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Museum Bellerive Archäologie und Denkmalpflege des ... - eMuseum

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<strong>Museum</strong> <strong>Bellerive</strong><br />

Der schöne Schein<br />

Facetten der Zürcher Raumkultur<br />

Heidi Bucher<br />

Innenansicht Villa Bleuler 1991<br />

Foto: Jean Pierre Kuhn, Gockhausen<br />

<strong>Archäologie</strong> <strong>und</strong> <strong>Denkmalpflege</strong> haben viel mit dem über Jahrtausende<br />

überlieferten Kunsthandwerk zu tun, mit seltenen<br />

Materialien <strong>und</strong> Techniken, mit bestimmten Manufakturen. Für eine<br />

möglichst präzise Analyse <strong>und</strong> Restaurierung ihrer F<strong>und</strong>e bedienen<br />

sie sich heute der fortschrittlichsten Technologien. Immer ist die<br />

Interpretation historischer Zeugen aber durch zeitgenössische<br />

Sichtweisen mitgeprägt – nicht zuletzt jene von Künstlerinnen <strong>und</strong><br />

Künstlern, die mit ihrer Arbeit die gegenseitige Abhängigkeit <strong>des</strong><br />

Gestern <strong>und</strong> <strong>des</strong> Heute ausloten.<br />

Seit 1958 schützt <strong>und</strong> erforscht die Kantonsarchäologie<br />

das archäologische Erbe, <strong>und</strong> die Denkmlapflege dokumentiert <strong>und</strong><br />

pflegt bis in die jüngste Vergangenheit hinein entstandene Beispiele<br />

historischer Baukultur. Bei dieser Arbeit ist eine Menge an von<br />

Menschenhand geschaffenen Dingen zusammengekommen. Aus<br />

Anlass <strong>des</strong> Jubiläums «50 Jahre <strong>Archäologie</strong> <strong>und</strong> <strong>Denkmalpflege</strong><br />

Kanton Zürich» hat ein Kuratorenteam gemeinsam mit den<br />

Mitarbeiterinnen <strong>und</strong> Mitarbeitern dieser Institutionen diese Schätze<br />

gesichtet. Sie bilden den Kern der Ausstellung.<br />

Anhand der ephemeren Schichten von Böden, Wänden <strong>und</strong> Decken<br />

spürt die Ausstellung den vermeintlich «individuellen» Lebensträumen<br />

nach, die seit jeher im Interieur ihren Niederschlag fanden.<br />

Bei näherer Betrachtung verblasst allerdings die vermeintliche<br />

Einmaligkeit <strong>des</strong> «schönen Scheins»; zutage tritt das Zeittypische,<br />

das jeweils uralte Konstruktionsprinzipien, Techniken <strong>und</strong> formale<br />

Themen variiert.<br />

Die Ausstellung zeigt in sieben Kapiteln unterschiedliche Facetten<br />

der Zürcher Raumkultur – quer durch alle Zeiten. Die Oberfläche der<br />

Architektur – die «peau intérieure» – wird durch Materialien,<br />

Motive (das Würfel-Muster), Techniken (die Dekorationsmalerei),<br />

Effekte (Imitationen) <strong>und</strong> das Zusammenspiel der Handwerksgattungen<br />

erfahrbar gemacht. Deren Transformation durch<br />

zeitgenössische Künstlerinnen <strong>und</strong> Künstler stellt die Arbeit <strong>und</strong><br />

die Sammlungen von <strong>Archäologie</strong> <strong>und</strong> <strong>Denkmalpflege</strong> in ein<br />

neues überraschen<strong>des</strong> Licht.<br />

«Es ist nicht nur die Vergangenheit. Vergangenheit<br />

<strong>und</strong> heute <strong>und</strong> alles – das ist eine Welt. Auch<br />

Personen von heute <strong>und</strong> gestern fallen zusammen.<br />

Das ist alles eins. Traum <strong>und</strong> Arbeit, Leben <strong>und</strong><br />

