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Vortrag von Prof. Konrad Raiser - Gossner Mission

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<strong>Konrad</strong> <strong>Raiser</strong> Berlin, September 2011<br />

Einleitung<br />

Armut und Reichtum in aktueller ökumenischer Perspektive<br />

Beitrag zu einem Studientag der <strong>Gossner</strong> <strong>Mission</strong><br />

Ich freue mich, dass ich heute Nachmittag wenigstens an einer der Veranstaltungen zum 175-<br />

jährigen Jubiläum der <strong>Gossner</strong> <strong>Mission</strong> teilnehmen kann und danke Ihnen für die Einladung.<br />

Sie wollen an diesem Nachmittag über die inhaltliche Orientierung und Neuausrichtung der<br />

<strong>Gossner</strong> <strong>Mission</strong> nachdenken. Dazu haben Sie einen thematischen Schwerpunkt gewählt, der<br />

eng mit dem bisherigen <strong>Prof</strong>il der GM verbunden ist: Armut und Reichtum. Das gilt vor allem<br />

für den <strong>von</strong> Anfang an konstitutiven Bereich der Inneren <strong>Mission</strong>, der nach dem Krieg durch<br />

das Mainzer Zentrum für Industriemission und die Wohnwagenarbeit in der zerstörten<br />

Gebieten in Oderbruch Gestalt gewonnen hatte.<br />

Schon im Jahr 2001 sah sich die GM genötigt, das Zentrum in Mainz an die EKHN<br />

abzugeben. Nun muss wohl auch der verbliebene Bereich der gesellschaftsbezogenen Dienste<br />

aus personellen und finanziellen Gründen aufgegeben werden. Gleichzeitig hat jedoch die<br />

Frage <strong>von</strong> Armut und Reichtum angesichts der Auswirkungen der wirtschaftlichen und<br />

finanziellen Globalisierung eine neue Qualität und Dringlichkeit bekommen, die nicht nur die<br />

Inlandsarbeit sondern auch die Beziehungen zu den Partnerkirchen in Indien, Nepal und<br />

Sambia betrifft. So haben Sie sich entschlossen, diesen Studiennachmittag unter das Thema<br />

„Armut und Reichtum in aktueller ökumenischer Perspektive“ zu stellen und mich um einen<br />

einleitenden <strong>Vortrag</strong> gebeten.<br />

Hintergrund der gegenwärtigen ökumenischen Diskussion<br />

Die Überwindung <strong>von</strong> absoluter und struktureller Armut stand in den letzten 40 Jahren im<br />

Zentrum des ökumenischen Einsatzes für weltweite soziale Gerechtigkeit. Das galt besonders<br />

für die ökumenischen Programme der Entwicklungszusammenarbeit. Dabei ging es nie nur<br />

um konkrete Hilfsprojekte für Not leidende Bevölkerungen, vor allem in den Ländern der so<br />

genannten Dritten Welt, sondern auch um die Stärkung der Eigenständigkeit der Betroffenen<br />

und ihrer Fähigkeiten, sich aktiv zu beteiligen an der Veränderungen der Strukturen der<br />

Armut. Diese Bemühungen wurden untermauert durch eine schon 1975 veröffentlichte<br />

umfassende sozio-ökonomische Untersuchung über die Strukturen <strong>von</strong> Armut, Verarmung<br />

und Marginalisierung in verschiedenen Ländern und Regionen des globalen Südens.<br />

Hinzu kamen in den Jahren <strong>von</strong> 1976-1980 eingehende historische, theologische und<br />

sozialethische Studien über das Selbstverständnis, den Ort und die Verantwortung der<br />

Kirchen gegenüber den Armen. Die Ergebnisse schlugen sich nieder in einer Erklärung des<br />

Ökumenischen Rates über „Die Kirche in Solidarität mit den Armen“. Leitend dabei war die<br />

aus der lateinamerikanischen Diskussion stammende Überzeugung, dass Gott auf der Seite<br />

der Armen stehe. Dies wurde aufgenommen und verstärkt im konziliaren Prozess für<br />

Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung in den 80er Jahren, der die<br />

„vorrangige Option für die Armen“ als eine der ökumenischen Grundüberzeugungen<br />

herausstellte.<br />

Diese ökumenischen Bemühungen auf die Herausforderung der Armut zu antworten erfuhren<br />

Verstärkung auf der internationalen politischen Ebene durch den Weltsozialgipfel in<br />

Kopenhagen (1995), der die Überwindung <strong>von</strong> struktureller Armut und Ausgrenzung zu


einem seiner zentralen Themen machte und damit die bis dahin vorherrschende, einseitige<br />

Konzentration auf Strukturanpassungen und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der<br />

betroffenen Ländern kritisch in Frage stellte. Der Impuls wurde einige Jahre später auf dem<br />

Millenniumsgipfel der Vereinten Nationen aufgenommen und die dort verabschiedeten<br />

„Millenniums-Entwicklungsziele“ stellten die Halbierung der weltweiten Armut bis zum Jahr<br />

