Das Versagen der Finanzmärkte – und die Lehren daraus - HWWI
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Redaktionelle Beilage Nr. 129<br />
15<br />
werden, um <strong>die</strong> öffentlichen<br />
Haushalte zu sanieren, wird das<br />
wie<strong>der</strong>um <strong>die</strong> Kaufkraft <strong>der</strong> privaten<br />
Haushalte <strong>und</strong> <strong>die</strong> Investitionsmöglichkeiten<br />
<strong>der</strong> Unternehmen<br />
beschränken.<br />
In <strong>der</strong> Summe zeigt sich ein<br />
klares Bild: Die historisch starken<br />
Wachstumskräfte sind geschwächt.<br />
Neue dynamische<br />
Impulse werden durch teurere<br />
Kredite <strong>und</strong> strengere Regeln<br />
gebremst. Der Motor <strong>der</strong> Weltwirtschaft<br />
stottert. Eher werden<br />
verkrustete Strukturen geschützt,<br />
statt <strong>die</strong> Mo<strong>der</strong>nisierung<br />
geför<strong>der</strong>t. <strong>Das</strong> Tempo <strong>der</strong><br />
wirtschaftlichen Entwicklung<br />
wird sich verlangsamen. Weniger<br />
Wachstum bedeutet aber<br />
mehr Probleme, mehr Unsicherheit<br />
<strong>und</strong> damit stärkere<br />
Schwankungen. <strong>Das</strong> wird <strong>die</strong><br />
neue Normalität <strong>der</strong> Weltwirtschaft<br />
nach <strong>der</strong> Finanzmarktkrise<br />
sein.<br />
Die <strong>Lehren</strong> aus <strong>der</strong> Krise<br />
Globalisierung <strong>und</strong> Strukturwandel<br />
haben <strong>die</strong> Wirtschaft<br />
von heute radikal verän<strong>der</strong>t.<br />
Wasfrühermehro<strong>der</strong>weniger<br />
abgeschlossene Wirtschaftsräume<br />
waren, sind heute offene,<br />
weltweit eng verflochtene<br />
Märkte mit global agierenden<br />
Spielern geworden. Nationaler<br />
Politik kommt nur noch eine<br />
nachrangigeRollezu.Aus<strong>der</strong><br />
Nationalökonomie ist eine<br />
Weltökonomie geworden.<br />
Der globalen statt nationalen<br />
Zum Autor<br />
Thomas<br />
Straubhaar<br />
Der aus<br />
Burgdorf<br />
stammende<br />
Thomas<br />
Straubhaar ist<br />
Direktor <strong>und</strong><br />
Sprecher <strong>der</strong><br />
Geschäftsführung<br />
des Hamburgischen<br />
Weltwirtschaftsinstituts<br />
(<strong>HWWI</strong>) <strong>und</strong> Universitätsprofessor<br />
für<br />
Volkswirtschaftslehre<br />
an <strong>der</strong> Universität<br />
Hamburg.<br />
Die historisch<br />
starken<br />
Wachstumskräfte<br />
sind<br />
geschwächt.<br />
Dimension entsprechend, steigt<br />
<strong>die</strong> Komplexität auf allen Ebenen<br />
<strong>–</strong> politisch, gesellschaftlich<br />
<strong>und</strong> wirtschaftlich <strong>–</strong> nicht zuletzt,<br />
weil das Tempo von Verän<strong>der</strong>ung<br />
<strong>und</strong> Anpassung für<br />
soziale <strong>und</strong> ökonomische Prozesse<br />
unterschiedlich ist. In <strong>der</strong><br />
Wirtschaft geht alles rasend<br />
schnell. Tageswerte <strong>und</strong> Quartalsbilanzen<br />
geben den Takt vor.<br />
In <strong>der</strong> Politik bremsen (Wut-)<br />
Bürger <strong>die</strong> Geschwindigkeit <strong>der</strong><br />
Anpassung. Wahlzyklen bestimmten<br />
das Verhalten von Regierungen<br />
<strong>und</strong> Opposition. Gesellschaften<br />
benötigen jedoch<br />
Generationen, um Mentalitäten<br />
zu verän<strong>der</strong>n. In <strong>die</strong>ser komplexer<br />
gewordenen Gemengelage<br />
gibt es weniger denn je einfache<br />
Patentrezepte für neue Herausfor<strong>der</strong>ungen.<br />
