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SCHWERPUNKT: MARKETING/EVENT<br />
Die Kraft eines skurrilen, emotionalen Bildes in einem überraschenden<br />
Kontext wirkt stärker als jede Verkaufsstatistik. Wenn<br />
ich Powerpoint und Beamer einsetze, arbeite ich ausschließlich mit<br />
emotionalen Bildern. Für mich ist nichts langweiliger als ein Vortrag,<br />
den ich an der Wand parallel mitlesen kann. Wenn ich für<br />
einen Kongress zwischen zwei Fachvorträgen mit Powerpoint<br />
gebucht werde, weiß ich von vornherein: Hier habe ich leichtes<br />
Spiel. Ich spüre, wie dankbar die Leute dafür sind, endlich auch<br />
mal ein wenig unterhalten zu werden.<br />
Sie malen auch viel auf Flipcharts. Warum?<br />
Ich kann nicht besonders gut zeichnen, aber das ist völlig irrelevant.<br />
Auf dem Flipchart entwickle ich die wichtigsten Grafiken<br />
oder Diagramme live mit dem Zuschauer. Der denkt mit, wenn<br />
die Augen dem Stift folgen. Kurz gesagt: Powerpoint entzieht<br />
dem Redner die Energie. Beim Flipchart überträgt sich die Energie<br />
des Trainers auf das Publikum. Ich versuche aber auch zunehmend,<br />
Requisiten mit in die Vorträge einzubauen. Deutsche<br />
Redner mit Edutainment-Anspruch können hier viel von amerikanischen<br />
Rednern lernen. Auf einer Ted-Konferenz ist zum Beispiel<br />
mal die Hirnforscherin Jill Bolte Taylor mit einem echten<br />
menschlichen Gehirn auf die Bühne gekommen, hat es in beiden<br />
Händen gehalten und daran dann bestimmte Funktionsweisen<br />
erklärt. So etwas finde ich großartig, ist aber im deutschen Sprachraum<br />
noch nicht angekommen.<br />
Der Begriff Edutainment fällt im Gespräch mit Bottin mindestens<br />
so oft wie in seinen Reden die Frage, ob wir das auch kennen.<br />
Zum Begriff gibt es eine Botschaft: Lernen muss nicht wehtun.<br />
Und eine Definition: Edutainment ist der Versuch, Leute so mit<br />
bestimmten Botschaften zu beschäftigen, dass sie bis zum Großhirn<br />
durchdringen. Beim Verkaufstraining sind das Botschaften,<br />
die mit den Grundlagen der Psychologie zu tun haben.<br />
Viele Verkaufstrainer beziehen Autorität aus der Tatsache, dass<br />
sie selbst einmal gute Verkäufer waren – zumindest versuchen sie<br />
durch Bühnenpräsenz und Rhetorik diesen Eindruck zu vermitteln.<br />
Wem das gelingt, der kann tatsächlich verkaufen, sich selbst<br />
und seine Inhalte, die, so Bottin, „im Grunde banal sind“. In<br />
seiner Rhetorik wimmelt es von Phrasen: Erfolg ist die Summe<br />
der Versuche; es gibt keine schwierigen Kunden, nur unflexible<br />
Verkäufer; es gibt keine schwierigen Verkaufssituationen, nur zu<br />
wenige Werkzeuge in der Toolbox. Die Phrasen stoßen nicht unangenehm<br />
auf. Wir haben gelernt: Ein Redner erzielt 55 Prozent<br />
seiner Wirkung mit der Körpersprache, 38 Prozent mit der Stimmlage<br />
und nur sieben Prozent mit dem Inhalt.<br />
Bottin breitet im Büro in Hamburg die Arme aus und sagt:<br />
„Natürlich muss ein Verkaufs- oder Motivationstrainer Spaß<br />
daran haben, im Mittelpunkt zu stehen. Und natürlich gehört<br />
auch eine große Portion Sendungsbewusstsein dazu. Doch der<br />
Grad zwischen Diva und gutem Redner ist schmal. Man muss<br />