2015 an die Spitze der acht Zielperspektiven. Zwar ist seither der Anteil der Armen an der<br />

gesamten Weltbevölkerung zurückgegangen, vor allem als Folge des starken Wachstums in<br />

China mit fast einem Fünftel der Weltbevölkerung. Aber in den vor allem <strong>von</strong> Armut<br />

gezeichneten Ländern Afrikas südlich der Sahara hat sich die Lage nicht verbessert; in einigen<br />

Staaten hat der Anteil der Armen sogar zugenommen im Vergleich zur Situation in den 90er<br />

Jahren.<br />

In dieser ganzen Periode hatte sich die ökumenische Diskussion, im weitgehenden Einklang<br />

mit der internationalen, politischen Debatte, auf Armut als ein Problem vor allem der sich<br />

entwickelnden Länder im globalen Süden konzentriert. Durch den Prozess der<br />

wirtschaftlichen und finanziellen Globalisierung, der nach dem Zerfall des kommunistischen<br />

Blocks ständig an Dynamik zunahm, und durch das einseitig auf Reichtumsvermehrung<br />

ausgerichtete Wirtschaftssystem, das weltweit durchgesetzt wurde, geriet auch die<br />

zunehmende Verarmung und Ausgrenzung <strong>von</strong> Bevölkerungsgruppen in den industrialisierten<br />

Ländern des Nordens und Westens in den Blick. Damit verband sich die kritische Frage nach<br />

dem Zusammenhang zwischen Verarmung der Einen und exzessivem Reichtum der Anderen,<br />

bzw. nach den Ursachen für die sich immer weiter öffnende Schwere zwischen Armut und<br />

Reichtum, sowohl weltweit wie auch innerhalb einzelner Länder.<br />

Dies war der Hintergrund für eine Initiative des Ökumenischen Rates zusammen mit<br />

APRODEV, der Vereinigung der kirchlichen Entwicklungswerke in Europa. Sie beschlossen<br />

1997 eine groß angelegte Studie über „Christianity, Poverty and Wealth“ in Auftrag zu geben.<br />

In 19 Länderstudien, vor allem in Ländern der Dritten Welt, sollten weniger globale<br />

Statistiken ausgewertet werden, sondern es sollten in erster Linie die Stimmen der <strong>von</strong> Armut<br />

Betroffenen selbst zu Wort kommen. Die Auswertung dieser Studien sollte den Kirchen und<br />

ihren Entwicklungseinrichtungen helfen, ihren Einsatz zur Überwindung <strong>von</strong> Armut<br />

effektiver und gezielter zu gestalten. Der Bericht, der 2003 veröffentlicht wurde, stellt an den<br />

Anfang eine Liste <strong>von</strong> 10 Millennium-Entwicklungszielen für die Kirchen. Die Liste beginnt<br />

mit dem Aufruf, Liturgien und Bildungsmaterialien zu entwickeln, die Kirchen und<br />

Gemeinden helfen können, sich mit der Wirklichkeit und den strukturellen Bedingungen <strong>von</strong><br />

Armut und Reichtum auseinander zu setzen und sich für strukturelle Veränderungen<br />

einzusetzen. Das dritte Ziel fordert, für jedes Land neben der „Armutsgrenze“ auch eine<br />

„Habgier-Grenze“ zu entwickeln, um so das biblische Zeugnis über den Reichtum, seinen<br />

gesellschaftlichen Nutzen und seine Gefahren, in konkrete Wegweisungen für heute zu<br />

übersetzen.<br />

Unter den 19 Länderstudien des eben erwähnten ökumenischen Studienprojekts war auch eine<br />

über die Situation in Deutschland. Sie war im Jahr 2000 damals vom Mainzer Zentrum der<br />

GM angestoßen worden und wurde dann <strong>von</strong> der Heidelberger Werkstatt für Ökonomie in<br />

Zusammenarbeit mit den zuständigen Einrichtungen der EKHN und dem EED durchgeführt.<br />

Der im Jahr 2002 veröffentlichte Bericht trägt den Titel: „Reichtum und Armut als<br />

Herausforderung für kirchliches Handeln“. Der erste Teil der sorgfältig belegten<br />

Untersuchung bietet eine Analyse <strong>von</strong> Reichtum und Armut in Deutschland und versteht sich<br />

als eine „Problemanzeige in ökumenischer Perspektive“. Die hier vorlegte Darstellung und<br />

Entfaltung der Problematik bietet auch 10 Jahre später nach wie vor eine gute Grundlage für<br />

unsere heutigen Überlegungen. Im zweiten Teil des Bandes folgt dann eine Reihe <strong>von</strong>


iblischen, theologischen und ekklesiologischen Reflexionen verbunden mit Anregungen für<br />

die Formulierung einer kirchlichen Agenda. Der ganze Band ist eine hilfreiche Ergänzung<br />

zum Sozialwort der beiden großen Kirchen in Deutschland <strong>von</strong> 1997, das ebenfalls aus einem<br />

breiten Konsultationsprozess hervorgegangen war.<br />

Die zuvor erwähnte Liste <strong>von</strong> 10 kirchlichen Millenniums-Entwicklungszielen endete mit der<br />

