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Das Versagen der Finanzmärkte – und die Lehren daraus - HWWI

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Dienstag, 5. Juni 2012<br />

14 wirtschaft & konjunktur kommen. Die Zeiten, in denen<br />

Thomas Straubhaar<br />

<strong>Das</strong> <strong>Versagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Finanzmärkte</strong><br />

<strong>–</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>Lehren</strong> <strong>daraus</strong><br />

In den nächsten<br />

Jahren wird das<br />

Wachstum <strong>der</strong><br />

Weltwirtschaft<br />

abnehmen.<br />

<strong>Das</strong>istnureine<br />

<strong>der</strong> negativen<br />

Folgen <strong>der</strong><br />

Finanzmarktkrise.<br />

THOMAS STRAUBHAAR<br />

Griechenland <strong>und</strong> kein<br />

Ende. Mit voller<br />

Wucht schlägt<br />

<strong>die</strong> Staatsschuldenkrise<br />

zurück. Die Wahrscheinlichkeit,<br />

dass <strong>die</strong> Griechen den Euro-Raum<br />

verlassen, ist höher als<br />

jemals zuvor. <strong>Das</strong> zeigt, dass <strong>die</strong><br />

Folgen <strong>der</strong> Finanzmarktkrise<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong>en Nachbeben noch<br />

