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Einleitung und Inspiration von Dörte Ahrens Stadtgalerie im ...

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<strong>Einleitung</strong> <strong>und</strong> <strong>Inspiration</strong> <strong>von</strong> <strong>Dörte</strong> <strong>Ahrens</strong> <strong>Stadtgalerie</strong> <strong>im</strong> Elbeforum Brunsbüttel<br />

Stereo Not Mono<br />

“Manchmal glaube ich, dass die gesamte europäische Kunst, wenn<br />

sie gut ist, <strong>im</strong>mer auch provinziell ist“ Per Olov Enquist<br />

„Aber der Ton, den Du erwähnst – welche Einflüsse sind da<br />

wirksam? Ich hoffe, dass diese Frage sich nicht eindeutig beantworten<br />

lässt, dass es in der Literatur etwas gibt, dass man nicht<br />

richtig zu fassen bekommt.“ Jón Kalman Stefánsson<br />

Schon <strong>im</strong>mer waren Künstler auf Reisen. In den letzten Jahren aber konnte man bemerken, dass die<br />

Welt <strong>im</strong>mer mehr als eine „bespielbare Fläche“ gedacht wird. Und dies nicht nur in der globalen<br />

Wirtschaft oder <strong>im</strong> Verkehr, sondern auch in der Kunst. Wirtschaftsmanager, Künstler oder<br />

Ausstellungskuratoren sind ständig unterwegs <strong>und</strong> arbeiten in unterschiedlichsten Weltgegenden.<br />

Welche Auswirkungen hat das auf die Kunst? Spielt heute die Region, die Landschaft in die der<br />

Künstler zurückkehrt <strong>und</strong> lebt, eine Rolle in seiner Kunst? Und auf welche Weise ist die Region in der<br />

Kunst je wirksam geworden? Wie bildet sich die Vorstellung einer Region? Was wird typisch für den<br />

Landstrich, die Gegend? Und wann wird das Typische zum Stereotyp? Ist das Typische etwas, das nur<br />

<strong>von</strong> außen betrachtet als solches wahrgenommen wird? Die hellen Mittsommernächte in Norwegen<br />

oder die blühenden Rapsfelder in Schleswig-Holstein? Und welche Wirkung haben die regionalen<br />

Besonderheiten? Gehen sie als Motiv oder als St<strong>im</strong>mungslage, als Erzählton in die Kunst ein?<br />

Der Blick in die Kunstgeschichte zeigt: Kunst nutzte das Typische häufig als Motiv, schaffte aber<br />

umgekehrt auch durch erfolgreiche Motive bei den Käufern der Bilder eine feste Vorstellung einer<br />

Region. Und es gibt die Fälle, wo Künstler absichtsvoll Stereotypen veränderten oder zerstörten, um<br />

neue Bildideen zu realisieren.<br />

Das Kooperationsprojekt Stereo Not Mono möchte Künstler dazu einladen, Stereotypen ihrer Region<br />

oder der Region des kooperierenden Partners zu reflektieren <strong>und</strong> künstlerisch umzusetzen. Welches<br />

Bild haben wir <strong>von</strong> Ostnorwegen <strong>und</strong> seinen Bewohnern? Trolle, Elche <strong>und</strong> Norweger-Pullis?<br />

Holmenkollen, Wintersport, Ski, raue See <strong>und</strong> Erdöl, Fjorde, karamellisierten Käse <strong>und</strong> Lachs?<br />

Und welche Schlagworte kommen uns in den Sinn, denken wir an Schleswig-Holstein: flaches Land,<br />

meerumschlungen, blühende gelbe Rapsfelder unter blauem H<strong>im</strong>mel, Marzipan, Matjes, Kieler Woche<br />

unter weißen Segeln, Schafe am Deich <strong>und</strong> Wattenmeer, Fischerhemden <strong>und</strong> Leuchttürme?<br />

Sind wir selbst <strong>von</strong> den Mustern geprägt, <strong>von</strong> hohen Wolken oder reißenden Wasserfällen, <strong>von</strong> weiten<br />

Horizonten oder der Erhabenheit der Fjordlandschaft? Spielen sie heute – jenseits <strong>von</strong> Kitsch - noch<br />

eine Rolle oder sind sie bedeutungslos? Und wenn wir unterwegs sind, bringt uns der Blick <strong>von</strong> außen<br />

vielleicht neue Besonderheiten unserer Region ins Bewusstsein?<br />

Im Titel Stereo Not Mono ist die Intention des Projektes schon offenbar. Es geht um den fremden<br />

Blick auf das Vertraute <strong>im</strong> Anderen <strong>und</strong> den vertrauten Blick auf das Fremde <strong>im</strong> Eigenen. Um das<br />

Wechselspiel <strong>von</strong> Bestätigung <strong>und</strong> Infragestellung unserer Wahrnehmungsgewohnheiten, um die<br />

Vielfalt der unterschiedlichen St<strong>im</strong>men, die in Einspruch, Widerspruch <strong>und</strong> Zusammenklang erzählen<br />

<strong>von</strong> Ostnorwegen <strong>und</strong> Schleswig-Holstein.<br />

So ist das Thema bewusst offen gehalten, viele Ansätze in den unterschiedlichsten Kunstgattungen<br />

sind möglich.