Forderung, regelmäßig auf weltweiter, ökumenischer Basis einen kirchlichen Bericht über<br />

Armut und Reichtum zu erstellen, um so einen Rahmen zu entwickeln, der den<br />

unterschiedlichen Aktivitäten der Kirchen mehr Kohärenz und wechselseitige Verstärkung<br />

vermitteln könnte. Leider ist es auf internationaler Ebene bisher nicht möglich gewesen, diese<br />

Forderung umzusetzen. In Deutschland allerdings hat die erwähnte Länderstudie dazu geführt,<br />

dass sich ein kirchlich-ökumenischer Herausgeberkreis gebildet hat, dem auch die <strong>Gossner</strong><br />

<strong>Mission</strong> neben zahlreiche anderen kirchlichen Einrichtungen und Initiativen angehört, und der<br />

seit dem Jahr 2005 ein kirchliches „Jahrbuch Gerechtigkeit“ herausgibt. Das erste der<br />

Jahrbücher trug den bezeichnenden Titel „Armes Reiches Deutschland“. Es nimmt die Thesen<br />

der vorangegangen ökumenischen Studie bewusst auf, wenn z.B. der einführende Beitrag <strong>von</strong><br />

Karl-Heinz Dejung programmatisch erklärt: „Nicht nur Armut, sondern auch Reichtum muss<br />

ein Thema der politischen Debatte sein“. Und der <strong>von</strong> den Herausgebern gemeinsam<br />

verantwortete „kirchliche Diskussionsbeitrag“ formuliert als Zielsetzung: „Um der<br />

Gerechtigkeit willen: Öffentliche Armut verhindern, Reichtum nutzen“.<br />

Reichtum und Armut: Analyse der gegenwärtigen Situation in Deutschland und weltweit<br />

Jede Diskussion über Reichtum und Armut steht vor der Schwierigkeit, genau zu bestimmen,<br />

nach welchen Kriterien Armut und Reichtum beurteilt werden. In beiden Fällen reicht ein rein<br />

finanzieller Maßstab, d.h. die Höhe des verfügbaren Einkommens nicht aus. Armut und<br />

Reichtum sind komplexe Gegebenheiten, für deren Einschätzung vor allem auch die jeweilige<br />

Einbindung in die Gesellschaft berücksichtigt werden muss. In der Diskussion hat sich daher<br />

ein offener Armutsbegriff durchgesetzt, der sowohl die verfügbaren materiellen und<br />

monetären Ressourcen wie auch die Lebenssituation der Betroffenen in die Beurteilung<br />

einbezieht. Auch auf der Seite der Ressourcen muss zusätzlich berücksichtigt werden, dass<br />

ein großer Teil der Armen in den Ländern des globalen Südens noch immer weitgehend <strong>von</strong><br />

Subsistenzwirtschaft lebt und daher nur wenig in den monetären Kreislauf einbezogen ist. Bei<br />

der Einschätzung <strong>von</strong> Reichtum, auf der anderen Seite, kann sich die Einschätzung nicht<br />

allein auf das verfügbare Einkommen beschränken, sondern muss vor allem auch das<br />

Vermögen einbeziehen.<br />

In der politischen Diskussion über Armut orientieren sich die Europäische Union und die<br />

Bundesregierung an einer Definition, nach der Personen, Familien und Gruppen als arm<br />

gelten, „die über so geringe (materielle, kulturelle und soziale) Mittel verfügen, dass sie <strong>von</strong><br />

der Lebensweise ausgeschlossen sind, die in dem Mitgliedsstaat, in dem sie leben, als<br />

Minimum annehmbar ist“. Wichtig an dieser Definition ist, dass sie Armut als einen Zustand<br />

des Ausschlusses oder der Ausgrenzung vom gesellschaftlichen Leben begreift. Dabei bleibt<br />

freilich offen, wie das angesprochene „Minimum“ festgestellt werden soll. Jedenfalls geht es<br />

nicht nur um einen Mangel an Einkommen, sondern um eine Unterversorgung im Blick auf<br />

Zugang zu Bildung, Erwerbstätigkeit, Wohnung, Gesundheit etc. Hier setzt die an den<br />

elementaren wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten orientierte Definition <strong>von</strong><br />

Armut an: arm sind demnach alle Menschen, denen das elementare Recht auf ein<br />

menschenwürdiges Leben verwehrt wird.


