Schöne Orte den Toten. - Aeternitas e.V.
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5.3 Erinnerungslust statt Erinnerungslast:<br />
Ein Paradigmenwechsel kündigt sich an<br />
Ein Diskurs tritt in Form dichter schriftlicher, mündlicher und praktischer<br />
Auseinandersetzungen zu bestimmten Phänomen oder Geisteshaltungen auf.<br />
Ausschlussprinzipien ordnen das, was entworfen, gedacht und gewusst wer<strong>den</strong><br />
kann. Diese Verdichtungen erzeugen Zwänge, <strong>den</strong>en man sich kaum entziehen<br />
kann. 70 Nach dem ‚Leichten‘ des <strong>Toten</strong>kults im Vergleich zum traditionell ‚Schweren,<br />
Auratischen‘ zu fragen, regen Befunde zur anonymen Bestattung bereits 2004 an.<br />
Inzwischen haben zahlreiche Diskurse begonnen, das Verhältnis von Mensch,<br />
Schuld und Tod produktiv zu verändern. Das Leichte bzw. ein auf Vernunft<br />
basierendes Verhältnis zum Tod darf jetzt nicht nur gedacht, sondern auch<br />
praktiziert wer<strong>den</strong>; es darf Raum, Ort und Gestalt fin<strong>den</strong>. Entgrenzungen<br />
wertzuschätzen ist dabei „keineswegs als diffuse ‚Grenzenlosigkeit‘ zu begreifen,<br />
sondern in seiner historischen Dynamik als eine ‚Arbeit an <strong>den</strong> bestehen<strong>den</strong><br />
Grenzen‘ zu verstehen.“ 71 Diese Arbeit bricht historisch verfestigte Grenzen<br />
zwischen sozialen Kerngruppen und Makrosystemen auf.<br />
Die These eines sich ankündigen<strong>den</strong> Paradigmenwechsels bezüglich des<br />
Verhältnisses zwischen Mensch, Schuld und Tod stützt sich auf folgende Indizien:<br />
Dem Historiker Harald Welzer zufolge löst eine Phase der ‚kalten Geschichte‘ als<br />
eine des kühleren Kopfes die hitzigen Debatten zur nationalsozialistischen<br />
Vergangenheit ab. Teil dieser neuen Phase sei eine neue gesellschaftliche<br />
Ambivalenzfähigkeit. 72 Erinnerungsprozesse sind erlebnis- und ereignisbezogener<br />
<strong>den</strong>n je. Die Urne Zuhause, das Asche-Medaillon stehen im Widerspruch zu<br />
Schuldgefühlen, zu Ängsten vor der ‚Gegenwart‘ Toter. Der aufgebahrte Leichnam<br />
erscheint fremd und zugleich berührbar nah. Über 70% der Bevölkerung verweigern<br />
sich pathologisierender Einschätzungen des Themas Trauer (<strong>Aeternitas</strong> e.V.,<br />
3/2010). Von Sterben und Tod betroffen zu sein, löst bei allen Beteiligten eine<br />
kulturell begründete Scham aus. Die Bereitschaft, sich betroffen bzw. sterbenskrank<br />
zu zeigen, kann dem entgegen wirken. Im Zuge dessen kann das<br />
Interaktionsvermögen wachsen. Erinnerungs- und Bestattungsvorsorge lädt ein,<br />
Konflikte auszutragen.<br />
70 Foucault, M., 2007: Die Ordnung des Diskurses. S. 11.<br />
71 Mössler, M.; Wimmer, M., ebd.<br />
72 Welzer, H., 2010: TAZ. Die Tageszeitung. Nord. 18.12.2010.<br />
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