. In einer<br />

Kurzformel definieren Carrigan, Connell <strong>und</strong> Lee, „dass hegemoniale Männlichkeit insofern<br />

hegemonial ist, als sie eine erfolgreiche Strategie in Bezug auf Frauen verkörpert“ (zitiert<br />

nach Brandes, S.77). Männer, die diesem Typus in ihrem Habitus am ehesten entsprechen,<br />

finden sich zumeist in den Machtzentren der Gesellschaft. Sie besetzen die als „typisch<br />

männlich“ geltenden Praxisfelder in Wirtschaft, Politik <strong>und</strong> Kultur, wobei sich aber, folgt man<br />

Connell, im historischen Prozeß „Männlichkeiten, die sich über Dominanz <strong>und</strong> Gewalt<br />

organisierten, von denen spalteten, die sich über Expertentum <strong>und</strong> Fachwissen definierten“<br />

(Connell 1998, S.99). In exemplarischer Form wird diese Männlichkeit in den führenden<br />

Industrienationen repräsentiert von „den Managern…, die in den globalen Märkten operieren,<br />

sowie den politischen Führern, die mit ihnen interagieren.“ (S.100) 4<br />

4 Hier zitiert Brandes aus: Robert W. Connell (1998), Männer in der Welt: Männlichkeiten <strong>und</strong> Globalisierung,<br />

in: Widersprüche, H.67, S.91-105. Sehr zu empfehlen ist auch folgender ins Deutsche übersetzter Aufsatz: ders.<br />

(1995), „The Big Picture“, Formen der Männlichkeit in der neueren Weltgeschichte, in: Widersprüche, H.56/57,<br />

S.23-45.


(9) Marginalisierte Männlichkeiten:<br />

Diese sind nach Connell zum einen in machtfernen <strong>und</strong> sozial unterprivilegierten Sektoren<br />

anzutreffen <strong>und</strong> weisen einen Habitus auf, der sozialen Praxen entspricht, die in der<br />

jeweiligen Gesellschaft an Bedeutung verloren haben <strong>und</strong> keine sozial erfolgreiche Strategie<br />

mehr darstellen. Dies gelte bspw. für an Praxen schwerer körperliche Arbeit orientierte<br />

Männlichkeiten, für Formen des klassischen „Machismo“ von ethnischen Randgruppen in<br />

westlichen Industriemetropolen, aber auch für homosexuelle Männlichkeit.<br />

(10) Komplizenhafte Männlichkeit<br />

Diese vermutet Connell in relativer Machtferne, aber ökonomischer Sicherheit, mit kritischer<br />

Distanz zur hegemonialen Männlichkeit. Verbale Distanz werde zu dieser eingenommen bei<br />

realer Teilhabe an deren Privilegien (Vergabe beruflicher Positionen, bessere Bezahlung,<br />

Privilegien heterosexueller Männlichkeit gegenüber Frauen etc.)<br />

(11) Die Verbindbarkeit von Bourdieu <strong>und</strong> Connell:<br />

Gemeinsamkeiten <strong>und</strong> Unterschiede der Ansätze Bourdieu-Connell, die aus Brandes’ Sicht<br />

deren Verbindbarkeit bekräftigen, liegen zunächst darin, daß Geschlecht von beiden<br />

(klassenspezifisch <strong>und</strong> generell) sozial differenziert betrachtet werde <strong>und</strong> sie hiervon „feine<br />

Unterschiede“ in den geschlechtsspezifischen Habitusformen ableiteten. Connell richtet den<br />

Blick vornehmlich auf den Machtaspekt <strong>und</strong> die gesellschaftlichen Kämpfe um politische <strong>und</strong><br />

kulturelle Hegemonie. Hier unterscheiden sich ihre Ausgangspunkte. Sie teilen jedoch den<br />

Ausgangspunkt „sozialer Praxis“ <strong>und</strong> die f<strong>und</strong>amentale Erkenntnis, dass der geschlechtliche<br />

Körper immer ein sozialer <strong>und</strong> politischer Körper ist.<br />

(12) Männliche Identität<br />

Der Psychologe Brandes hält den Identitätsbegriff als Bestandteil einer umfassenden Theorie<br />

der Männlichkeit für unverzichtbar. Ich stimme ihm zu. Wir können das gerne ein andermal<br />

ausführlich diskutieren.<br />

3.5 Eindrücke zum Stand der Männerforschung <strong>und</strong> Männerprojekte<br />

heute<br />

Mit Switchboard (www.switchboard-online.de) , dem Forum Männer (www.maenneronline.de)<br />