Vergangenheit sind zusammen <strong>und</strong> ergänzen sich.»<br />

Heidi Bucher im «Gespräch in der Küche» 19.4.1978<br />

Galerie Haus 11, Karlsruhe<br />

Heidi Buchers Interesse galt der permanenten Metamorphose ihres<br />

Umfel<strong>des</strong>. Bei ihrer Arbeit war ihr die innige Verbindung <strong>des</strong><br />

so wahrgenommenen Lebens <strong>und</strong> der Kunst ein zentrales Anliegen.<br />

Mit dem Verfahren <strong>des</strong> Latex-Abgusses gelang ihr das Festhalten<br />

der Form <strong>und</strong> gleichzeitig der Patina alter Bauten, die<br />

Sichtbarmachung der sukzessiven Schichten, der Spuren der durch<br />

das Leben verursachten Veränderungen über eine lange Zeit.<br />

So stehen die Transformation von architektonischen Elementen mit<br />

dem Mittel der «Häutung» <strong>und</strong> der prozesshafte Charakter der<br />

Werke Heidi Buchers in einem engen Dialog mit den Spuren unserer<br />

Kultur, mit denen sich <strong>Archäologie</strong> <strong>und</strong> <strong>Denkmalpflege</strong> ebenfalls<br />

täglich beschäftigen. Ihre Arbeiten ermöglichen dabei eine radikal<br />

zeitgenössische Sicht auf die Vergangenheit. Dies macht<br />

sie exemplarisch <strong>und</strong> lässt sie als Bestandteile eines visionären<br />

Gesamtkunstwerks erscheinen. Poesie, Sinnlichkeit <strong>und</strong> eine<br />

betörende Leichtigkeit zeichnen sie aus.<br />

Gordon Matta-Clark<br />

Splitting 1974<br />

Super-8-Film, 10:50 min, ohne Ton,<br />

Electronics Arts Intermix, New York<br />

In der Arbeit «Splitting» (1973) untersucht Gordon Matta-Clark das<br />

Wesen eines Hauses, indem er dieses im wörtlichen Sinn in<br />

zwei Teile teilt. Wie bei vielen von Matta-Clarks Arbeiten handelt<br />

es sich dabei um einen Akt der Enthüllung, der eingebettet ist<br />

in den Handlungsraum einer Performance: Eine architektonische<br />

Intervention wird als «Erzählung» auf Film dokumentiert.<br />

Das Ergebnis, hier in Form eines Videos präsentiert, wird nicht nur<br />

von der Idee der Enthüllung eines Innenraumes in einem visuellen<br />

Format aufgeladen, das Format <strong>des</strong> Mediums ist auch selbst<br />

präsent: durch Zwischentitel sowie durch die Nähe zu Stummfilm<br />

<strong>und</strong> wissenschaftlicher Dokumentation.<br />

Im Gedächtnis bleibt einem das einzige Wort, das ausserhalb der<br />

Zwischentitel auftaucht: die auf der Werkzeugkiste aufgedruckte<br />

Marke der Säge: «sawzall» – ein Wortspiel, das im Englischen den<br />

Begriff <strong>des</strong> Sägens («sawing») mit dem <strong>des</strong> Sehens («to see ... all»)<br />

verbindet.<br />

Imitation<br />

Raffinierte Nachbildungen wertvoller Materialoberflächen waren<br />

früher weit verbreitet. Sie sind es heute noch – trotz der zu Beginn<br />

<strong>des</strong> 20. Jahrh<strong>und</strong>erts leidenschaftlich geführten Bestrebungen<br />

von Reformern wie Adolf Loos.<br />

Mit der Industrialisierung war die Produktion neuartiger kostengünstiger<br />

Materialien möglich geworden. Sehr rasch verbreitete sich<br />

unter anderem der 1863 erf<strong>und</strong>ene Bodenbelag Linoleum in ganz<br />

Europa. Dieses Gemisch aus Holz- oder Korkmehl mit Leinöl auf<br />

Jute-Unterlage zeichnet sich durch Dauerhaftigkeit <strong>und</strong> hygienische<br />

