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"Der Anti- Paparazzo"

Photographie, Ausgabe Januar 2014

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Tilda Swinton, links mit ihrem<br />

Buch vor dem Zürichsee, rechts<br />

im Laub eines Zürcher Parks.<br />

Bil<strong>Der</strong> & GeScHicHten<br />

Am 28. September 2011 um 17.50 Uhr verlässt<br />

Sean Penn sein Zimmer im mondänen, am Ufer des<br />

Zürichsees gelegenen Hotel Baur au Lac. <strong>Der</strong> zweifache<br />

Oscar-Preisträger will zu einer Pressekonferenz<br />

– er hat gerade den Golden Icon des Zurich<br />

Film Festival für sein Lebenswerk erhalten, eine<br />

Fragerunde und ein Fotoshooting mit den Pressevertretern<br />

stehen auf der Agenda. Im Treppenflur<br />

auf halber Strecke zum Konferenzsaal wartet der<br />

Fotograf Maurice Haas auf den auf seine Privatsphäre<br />

bedachten Schauspieler, der bei allzu aufdringlichen<br />

Paparazzi auch schon mal handgreiflich<br />

werden kann. Doch das Zusammentreffen auf dem<br />

Flur ist unverfänglich (es ist mit Penns PR-Manager<br />

abgesprochen) und birgt nur eine Gefahr für Haas –<br />

die des Scheiterns. Penn kommt um die Ecke, Haas<br />

begrüßt ihn und bittet ihn in einem Atemzug hinaus<br />

auf die Feuertreppe des Hotels – und damit<br />

ins Tageslicht. <strong>Der</strong> Fotograf und der Hollywood-<br />

Star wechseln noch ein paar knappe Worte, Haas<br />

presst sich mit seiner Canon EOS 1Ds Mark III dicht<br />

an das Metallgitter des engen Fluchtwegs, trotzdem<br />

ist er mit seinem 85-mm-Objektiv kaum<br />

einen Meter von Penns Gesicht entfernt. Haas<br />

sagt: „Could you please turn your head a little?!“,<br />

dann löst er aus. Ein Dutzend Mal schnalzt der<br />

Verschluss, da tippt ihm Penns Bodyguard bereits<br />

auf die Schulter: That’s it, man! Haas drückt noch<br />

„Natürlich beschäftige<br />

ich mich vorher<br />

intensiv mit den<br />

Menschen, die ich<br />

fotografiere.“<br />

© Maurice Haas<br />

einige Male auf den Auslöser, dann verabschiedet<br />

sich der Star und verschwindet mit seiner Entourage<br />

durch die Feuerschutztür. „Ich wusste, dass<br />

ich nicht viel Zeit haben würde, aber mit so wenig<br />

hatte ich nicht gerechnet“, sagt Haas, der später<br />

anhand der Metadaten der Bilddateien rekonstruiert,<br />

dass die komplette Begegnung exakt 61<br />

Sekunden gedauert hat.<br />

Technisch gesehen ist der Shot, den Haas am Ende<br />

auswählt, keineswegs perfekt: Die Schärfentiefe<br />

erstreckt sich gerade einmal auf Penns linkes, kamerafernes<br />

Auge, und das nicht einmal vollständig.<br />

Doch der Eindringlichkeit des schwarzweißen Bilds<br />

tut dies keinen Abbruch, im Gegenteil: <strong>Der</strong> Star<br />

wirkt in sich gekehrt, ganz bei sich – und ist dem Betrachter<br />

damit nah wie nie; ein Ausnahmeporträt,<br />

das aus den vielen Bildern, die man von dem Star<br />

kennt, hervorsticht. Wie erzeugt man eine solche<br />

Nähe, eine solche Intimität unter derart schwierigen<br />

Bedingungen? Haas überlegt, dann sagt er: „Mit<br />

guten Bildern ist es manchmal wie mit Diamanten:<br />

Sie entstehen unter großem Druck.“<br />

Visuelle essays statt<br />

fotografischer Meterware<br />

Wenig Zeit, widrige Shooting-Bedingungen, der<br />

Versuch, einen exklusiven Shot zu landen: Die Umstände,<br />

unter denen Haas‘ Star-Porträts entstehen,<br />

ähneln denen, die auch in der People-Fotografie<br />

für Promi-Illustrierte vorherrschen. Und doch sind<br />

die Bilder des Schweizers anders; die meisten<br />

würden den auflagenfixierten Kriterien der Bildredakteure<br />

von Gala & Co. wohl nicht standhalten:<br />

zu ernst, zu essayistisch, nicht glamourös genug.<br />

Haas ist eben kein Heckenschütze und auch kein<br />

klassischer Pressefotograf; das verstohlen Paparazzohafte<br />

liegt ihm ebenso fern wie die fotografische<br />

Meterware, die entsteht, wenn Stars für die<br />

Kamera posieren und einstudierte Mimik-Phrasen<br />

abspulen. Es gehe ihm weniger um den maximalen<br />

Effekt, sondern vielmehr um Momente des Einvernehmens,<br />

des Erkennens, sagt Haas. Doch<br />

54 PhotograPhie 1-2 | 2014<br />

1-2 | 2014 PhotograPhie 55<br />

PH1-2_052_061_MauriceHaas_OK.indd 54 21.11.13 18:42<br />

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