lange nicht ausgestanden sind.<br />

Die Finanzmarktkrise ist eine<br />

wirtschaftshistorische Zäsur. Sie<br />

teilt <strong>die</strong> ökonomische Tektonik<br />

<strong>der</strong> Weltwirtschaft in zwei Phasen.<br />

Vor dem Crash zeigt sich<br />

eine r<strong>und</strong> 50 Jahre lange Periode<br />

des mehr o<strong>der</strong> weniger ununterbrochenen,<br />

immer steiler werdenden<br />

Aufstiegs zu höchsten<br />

Höhen des wirtschaftlichen <strong>Das</strong>eins.<br />

<strong>Das</strong> erfreuliche Ergebnis:<br />

NochniegingessovielenMenschen<br />

so gut wie heute.<br />

Nach <strong>der</strong> Finanzmarktkrise<br />

dürfte nun eine nicht kurze<br />

Phase des zähen, beschwerlichen<br />

<strong>und</strong> vergleichsweise langsamen<br />

Weiterkommens folgen.<br />

Die Folge: <strong>die</strong> Überwindung<br />

von Massenarmut, Not <strong>und</strong><br />

Elend wird schwieriger. Die Verteilungskämpfe<br />

dürften härter<br />

werden. Denn richtig ist auch:<br />

Noch nie haben so viele Menschen<br />

mit so wenig überleben<br />

müssen wie heute.<br />

mit wenig Eigenkapital viel<br />

günstiges Fremdkapital zu erhalten<br />

war, dürften für eine<br />

ganze Weile lang vorbei sein.<br />

Fremdkapital wird höhere Risikoprämien<br />

<strong>und</strong> mehr Eigenkapitalbeteiligung<br />

einfor<strong>der</strong>n. Als<br />

Folge werden viele bis anhin finanzierbare<br />

Investitionsprojekte<br />

Neugründungen<br />

dürften es schwer<br />

haben, schnell<br />

zu Wagniskapital<br />

zu kommen.<br />

unattraktiv. Kleine Hinterhoffirmen,<br />

Tüftler <strong>und</strong> Neugründungen<br />

dürften es beson<strong>der</strong>s schwer<br />

haben, schnell, unbürokratisch<br />

<strong>und</strong> günstig zu Wagniskapital zu<br />

kommen. Dadurch werden<br />

<strong>die</strong> Innovationsgeschwindigkeit<br />

<strong>und</strong> das wirtschaftliche Wachstum<br />

verlangsamt.<br />

Zweitens wird <strong>der</strong> Staat als<br />

Nachfrager <strong>und</strong> Geldgeber eine<br />

Bremserrolle spielen. Die staat-<br />

heutzutage weit stabiler als zu<br />

Zeiten <strong>der</strong> grossen Depression<br />

in <strong>der</strong> Zwischenkriegszeit des<br />

letzten Jahrhun<strong>der</strong>ts. <strong>Das</strong> heutige<br />

Niveau des durchschnittlichen<br />

Lebensstandards ist unvergleichlich<br />

höher. Die sozialpolitischen<br />

Sicherungsnetze<br />

sind tragfähiger. Deshalb führen<br />

<strong>die</strong> pessimistischen Weltuntergangsszenarien<br />

so in <strong>die</strong> Irre.<br />

Die schlechte Nachricht verkündet,<br />

dass <strong>die</strong> nächsten Jahre<br />

aus verschiedenen Gründen<br />

schwierig werden. Erstens hat<br />

<strong>die</strong> Finanzmarktkrise <strong>und</strong> in<br />

Europa <strong>die</strong> immer noch längst<br />

nicht bewältigte Staatsschuldenproblematik<br />

zu gigantischen<br />

Verlusten <strong>und</strong> Abschreibungen<br />

<strong>und</strong> damit einer beträchtlichen<br />

Wertberichtigung geführt. <strong>Das</strong><br />

verringert <strong>die</strong> Hebel, mit denen<br />

Fremdkapital gestemmt werden<br />

kann. <strong>Das</strong> gilt für <strong>die</strong> Banken, <strong>die</strong><br />

weniger Fremdkapital vergeben<br />

können <strong>–</strong> auch weil sie künftig<br />

höhere Eigenkapitalquoten als<br />

Sicherheit vorhalten müssen. Es<br />

gilt für <strong>die</strong> Unternehmen, <strong>die</strong> ihrerseits<br />

mehr Eigenkapital benötigen,<br />

um an Kredite heranzulichen<br />

Schuldenberge sind <strong>und</strong><br />

bleiben gigantisch. Noch sind<br />

<strong>die</strong> Zinsen niedrig, zu denen<br />

sich<strong>der</strong>StaatdasGeldaufden<br />

<strong>Finanzmärkte</strong>n beschaffen<br />

kann.<br />

Weniger Geld vorhanden<br />

Was aber, wenn eines Tages<br />

<strong>die</strong> Zinsen wie<strong>der</strong> steigen werden?<br />

Dann kommt es für <strong>die</strong><br />

hochverschuldeten Volkswirtschaften<br />

zu einer dramatischen<br />

Schuldenfalle. In Südeuropa<br />

<strong>und</strong> beson<strong>der</strong>s in Griechenland<br />

kann man das exemplarisch<br />

verfolgen. Ein immer grösserer<br />

Teil <strong>der</strong> Staatseinnahmen wird<br />

für Zinsen zu verwenden sein.<br />

Staatliche Handlungsspielräume<br />

werden sich zunehmend<br />

verengen. Für Bildung, Ges<strong>und</strong>heit<br />

o<strong>der</strong> Infrastruktur wird weniger<br />

staatliches Geld zur Verfügung<br />

stehen <strong>–</strong> oft weniger als<br />

nötig, um das Mindeste finanzieren<br />

zu können. <strong>Das</strong> sind<br />

keine guten Aussichten für <strong>die</strong><br />

Bevölkerung. Denn <strong>die</strong> Schulden<br />

von heute bleiben <strong>die</strong><br />

Steuern von morgen. Müssen<br />

Steuern <strong>und</strong> Abgaben erhöht<br />

Kapital wird teurer<br />

Mit den Konsequenzen <strong>der</strong><br />

Finanzmarktkrise sind eine gute<br />

<strong>und</strong> eine schlechte Nachricht<br />

verb<strong>und</strong>en. Die gute Botschaft<br />

lautet: Die Weltwirtschaft ist<br />

nicht untergegangen. Ganz offensichtlich<br />

sind global hoch<br />

vernetzte Volkswirtschaften


Redaktionelle Beilage Nr. 129<br />

15<br />

werden, um <strong>die</strong> öffentlichen<br />

Haushalte zu sanieren, wird das<br />

wie<strong>der</strong>um <strong>die</strong> Kaufkraft <strong>der</strong> privaten<br />

Haushalte <strong>und</strong> <strong>die</strong> Investitionsmöglichkeiten<br />