Eigenschaften (Abwaschbarkeit) aus. In der Folge wurden<br />

Linolbeläge mit Teppich-, Parkett- <strong>und</strong> selbst Fliesenmustern<br />

verziert; sie «imitierten» also Textilien, Holz <strong>und</strong> gebrannten Ton<br />

bzw. Steingut.<br />

Lincrusta – eine feinere Variante auf Papier, aus den gleichen<br />

Gr<strong>und</strong>stoffen bestehend – wurde häufig als Wandverkleidung<br />

in Korridoren <strong>und</strong> Treppenhäusern verwendet. Wohnzimmerwände<br />

wurden dagegen mit bedruckten Papiertapeten verkleidet, die<br />

wie textile Wandbespannungen oder jene Ledertapeten wirkten, die<br />

ihre Hochblüte im 16. Jahrh<strong>und</strong>ert in Spanien hatten. Gemalte<br />

Inkrustationen in Form marmorierter Steinplattenverkleidungen –<br />

oft über einer Sockelzone aus Quadermauerwerk – schmückten<br />

Vorhallen <strong>und</strong> Treppenhäuser. Hinzu kamen bauplastische<br />

Elemente wie Reliefs, freistehende Figuren <strong>und</strong> Wellenranken-<br />

Friese, die Stuck oder Marmor nachahmen. Gemalte Holztäfer mit<br />

geschnitzt wirkenden Zierleisten aus Gips, Papiertapeten mit<br />

aufgedruckter Kachelung, Stuckatur-Gesimse – an griechischen<br />

Tempeln in Stein gehauen –, nunmehr als bemalte Holz- oder<br />

Metallarbeiten, all das sind Imitationen, die selbst auf Möbeln <strong>und</strong><br />

Ausstattungsgegenständen verwendet wurden.<br />

Ausgestellt sind unter anderem gemalte Holzintarsien, die Stuckimitation<br />

eines Majolika-Tondos der Renaissance <strong>und</strong> ein gotisches<br />

Sandsteinmasswerk in Form einer bemalten Blechblende.<br />

Dieses Kapitel ist auch eine Hommage an Robert <strong>und</strong> Trix<br />

Haussmann, die mit ihrem Werk über Jahre hinweg die Rolle <strong>des</strong><br />

Ornaments <strong>und</strong> die Wirkungen der Imitation in der Architektur<br />

untersucht haben.<br />

Robert <strong>und</strong> Trix Haussmann / Dumeng Raffainer<br />

Lehrstück IV (Seven co<strong>des</strong>) 1978<br />

Intarsienschrank mit Spiegel<br />

Massivholzintarsia Birnbaum / Ahorn, Spiegelglas<br />

Foto: Alfred Hablützel<br />

IMPRESSUM<br />

Der Schöne Schein – Facetten der Zürcher Raumkultur<br />

<strong>Museum</strong> <strong>Bellerive</strong><br />

Ein Haus <strong>des</strong> <strong>Museum</strong> für Gestaltung Zürich<br />

7. März bis 8. Juni 2008<br />

Imitation<br />

Konzept:<br />

Eva Afuhs, Peter Baumgartner, Giovanni Menghini, Zora Parici, Arthur Rüegg, Silvio Schmed<br />

Projektleitung <strong>Museum</strong> <strong>Bellerive</strong>:<br />

Eva Afuhs<br />

Projektleitung <strong>Archäologie</strong> <strong>und</strong> <strong>Denkmalpflege</strong> <strong>des</strong> Kantons Zürich:<br />

Beat Eberschweiler<br />

Ausstellungsarchitektur:<br />

Silvio Schmed, Arthur Rüegg<br />

Ausstellungskoordination:<br />

Nadine Zuni<br />

Kommunikation:<br />

Jacqueline Greenspan<br />

<strong>Museum</strong>sdienste:<br />

Christina Wellinger<br />

Bauten:<br />

Craig Neil <strong>und</strong> Werkstatt <strong>des</strong> <strong>Museum</strong> für Gestaltung Zürich<br />

Ausstellungsgrafik:<br />

Tanja Trampe, Nadine Zuni<br />

AV Technik:<br />

ZHdK AVZ<br />

IT Technik:<br />

ZHdK ITZ<br />

Fotografie:<br />

ZHdK Fotoatelier; <strong>Archäologie</strong> <strong>und</strong> <strong>Denkmalpflege</strong> <strong>des</strong> Kantons Zürich: Martin Bachmann<br />