Dennoch sind alle Bemühungen um Überwindung der Armut natürlich auf einen objektiven,<br />

interkulturell vergleichbaren Maßstab angewiesen. Dafür greift man in der Regel dann doch<br />

auf die Höhe des verfügbaren Einkommens als Schlüssel auch für den Zugang zu sozialen<br />

Beziehungsnetzen zurück. In den meisten Studien wird mit dem durchschnittlichen<br />

Einkommen gearbeitet, das für Haushalte in dem jeweiligen Land verfügbar ist. In der<br />

Berechnung werden die Größe und Zusammensetzung der jeweiligen Haushalte sowie die<br />

Kaufkraftparitäten zwischen unterschiedlichen Ländern berücksichtigt. In den hoch<br />

entwickelten Ländern des Westens und Nordens gilt als Armutsgrenze ein verfügbares<br />

Einkommen, das unter 50% des gewichteten, durchschnittlichen Haushaltseinkommens liegt.<br />

Sinkt die Grenze auf unter 40% spricht man <strong>von</strong> „strenger“ Armut; liegt sie bei unter 60%,<br />

gilt das als Maßstab für „relative“ Armut. Bezieht man diese Einschätzungen auf<br />

Deutschland, so zeigt sich, dass mindestens 10% der Bevölkerung einen so niedrigen<br />

Lebensstandard haben, dass man <strong>von</strong> strenger Armut im Sinne <strong>von</strong> gravierender<br />

Unterversorgung sprechen muss; bei Anwendung der „weiteren“ Armutsdefinition müssen<br />

20% der Bevölkerung als arm gelten. Es zeigt sich außerdem, dass in den letzten 20 Jahren<br />

die Zahl der in Armut lebenden Menschen deutlich zugenommen hat.<br />

Auch in der internationalen Diskussion wird die Armutsgrenze meist in Beziehung auf die<br />

zum täglichen Verbrauch verfügbaren finanziellen Ressourcen definiert. Als extrem und<br />

absolut arm gilt, wer mit weniger als einem US-Dollar pro Tag auskommen muss. Zu den<br />

absolut Armen gehören aber auch Menschen, denen täglich nur ein bis zwei US-Dollar zur<br />

Verfügung stehen. Diese zweite „Armutsgrenze“ entspricht eher den gerade erläuterten<br />

Einschätzungen <strong>von</strong> Armut in den hoch entwickelten Ländern. Natürlich ist der<br />

Ländervergleich sehr komplex. Die entsprechenden Berechnungen der UN-Organisationen<br />

sind nicht völlig deckungsgleich und verwenden unterschiedliche Basisjahre für den<br />

Vergleich. Konkret heißt die Aussage, „Menschen müssen mit weniger als einem US-Dollar<br />

auskommen, dass sie weniger Ressourcen für den täglichen Konsum zur Verfügung haben, als<br />

sie im Basisjahr (1985 oder 1993) in den USA mit einem Dollar zur Verfügung gehabt<br />

hätten.“ (s. deutsche Studie, S.135).<br />

Legt man diese Definition der „Armutsgrenze zu Grunde, dann müssen zu Beginn des 21.<br />

Jahrhunderts weltweit 1,2 Milliarden Menschen als absolut arm gelten und weitere 1,6<br />

Milliarden müssen sich mit zwei US-Dollar pro Tag begnügen. Zusammen ist dies mehr als<br />

ein Drittel der Weltbevölkerung. In Afrika steigt dieser Anteil derer, die unter der Ein-Dollar<br />

Grenze leben, sogar auf 47%, während er sich in Ostasien und im Pazifikraum in den letzten<br />

20 Jahren fast halbiert hat. Greift man in Afrika die ärmsten Länder südlich der Sahara heraus,<br />

dann ergibt sich im Blick auf die Ein-Dollar Grenze sogar ein Anteil <strong>von</strong> 65% und bei zwei<br />

Dollar <strong>von</strong> 87%. Das sind dramatische Zahlen, und leider haben die Anstrengungen im<br />

Rahmen der Millenniums-Entwicklungsziele an dieser Situation kaum etwas geändert. Der<br />

Eindruck wird noch verstärkt, wenn man sich das reale Gesicht der Armut vor Augen führt<br />

und d.h. etwa die Lebenserwartung <strong>von</strong> Frauen, Müttern, Kleinkindern und Säuglingen oder<br />

den Zugang zu sauberem Wasser, sanitären Einrichtungen und zu Bildungsmöglichkeiten als<br />

Maßstab hinzunimmt. Die Prognose für die Bemühungen zur Überwindung der Armut ist also<br />

ziemlich düster, auch wenn es in ausgewählten Ländern, selbst in Afrika, durchaus Forschritte<br />

im Sinn der Ziele der Vereinten Nationen gegeben hat.<br />

Ist schon die Bestimmung einer Armutsgrenze schwierig, so gilt dies in noch höherem Maße<br />

für die Frage des Reichtums. Weder auf der politischen Ebene, noch in der kirchlichen<br />

Diskussion gibt es bisher eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Problem exzessiven<br />

Reichtums und der zunehmenden Kluft zwischen Armen und Reichen weltweit und in den<br />

einzelnen Ländern. Dazu wäre es nötig, zwischen „Wohlstand“ als einer gesellschaftlich


akzeptierten und erstrebenswerten Situation und Reichtum als Ausdruck einer gesellschaftlich<br />

problematischen Überversorgung mit Einkommen und Vermögen zu unterscheiden. Auch<br />

reicht, wie bereits erwähnt, im Blick auf die Bestimmung einer „Reichtums-Grenze“ die<br />