<strong>der</strong> Unternehmen<br />

beschränken.<br />

In <strong>der</strong> Summe zeigt sich ein<br />

klares Bild: Die historisch starken<br />

Wachstumskräfte sind geschwächt.<br />

Neue dynamische<br />

Impulse werden durch teurere<br />

Kredite <strong>und</strong> strengere Regeln<br />

gebremst. Der Motor <strong>der</strong> Weltwirtschaft<br />

stottert. Eher werden<br />

verkrustete Strukturen geschützt,<br />

statt <strong>die</strong> Mo<strong>der</strong>nisierung<br />

geför<strong>der</strong>t. <strong>Das</strong> Tempo <strong>der</strong><br />

wirtschaftlichen Entwicklung<br />

wird sich verlangsamen. Weniger<br />

Wachstum bedeutet aber<br />

mehr Probleme, mehr Unsicherheit<br />

<strong>und</strong> damit stärkere<br />

Schwankungen. <strong>Das</strong> wird <strong>die</strong><br />

neue Normalität <strong>der</strong> Weltwirtschaft<br />

nach <strong>der</strong> Finanzmarktkrise<br />

sein.<br />

Die <strong>Lehren</strong> aus <strong>der</strong> Krise<br />

Globalisierung <strong>und</strong> Strukturwandel<br />

haben <strong>die</strong> Wirtschaft<br />

von heute radikal verän<strong>der</strong>t.<br />

Wasfrühermehro<strong>der</strong>weniger<br />

abgeschlossene Wirtschaftsräume<br />

waren, sind heute offene,<br />

weltweit eng verflochtene<br />

Märkte mit global agierenden<br />

Spielern geworden. Nationaler<br />

Politik kommt nur noch eine<br />

nachrangigeRollezu.Aus<strong>der</strong><br />

Nationalökonomie ist eine<br />

Weltökonomie geworden.<br />

Der globalen statt nationalen<br />

Zum Autor<br />

Thomas<br />

Straubhaar<br />

Der aus<br />

Burgdorf<br />

stammende<br />

Thomas<br />

Straubhaar ist<br />

Direktor <strong>und</strong><br />

Sprecher <strong>der</strong><br />

Geschäftsführung<br />

des Hamburgischen<br />

Weltwirtschaftsinstituts<br />

(<strong>HWWI</strong>) <strong>und</strong> Universitätsprofessor<br />

für<br />

Volkswirtschaftslehre<br />

an <strong>der</strong> Universität<br />

Hamburg.<br />

Die historisch<br />

starken<br />

Wachstumskräfte<br />

sind<br />

geschwächt.<br />

Dimension entsprechend, steigt<br />

<strong>die</strong> Komplexität auf allen Ebenen<br />

<strong>–</strong> politisch, gesellschaftlich<br />

<strong>und</strong> wirtschaftlich <strong>–</strong> nicht zuletzt,<br />

weil das Tempo von Verän<strong>der</strong>ung<br />

<strong>und</strong> Anpassung für<br />

soziale <strong>und</strong> ökonomische Prozesse<br />

unterschiedlich ist. In <strong>der</strong><br />

Wirtschaft geht alles rasend<br />

schnell. Tageswerte <strong>und</strong> Quartalsbilanzen<br />

geben den Takt vor.<br />

In <strong>der</strong> Politik bremsen (Wut-)<br />

Bürger <strong>die</strong> Geschwindigkeit <strong>der</strong><br />

Anpassung. Wahlzyklen bestimmten<br />

das Verhalten von Regierungen<br />

<strong>und</strong> Opposition. Gesellschaften<br />

benötigen jedoch<br />

Generationen, um Mentalitäten<br />

zu verän<strong>der</strong>n. In <strong>die</strong>ser komplexer<br />

gewordenen Gemengelage<br />

gibt es weniger denn je einfache<br />

Patentrezepte für neue Herausfor<strong>der</strong>ungen.<br />

Falsches Modell wird «wahr»<br />

Über Jahrzehnte dominierte<br />

in <strong>der</strong> Ökonomik <strong>die</strong> Überzeugung,<br />

dass auf <strong>Finanzmärkte</strong>n<br />