<strong>und</strong> der Väterzeitschrift „Paps“ (www.paps.de) hat sich die Männergruppen- <strong>und</strong><br />

Männerprojekteszene im deutschsprachigen Raum drei relativ stabile Zeitschriftenprojekte<br />

erarbeitet. Viele kleine <strong>und</strong> kleinste professionelle Männer- <strong>und</strong> Jungenprojekte sind<br />

entstanden. Leider schweigen diese bisher weitestgehend zur Agenda 2010, verstehen sich<br />

meist als un- oder antipolitisch. Vereinzelt gibt es gegenläufige Entwicklungen.


Brandes beschreibt das akademische Feld: Etablierter Frauenforschung steht keine etablierte<br />

Männerforschung gegenüber. Es gibt keine wissenschaftliche Fachzeitschrift. Es gibt zwei<br />

Arbeitskreise, namentlich den Arbeitskreis Kritische Männerforschung (www.menstudy.de) ,<br />

der sich maßgeblich um das „Forum Männer in Theorie <strong>und</strong> Praxis der<br />

Geschlechterverhältnisse“ bei der Heinrich-Böll-Stiftung verdient macht (www.forummaenner.de).<br />

Akademisch tätige Männer <strong>und</strong> Frauen haben den Arbeitskreis Interdisziplinäre<br />

Männerforschung begründet (http://www.ruendal.de/aim/gender.html) . Das Urteil von<br />

Geden/Moes 2000 trifft zu: „Die Erforschung von Männern <strong>und</strong> Männlichkeiten wird auf<br />

professoraler Ebene von ForscherInnen ohne entsprechende Denomination gestützt, nicht<br />

selten aber sind akademischer Mittelbau <strong>und</strong> Studenten auf sich allein gestellt.“ (S.14)<br />

3.6 Mein Hauptkritikpunkt an der zeitgenössischen<br />

Männerforschung <strong>und</strong> Männerprojekteszene:<br />

Die Perspektive der gesellschaftlichen Totalität <strong>und</strong> insbesondere das Verständnis für das<br />

Verhältnis Kapital-Arbeit ist seit Anbeginn der größte Schwachpunkt in der<br />

Männerforschung. Ohne die Akteure beleidigen zu wollen, scheint es mir angebracht, von<br />

Unverständnis <strong>und</strong> Naivität dem Kapitalismus gegenüber als einer äußerst weit verbreiteten<br />

Realität zu sprechen. Hierher gehört auch die einseitig akademische, private oder<br />

professionelle Orientierung sowie das Fehlen spürbarer Verankerung in einer<br />

emanzipatorischen Bewegung von unten. Dies muß benannt werden. Es macht die Aufgaben<br />

aus, vor denen emanzipatorisch orientierte Männer stehen.<br />

4. <strong>Männerpolitik</strong>: Was könnte das sein?<br />

4.1 Vorbemerkung<br />

Dies ist kein programmatischer sozialistischer Text von mir <strong>und</strong> ich ergreife keineswegs<br />

Partei für die folgenden programmatischen Aussagen, sondern ich referiere einen Vortrag von<br />

Holger Brandes aus dem Oktober 2001: Der Kongreß, initiiert <strong>und</strong> organisiert von der<br />

Männerarbeit der EKD hatte ein Motto „Männer gegen Männergewalt“ (sinngemäß) <strong>und</strong> fand<br />

im Oktober 2001, nach den New Yorker Anschlägen <strong>und</strong> vor dem Afghanistan-Krieg statt.<br />

Die Positionierung gegen den Krieg war mehr als zögerlich.- Die sozialistische<br />

Programmarbeit wird noch zu leisten sein. Dazu bedarf es einer Bewegung <strong>und</strong> einiger


Diskussions- <strong>und</strong> KooperationspartnerInnen, mithin einer kollektiven Erfahrung <strong>und</strong><br />

Anstrengung.<br />

4.2 Trend seit den 70er Jahren<br />

Brandes zieht einen Bogen von den 70er Jahren bis heute, was die Geschlechterfrage<br />

anbetrifft. Diese wurde zunächst von Frauen wie Männern als Frauenthema gesehen,<br />

antagonistisch seitens der Frauen, ignorierend seitens der Männer. Zwischenzeitlich habe sich<br />

einiges getan. In Stichworten: Die große Debatte um den Schwangerschaftsabbruch samt<br />