Orientierung am verfügbaren Einkommen nicht aus, denn der betreffende Teil der<br />

Bevölkerung kann über das reguläre Einkommen in wachsendem Maß auf die Erträge aus<br />

Vermögen zurückgreifen.<br />

Vielleicht könnte man auch hier, ähnlich wie bei der Armut, <strong>von</strong> relativem Reichtum<br />

sprechen. Dann gälte z.B. ein verfügbares Einkommen <strong>von</strong> 200% des gewichteten<br />

Durchschnittseinkommens als oberste Grenze für einen gesellschaftlich noch akzeptierten<br />

Wohlstand, während jenseits da<strong>von</strong> der relative Reichtum begänne. Von absolutem Reichtum<br />

müsste man sprechen, wenn allein das Einkommen aus Vermögen, unabhängig <strong>von</strong> regulärem<br />

Einkommen ausreicht, um diese Grenze zu erreichen. Das dafür notwendige Vermögen läge<br />

heute wahrscheinlich bei ca. 2-3 Millionen, was freilich angesichts der rasanten Steigerung<br />

der Vermögen der Reichen in Deutschland und weltweit wahrscheinlich als ein eher kleines<br />

Vermögen angesehen werden müsste. Nimmt man die weltweite Vermögensverteilung als<br />

Maßstab, dann zeigt sich, dass 20% der Weltbevölkerung über 87% des Weltvermögens<br />

verfügen; weitere 20% verfügen über 11% des Vermögens, während die verbleibenden 60%<br />

sich mit 6 % des Weltvermögens begnügen müssen. Aber diese Versuche zur Bestimmung<br />

einer Reichtumsgrenze auf Grund monetärer Kriterien reichen, ebenso wie bei der<br />

Armutsgrenze nicht aus. Eher sollte man Reichtum im Sinne einer „Überversorgung“ mit<br />

Gütern und Lebenschancen zum Schaden der Allgemeinheit sprechen. Das gilt umso mehr,<br />

wenn man „Vermögen“ als Chance begreift, Einfluss zu nehmen und damit Macht auszuüben.<br />

Während Armut in den meisten Fällen zu gesellschaftlicher Ausgrenzung führt, bedeutet<br />

Reichtum eine gesellschaftlich jedenfalls potentiell schädliche Konzentration <strong>von</strong> sozialer,<br />

wirtschaftlicher und politischer Macht, die durch steuerliche Begünstigung noch verstärkt<br />

wird. Daher spielt für die Einschätzung <strong>von</strong> Reichtum die Frage eine entscheidende Rolle, wie<br />

der Reichtum erworben wurde und wie er eingesetzt wird.<br />

Als Folge der Globalisierung hat sich ein Wirtschaftssystem auf der Grundlage neo-liberaler<br />

Theorien durchgesetzt, in dem die Steigerung der Kapitalrendite und damit die<br />

Reichtumsvermehrung zum obersten Kriterium des Wirtschaftens erhoben wird. Reichtum<br />

verheißt nicht nur erhöhte Lebenschancen und Gestaltungsmöglichkeiten; er erhält einen<br />

quasi religiösen Wert, indem er verspricht, die Begrenzungen menschlichen Lebens, seine<br />

Anhängigkeit und Verletzbarkeit überwinden zu können. Unter dem Einfluss dieser Ideologie<br />

ist das Vermögen der Gruppe der ca. 10% Reichen in Deutschland in den letzten 20 Jahren<br />

unverhältnismäßig stark gewachsen. Gleiches gilt für die USA und die meisten anderen<br />

OECD Länder und selbst in vielen der Schwellen- und Entwicklungsländer hat sich der<br />

Abstand der Reichen vom Durchschnitt der Bevölkerung stetig vergrößert, während<br />

gleichzeitig für die breite Mittelgruppe <strong>von</strong> etwa 75% der Bevölkerung der Gefahr<br />

zugenommen hat, abzurutschen in die Gruppe der relativ Armen.<br />

Die neo-liberale Ideologie hat versucht, den Erwerb und die Steigerung <strong>von</strong> Reichtum nicht<br />

nur moralisch zu rechtfertigen als Lohn für erbrachte Leistung oder wahrgenommene<br />

Verantwortung, sondern daraus auch ein für den gesellschaftlichen Fortschritt<br />

erstrebenswertes Ziel zu machen. Diese Selbstrechtfertigung hat sich als unhaltbar erwiesen.<br />

Die dramatische Zunahme <strong>von</strong> gesellschaftlicher Ungleichheit und die immer weiteren<br />

Öffnung der Schere zwischen Armut und Reichtum bedrohen vielmehr den gesellschaftlichen<br />

Zusammenhalt und erfordern eine neue Verständigung über die Grundlagen sozialer<br />

