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Der Dokumentarfilmer Dieter Wieland

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tige Wellen der Empörung bei den Verantwortlichen<br />

auslöste. Es kam zu einer nachfolgenden Diskussionssendung,<br />

einer »Sternstunde des Fernsehens«. Es gab<br />

damals im BR-Rundfunkrat Versuche <strong>Wieland</strong> »abzuschießen«,<br />

aber der BR hielt zu seinem Autor. Wir erfuhren<br />

auch, dass er schon längst jede Menge Bewunderer<br />

hatte. Vielen erging es mit seinen Filmen gerade<br />

so wie uns mit GRÜN KAPUTT. Als 2011 der Oberbayerische<br />

Kulturpreis an <strong>Wieland</strong> verliehen wurde, erinnerte<br />

sich Laudator Hans Well (Biermösl Blosn) an die<br />

erste Begegnung mit seinen Sendungen: »Es fiel einem<br />

wie Schuppen von den Augen. Seine Gegenüberstellung<br />

von Bildern stimmiger Häuser mit verhunzten Altoder<br />

Neubauten, unterlegt mit Sätzen von präziser<br />

Wucht, schlugen ein!«<br />

Fortan suchten wir im BR-Programm nach seinen<br />

neuen Arbeiten. Sie wurden meist im Vorabendprogramm,<br />

das eigentlich nicht im Fokus unserer Fernsehgewohnheiten<br />

stand, ausgestrahlt. Freuten uns naturgemäß<br />

über Filmanfänge wie diesen: »Kennen S’ das<br />

neue Bayern? Bayern im Landhausstil. Oberbayern,<br />

Hochglanzbayern, Superbayern. Super Weiß-und-Blau.<br />

Das klassische Ensemble: Rundbogen, Schmiedeeisen,<br />

Wognradl, Blaufichte, Jägerzaun … Bayern grüabig,<br />

mit viel Schmalz, rustikal. Die Häuser in der Lederhosn.<br />

Bayern im Jodlerstil«. (DER JODLERSTIL, 1984)<br />

Über 200 Titel verzeichnet die Filmographie <strong>Dieter</strong><br />

<strong>Wieland</strong>s, der dieses Jahr am 16. März seinen 75. Geburtstag<br />

feiert. Was macht seine Filme so besonders?<br />

Von Stimme und Tonfall war schon die Rede. Seine Bilder<br />

sind ruhig, klar, kommen ohne Schnickschnack aus,<br />

es gibt sanfte Schwenks, Zooms, Fahrten, der Blick<br />

kann wandern, Räume und das präzise Detail erfassen.<br />

Bild und Kommentar sind natürlich aufeinander be -<br />

zogen, aber nicht in der Art simpler Illustration. Man<br />

kann sich parallel in Wort und Bild einschwingen. Wenn<br />

<strong>Wieland</strong> Interviewstücke einfügt, dann sind sie nicht<br />

hergerichtet und protzig ausgeleuchtet wie bei den üblichen<br />

Statements in TV-Features. Es ist eher so, wie<br />

wenn ein guter Nachbar Gespräche am Gartenzaun<br />

führt.<br />

Seine Filme sind Einladungen, zusammen eine Reise zu<br />

unternehmen, gewinnen ihre Überzeugungskraft aus<br />

der Evidenz des treffenden Beispiels, aus der augenöffnenden<br />

Gegenüberstellung. Sie fächern sich in größte<br />

Themenvielfalt auf, durchwandern ländliche und urbane<br />

Räume, nehmen Details in den Blick (Dächer,<br />

Zäune, Gärten), erzählen von herrlichen Parkanlagen,<br />

großen Architekten, prangern an (UNSER DORF SOLL<br />

HÄSSLICH WERDEN, 1975), decken die Verheerungen<br />

der Flurbereinigung auf, berichten vom Verfall und der<br />

möglichen Rettung von Dorfkirchen in Mecklenburg,<br />

oder demonstrieren beispielhaft gelungene Architektur<br />

(DIE GROSSE KUNST, EIN KLEINES HAUS ZU BAUEN,<br />

1988).<br />

Im Kern umkreisen sie alle eine zentrale Erfahrung,<br />

eine Schock-Erfahrung, die jeder kennt. <strong>Der</strong> Philosoph<br />

Heinrich Rombach hat diese Erfahrung einmal, als er<br />

Gebirgsdörfer der Alpen durchwanderte, so beschrieben:<br />

»Mit Entzücken nimmt man die alte Architektur<br />

wahr, wird immer neu überrascht vom Einfallsreichtum<br />

der Erbauer, von der fehlerlosen Harmonie der Formen<br />

und der Kraft der Gestaltungen. Gut, diese Erfahrung ist<br />

jedem Touristen bekannt. Dann aber bricht jäh das ästhetische<br />

Paradies ab. Man befindet sich an der Grenze<br />

zum Neubaugebiet. Was da an Geradlinigkeit, Einfallslosigkeit<br />

und Hässlichkeit in Beton und Eternit aufgeboten<br />

ist, übertrifft alles Vorstellbare. Warum dies? Woher<br />

dieser Abbruch? Was ist da geschehen? Diese Frage ist<br />

die Wesensfrage der Moderne!«<br />

<strong>Wieland</strong>s Filme zelebrieren weder Nostalgie noch umweltschützerische<br />

Rhetorik, sie umkreisen die Wesensfrage<br />

der Moderne. Es gibt keinen anderen deutschen<br />

Filmemacher, der sich dieser Frage mit einer solchen<br />

Konzentration, Konsequenz und Hingabe gewidmet hat.<br />

In diesem Sinne ist <strong>Wieland</strong> der sprichwörtliche einsame<br />

Rufer in der Wüste. Zahlreiche Auszeichnungen<br />

(darunter der Bayerische Verdienstorden) hat er wohl<br />

erhalten, aber es gibt merkwürdigerweise noch keine<br />

umfassende Würdigung aus cineastischer Perspektive.<br />

Seine Filme rangieren eben als Fernsehsendungen,<br />

tauchen nicht bei Filmfestivals oder in Kinos auf. Dabei<br />

ist sein Œuvre unbedingt gleichrangig mit dem großer<br />

Dokumentaristen-Essayisten wie Chris Marker oder Volker<br />

Koepp.<br />

Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass<br />

<strong>Dieter</strong> <strong>Wieland</strong>s Filme mit ihrer unvergleichlichen<br />

Schule der Wahrnehmung bald selbstverständlichen<br />

Eingang in Lehrpläne finden werden, an Grundschulen,<br />

Gymnasien, vor allem natürlich bei der Ausbildung von<br />

Architekten und Städteplanern. Die Frage ist nur,<br />

warum das nicht schon längst geschehen ist.<br />

Rainer Gansera<br />

DIE GROSSMARKTHALLE: MAGEN DER GROSS-<br />

STADT – BRD 1971 – R+B: <strong>Dieter</strong> <strong>Wieland</strong> – K: Willy<br />

Dobos – 16 min – Ein Einblick in den Kosmos der<br />

Münchner Großmarkthalle mit seinen Menschen – viele<br />

von ihnen »Gastarbeiter« –, den täglich frischen Waren<br />

und dem Anliefer- und Verkaufsbetrieb. – VORSTADT<br />

GIESING – BRD 1975 – R+B: <strong>Dieter</strong> <strong>Wieland</strong> – K: Hermann<br />

Reichmann – 25 min – Ein genauer Blick auf die<br />

<strong>Dieter</strong> <strong>Wieland</strong><br />

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