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OFFENBARUNG,<br />

GEISTIGE REALITÄT DES<br />

MENSCHEN<br />

ARBEITSDOKUMENTATION EINES SYMPOSIUMS ZUM<br />

OFFENBARUNGSBEGRIFF IN INDIEN<br />

HERAUSGEGEBEN VON<br />

GERHARD OBERHAMMER<br />

WIEN 1974


INHALT<br />

OFFENBARUNG, GEISTIGE REALITÄT DES MENSCHEN.<br />

ENTWURF EINER EINLEITUNG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7<br />

I. INDOLOGISCHE BEITRÄGE<br />

DAS SELBSTVERSTÄNDNIS DES HINDUISMUS ALS RELIGION. (G. Oberhammer)<br />

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13<br />

DIE AUTORITÄT DES VEDA. (J. C. Heesterman) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29<br />

DIE ÜBERLIEFERUNGSAUTORITÄT IM HINDUISMUS. (G. Oberhammer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41<br />

OFFENBARUNG OHNE EINEN GOTT, KUMĀRILAS THEORIE DER WORT-<br />

ERKENNTNIS. (Francis X. D'Sa) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93<br />

DIE WORTERKENNTNIS BEI BHĀSARVAJÑA. (G. Oberhammer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107<br />

DIE FUNKTION VON ZENTRALSÄTZEN DER VEDISCHEN<br />

OFFENBARUNG IM SYSTEM SARVAJÑĀTMANS. (T. Vetter) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121<br />

II. THEOLOG1SCHE BEITRÄGE<br />

ZUR AUSSAGE DES ALTEN TESTAMENTS ÜBER , OFFENBABUNG'. (N.Lohfink) . . 135<br />

DAS VERHÄLTNIS DES NEUEN TESTAMENTS ZUM ALTEN ALS HISTORISCHES<br />

PAKADIGMA FÜR DAS VERHÄLTNIS DER CHRISTLICIIEN BOTSCHAFT zu<br />

ANDEREN RELIGIONEN UND WELTANSCHAUUNGEN. (P. Knauer) . . . . . . . . . . . . 153<br />

VERSUCH EINER CHRISTLICH-THEOLOGISCHEN SICHT DES HINDUISMUS.<br />

(P. Schoonenberg) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171<br />

CHRISTUS IN DEN NICHT-CHRISTLICHEN RELIGIONEN. (K. Rahner) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189<br />

DIE RELEVANZ DES HISTORISCHEN JESUS FÜR DIE BEGEGNUNG DES<br />

CHRISTENTUMS MIT DEM HINDUISMUS. (N. Kehl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199<br />

SOME INDIAN THEOLOGIANS ON REVELATION IN HINDUISM. (A. Camps) . . . . . . . . . . . . . . . . . 221<br />

III. ANHANG<br />

VERANTWORTUNG DES HERAUSGEBERB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229<br />

IN BEN INUOLOaiSCIIEN BEITRAGEN VEUWENDETE AUSGABEN UNO<br />

ABKÜRZUNGEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231<br />

REGISTER. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233


OFFENBARUNG OHNE EINEN GOTT<br />

Von Francis X. D'Sa SJ, Poona<br />

KUMĀRILAS THEORIE DER WORTERKENNTNIS<br />

Wenn wir in groben Zügen das Weltbild Kumārilas darstellen wollen, dann<br />

sieht es folgendermaßen <strong>aus</strong>: Es gibt keinen Gott, keinen Schöpfer 1 , keinen<br />

Allwissenden 2 . Die Welt hat weder einen Anfang noch ein Ende 3 . Wegen der guten<br />

und schlechten Taten befinden sich die Seelen im Kreislauf der Wiedergeburten 4 .<br />

Befreiung von diesem Kreislauf besteht in einem negativen Zustand, der weder durch<br />

Leid noch durch Wonne gekennzeichnet werden kann 5 . Wie diese Befreiung zu<br />

erreichen ist, sagt uns der Veda 6 , der eine Sammlung von urheberlosen 7 , anfanglos<br />

und ununterbrochen tradierten Sätzen ist 8 . Der Veda ist Offenbarung, weil er als<br />

einzige unfehlbare Quelle mitteilt, was getan werden muß, um die Befreiung zu<br />

erlangen 9 . Wie der Veda, der urheberlos ist, etwas mitteilen kann, und zwar etwas, das<br />

für die Menschen von absoluter Bedeutung ist, ist das Thema dieses Beitrags.<br />

Die Mīmāmṣā-Schule hat ihre Ansätze im überbetonten Opferritual der<br />

Brāhmanạs, in denen das Opfer eine zentrale Rolle spielte, die Gottheiten dagegen,<br />

denen das Opfer dargebracht wurde, nur einen Bestandteil des Gesamtopfers<br />

darstellten 10 . In der Weiterentwicklung verselbständigte sich das Opfer 11 und hatte<br />

dadurch den Atheismus zur Folge. Die Verselbstäudigung des Opfers wurde<br />

thematisch und fand ihren Niederschlag in der Lehre der codanā (= der vedischen<br />

Vorschrift), der Atheismus in der Lehre vom apaurusẹyatvam ( = Urheberlosigkeit) 12 .<br />

1 ŚV Samḅandhāksẹpaparihāraḥ v. 42—117.<br />

2 ŚV Codanāsūtram v. 116—136. Vgl. TS v. 3128—3246.<br />

3 ŚV Samḅandhāksẹpaparihāraḥ v. 42—117, bes. 47, 67 & 68.<br />

4 Ibid. v. 108—111.<br />

5 Ibid. v. 105—107.<br />

6 ŚV Codanāsūtram, bes. v. 14:<br />

śreyahṣūdhanatā hy eṣāṃ nityaṃ vedāt pratīyate /<br />

7 ŚV Vedanityatādhikaranạm v. 1—13 u. Vākyādhikaranạm v. 367—369.<br />

8 ŚV Vākyādhikaranạm v. 365—366, Samḅandhākṣepaparihāraḥ v. 123cd—<br />

134ab u. Śabdanityatädhikaranạm 238cd—241ab.<br />

9 ŚV Codanāsūtram, bes. v. 14.<br />

10 E. FRAUWALLNER, Geschichte der Indischen Philosophie I S. 40f.<br />

11 Ibid.<br />

12 Kumārilas Theorie der Worterkenntnis. Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades an der<br />

philosophischen Fakultät der Universität Wien, eingereicht von FRANCIS XAVIER D'SA. Wien 1973.<br />

S. 1ff.


94 FRANCIS X. D'SA<br />

NUR DIE VEDISCHEN VORSCHRIFTEN (= codanāḥ)<br />

SIND OFFENBARUNG<br />

Bei seiner Rechtfertigung einer Offenbarung ohne einen Gott entnahm<br />

Kumārila die Ansätze der Früh-Mīmāmṣā, aber er legte sie so geschickt <strong>aus</strong>, daß sie<br />

ein System bildeten, in dem bei jeder Etappe der Beweisfühning diese .Gottlosigkeit'<br />

zum Ausdruck kommt 13 .<br />

Laut Kumārila teilt der Veda mit, was man tun muß, um die Befreiung <strong>aus</strong><br />

dem Kreislauf der Wiedergeburten zu erlangen. Diesbezüglich gibt es im Veda<br />

gewisse Vorschriften, die man unbedingt zu erfüllen hat, und zwar gehören sie zum<br />