Gerechtigkeit und über einen Maßstab für gesellschaftlich verantwortbare Ungleichheit. Die<br />

schon mehrfach erwähnte deutsche Studie über Armut und Reichtum formuliert als


Forderung: „Alle Mitglieder einer Gesellschaft müssen die materiellen Mittel haben, um ihr<br />

allgemeines Beteiligungsrecht wahrnehmen zu können. Auf der anderen Seite darf kein<br />

Gesellschaftsmitglied über so viel materielle Mittel verfügen, dass es über die damit<br />

verbundene Macht den politischen Prozess einseitig in seinem Sinne bestimmen kann. Soziale<br />

Ungleichheit ist so mit einer unteren und einer oberen Grenze versehen.“(a.a.O. 94) Soziale<br />

Gerechtigkeit bedeutet dann nicht völlige Gleichverteilung, sondern die Bestimmung eines für<br />

die Lebensfähigkeit und den Zusammenhalt einer Gesellschaft vertretbaren Grades <strong>von</strong><br />

Ungleichheit mit einer klaren unteren und oberen Grenze. Diese Forderung weist über die<br />

Angabe <strong>von</strong> Grenzen der Einkommensverteilung und der Versorgung mit Gütern und<br />

Dienstleitungen hinaus und nötigt zu einer neuen Verständigung über das, was in der<br />

christlichen Ethik das „Gemeinwohl“ genannt wird.<br />

Einsichten aus der ökumenischen Diskussion<br />

In den Jahren zwischen den Vollversammlungen in Harare (1998) und Porto Alegre (2006)<br />

hat der Ökumenische Rat mit seinen Mitgliedskirchen und ökumenischen<br />

Partnerorganisationen einen Konsulationsprozess zur Frage einer „Alternativen<br />

Globalisierung im Dienst <strong>von</strong> Menschen und Erde“ (AGAPE) durchgeführt. Die Ergebnisse<br />

dieses Prozesses wurden bei der letzten Vollversammlung in Porto Alegre präsentiert und die<br />

Vollversammlung nahm auf diesem Hintergrund einen „AGAPE-Aufruf zur Liebe und zum<br />

Handeln“ an. Darin wird die Option für die Armen als ein Gebot unseres Glaubens erneut<br />

unterstrichen. Die Kirchen werden aufgefordert, sich für die Überwindung <strong>von</strong><br />

wirtschaftlicher Ungerechtigkeit einzusetzen und sich mit den Herausforderungen der<br />

Globalisierung und dem Zusammenhang zwischen Reichtum und Armut auseinander zu<br />

setzen. Damit werden freilich nur Erklärungen wiederholt, über die im Prinzip auch Einigkeit<br />

herrscht zwischen den Kirchen. Nicht so klar ist freilich unter den Kirchen, was daraus<br />

konkret folgt, und neu ist der Hinweis, dass es notwendig sei, über den Zusammenhang<br />

zwischen Reichtum und Armut nachzudenken. Die bisherigen ökumenischen Diskussionen<br />

hatten sich auf die vorrangige Aufgabe der Überwindung <strong>von</strong> Armut konzentriert und dem<br />

Zusammenhang <strong>von</strong> Armut und Reichtum kaum Beachtung geschenkt.<br />

Die Weiterarbeit an diesen Fragen seit der Vollversammlung in Porto Alegre steht daher<br />

unter dem Thema „Armut, Reichtum und Ökologie“. Damit wird ein sehr vielfältiges<br />

Problemfeld abgesteckt, das hier nicht im Einzelnen behandelt werden kann. Für unseren<br />

Zusammenhang ist vor allem der erstmals in der ökumenischen Diskussion unternommene<br />

Versuch <strong>von</strong> Interesse, sich auch mit dem Problem des Reichtums auseinander zu setzen und<br />

zu erkunden, ob es möglich ist, neben der bereits besprochenen Armutsgrenze auch eine<br />

Reichtumsgrenze, oder etwas provokativ eine „(Hab)Gier-Grenze“ zu bestimmen. Dieser<br />

Frage will ich mich zum Abschluss zuwenden. Dabei beziehe ich mich auf die noch nicht<br />

abgeschlossenen Diskussionen einer kleinen Arbeitsgruppe, an der ich selbst vor allem mit<br />

biblisch-theologischen Überlegungen beteiligt war und bin.<br />

Aus Sicht der biblischen Tradition muss exzessiver Reichtum als Ausdruck <strong>von</strong> „(Hab)Gier“<br />

beurteilt werden. Die biblische Tradition ist geprägt <strong>von</strong> der Überzeugung, dass menschliches<br />

Leben abhängig ist vom Segen Gottes, der allen das für ihr Leben Notwendige gewährt.<br />

Wohlstand wird daher als Ausdruck göttlichen Segens verstanden, aber er ist bestimmt für das<br />

Wohlergehen der ganzen Gemeinschaft und muss daher gerecht geteilt werden. Die Bibel<br />

kennt eine klare Grenze zwischen legitimem und illegitimem Reichtum oder Wohlstand: nach<br />

dem 7. sowie dem 9. und 10. Gebot des Dekalogs verletzt ein Streben nach Wohlstand diese<br />

