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2 Impressum Inhalt 3<br />

Beltaine<br />

Ich bin die deine Geliebte, dein Halt, deine<br />

Seele.<br />

Grüne Wiesen und das tanzende Blattwerk<br />

der sich frisch geöffneten Knospen an den<br />

Bäumen sind mein wehendes Haar,<br />

Und meine Brüste ragen als Gebirge in den<br />

Himmel empor.<br />

Die dunkle Erde ist mein Schoß,<br />

der den Samen empfängt, den du säst.<br />

Und mein Teppich aus weichem Moos sei<br />

dein Lager.<br />

Komm bette dich auf mir und höre meinen<br />

Herzschlag.<br />

Lass unsere Herzen im Gleichklang die Welt<br />

erfüllen.<br />

Jenseits, zwischen den Welten<br />

Fernab von den Grenzen von Tag und Nacht,<br />

welche allen Irdischen auferlegt sind,<br />

Zwischen Leben und Tod,<br />

Zwischen Freude und Trauer,<br />

Zwischen Raum und Zeit<br />

Werden wir eins und doch Alles<br />

Und wiegen uns in immerwährender Ekstase<br />

Impressum<br />

Herausgeber:<br />

Beatrice Reinhold<br />

Reichenhainer Straße 47<br />

09126 Chemnitz<br />

Verantwortlicher Redakteur:<br />

Julia Olias<br />

Layout und Internetpräsenz:<br />

Carsten Weinert<br />

Texte, Bilder und gestaltete Anzeigen sind Eigentum des<br />

Urhebers/Herausgebers. Für nicht veröffentlichte oder<br />

nicht rechtzeitig veröffentlichte Anzeigen, nicht ausgeführte<br />

Beilagenaufträge oder nicht erschienene Artikel o-<br />

der Fotos wird kein Schadenersatz geleistet. Dies gilt auch<br />

bei Nichterscheinen der Zeitung in Fällen höherer Gewalt,<br />

sowie aus Gründen, die der Herausgeber nicht zu vertreten<br />

hat. Eingesandte Manuskripte, Fotos und Bilder müssen<br />

frei von Rechten Dritter sein. Es wird keine Haftung für<br />

eingesandte Manuskripte, Fotos und Bilder übernommen.<br />

Für den Inhalt von Artikeln, die nicht durch die Redaktion<br />

erstellt wurden (Leserbeiträgen), ist die Redaktion nicht<br />

verantwortlich und übernimmt keine Haftung für eventuell<br />

negative Auswirkungen. Unter der Rubrik Leserbriefe<br />

werden Leserbriefe veröffentlicht, die in sachlicher Weise<br />

abgefasst sind und keine beleidigende Angriffe enthalten;<br />

nicht nachprüfbare Inhalte können nicht abgedruckt werden.<br />

Keine Rücksendung. Die Redaktion behält sich eine<br />

sinnwahrende Kürzung oder ein Ablehnen von Manuskripten<br />

vor, ein Recht auf Veröffentlichung besteht nicht. Inhalte<br />

von Beiträgen, Leserbriefen, Anzeigen, etc. müssen<br />

nicht mit der Meinung des Herausgebers übereinstimmen.<br />

Unter einem Pseudonym wird nur veröffentlicht, wenn der<br />

Redaktion Name und Anschrift bekannt sind. Private<br />

Kleinanzeigen sind kostenlos, Informationen zu gewerblichen<br />

Anzeigen sind bei der Anzeigenannahme einzuholen.<br />

Diese Zeitung ist kostenfrei. Die im Internet veröffentlichte<br />

Zeitung im PDF-Format kann frei heruntergeladen und<br />

ausgedruckt werden. Die Urheberrechte bleiben dadurch<br />

unberührt.<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

Beltainemärchen<br />

Elementarwesen: Die Gnome<br />

Ein Göttinnenportrait: Epona<br />

Magie der Natur: Die Sonnenfinsternis<br />

Pagane Erziehung: Das Feuer<br />

Tiere in den Mythen: Die Biene<br />

Slawische Frühlingsfeste<br />

Wicca mit oder ohne Dogmen<br />

Der Cthulhumythos:<br />

Yog-Sothoth und Hastor<br />

Die Weide<br />

Frauenzeit<br />

Wicca: Vollkommene Liebe und<br />

Vollkommenes Vertrauen<br />

Die Kabbalah: Der Baum des Lebens<br />

Rezension: The Pagan Man<br />

The Witchy News


4 Beltaine Beltaine 5<br />

A<br />

ls die wärmenden Sonnenstrahlen sich<br />

morgens über das Land ausbreiten, ist<br />

Aileen schon auf den Beinen. Es fällt ihr<br />

nicht schwer, morgens aufzustehen, denn auf<br />

dem Hof, welchen ihre Eltern führen, ist es<br />

normal, dass mit Tagesanbruch bereits alle<br />

wach sind. Die Tiere müssen gefüttert und<br />

die Kühe gemolken werden und Frühstück<br />

gibt es auch erst, wenn diese Aufgaben erledigt<br />

sind. Heute aber muss sie nicht im Stall<br />

helfen, denn ihre Eltern haben sie ausgeschickt,<br />

um Holz und Kräuter für das jährliche<br />

Beltanefest zu holen. Es ist ein wichtiges<br />

Fest für alle auf dem kleinen Hof, denn es<br />

sichert die Fruchtbarkeit der Tiere und damit<br />

das Überleben.<br />

Aileen feiert gern mit ihren Eltern. Trotzdem<br />

wünscht sie sich manchmal, sie könne mit<br />

den anderen jungen Leuten im Dorf um die<br />

Feuer tanzen. Voller Sehnsucht denkt sie dabei<br />

an Edan, den hübschen, braunhaarigen<br />

Jungen vom Nachbarhof. Aber bisher schien<br />

er sie nie bemerkt zu haben. Und zu Beltane<br />

haben sie sicher auch auf seinem Hof viel zu<br />

tun. Schnell wendet sie sich wieder ihren<br />

Aufgaben zu, bevor sie sich vorstellen kann,<br />

wie er sich vielleicht einem anderen Mädchen<br />

zuwendet und setzt ihren Weg mit eiligen<br />

Schritten fort.<br />

Auf den neu erblühenden Wiesen liegt noch<br />

der Tau und bald sind Aileens Füße davon<br />

ganz nass. Am Waldrand angekommen, findet<br />

sie schnell die Stelle, an welcher sie wie<br />

jedes Jahr die Kräuter fürs Feuer und Essen<br />

sammelt. Der würzige Geruch von Waldmeister<br />

und Rosmarin steigt ihr in die Nase<br />

und Aileen sammelt jede Menge in ihre Tasche,<br />

packt noch andere Kräuter dazu und<br />

geht dann noch weiter, um ein wenig Holz<br />

zu holen. Alle am Hof haben bereits seit Tagen<br />

bei der Holzsuche mitgeholfen, so dass<br />

hoch aufgestapelt vor den zwei Feuerstellen<br />

Eichen- und Eibenklötze liegen. Aileen muss<br />

nun nur noch das aromatische Haselnuss-<br />

Ein Beltanemärchen<br />

und Wachholderholz holen, mit welchem die<br />

Feuer angesteckt werden. So läuft sie am<br />

Waldrand entlang und muss wieder an Edan<br />

denken. Es ist schon eine Weile her, seit sie<br />

ihn das letzte Mal gesehen hat.<br />

Ihre Freundinnen aus dem Dorf sind zum<br />

letzten Beltanefest in den Wald gegangen<br />

und auch für ihren älteren Bruder Niall ist<br />

das selbstverständlich. Aileen weiß nicht so<br />

genau, was die Mädchen aus dem Dorf dort<br />

erlebt haben, aber es muss toll gewesen sein,<br />

denn sie haben sehr geheimnisvoll getan und<br />

gekichert. Seitdem wirken sie alle viel erwachsener<br />

und Aileen kommt sich wie eine<br />

Außenseiterin vor. Mit einiger Anstrengung<br />

bricht sie ein paar junge, biegsame Haselnussruten<br />

ab, um anschließend über die<br />

Wiese zurückzulaufen und an einem einzelnen<br />

Wacholderstrauch noch ein paar Stängel<br />

von dessen aromatischem Holz zu sammeln.<br />

Die Sonne scheint ihr schon warm ins Gesicht<br />

und sie genießt in vollen Zügen den<br />

Morgen, während sie mit schnellen Schritten<br />

zurück zum Hof läuft.<br />

„Und, hast du dein Grünzeug gefunden,<br />

Schwesterchen?“ fragt Niall sie beim Reinkommen.<br />

Zur Antwort legt sie die Kräuter<br />

auf den Tisch und setzt sich schnell. „Hör<br />

mal“, spricht Niall weiter, „ich muss Vater<br />

nachher noch im Stall helfen, kannst du heute<br />

mal nach den Fallen sehen?“ Die Fallen<br />

mag Aileen gar nicht. Ihr Bruder stellt sie<br />

auf, damit die Familie ein wenig Wildfleisch<br />

auf den Tisch bekommt, denn das ist günstiger<br />

als immer die eigenen Tiere zu schlachten.<br />

Aber Aileen findet es nicht gut, die Tiere<br />

in den Wäldern zu fangen, wo sie doch ihre<br />

eigenen haben. „Wenn´s sein muss. Aber dafür<br />

nennst du mich nicht immer Schwesterchen,<br />

dafür bin ich langsam zu alt“, kontert<br />

Aileen. Niall zieht die Augenbrauen hoch.<br />

Das ist er von Aileen nicht gewöhnt. „Na<br />

schön. Aber bring die Tiere auch wirklich<br />

mit, statt sie wieder frei zu lassen.“ Damit<br />

steht er auf und geht, während Aileen noch<br />

weiter frühstückt.<br />

„Lass dich nicht von ihm ärgern“, tröstet sie<br />

die Mutter ihr gegenüber, „er meint es nicht<br />

böse.“<br />

Aileen schnappt sich ihre Tasche und macht<br />

sich erneut auf den Weg. „Vielleicht ist ja<br />

auch nichts in den Fallen“, hofft sie, aber<br />

schon in der ersten am Feld findet sie ein bereits<br />

totes Kaninchen und beißt sich auf die<br />

Lippen, damit sie nicht weinen muss. „Warum<br />

bin ich aber auch so schrecklich empfindlich?<br />

Kein Wunder, dass Edan sich nicht<br />

für mich interessiert“, ärgert sie sich.<br />