Kompromiß, Frauenbeauftragte, Gleichstellungsbeauftragte, Frauenförderpläne, Reformen im<br />

Ehe-, Scheidungs-, Steuer- <strong>und</strong> Rentenrecht, die die Position der Frauen stärken,<br />

Chancengleichheit im Bildungsbereich zumindest bis zum Hochschulabschluß (bis hin zur<br />

Umkehrung bspw. auf Gymnasien oder in best. Studienfächern), Frauenquoten in einigen<br />

Parteien, Debatten um Gewalt in der Familie, Gewalt gegen Frauen, Missbrauch von Kindern,<br />

Einrichtung von Frauenhäusern, sozialpolitische Programme, in denen Frauen mit bedacht<br />

werden, Öffnung des Waffendienstes in der B<strong>und</strong>eswehr für Frauen. Wenig Änderungen<br />

hingegen gab es bei: Personalentscheidungen für attraktive Stellen, für Führungspositionen in<br />

Wirtschaft, Politik <strong>und</strong> Wissenschaft, wo sich Männer wesentlich häufiger durchsetzen.<br />

Höhere Arbeitslosenquote von Frauen, ebenso bei der Sozialhilfe. Hauptlast der Hausarbeit<br />

<strong>und</strong> Kinderbetreuung verbleibt bei den Frauen. Hierzu passt, dass nur 1,8 % der Männer den<br />

bisherigen „Erziehungsurlaub“ genommen haben 5 , <strong>und</strong> dass Alleinerziehende mit Kindern zu<br />

83 % Frauen sind (1997). Einstellungen erfragende Studien zur Arbeitsteilung zwischen<br />

Männern <strong>und</strong> Frauen von 1978, 1986 <strong>und</strong> 1998 belegen einen Umschwung weg von der<br />

traditionellen hin zu einer Neuverteilung. Die Gleichberechtigung im gesellschaftlichen,<br />

politischen <strong>und</strong> Arbeitsleben wird am negativsten eingeschätzt. Zusammenfassung des<br />

Trends: <strong>Eine</strong>rseits ist in wichtigen Bereichen des gesellschaftlichen <strong>und</strong> privaten Lebens eine<br />

Angleichung der Lebensbedingungen <strong>und</strong> sozialen Chancen von Frauen <strong>und</strong> Männern<br />

festzustellen, andererseits bleiben zugleich gravierende Ungleichheiten bestehen.<br />

4.3 In der Geschlechterpolitik beginnt ein Umdenken, das sich aus<br />

zwei Quellen speist<br />

Zuerst sei hier der Prozess des Gender-Mainstreaming seitens der internationalen<br />

Frauenorganisationen (Peking 1995) zu nennen (Zu dessen kritischer Einschätzung von<br />

5 Stand 1998. Heute sind es 5%, nach: Jana Frielinghaus, in: junge Welt v. 17.6.2004, S.5


unserer Seite verweise ich auf den Vortrag von Kim Goerens, den wir gestern gehört <strong>und</strong><br />

diskutiert haben). Zweitens machen sich zunehmend Stimmen von Männern, viel schwächer<br />

noch, bemerkbar. Die Akteure habe ich in diesem Vortrag bereits benannt. Brandes will<br />

drittens <strong>Männerpolitik</strong> als Teil von Geschlechterdemokratie gefasst sehen. Diese sieht er als<br />

notwendige Ergänzung des Begriffs des Gender-Mainstreaming, um letzerem nämlich eine<br />

Richtung zu geben: drückt er doch immerhin aus, dass es um die gleichberechtigte<br />

Aushandlung <strong>und</strong> Abstimmung von Interessenstandpunkten geht, wobei unterstellt wird, dass<br />

auch auf Männerseite ein gr<strong>und</strong>sätzliches Interesse an Veränderungen überkommener<br />

Geschlechterverhältnisse besteht. Damit wird die Abkehr signalisiert von der Vorstellung,<br />

dass Fraueninteressen nur gegen die Männer zum Tragen kommen können. Konzept ist,<br />

weder Trittbrettfahrer noch Konkurrent der Frauenbewegung zu sein. Es geht den Männern<br />

um gleichberechtigte Zusammenarbeit an einem gemeinsamen Projekt. Männliche Interessen<br />

müssen vorkommen: Notwendig ist gr<strong>und</strong>sätzliches Überdenken der bisherigen Konzepte von<br />

