Konzeptpapier - Perry Jordan
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Kreativer Arbeits- und Gesundheitsschutz<br />
<strong>Perry</strong> <strong>Jordan</strong><br />
Mitarbeiter erfolgreicher Unternehmen arbeiten im Team, auch<br />
in der Prävention – Kreativer Arbeits- und Gesundheitschutz als<br />
Impulsgeber für die Unternehmensentwicklung<br />
Kreativität im Arbeits- und Gesundheitsschutz ist mehr denn je erforderlich, um die aktuellen und<br />
zukünftigen Herausforderungen in der Arbeitswelt, die sich hinter Begriffen wie Globalisierung, demografische<br />
Entwicklung, Innovationsoffensive und Arbeitsfähigkeitsindex verstecken, zu bewältigen, um<br />
Unfälle und Krankheiten zu vermeiden bzw. die Gesundheit der Beschäftigten präventiv zu fördern.<br />
Was ist aber eigentlich Kreativität? Zum Stichwort „Kreativität“ finder man u.a. diese Bedeutungen:<br />
schöpferisch, einfallsreich, erfinderisch, geistreich, ideenreich, künstlerisch, phantasievoll, produktiv,<br />
originell, genial, witzig. „Kreativität – das ist nicht nur die spontane, ungewöhnliche Idee, die künstlerische<br />
Begabung oder das Meisterwerk. Kreativ ist jeder Mensch, wenn er seinen Alltag bewältigt. Das<br />
gelingt ihm um so besser, je mehr er in der Lage ist, umzudenken, Situationen neu zu interpretieren –<br />
und je grösser seine Zielstrebigkeit und Ausdauer ist“ (Linke, 2003).<br />
Es geht dabei eben nicht um die ständige Schaffung von etwas Neuem, sondern ebenso um die kritische<br />
Sicht auf das „Alte“ und seine schöpferische Zerstörung. Der russische Avantegardekünstler<br />
Rodtschenko hat dazu gesagt „um den Menschen zu lehren, von neuen Blickpunkten aus zu sehen,<br />
ist es unerläßlich, die alltäglichen, ihm wohlbekannten Dinge von völlig ungewohnten Blickpunkten aus<br />
und in unerwarteten Situationen aufzunehmen, die neuen Gegenstände aber von verschiedenen<br />
Blickpunkten aus, um dem Menschen eine vollständige Vorstellung vom Gegenstand zu geben.“<br />
(Rodtschenko, 1993)<br />
Ich habe bei Dorothee Sölle (1990) eine interessante Auffassung von Arbeit aus ethisch-theologischer<br />
Sicht gefunden, die ich hier als Herausforderung für die Kreativität des Arbeits- und Gesundheitsschutz,<br />
immer wieder neue Möglichkeiten für die Gestaltung guter Arbeit zu finden bzw. sich beharrlich sich für<br />
die Gestaltung guter Arbeit einzusetzen, darstellen möchte.<br />
Gute Arbeit<br />
... eröffnet Chancen, die menschlichen Fähigkeiten zu nutzen und weiterzuentwickeln,<br />
... läßt Menschen ihre schöpferischen Kräfte benutzen, um sich in ihren Taten auszudrücken,<br />
etwas zu erfinden, eine ungewöhnliche Problemlösung zu sehen oder eine neue Art der<br />
Organisation der Arbeit auszuprobieren,<br />
... vermittelt neue Erfahrungen und das Gefühl, gebraucht zu werden,<br />
... läßt Menschen zueinander in Beziehung treten,<br />
... ist kooperatives Arbeiten und Lernen,<br />
... bewegt Körper und Geist und erheitert die Sinne,<br />
... erhält den Menschen gesund.<br />
Ist der Arbeits- und Gesundheitsschutz in Deutschland, gemessen an diesen Kriterien, derzeit kreativ<br />
bzw. gibt es Anzeichen für eine derartige Kreativität? Der Leser möge diese Frage für sich selbst beantworten.<br />
Ich habe durch meine Arbeit den Eindruck gewonnen, dass der Arbeits- und Gesundheitsschutz,<br />
d.h. seine Konzepte, Schemata, Verfahren und Werkzeuge, oft immer noch einem mechanistischen<br />
Denken verhaftet ist (aber natürlich nicht nur er), das gekennzeichnet ist durch „das Ideal<br />
unbeschränkter Machbarkeit und der vollständigen Kontrolle, das bewusst-willentliche Erzwingenwollen,<br />
das Anstreben technischer Perfektion und strikter Regelbefolgung, prinzipielle Veränderbarkeit<br />
eines jeden Übel“ (Hansch & Haken, 2004).<br />
Probleme ergeben sich daraus nicht nur für die Wirksamkeit und Akzeptanz des Arbeits- und Gesundheitsschutzes,<br />
sondern auch für seine Kreativität, effektive Lösungen für neu auftauchende Probleme<br />
zu finden bzw. bereits prospektiv Problemlösungen zu entwickeln, nicht zuletzt auch für seine ideelle<br />
Begeisterungsfähigkeit und gesellschaftliche Gestaltungsfähigkeit.<br />
1
Kreativer Arbeits- und Gesundheitsschutz<br />
Einige Ursachen möchte ich aus meiner Sicht benennen:<br />
a) Arbeits- und Gesundheitsschutz ist immer noch oft risikobezogen (Belastungen, Defizite, Risiken<br />
erkennen und vermeiden bzw. reduzieren) und verfolgt damit eher eine passive Strategie.<br />
b) Arbeits- und Gesundheitsschutz arbeitet methodisch immer noch oft technokratisch (Prinzip<br />
Wiegen-Zählen-Messen bzw. Abarbeiten von Checklisten und Rating-Fragebögen) bzw. expertenorientiert<br />
(Wissens- und Kompetenzträger sind die Fachkräfte für Arbeitssicherheit, die<br />
Arbeitswissenschaftler usw.), im Vordergrund steht die Objektbetrachtung (Objektivität) die „große<br />