Typus ,somena yajeta svargakāmaḥ' (= der den Himmel Begehrende soll mit Soma<br />

opfern). Der Veda besteht nicht <strong>aus</strong>schließlich <strong>aus</strong> diesen Vorschriften, er enthält<br />

auch andere Arten von Sätzen wie die arthavādāḥ (= deskriptive Sätze), mantrānị (=<br />

Gebetsformeln) usw. Weil es nur die Vorschriften (= codanāḥ) sind, die mitteilen,<br />

was der, der den Himmel begehrt, tun muß, um ihn zu erlangen, und die anderen<br />

Sätze (arthavādāḥ, mantrānị) nur helfen, die Vorschriften zu erhellen, klarer zu<br />

machen etc., sind ,primär' nur die Vorschriften Offenbarung. Die anderen Sätze aber<br />

sind nur ,sekundär' autoritativ, d. h. nur insofern sie helfen, die Vorschriften zu<br />

verdeutlichen 14 . Was der, der den Himmel begehrt, tun muß, nennt die Mīmāmṣā<br />

dharmaḥ — die unerläßliche Pflicht. Was diese unerläßliche Pflicht ist, wird uns<br />

durch die vedischen Weisungen bekannt. Daher wird in der Mīmāmṣā die<br />

unerläßliche Pflicht so definiert: ,,Der dharmaḥ ist etwas Nützliches, dessen<br />

Kennzeichen die (vedischen) Weisungen sind" 15 . Offenbarung sind für den<br />

Mīmāmṣakaḥ also die vedischen Weisungen. Offenbarung heißt bei Kumārila<br />

Mitteilung eines unfehlbaren Wissens um die unerläßliche Pflicht der Menschen,<br />

eines Wissens, das keinen Glauben im christlichen Sinn vor<strong>aus</strong>setzt, eines Wissens,<br />

das die gleiche Gültigkeit besitzt wie die Wahrnehmung 16 .<br />

DAS ERKENNTNISMITTEL WORT — śabdapramānạm<br />

Es gilt nun, Kumārilas Analyse der Struktur dieses Wissens um die unerläßliche<br />

Pflicht. wie sie in den vedischen Vorschriften verkörpert ist, zu<br />

untersuchen. Die vedische Vorschrift ist ein Satz und gehört als solcher zum<br />

Erkenntnismittel WORT. In diesein Zusammenhang müssen wir fragen, was heißt<br />

WORT, und was heißt Erkenntmsmittel ? Wann ist eine Erkenntnis richtig und wann<br />

falsch ? Bei der Beantwortung all dieser und anderer Fragen kommt die anfangs<br />

erwähnte ,Gottlosigkeit' zum Ausdruck. Ganz kurz skizziert sieht dies in Kumārilas<br />

Worten so <strong>aus</strong>: ,,Das vedische Wort ist hinsichtlich seines<br />

13 Ibid. S. 8—26.<br />

14 TV I, 2, 7.<br />

15 E. FRAUWALLNER, Matcrialien zur ältesten Erkenntnislehre der Karmamīmāṃsā,<br />

Wien 1968. S. 17 (Mīmāmṣāsūtren I, 1, 2).<br />

16 F. X. D'SA, op. cit. S. 101 ff.


Offenbarung ohne einen Gott 95<br />

Gegenstandes nicht falsch, denn es ist unabhängig von einem Sprecher, [gen<strong>aus</strong>o] wie<br />

die Erkenntnis aufgrund eines Wortes [von einem Menschen unabhängig] ist<br />

hinsichtlich des Wortsinnes. Die durch den [Veda] mitgeteilte Erkenntnis ist richtig,<br />

weil sie <strong>aus</strong> ewigen Sätzen (= nicht von Menschen abhängigen Sätzen) entsteht,<br />

gen<strong>aus</strong>o wie die Satzerkenntnis [an sich richtig ist]. Die früher erwähnten Gründe<br />

gelten auch hier" 17 . Eine Erkenntnis kann nicht falsch sein, wenn die Bedingungen,<br />

unter denen Irrtum entstehen kann, nicht gegeben sind. Sie sind nur dann vorhanden,<br />

wenn es einen Sprecher, Urheber oder Verfasser gibt 18 . Der Sinn, der vom Veda<br />

mitgeteilt ist, ist von einem Urheber gen<strong>aus</strong>o unabhängig, wie die Verbindung<br />

zwischen einem Wort und seinem Sinn von einem Urheber unabhängig ist. Denn laut<br />

den Mīmāmṣaka's ist diese Verbindung eine naturgegebene 19 . Die vedischen Sätze<br />

teilen richtige Erkenntnisse mit, weil jede Erkenntnis an sich richtig ist 20 . Die<br />

Ewigkeit der vedischen Sätze ist nicht die Ursache oder Grund (hetuḥ) für ihre<br />

Richtigkeit, sondern nur ein. Vorzug (= gunạḥ), der durch sein Vorhandensein<br />

bewirkt, daß die immanente Richtigkeit der Erkenntnis nicht eingeschränkt wird 21 .<br />

Um seinen Offenbarungsbegriff zu rechtfertigen, bant Kumārila folgende<br />

Theorien in sein System ein: die Lehre vom ewigen WORT, die Lehre der<br />

naturgegebenen Verbindung zwischen einem Wort und seinem Sinn, die Lehre, daß<br />

der Wortsinn sich auf die Gattung und nicht auf das Einzelding bezieht, die Lehre<br />

vom Satzsinn, die Lehre der bhāvanā, d. h. daß in den Vorschriften ein Bewirken<br />

<strong>aus</strong>gedrückt wird, das unbedingt verwirklicht werden muß, die Lehre der<br />

Selbstgültigkeit jeder Erkenntnis und jedes Erkenntnismittels, und schließlich und<br />

endlich die Lehre, daß es für den Veda keinen Verfasser gibt. Jede dieser Theorien ist<br />

so aufgestellt, daß die ,Urheberlosigkeit' sozusagen in verschiedenen Variationen<br />

auftritt.<br />

KUMĀRILAS LAHRE VOM WORT (śabdaḥ)<br />

In seiner Erklärung vom WORT bleibt Kumārila der Früh-Mīmāmṣā-Lehre<br />

vom WORT treu 22 . Der in Śabarasvāmis Kommentar zitierte Vrṭtikāraḥ<br />

17 ŚV Samḅandhākṣepavādaḥ v. 1—2.<br />

svapaksạsūdhanaṃ tāvan na mrṣ̣ā vaidikaṃ vacaḥ |<br />

svārthe vaktranapeksạtvāt padārthapadabuddhivat ||<br />

tatkrṭaḥ pratyayaḥ samyan nityavākyodbhavatvataḥ |<br />

vākyabitddhivad evdtra purvoktas cdpi hetavah ||<br />

18 ŚV Codanāsūtram v. 62—71.<br />

19 Mīmāmṣāsūtren I, 1, 5: autpattikas tu śabdasyarthena samḅandhas . . .<br />

20 ŚV Codanāsūtram 47:<br />

svutaḥ sarvapramāṇānāṃ prāmānỵam iti grḥyatām |<br />

na hi svato 'satī śaktiḥ kurtum anyena śakyate ||<br />

,,Man soll daran festhalten, daß die Gültigkeit aller Erkenntnismittel <strong>aus</strong> sich ist.<br />