Gleichstellungs- <strong>und</strong> Familienpolitik, die bislang einzig <strong>und</strong> allein Frauenpolitik <strong>und</strong> auf<br />

Fraueninteressen zugeschnitten waren. Dies ist zwar aus der geschichtlichen Entwicklung<br />

verständlich, andererseits kann man nicht ein neues Väterengagement <strong>und</strong> den aktiven<br />

Hausmann einfordern, wenn man hierfür keine Bedingungen schafft. Bis heute gelte<br />

beispielsweise: Wenn man Gleichstellungsbeauftragte in Verwaltungen <strong>und</strong> Betrieben auf die<br />

Notwendigkeit besonderer Regelungen auch für Väter anspricht, muß man mit einer Reaktion<br />

gänzlichen Unverständnisses oder auch einer eindeutigen Abfuhr rechnen. Männer sind als<br />

Klienten hier nicht vorgesehen. Entsprechendes gilt für die Ministerien (für Familien, Frauen,<br />

Jugendliche, Senioren, nicht: für Männer). Das muß sich ändern.<br />

4.4 Die Interessenlage der Männer generiert zwei Hauptanliegen für<br />

<strong>Männerpolitik</strong><br />

Brandes geht von der Überzeugung aus, die er mit den Männern des Kongresses teile, dass es<br />

ein f<strong>und</strong>amentales <strong>und</strong> legitimes Interesse von Männern gebe, nicht mehr wie bisher auf den<br />

Berufsmenschen reduziert zu werden <strong>und</strong> in einer gewaltfreien Gesellschaft partnerschaftlich<br />

mit Frauen, fürsorglich mit Kindern <strong>und</strong> solidarisch mit Männern leben zu können; <strong>und</strong> dies<br />

bezogen auf alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. Ich möchte hierzu bemerken, dass<br />

aus dieser Forderung - beim Wort genommen - sozialistische Demokratie resultieren könnte,<br />

aber auch <strong>–</strong> als Sonntagsrede gefasst - bürgerliche Ideologie für Mittelklasse-Privilegierte des<br />

Nordens.


Erstes Hauptanliegen sei die Vereinbarkeit von Familie <strong>und</strong> Beruf, die auch für Männer zum<br />

Problem werde. Ein aktuelles Beispiel politischen Umgangs hiermit ist der Offene Brief<br />

„Väter gegen länger“, d.h. gegen Arbeitszeitverlängerung, vom 29.1.2004 aus dem Umkreis<br />

der Väterzeitschrift „Paps“ (dokumentiert auf deren Website), den auch viele Betriebsräte <strong>und</strong><br />

prominente Männer unterzeichnet haben.<br />

Zweitens wachse die Zahl der Männer, die sich mit der Gewalt in der Gesellschaft, egal gegen<br />

wen sie sich richtet, nicht mehr abfinden wolle.<br />

4.5 Männer sind keine homogene soziale Gruppe,<br />

sondern z.B. Homosexuelle, Behinderte, Lohnabhängige, Männer aus ethnischen<br />

Minderheiten, Singles, Väter. Geschlechterdemokratie habe dies zu berücksichtigen <strong>und</strong><br />

aufzunehmen.<br />

4.6 Die Eigenlogik der Institutionen <strong>und</strong> die Kardinalfrage<br />

Der nun folgende Absatz des Vortrages scheint mir angesichts der traditionell stark<br />

psychologischen <strong>und</strong> privaten Ausrichtung von Männerprojekten der bemerkenswerteste zu<br />

sein.<br />

Brandes geht davon aus, dass es in den seltensten Fällen Gegensätze zwischen Frauen- <strong>und</strong><br />

Männerinteressen gebe. Viel häufiger stünden diese in Gegensatz zu wirtschaftlichen <strong>und</strong><br />

politischen Interessen <strong>und</strong> den angeblichen Zwängen gesellschaftlicher Institutionen. Diese<br />

seien das größte Hindernis für eine lebendige Geschlechterdemokratie, in ihnen die Prägung<br />

durch das alte, traditionelle Geschlechterarrangement. Im Spannungsfeld dieser drei Pole<br />

müsse Geschlechterdemokratie gesehen werden. Die Institutionen erzeugten in einer<br />