Zahl“ bzw. der Typenarbeitsplatz (was ist eigentlich objektiv an einer Verfahrensweise, die subjektiv<br />
von Einzelpersonen angewendet wird und sind 45 % Nennungen wirklich weniger relevant als<br />
75 % Nennungen?).<br />
c) Arbeits- und Gesundheitsschutz folgt immer noch oft keinem systematischen Analyse- und<br />
Gestaltungskonzept, d.h. entweder wird die Strategie „Alles oder nichts“ gefahren oder es werden<br />
nur bestimmte Aspekte oder Arbeitsbereiche bearbeitet, bei denen man sich „auskennt“ oder die<br />
sicherheitsrelevant sind und die Aufmerksamkeit der Gewerbeaufsicht bzw. der BG beanspruchen.<br />
Das Wirken des Arbeits- und Gesundheitsschutzes ist ausserdem oft noch begrenzt<br />
„klassisch“ arbeitsschutzorientiert (d.h. auf die Vermeidung von Arbeitsunfällen ausgerichtet).<br />
d) Arbeits- und Gesundheitsschutz ist immer noch oft Einzelkämpfertum, ein Sache von wenigen<br />
Spezialisten oder Enthusiasten, oft auf sich allein gestellt, ohne Anknüpfung anderer Fachabteilungen<br />
(z.B. Personal, Qualitätsmanagement), die sich mitunter auch mit nur einem bestimmten<br />
Thema spezialisiert haben. Der Arbeits- und Gesundheitsschutz ist oft nicht in dem Maße und der<br />
Qualität in die Unternehmenspolitik und Unternehmensstruktur eingebettet, wie es seine komplexe<br />
Querschnitts- und Spezialaufgaben und seine Verantwortung eigentlich erforderlich machen.<br />
Im Gegenteil, er muß mancherorts um seine Existenzberechtigung kämpfen, steht unter Legitimationszwang.<br />
Arbeits- und Gesundheitsschutz vermag aus diesen Gründen auch nicht seinen<br />
Beitrag zum Unternehmenserfolg bzw. zu einer nachhaltigen Unternehmensführung (Schutz und<br />
Förderung der Humanressourcen), etwa im Zusammenhang mit Basel II zu benennen bzw. zu<br />
verdeutlichen. Zum Teil liegt es auch daran, das auch andere betriebliche Abteilungen oder Akteure<br />
„Arbeitsschutzleistungen“ erbringen, die aber nicht so heissen oder so deklariert oder abgerechnet<br />
werden. Das Problem liegt m.E. in der Deklaration des Arbeits- und Gesundheitsschutzes<br />
als etwas Besonderes, was eine gleiche Aufgabe darstellt wie etwa das Marketing, der Einkauf<br />
oder die Fertigung. Es fehlt das Verständnis für eine ganzheitliche Sicht- und Handlungsweise,<br />
das im Prinzip alle Vorgänge im Unternehmen arbeits- und gesundheitsschutzrelevant sind.<br />
Einzelkämpfer<br />
Sicherheitsfachkraft<br />
Einzelkämpfer<br />
Außerbetriebl. Dienst<br />
Gesunde<br />
Mitarbeiter?<br />
Prozess-<br />
Innovationen?<br />
Einzelkämpfer<br />
Betriebsrat<br />
Erfolgreiche<br />
Prävention?<br />
Einzelkämpfer<br />
Unternehmer<br />
Einzelkämpfer<br />
Betriebsarz<br />
t<br />
Kompetente<br />
Mitarbeiter?<br />
Einzelkämpfer<br />
Engagierter Kollege<br />
Zufriedene<br />
Firmenkunden?<br />
e) Wenn Arbeits- und Gesundheitsschutz nur als Pflicht angesehen wird, begeistert er auch nicht,<br />
sondern wird eben auch nur als „Pflichtübung“ abgearbeitet. Eigentlich bieten sich nach dem Arbeitsschutzgesetz,<br />
wenn man nur einmal die Präambel hernimmt, vielfältige attraktive neue<br />
Handlungsfelder für den Arbeits- und Gesundheitsschutz alle Unternehmensbereiche und -<br />
aktivitäten umfassend. Der Arbeits- und Gesundheitsschutz ist aber nicht auf diese umfangreichen<br />
Gestaltungsaufgaben, besonders die Aspekte der Arbeitsorganisation und der sozialen Beziehungen<br />
betreffend, nicht gut vorbereitet, sowohl was die Ausbildung angeht als auch hinsichtlich der<br />
Arbeitsbedingungen bzw. der Handlungsmöglichkeiten der Arbeitsschutzakteure.<br />
2
Kreativer Arbeits- und Gesundheitsschutz<br />
Diese sind oft durch die gleichen Defizite gekennzeichnet, die u.U. auch andere Tätigkeiten im Unternehmen<br />
aufweisen – wenig Spielräume, mangelnde technische und organisatorische Ressourcen,<br />
wenig soziale Unterstützung, Transparenz und Feedback, keine Beteiligung an Planungs- und Gestaltungsprozessen,<br />
unzureichende Kooperation und Kommunikation usw., die zu Überforderung oder<br />
Unterforderung führen können. Arbeitsgestaltung fängt beim Arbeitsgestalter an; wenn Arbeitsschutzakteure<br />
ihre eigene Arbeit nur unter unzureichenden Bedingungen ausführen müssen – wie<br />
sollen sie dann ihrer eigenen Aufgabe gerecht werden, Führungskräfte und Mitarbeiter für die Belange<br />
des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu motivieren und zu qualifizieren bzw. sinnstiftend, moderierend<br />
und gestalterisch tätig zu werden? Kreativität kann so nicht entstehen.<br />
3
Kreativer Arbeits- und Gesundheitsschutz<br />
Gibt es Aussicht auf Veränderungen, auf Verbesserungen? Gibt es Lösungen?<br />
Meines Erachtens ist es vordringlich im Unternehmen, und nur dort kann es fruchtbar geschehen,<br />
einen kommunikativen Verständigungsprozess anzustrengen, der in seinem Resultat zu einem gemeinsamen<br />