<strong>Einleitung</strong> <strong>und</strong> <strong>Inspiration</strong> <strong>von</strong> <strong>Dörte</strong> <strong>Ahrens</strong> <strong>Stadtgalerie</strong> <strong>im</strong> Elbeforum Brunsbüttel<br />

Gelber Raps <strong>und</strong> blauer H<strong>im</strong>mel. Zwei schleswig-holsteinische Ansichten<br />

Wie entstehen regionale Stereotypen? Schaut man in die Kunstgeschichte, so scheint es, als bildeten sie sich erst infolge eines<br />

Bewusstwerdens, einer ästhetischen Wahrnehmung <strong>von</strong> Besonderheiten, aus der Distanz heraus. Und haben Stereotypen<br />

Dauer oder können sie, obwohl einst beliebt, in Vergessenheit geraten? An zwei Beispielen schleswig-holsteinischer<br />

Landschaftsmalerei soll <strong>im</strong> Folgenden diesen Fragen nachgegangen werden.<br />

Hans Olde, Rapsfeld an der Ostsee, 1895, Öl auf Leinwand, 64 x87 cm , Museumsberg Flensburg<br />

Das Bild „Rapsfeld an der Ostsee“ malte der schleswig-holsteinische Künstler Hans Olde (1855-1917) <strong>im</strong> Jahre 1895 auf<br />

dem väterlichen Gut Seekamp an der Kieler Förde. Die „Blühende Hallig“ <strong>von</strong> Jacob Alberts (1860-1941) entstand ebenfalls<br />

um 1895. Das Gemälde zeigt die Landschaft der Halligen <strong>im</strong> Wattenmeer, die in der Nähe <strong>von</strong> Westerhever in Eiderstedt,<br />

dem Geburtsort des Künstlers, liegt. Beide Künstler hatten zuvor eine Ausbildung an renommierten Akademien außerhalb<br />

des Landes erhalten. Jacob Alberts, in Sichtweite des Nordseedeiches aufgewachsen, besuchte ab 1880 die Kunstakademie in<br />

Düsseldorf <strong>und</strong> ab 1882 die Akademie der bildenden Künste in München. Studienreisen nach Ungarn <strong>und</strong> Florenz folgten. In<br />

den Jahren 1886 bis 1890 studierte er an der Académie Julian in Paris. Hans Olde studierte <strong>von</strong> 1879 bis 1884 in München<br />

<strong>und</strong> 1886 ebenfalls an der Académie Julian in Paris. Von der Freilichtmalerei der französischen Impressionisten stark<br />

beeinflusst, gehörten Olde <strong>und</strong> Alberts zu den fortschrittlichen Künstlern <strong>im</strong> deutschen Kaiserreich. Im Jahr 1898 gehörten<br />

beide Künstler zu den Gründungsmitgliedern der Berliner Secession, die mit Max Liebermann an der Spitze in Opposition<br />

zum offiziellen Kunstgeschmack <strong>im</strong> Kaiserreich gingen.<br />

Jaconb Alberts, Blühende Hallig, um 1895, Öl auf Leinwand, 72,5 x 104,5 cm, Museumsberg Flensburg<br />

Alberts <strong>und</strong> Olde waren erfolgreich <strong>und</strong> hatten viele Auftraggeber <strong>und</strong> Käufer in Berlin <strong>und</strong> anderen Großstädten, lebten aber<br />

zeitweise, etwa in den Sommermonaten, in ihren He<strong>im</strong>atorten an der Ost- bzw. Nordseeküste. Hier fanden sie nicht nur die<br />

Gelegenheit zur Freilichtmalerei, sondern auch die Motive für ihre Bilder. Jacob Alberts malte die <strong>von</strong> allem Großstadtleben<br />

der Gründerzeit weit abgelegenen Halligen <strong>im</strong> nordfriesischen Wattenmeer. Die kleinen meist nach Sturmfluten<br />

stehengebliebenen Reste <strong>von</strong> Inseln oder des Festlandes boten ihren Bewohnern ein wenig komfortables Leben. Während


<strong>Einleitung</strong> <strong>und</strong> <strong>Inspiration</strong> <strong>von</strong> <strong>Dörte</strong> <strong>Ahrens</strong> <strong>Stadtgalerie</strong> <strong>im</strong> Elbeforum Brunsbüttel<br />

starker Fluten werden noch heute die nicht eingedeichten Halligen überspült. Nur die künstlich aufgeschütteten Warften, auf<br />

denen die Häuser stehen, bleiben, ausgenommen <strong>von</strong> Sturmfluten, vom Wasser verschont. Dem Bild sieht man diese<br />