Eigendynamik die zu ihnen passenden Formen von Männlichkeit. Hier macht Brandes <strong>–</strong><br />

erstmals in seinem Vortrag - in hilfreicher Weise <strong>und</strong> mit Bezug auf Connells Pionierarbeit<br />

die gesellschaftliche Totalität sichtbar. Zwar verschwindet das Kapitalverhältnis wieder in der<br />

Männlichkeit. An dieser Stelle muß unsererseits die Kapitalismus- <strong>und</strong> Imperialismusanalyse<br />

eingebracht werden. Dann kann der Ansatz Bourdieu-Connell-Brandes eventuell fruchtbar<br />

werden.<br />

Brandes schließt darauf, dass es ein Irrtum sei, diese Eigenlogik der Institutionen den<br />

Männern individuell anzulasten. Es gehe vielmehr darum, ob der Wille <strong>und</strong> die Möglichkeit<br />

vorhanden sei, institutionelle Logiken zu verändern <strong>und</strong> dies eventuell auch um den Preis,<br />

dass sich die Funktion <strong>und</strong> Effizienz der Institution ändert. Wenn wir Geschlechterdemokratie


ernst nähmen, ginge dies nachhaltig nur, wenn wir neue Lösungen für institutionelle <strong>und</strong><br />

betriebliche Erfordernisse fänden. Hierüber müssten wir nachdenken. Dem kann ich<br />

zustimmen. Hier setzte eine sozialistische <strong>Männerpolitik</strong> an, wenn sie jemand gemeinsam mit<br />

mir <strong>und</strong> vielen anderen entwickeln würde.<br />

Dem folgen politische Aussagen eines Psychologen: Als praxiserfahrener Psychoanalytiker<br />

weiß er, dass psychotherapeutische Männergruppen Wirkung zeigen. Er ist dennoch<br />

skeptisch, was persönliche Veränderungen anbetrifft. Denken in Generationen sei hier<br />

erforderlich (er vergleicht den Habitus der Nachkriegs-Männer mit demjenigen der 68er<br />

Männer <strong>und</strong> dem der heutigen jungen Männer). Die Kardinalfrage ist nicht die nach dem<br />

individuellen, sondern nach dem gesellschaftlichen Veränderungswillen. Aus diesem Gr<strong>und</strong><br />

kommt der Etablierung einer <strong>Männerpolitik</strong> im Rahmen von Geschlechterdemokratie ein so<br />

großer Stellenwert für die Zukunft zu. Ich ergänze: Und diese wird sich lange Zeit<br />

außerparlamentarisch gegen den Neoliberalismus aufzustellen haben oder sie wird nichts sein<br />

denn eine weitere kapitalistische Verwertungstechnik.<br />

4.7 Aufgaben geschlechterdemokratischer <strong>Männerpolitik</strong><br />

Ich diskutiere die problematischen Aspekte des folgenden programmatischen Texts nicht.<br />

<strong>Eine</strong> auf das Ziel der Geschlechterdemokratie ausgerichtete <strong>Männerpolitik</strong> hätte als erste<br />

Aufgabe, die politischen <strong>und</strong> ökonomischen Voraussetzungen zu schaffen, die es Frauen <strong>und</strong><br />

Männern ermöglichen, Familie <strong>und</strong> Beruf in ihrem Lebensentwurf sinnvoll zu vereinbaren.<br />

Hiervon leitet Brandes ab:<br />

1. Überwindung der Orientierung von Wirtschafts- <strong>und</strong> Sozialpolitik am männlichen<br />

Normalarbeitstag<br />

2. Generelle Flexibilisierung von Arbeitszeiten zur Entlastung <strong>und</strong> zur Schaffung von<br />

Spielräumen, die Männer brauchen, um ihr gewachsenes Interesse an einem über den Beruf<br />

hinausgehenden Lebenssinn zu realisieren.<br />

3. Teilzeitarbeitsmöglichkeiten auf allen Ebenen der beruflichen Hierarchien verankern bei<br />

gleichem Zugang für Männer <strong>und</strong> Frauen<br />

4. Aufwertung der Vaterschaft: sowohl unter Aspekten der Arbeitszeitregelung (s.oben) als<br />

auch in finanzieller Hinsicht. Aus der Männerforschung wissen wir, dass viele Männer am<br />

ehesten über das Thema der Vaterschaft anzusprechen sind.<br />

Die Novellierung des Erziehungsgeldgesetzes ist in diesem Sinne ein richtiger <strong>und</strong> wichtiger<br />