Abbild über Ziele und Wege führen muß: Welche Arbeit wollen wir? Wie wollen wir arbeiten?<br />
Was wollen wir nicht? Auch wenn das platt klingen mag, diese Werte- und Leitbilddiskussion<br />
muß geführt werden! Veränderungen können nicht angewiesen werden, sondern sind angewiesen auf<br />
Einsicht und Beteiligung.<br />
Kompetenz- und<br />
Gesundheits-<br />
Förderung der<br />
Mitarbeiter<br />
Wirtschaftskraft<br />
und permanente<br />
Innovationen<br />
Unterneh<br />
mensfüh<br />
rung<br />
Soziale<br />
Verantwortung<br />
gegenüber dem<br />
Gemeinwesen<br />
Unternehmensphilosophie/<br />
Einzigartigkeit<br />
Erfolgreiche<br />
Bewältigung von<br />
Herausforderungen<br />
Unternehmenskultur<br />
Arbeits- und Gesundheitsschutz muss sich daher stärker auf die Erlebnis- und Erfahrungswelt der<br />
Beschäftigten einzulassen und die Mitarbeiter in die Gestaltung eines lebendigen Arbeits- und Gesundheitsschutzes<br />
als gleichermaßen Wissens- und Kompetenzträger aktiv einzubeziehen. Er sollte<br />
weniger akademische Diskussionen über geeignete Analyseverfahren führen, sondern sich mehr auf<br />
die Umsetzung der Analyseergebnisse und die Gestaltung des Veränderungsprozesses konzentrieren.<br />
Er sollte sich neben dem Aufspüren und Reduzieren von Defiziten vor allem am Erkennen und<br />
Ausbauen von Potenzialen bzw. Ressourcen der Unternehmen und ihrer Mitarbeiter widmen und damit<br />
stärker proaktiv agieren (salutogenetischer Ansatz), d.h. er sollte sich nicht nur um den Abbau von<br />
Belastungen, sondern auch um das Erleben von Freude bzw. Genugtuung an der Arbeit und die Freisetzung<br />
von Kreativität in der Arbeit kümmern.<br />
Mitarbeiter sind zu befähigen, aktiv Belastungen und Veränderungen bewältigen zu können. Unternehmen<br />
sind zu befähigen, Anforderungen bewältigbar zu formulieren, Lern- und Veränderungskompetenzen<br />
zu vermitteln und sich in Selbstreflexion zu üben. Die Gestaltung der Unternehmenskultur<br />
hat dabei eine hohe Priorität, weil sie maßgebliche Voraussetzung für ein gesundes Unternehmen ist.<br />
Es stellt sich also die Frage, welche Arbeit wünschenswert ist und wie man dahin kommt.<br />
4
Kreativer Arbeits- und Gesundheitsschutz<br />
An einem Wortspiel im Word-Theasaurus soll die Notwendigkeit der Wertediskussion deutlich<br />
gemacht werden. Grundfrage ist: Darf, soll und kann Arbeit Spaß machen?<br />
Mit dem Wort “Arbeit” ergeben sich viele (erwartete) Begriffsassoziationen, aber zu dem Wort “Spaß”<br />
kommt man nicht. Mit dem Wort “Spaß” (gemeint ist die Arbeitsfreude) kommt man ebenfalls zu vielen<br />
(erwarteten) Begriffsassoziationen, aber zu dem Wort “Arbeit” kommt man nicht.<br />
Die Klammer zwischen den Begriffen “Arbeit” und “Spaß” scheint der Spielraum zu sein, ein Raum-<br />
Inhalt-Zeit-Gefüge, in dem spielerisches Erkunden und verantwortungsvolles Schaffen sich<br />
gleichermaßen bedingen und fördern. Deshalb ist die oben gestellte Frage so zu beantworten:<br />
Diese Überlegungen können Sie gern an den Aussagen der folgenden Tabelle überprüfen:<br />
Einflußfaktoren für Innovationen (nach West & Frei, 1989)<br />
Aufgaben<br />
Führung<br />
Struktur<br />
Unterstützung von Innovationen<br />
• herausfordernde Aufgaben<br />
• inhaltliche und zeitliche Spielräume<br />
• soziale Unterstützungsressourcen<br />
• angemessene Rückmeldungen<br />
• gute Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten<br />
• partizipative Führung<br />
• Entwicklung verbindlicher gemeinsamer<br />
Ziele und Vorstellungen<br />
• weitreichende Einbeziehung der Mitarbeiter<br />
in organisatorische Entwicklungen<br />
• Förderung von Innovationen<br />
• Betonung der Qualität der Arbeit<br />
• Arbeit in Gruppen, gemeinsame<br />
Verantwortung der Mitarbeiter<br />
• Kommunikation: Kreis, Totale<br />
Behinderung von Innovationen<br />
• einförmige, restriktive Aufgaben<br />
• Mangel an Autonomie, Entscheidungsmöglichkeiten<br />
und Unterstützung<br />
• keine bzw. nur negative Rückmeldungen<br />
• keine Lern- u. Entwicklungsmöglichkeiten<br />
• autoritäre bzw. lässige Führung<br />
• veränderungsfeindliche Normen und<br />
widersprüchliche Vorgaben<br />
• bürokratische Vorgehensweisen<br />
• keine Beteiligung der Mitarbeiter<br />
• keine Unterstützung von Innovation<br />
• überwiegend finanzielle Anreize<br />
• Einzelarbeit und Einzelverantwortung<br />
der Mitarbeiter<br />
• Kommunikation: Rad, Y, Kette<br />
5
Kreativer Arbeits- und Gesundheitsschutz<br />
Merkmale gesunder Organisation nach Badura (Richter, 2003)<br />
Merkmale sozialer Systeme<br />
Ausmaß sozialer Ungleichheit<br />
(Bildung, Status, Einkommen)<br />
Vorrat an gemeinsamen Überzeugungen, Werten,<br />
Praktiken<br />
Identifikation der Mitglieder mit übergeordneten<br />
Zielen und Regeln ihres sozialen Systems<br />
Vertrauen in die Führung<br />
Ausmaß persönlicher Beteliigung an systemischer<br />