Denn eine Befähigung, die nicht <strong>aus</strong> sich ist, kann nicht durch etwas anderes<br />

herbeigeführt werden."<br />

21 Ibid. v. 62—71.<br />

22 F. X. D'SA, op. cit. S. 8—26.


96 FRANCIS X. D'SA<br />

(Kommentator) hatte die WORT-Lehre folgendermaßen skizziert: ,,Denn im täglichen<br />

Leben gilt das Wort ,Wort' für einen durch das Gehör (śrotram) erfaßten Gegenstand.<br />

Und die [Laute] werden durch das Gehör erfaßt" 23 . Ähnlicherweise betont Kumārila<br />

die Wahrnehmbarkeit des WORTES durch das Gehör. Diesem durch das Gehör<br />

Erfaßten — egal, ob es zu einer Erkenntnis führt oder nicht — kommt das WORT-tum<br />

(śabdatā) zu. WORT-tum und Erfaßbarkeit durch das Gehör sind notwendig<br />

miteinander verbunden, nicht jedoch WORT-tum und Hervorrufen einer Erkenntnis 24 .<br />

Diesen Ansatz braucht Kumārila wegen der Sprachlaute (varṇāḥ), mittels derer sich<br />

das WORT (śabdaḥ) manifestiert. Der einzehie Sprachlaut vermittelt keinen Sinn, aber<br />

er ist dennoch WORT, weil er durch das Gehör erfaßt wird 25 .<br />

Das WORT, das von Kumārila als selbständige Substanz angenommen wird, ist<br />

ein unpersönliches WORT, dem weder Bewußtsein noch Wille zukommen 26 . Es kann<br />

nur wahrgenommen werden, wenn es durch einen Schall (dhvaniḥ) in Erscheinung<br />

gebracht wird 27 . Der Vorgang der Manifestation ist folgendermaßen zu verstehen. Die<br />

Luft im Unterleib (vāyuḥ kosṭỵah) wird aufwärts durch eine durch Bemühung<br />

verursachte Bewegung (prayatnābhihata-) getrieben. So kommt sie (die Luft) in<br />

Berührung mit den Sprechorganen (tālvādi), deren Verbindungen und Trennungen<br />

(samỵogavibhāgau) sie veranlaßt, Weil diese Luft, die sogeformt ist, und die man nun<br />

dhvaniḥ oder nādaḥ nennt, eine gewisse Geschwindigkeit besitzt (vegavattvāt), bleibt<br />

sie solange in Bewegung, solange die Geschwindigkeit andauert. Die so getriebenen<br />

Luftpartikel bewegen sich vom Mund des Sprechenden durch die umgebende<br />

unbewegte Luft (stimitena vāyunā). Dadurch gehen sie Verbindungen und<br />

Trennungen ein, bis sie zum Ohr des Hörenden gelangen 28 . Das Gehör (śrotram]<br />

besteht <strong>aus</strong> Raum (dik), welcher wegen der früheren guten und schlechten Taten<br />

(punỵāpunỵavaśikrṭa-) in der Ohröffnung begrenzt worden ist (karnạcchidraparicchinna-)<br />

29 . Das <strong>aus</strong> Raum (dik) bestehende Gehör wird nun durch den <strong>aus</strong><br />

Luftpartikeln bestehenden und durch die Bewegungen der Sprechorgane geprägten<br />

dhvaniḥ (Schall) geformt (samṣkriyate). ,,Nur die Formung (samṣkāraḥ) [des Gehörs]<br />

ist die Ursache der Wahrnehmung des WORTES (śabda-grahanạkāranạm)" 30 . Der<br />

Schall (dhvaniḥ) aber, der das <strong>aus</strong> Raum bestehende Gehör formt, manifestiert —<br />

dadurch, daß er es formt — den śabdaḥ, welehen das sogeformte Gehör wahrnimmt.<br />

Das manifestierte WORT wird immer als Sprachlaut (varnạḥ) wahrgenommen. Wie<br />

das WORT manifestiert wird, hängt<br />

23 E. FRAUWALLNER, Materialien zur ältesten Erkenntnislehre der Karma-mīmāmṣā, S.<br />

39: śrotragrahanẹ hy arthe loke śabdaśabdaḥ prasiddhaḥ. te ca śrotragrahaṇāḥ.<br />

24 ŚV Sphotạvādaḥ passim, bes. v. 4—8.<br />

25<br />

i) Ibid, v, 8.<br />

ii) F. X. D'SA, op- cit. S. 30—32.<br />

26 F. X. D'SA, op. cit. S. 32—39.<br />

27 ŚV Śabdanityatādhikaranạm v. 44.<br />

28 Ibid v. 121cd—124.<br />

29 Ibid v. 152—155ab.<br />

30 Ibid. v. 130cd. imam eva ca saṃskāraṃ śabdagrahaṇakāraṇam.


Offenbarung obne einen Gott 97<br />

immer von der Art und Weise des manifestierenden Schalls (dhvaniḥ) ab. Ist der<br />

manifestierende Schall, der <strong>aus</strong> Luftpartikeln besteht, ein artikulierter Schall, dann<br />

erscheint das WORT als artikulierter Laut; ist aber der manifestierte Schall<br />

unartikuliert, dann wird auch das WORT als unartikuliert erfaßt 31 . Das WORT (śabdaḥ)<br />

wird immer als Laut (varnạḥ) und niemals als Wort (padaḥ) oder gar als Satz<br />

(vākyam) in Erscheinung gebracht. D. h. es wird immer allmählich, Laut für Laut,<br />

manifestiert 32 . Vergängliche Eigen-schaften wie laut und leise, schnell und langsam<br />

kommen nur dem Schall (dhvaniḥ) und nicht dem WORT (śabdaḥ) zu 33 .<br />

Dieses WORT ist einzig (ekaḥ) 34 , teillos (anavayavaḥ) 35 und ist eine einfache<br />

Substanz, die nicht <strong>aus</strong> anderen Substanzen besteht, und kann daher nicht vernichtet<br />

werden 36 ; es ist nicht rom Raum begrenzt (vibhuḥ) 37 , es kann nicht erzeugt werden<br />