Sie läuft weiter übers Feld, wieder in Richtung<br />

Wald. In zwei anderen Fallen findet sie<br />

nichts und ist sehr erleichtert. Gleich erscheint<br />

ihr die Welt schon wieder schöner,<br />

die Blumen bunter und sie atmet tief den<br />

Duft des Frühlings ein. „Auf dem Rückweg<br />

werde ich ein paar Blumen pflücken und einen<br />

Kranz daraus binden, für Ranald, unseren<br />

Bullen“, überlegt Aileen.<br />

Am Waldrand angelangt, geht sie zu der letzten<br />

Falle ihres Bruders. Schon von weitem<br />

sieht sie etwas Kleines darin zappeln. Das<br />

Tier lebt noch. Als sie näher kommt, sieht<br />

sie, dass es ein junges Eichhörnchen ist. Sein<br />

Fuß hat sich in der Schlinge verfangen und<br />

hilflos springt es hin und her und starrt Aileen<br />

angstvoll aus großen, fast schwarzen<br />

Augen an. Sie hat sofort Mitleid mit dem<br />

Tier, und obwohl sie an den Hinweis ihres<br />

Bruders denken muss, greift sie zu ihrem<br />

Messer, um das Eichhörnchen zu befreien.<br />

„An dir ist ja sowieso kaum Fleisch dran“,<br />

beruhigt sie ihr Gewissen. Sie schneidet das<br />

kleine Tier vorsichtig los und im Nu ist es<br />

auf den Bäumen des Waldes verschwunden.<br />

Doch Aileen hat das Gefühl, dass sie bei ihrer<br />

Tat beobachtet wurde. Sie schaut sich<br />

um, aber sie kann niemanden sehen. „Hallo?<br />

Ist da jemand?“ ruft sie etwas ängstlich in<br />

den Wald hinein. Aber nur der Wind rauscht<br />

geheimnisvoll durch die Baumwipfel. Der<br />

Wald sieht plötzlich, obwohl die Sonne<br />

durch die Blätter scheint, ein wenig unheimlich<br />

aus. Er scheint tiefer und vor allem<br />

dunkler geworden zu sein. Aileen hebt das<br />

Kaninchen auf und möchte schleunigst gehen,<br />

da tritt plötzlich ein Mann hinter den<br />

Bäumen hervor. Er ist von ausgesprochen<br />

großer Statur und äußerst muskulös. Sein<br />

langes, dunkles Haar fällt ihm auf die Schultern<br />

hinab. Der Blick, mit dem er Aileen ansieht,<br />

scheint sie regelrecht zu durchdringen,<br />

ist für sie jedoch nicht unangenehm. In seinen<br />

dunklen Augen kann sie sehen, dass er<br />

wahrscheinlich äußerst alt ist. In ihnen strahlt<br />

die Weisheit der Welt, sie sind scheinbar unendlich<br />

tief, unergründlich. Seine Ausstrahlung<br />

übertrifft alles, was sie bisher in ihrem<br />

ganzen Leben gesehen hat. Die Kraft und die<br />

Macht, die sie von ihm spürt, lässt ihre Beine<br />

leicht zittern.<br />

Obwohl er Aileen scheinbar vollkommen<br />

fremd ist, hat sie keine Angst vor ihm, denn<br />

seine Augen schauen sie freundlich an und<br />

erscheinen ihr seltsam vertraut.<br />

„Ich grüße dich, Aileen“, sagt er und es erscheint<br />

ihr fast natürlich, dass er ihren Namen<br />

kennt. Seine Stimme klingt angenehm<br />

in ihren Ohren, es erscheint ihr fast so, als ob<br />

er seine Lippen nicht bewegt und seine Wor-


6 Beltaine Beltaine 7<br />

te nur in ihrem Kopf erklingen: „Du brauchst<br />

dich nicht zu fürchten, denn du gehst recht in<br />

der Annahme, dass wir uns bereits kennen.“<br />

Nun wundert sich Aileen doch. Kann dieser<br />

Mann vielleicht ihre Gedanken lesen? Wieder<br />

erklingt diese durchdringende Stimme in<br />

ihrem Kopf: „Die Menschen nennen mich<br />

den Herrn des Waldes, jedoch geben sie mir<br />

unendlich viele Namen. Ich habe schon oft<br />

gesehen, wie du Tiere aus den Fallen befreit<br />

hast und auch wie du im letzten Herbst den<br />

kranken Falken gepflegt hast. Da ein Teil<br />

von mir in jedem Tier und Baum des Waldes<br />

steckt, hast du auch mir damit geholfen. Alles,<br />

was du hier in den Wäldern sehen, hören<br />

und fühlen kannst, all das bin ich. Heute ist<br />

Beltane, daher zeige ich mich dir und werde<br />

dir einen Wunsch erfüllen. Was ist es, was<br />

du am meisten ersehnst?“<br />

Aileen überlegt und überlegt, doch in seiner<br />

Anwesenheit kann sie keinen klaren Gedanken<br />

fassen. Es kommt ihr so vor, als sieht er<br />

mitten in ihr Herz hinein, als kann er ihre<br />

durcheinandergeratenen Gedanken hören.<br />

Sie errötet leicht unter dem prüfenden Blick<br />

des Herrn des Waldes. „Nun, Aileen, ich<br />

kenne deinen Wunsch und ich werde dir diesen<br />

erfüllen, wenn er nur aus deinem Herzen<br />

kommt“, spricht er weiter, „du musst nur<br />

selbst den Mut aufbringen, zum Dorf zu gehen<br />

und den Jungen deiner Begierde dort zu<br />

finden. Ich weiß, dass du glaubst, du dürftest<br />

dies nicht tun, und jedes Jahr auf die Erlaubnis<br />

deiner Eltern wartest. Doch es liegt allein<br />

an dir, den Mut und die Willenskraft für diesen<br />

Wunsch aufzubringen. Beltane ist ein<br />

äußerst magischer Tag im Jahr. Wenn du<br />

heute mit den anderen über die Feuer<br />

springst, dann denke fest an deinen Wunsch<br />

und glaube daran, dass er in Erfüllung geht.“<br />

Der Herr des Waldes blickt ihr noch einmal<br />

tief in die Augen und sie spürt eine Kraft<br />

und einen Mut in sich, den sie vorher nicht<br />

hatte. Dann wendet er sich um und geht. Seine<br />

wunderschöne Gestalt scheint vor ihren<br />

Augen zu verschwimmen und plötzlich ist er<br />

nur noch ein Hirsch, der sich durch den Wald<br />

in großen Sprüngen von Aileen entfernt. Fast<br />

glaubt sie, die Begegnung mit dem Herrn des<br />

Waldes hätte sie sich nur eingebildet, doch<br />

seine Worte klingen noch in ihrem Herzen<br />

nach und instinktiv weiß Aileen, dass er<br />

wahr gesprochen hat. Heute wird sie ins Dorf<br />

gehen und mit ihren Freundinnen über die<br />

Feuer springen. Sie packt entschlossen das<br />

Kaninchen und macht sich auf den Rückweg.<br />

Und ganz in der Erwartung auf den bevorstehenden<br />

Abend verbringt sie den restlichen<br />

Tag voller Spannung, bereitet nicht nur das<br />

Vieh vor, sondern auch sich selbst, kämmt<br />

sich, flicht ihre langen Haare und zieht ihre<br />

schönsten Kleider an.<br />

Als es dämmert, werden die Feuer entzündet,<br />

lodern hell in der Dunkelheit, und sie hilft<br />

die Herden hindurch zu treiben, so wie es die<br />

Familie seit Jahren tut, damit die Götter die<br />

Fruchtbarkeit der Tiere erhalten. Auch die<br />

Menschen gehen zwischen den Feuern hindurch<br />

und bereits jetzt denkt Aileen an ihren<br />

Wunsch, hält ihn ganz fest und stellt sich<br />

vor, wie sie zum Dorf kommt und mit den<br />

anderen um die Feuer tanzt. Sie sieht wie Niall<br />

sich auf den Weg macht und ihre Eltern<br />

winken ihm nach. Die Mutter wirft Aileen<br />

einen fragenden Blick zu: „Wolltest du nicht<br />

mit?“ Aileen kann es noch nicht glauben und<br />

schnell hat sie sich ihren Mantel übergezogen<br />

und rennt Niall hinterher. Sie ist immer<br />

noch wie im Traum, als sie das Dorf erreichen.<br />

Schon von weitem sehen Niall und Aileen<br />

das Licht der Feuer lodern und ihr Bruder<br />

klopft ihr noch einmal aufmunternd auf<br />

die Schulter, bevor er sich von ihr entfernt.<br />

Einige Dorfbewohner spielen auf Instrumenten,<br />

die anderen tanzen allein oder zu zweit<br />

um die Feuer.<br />

Ilisa, eine Freundin von Aileen, kommt auf<br />

sie zu, packt sie ungestüm bei der Hand und<br />

zieht sie mitten hinein in die Menge der tanzenden<br />

und feiernden Menschen. Aileen<br />

lacht und tanzt mit ihnen, findet ihre anderen<br />

Freundinnen bald und sie fassen sich an den<br />

Händen und springen ausgelassen um die<br />

Feuer. Wie als hätten sich die Dorfbewohner<br />

abgesprochen, bilden sie eine lange Reihe<br />

und schließlich einen Kreis der sich immer<br />

schneller um die größte Feuerstelle dreht.<br />

Die sengende Hitze schlägt Aileen ins Gesicht,<br />

doch sie kommt nicht nur von dem<br />

Feuer, sondern auch aus ihrem Inneren.<br />

Nacheinander lösen sich Menschen aus dem<br />

Kreis und springen allein oder Hand in Hand<br />

über die lodernden Flammen. Normalerweise<br />

hätte Aileen Angst davor, doch heute ist alles<br />

anders. Sie tanzt mit den anderen immer<br />

schneller, die Welt um sie herum scheint zu<br />

verschwimmen und dann nimmt sie allen<br />

Mut zusammen und springt über die hoch<br />

schlagenden Flammen. In diesem Moment<br />

denkt sie an Edan, an seine tiefen, dunklen<br />

Augen und seine starken Arme. Sie fliegt fast<br />

durch das Feuer und auf der anderen Seite<br />

stolpert sie jemandem direkt in die Arme.<br />

Als sie aufschaut, sieht sie, dass es Edan ist.<br />