Gefährdungen nicht an. Es zeigt eine Hallig während der Blüte des Strandflieders <strong>im</strong> Frühsommer. Die flache Landschaft der<br />

blühenden Halligwiese, wird durchzogen <strong>von</strong> Gräben. Sie geben der Schlichtheit der Komposition zum Trotz ein Gefühl für<br />

die Tiefe der Landschaft. Am Horizont sind einzelne Warften als Silhouette erkennbar.<br />

Alberts konnte diese Halligbilder sehr gut verkaufen <strong>und</strong> das Motiv der heute beinahe vergessenen „Blühenden Hallig“ war<br />

in dieser Zeit ein fester Begriff. Der Erfolg verdankte sich zum einen der Tatsache, dass sich diese Freilichtmalerei in<br />

reizvoller heller Farbpalette einer realistischen Naturdarstellung widmete. Dieser Realismus stand <strong>im</strong> Gegensatz zur<br />

überkommenen klassisch-idealistischen Landschaftskomposition in der aktuellen Kunstkritik hoch <strong>im</strong> Kurs. Zum anderen lag<br />

es aber auch an der politischen Situation. Das Gebiet des heutigen Schleswig-Holsteins war über die Jahrh<strong>und</strong>erte in viele<br />

Herzogtümer aufgeteilt gewesen <strong>und</strong> hatte sowohl unter dänischer wie auch deutscher Verwaltung gestanden. Nach den<br />

kriegerischen Auseinandersetzungen in der Mitte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts war Schleswig-Holstein seit 1867 eine preußische<br />

Provinz <strong>und</strong> ging 1871 in das Deutsche Reich ein. Das hatte viele Folgen: die preußische Verwaltung wurde etabliert: noch<br />

heute zeugen ihre damals entstandenen Verwaltungsbauten da<strong>von</strong>. Die Infrastruktur wurde ausgebaut <strong>und</strong> bildete - etwa mit<br />

dem Nord-Ostsee-Kanal – die Gr<strong>und</strong>lage für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Der Fremdenverkehr auf den<br />

Nordseeinseln, wie z.B. auf Sylt oder Föhr, wurde u.a. auch durch die Reisen der Kaiserin Auguste Victoria, deren Vater der<br />

Herzog Friedrich III. <strong>von</strong> Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg war, belebt. Die schleswig-holsteinische Landschaft<br />

rückte durch diese Umstände in besonderer Weise in das Bewusstsein der Künstler <strong>und</strong> des Kunstmarktes. Hans Olde lud<br />

beispielsweise seine Münchner Kollegen zum Freilichtmalen in den Norden. In Ekens<strong>und</strong> an der Flensburger Förde entstand<br />

eine Künstlerkolonie. Auf der Insel Föhr malten Künstler die Frauen in ihren Trachten. Die Motive aus Schleswig-Holstein<br />

waren beliebt <strong>und</strong> ganz neu. Auch das heute allgegenwärtige Motiv der schleswig-holsteinischen Landschaft mit blühendem<br />

Raps, blauem Meer <strong>und</strong> hellem H<strong>im</strong>mel gab es vor Hans Olde in der Kunst des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts nicht. Allerdings hatte Olde<br />

zumindest anfänglich mit seinen Rapsfeld-Bildern wenig Erfolg. Dies hatte seinen Gr<strong>und</strong> in der außerordentlich<br />

fortschrittlichen Umsetzung des Motivs. Die Feuilleton-Kritik besch<strong>im</strong>pfte den angeblichen Missbrauch <strong>von</strong> „scharfem Blau<br />

<strong>und</strong> brennendem Schwefelgelb“, der dem Betrachter Augenschmerzen verursachen würde. Ein dick zusammengestrichenes,<br />

form- <strong>und</strong> poesieloses Tableaux würde das Publikum terrorisieren. Schaut man sich das Bild heute an, kann man darin eine<br />

sehr frühe, eigenständige Rezeption des Neo-Impressionismus erkennen, die in Deutschland neben wenigen anderen<br />

Beispielen nahezu singulär war. Das Motiv des Rapsfeldes vor der blauen See <strong>und</strong> unter einem hellen H<strong>im</strong>mel hat der<br />

Künstler durch die dicht aneinander gesetzten Pinselstriche in kompakte <strong>und</strong> auf diese Weise beinahe abstrakte Farbflächen<br />

transformiert. Kaum noch ist eine Tiefenwirkung in der Landschaftsdarstellung wahrzunehmen. Mit seinen drei vertikal<br />

abfolgenden <strong>und</strong> durch die dick aufgetragene Farbe stark strukturierten Farbflächen verweist das Bild sogar schon auf die<br />

moderne abstrakte Farbflächenmalerei. Wurde das „Rapsfeld an der Ostsee“ <strong>von</strong> damaligen Betrachtern auch beargwöhnt,<br />

gilt heute das <strong>von</strong> Olde erstmalig gef<strong>und</strong>ene Motiv dieses eigenwilligen Bildes: gelber Raps, Meer <strong>und</strong> H<strong>im</strong>mel jedoch als<br />

ein Stereotyp für Schleswig-Holstein schlechthin.<br />

<strong>Dörte</strong> <strong>Ahrens</strong>, Brunsbüttel, Oktober 2011

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