(akrṭakaḥ) 38 und ist unvergänglich ewig (kūtạsthanityaḥ) 39 , aber es wird nicht immer<br />

wahrgenommen 40 ; es ist nicht an einen Ort gebunden (ekadeśavrṭtitvam) 41 , sondem es<br />

durchdringt alles (vyāpitaḥ) und kann überall wahrgenommen werden 42 . Ein<br />

vergängliches WORT wäre nicht fahig, einen Sinn zu vennitteln 43 .<br />

DIE NATURGEGEBENE VERBINDUNG ZWTSCHEN WORT<br />

UND WORTGEGENSTAND<br />

Dieses WORT aber wird bei seiner Erscheinung immer als Laut (varnạḥ)<br />

erfaßt; und eine bestimmte Reihenfolge von solchen Lautea — also einen<br />

Lautkomplex —, der einen bestimmten Sinn vermittelt, nennt Kumārila padaḥ (Wort,<br />

wie ein Wort ,Kuh' z. B.) 44 . Der padaḥ (Wort) läßt einen Sinn (arthaḥ) erkennen, der<br />

kein Einzelding (vyaktiḥ), sondern eine Gattung (akrṭiḥ) ist. D. h. das Wort ,Kuh' z. B.<br />

bezeichnet nicht eine Einzelkuh, sondern die Gattung ,Kuh' 45 . Nun behauptet<br />

Kumārila (und alle Mīmāmṣaka's), daß<br />

31 Ibid. v. 224cd—229ab; 80cd—82ab u. 297.<br />

32 ŚV Sphotạvādaḥ v. 65 u. 117—121.<br />

33 ŚV Śabdanityatādhikaranạm c. 210cd—215 u. Sphotạvādah 50.<br />

34 ŚV Śabdanityatādhikaranạm v, 199c u. 200a.<br />

35 Ibid v. 171.<br />

36 Ibid v. 156cd.<br />

37 ŚV Samḅandhakṣepaparihāraḥ v. 87.<br />

38 ŚV Śabdanityatādhikaranạm passim.<br />

39 Ibid. v. 5—7.<br />

40 Ibid. v. 39.<br />

41 Ibid. v. 71.<br />

42 Ibid. v. 170d—171ab.<br />

43 Ibid. v. 3.<br />

44 ŚV Sphotạvādaḥ v. 65, 67 u. 117—121. Śabdanityatādhikaranạm v, 284— 287ab.<br />

45 ŚV Ākrṭivādaḥ v. 3—4ab:<br />

jātim evākrṭiṃ prāhur vyaktir ākriyate yayā |<br />

sāmānyaṃ tacca piṇḍānām ekabuddhinibandhanam ||<br />

tannimittaṃ ca yat kiñcit sāmānyaṃ śabdagocaram |<br />

,,Eben die jātiḥ (Gattung) nennt man ākrṭiḥ, [nämlich das,] wodurch ein


98 FRANCIS X. D'SA<br />

zwischen einem Wort. und seinem Sinn eine natnrgegebene Verbindung (autpattikaḥ<br />

samḅandhaḥ) besteht 46 . Negativ formuliert lautet diese These, daß die Verbindung<br />

zwischen einem Wort und seinem Sinn weder von Menschen, noch von einem<br />

allmächtigen, allwissenden Gott hergestellt werden kann. Von Menschen kann sie <strong>aus</strong><br />

folgenden Gründen nicht hergestellt werden: a) Würde ein Mensch die Verbindung<br />

herstellen. wie könnte er sie den anderen beibringen, da es keine einzige, ihnen<br />

gemeinsame Verbindung von Wort und Sinn gibt, durch die er andere Verbindungen<br />

erklären könnte. b) Diese gleiche Schwierigkeit taucht auch bei der Annahme<br />

mehrerer Hersteller auf. c) Dazu noch Folgendes: wenn es mehrere Hersteller gibt,<br />

dann besteht entweder eine einzige Sprachkonvention (dann besteht die Frage. wie<br />

diese zu erklären ist), oder es gibt mehrere Sprachen. Bei dieser zweiten Alternative<br />

bleibt die Frage der gegenseitigen Verständigung unbeantwortet 47 . d) Da es keinen<br />

allwissenden Gott geben kann 48 , kann man nicht annehmen, daß er die Verbindung<br />

zwischen Wort und Sinn geschaffen hat. Auch Gesten usw. können bei der<br />

Herstellung der Verbindung nicht helfen, denn auch bei ihnen ergibt sich die gleiche<br />

Schwierigkeit, daß es keine allgemein gültige Vereinbarung gibt, die sagen könnte,<br />

diese Geste besagt dies oder jenes 49 .<br />

Aufgrund der selbstverständlichen Folgerung (arthāpattiḥ) sieht Kumārila<br />

dafür die einzige Lösung darin, daß er sagt: Die Verbindung hat keinen Hersteller und<br />

keinen Anfang; man lernt sie durch den anfanglosen Sprachgebrauch der Menschen<br />

kennen. Das Beispiel, das die Mīmāmṣaka's für das Erlernen des Sprachgebrauchs<br />

bringen, ist immer der Befehl. Denn durch einen Indikativsatz kommt an sich keine<br />

Handlung zustande. Nur ein Befehl veranlaßt eine Handlung. Der Befehl und die<br />

aufgrund des Befehls entstehende Handlung helfen dem Nicht-Kenner der Sprache,<br />

die einzelnen Wörter zu lernen. Wenn der Befehl ,bring die Kuh' erteilt wird und der<br />

Nicht-Kenner der Sprache diesen Befehl mehrmals hört und auch noch die <strong>aus</strong> dem<br />

Befehl resultierende Handlung beobachtet, dann folgert er, daß der Hörer (d. h.<br />

derjenige, welcher den Befehl <strong>aus</strong>führt) den Sinn des Befehls verstanden hat. Dann<br />

kommt er anhand von Konkomitanz und Nicht-Konkomitanz auf den Sinn der<br />

einzelnen Wörter. D. h. wenn er einige Male den Befehl ,bring die Kuh' hört und dann<br />

sieht, daß eine Kuh gebracht wird, und einige Male den Befehl .bring das Pferd' hört<br />

und sieht, daß ein Pferd gebracht wird, dann erkennt er, was .bring ’ , ,Kuh' und ,Pferd’<br />

bedeuten. Das Wichtigste bei dieser Erklärung des Sprachgebrauchs ist Folgendes:<br />

der Prozeß, wodurch ein Kind die Sprache lernt, ist für alle der gleiche. Das heißt nun,<br />

daß wir die Verbindung<br />

Einzelding wesensmäßig geformt (= gebildet) wird. "Und diese Gemeinsamkeit ist<br />

die Ursache einer einheitlichen Erkenntnis von Einzeldiugen, und diese Ureache,<br />

nämlich die Gemeinsamkeit, ist, was immer sie sein mag, Gegenstand des Wortes."<br />

Mehr darüber: F. X. D'SA, op. cit. S. 77—87.<br />

46 ŚV Saṃbandhākṣepaparihāraḥ v. 123cd—134.<br />

47 Ibid. v. 12—39.<br />

48 ŚV Codanāsūtram v. 11 lcd—136.<br />

49 ŚV Saṃbandhāksẹpaparihāraḥ v. 139cd—140ab.