Effizienz <strong>die</strong> Regel <strong>und</strong> Marktversagen<br />

<strong>die</strong> Ausnahme sei. Die<br />

Deregulierung <strong>der</strong> <strong>Finanzmärkte</strong><br />

in den letzten Jahrzehnten<br />

gründete auf eben <strong>die</strong>ser «Effizienzmarkthypothese»:<br />

Börsenkurse<br />

würden stets alle verfügbaren<br />

Informationen rational<br />

<strong>und</strong> richtig wi<strong>der</strong>spiegeln. Neue<br />

Informationen führten zu einer<br />

sofortigen Anpassung.<br />

Die Finanzmarktkrise hat <strong>die</strong><br />

Effizienzmarkthypothese mit aller<br />

Brutalität als falsch entlarvt.<br />

Wie bei <strong>der</strong> Suche nach «Germany’s<br />

Next Top Model» treiben<br />

Erwartungen über <strong>die</strong> Erwartungen<br />

aller an<strong>der</strong>en Akteure<br />

das Verhalten auf <strong>Finanzmärkte</strong>n.<br />

Daraus erwächst eine immanente<br />

Neigung zu Herdenverhalten<br />

<strong>und</strong> selbsterfüllen<strong>der</strong><br />

Prophezeiung: Erwarten <strong>die</strong><br />

Marktakteure einen steigenden<br />

Preis, lockt <strong>die</strong>s Spekulanten an,<br />

<strong>die</strong> auf steigende Preise wetten.<br />

Dadurch steigt <strong>der</strong> Preis tatsächlich<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> anfänglichen Erwartungenwerdenexpostgerechtfertigt,<br />

was wie<strong>der</strong>um neue<br />

Spekulanten anzieht. Wenn alle<br />

Akteure an das falsche Modell<br />

glauben, wird <strong>die</strong>ses scheinbar<br />

«wahr». Diese Eigendynamik in<br />

Verbindung mit emotionaler<br />

Panik, automatischen Verhaltensregeln,<br />

Eigeninteresse <strong>und</strong><br />

mikroökonomisches Gewinnstreben<br />

von Anlegern, Händlern,<br />

Ratingagenturen <strong>und</strong> Finanzinstituten<br />

haben auf den<br />

zu stark <strong>der</strong>egulierten <strong>Finanzmärkte</strong>n<br />

in den letzten Jahren<br />

f<strong>und</strong>amentale gesamtwirtschaftliche<br />

Krisen ausgelöst.<br />

Insbeson<strong>der</strong>e das Tempo <strong>der</strong><br />

<strong>Finanzmärkte</strong> <strong>–</strong> beispielsweise<br />

beim Hochgeschwindigkeitshandel<br />

von Devisentransaktionen<br />

<strong>–</strong> läuft mit <strong>der</strong> Geschwindigkeit<br />

<strong>der</strong> Abläufe <strong>und</strong> Verän<strong>der</strong>ungen<br />

in <strong>der</strong> realen Wirtschaft<br />

nicht (mehr) synchron. <strong>Das</strong><br />

schadet <strong>der</strong> realen Wirtschaft,<br />

<strong>die</strong> sich niemals so schnell anpassen<br />

kann. Statt Schmieröl <strong>der</strong><br />

realen Wirtschaft zu sein <strong>und</strong> für<br />

einen reibungslosen Ablauf von<br />

Markttransaktionen zu sorgen,<br />

treiben <strong>die</strong> <strong>Finanzmärkte</strong> <strong>die</strong><br />

Güter-, Arbeits- <strong>und</strong> Kapitalmärkte<br />

wie einen Spielball vor<br />

sich her. <strong>Das</strong> wäre dann kein<br />

makroökonomisches Problem,<br />

son<strong>der</strong>n sogar eine nützliche Informationshilfe,<br />

wenn <strong>Finanzmärkte</strong><br />

effizient wären. <strong>Das</strong> sind<br />

sieabernicht.Vielmehristein<br />

<strong>Versagen</strong> <strong>die</strong> Regel <strong>und</strong> eben<br />

nicht <strong>die</strong> Ausnahme.

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