GEZEICHNETE KUNST XVII - HW Fichter Kunsthandel
GEZEICHNETE KUNST XVII - HW Fichter Kunsthandel
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All diese Elemente finden sich auch auf unserer Zeichnung, die wahrscheinlich auf eben jener Wanderung<br />
entstanden ist und einen Teil des Gamrigs am Weg zwischen Rathen und Waltersdorf zeigt. 7 Caspar David<br />
Friedrich hat 1808 einen Blick auf den Gamrig festgehalten und die aufragenden Spitzen später in seinem<br />
Gemälde Der Wanderer über dem Nebelmeer verwendet. 8 Carus hat über seine Erlebnisse auf der Reise von<br />
1827 in einem Brief an Johann Gottlob Regis berichtet: „Es sind jetzt dort [auf der Bastei] die Felsen des<br />
Neurathens und der Bastei durch Brücken verbunden. Auf dieser Brücke nun in reinster, warmer<br />
Vollmondnacht zu stehen, die geistermässigen ungeheuren Felsmauern in den Sternenhimmel hinanragen<br />
zu sehen und dabei der Blick in die furchtbar gähnenden schwarzen Tiefen! ich sage Ihnen, dass ich dies<br />
dem Erhabensten beizähle, so ich je gesehen.“ 9<br />
Hatte Carus in seinem siebenten Landschaftsbrief die Entstehung der Felsen anhand vulkanistischer<br />
Theorien erläutert, so vereint sich vor diesen Schluchten die Wissenschaft mit dem emotionalen Erleben<br />
der Natur. Die „Erdenseele“ rührt die menschliche Seele und weckt in ihr das Gefühl der Erhabenheit und<br />
lässt das göttliche Wirken in allen Teilen der Welt erahnen. So sind die Zeichnungen von Carus zwar<br />
genaue Naturbeobachtungen, doch sie erschöpfen sich nicht in der Wiedergabe des nur Sichtbaren. Im<br />
Vergleich zu Caspar David Friedrichs Naturskizzen, die Carus maßgeblich geprägt haben, geht es nicht nur<br />
um eine exakte Notierung der gesehenen Gegenstände im Koordinatenfeld ihrer Umgebung, sondern auch<br />
um den emotionalen Gehalt des Gesehenen, der mit einer gewissen Ehrfurcht vor den Naturwundern<br />
einhergeht. Bei Johann Christian Clausen Dahl sah er die Virtuosität im Skizzieren als Zeichen mangelnder<br />
Demut und Frömmigkeit vor der Natur, 10 auch wenn er ihm in Strichführung und Laviertechnik oft nahe<br />
steht. So paart sich bei Carus der sezierende Blick des Wissenschaftlers mit dem fühlenden Blick des<br />
Romantikers. Als Mittelweg zwischen Friedrich, der oft einen fragmentierenden, antiillusionistischen Blick<br />
auf die Objekte in seinen Blättern festhielt, und Dahl, der die Landschaft als zusammenhängenden,<br />
begehbaren Organismus verstand, offenbart Carus’ Zeichenstil eine detailgenau Lockerheit, die die eher<br />
summarische aber stimmungsvolle Lavierung bedingt und gezielte und bestimmend gesetzte Kürzel für<br />
einzelne Erscheinungen ermöglicht. Kurz und knapp gezogene Linien, die meist etwas dicker und<br />
bestimmter erscheinen, wie bei dem kleinen Ast, der in der Mitte unserer Zeichnung die Lücke von einem<br />
Felsen zum anderen überspannt, finden sich immer wieder bei Carus. Auffallend ist dabei auch die<br />
Variation der Farbintensität des Bleistiftes, die Carus bewusst einsetzt und durch festeren Druck auf den<br />
Stift erzeugt. 11<br />
So vereinen sich in Carus’ Zeichnungen verschiedene Ansätze einer Sicht auf die Welt, die in dieser Weise<br />
kaum einer seiner Zeitgenossen teilte. Zum einen wird das Objekt der Anschauung mit einem geradezu<br />
kartographischen Blick seziert und anatomisch korrekt auf das Blatt gebannt. Für einen<br />
Naturwissenschaftler, der viele der Illustrationen zu seinen Werken selbst schuf, geradezu eine<br />
7 Für Hilfe bei der Lokalisierung danke ich Herrmann Zschoche. Eine mit „im Rathener Grunde“ bezeichnete, lavierte<br />
Federzeichnung aus dem Kupferstichkabinett Dresden scheint im Zusammenhang mit unserer Arbeit entstanden zu sein (Vgl.-<br />
Abb. 3). Die Art der Beschriftung ist nahezu identisch mit derjenigen auf unserem Blatt. Vgl. hierzu: Richter 2009a, S. 75, Abb. 90.<br />
8 Die genannte Zeichnung ist verschollen. Abgebildet bei Hoch 1995, S. 33, Abb. 16 und bei Richter 2009c, S. 96, Abb. 134 und S. 129,<br />
Abb. 188 (Detail).<br />
9 Brief vom 21. September 1827, zit. nach A.-Kat. Dresden/Berlin 2009a, S. 180, Kat. Nr. 170.<br />
10 Vgl. A.-Kat. Dresden/Berlin 2009b, S. 162, in einem Brief an Regis vom 19. Februar 1820.<br />
11 Besonders ausgeprägt ist dieses Variationsspiel in dem Blatt Im Basteigebiet in der Sächsischen Schweiz, Bleistift, braun laviert, 26,9 x<br />
20,6 cm, Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Inv. Nr. C 1963-621. Abb. in: A.-Kat. Dresden/Berlin 2009a,<br />
S. 180, Kat. Nr. 171.<br />
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