Offenbarung obne einen Gott 99<br />

zwischen einem Wort und seinem Sinn im Sprachgebrauch vorfinden. Mit anderen<br />

Worten: so wie der Sprachgebrauch anfanglos ist, ist auch die Verbindung zwischen<br />

einem Wort und seinem Sinn anfanglos 50 . Kumārila ist übrigens der erste<br />

Mīmāmṣaka, der eine Unterscheidung zwischen anfanglos (anādinitya-) und<br />

unvergänglich ewig (kütạsthanitya-) trifft. Unvergänglich ewig bedeutet, ,keiner<br />

Veränderung unterworfen', anfanglos ewig, daß wohl Entstehen und Vergehen<br />

gegeben ist, dieses aber ohne Anfang und Ende ist 51 .<br />

Hier könnte man fragen: Zugegebenermaßen besteht zwischen Wort und Sinn<br />

eine naturgegebene Verbindung, aber wie erklärt man. daß nur diese bestimmte<br />

Abfolge von Lauten diesen bestimmten Sinn hat ? Konkret <strong>aus</strong>gedrüekt: warum hat<br />

nur die Abfolge g, au und ḥ und nicht eine andere den Sinn ,Kuh'? "Kumārila gibt<br />

folgende Antwort: Die Abfolge der Laute ist nicht vom Menschen abhängig. Einer<br />

verwendet sie, wie er sie bei den anderen beobachtet hat, und die anderen tun<br />

dasselbe, weil sie sie wiederum von noch anderen gelernt haben. Das ist der<br />

anfanglose Sprachgebrauch, in dem man von anderen lernt, welche Reihenfolge von<br />

welchen Lauten welchen Sinn vermittelt 52 . Ein anfanglos ewiger Sprachgebrauch ist<br />

aber nur möglich, wenn er sich auf etwas, das unvergänglich ewig ist, stützt, Wie man<br />

seit undenklichen Zeiten Töpfe macht, nicht weil die Töpfe ewig sind, sondern weil es<br />

ewige Atome gibt, <strong>aus</strong> denen man Töpfe machen kann, so ist auch ein anfangloser<br />

Sprachgebrauch nur möglich, weil es unvergänglich ewige Laute, also einen<br />

unvergänglich ewigen śabdaḥ (WORT) gibt 53 . Der eigentliche Beweis für die<br />

anfanglose Ewigkeit des padaḥ (Wort) und dadurch für die unvergängliche Ewigkeit<br />

des śabdaḥ (WORT) ist in kurzer Fassuug folgender: a) Endziel des śabdaḥ ist.<br />

Handlung im Alltag dadurch zu ermöglichen, daß er Sinn vermittelt 54 . b) Damit Sinn<br />

vermittelt wird, muß ein Wort mit seinem Sinn stets verbunden sein. Diese<br />

Verbindung kann nicht geschaffen werden 55 . c) Die naturgegebene Verbindung kann<br />

man nur dann erklären, wenn man annimmt, daß das Wort nichts anderes ist als<br />

immer dieselben Laute in immer derselben Reihenfolge. D. h. die Reihenfolge der<br />

Laute ist ewig, und zwar anfanglos ewig 56 . d) Die Reihenfolge kann nur dann<br />

anfanglos ewig sein, wenn die Laute unvergänglich ewig sind 57 . Damit hat Kumārila<br />

mittels der selbstverständlichen Folgerung (arthāpattiḥ) bewiesen, daß ein Wort,<br />

wenn es Sinn vermitteln soll, anfanglos ewig sein muß. Ist das so, dann ist auch die<br />

unvergängliche Ewigkeit des WORTES (śabdaḥ) erwiesen, eben weil die anfanglose<br />

Ewigkeit die unvergängliche Ewigkeit vor<strong>aus</strong>setzt.<br />

50 Ibid v. 30—31 und 140cd—141.<br />

51 ŚV Śabdanityatādhikaraṇam passim, bes. v. 238cd—301.<br />

52 Ibid. v. 284—290ab.<br />

53 Ibid. v. 291—305.<br />

54 Ibid. v. 238cd—241 ab.<br />

55 Ibid. v. 241cd—277.<br />

56 Ibid. v. 278—290 ab.<br />

57 Ibid. 290cd—301.


100 FRANCIS X. D'SA<br />

KUMĀRILAS THEORIE VOM SATZSINN<br />

Kumārila ist sich. bewußt, daß ihm wenig damit gedient ist, nur die Ewigkeit<br />

des WORTES und die naturgegebene Verbindung zwischen einem Wort und seinem<br />

Sinn zu beweisen. Denn um beweisen zu können, daß ein vedischer Satz<br />

Erkenntnismittel ist, muß er vor allem zeigen, daß ein Satz als solcher sinnvoll sein<br />

kann, ohne daß es für ihn einen Verfasser gibt; und daß die Erkenntnis, die ein Satz<br />

vermittelt, <strong>aus</strong> sich, d. h. ohne sich auf einen vertrauenswürdigen Sprecher zu berufen,<br />

gültig ist.<br />

Das tut er nun mit seiner Lehre vom Satzsinn, die abhihitānvayavādaḥ heißt,<br />

d. h. die Lehre, daß der Satzsinn lediglich <strong>aus</strong> der Verbindung (anvayaḥ) von<br />

sinnvollen (abhihita-) Wörtem entsteht 58 . Die Laute lassen den Wortsinn erkennen,<br />

und die Wortsinne lassen den Satzsinn erkennen. Kumārila sagt: ,,Die Wortsinne<br />

(padārthāḥ) lassen den [Satzsinn] erkennen; [denn] wenn ein Zweifel besteht [in<br />

Bezug auf den Satzsinn], dann wird [nur] der einzelne [Wortsinn] erkannt, weil, [erst]<br />

wenn sie (die Wortsinne) alle [erkannt sind], der [Satz-]Sinn mitgeteilt wird, wie eine<br />

Krähe auf dem Pfosten. Oder dieser [Satzsinn] wird durch die [Wortsinne] erkannt,<br />

weil es keine Erkenntnis [des Satzsinnes] gibt, wenn die [Wortsinne] fehlen. Denn<br />

[ähnlich ist es, wenn man sagt,] das WORT ist [deshalb] hörbar, weil es [sonst] keine<br />

Erkenntnis des WORTES gibt, wenn das Gehör fehlt" 59 .<br />

Das heißt, der Satz kann den Satzsinn ohne die Wortsuine nicht mitteilen. Das<br />

ist verständlich, weil man den Satzsinn nicht versteht, wenn ein Zweifel hinsichtlich<br />

eines Wortsinnes besteht. Erst wenn alle Wortsinne erkannt sind, versteht man den<br />

Satzsinn. Das Beispiel von der Krähe und dem Pfoaten will vielleicht Folgendes<br />

besagen: wenn man nicht weiß, daß dies ein Pfosten ist oder jenes eine Krähe, die<br />

darauf sitzt, dann ist der Sachverhalt nicht klar. Es hilft auch nicht viel, wenn man nur<br />

das eine (also den Pfosten) oder das andere (also die Krähe) weiß. Jedes Wort muß<br />

einzeln erkannt sein, erst dann erkennt man richtig, daß eine Krähe auf dem Pfosten<br />

sitzt. Damit will Kumārila sagen, daß man erst dann, wenn alle Wortsinne erkannt<br />

sind, den Satzsinn erkennt. Die Beweisführung, daß der Satzsinn <strong>aus</strong> den Wortsinnen<br />

hervorgeht, ist eine selbstverständliche Folgerung (arthāpattiḥ). Denn man schließt<br />

im Falle vom WORT auf seine Hörbarkeit, weil man es beim Fehlen des Gehörs nicht<br />

wahrnimmt ; so folgert man auch beim Satzsinn, daß er <strong>aus</strong> den Wortsinnen<br />

hervorgeht, weil der Satzsinn beim Fehlen der Wortsinne ,nicht erkannt wird.<br />