Willensbildung, Entscheidungsfindung<br />
(“Partizipation”)<br />
Gegenseitiges Vertrauen/ Zusammenhalt unter<br />
Mitgliedern<br />
Umfang sozialer Kontakte jenseits primärer<br />
Beziehungen (“Sozialkapital”)<br />
Stabilität, Funktionsfähigkeit primärer<br />
Beziehungen<br />
Soziale Kompetenz<br />
Sinnstiftende Betätigung (Arbeit, Freizeit etc.)<br />
Gesunde<br />
Organisationen<br />
Moderat<br />
Groß<br />
Stark ausgeprägt<br />
Hoch<br />
Hoch<br />
Hoch<br />
Hoch<br />
Hoch<br />
Stark ausgeprägt<br />
und verbreitet<br />
Stark verbreitet<br />
Ungesunde<br />
Organisationen<br />
Hoch<br />
Gering<br />
Gering ausgeprägt<br />
Gering<br />
Gering<br />
Gering<br />
Gering<br />
Gering<br />
Gering ausgeprägt<br />
und verbreitet<br />
Weniger verbreitet<br />
6
Kreativer Arbeits- und Gesundheitsschutz<br />
Pioniere des Arbeits- und Gesundheitsschutzes sollten sich aktiv ein Netzwerk von Verbündeten und<br />
Kooperationspartnern in und außerhalb des Unternehmens aufzubauen, sie sollten also ein aktives<br />
Kooperationsmanagement in der Prävention betreiben, u.a. aus folgenden Gründen:<br />
♦ Komplexität der Handlungsfelder (Technik, Arbeitsorganisation, Führung, Arbeitsplatz etc.)!<br />
Arbeitsinhalte/<br />
Arbeitsorganisation<br />
Arbeitsplatz/<br />
Arbeitsumgebung<br />
Eignung/<br />
Qualifikation<br />
Kundenreklamationen<br />
Arbeitsbelastung<br />
Arbeitsfreude<br />
Mitarbeiterführung/<br />
soziale Beziehungen<br />
Hardware/ Software<br />
♦ Verknüpfung unternehmerischer Probleme mit mitarbeiterbezogenen Problemen!<br />
Instabile<br />
Arbeitsabläufe<br />
Geringe<br />
Termintreue<br />
Hohe<br />
Durchlaufzeiten<br />
Qualitätsprobleme<br />
Abstimmungsverluste<br />
Dienst nach<br />
Vorschrift<br />
Fehlzeiten<br />
♦ Wechselbeziehungen zwischen den Erfolgstreibern und zentrale Rolle der Mitarbeiterorientierung,<br />
die alle Unternehmensbereiche durchziehen muss!<br />
7
Kreativer Arbeits- und Gesundheitsschutz<br />
Gesundheit und Erfolg sind zwei Seiten der gleichen Medaille, der Gestaltung der Arbeit. Gestaltet<br />
man die Arbeit gut, kann man beides erreichen. Erfolgreiche Prävention bedeutet deshalb vor allem<br />
betriebliche Arbeitsgestaltung, die aber immer nur ein Gemeinschaftswerk aller betrieblichen Akteure<br />
sein kann (vgl. Langhoff, 2003).<br />
Arbeitsschutz durch Management<br />
der Führungskräfte<br />
Arbeitsschützer als<br />
Unternehmensleistung:<br />
ergebnisorientierter<br />
Arbeitsschutz<br />
Arbeitsschutz durch Kooperation<br />
der betrieblichen Fachleute<br />
Fachberater /<br />
Koordinatoren / Moderatoren<br />
Arbeitsschutz durch Beteiligung<br />
der Beschäftigten<br />
Dieses Gemeinschaftswerk entsteht nicht nach mechanischen Regeln, sondern nach den Regeln der<br />
Selbstorganisation:<br />
♦ „Vertrauen, Geschehen- und Wachsenlassen, Geduld, spielerische Gelassenheit, Akzeptanz,<br />
minimale Intervention und ganzheitliche, systemisch-dialektische Denkmuster (Dialektik als die<br />
Kunst des gekonnten Umgangs mit Gegensätzen)“ (Hansch & Haken, 2004).<br />
♦<br />
„Aus der synergetischen Beschreibung des Prozesses der Strukturbildung lassen sich einige Konsequenzen<br />
für die Bildung erfolgreicher Netzwerkstrukturen ableiten: Das Netzwerk sollte sich in<br />
einer Situation der Getriebenheit befinden. Es ist für eine ausreichende Dichte an Interaktionen<br />
und Kommunikationen zu sorgen. Die Entstehung von Zufallsschwankungen sind zu unterstützen“<br />
(Rockstuhl, 2004).<br />
Prüfen Sie doch mal selbst Ihr Wirkprinzip, indem Sie in der nachstehenden Tabelle das Wort<br />
“Therapie” durch “Arbeits- und Gesundheitsschutz” zu ersetzen (manchmal kann es fruchtbar sein,<br />
sich Anregungen aus anderen Wissensdisziplinen zu holen und mit Analogien zu arbeiten, in diesem<br />
Fall handelt es sich um Psychotherapie und Physik).<br />
8
Kreativer Arbeits- und Gesundheitsschutz<br />
Denksysteme und Therapieprinzipien (nach Hansch & Haken, 2004)<br />
Mit dem Selbstorganisationsdenken<br />
kompatible Therapieprinzipien<br />
• Passagere Akzeptanz als Ausgangspunkt<br />
von Veränderung, dialektisches Spiel mit<br />
Akzeptanz und Veränderung<br />
• Indirektes Handeln mit Gespür für „Hebelpunkt“<br />
und „Kairos“ (z.B. im richtigen Moment<br />
die richtige Frage stellen)<br />
• Dialektisches Spiel mit Paradoxien (Glück,<br />
Erfolg usw. nicht zu direkt anzielen, sondern<br />
erfolgen lassen („Was man gewinnen will,<br />
muss man erst loslassen“)<br />
• Gleichgewicht zwischen Reflexion und<br />
„ichvergessenem“ Handeln<br />
• Über die formale Logik für einfache Probleme<br />
hinaus: Entwicklung systemisch-dialektischer<br />
Denkmuster für komplexe Probleme<br />
• Salutogenetisches Herangehen: Wenn das<br />
Gesunde wächst, heilt der Defekt oft von<br />
allein<br />
• Konstruktivistische Erkenntnistheorie<br />