Aileen?!“ sagt er überrascht, aber nicht unfreundlich.<br />

„Ich dachte schon, du würdest<br />

niemals im Dorf feiern.“ „Nein, wie du<br />

siehst, bin ich ja hier!“ antwortet Aileen<br />

frech und deutet einen kleinen Knicks an.<br />

Woher sie den Mut für diese Antwort nimmt,<br />

ist ihr selbst nicht so ganz klar. Doch Edans<br />

Augen blitzen erfreut auf und er reicht ihr die<br />

Hand. „Nun, mein Fräulein, dürfte ich Sie<br />

dann um einen Tanz bitten?“ Aileen nimmt<br />

seine Hand und lacht. Sie reihen sich zwischen<br />

den Dorfbewohnern ein und springen<br />

und wiegen sich zur Musik.<br />

Wieder scheint die Welt um Aileen in einem<br />

Strudel zu verschwimmen. Der Lärm der<br />

Feiernden wird zum fernen Rauschen und sie<br />

sieht nur noch Edan. Die Flammen leuchten<br />

auf seinem Gesicht, sein Duft steigt ihr in die<br />

Nase und sie schmiegt sich eng an seinen<br />

Körper. Inmitten der Hitze beginnen sich<br />

seine Gesichtszüge zu verändern. Zuerst traut<br />

sie ihren Augen kaum, doch dann sieht sie,<br />

dass sein Gesicht nun die Form vom Herrn<br />

des Waldes angenommen hat. Sie spürt die<br />

Kraft, die er ausstrahlt, kann jeden seiner<br />

Muskeln fühlen. Sie nimmt den Geruch von<br />

Moos und Erde an ihm wahr. Wenn sie in<br />

seine Augen sieht, fühlt Aileen sich, als ob<br />

sie den Boden unter ihren Füßen verliert, so<br />

als ob sie schweben würde.<br />

Die Zeit scheint still zu stehen, während sich<br />

ihre Körper im Schein der Feuer bewegen.<br />

Sie tanzen noch eine ganze Weile, mal wild,<br />

mal langsam, bevor er sie ein Stück abseits<br />

zieht und fragend ansieht. „Ich war noch nie<br />

im Wald“, sagt er und schaut plötzlich recht<br />

ernst aus, „ich wollte diesen Moment immer<br />

mit dir verbringen.“ Sein Blick gleitet an ihrem<br />

Körper hinunter. Als sich ihre Blicke<br />

wieder treffen, kann Aileen diese Spannung<br />

zwischen ihnen spüren, die regelrecht greifbar<br />

ist. Sie sieht ihm in die Augen, erkennt<br />

den Blick des Waldherrn. und ihre Knie werden<br />

weich; ihre Beine drohen nachzugeben,<br />

doch er hält sie an den Hüften fest.<br />

„Dann lass uns das tun“, antwortet sie leise<br />

und zaghaft und drückt ihren aufgehitzten<br />

Körper gegen ihn. Hand in Hand verlassen<br />

sie den hellen Platz und laufen in Richtung<br />

des dunklen Waldes und Aileen denkt: „Der<br />

Herr des Waldes hatte Recht: Diese Nacht ist<br />

wirklich voller Magie.“<br />

Coleen


8 Gnome Gnome 9<br />

Z<br />

um Abschluss der Reihe über die E-<br />

lementarwesen wollen wir uns nun<br />

noch die Gnome anschauen. Jetzt wird der<br />

eine oder andere sicher denken, dass noch<br />

die Wesen des Äthers fehlen, aber aufgrund<br />

der Art und Beschaffenheit des Äthers könnte<br />

man ihm zugleich alle und doch kein Wesen<br />

zuordnen; daher will ich sie beiseite lassen.<br />

Zudem wird von Paracelsus, von dem ja<br />

die in den westlichen Mysterientraditionen<br />

gebräuchliche Zuordnung stammt, nur auf<br />

vier Elemente und vier entsprechende Arten<br />

von Elementarwesen eingegangen. Über die<br />

Wesen des Äthers möge sich also jeder Leser<br />

seine eigenen Gedanken machen; verschiedenste<br />

Abhandlungen über das Thema<br />

sind leicht im Internet zu finden.<br />

Aber zurück zu den Gnomen: Der Begriff<br />

„Gnom“ ist noch gar nicht so alt, wie man<br />

vielleicht vermuten mag, denn vor Paracelsus<br />

taucht er nirgendwo auf. Wo aber hatte<br />

er seinen „gnomus“ dann her? Natürlich<br />

könnte er ihn im Sinne einer humanistischen<br />

Wortneuschöpfung 1 selbst erfunden haben.<br />

Andererseits könnte es auch sein, dass der<br />

„Gnom“ vom griechischen „geonomos“ abstammt,<br />

was soviel wie „Erdbewohner“<br />

heißt. Eine dritte Variante für den Ursprung<br />

ist das griechische „gnome“, es bedeutet<br />

„Verstand“. Ich selbst halte die „geonomos“-<br />

Variante jedoch für die wahrscheinlichste.<br />

Zumindest passt sie von den Eigenschaften<br />

am besten, wenn wir bedenken, dass der<br />

Verstand eher dem Reich der Luft zuzuordnen<br />

ist und die Gnome in der Erde leben.<br />

Doch auch Gnome konnten und können sehr<br />

scharfsinnig sein und ihre Schätze bestanden<br />

zwar auch, aber nicht nur aus edlen Steinen<br />

und Metallen, sondern ebenso aus Wissen<br />

und Weisheit. Ungleich älter als der Begriff<br />

„Gnom“ ist natürlich das Wissen um die<br />

1 Hiermit sind Wörter gemeint, die latinisiert wurden, also<br />

nicht aus der ursprünglichen lateinischen Sprache<br />

stammen. Es sind also immer Wortneuschöpfungen.<br />

Elementarwesen<br />

Wesenheiten der Erde, denn Erdgeister kannte<br />

man auch schon Jahrtausende zuvor, nur<br />

unter anderen Namen.<br />

Schon in der Antike kannte man sogenannte<br />

Pygmäen 2 (griech. „pygmaios“) als Bezeichnung<br />

für Wesen, die nur faustgroß waren;<br />

daher kann man dieses Wort auch mit<br />

„Fäustling“ übersetzen. Zugleich war der<br />

pygmaios eine griechische Maßeinheit, die<br />

einer Länge von 35cm entspricht. Das deckt<br />

sich in etwa mit der späteren Beschreibung<br />

des Paracelsus, der die Gnome als zwei<br />

Spannen hoch beschrieb, also etwa 40cm.<br />

Sogar den Begriff pygmaios verwendete Paracelsus<br />

parallel zu seinem gnomus weiter.<br />

Nach Homer lebten diese kleinen, Völker<br />

bildenden Wesen am Rande der bewohnbaren<br />

Welt in Höhlen und betrieben Ackerbau.<br />

Auch Aristoteles und andere erwähnten sie,<br />

ordneten sie aber verschiedenen Wohngegenden<br />

zu, so etwa Nordafrika oder Indien.<br />

Der größte Feind der Pygmäen waren angeblich<br />

die Kraniche.<br />

Das Mittelalter übernahm die Vorstellungen<br />

der Antike. Allerdings stufte man die Wesen<br />

herab und betrachtete sie fortan nicht mehr<br />

als kleines menschliches Volk, sondern als<br />

eine Art der Affen. In der frühen Neuzeit<br />

schließlich begann man die Existenz der<br />

Pygmäen zu bezweifeln und führte dafür die<br />

verschiedensten Beweise ins Feld. Auch der<br />

Vergleich von Affen, Menschen und Pygmäen<br />

wurde immer wieder aufgegriffen, bis<br />

2 Die Pygmäen der antiken Sagenwelt haben mit den seit<br />

dem 19. Jhd. in Europa bekannten, kleinwüchsigen<br />

Völkern Zentralafrikas wahrscheinlich nichts gemein.<br />

-Die Gnome-<br />

man schließlich in der Zeit der Aufklärung<br />

mehrheitlich davon ausging, dass es sich bei<br />

ihnen um Fabelwesen handeln müsse.<br />

Johannes Trithemius (1462-1516) beschrieb<br />

die Erdgeister als teils bösartig, teils hilfsbereit.<br />

Ein beliebtes Motiv taucht hier auf: das<br />

Hüten von Schätzen. Nach Trithemius sind<br />

es nämlich die Wesen der Erde, die diese behüten.<br />

Georgius Agricola (1494-1555), Wissenschaftler<br />

und Mineraloge, beschrieb Geister<br />

in Stollen und Dämonen in Bergwerken<br />

als völlig normale Erscheinungen der Natur.<br />

Eine andere Sicht über die Verbindung der<br />

Elementarwesen zu ihren Elementen hatte<br />

Agrippa von Nettesheim (1486-1535), der<br />

davon ausging, dass Erdgeister jene Wesen<br />

wären, die aus Feuer, Luft, Wasser und Erde<br />

zusammen bestünden. Anders als die meisten<br />

seiner Zeitgenossen, meinte Agrippa, dass<br />

die Elementargeister ihre jeweilige Ausprägung<br />

nicht durch ihren Lebensraum, sondern<br />

durch ihre Zusammensetzung ihrer Körper<br />

erhielten. Ein Feuergeist zum Beispiel zeichne<br />

sich also nicht dadurch aus, dass er im<br />

Feuer lebt, sondern dass er aus Feuer besteht.<br />

In der Philosophia occulta beschrieb Agrippa,<br />

dass die Wesen der Erde für Glück und<br />

Unglück der Menschen verantwortlich seien.<br />

Sie erscheinen ihm als Reisebegleiter, helfen<br />

Freunden und seien bei Kriegen anwesend.<br />

Paracelsus (1493-1541) bezeichnete, wie<br />

schon berichtet, die Elementargeister der Erde<br />

sowohl als Gnome als auch als Pygmäen.<br />

Ist unser Lebensraum nach unten durch die<br />

Erde begrenzt, so ist es jener der Gnome<br />

durch das Wasser. Ihr Lebensraum ist die<br />

Erde, unserer die Luft. Demzufolge sehen<br />

und gehen sie genauso durch die feste Erde,<br />

wie es dem Menschen in der Luft möglich<br />

ist. Auch sie können also die Sonne und die<br />

Jahreszeiten sehen und sich problemlos in<br />

der Erde fortbewegen. Da diese das kompakteste<br />