Werbemittel:<br />

Ralph Schraivogel<br />

Perzeption<br />

Rezeption<br />

Imitation<br />

Dekorationsmalerei<br />

Das Kleid der<br />

Architektur<br />

Obergeschoss<br />

Beratung <strong>und</strong> Mitarbeit:<br />

<strong>Archäologie</strong> <strong>und</strong> <strong>Denkmalpflege</strong> <strong>des</strong> Kantons Zürich: Martin Bachmann, Simeon Bertschinger,<br />

Lukas de Boer, Beat Flury, Josef Gisler, Rita Hessel, Susanne Holzinger,<br />

Beat Horisberger, Renate Leu, Annamaria Matter, Stefan Schreyer, Anna Stützle,<br />

Kathrin Trüllinger, Simon Vogt, Gaby Weber<br />

Würfelmotiv<br />

W<strong>und</strong>erkammern<br />

Tapete<br />

Wir danken für die fre<strong>und</strong>liche Unterstützung:<br />

Lotteriefonds Kanton Zürich<br />

Agfa-Gevaert AG/Dübendorf, Agosti AG/Zürich, Hugo Baldinger/Jona-Rapperswil,<br />

Eichhof Holding AG/Luzern, Fontana & Fontana AG/Jona-Rapperswil, Hurter Tapeten/Winterthur,<br />

KT Color/Uster, Lantal Textiles/Langenthal, Marcel Renggli/Hergiswil, Heinz Schwarz/Kriens<br />

Erdgeschoss<br />

<strong>Archäologie</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Denkmalpflege</strong><br />

<strong>des</strong> Kantons Zürich


W<strong>und</strong>erkammern<br />

Ausgelegt ist eine kleine Auswahl aus den vielen Tausenden von<br />

Einzelgegenständen, die im Laufe der letzten 50 Jahre<br />

Sammlungs- <strong>und</strong> Grabungstätigkeit in den F<strong>und</strong>- <strong>und</strong> Bauteillagern<br />

der <strong>Archäologie</strong> <strong>und</strong> <strong>Denkmalpflege</strong> zusammengekommen sind.<br />

Sie entstammen Rettungsgrabungen, Zufallsf<strong>und</strong>en, fachgerechten<br />

Ausbauten in Abbruchobjekten <strong>und</strong> hektischen Bergungen aus<br />

Sperrgutmulden.<br />

Die archäologischen Objekte sind inventarisiert <strong>und</strong> beschriftet.<br />

Herkunft <strong>und</strong> F<strong>und</strong>umstände lassen sich für je<strong>des</strong> einzelne<br />

Stück nachvollziehen. Dank Strichcode ist der entsprechende<br />

Datensatz jederzeit abrufbar. Die F<strong>und</strong>lager der <strong>Archäologie</strong><br />

beinhalten Hinterlassenschaften unserer Vorfahren, die teilweise<br />

Jahrtausende in die Vergangenheit zurückreichen.<br />

Die Gegenstände der <strong>Denkmalpflege</strong> sind zwar ebenfalls<br />

Dokumente ihrer Zeit, aber im Vergleich zu den archäologischen<br />

Objekten nur grob erfasstes Strandgut. Diese Relikte waren<br />

an ihrem ursprünglichen Standort überzählig. Sie hatten ausgedient<br />

<strong>und</strong> mussten weichen, da sie dem gerade gängigen Geschmack<br />

<strong>und</strong> den neuen Bedürfnissen nicht mehr genügten. Zum Verhängnis<br />

geworden ist ihnen oft ein fehlen<strong>des</strong> Verständnis für das,<br />

was einst mit grossem technischem Können <strong>und</strong> handwerklichem<br />

Wissen hergestellt worden war.<br />

Früher war die Wiederverwertung solcher Bauteile eine Selbstverständlichkeit:<br />

Wiederverwendung von intakten Baumaterialien,<br />

Einbau von alten Kachelöfen, Vertäferungen, Fenstern<br />

<strong>und</strong> Stuckaturdecken. Heute hilft die <strong>Denkmalpflege</strong> in Einzelfällen<br />

mit den Materialien ihrer Sammlungen aus.<br />

Im vermeintlich ungeordneten Trödelladen verbirgt sich in Tat <strong>und</strong><br />