Wie kommt aber der Satzsinn <strong>aus</strong> den Wortsinnen zustande ? Jeder sinnvolle<br />

Satz enthält ein Verbum, das direkt oder indirekt ein Bewirken (bhāvanā) <strong>aus</strong>drückt;<br />

und zwar direkt, wenn ein Machen, und indirekt, wenn ein Werden<br />

58 TV S. 445, 12: padārthaiḥ padavijñātair vākyārthaḥ pratipādyate — ,,der Satzsinn läßt sich<br />

<strong>aus</strong> den Wortsinnen erkennen, welche die Wörter erkennen lassen".<br />

59 ŚV Vākyādhikaranạm v. 363—364.


Offenbarung obne einen Gott 101<br />

<strong>aus</strong>gedrückt wird. Wegen der bhāvanā, die das Verbum <strong>aus</strong>drückt, kommen<br />

Verbindungen zwischen den Wortsinnen zustande 60 . Konkret ansgedrückt heißt dies:<br />

das Subjekt und das Objekt im Satz werden aufgrund der durch das Verbum<br />

<strong>aus</strong>gedrückten bhāvanā miteinander verbunden. D. h. es kommt eine Einheit der<br />

Wortsinne — also der Satzsinn — zustande. In dem Satz ,er kocht Reis' hat jedes<br />

Wort seinen eigenen Sinn. Wegen der bhāvanā, die das Kochen betrifft, treten die<br />

Wortsinne ,er' und ,Reis' in Beziehung zueinander. Dies bedeutet nicht, daß jede<br />

beliebige Zusammenstellung von Wörtern einen Satzsinn hervorbringt, sondern<br />

lediglich, daß es Zusammenstellungen von Wörtern geben kann, die nur aufgrund<br />

ihrer Wortsinne einen Sinn vermitteln 61 . Daher ist für Kumārila ein Satz eine<br />

Zusammenstellung von Wörtern, <strong>aus</strong> deren Sinn ein einziger Sinn vermittelt wird 62 .<br />

Und dieser einheitliche Sinn — nämlich der Satzsinn — entsteht <strong>aus</strong> der Verbindung<br />

der Wortsinne. Diese Verbiadung kommt wegen der bhāvanā zustande.<br />

DIE SELBSTGÜLTIGKEIT EINER ERKENNTNIS<br />

Damit hat Kumārila erwiesen, wie ein Satz <strong>aus</strong> sich und nur aufgrund der<br />

Wortsinne sinnvoll sein kann. Aber Sinnvollsein ist nicht das gleiche wie Richtigsein<br />

oder Erkenntnismittelsein (prāmānỵam). So werden wir uns nun diesem Problem des<br />

Richtig- und Erkenntnismittelseins zuwenden und sehen, wie Kumārila die vedische<br />

Vorschrift in diesem Zusammenhang erklärt. Zunächst die Lehre der Selbstgültigkeit<br />

der Erkenntnis (svataḥprāmānỵam), die man folgendermaßen kurz wiedergeben<br />

könnte: jedes Erkenntnismittel und jede Erkenntnis ist an sich gültig und benötigt<br />

keine von außen kommende Bestätigung für ihre Gültigkeit 63 . Der Beweis für die<br />

Selbstgültigkeit liegt darin, daß es einen regressus in infinitum gäbe, hinge sie von<br />

einem anderen ab 64 . Ungültigkeit aber kommt nicht <strong>aus</strong> sich, sondern <strong>aus</strong> anderem 65 .<br />

Richtigsein und Erkenntnismittelsein werden im Sanskrit durch dasselbe Wort<br />

prāmānỵam <strong>aus</strong>gedrückt. Richtigkeit (laut Kumārila) ist gegeben, wenn die<br />

betreffende Erkenntnis durch keine andere Erkenntnis aufgehoben wird. Es ist<br />

wichtig, dies zu beachten, denn bei den vedischen Vorschriften gibt es kein anderes<br />

Erkenntnismittel, das uns mitteilen könnte, ob sich der Sachverhalt anders als<br />

beschrieben verhält. Also ist die Richtigkeit der vedischen Vorschriften nur dann<br />

erwiesen, wenn sie durch kein anderes Erkenntnismittel widersprochen oder<br />

aufgehoben werden. Richtigkeit ist nur eine der drei Bedingungen für die Gültigkeit.<br />

Die anderen zwei sind, daß der Erkenntnisakt<br />

60 Ibid. v. 267.<br />

61 Ibid. v. 267—271.<br />

62 TV S. 443, 28: arthaikatvāt vākyam.<br />

63 ŚV Codanāsūtram 47.<br />

64 Kumārilas Brḥatṭ̣īkā zitiert im TS v. 2848—2854 (siehe E. FRAUWALLNER: Kumārila's<br />

Brḥatṭ̣īkā. WZKSA Bd. VI (1962), S. 78ff.).<br />

65 ŚV Codanāsūtram v. 53 u. TS v. 2861 cd—2862.


102 FRANCIS X. D'SA<br />

new sein muß und daß bezüglich der Erkenntnis kein Zweifel bestehen darf 66 . In<br />

umgekehrter Weiae wird die Ungültigkeit gekennzeichnet 67 : entweder ist eine falsche<br />

Erkenntnis vorhanden, also eine Erkenntnis, die durch eine andere aufgehoben<br />

worden ist, oder es entsteht keine Erkenntnis in dem Sinne, daß es keinen neuen<br />

Erkenntnisakt gibt, oder es beateht ein Zweifel. Zweifel und Falschheit werden durch<br />

Störungen der Sinnesorgane usw. verursacht, und dieae kommen der Erkenntnis als<br />

solcher nicht zu 68 . Würden sie der Erkenntnis qua Erkenntnis zukommen, dann würde<br />

man eine richtige von einer falschen Erkenntnis nicht unterscheiden können. Auf die<br />

Verifikationsfrage ,,wie weiß man, daß eine Erkenntnis ungültig ist, wenn von<br />

vornherein angenommen wird, daß jede Erkenntnis an sich gültig ist?", antwortet<br />

Kumārila: ,,Die Falschheit verschwindet mühelos, wenn es keine Erkenntnis von<br />