der vier Elemente Erde, Wasser, Luft<br />

und Feuer ist, müssen die Wesen der Erde<br />

demzufolge auch die subtilsten sein. Paracelsus<br />

hält die „Bergleute“, wie er sie auch<br />

nennt, für klein und ungefährlich. Der<br />

Mensch könne sie sich aber recht gut dienstbar<br />

machen, vor allem für divinatorische<br />

Zwecke; dafür gehen sie eher selten eine Ehe<br />

mit Menschen ein; ausgeschlossen ist es aber<br />

nicht. Die Kommunikation auf sprachlicher<br />

Ebene dürfte recht leicht sein, denn die<br />

Gnome reden laut Paracelsus in der gleichen<br />

Sprache wie wir.<br />

Auch Heinrich Heine (1797-1856) beschäftigte<br />

sich mit den Erdwesen. Zunächst wies<br />

er darauf hin, dass man unbedingt Kobolde,<br />

die Geister von Verstorbenen in Mischung<br />

mit teuflischen Wesen sind, von den eigentlichen<br />

Erdgeistern trennen müsse. Letztere<br />

leben in den Bergen und werden auch Gnome,<br />

Wichtel, kleines Volk oder Zwerge genannt.<br />

Er schätzt, dass früher auch Riesen<br />

dazu gezählt haben könnten. Diese hätten jedoch<br />

nicht überdauert, da sie zu viel zum<br />

Überleben gebraucht hätten. Die Zwerge hingegen<br />

hätten es leichter gehabt. Durch ihre<br />

Kunstfertigkeiten waren sie reicher und<br />

durch ihre kleine Größe gelang es ihnen<br />

leichter, sich in Höhlen fortzubewegen. In<br />

früheren Zeiten hätten sich die Zwerge nach<br />

Heines Meinung gern unter den Menschen<br />

aufgehalten, aber da sie zu oft geärgert wurden,<br />

fühlten sie sich verjagt und sind nun nur<br />

noch tief in der Erde zu finden.<br />

Heine überliefert uns auch das Beispiel einer<br />

Beschwörung, durch die man die Zwerge locken<br />

kann, damit sie sich den Menschen zei-


10 Gnome Gnome 11<br />

gen: „Er stellte an eine [...] Stelle einen kleinen<br />

ganz neuen Tisch, mit einem weißen Tuche<br />

bedeckt, darauf zwei Schüsselchen<br />

Milch, ferner zwei Schüsselchen Honig, zwei<br />

Tellerchen und neun Messerchen. Hierauf<br />

nahm er ein schwarzes Huhn und schnitt<br />

demselben über einer Küchenpfanne den<br />

Hals ab, so dass das Blut in die Speise tröpfelte.<br />

Dann warf er ein Stück gen Sonnenaufgang<br />

und das andere gen Sonnenuntergang,<br />

und begann seine Beschwörung.“ 3<br />

Anschließend versteckte sich der Beschwörer<br />

und beobachtete die Zwerge, wie sie a-<br />

ßen. „Nun richtete er Fragen an sie, die sie<br />

beantworteten, und als er dies oft wiederholt<br />

hatte, wurden sie so vertraut mit ihm, dass<br />

sie wie seine Gäste in sein Haus kamen.<br />

Wenn er nicht die gehörigen Anstalten getroffen,<br />

erschienen sie gar nicht oder entflohen<br />

fast auf der Stelle. Er ließ endlich auch<br />

ihren König erscheinen, der allein in einem<br />

Scharlachmäntelchen ankam, worunter er<br />

ein Buch trug, das er auf den Tisch warf,<br />

und er gestattete seinem Beschwörer darin<br />

zu lesen, so viel und so lange er wolle. Auch<br />

schöpfte der Mann daraus große Weisheit<br />

und Geheimnisse besonderer Art.“ 4 Hier sehen<br />

wir, dass die Erdwesen, hier im Speziellen<br />

die Zwerge, durchaus auch hohe geistige<br />

Schätze besaßen.<br />

Nach Rudolf Steiner (1861-1555) sind die<br />

Erdwesen unter anderem die Baumeister der<br />

Natur und der darin lebenden Wesen, und<br />

zwar sowohl im festen wie auch im flüssigen<br />

und gasförmigen Zustand, also aller Wesen<br />

auf und in Erde, Wasser und Luft. Nach Vicky<br />

Gabriel und William Anderson steuern<br />

sie das Erscheinungsbild der einzelnen Individuen.<br />

M. P. Hall (1901-1990) schrieb in „The secret<br />

of all ages“ 1928, dass Gnome über Fel-<br />

3 H. Heine: „Elementargeister und Dämonen“, In:<br />

„Sämmtliche Werke“, 1868<br />

4 Ebd.<br />

sen, Mineralien und die Flora eine große<br />

Macht hätten. Die Pygmäen, wie er sie nennt,<br />

sollen in Höhlen wohnen, Hüter versteckter<br />

Schätze sein und mit Metallen und verschiedenen<br />

Steinen, auch Edelsteinen, arbeiten.<br />

Sie sind sehr klein, dafür können sie aber<br />

oftmals ihre Gestalt wandeln. Manchmal sind<br />

sie bösartig und der Umgang mit ihnen kann<br />

sehr schwer werden. Die Pygmäen heiraten,<br />

gründen Familien und haben eine besondere<br />

Vorliebe für Essen.<br />

Auch in der Literatur können wir Erdgeister<br />

finden. In Goethes Faust I heißt es zum Beispiel<br />

von einem Erdgeist, dass er für eine<br />

Kraft steht, durch die Immaterielles materiell<br />

bzw. manifest wird. In Shakespeares „Sommernachtstraum“<br />

erfahren wir, dass sich die<br />

Erdgeister regelmäßig treffen und von ihrem<br />

König „Gob“ beherrscht werden. Vielleicht<br />

liegt hierin der Grund, dass Gnome später oft<br />

mit Goblins verglichen und verwechselt<br />

wurden, welche eher den Kobolden ähneln.<br />

Aber die einzelnen Erdwesen sind sowieso<br />

sehr schwer voneinander zu unterscheiden.<br />

So kann man zu den Gnomen die Zwerge dazuzählen,<br />

je nachdem welchem genauen System<br />

man folgt oder welche Eigenschaften<br />

man den Wesen zuordnet. Unter anderem<br />

werden auch die folgenden Wesen zu den<br />

Gnomen gezählt: Kobolde, Wichtel, Heinzelmännchen,<br />

Däumlinge und Leprechaune.<br />

Auch in viele Märchen haben insbesondere<br />

die Zwerge Einzug gehalten. Denke ich an<br />

Zwerge, kommt mir immer gleich Schneeweißchen<br />

und Rosenrot in den Sinn, die allerdings<br />

einem eher bösartigen Zwerg begegnen.<br />

Natürlich habe ich auch dieses Mal wieder<br />

ein paar Leute gefragt, wie sie sich die Gnome<br />

vorstellen, und möchte euch davon berichten.<br />

Viele stellen sich die Gnome vom<br />

Aussehen her älter vor, allerdings in der<br />

Größe von kleinen Kindern. Das deckt sich<br />

auch mit nahezu allen obigen, historischen<br />

Beschreibungen. Allerdings wurde mir auch<br />

von menschenähnlicher Größe und sogar ü-<br />

bermenschlicher Größe berichtet, was uns an<br />

die einstigen Riesen erinnert. Bei Kleidung<br />

bzw. Haut gehen die Meinungen auseinander.<br />

Während einige sich ein menschenähnliches<br />

Erscheinungsbild vorstellen, gehen andere<br />

von einer dunklen Haut oder Kleidung<br />

aus Borke und Rinde aus, sodass sie zum<br />

Teil schwer von ihrer Umgebung zu unterscheiden<br />

sind. Da sie in der Erde, in Höhlen<br />

und unter Wurzeln leben, können sie sich gut<br />

verstecken, wenn sie nichts mit uns zu tun<br />

haben wollen. Vom Prinzip her aber besteht<br />

durchaus die Vorstellung, dass sie sich gerne<br />

den Menschen zeigen, ihnen auch helfen o-<br />

der kleine Geschenke machen, aber auch ihren<br />

Schabernack mit uns treiben. Sie wirken<br />

oft sehr ernst, manchmal geradezu mürrisch,<br />

und beschäftigt.<br />

Hervorgehoben haben die Befragten auch<br />

das handwerkliche Geschick, sodass die<br />

Gnome sich quasi alles selbst herstellen können<br />

und kaum auf andere Wesen angewiesen<br />

sind. Metalle wie Gold spielen dabei eine<br />

wichtige Rolle. Als Hüter der Erde sind sie<br />

nach Meinung einiger sehr wichtig, denn sie<br />

kümmern sich um alle Schätze, die eben<br />

auch Lebewesen, wie Tiere und Pflanzen<br />

einschließen, aber auch um die Steine, Mineralien<br />

und Felsen. Dadurch wird auch der<br />

Eindruck des Geizes geweckt, obwohl sie ja<br />

eigentlich nur die materielle Natur beschützen<br />

wollen.<br />

Was die Unterscheidung und Abgrenzung<br />

der Erdwesen angeht, so gestaltet es sich wie<br />

oben beschrieben etwas schwierig: Die einen<br />

zählen Zwerge und Riesen zu den Gnomen,<br />

andere gehen von völlig verschiedenen Wesen<br />

aus, wieder andere unterscheiden zwischen<br />

Berg- bzw. Fels- und Baumwesen, je<br />

nach Zuständigkeits- und Lebensbereich.<br />

Das ist durchaus eine Sache der Herangehensweise.<br />

So kann man zum Beispiel einerseits<br />

davon ausgehen, dass die Elementarwesen<br />

aus dem jeweiligen Element bestehen,<br />

wie Agrippa von Nettesheim es tat, andererseits<br />

davon, dass sie in eben jenem leben,<br />

was Paracelsus annahm. Außerdem kümmern<br />

sie sich um diese ihnen zugeordneten<br />

Dinge, im Fall der Gnome also um Erdreich,<br />

Fels und Pflanzen bzw. ums Materielle oder<br />

gar ums Ruhen.<br />

Für uns dürfte die Sichtweise von Paracelsus<br />

am ehesten zutreffen. Somit wären hier Wesen<br />

zu den Gnomen gehörig, die in der Erde<br />