lernen, sein Ego zu zügeln. Die besten Trainer in der Branche sind<br />
für mich diejenigen, die es schaffen, in einer Rede Schritt für Schritt<br />
das Publikum in den Mittelpunkt zu stellen.“ Wenn ein Redner<br />
auf die Bühne kommt, erwarte das Publikum nichts anderes, als<br />
beschallt zu werden. Das sind die Gesetzmäßigkeiten. Einer sendet,<br />
viele empfangen. „Die Kunst besteht für mich darin, den<br />
Zuhörer aus seiner Passivität herauszuholen. Wenn ich ihn auffordere,<br />
ein Gedankenexperiment zu machen und dann eigene<br />
Schlussfolgerungen zu ziehen, schlüpfe ich Schritt für Schritt in<br />
die Rolle des Moderators. Die Rede wird zur Interaktion.“ Und<br />
wenn es gelingt, exemplarisch Impulse aus dem Publikum aufzunehmen,<br />
zum eigenständigen, nicht wiederholbaren Ereignis.<br />
Warum hat Edutainment ausgerechnet im Vertrieb Konjunktur?<br />
Warum geht ein junger Mensch in den Vertrieb? Weil er gut mit<br />
Leuten kann und sich gern unterhält. Wenn Verkäufer vor der<br />
Wahl stehen, ein Gespräch zu führen oder ein Buch zu lesen, entscheiden<br />
sie sich fast immer für das Gespräch. Menschen mit<br />
diesem Profil ziehen auch wenig Nutzen aus komplexen Powerpoint-Folien.<br />
Hinzu kommt: Gute Vertriebler sind sensible Menschen.<br />
Das müssen sie sein, denn nur dann spüren sie, was<br />
Kunden in der jeweiligen Situation wünschen, und reagieren entsprechend.<br />
Die Kehrseite der Medaille ist leider: Verkaufen ist oft<br />
mit Zurückweisung verbunden. Mit der können sensible Menschen<br />
nicht so leicht umgehen.<br />
Vielleicht sind Motivationsveranstaltungen mit hohem Spaßfaktor<br />
im Vertrieb deshalb besonders wichtig. Verkaufstalente<br />
müssen lernen, mit Frustrationserlebnissen umzugehen. Verkaufs -<br />
trainings sind Edutainment-Events für Leute, die fast immer als<br />
Einzelkämpfer unterwegs sind. Denen hilft es, wenn sie, vermittelt<br />
von einem Trainer, in der Gruppe erfahren: Du bist nicht allein<br />
da draußen.<br />
Ein Gespräch mit Thomas Bottin ist wie eine Rede von ihm. Es<br />
ist eine Geschichte in gewünschter Länge. Ein sympathischer<br />
Charakter erzählt, wie er durchs Leben stolpert, aus jedem Stolperer<br />
lernt und sein Gang über die Jahre an Sicherheit gewinnt.<br />
Und im Interview wie auf der Bühne beherrscht er die Kunst, die<br />
der Ökonom und Führungstheoretiker Ron Heifetz von der Harvard<br />
Kennedy School mit einer Metapher vom Balkon und der<br />
Tanzfläche umschreibt: Bottin kann tanzen und dabei gleichzeitig<br />
sich und sein Umfeld von einem Balkon aus beobachten. Über<br />
diese Fähigkeit verfügen fast alle guten Entertainer. Und wie fast<br />
alle guten Entertainer zieht Bottin einen großen Teil seiner Energie<br />
aus dem Zuspruch des Publikums.<br />
„Wenn nur höflich applaudiert wird, ist man enttäuscht. Das<br />
höchste Lob für mich ist hingegen, wenn einer sagt: ‚Ich habe gar<br />
nicht gemerkt, wie die 90 Minuten vergangen sind.‘ Wie bei<br />
einem guten Fußballspiel. Oder wie bei einem guten Konzert.<br />
Oder bei jedem anderen guten Event.“ -<br />
BRAND EINS 02/11<br />
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