(therapeutischen Interventionen wird die<br />
Bedeutung intern vom Patienten zugewiesen,<br />
sie können deshalb anderes bewirken, als<br />
beabsichtigt ist)<br />
Im mechanistischen Denken<br />
wurzelnde Therapieprinzipien<br />
• Überzogener Veränderungsoptimismus,<br />
Erzwingenwollen von Veränderung<br />
• Direktives Handeln entsprechend Normvorgaben<br />
(z.B. Verhaltensanweisungen<br />
nach Therapiemanual)<br />
• Stets direktes Angehen von Problemlösungen<br />
und Zielen<br />
• Kein Problembewusstsein für Störphänomene<br />
wie Hyperreflexion, Hyperintention und Überkontrolle<br />
• Formale Logik als alleiniger Maßstab für<br />
„gesundes“ Denken<br />
• Pathogenetisches Herangehen: Fokussierung<br />
auf den Defekt, der „repariert“ werden muß<br />
• Naiv-realistische Erkenntnistheorie<br />
(therapeutische Interventionen tragen ihre<br />
Bedeutung in sich und bewirken immer das,<br />
was gemeint ist)<br />
Was sind weitere Voraussetzung für ein erfolgreiches Kooperationsmanagement<br />
in der Prävention?<br />
1. Grundsätzliche Fragen für Arbeitsschutzakteure<br />
• Wer sind unsere Kunden? Was sind ihre Bedürfnisse? Was sind unsere Angebote<br />
(unternehmensspezifisch, bedarfsorientiert, zielgeführt)?<br />
↓<br />
• Was sind unsere Ziele? (z.B. Systempartner und Problemlöser für Unternehmen und Mitarbeiter<br />
zu sein). Was sind unsere Stärken und Schwächen? Wer könnte unser Partner sein? Was brauchen<br />
wir für Qualifikationen und Ressourcen?<br />
Im Prinzip reichen 5 Fragen an Mitarbeiter aus, um zu handlungsleitenden Ergebnissen zu kommen:<br />
• Was beflügelt Sie? / Was freut Sie?<br />
• Was belastet Sie? / Was ärgert Sie?<br />
• Was sollte unbedingt beinbehalten werden (weil es eine Stärke oder eine Ressource ist)?<br />
• Welche Gestaltungserfordernisse sehen Sie (weil es ein Problem oder ein Defizit gibt)?<br />
• Welche Gestaltungsvorschläge haben Sie (Stärken ausbauen – Schwächen reduzieren)?<br />
9
Kreativer Arbeits- und Gesundheitsschutz<br />
2. Phasen des Wandels – Wie machen wir es bei uns?<br />
• Was für eine Strategie haben wir für das Veränderungsmanagement im Arbeits- und Gesundheitsschutz<br />
(Initialisierung Konzipierung Mobilisierung Umsetzung Verstetigung)? Verfolgen<br />
wir unsere Ziele systematisch und überprüfen wird unsere Arbeit auf ihre Wirksamkeit hin (Evaluation)?<br />
Binden wir die Mitarbeiter und Führungskräfte mit ihren Erwartungen und Vorstellungen,<br />
aber auch mit ihrer Verantwortung, sich selbst aktiv in den Gestaltungsprozeß einzubringen, konsequent<br />
und umfassend ein? Stärken wir die Eigenverantwortung der Mitarbeiter, gewinnen wir<br />
sie, ihre Problemlösefähigkeit einzubringen, nehmen wir sie ernst und trauen ihnen etwas zu, gestalten<br />
wir mit ihnen und nicht nur für sie? Haben wir für unsere Gestaltungsarbeit eine geeignete<br />
Organisationsform, eine ausgezeichnete interne Kommunikation für die Veränderungsprozesse<br />
und die richtigen Werkzeuge und Methoden, um unsere Arbeit gut zu tun?<br />
Gute Kommunikation ist auch gut für das Kohärenzgefühl und damit für die seelische Gesundheit:<br />
„Die Anerkennung durch einen anderen Menschen macht klar, wer wir sind, und ruft zur eigenen<br />
Verantwortung. Gute Kommunikation ist Basis jeder Motivation“ (N.N., 2002).<br />
3. Ökonomische Nutzenpotenziale des Arbeitsschutzes deutlich machen!<br />
• Machen wir die ökonomischen Nutzenspotentiale des Arbeits- und Gesundheitsschutzes bewußt<br />
deutlich? Zeigen wir Wirkungsketten zwischen interner und externer Servicequalität, zwischen<br />
Arbeit und Innovation ( „attraktive/ gute Arbeit“ Gesundheit Kreativität Innovationen<br />
Einzigartigkeit des Unternehmens) auf? Erarbeiten wir für unser Unternehmen entsprechende<br />
Alternativen und Perspektiven?<br />
• Wirkungsketten aufzeigen zwischen interner und externer Servicequalität (s. Langhoff, 2003)<br />
Worin drückt drückt sich denn eigentlich Nachhaltigkeit im Arbeits- und Gesundheitsschutz aus?<br />
Anleihe zur Beantwortung dieser Frage möchte ich beim Bericht des Rates für Nachhaltige Entwicklung<br />
nehmen, der in einem offenen Diskurs u.a. diese Frage diskutieren ließ: “Wie nehmen Sie die<br />
Institutionen im Hinblick auf die einzelnen Potenziale wahr?”.<br />
10
Kreativer Arbeits- und Gesundheitsschutz<br />
Ersetzen Sie einfach doch mal „Institution“ durch “Arbeits- und Gesundheitsschutz” ...<br />
Bewertung von Institutionen hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit<br />
(Rat für Nachhaltige Entwicklung, 2004)<br />
Kompetenz<br />
Die Institution beschafft die zur<br />
Erfüllung ihrer Aufgaben<br />
erforderlichen materiellen und<br />
geistigen Ressourcen und setzt<br />
diese effizient ein.<br />
Integrität<br />
Die Institution erreicht ihre Ziele<br />
auf der Basis von Transparenz,<br />
Glaubwürdigkeit und unter<br />