selbst wohnen, wie wir es in der Luft tun.<br />

Dennoch sind auch die anderen Erdwesen da<br />

und deshalb für die Natur und uns nicht weniger<br />

wichtig.<br />

Wenn ihr also einmal einem solchen begegnet,<br />

so behandelt es mit Respekt. Seid nicht<br />

allzu verwundert, wenn sie sich merkwürdig<br />

verhalten oder euch erschrecken, denn ihre<br />

Ethik entspricht nicht unbedingt der unseren.<br />

Vielleicht bekommt ihr ja auch ein kleines<br />

Geschenk, das in eurem Herzen eine wahre<br />

Freude auslöst.<br />

Blessed be!<br />

Fjörgynn<br />

Quellen:<br />

L. Petzold: Kleines Lexikon der Dämonen<br />

und Elementargeister, 2003<br />

H. Heine: Sämmtliche Werke, 1868<br />

A. Classen (Hrsg.): Paracelsus im Kontext<br />

der Wissenschaften seiner Zeit, 2010<br />

Paracelsus: Liber de nymphes, sylphis, pygmaeis<br />

et salamandris et de ceateris spiritibus<br />

M. P. Hall: The secret teachings of all ages,<br />

1928<br />

V. Gabriel, W. Anderson: Der alte Pfad.<br />

Wege zur Natur in uns selbst, 2010


12 Epona Epona 13<br />

I<br />

n einer der vorangegangenen Ausgaben<br />

schrieb Jaronne recht ausführlich über<br />

das Pferd und die Mythen, Legenden und<br />

Bräuche, die sich um dieses bezaubernde<br />

Tier ranken. Gerührt von diesem Artikel,<br />

kam ich auf die Idee, selbst etwas über die<br />

Göttin Epona zu schreiben, die als Pferdegöttin<br />

der Kelten und Römer vielleicht manchem<br />

bekannt ist.<br />

Wie ihr es von mir gewohnt seid, möchte ich<br />

zuerst auf ihr Erscheinungsbild und ihre verschiedenen<br />

Darstellungen zu sprechen<br />

kommen. Dargestellt wird sie auf den meisten<br />

Abbildungen als wunderschöne, junge<br />

Frau. Entweder sitzt sie im Damensitz auf<br />

einem Pferd oder aber sie steht stolz zwischen<br />

zwei Rössern. Auf manchen Abbildungen<br />

ist sie auch mit einem Fohlen zu sehen,<br />

was die Menschen dazu brachte, sie mit<br />

ihren Erfahrungen von Tod und Wiedergeburt<br />

in Verbindung zu bringen. Doch möchte<br />

ich später zu ihren zahlreichen Aufgabenfeldern<br />

und Aspekten kommen.<br />

Auf vielen altertümlichen Reliefs kann man<br />

sie auch auf einem Thron sitzend sehen, umgeben<br />

von vielen Pferden und Maultieren,<br />

die ihr vertrauensvoll aus der Hand fressen.<br />

Meine Suche ließ mich auch Abbildungen<br />

aus der Zeit der Römer aufstöbern, auf denen<br />

sie erhaben in einem von Rössern gezogenen<br />

Wagen steht. Oft wurde sie auch einfach<br />

als eine weiße Stute dargestellt, was<br />

nahe liegt, denn ihr Name „Epona“, oder<br />

auch „Epana“ bedeutet soviel wie „große<br />

Stute“. Dieser schöne Name ist auch mit<br />

dem lateinischen Wort „equus“, dem griechischen<br />

„hippos“ und dem gallischen „epos“<br />

verwandt; alle drei Wörter bedeuten natürlich<br />

nichts anderes als „Pferd“. Wenn man<br />

sich ein wenig anstrengt, kann man einen<br />

Teil ihres Namens auch in dem Wort „Pony“<br />

finden.<br />

Götterprofil<br />

Die Pferdegöttin Epona<br />

In ihrer Begleitung finden wir neben den<br />

Pferden auch einen Hund oder einen Vogel,<br />

manchmal aber auch keltische Muttergöttinnen,<br />

wie die Campestres oder Sulaeviae,<br />

kleine Herrinnen der Feldlager. In ihrer Hand<br />

hält sie auf vielen Abbildungen einen<br />

Schlüssel, den man als Türöffner für das Tor,<br />

welches in die Anderswelt führt, interpretieren<br />

kann. Attribute ihrer Großzügigkeit sind<br />

das Füllhorn und auch eine Schüssel voller<br />

Nahrung, was uns ihre Rolle als Muttergöttin<br />

sehr verdeutlicht. Ebenso galt Epona als eine<br />

Göttin der Fruchtbarkeit, welches auf ihren<br />

Abbildungen durch Fohlen oder durch eine<br />

Patera ausgedrückt wird. Letztere ist eine<br />

flache Opferschale, in der den Göttern<br />

Trank- oder Blutopfer dargebracht wurden,<br />

sogenannte Libationen.<br />

Epona war bei den Kelten und später auch<br />

bei den Römern die Schutzgöttin aller Reitund<br />

Lasttiere, sie hielt ihre Hände über die<br />

Pferdezucht, welche für die Kelten ein sehr<br />

wichtiger Bestandteil ihrer Kultur war. Sie<br />

setzten ihre recht kleinen, aber dennoch äußerst<br />

zähen und wendigen Pferde in vielerlei<br />

Hinsicht ein: als Zugtiere für Transportwagen,<br />

für Wagenrennen und auch als Schlachtrösser.<br />

Die Art, wie die Kelten mit ihren<br />

Pferden in die Schlacht zogen, beeindruckte<br />

die Römer sehr, denn mit ihren Bemalungen<br />

und ohne Sattel auf den zotteligen Tieren sitzend,<br />

boten sie wohl einen befremdlichen<br />

und Ehrfurcht gebietenden Anblick. Den Sattel<br />

übernahmen die Kelten später von den<br />

Römern. Man sollte auch erwähnen, dass<br />

sich die keltischen Pferdchen in Rom bei den<br />

Wagenrennen sehr großer Beliebtheit erfreuten,<br />

denn sie waren nicht nur widerstandsfähig<br />

und stark, sondern auch äußerst schnell<br />

und wendig.<br />

Epona ist die einzige keltische Göttin, welche<br />

komplett und mit ihrem ursprünglichen<br />

Namen von den Römern übernommen wurde;<br />

ihr Kult war der einzige einer keltischen<br />

Gottheit in der Millionenstadt Rom. Hatte sie<br />

bei den Kelten unter anderem den Rang einer<br />

Mutter- und Todesgottheit, so wurde sie im<br />

Römischen Reich in eine Kriegsgöttin verwandelt.<br />

Dort, wo die Römer Kontakt mit<br />

den Kelten hatten, begann die Verehrung natürlich<br />

zuerst. Kein Wunder also, dass man<br />

Stätten ihrer Verehrung vor allem im Osten<br />

Frankreichs und entlang des Rheins fand, wo<br />

sich die großen römischen Garnisonen am<br />

Limes befanden, von wo sich ihr Kult in<br />

Richtung Italien ausbreitete. Dort wurde sie<br />

dann oft auf die gleiche Art und Weise wie<br />

die ursprüngliche römische Kriegsgöttin Bellona<br />

dargestellt, das heißt, sie trug unter anderem<br />

einen Helm, eine Lanze und ein<br />

Schwert. In Rom wurde Epona daher als<br />

Schutzherrin der Reiterei und auch der Wagenlenker<br />

verehrt und ihr zu Ehren fand alljährlich<br />

am 18. Dezember ein Fest statt. Laut<br />

dem Magistratsbeamten Minucius Felix wurden<br />

ihr rote Rosen als Opfer dargebracht, ihr<br />

zu Ehren wurden Pferde und Esel reich geschmückt<br />

und unter Umständen auch geopfert.<br />

Ebenso wurde ihr Name in den Kaiserkult<br />

eingearbeitet, indem die Gattinnen der<br />

Kaiser dann Namen wie „Epona Augusta“<br />

oder „Epona Regina“ trugen, sicherlich wegen<br />

der Bedeutung Eponas als Muttergöttin.<br />

Erwähnung fand Epona sogar in den Werken<br />

einiger römischer Dichter. Apuleius beschreibt<br />

in „Der Goldene Esel“ eine Nische<br />

im Inneren eines Stalles, wo ein Bild von ihr<br />

mit frisch gepflückten Rosen bekränzt worden<br />

ist. Der in ein Pferd verwandelte Protagonist<br />

der Erzählung weiß genau, dass er<br />

seine menschliche Gestalt zurückerhält, wird,<br />

wenn er von den Opferrosen frisst. Epona<br />

verfügt also über die Macht in Tiere verwandelte<br />

Menschen zu erlösen. Der römische<br />

Dichter Juvenal erwähnt die Göttin in seinen<br />

Satiren ebenfalls in Verbindung mit Pferdeställen.<br />

Im Laufe der Zeit hat sich der Kult der Pferdegöttin<br />

bis ins heutigen Portugal und über<br />

die Donau bis hinüber nach Osteuropa verbreitet,<br />

so großer Beliebtheit erfreute sie<br />

sich.<br />

Doch ich möchte die Römer nun bei Seite<br />

lassen und etwas näher auf Eponas Bedeutung<br />

für die keltischen Stämme zu sprechen<br />

kommen. In ihren Ursprüngen war Epona<br />

nämlich gar keine mit Speer und Schild ausgerüstete<br />

Kriegsherrin. Sie war eine friedliebende<br />

Göttin, welche die Kraft und die Ausdauer<br />

ihrer Rösser den Menschen zur Verfügung<br />

stellen und auch auf sie übertragen<br />

wollte.<br />

Wie wichtig die Göttin wirklich für die Kelten<br />

war, können wir aus Berichten entnehmen,<br />

die aus den frühen keltischen Nomadenstämmen<br />

stammen. Dort glaubte man,<br />

dass die Stammesväter symbolisch mit einer<br />

weißen Stute vereint bzw. verheiratet wurden,<br />

um den Segen der Göttin über ihre Herrschaft<br />

zu bringen. Dieser Brauch war noch<br />

bis in das 11. Jahrhundert u. Z. in Irland gang<br />

und gäbe und es hieß, dass die irischen Herrscher<br />

erst nach ihrer Hochzeit mit der weißen,<br />

das Land verkörpernden Stute die volle<br />

Herrschaftsgewalt übertragen bekommen haben.