Wahrheit das haptische Gedächtnis unserer Bau- <strong>und</strong><br />

Handwerkskunst, welches Zeugnis von der Wohn- <strong>und</strong> Lebenskultur<br />

der Generationen vor uns ablegt. Die Aufreihung gleichartiger<br />

Gegenstände macht zudem die enorme Variationsbreite einfacher<br />

Bau- <strong>und</strong> Ausstattungsgegenstände sinnlich erfahrbar.<br />

W<strong>und</strong>erkammern <strong>Denkmalpflege</strong><br />

Foto: <strong>Denkmalpflege</strong> <strong>des</strong> Kantons Zürich<br />

Tapete<br />

«Tapete» bedeutete im antiken Sprachgebrauch «Wandbehang»<br />

<strong>und</strong> «Teppich». Erst ab dem 15. Jahrh<strong>und</strong>ert wurde unterschieden<br />

zwischen der «Tapisserie» als «Wandbehang», dem «Teppich»<br />

<strong>und</strong> letztlich der «Tapete» als fest angebrachte «Wandbekleidung».<br />

Voraussetzung für die Herstellung von Papiertapeten waren<br />

Kenntnisse um den Herstellungsprozess <strong>des</strong> Papiers (Büttenpapier)<br />

sowie der Drucktechnik <strong>des</strong> Holzschnitts (Holzmodel).<br />

Die ältesten bekannten Belege stammen aus der aufkommenden<br />

Renaissance; der Durchbruch kam allerdings erst in der zweiten<br />

Hälfte <strong>des</strong> 18. Jahrh<strong>und</strong>erts, als eine ausgereifte Technik<br />

<strong>des</strong> Leimfarbdrucks zur Verfügung stand <strong>und</strong> es möglich wurde, die<br />

einzelnen Bögen <strong>des</strong> Büttenpapiers zu raumhohen Bahnen<br />

zusammenzufügen.<br />

Nun wurde die Leinwand als Trägermaterial allmählich durch Papier<br />

ersetzt, <strong>und</strong> die im 18. Jahrh<strong>und</strong>ert beliebten <strong>und</strong> zu Garten- <strong>und</strong><br />

Landschaftszimmern ausgemalten Räume fanden in der<br />

vergleichsweise günstigeren Produktion von Panorama-Tapeten ein<br />

serielles Ersatzprodukt. Bei einer Panorama-Tapete wird nicht ein<br />

Muster rapportiert, sondern eine fortlaufende landschaftliche<br />

Szenerie aufgebaut. Mit der Verfügbarkeit von Endlospapier (Rollen)<br />

wurden ab 1830 die Voraussetzungen für eine industrielle<br />

Fertigung geschaffen.<br />

Um 1850 stellte Jean Zuber (Rixheim) als einer der Ersten in Europa<br />

eine mit Dampf betriebene englische Walzendruckmaschine für<br />

sechs Farben zur Herstellung von günstigen Tapeten auf. In der<br />

Folge kamen eine Veloutiermaschine sowie Reliefdruck-, Gaufrier-,<br />

Gr<strong>und</strong>ier- <strong>und</strong> Satiniermaschinen hinzu. Damit war er in der<br />

Lage, praktisch alle möglichen Muster, Prägungen, Effekte sowie<br />

Glanzstufen herstellen zu können. Heute ermöglichen digitale<br />

Verfahren die individuelle Gestaltung je<strong>des</strong> einzelnen Tapetenbogens<br />

<strong>und</strong> die präzise Anpassung an konkrete Räume.<br />

Diese Möglichkeiten rücken die Tapete wieder ins Zentrum der<br />

Aufmerksamkeit zeitgenössischer Künstlerinnen <strong>und</strong> Künstler <strong>und</strong><br />

befriedigen den Wunsch der K<strong>und</strong>en nach einer individuellen<br />