Fehlern gibt" 69 . D. h. bei einer Erkenntnis muß man Umschau dauach halten, ob es<br />

irgendwelche Fehler wie Störungen der Sinnesorgane gibt. Entdeckt man keine, dann<br />

heißt dies, daß die naturgegebene Gültigkeit der Erkenntnis nicht beeinträchtigt<br />

worden ist.<br />

Diese Theorie wendet Kumārila auf das Erkenntnismittel WORT an. Das<br />

Erkenntnismittel WORT trifft in zwei Fällen zu: in Aussagen menachlichen Ursprungs<br />

und in solchen nicht-menschlichen Urspnings 70 . Im ersten Fall ist Ungültigkeit<br />

möglich, da wegen des Vorhandenseins eines Sprechers alle drei Arten der<br />

Ungültigkeit vorkommen können. Diese Ungültigkeit kann nicht auftreten, wenn der<br />

Sprecher Vorzüge (guṇāḥ) hat, die gewährleisten, daß keine der drei Eigenschafteu<br />

der Ungültigkeit vorkommt 71 . Im zweiten Fall (d. h. des Veda) ist Ungültigkeit nicht<br />

möglich, da jede Bedingung ihrer Möglichkeit dadurch <strong>aus</strong>geschaltet ist, daß es<br />

keinen Verfasser für den Veda gibt. Laut Kumārila also ist es nicht nur kein Nachteil,<br />

wenn ein Verfasser fehlt. Denn gibt es einen Verfasser, dann kann man solange die<br />

Ungültigkeit nicht <strong>aus</strong>schalten, bis man sich vergewissert hat, daß es keine Fehler wie<br />

Störungen der Sinnesorgane usw. gibt. Für den Veda ist vielmehr ein Vorteil, daß er<br />

keinen Verfasser hat 72 . Aber eben das müssen wir nun untersuchen.<br />

66 Ibid. v. 80.<br />

tasmād drḍḥaṃ yad utpannaṃ na visamṿādaṃ ṛcchati |<br />

jñānāntarenạ vijñānaṃ tat pramānạṃ pratīyatām ||<br />

,,Daher ist eine als (i) fest (ii) entstandene Erkenntnis, (iii) die mit einer<br />

anderen Erkenntnis nicht im Widerspruch steht, als gültig (oder Erkenntnismittel)<br />

zu erkennen."<br />

67 Ibid. v. 54ab.<br />

aprāmānỵaṃ tridhā bhinnaṃ mithyātvājñānasaṃśayaiḥ |<br />

,,Ungültigkeit ist dreifach gekennzeichnet durch Falschheit, Nichtwissen<br />

und Zweifel."<br />

68 Ibid. v. 53 u. TS v. 2861cd—2862.<br />

69 ŚV Codanāsūtram v. 52cd.<br />

nivartate hi mithyātvaṃ doṣājñānād ayatnataḥ ||<br />

70 Ibid. v. 62—63 und TS v. 2886—2887.<br />

71 ŚV Codanāsūtram v. 64—66 ab und TS v. 2888—2889.<br />

72 TS v. 2894—2895, u. ŚV Codanāsūtram v. 68—70ab.


Offenbarung obne einen Gott 103<br />

DIE URHEBERLOSIGKEIT DES VEDA<br />

Kumārila behandelt dieses Problem, an zwei Stellen. An der einen zeigt er,<br />

daß es keinen Allwissenden geben kann 73 , und an der anderen, daß es keinen Schöpfer<br />

geben kann 74 . Kumārila setzt in seiner Argumentation gegen einen Allwissenden<br />

folgende Schwerpunkte : a) Keines der anerkannten Erkenntnismittel beweist die<br />

Existenz eines Allwiasenden. Die Wahrnehmung kann einen Allwissenden nicht<br />

erkennen lassen. Auch durch Schlußfolgerung kann man nicht beweisen, daß es einen<br />

solchen gegeben hat. Vielmehr kann man beweisen, daß es einen solchen nicht<br />

gegeben hat 75 . Auch durch die Schrift (āgamaḥ) kann ein Allwissender nicht<br />

bewiesen werden. Ersteas würde sich aufgrund dieses Arguments eine gegenseitige<br />

Abhängigkeit (anyonyasaṃśrayaḥ) ergeben. Die Gültigkeit der Schrift müsse man<br />

durch den Allwissenden beweisen und den Allwissenden durch die Schrift. Zweitens:<br />

,,Wie erkennt man die Gültigkeit einer von einem anderen Menschen verfaßten<br />

[Schrift] ?" 76 Auch die Tradition (smrṭiḥ) kann die Annahme eines Allwissenden nicht<br />

beweisen 77 . Das schwerwiegendste Argument ist folgendes: nur ein Allwissender<br />

erkennt einen Allwissenden, und daher hat es keinen Sinn, ihn zu postulieren 78 .<br />

Diejenigen, die einen Schöpfer annehmen, fragt Kumārila Folgendes: a) wie<br />

erklärt man den Wunsch des Schöpfers, die Welt zu erschaffen, wenn er wunschlos<br />

glucklich ist ? Und wie kann der Schöpfer das Leid (aśubham) erschaffen haben 79 ? b)<br />

Wozu hat er die Welt erschaffen 80 ? c) Wor<strong>aus</strong> hat er die Welt erschaffen 81 ? d) Ferner,<br />

wie kann man das Zerstören der Welt (pralayaḥ), das sinnlos ist, erklären 82 ? e) Woher<br />

kennt man den Schöpfer 83 ? Weil Kumārila keine befriedigenden Antworten auf diese<br />

Fragen findet, nimmt er weder einen Schöpfer, noch eine Schöpfung, noch eine<br />

Zerstörung der Welt an 84 .<br />

Laut Kumārila gibt es für den Veda weder einen Schöpfer, noch einen<br />

Allwissenden, noch einen Verfasser. Dem Einwand, daß gewisse Abschnitte des Veda<br />

Namen enthalten, die als Verfasser der jeweiligen Kapitel gelten, entgegnet Kumārila<br />

in der Weise, daß er diese betreffenden Aussagen als arthavādāḥ, d. h. nur als<br />

erklärende und <strong>aus</strong> sich nicht autoritative Sätze <strong>aus</strong>legt 85 .<br />

73 ŚV Codanāsūtram v. 116—136 und TS v. 3128—3246.<br />

74 ŚV Samḅandhāksẹpaparihāraḥ v. 42—117.<br />

75 ŚV Codanāsūtram v. 117 u. TS v. 3186.<br />

76 ŚV Codanāsūtram v. ll8cd: narāntarapraṇītasya prāmānỵaṃ gamyate<br />

katham. — TS v. 3187.<br />

77 ŚV Codanāsūtram v. 133.<br />

78 Ibid. v. 134—136. Vgl. TS v. 3191—3193.<br />

79 ŚV Samḅandhākṣepaparihāraḥ v. 49cd—56.<br />

80 Ibid. v. 54.<br />

81 Ibid. v. 50 cd—51.<br />

82 Ibid. v. 57; 68—72.<br />

83 Ibid. v. 57—60.<br />

84 Ibid. v. 41—83 u. 114—116.<br />

85 ŚV Vākyādhikaraṇam v. 367—369 u. Vedonityātādhikaranạm v. 1—13.