14 Epona Epona 15<br />

Über die Entstehung der Pferdegöttin gibt es<br />

mehrere Mythen, von denen ich zwei aufgreifen<br />

möchte. Zum einen heißt es in einem<br />

vom Griechen Agesilaos überlieferten druidischen<br />

Rätsel, sie sei aus einer weißen Stute<br />

und dem „Furius Stellus“ („Zorniger<br />

Stern“/„Roter Stern“) hervorgegangen. Man<br />

geht heute davon aus, dass mit dem Roten<br />

Stern entweder der römische Gott Mars oder<br />

auch der keltische Teutates gemeint ist. Teutates,<br />

oder auch Touto-tati-s war der Stammesgott<br />

der Kelten schlechthin, der väterliche<br />

Führer im Frieden als auch in Kriegszeiten.<br />

Dargestellt wurde er wahrscheinlich mit<br />

Widderhörnern und in Begleitung eines wilden<br />

Ebers. Teutates war im Römischen<br />

Reich auch einer der Beinamen des Gottes<br />

Mars. Zum anderen wird vermutet, dass E-<br />

pona aus einer weißen Stute und einem ganz<br />

normalen menschlichen Mann hervorgegangen<br />

sei. Beide Varianten ermöglichen es ihr,<br />

beliebig ihre Gestalt zwischen der einer Stute<br />

und der einer Frau zu wechseln. Vielleicht<br />

hat sie ja auch deshalb die Macht Menschen<br />

in Tiere und Tiere in Menschen zu verwandeln.<br />

Wie ich bereits erwähnt habe, wurde Epona<br />

auch oft mit einem Füllhorn oder mit einer<br />

Schale voller Nahrung dargestellt. Ebenso<br />

kann man sie auf einigen Darstellungen auch<br />

zusammen mit einem kleinen Fohlen sehen.<br />

Dies deutet darauf hin, dass sie bei den Kelten<br />

nicht nur für das Wohlergehen der Pferde,<br />

Maultiere und Esel zuständig war. Vielmehr<br />

hielt sie als Mutter- und Fruchtbarkeitsgöttin<br />

auch schützend ihre Hände über<br />

die Menschen.<br />

Alten Inschriften zufolge soll ihr auch der<br />

Beiname „Regani“ gegeben worden sein.<br />

Und an genau dieser Stelle wird es spannend,<br />

denn die altkeltische Regani (oder<br />

auch Rigani) war die Mittlerin zwischen<br />

Himmel und Erde und soll einige Zeit mit<br />

dem Himmelsherrn verbracht haben, um<br />

dann wieder hinab in die Unterwelt zu steigen,<br />

damit sie sich mit dem dort ansässigen<br />

Herrscher vereinigen konnte. Wenn wir also<br />

diesen Inschriften Glauben schenken, können<br />

wir davon ausgehen, dass Epona eventuell<br />

eine viel größere Bedeutung im Leben der<br />

Kelten hatte. Als Königin über die Totenwelt<br />

lenkte sie das Geschehen von Tod und Wiedergeburt.<br />

Dass sie ebenso als Heilerin verehrt<br />

wurde, können wir daran sehen, dass<br />

viele ihrer geheiligten Stätten heilige Quellen<br />

waren. Da das Pferd bei den Kelten als<br />

schamanisches Totem- und Krafttier heilig<br />

war, galt Epona auch als Herrscherin über<br />

die Anderswelt.<br />

Heute wird jedoch davon ausgegangen, dass<br />

sie diese Stelle lediglich in den älteren Kulten<br />

der keltischen Stämme einnahm und dass<br />

sie mit dem Einzug der Römer größtenteils<br />

auf die Position der Beschützerin der Pferde<br />

und Kavallerie „herabgesetzt“ wurde.<br />

Epona hatte in der keltischen Mythologie<br />

scheinbar einen so hohen Rang, dass man<br />

heute noch in ganz Europa ihr gewidmete<br />

Schreine finden kann. Im Jahre 1966 fand<br />

man in Ostfrankreich eine sehr bedeutsame<br />

Statue, die „Epona von Alesia“. Alesia war<br />

damals sozusagen das Zentrum des Epona-<br />

Kultes. Einer ihrer wichtigsten Schreine<br />

wurde in Stuttgart in „ihrem Stutengarten“<br />

gefunden; weitere Reliefs fand man in Bayern,<br />

Baden-Württemberg und Hessen. Allerdings<br />

muss ich an dieser Stelle erwähnen,<br />

dass diese Inschriften nicht aus der Zeit der<br />

Kelten stammen, sondern sehr wahrscheinlich<br />

germanischen oder auch römischen Ursprung<br />

haben. Bei Mainz fand sich sogar eine<br />

Inschrift für Epona, deren Urheber ein Syrer<br />

gewesen sein soll. In einer norditalienischen<br />

Weihinschrift hingegen wurde sie mit<br />

der römischen Göttin Ops gleichgesetzt. Diese<br />

war in der römischen Mythologie eine<br />

Fruchtbarkeitsgöttin, beschützte die Neugeborenen<br />

und in Kriegszeiten wurde sie angerufen,<br />

damit sie über die Stadt Rom wache.<br />

Sie war die Mutter Jupiters und die Frau von<br />

Saturnus und wurde daher mit der griechischen<br />

Rhea verglichen. Oft setzte man Epona<br />

auch mit Macha, Etain oder Rhiannon gleich.<br />

Es hieß, dass Macha ein weiblicher Nachkomme<br />

jener Götter war, welche weit vor<br />

den keltischen Göttern über Irland herrschten.<br />

In den Mythen war sie die Gattin von<br />

Herrschern, welche nur durch die „Heilige<br />

Hochzeit“ mit ihr die volle Herrschaftsgewalt<br />

besaßen. Oft trat sie als Kämpferin in<br />

einem Streitwagen auf. Etain, in der irischen<br />

Mythologie die Tochter der Túatha Dé Danann,<br />

wurde von dem Sprachforscher T.<br />

F. O'Rahilly (1883-1953) für eine Sonnengöttin<br />

gehalten, allerdings trug sie auch ab<br />

und an den Beinamen Echraide („Reiterin“).<br />

Und Rhiannon (romano-britisch: Rigantona<br />

– „Großkönigin“) war ebenfalls eine Pferdegöttin,<br />

sehr oft dargestellt mit einem prächtigen<br />

Schimmel. Wie wir sehen, haben alle<br />

diese drei Göttinnen etwas mit Pferden zu<br />

tun. Wenn ein Gott oder eine Wesenheit so<br />

eng in Verbindung mit Pferden steht, nennt<br />

man diese auch hippomorphisch.<br />

Die Göttin Epona ist heute noch sehr fest in<br />

den Köpfen und den Herzen der Menschen<br />

verankert. Fast alle Händler von Pferdefutter,<br />

Reitutensilien, oder auch Pferdezüchter selber,<br />

schreiben sich ihren Namen auf die Fahnen.<br />

Ich habe im Internet lediglich nach dem<br />

Wort „Epona“ gesucht und fand sofort Vereine,<br />

Ställe und Futterhändler.<br />

Auf Mackinac Island im US-Bundesstaat<br />

Michigan wird Epona heute noch jedes Jahr<br />

im Juni verehrt, indem die Pferde in der Region<br />

gesegnet und Paraden abgehalten werden.<br />

Auf der kleinen Insel inmitten des Huronsees<br />

sind Automobile nicht erlaubt, womit<br />

das Pferd definitiv das schnellste Transportmittel<br />

ist. Scheinbar haben die Menschen<br />

dieser Gegend noch immer einen ganz besonderen<br />

Bezug zu unserer Pferdegöttin und<br />

ihren Tieren.<br />

Epona verkörpert Kraft, Willen und Zielstrebigkeit,<br />

sie symbolisiert das Starke in einer<br />

Frau, sie ist unabhängig und ungebrochen.<br />

Und mit ihrer Bekanntheit weilt sie auch<br />

weiterhin sehr lebendig unter den Menschen.<br />

Quellen (Internetseiten Stand März 2012):<br />

Julia<br />

R. M. Allesch: Die Pferdegöttin Epona in<br />

Noreia und Virunum, Hückeswagen 1984.<br />

G. J. Bellinger: Knaurs Lexikon der Mythologie,<br />

München 2000.<br />

A. Cotterell: Enzyklopädie der Mythologie,<br />

Fränkisch-Crumbach 1999.<br />

O. Gigon (Hrsg.): Lexikon der Alten Welt,<br />

Düsseldorf/Zürich 2001.<br />

W. Spickermann, R. Wiegels: Keltische Götter<br />