<strong>und</strong> aussergewöhnlichen Innenausstattung. Nicht umsonst steht<br />

der «Tapetenwechsel» auch heute noch als Synonym für<br />

«Veränderung» <strong>und</strong> «Erneuerung».<br />

Sehr modern wirken<strong>des</strong> Tapetenfragment <strong>des</strong> späten 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

aus dem ehemaligen Gasthof Bären in Hütten.<br />

Foto: <strong>Denkmalpflege</strong> <strong>des</strong> Kantons Zürich<br />

Würfelmotiv<br />

Der Würfel (auch: Kubus, Hexaeder) gehört zur Gruppe der Platonischen<br />

Körper. Ausgangspunkt für seine räumliche Darstellung<br />

ist nebst der quadratischen Basis auch der Kreis respektive<br />

die Kreisteilung – Ausgangspunkt für eine Vielzahl islamischer<br />

Ornamente. In seiner reinsten Form wird er aus drei<br />

deckungsgleichen Rhomben gebildet, die in den Farbwerten hell,<br />

mittel <strong>und</strong> dunkel (Weiss, Grau, Schwarz) gefasst sind.<br />

Frühe Beispiele <strong>des</strong> ornamental eingesetzten Würfelmotivs sind<br />

über die gesamte antike Welt verteilt. Dort kamen die<br />

Würfelvariationen mehrheitlich in der Boden- <strong>und</strong> Wanddekoration<br />

zur Anwendung, beispielsweise in Rom im «Haus der Greifen»<br />

als Wandbemalung oder in Pompeji im «Haus der Faune» – dort in<br />

Form eines Bodenbelags.<br />

Mit der Aneignung der Perspektive durch die Renaissance wurden<br />

die Gr<strong>und</strong>lagen für die präzise, räumliche Darstellung <strong>des</strong><br />

Würfelornaments geschaffen. Damit war der Gr<strong>und</strong>stein für eine<br />

Verbreitung in viele weitere Genres gelegt.<br />

So hat das beliebte Würfelmotiv später Eingang in die Majolika<strong>und</strong><br />

Parkettbodenproduktion gef<strong>und</strong>en, ebenso in die<br />

Tapetengestaltung <strong>und</strong> seit den frühen 1980er Jahren auch in die<br />

Computerspielbranche. Selbstverständlich beschäftigen sich<br />

zeitgenössische Kunstschaffende wie Christoph Haerle, Robert <strong>und</strong><br />

Trix Haussmann, Sol LeWitt oder Urs B. Roth mit dem<br />

Würfelornament.<br />

Es zeigt sich, dass gerade das Würfelmotiv stellvertretend für die<br />

Kontinuität von Ornamenten über einen sehr grossen Zeitraum<br />

steht. Wie kaum ein anderes Motiv vermochte sich der Würfel über<br />

Jahrh<strong>und</strong>erte, natürlich in unterschiedlich stark variierender<br />

Darstellungsform, auf den verschiedensten Trägern als Ornament<br />

durchzusetzen <strong>und</strong> zu halten.<br />

Abtsaal <strong>des</strong> Klosters Rheinau<br />

Das räumliche Würfelmotiv ist hier sowohl auf dem Parkettboden<br />

wie auch auf dem Tisch zu finden.<br />

Foto: <strong>Archäologie</strong> <strong>des</strong> Kantons Zürich<br />

Perzeption / Rezeption<br />

Mit den ersten Grabungen im 18. Jahrh<strong>und</strong>ert, die auf Geheiss der<br />

Stadtzürcher Obrigkeit durchgeführt wurden, begannen sich<br />

auch breitere Bevölkerungskreise mit ihrem antiken Erbe auseinander<br />

zu setzen. Dies lässt sich beispielhaft an jener Ausgrabung in<br />

Buchs aufzeigen, die bereits 1759 im Auftrag <strong>des</strong> damaligen<br />

Landvogts in Regensberg, J. J. Scheuchzer, in der Villa <strong>des</strong> römischen<br />

Gutshofs durchgeführt wurde. Scheuchzer liess durch den<br />

bekannten Ingenieur <strong>und</strong> Kartographen J. Müller aus Zürich einen<br />

Gesamtplan der Anlage <strong>und</strong> verschiedene repräsentative F<strong>und</strong>e<br />

zeichnen. Diese Dokumentation wurde schliesslich vom Zürcher<br />

Professor für Altphilologie, J. J. Breitinger, in Form zweier durch<br />

J. R. Holzhalb gefertigte Kupferstiche veröffentlicht.<br />

Ein zeitgenössisches «Hausbuch» von 1771, worin kolorierte Zeichnungen<br />

der Mosaiken <strong>und</strong> einiger F<strong>und</strong>stücke sowie <strong>des</strong><br />