Einsatz fairer Mittel.<br />
Einfluss<br />
Die Institution bringt ihre<br />
Stimmung in die öffentliche<br />
Agenda ein und setzt ihre<br />
Interessen durch.<br />
Dialogfähigkeit<br />
Die Institution führt einen<br />
offenen Austausch mit ihrem<br />
gesellschaftlichen Umfeld.<br />
Innovationsfähigkeit<br />
Die Institution entwickelt neue<br />
Lösungswege, setzt Impulse und<br />
ist Trendsetter.<br />
Lernfähigkeit<br />
Die Institution bestimmt ihre<br />
Position in der Gesellschaft,<br />
hinterfragt das eigene Handeln<br />
und lernt von anderen.<br />
Was müßte der Arbeits- und Gesundheitsschutz leisten, der sich dem Thema Arbeit und Innovation<br />
verschrieben hat?<br />
♦ Perspektiven aufzeigen, Stellenwert und Zusammenhang zwischen Arbeit und Innovation<br />
darstellen (Was ist eine humanressourcen und arbeitsorientierte Strategie und was kann sie aus<br />
welchen Gründen für mehr Innovation leisten – im Vergleich zu einer Strategie, die diese<br />
Elemente nicht berücksichtigt), Wirkungsketten herausheben „attraktive“ (gute) Arbeit“<br />
Kreativitätspotenziale attraktive Standortbedingungen<br />
♦ Einzigartigkeit des Unternehmens durch eine innovationsförderliche Unternehmenskultur und<br />
Unternehmensführung stärken (ist Voraussetzung, um Kreativitätspotenziale zu hegen, zu pflegen<br />
und zu nutzen) ... dazu erscheinen mir vor allem die Erkenntnisse der Nachhaltigkeitsforschung<br />
wesentlich. In der Sozialwissenschaft wird in diesem Zusammenhang unterschieden zwischen<br />
kurzfristigem Output und längerfristigen Outcomes. Ich denke, es kommt auf die Outcomes an<br />
(das was wirklich am Ende herauskommt) und man muss fragen, was sind für uns wichtige Werte<br />
und Maße, die wir erreichen wollen. Derzeit haben wir eine reine Input-Steuerung und es werden<br />
wenig die Ergebnissen und Auswirkungen hinterfragt.<br />
♦ Schliesslich wäre Partizipation, d.h. eine aktive Einbeziehung der Mitarbeiter für mich sowohl<br />
Arbeitsschutz-/ Innovationsgestaltungsfeld als auch Arbeitsschutz-/ Innovationsvoraussetzung<br />
(das Wort Partizipation klingt inzwischen etwas „abgedroschen", man kann aber gar nicht oft<br />
genug und immer wieder darauf verweisen).<br />
4. Alles bedacht und richtig gemacht?<br />
... oder doch letztlich nur in der Arbeitswelt hängengeblieben?<br />
salutogenetischer Ansatz ... Familienfreundliche Arbeitszeiten, Unterstützung bei der<br />
Kinderbetreuung, Möglichkeit zur aktiven Freizeitgestaltung etc.<br />
11
Kreativer Arbeits- und Gesundheitsschutz<br />
Erfahrungen mit betrieblichem Arbeits- und Gesundheitsschutz<br />
Ich habe durchweg nur positive Erfahrungen mit der nachhaltigen Durchführung von Gefährdungsund<br />
Belastungsanalysen in zahlreichen Unternehmen gemacht, mit denen umfangreiche betriebliche<br />
Gestaltungsprojekte angestossen und realisiert wurden, die nicht nur den Beschäftigten selbst (Arbeitsbedingungen,<br />
Befinden, Arbeitsfreude) sondern auch den Unternehmen (Kundenservice, Arbeitsabläufe,<br />
Kreativität) zugute gekommen sind (es sind zwei Seiten derselben Medaille, das eine ist nicht<br />
ohne das andere zu haben – ca. 80 % der in Mitarbeiterbefragungen genannten Probleme sind Probleme<br />
der Arbeitsorganisation und der Mitarbeiterführung).<br />
Meine hauptsächliche Beratungsleistung besteht im Durchführen von Mitarbeiterbefragungen mit dem<br />
BAAM ® -Verfahren sowie im Initiieren, Vorbereiten und Begleiten (im Sinne eines Controllings) einer<br />
durchgehenden Arbeitsgruppenarbeit (temporäre offene Kreativgruppen) im Unternehmen (in jedem<br />
Arbeitsbereich, wobei die Arbeitsgruppenarbeit durch Fachkräfte und Führungskräfte völlig selbständig<br />
durchgeführt wird). In grösseren Unternehmen wird die Gefährdungs- und Belastungsanalyse immer<br />
durch einen erweiterten Arbeitsschutzausschuss (ASA) koordiniert, den ich beratend begleite.<br />
Partner auf ASA-Ebene sind stets Geschäftsleitung, Betriebsrat, Sicherheitsbeauftragte jedes Arbeitsbereichs<br />
und Vertreter der Fachabteilungen für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (in kleinen Unternehmen,<br />
wo es keinen ASA gibt, läuft alles über den gemeinsamen Kreis aus Geschäftsführung und<br />
Mitarbeiter; die Argumentation bleibt aber dieselbe). In die gemeinsame Präsentation von Ergebnissen<br />
der Mitarbeiterbefragung sowie von Ergebnissen der Arbeitsgruppenarbeit werden stets auch Vertreter<br />
der einzelnen Arbeitsbereiche einbezogen (operative Führungskräfte, Mitarbeiter/ Fachkräfte).<br />
Im Prinzip behandle ich das Thema Arbeits- und Gesundheitsschutz wie ein betriebliches Projekt (das<br />
erfolgreich nur durch Teamarbeit geschafft werden kann, analog etwa zur unternehmensweiten Einführung<br />
eines QM- oder IT-Systems), d.h. dass die Gefährdungs- und Belastungsanalysen und ihre<br />