im Römischen Reich, Möhnesee 2005.<br />

http://www.keltika.eu/


16 Natur Natur 17<br />

"Flatternde Geister füllen die Flur, und füllen<br />

den Vorhof,<br />

Zu des Erebos Schatten hinuntereilend!<br />

Die Sonne ist am Himmel erloschen,<br />

und rings herrscht schreckliches Dunkel!"<br />

(Homer: Odyssee)<br />

E<br />

s ist heller Tag. Die Sonne steht weit<br />

oben am Himmel und strahlt in voller<br />

Kraft. Doch plötzlich erscheint ein schwarzer<br />

Schatten vor der leuchtenden Scheibe<br />

und Stück um Stück wird es dunkler, bis der<br />

leuchtende Feuerball vollständig verschwunden<br />

ist. Eine Sonnenfinsternis findet<br />

statt.<br />

Die Magie der Natur<br />

Wenn die Sonne sich verfinstert<br />

Die Sonne ist der zentrale Baustein unseres<br />

Planetensystems und schenkt lebensspendende<br />

Energie in Form von Wärme und<br />

Licht. Schon seit jeher kannten wie sie als<br />

die Kraft, die Leben zu geben und auch zu<br />

nehmen vermag. Ohne sie würden weder unsere<br />

Welt, noch die Rasse der Menschen e-<br />

xistieren. Jene Gottheiten, die Sinn- und Abbild<br />

der überbordenden Sonnenkraft waren,<br />

haben daher zu allen Zeiten und in allen<br />

Kulturen eine übergeordnete Rolle gespielt:<br />

Schamasch bei den Babyloniern, Ra bei den<br />

Ägyptern, Tonatiu, Inti und Itzamna bei den<br />

Azteken, Inka und Maya, der Sol invictus<br />

der Römer, Utu bei den Sumerern und Sol<br />

bei den Germanen. Durch Beobachtung der<br />

Sonne waren die Menschen schon sehr früh<br />

in der Lage bestimmte Ereignisse, die den<br />

Jahreszyklen unterworfen waren, zu erkennen.<br />

An jenem Zyklus richteten wir Menschen<br />

unser gesamtes Leben und natürlich<br />

auch unsere Feste aus. Wir feiern die Sonnenwenden<br />

und die Tagundnachtgleichen –<br />

Feste, die in den mannigfachen Kulturen des<br />

Menschen zwar unterschiedliche Gestalt, a-<br />

ber doch ganz ähnliche Bedeutungen haben.<br />

Aus der großen Verehrung, die wir gerade<br />

jenem lebensspendenden Himmelskörper<br />

zollen, entstand über kurz oder lang auch die<br />

Idee des Monotheismus. Aton, die Sonnenscheibe,<br />

war der erste Gott, dessen Diener<br />

für ihn in Anspruch nahmen, dass es keinen<br />

neben ihm geben dürfe.<br />

Wenn also die Sonne einen so hohen Stellenwert<br />

als göttliche Entität genossen hat,<br />

was muss den Menschen dann bewegt haben,<br />

wenn es zu einer Sonnenfinsternis kam? Wen<br />

wundert es da, dass im Zusammenhang mit<br />

dem Verschlingen oder dem Verdunkeln der<br />

Sonne Mythen überliefert sind, die sich ausschließlich<br />

mit dem Ende der Welt befassen?<br />

Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie<br />

es gelingen sollte, ohne die Sonne in der heutigen<br />

Welt, geschweige denn in einer archaischen,<br />

zu überleben, selbst wenn die Erde<br />

nicht abkühlen würde. Sämtliche Prozesse in<br />

der Natur, von den Paarungszeiten und der<br />

Aufzucht der Jungen im Tierreich über die<br />

Photosynthese der Pflanzen und deren<br />

Wachstum bis hin zum Wasserkreislauf,<br />

werden von ihr beeinflusst. So bedeutete die<br />

Verfinsterung der Sonne den alten Völkern<br />

nichts anderes, als den Umsturz der göttlichen<br />

Ordnung, das Ende der Welt, das Aufbegehren<br />

der Dämonen.<br />

Vater erzählt<br />

Wie erblühte meine kindliche Fantasie, als<br />

mein Vater mir von der sibirischen Sonnenfinsternis<br />

seiner Studienzeit berichtete. In<br />

seiner studienfreien Zeit hatte er eine Arbeit<br />

angenommen, die ihn in die Sibirische Taiga<br />

verschlug, wo er am 31. 07. 1981 dem Naturereignis<br />

beiwohnen konnte. Ich lauschte<br />

seinen Erzählungen und hatte natürlich meine<br />

eigenen kindlichen Bilder vor Augen. Er<br />

beschrieb, wie die Atmosphäre sich änderte,<br />

die Tiere in der Umgebung langsam unruhig<br />

wurden und man das Gefühl bekam, etwas<br />

Großes passiere gleich. Niemand in seinem<br />

Umfeld, er eingeschlossen, war darauf vorbereitet,<br />

dass eine Sonnenfinsternis stattfinden<br />

würde. Alle wurden davon überrascht.<br />

Ich habe noch im Ohr, wie er zu mir sagte:<br />

„Wir sind alle in unsere Unterkünfte gerannt<br />

und haben angezogen, was wir finden konnten,<br />

weil die Dunkelheit ganz plötzlich eine<br />

enorme Kälte mit sich brachte.“<br />

Das war für mich so unglaublich, dass ich<br />

mir vorstellte, für einen Augenblick wäre die<br />

Welt eingefroren. Mit dem Wissen, was ich<br />

heute habe, war dieses Bild wohl gar nicht so<br />

falsch, wenn man davon ausgeht, dass die<br />

Sonne verdunkelt bliebe. In jedem Fall hat<br />

mich seine Geschichte so beeindruckt, dass<br />

ich mich noch immer gut daran erinnere.<br />

Bisher habe ich nur eine partielle Sonnenfinsternis,<br />

und zwar im August 1999, bewusst<br />

erleben dürfen, kann mir aber sehr gut<br />

vorstellen, wie stark die Empfindungen<br />

wachsen mögen, wenn man sich einer totalen<br />

Verfinsterung gegenübersieht.<br />

Allein an der Art, wie mein Vater sprach,<br />

merkte man, wie ihn dieses Erlebnis geprägt<br />

haben muss. Und es wundert mich nicht,<br />

dass sich im Laufe der Zeit so viele Geschichten<br />

um dieses Naturereignis entsponnen<br />

haben. Ehrlich gesagt, beneide ich meinen<br />

Vater ein wenig, um seine Erfahrung.<br />

In den Mythen der Welt<br />

Mythen über die Sonne und ihre Verdunklung<br />

findet man über die ganze Welt verstreut.<br />

Ungewöhnlich ist die Geschichte, die man<br />

sich auf Tahiti erzählt, denn sie hat ausnahmsweise<br />

rein gar nichts mit Angst und<br />

Unheil zu tun. Laut diesem Mythos sind<br />

Sonne und Mond in ewiger Liebe zueinander<br />

entbrannt, tanzen von alters her miteinander<br />

und strahlen auf diese Weise für die Erde<br />

und ihre Geschöpfe. Die einzige Ausnahme<br />

bildet ein kleiner Augenblick. Wenn sie den<br />

Zenit ihres Tanzes erreichen, verschmelzen<br />

sie in ihrer Liebe schwelgend miteinander.<br />

Das ist der einzige Moment, in dem sie nicht<br />

mehr für die Erde, sondern nur noch für sich<br />

selbst strahlen. Dadurch zeugen sie viele<br />

Kinder, die wie Sterne am Himmel leuchten.<br />

So ist es ja auch zu beobachten, denn wenn<br />

Dunkelheit über die Erde fällt, werden die<br />

kleinen, leuchtenden Himmelskörper überhaupt<br />

erst sichtbar. Meist sind die Mythen<br />

rund um die Verfinsterung der Sonne aber<br />

ungleich düsterer Natur.<br />

In China beispielsweise glaubte man, dass<br />

der Drachen des Chaos versucht die Sonne<br />

zu verschlingen. Wenn er es schafft, verdunkelt<br />

sich der Himmel. Die einzige Möglichkeit,<br />

ihn dazu zu bringen, die Sonne wieder<br />

freizugeben, besteht darin, lautes Getöse mit<br />

Trommeln, Rasseln und öffentlichem Drohgeschrei<br />

gen Himmel zu senden, auf dass der<br />

dunkle Drache die Sonne wieder ausspucke.