Gesamtplans eingeklebt sind, lässt das grosse Interesse erahnen,<br />

das die Grabungen damals auslösten. Der Zeichner scheint<br />

nach einer Vorlage in der Art der Stiche gearbeitet <strong>und</strong> das Mosaik<br />

nach seinem Gutdünken ergänzt zu haben. Seine freizügige<br />

Interpretation <strong>des</strong> Vorgef<strong>und</strong>enen würde heute kaum mehr so<br />

akzeptiert.<br />

Auch heute noch ist es unerlässlich, dass die Resultate von archäologischen<br />

Ausgrabungen nicht einer kleinen Gruppe von Fachleuten<br />

vorbehalten bleiben, sondern einer breiteren Öffentlichkeit<br />

zugänglich gemacht werden. Trotz der fragmentarischen Überreste<br />

sind wir in der Lage, die römische Raumausgestaltung zu<br />

rekonstruieren. Dabei ist es besonders hilfreich, dass die klare<br />

Formensprache der römischen Architektur das weite Feld der<br />

Rekonstruktionsvarianten doch stark einzugrenzen vermag – auch<br />

wenn viele der ursprünglichen Masse <strong>und</strong> Informationen nicht<br />

überliefert sind.<br />

Der Architekt <strong>und</strong> Künstler Urs Beat Roth führt das periodische<br />

römische Muster mit einer zwischen Kunst <strong>und</strong> Wissenschaft<br />

angesiedelten, hochkomplexen Arbeit in ein zeitgemässaperiodisches<br />

Muster über. Dieses lässt sich systematisch bis zur<br />

Unendlichkeit fortsetzen, ist aber nicht mehr auf den herkömmlichen<br />

«Rapport» angewiesen.<br />

Bodenmosaik<br />

Abbildung aus dem Hausbuch von 1771<br />

Zentralbibliothek Zürich<br />

Dekorationsmalerei<br />

«Die Dekorationsmalerei gehört zum Kunstgewerbe. Sie ist ein<br />

Kunsthandwerk, das in seinen einfachsten Leistungen zum gewöhnlichen<br />

Handwerk wird, in seinen höchsten aber vollwertig zur<br />

eigentlichen Kunst zählt. Die glattgestrichene Wand einerseits <strong>und</strong><br />

das Deckengemälde andererseits mögen als die Gegensätze<br />

gelten, zwischen welchen sich der Beruf <strong>des</strong> Dekorationsmalers<br />

entfaltet. Die Dekorationsmalerei schmückt die Werke<br />

der Architektur <strong>und</strong> verziert die Erzeugnisse der Gewerbe; sie ist<br />

Ausstattungskunst.» (Karl Eyth <strong>und</strong> Franz Sales-Meyer, in: «Das<br />

Malerbuch», 1. Bd., «Die Dekorationsmalerei», Leipzig 1899).<br />

Bereits die Bauten der Antike wurden mit polychromen<br />

Dekorationsmalereien veredelt. Jahrh<strong>und</strong>erte später pflegten die<br />

Ausstattungskünstler der Renaissance diese Kunst ebenso<br />

– typische hiesige Beispiele sind die bemalten Flachschnitzereien<br />

auf Deckenbrettern. Im letzten Drittel <strong>des</strong> 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

wurden ornamentale Bemalungen erneut «salonfähig» – parallel<br />

dazu setzte ein Innovationsschub bei den Techniken <strong>und</strong><br />

Materialien für Dekorationsmalerei ein.<br />

Neuartige Pinsel für die Marmorierung <strong>und</strong> Maserierung, Ornamentroller<br />

sowie Spritzapparate wurden entwickelt <strong>und</strong> fanden<br />

rasch Verbreitung. Über den Fachhandel konnten seriell gefertigte<br />

Vorlageblätter mit den dazugehörigen Schablonen bezogen<br />

werden. Es wurden neue Bindemittel wie Wasserglas (Kalium-<br />

Natrium-Silikat) gef<strong>und</strong>en; es gelang, ehemals natürlich hergestellte<br />