Grenze, wenn es die Nächsten dessen beraubt, was sie zum Leben brauchen. Der biblische<br />

Realismus rechnet allerdings damit, dass Menschen ständig in Versuchung sind, mehr zu


akkumulieren, als sie für ein menschwürdiges Leben brauchen. Die Regelungen für das<br />

Sabbat- und das Erlassjahr zielen daher auf eine regelmäßige Korrektur der entstandenen<br />

Ungleichheiten. In seiner Ankündigung des Reiches Gottes nimmt Jesus Bezug auf die<br />

Tradition des Erlassjahres mit der Verheißung, dass die Armen wieder eingesetzt werden in<br />

ihren rechtmäßigen Platz in der Gemeinschaft.<br />

Auf diesem Hintergrund wird deutlich, dass “(Hab)Gier”, d.h. das Streben danach, mehr zu<br />

haben und zu besitzen als den jeweils legitimen Anteil an den lebenswichtigen Gütern, einer<br />

klaren Verurteilung verfällt. Nicht betroffen <strong>von</strong> diesem Urteil ist das natürliche Streben, die<br />

eigenen materiellen Verhältnisse zu verbessern, so lange dies nicht dazu führt, andere ihres<br />

legitimen Anteils zu berauben. Die Verurteilung <strong>von</strong> Habgier ist jedoch nicht nur ein<br />

moralisches Urteil, sondern Gier wird verstanden als Ausdruck <strong>von</strong> Götzendienst: das Streben<br />

nach materiellem Besitz und nach Macht tritt an die Stelle des Vertrauens auf Gott. Die<br />

Geschichte <strong>von</strong> der Versuchung Jesu durch den Teufel verweist auf die perverse Spiritualität<br />

des Verlangens nach wirtschaftlicher, politischer und religiöser Macht (Lk. 4,1ff). In der<br />

Habgier kommt die menschliche Neigung zum Ausdruck, die Suche nach einem erfüllten<br />

Leben zu konzentrieren auf das „Haben“, d.h. auf materiellen Besitz und die Macht zur<br />

Absicherung des eigenen Lebens. Aber wahres Leben lässt sich weder kaufen, noch<br />

vermehren oder absichern. Alle Menschen brauchen für ein erfülltes Leben verlässliche<br />

Beziehungen, sie streben nach Gerechtigkeit, Anerkennung, Liebe und Sicherheit. Diese<br />

immateriellen Bedürfnisse können nicht durch die Akkumulation materieller Mittel befriedigt<br />

werden. Sie verweisen darauf, dass die Fülle des Lebens abhängig ist <strong>von</strong> gelingenden<br />

Beziehungen in der menschlichen Gemeinschaft, der Beziehung zur natürlichen Mitwelt und<br />

zur umfassenden Wirklichkeit Gottes.<br />

Erinnerungen an die biblische, theologische und ethische Tradition können freilich die<br />

Bemühung um begriffliche Klarheit im Blick auf das Phänomen der „Habgier“ nicht ersetzen.<br />

Sie nötigen aber dazu, klar zu unterscheiden zwischen dem Streben nach Wohlstand,<br />

natürlichem Eigeninteresse, Wettbewerb einerseits und Habgier andererseits. Außerdem muss<br />

unterschieden werden zwischen Habgier als individuellem Verhalten und als Ausdruck einer<br />

strukturellen Dynamik wie im neo-liberalen Kapitalismus. Die biblische und altkirchliche<br />

Verurteilung <strong>von</strong> Habgier bezieht sich vor allem auf das persönliche Verhalten. Die<br />

strukturellen Aspekte sind noch nicht wirklich im Blick. So kann sich leicht eine Verengung<br />

auf den individualethischen Aspekt ergeben. Dennoch lassen sich auf diesem Hintergrund der<br />

theologisch-ethischen Verurteilung <strong>von</strong> Habgier und exzessiver Vermehrung oder dem<br />

Missbrauch <strong>von</strong> Wohlstand und Reichtum eine Reihe <strong>von</strong> allgemeine Kriterien formulieren,<br />

um zu bestimmen, wann das Streben nach Gewinn, Macht und Rendite sowohl individuell wie<br />

strukturell als Ausdruck <strong>von</strong> Habgier charakterisiert werden kann. Dies ist der Fall:<br />

• wenn das Ziel der Maximierung der Kapitalrendite zu einem Selbstzweck wird;<br />

• wenn die sozialen und ökologischen Konsequenzen der Steigerung <strong>von</strong> <strong>Prof</strong>itraten<br />

bewusst vernachlässigt werden;<br />

• wenn die <strong>Prof</strong>itmaximierung zur Folge hat, dass Land, Güter oder Kapital dem<br />

Nutzen der Allgemeinheit entzogen werden;<br />

• wenn krasse Ungleichheit provozierend zur Schau gestellt und dadurch der soziale<br />