Falsches Modell wird «wahr»<br />
Über Jahrzehnte dominierte<br />
in <strong>der</strong> Ökonomik <strong>die</strong> Überzeugung,<br />
dass auf <strong>Finanzmärkte</strong>n<br />
Effizienz <strong>die</strong> Regel <strong>und</strong> Marktversagen<br />
<strong>die</strong> Ausnahme sei. Die<br />
Deregulierung <strong>der</strong> <strong>Finanzmärkte</strong><br />
in den letzten Jahrzehnten<br />
gründete auf eben <strong>die</strong>ser «Effizienzmarkthypothese»:<br />
Börsenkurse<br />
würden stets alle verfügbaren<br />
Informationen rational<br />
<strong>und</strong> richtig wi<strong>der</strong>spiegeln. Neue<br />
Informationen führten zu einer<br />
sofortigen Anpassung.<br />
Die Finanzmarktkrise hat <strong>die</strong><br />
Effizienzmarkthypothese mit aller<br />
Brutalität als falsch entlarvt.<br />
Wie bei <strong>der</strong> Suche nach «Germany’s<br />
Next Top Model» treiben<br />
Erwartungen über <strong>die</strong> Erwartungen<br />
aller an<strong>der</strong>en Akteure<br />
das Verhalten auf <strong>Finanzmärkte</strong>n.<br />
Daraus erwächst eine immanente<br />
Neigung zu Herdenverhalten<br />
<strong>und</strong> selbsterfüllen<strong>der</strong><br />
Prophezeiung: Erwarten <strong>die</strong><br />
Marktakteure einen steigenden<br />
Preis, lockt <strong>die</strong>s Spekulanten an,<br />
<strong>die</strong> auf steigende Preise wetten.<br />
Dadurch steigt <strong>der</strong> Preis tatsächlich<br />
<strong>und</strong> <strong>die</strong> anfänglichen Erwartungenwerdenexpostgerechtfertigt,<br />
was wie<strong>der</strong>um neue<br />
Spekulanten anzieht. Wenn alle<br />
Akteure an das falsche Modell<br />
glauben, wird <strong>die</strong>ses scheinbar<br />
«wahr». Diese Eigendynamik in<br />
Verbindung mit emotionaler<br />
Panik, automatischen Verhaltensregeln,<br />
Eigeninteresse <strong>und</strong><br />
mikroökonomisches Gewinnstreben<br />
von Anlegern, Händlern,<br />
Ratingagenturen <strong>und</strong> Finanzinstituten<br />
haben auf den<br />
zu stark <strong>der</strong>egulierten <strong>Finanzmärkte</strong>n<br />
in den letzten Jahren<br />
f<strong>und</strong>amentale gesamtwirtschaftliche<br />
Krisen ausgelöst.<br />
Insbeson<strong>der</strong>e das Tempo <strong>der</strong><br />
<strong>Finanzmärkte</strong> <strong>–</strong> beispielsweise<br />
beim Hochgeschwindigkeitshandel<br />
von Devisentransaktionen<br />
<strong>–</strong> läuft mit <strong>der</strong> Geschwindigkeit<br />
<strong>der</strong> Abläufe <strong>und</strong> Verän<strong>der</strong>ungen<br />
in <strong>der</strong> realen Wirtschaft<br />
nicht (mehr) synchron. <strong>Das</strong><br />
schadet <strong>der</strong> realen Wirtschaft,<br />
<strong>die</strong> sich niemals so schnell anpassen<br />
kann. Statt Schmieröl <strong>der</strong><br />
realen Wirtschaft zu sein <strong>und</strong> für<br />
einen reibungslosen Ablauf von<br />
Markttransaktionen zu sorgen,<br />
treiben <strong>die</strong> <strong>Finanzmärkte</strong> <strong>die</strong><br />
Güter-, Arbeits- <strong>und</strong> Kapitalmärkte<br />
wie einen Spielball vor<br />
sich her. <strong>Das</strong> wäre dann kein<br />
makroökonomisches Problem,<br />
son<strong>der</strong>n sogar eine nützliche Informationshilfe,<br />
wenn <strong>Finanzmärkte</strong><br />
effizient wären. <strong>Das</strong> sind<br />
sieabernicht.Vielmehristein<br />
<strong>Versagen</strong> <strong>die</strong> Regel <strong>und</strong> eben<br />
nicht <strong>die</strong> Ausnahme.