Pigmente wie z. B. das Ultramarin auf chemischer Basis<br />

herzustellen, was sich auf den Preis von bestimmten Farben ganz<br />

wesentlich auswirkte.<br />

Die Entwicklung hin zur «modernen» Dekorationsmalerei wurde<br />

massgeblich durch das allerorts wachsende<br />

Repräsentationsbedürfnis gefördert: Private wünschten<br />

die Ausmalungen ihrer Villen <strong>und</strong> anderer herrschaftlicher Bauten;<br />

der Tourismus generierte palastartige Hotelkomplexe mit<br />

entsprechender Ausstattung.<br />

Fragment der Stuckdecke von 1889 aus der Eingangshalle<br />

der Gewerbebank Zürich.<br />

1977-80 wurde die originale Decke durch die <strong>Denkmalpflege</strong><br />

der Stadt Zürich ausgebaut.<br />

Foto: <strong>Denkmalpflege</strong> <strong>des</strong> Kantons Zürich<br />

Das Kleid der Architektur<br />

Ist der Rohbau fertig erstellt, beginnt der Ausbau <strong>des</strong> Hauses.<br />

Verschiedene Handwerksgattungen «bekleiden» die rohen Mauern.<br />

Dabei wird nicht nur edleres Material verwendet, es wird auch<br />

der Massstab verfeinert <strong>und</strong> die Raumstimmung festgelegt.<br />

Zum Stimmungsgehalt tragen Farbe, Ornament <strong>und</strong> Struktur von<br />

Fussboden, Wänden <strong>und</strong> Decken bei – entsprechend den<br />

Materialien Stein, Putz, Stuck, Holz, Metall, Stoff oder Tapete.<br />

Was an historischen Beispielen oft aussieht wie eine unauflösbare<br />

Einheit, ist in Wirklichkeit immer ein nach klaren Regeln<br />

aus verschiedenartigen Komponenten gefügtes Puzzle. Der Aufbau<br />

je<strong>des</strong> Bauteils folgt eigenen, spezifischen Regeln. Diese wurden<br />

über Generationen hinweg festgelegt, sodass jeder Handwerker<br />

materialgerecht <strong>und</strong> rationell produzieren konnte.<br />

Jede Arbeitsgattung schliesst die Fugen zum bereits Montierten<br />

mit Hilfe von Deckleisten ab; so muss jeder Handwerker nur einmal<br />

auf der Baustelle erscheinen. Die Deckleisten binden die Bauteile<br />

dank geschickter Profilierung zur optischen Einheit zusammen.<br />

Die Schreinerarbeiten legen das F<strong>und</strong>ament für alle nachfolgenden<br />

Arbeiten. Sie werden auf dem Rohbau präzise montiert <strong>und</strong><br />

bilden so eine Art Koordinatensystem <strong>des</strong> Innenausbaus.<br />

Das Massivholz muss seinen Eigenschaften gemäss verarbeitet<br />

werden. Rahmen- <strong>und</strong> Füllungskonstruktionen sorgen für<br />

ungehindertes Quellen <strong>und</strong> Schwinden der Bretter in Querrichtung<br />

zu den Fasern. Die in diesem Raum ausgestellten Holztüren<br />

zeigen die enorme Vielfalt an Ausdrucksmöglichkeiten innerhalb<br />

dieses einfachen Konstruktionsprinzips.<br />

Dank neuen Materialien wie verzugsfreien Holzwerkstoffplatten<br />

wurde das Regelwerk <strong>des</strong> traditionellen Innenausbaus im<br />

20. Jahrh<strong>und</strong>ert ausser Kraft gesetzt. Die Deckleiste wurde ersetzt<br />

durch die Schattenfuge. Masstoleranzen können nur<br />

durch Nacharbeiten am Bau oder durch Kittfugen aufgenommen<br />

werden.<br />

Villa Schönberg, Zürich<br />

Ehemaliges Wohnzimmer im Erdgeschoss<br />

mit einer im Jahre 2002 wiederhergestellten textilen Wandbespannung.<br />

Foto: <strong>Denkmalpflege</strong> <strong>des</strong> Kantons Zürich

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