Konsequenzen genauso methodisch professionell (und mit der gleichen Ernsthaftigkeit) zu realisieren<br />
sind wie organisatorische oder technische Projekte. Daher "Erfolg durch Teamarbeit ... auch in der<br />
Prävention".<br />
Ob der Arbeitsschutz ein Impulsgeber für die Unternehmensentwicklung sein kann, hängt v.a. von der<br />
methodischen Herangehensweise ("richtige" Fragen stellen) und von der entsprechenden Vorbereitung<br />
ab. Arbeits- und Gesundheitsschutz wird dann ein Impulsgeber sein können, wenn er die Maßnahmen<br />
zum Wohle der Mitarbeiter durch die Mitarbeiter und die Führungskräfte selbst erfinden/ erkunden/<br />
entwickeln lässt, wenn jede Maßnahme bewußt auch auf ihren Beitrag zur Unternehmensentwicklung<br />
hinterfragt wird und beurteilt wird und wenn das Thema Arbeits- und Gesundheitsschutz<br />
regelmäßig auf die Agenda rückt (Wirksamkeitskontrolle + Weiterentwicklung).<br />
Meine Ausführungen möchte ich durch ein interessantes Fallbeispiel ergänzen, dass von einem engagierten<br />
Betriebsrat beschrieben wird, der in seinem Wirkungsbereich ein aktives Kooperationsmanagement<br />
in der Prävention betreibt – und damit Erfolg hat.<br />
Hans Hoffrichter-Kroll, Deutsche Lufthansa AG Hamburg 1<br />
Zielorientierte Kooperation betrieblicher Fachleute und Entscheidungsträger<br />
am Beispiel OPSmobil<br />
Mein Name ist Hans Hoffrichter-Kroll. Seit 1994 bin ich als Leiter des Arbeits- und Gesundheitsschutzausschusses<br />
eines Betriebsrates in Hamburg für knapp 1100 Kolleginnen und Kollegen zuständig.<br />
Im gleichen Ausschuss des Gesamtbetriebsrates vertrete ich die Belange von etwa 24000 Personen<br />
deutschlandweit. Um die Aufgabe erfüllen zu können, im Arbeits- und Gesundheitsschutz initiativ<br />
und somit gestalterisch tätig zu sein (neben der klassischen Überwachung von Gesetzen und Vorschriften),<br />
habe ich mich mit meinen Ausschussmitgliedern auf verschiedenen Fachseminaren qualifizieren<br />
lassen. Bald ergab sich die Situation, dass wir über ein aktuelleres Wissen in Bezug auf den<br />
veränderten Gesundheitsschutzgedanken verfügten, als viele Arbeitssicherheitsingenieure und Betriebsärzte<br />
im Betrieb. Diese beschritten anfangs noch den klassischen Weg und versuchten mit<br />
nachgelagerten Maßnahmen, die negativen Auswirkungen schlecht oder unzureichend eingerichteter<br />
Arbeitsplätze zu verringern. Wir hingegen drängten wir darauf, von Anfang an die Arbeitsplätze besser<br />
gestalten zu lassen, d.h. mit der Gefährdungsbekämpfung an der Quelle anzusetzen. Während die<br />
1 Der Beitrag wurde dem Tagungsband „Psychische Belastungen am Arbeitsplatz - Fachtagung des Gesundheitswesens der<br />
Volkswagen AG in Kooperation mit der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin und dem Projekträger im DLR –<br />
Arbeitsgestaltung und Dienstleistungen, Braunschweig 28./29. November 2002“ entnommen (Tb 135, S. 159-161)<br />
12
Kreativer Arbeits- und Gesundheitsschutz<br />
Betriebsärzte bei der Ermittlung von psychischen Belastungen den im privaten Bereich entstehenden<br />
Stressoren große Aufmerksamkeit schenkten, reduzierten wir unser Augenmerk ausschließlich auf<br />
die Belastungen am Arbeitsplatz, nämlich den Defiziten bei der Arbeitsorganisation, bei den Arbeitsmitteln<br />
und bei der Qualifikation. Nur hier ist ein Arbeitgeber imstande, wirkungsvoll die Belastungen<br />
im Betrieb zu verringern oder ganz abzubauen.<br />
Vor etwa zwei Jahren wurde in meiner Firma ein völlig neues Arbeitsmedium eingeführt, ein Bildschirmarbeitsplatz<br />
auf Rädern. Dadurch reduzierten sich die ursprünglichen Arbeitsplätze in der Abteilung<br />
auf die Hälfte und es ergaben sich erhebliche Arbeitsverdichtungen. Wir Betriebsräte standen<br />
vor der Entscheidung, dem Projekt zuzustimmen oder bei Ablehnung eine Fremdvergabe der Aufgaben<br />
und dadurch den Verlust fast aller Arbeitsplätze zu riskieren. Wir entschieden uns zur Kooperation<br />
und sind dann buchstäblich als Kooperationsmanager tätig geworden. In verschiedenen Fachsitzungen<br />
erreichten wir, dass über ein Dutzend unserer Vorschläge zur besseren ergonomischen Gestaltung<br />
umgesetzt wurde. Die Gefährdungsermittlung zu psychischen Belastungen ist von einem externen<br />
Arbeitswissenschaftler durchgeführt worden. Auf unsere Empfehlung erfolgte seine Beauftragung<br />
durch unsere Geschäftsleitung. Wir hatten im Vorfeld den Kontakt zu dem Berater aufgenommen, die<br />
Befragungsmodalitäten mit ihm abgestimmt und einen Ablauf für den weiteren Verfahrensablauf im<br />
Anschluss an die Befragung erarbeitet.<br />
Einem Arbeitskreis aus Vertretern von Geschäftsleitung, Betriebsrat, Arbeitssicherheitsingenieur,<br />
Betriebsarzt und Kolleginnen und Kollegen aus der betroffenen Abteilung sollte das Befragungsergebnis<br />
präsentiert und sofort die Verbesserungsmaßnahmen abgestimmt, die Verantwortlichen für die<br />