Schritt, er wird aber solangen folgenlos bleiben, wie die finanzielle Ausstattung dieses


Modells nicht erheblich verbessert wird (20 % sind bereit, 1,8 % tun es, die Gründe für diese<br />

Differenz sind v.a. finanzielle, so steht zu vermuten).<br />

5. Problematisierung der Unterrepräsentanz von Männern in der öffentlichen Erziehung<br />

(Gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> Vorschuleinrichtungen)<br />

6. Erste Lehrstühle für Männerforschung müssen geschaffen werden: Diese darf kein<br />

Hobbythema bleiben.<br />

7. Dies wäre ein Beitrag zu einer effektiven Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> Wirtschaftspolitik (z.B. weil sie<br />

h<strong>und</strong>erte von Milliarden EUR, die für die Folgen von Alkoholismus <strong>und</strong><br />

Medikamentenmissbrauch, für somatische <strong>und</strong> psychische Störungen ausgegeben werden<br />

müssen, uns ersparen würden).<br />

<strong>Eine</strong> Bemerkung will ich mir nicht verkneifen. Das Argument, diese effektive<br />

Ges<strong>und</strong>heitspolitik <strong>und</strong> soft-skill-Entwicklung lägen im deutschen <strong>und</strong> Kapitalinteresse,<br />

nämlich als Standortvorteil im „internationalen Wettbewerb“, ist sehr naiv <strong>und</strong> irreführend.<br />

Wer sich nämlich heutzutage ernsthaft für internationale Wettbewerbsfähigkeit am Standort<br />

Deutschland einsetzt, wird zwangsläufig bei Lohnsenkungen, Verarmungspolitik <strong>und</strong> Agenda<br />

2010 anlangen <strong>–</strong> <strong>und</strong> das ist, im Klartext gesprochen: die andere Seite der Barrikade.<br />

4.8 Basisbewegung für <strong>Männerpolitik</strong><br />

Die härtesten Widersacher veränderungswilliger Männer <strong>und</strong> einer<br />

geschlechterdemokratischen <strong>Männerpolitik</strong> sind Männer. Die Privilegien kommen einer<br />

relativen Mehrheit der Männer zugute. Karriereverläufe in Politik <strong>und</strong> Wirtschaft<br />

reproduzieren das traditionelle Geschlechtermodell. Die „neuen Männer“ dagegen<br />

entscheiden sich für Machtferne <strong>und</strong> sind in den Machtzentren nicht anzutreffen. Daher wird<br />

Wandel vorangetrieben nicht im Vertrauen auf die Männer an der Macht, sondern von einer<br />

(zu schaffenden) Basisbewegung, die im Schulterschluss mit den Frauen „politischen Druck<br />

auf die Entscheidungsträger“ ausübt <strong>und</strong> „die Geschlechterfrage zu einem Wahlprüfstein“<br />

macht. Es wird Zeit, dass wir uns politisch stärker zu Wort melden, so schließt Brandes seinen<br />

Vortrag. Ja, wir sollten uns politisch stärker zu Wort melden. Aber politischer Druck <strong>und</strong><br />

Wahlprüfsteine werden bei weitem nicht reichen, <strong>und</strong> damit möchte ich schließen: <strong>Eine</strong><br />

eindeutige <strong>und</strong> aktive Stellungnahme gegen die neoliberale Agenda 2010 ist heute erste<br />

männerpolitische Pflicht.


5. Literatur:<br />

BauSteineMänner (Hg.) (1996), Kritische Männerforschung, Neue Ansätze in der<br />

Geschlechtertheorie, Hamburg: Argument.<br />

Brandes Holger (2001, 2002), Der männliche Habitus, 2 Bde, Opladen: leske + budrich.<br />

Connell Robert W. (2000), Der gemachte Mann, Opladen: leske + budrich (orig., 1995).<br />

Dahmer Helmut (1980), Auf dem Weg zu einer neuen Analytischen Sozialpsychologie, in:<br />

ders. (Hg.) (1980), Analytische Sozialpsychologie, Frankfurt/M.: suhrkamp, S.663-681.<br />

Geden Oliver, Moes Johannes (2000), Reflexive Männlichkeitsforschung, in: Die<br />

Philosophin (22), S.10-36.

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