104 FRANCIS X. D'SA<br />

DER VEDA IST ANFANGLOS EWIG<br />

Die Beweisführung für die Ewigkeit des Veda (vedanityatvam) und für die<br />

Ewigkeit der Verbindung zwischen Wort und Sinn iat gleich. a) Man erinnert sich<br />

nicht an den Verfasser, obwohl man sich an ihn erinnern müßte, gen<strong>aus</strong>o wie man<br />

sich an die Verfasser anderer Werke erinnert, wie etwa an den Grammatik-Verfasser<br />

Pānịni. Daher hat der Veda keinen Anfang 86 . b) Das ununterbrochene Tradieren des<br />

Veda-Lernens zeigt, daß der Veda anfanglos ewig ist. Dieses Argument ist dem<br />

ähnlich, durch das die anfanglose Ewigkeit der Lautreihenfolge eines Wortes<br />

bewiesen wurde. Gen<strong>aus</strong>o wie man beim Wort die Reihenfolge nur dadurch erklärt,<br />

daß sie immer so tradiert wurde, ist es auch bei den vedischen Sätzen 87 .<br />

DIE ABSOLUTE AUTORITÄT DER VEDISCHEN VORSCHRIFT<br />

Das bisher Dargelegte kann höchstena beweisen, daß die Erkenntnis, die der<br />

Veda vermittelt, für das Heil, d. h. um den Himmel zu erreichen, notwendig ist. Auf<br />

keinen Fall aber kann man behaupten, daß das Heil notwendig ist, d. h. daß der<br />

Himmel zu erlangen ist! Wo es einen Gott gibt, wird angenommen, daß es absolute<br />

Pflicht der Menschen ist, den Himmel zu erlangen. In einem gottlosen System aber<br />

kann die vedische Weisung von dem Typus ,,der den Himmel Begehrende soll mit<br />

Soma opfern (= wenn man den Himmel begehrt, soll man mit Soma opfern)" einfach<br />

nicht als absolut betrachtet werden. Die Mīmāmṣaka's waren sich dessen bewußt und<br />

entwickelten die Lehre der bhāvanā (Bewirken) 88 . Kumārila ist der erste, der sie<br />

<strong>aus</strong>führlich und systematisch entwickelt hat 89 . Der Mīmāmṣaka sieht in einem<br />

Verbum mit Optativ-Endung i) eine Handlung, die durch die Wurzel und ii) ein<br />

Bewirken (bhāvanā), das durch die Endung <strong>aus</strong>gedrückt wird. Im Verbum yajeta<br />

(man soll opfern) drückt die Wurzel den Gegenstand ,,Opfer" <strong>aus</strong>, und die Endung<br />

drückt ein ,,soll", ein ,,muß bewirkt werden" <strong>aus</strong>. Das heißt, daß es in der vedischen<br />

Vorschrift nicht so sehr um das Opfer, als vielmehr um den Himmel geht, und daß das<br />

Opfer nur das Mittel ist, mit dem man den Himmel erreichen soll. Somit formuliert<br />

der Mīmāmṣaka die vedische Weisung gänzlich um: yāgena svargaṃ bhāvayet (=<br />

man soll den Himmelslohn durch das Opfer bewirken). Man beachte dabei, daß das<br />

kouditionale Element, das durch den Auadruck<br />

86 ŚV Samḅandhākṣepaparihāraḥ v. 123cd—134ab.<br />

87 ŚV Vākyādhikaranạm v. 365—366; Śabdanityatādhikaranạm v. 278— 290ab.<br />

88 Mīmāmṣāsūtren II, 1, 1.<br />

89 Für die Entwicklung der bhāvanā-Lehre in der Mīmāmṣā siehe E. FRAU-WALLKER:<br />

Bhāvanā und Vidhiḥ bei Manḍạnamiśra. WZKM XXXVI Bd. 1 und 2. Heft S. 121ff. Für die<br />

Begründung der bhāvanā-Lehre siehe F. X. D'SA, op. cit. S. 105—109.<br />

Die betreffenden Absehnitte bei Kumārila sind:<br />

i) ŚV Vākyādhikaranạm v. 247—317ab.<br />

ii) TV S. 370—389 (Kommentar zu Mīmāṃsāsūtren II, 1, 1).


Offenbarung obne einen Gott 105<br />

,,der den Himmel Begehrende" gegeben war, in dieser Umformulierung völlig<br />

verschwunden und dafür ein absolutes ,,soll" eingeführt ist. Statt der alten Vorschrift<br />

,,wenn man den Himmel begehrt, soll man mit Soma opfern", ist eine neue<br />

bedingungslose Vorschrift eingeführt worden: ,,Man soll den Himmelslohn durch das<br />

Opfer bewirken". Damit ist eine absolute Autorität in die Mīmāmṣā eingeführt<br />

worden, die durch das Aufgeben eines allwiasenden Schöpfers eingebüßt worden war.<br />

Damit wird die Offenbarung, die der Veda mitteilt, eine absolute.<br />

ZUSAMMENFASSUNG<br />

Wollen wir das Gesamte zusammenfassen, dann sieht es so <strong>aus</strong>: die unvergänglich<br />

ewige Substanz WORT ermöglicht, daß es Wörter gibt. Diese Wörter haben<br />

eine naturgegebene Verbindung mit ihrem Sinn. Die Reihenfolge der Laute eines<br />

Wortes sowie die Verbindung zwischen Wort und Sinn sind anfanglos ewig. Diese<br />

anfanglose Ewigkeit sowohl der Laut-Reihenfolge als auch der naturgegebenen<br />

Verbindung hilft, die anfanglose Ewigkeit der vedischen Sammlungen zu beweisen.<br />

Denn die Reihenfolge der Wörter der vedischen Sätze sind gen<strong>aus</strong>o anfanglos ewig<br />

wie die Laut-Reihenfolge eines Wortes. Ebenso wie die Laut-Reihenfolge eines<br />

Wortes nur durch den anfanglosen Sprachgebrauch zu erklären ist, so ist es auch die<br />

Reihenfolge der Wörter der vedischen Sätze. Ferner, jede Erkenntnis ist <strong>aus</strong> sich<br />

gültig. Ungültigkeit kommt nicht <strong>aus</strong> sich, sondern hängt von äußeren Faktoren ab. Im<br />

Falle des Veda besteht keine Ungültigkeit, weil er nie einen Verfasser gehabt hat. Der<br />

Veda ist unfehlbare Offenbarungsquelle, weil er den Menschen absolute Pflichten<br />

auferlegt.<br />

So gesehen ist das Mīmāmṣā-System eine der merkwürdigsten Erscheinungen<br />

in der Religionsgeschichte der Menschheit. Es ist das Resultat einer konsequenten<br />

Durchführung einer der vedischen Denkarten, bei der Gott immer eine sekundäre<br />

Rolle spielt. Daß die Mīmāmṣā <strong>aus</strong>drücklich gegen die Existenz Gottes polemisiert,<br />

ist nicht verwunderlich. Denn diese Angriffe machen nur eine Lücke im<br />

philosophischen Denken Indiens offenbar, und zwar das Fehlen einer Analogie des<br />

Seins, die auf das Fehlen der Frage nach dem Sein zurückzuführen ist.

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