einzelnen Arbeitsgruppen benannt sowie der Zeitpunkt für den Ergebnisbericht festgelegt werden.<br />
Alle unsere Vorschläge wurden von der Geschäftsleitung und den betrieblichen Fachleuten für gut<br />
geheißen und fanden Anwendung. Drei Monate später waren alle Mängel abgearbeitet.<br />
Eine Anmerkung zu dem Rationalisierungseffekt in der Abteilung:<br />
Die Arbeitsabläufe werden jetzt von der Planung bis zum Abschluss von der gleichen Person bearbeitet.<br />
Die sich dadurch ergebenden Gestaltungsspielräume im Ablauf, gute Ergonomie und auf die<br />
konkreten Bedürfnisse zugeschnittene Arbeitsmittel haben dazu geführt, dass trotz erheblicher<br />
Arbeitsverdichtung die Zufriedenheit gestiegen ist. Es gibt jedesmal zahlreiche Bewerbungen auf<br />
einen dieser Arbeitsplätze bei innerbetrieblichen Stellenausschreibungen. Zwischenzeitlich haben wir<br />
in Kooperation verschiedene andere, von uns angestoßene Konzepte umsetzen lassen können.<br />
Auf unser Betreiben wurde ein Rahmenvertrag für Standardbürostühle mit einer norwegischen Firma<br />
abgeschlossen, deren Produkte besonders ergonomisch sind. Wie hatten die Kontakte hergestellt und<br />
in Teilen sogar die Vertragsbedingungen mitgestaltet. Ergonomieschulungen, deren Konzepte wir mit<br />
erarbeiteten, sind seit längerer Zeit im innerbetrieblichen Ablauf verankert.<br />
Auf unser Betreiben wurde ein Rahmenvertrag für Standardbürostühle mit einer norwegischen Firma<br />
abgeschlossen, deren Produkte besonders ergonomisch sind. Wie hatten die Kontakte hergestellt und<br />
in Teilen sogar die Vertragsbedingungen mitgestaltet. Ergonomieschulungen, deren Konzepte wir mit<br />
erarbeiteten, sind seit längerer Zeit im innerbetrieblichen Ablauf verankert.<br />
Wir haben federführend ein Unterweisungskonzept zu psychischen Belastungen am Arbeitsplatz<br />
entwickelt. Es fand die uneingeschränkte Zustimmung der Geschäftsleitung. Um unsere Schulungsbeauftragten<br />
und internen Fachlehrer zu entlasten, sind wir mittlerweile gebeten worden, selber Unterweisungen<br />
in einzelnen Abteilungen durchzuführen. Wir vereinbarten, dass unsere Arbeitsschutzausschusssitzungen<br />
immer unmittelbar im Anschluss an die Sicherheitsbegehungen stattzufinden<br />
haben. Auf ihnen werden sofort die erforderlichen Schritte zur Beseitigung der festgestellten<br />
Mängel, der Ablaufzeitplan zur Umsetzung und die Verantwortlichkeiten festgelegt.<br />
Dass die Kooperation zwischen den Entscheidungsträgern Geschäftsleitung und Betriebsrat sowie<br />
den anderen innerbetrieblichen Fachleuten für die Firma von Vorteil ist, wird mittlerweile von allen<br />
anerkannt. Gut qualifizierte Kolleginnen und Kollegen arbeiten engagierter und zielgerichteter, insbesondere,<br />
wenn sie ihre Arbeitsaufgaben ohne Hindernisse und Widersprüche abwickeln können. Die<br />
Motivation nimmt zu und das Betriebsklima wird angenehmer. Der Kunde erhält ein besseres Produkt.<br />
Der Betrieb arbeitet erfolgreicher.<br />
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Kreativer Arbeits- und Gesundheitsschutz<br />
Abschluß<br />
Eine nachhaltige erfolgreiche Unternehmensentwicklung ist nur mit zufriedenen Kunden und Mitarbeitern<br />
möglich. Die Quellen der Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit liegen in der Gestaltung und<br />
Führung des Unternehmens selbst. Attraktive Unternehmen mit einer hohen Kundenzufriedenheit<br />
zeichnen sich durch eine hohe (interne und externe) Kundenorientierung aller betrieblichen Prozesse<br />
aus. Unternehmen mit einer hohen Unzufriedenheit der Kunden haben dagegen zahlreiche Probleme<br />
wie Abstimmungs- und Informationsverluste, „es ist Sand im Getriebe“ und „es macht keinen Spaß<br />
mehr“; es ist also Zeit für eine Neuorientierung.<br />
Kompetenz der Mitarbeiter<br />
Qualität der<br />
Arbeitsinhalte und<br />
Arbeitsbedingungen<br />
Qualität des<br />
Dienstleistungsangebotes<br />
Zufriedenheit der<br />
Mitarbeiter<br />
Prozeß- und<br />
Ergebnisqualität<br />
Zufriedenheit der Kunden<br />
Beziehung zwischen Unternehmenserfolg, Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit<br />
(nach Schrick, 1999)<br />
Mitarbeiterzufriedenheit<br />
hoch<br />
niedrig<br />
niedrig<br />
Aktuelle Verluste durch<br />
Illusionierung des Unternehmens<br />
Gefahr des Scheiterns<br />
Für das Unternehmen<br />
Kundenzufriedenheit<br />
hoch<br />
Nachhaltige<br />
Unternehmensentwicklung<br />
Zukünftige Verluste durch<br />
erwartbare Kundenenttäuschungen<br />
„Manager können ... einen Prozess anstoßen, der die Mitarbeiter Erfahrungen machen und selbständig<br />
arbeiten lässt, der sie zu Höchstleistungen anspornt und der das kollektive Wissen und die Kreativität<br />
des Unternehmens freisetzt“ (Matta & Ashkenas, 2004).<br />
PERRY JORDAN Arbeitsgestaltung & Betriebsorganisation<br />
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