Zusammenhalt sowie die Achtung der menschlichen Würde untergraben wird.<br />

Habgier ist daher nicht nur ein moralisches Problem individuellen Fehlverhaltens, sondern<br />

setzt sich über objektiv gegebene Grenzen hinweg. Individuelle und strukturelle Habgier<br />

müssen unterschieden werden, auch wenn sie <strong>von</strong>einander abhängen: strukturelle Habgier<br />

setzt individuelle Habgier voraus und befördert oder unterstützt sie gleichzeitig. Strukturen<br />

werden <strong>von</strong> Menschen geschaffen und gesteuert; gleichzeitig üben sie einen Druck auf das


Verhalten der <strong>von</strong> ihnen abhängigen Menschen aus. Strukturen lassen sich nicht einfach durch<br />

den Appell an das individuelle Verhalten der für sie Verantwortlichen verändern, so wichtig<br />

andererseits der persönliche Bewusstseinswandel für strukturelle Veränderungen ist.<br />

So kann man heute <strong>von</strong> einer „Kultur der Habgier“ oder <strong>von</strong> gewohnheitsmäßiger Gier<br />

sprechen. Insbesondere die Kultur des „Konsumismus“, in der das Konsumieren den<br />

Charakter einer säkularen Spiritualität angenommen hat, weist auf die Wechselwirkung<br />

zwischen individueller und struktureller Habgier hin. Jedenfalls lässt sich die Frage einer<br />

Grenze, jenseits derer das Streben nach Wohlstand in „Habgier“ umschlägt, nicht klären,<br />

solange die Analyse auf materielle Kriterien allein beschränkt bleibt. Wir haben es vielmehr<br />

im globalen Kapitalismus mit einer Struktur zu tun, die vom Individualismus des homo<br />

oeconomicus ausgeht, der sein „rationales“ Eigeninteresse verfolgt und alle Grenzziehungen<br />

zu überwinden sucht. Diese Struktur befördert nicht nur die Habgier, sondern setzt sie voraus.<br />

Auch die Vision einer „Ökonomie des Genug“ kann daher nicht bei der Anerkennung<br />

quantitativer, materieller Grenzen stehen bleiben, sondern sie zielt auf eine qualitative,<br />

spirituelle Neuorientierung. Sie verweist auf die alternative „Struktur“ einer Gemeinschaft des<br />

Teilens und der Solidarität; einer Gemeinschaft, in der Kooperation im Interesse des<br />

Gemeinwohls an die Stelle des Konkurrenzkampfes um Macht und Ressourcen tritt. Die<br />

bewusste, individuelle und strukturelle Selbstbegrenzung setzt die kritische „Unterscheidung<br />

der Geister“ voraus, d.h. die Aufdeckung der pervertierten Spiritualität grenzenloser<br />

Akkumulation und des Konsumismus. Über Kriterien hinaus muss sich die Bemühung darauf<br />

konzentrieren, die Bedingungen für ein Leben in gerechten und nachhaltigen Beziehungen in<br />

der menschlichen Gemeinschaft und mit der natürlichen Mitwelt zu klären. Die Formulierung<br />

einer „Habgier-Grenze“ muss daher ergänzt werden durch eine „Theologie des guten und<br />

gelingenden Lebens“.<br />

Diese Aufgabenstellung erscheint einleuchtend, solange es um das Leben in begrenzten,<br />

kleinen Gemeinschaften geht, auf die sich die biblische Tradition bezieht. Sie wird sehr viel<br />

schwieriger und komplizierter im Blick auf die Strukturen globaler Interdependenz aller<br />

Gesellschaften und die globalen ökologischen Herausforderungen. Die Suche nach<br />

aussagekräftigen Kriterien und Indikatoren für die angestrebte Obergrenze <strong>von</strong> Wohlstand<br />

und Reichtum sollte sich wahrscheinlich konzentrieren auf den Gebrauch <strong>von</strong> Macht, Kapital<br />

und Ressourcen, wie z.B. Energie und ihre Grundbestimmung als „Gemeingüter“ für die<br />

Förderung des menschlichen Zusammenlebens, gegenüber ihrer „privaten“ Nutzung als Mittel<br />

zur unbegrenzten Akkumulation und Ausbeutung unter Missachtung der Bedürfnisse der<br />

Gemeinschaft. Politische, soziale, wirtschaftliche und ökologische Indikatoren müssen<br />

miteinander verbunden werden, wenn die kritische Einschätzung gelingen soll, wann der<br />

Gebrauch <strong>von</strong> Macht, Kapital oder natürlichen Ressourcen zum Ausdruck <strong>von</strong> Habgier wird,<br />

die das Leben der menschlichen Gemeinschaft und die Integrität der Schöpfung untergräbt.<br />

Die hier sehr knapp zusammengefasste Diskussion ist noch nicht abgeschlossen, aber es ist<br />

das Ziel, der nächsten Vollversammlung des Ökumenischen Rates einen Vorschlag zu<br />

unterbreiten, der den Kirchen helfen könnte, der diffusen Diskussion über das Problem<br />

exzessiven Reichtums in der Gesellschaft ein klare ethische Orientierung zu geben.

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