18 Natur Natur 19<br />

Es gibt auch eine balinesische Wesenheit<br />

namens Kala Rau, die sich vor Eifersucht<br />

auf die Götter und vor Gier nach Unsterblichkeit<br />

als derjenige verkleidete, der das<br />

Unsterblichkeitselixier auf einem Götterbankett<br />

servieren sollte. Gerade als er versuchte<br />

einen Schluck zu trinken, wurde er jedoch<br />

entdeckt und auf der Stelle enthauptet. Zwar<br />

erlitt sein Körper auf diese Weise den Tod,<br />

sein Kopf jedoch nicht, weil dieser bereits<br />

Berührung mit dem Elixier hatte. Aus Rache<br />

jagt Kala Rau nun Sonne und Mond hinterher,<br />

um sie zu verschlingen und so die<br />

Schöpfung der Götter zu erschüttern.<br />

Manchmal, wie man am Himmel beobachten<br />

kann, schafft er das auch, jedoch nicht für<br />

lange Zeit. Schließlich ist es ein abgetrennter<br />

Kopf und dem Himmelskörper gelingt durch<br />

die Öffnung im Hals bald wieder die Flucht.<br />

Aber nicht nur in Asien findet man Geschichten<br />

über die Verdunkelung der Sonne.<br />

In der germanischen Mythologie läutet die<br />

Verdunkelung von Sonne und Mond das Ende<br />

der Welt ein, die Ragnarök. Beide Gestirne<br />

werden, solange sie am Firmament zu sehen<br />

sind, von einem Wolf gejagt, um von<br />

ihm verschlungen zu werden. Wenn dies gelänge,<br />

würden die Sterne vom Himmel fallen,<br />

die Erde erbeben, das Land überflutet<br />

werden und der Fenriswolf sich befreien<br />

können, auf dass Göttervater Odin von ihm<br />

gefressen werde. Das klingt zwar so düster,<br />

wie die Sonnenfinsternis selbst, ist aber nur<br />

das Vorspiel zu einer erneuten Explosion der<br />

Schöpfung; die eine Welt stirbt, eine andere<br />

wird geboren. Eine Verdunklung der Sonne<br />

kann also auch eine Erneuerung der Schöpfung<br />

bedeuten. Bei einigen afrikanischen<br />

Stämmen heißt es, dass die Sonne während<br />

ihrer Verfinsterung stirbt, im dunklen Bauch<br />

verfault und anschließend neu geboren wird.<br />

Manchmal ist auch von Reinigung die Rede.<br />

Die Angst der Azteken vor der Sonnenfinsternis<br />

war so groß, dass sie sogar Menschenopfer<br />

anboten, um ihrer Schutzgottheit Tonatiuh<br />

im ständigen Kampf gegen die Mächte<br />

der Unterwelt beizustehen, die sie jede Nacht<br />

als „schwarze Sonne“ durchqueren musste.<br />

Wenn eine Sonnenfinsternis eintrat, bedeutete<br />

das, dass Tonatiuh sich besonders mächtigen<br />

Angriffen ausgeliefert sah. Also musste<br />

die Schwäche der Sonne mit Lebenskraft, also<br />

Menschenblut, wieder geheilt werden.<br />

Die Sonnenfinsternis von 1842<br />

Jakob Alt (1789-1872)<br />

Nördlicher hatten die verschiedenen indianischen<br />

Stämme zwar ganz unterschiedliche<br />

Vorstellungen davon, was am Himmel nun<br />

passieren möge, jedoch ging es dort wesentlich<br />

unblutiger zu als bei den Azteken. So<br />

glaubten manche, dass ein großer Vogel den<br />

Weg der Sonne kreuze und diese mit seinen<br />

mächtigen Flügeln verdecke. Andere meinten,<br />

Sonne und Mond würden das Geschlecht<br />

tauschen, sodass die Nacht plötzlich am Tag<br />

in Erscheinung träte. Und wiederum andere<br />

fürchteten, das Licht würde ausgehen und<br />

schossen Feuerpfeile gen Himmel, um die<br />

Sonne wieder zum Leuchten zu bringen.<br />

In der Vorstellung der Inuit wird die Sonne<br />

Malina aus Begierde vom Mond Anningan<br />

gejagt, um sie in Besitz zu nehmen. Gelingt<br />

ihm die Vergewaltigung, verfinstert sie sich<br />

für diese Zeit. Er ist so sehr davon getrieben,<br />

Malina nachzustellen, dass er sogar vergisst<br />

zu essen, was den abnehmenden Mond bis<br />

hin zum Neumond erklärt. Beide hassen das<br />

jeweils andere Geschlecht, weswegen es bei<br />

den Inuit angeblich Brauch ist, dass Männer<br />

bei einer Sonnenfinsternis nicht aus dem<br />

Haus gehen und Frauen nicht bei Neumond.<br />

Der Dichter Worte...<br />

Glücklicherweise gab es in der Vergangenheit<br />

Poeten, die es geschafft haben, uns eindrucksvolle<br />

Bilder der sich verfinsternden<br />

Sonne zu hinterlassen und ihren Empfindungen<br />

durch Worte Ausdruck zu verleihen. Einer<br />

von ihnen war Adalbert Stifter (1805-<br />

1868), der das Erlebnis der Sonnenfinsternis<br />

vom 8. Juli 1842 recht eindrucksvoll schilderte:<br />

„Wie heilig, wie unbegreiflich und wie<br />

furchtbar ist jenes Ding, das uns stets umflutet,<br />

das wir seelenlos genießen und das unseren<br />

Erdball mit solchen Schaudern zittern<br />

macht, wenn es sich entzieht, das Licht, wenn<br />

es sich nur kurz entzieht.<br />

Die Luft wurde kalt, empfindlich kalt, es fiel<br />

Tau, daß Kleider und Instrumente feucht waren<br />

– die Tiere entsetzten sich; was ist das<br />

schrecklichste Gewitter, es ist ein lärmender<br />

Trödel gegen diese todesstille Majestät – mir<br />

fiel Lord Byrons Gedicht ein: Die Finsternis,<br />

wo die Menschen Häuser anzünden, Wälder<br />

anzünden, um nur Licht zu sehen – aber auch<br />

eine solche Erhabenheit, ich möchte sagen<br />

Gottesnähe, war in der Erscheinung dieser<br />

zwei Minuten, daß dem Herzen nicht anders<br />

war, als müsse er irgendwo stehen.<br />

Byron war viel zu klein – es kamen, wie auf<br />

einmal, jene Worte des heiligen Buches in<br />

meinen Sinn, die Worte bei dem Tode Christi.“<br />

1<br />

Auch zum Zeitpunkt der Kreuzigung Christi<br />

soll also eine Sonnenfinsternis stattgefunden<br />

haben. Doch Stifter führt die Worte ein we-<br />

1 Adalbert Stifter: Lese seiner Werke, S. 274f<br />

nig anders aus, als sie in der Bibel zu finden<br />

sind. Im Matthäus-Evangelium heißt es:<br />

„Aber von der sechsten Stunde an kam eine<br />

Finsternis über das ganze Land bis zur neunten<br />

Stunde. […] Jesus aber schrie wieder mit<br />

lauter Stimme und gab den Geist auf. Und<br />

siehe, der Vorhang des Tempels zerriß in<br />

zwei (Stücke), von oben bis unten; und die<br />

Erde erbebte, und die Felsen zerrissen, und<br />

die Grüfte öffneten sich, und viele Leiber der<br />

entschlafenen Heiligen wurden auferweckt.“ 2<br />

Ähnlich düster und schrecklich erscheint uns<br />

eine Textpassage der Antike, die ein solches<br />

Naturereignis beschreiben könnte. Es geht<br />

um einige Zeilen aus Homers Odyssee und<br />

zwar um genau jene, die ich zu Beginn meines<br />

Artikels schon zitierte. Odysseus war<br />

König der Insel Ithaka und ein bekannter<br />

Held des Trojanischen Krieges. Er soll die<br />

Idee mit dem hölzernen Pferd gehabt haben,<br />

die den Griechen schlussendlich den Sieg<br />

über das mächtige Troja einbrachte. Nach einer<br />

langen Irrfahrt mit vielen Abenteuern<br />

und Prüfungen, die etwa zehn Jahre dauerte,<br />

schaffte er es nach Hause zurückzukehren<br />

und musste feststellen, dass seine Frau von<br />

Männern umgeben war, die um sie freiten,<br />

weil Odysseus schon zu lange weg gewesen<br />

war; auch waren ihm viele seiner Knechte<br />

und Mägde untreu geworden. So versteckte<br />

er sich also und plante blutige Rache. Eine<br />

Vision jener kommenden Taten beschreibt<br />

der 20. Gesang der Odyssee, in dem ein alter<br />

Seher die Rache des Odysseus mit den<br />

Schrecken einer Sonnenfinsternis vergleicht.<br />

Keiner der Freier wird der Wut des Heimgekehrten<br />

entgehen können.<br />

Von Wut, Rache und einer Sonnenfinsternis<br />

berichtet auch die letzte Geschichte, von der<br />

ich euch berichten will. Zugetragen hat sie<br />

sich im Süden der USA, als Sklaverei dort<br />

noch an der Tagesordnung war. Nat Turner,<br />

2 Matthäus 27,45-52; Bibel, Elberfelder Übersetzung


20 Natur Natur 21<br />

der Anführer einer schwarzen Befreiungsbewegung,<br />

hatte bereits eine Schar von Anhängern<br />

um sich versammelt. Jedoch war<br />

noch nicht abzusehen, wann die Gruppe den<br />

letzten Schritt zum Aufstand machen würde,<br />

bis im Februar 1831 der „schwarze Engel“<br />

am Himmel siegreich aus dem Kampf gegen<br />

den „weißen Engel“ hervorging. Dies war<br />

das himmlische Zeichen, auf das alle<br />

gewartet hatten, und die große<br />

Sklavenrevolte begann. Leider wurden sie<br />

bald durch die Miliz aufgehalten und allesamt<br />

gehenkt. Dennoch war dieser Beweis<br />

für die Macht ihres Glaubens nicht umsonst,<br />

denn ihre Tat blieb nicht ohne<br />

Nachwirkungen und zog eine ganze Reihe<br />

weiterer Aufstände nach sich.<br />

Der Endzeitgedanke im Zusammenhang mit<br />

der Verfinsterung der Sonne existierte durch<br />

alle Zeitalter bis in unsere heutige Zeit ungebrochen<br />

weiter. Nicht umsonst hat so<br />

mancher nach dem 11. August 1999 umso<br />

stärker an den Untergang de alten Welt mit<br />

dem Beginn des neuen Millenniums geglaubt.<br />

Was lernen wir daraus? Verdunkelt<br />

sich die Sonne so scheint die Zeit stillzustehen<br />

und für einen kurzen Augenblick ersterben<br />

Schöpfung und Götter. Schon so viele<br />

Welten sind untergegangen und ein Zeitalter<br />

folgte auf das andere. Aber etwas ist immer<br />

geblieben: Die Erde existiert noch, ebenso<br />

wie die Sonne.<br />

Und was sagt die Wissenschaft?<br />

Im Grunde genommen ist der Ursprung einer<br />

Sonnenfinsternis recht simpel. Die Erde<br />

dreht sich um die Sonne und der Mond um<br />

die Erde. Und wenn der Erdtrabant sich zwischen<br />

unseren Planeten und das Zentralgestirn<br />

schiebt, verdeckt der Mond die Sonne.<br />

Aber wann genau ist dies der Fall?<br />

Würde die Mondbahn in derselben Ebene<br />

liegen wie die Bahn der Erde um ihren Heimatstern,<br />

würde logischerweise immer zu<br />

Neumond eine Sonnenfinsternis stattfinden.<br />

Denn Neumond bedeutet immer, dass die<br />

sonnenabgewandte Seite des Mondes zur Erde<br />

zeigt. Daraus folgt, der Neumond steht<br />

immer zur gleichen Zeit an der gleichen Stelle<br />

wie die Sonne am Firmament. Auch wenn<br />

das mit der gleichen Stelle, exakt betrachtet,<br />

nicht ganz stimmt. Der Erdtrabant schaut von<br />

uns aus gesehen direkt zur Sonne, nur können<br />

wir ihn nicht sehen, weil sie mit ihrer<br />

blendenden Kraft alles überstrahlt und somit<br />

für uns alles andere im Weltraum unsichtbar<br />

macht, was nicht selbst stark genug leuchtet.<br />

Das in der Atmosphäre gestreute Licht tut<br />

sein übriges.<br />

Warum haben wir aber nun nicht nach jeder<br />

Lunation, einer Monddrehung, immer wieder<br />

eine Sonnenfinsternis?<br />

Die Antwort darauf ist simpel. Der Mond<br />

bewegt sich auf einer zur Erdbahn – das ist<br />

der Umlauf der Erde um die Sonne – leicht<br />

geneigten Ebene. Daraus ergibt sich, dass es<br />

nur zu einer Sonnenfinsternis kommt, wenn<br />

sich Erdbahn und Mondbahn kreuzen und<br />

gleichzeitig auch noch Neumond vorherrscht.<br />

Das kreuzen der zwei Bahnen wird<br />

auch Mondknoten genannt.<br />

Ausgehend davon erklärt es sich, warum<br />

Sonnenfinsternisse so selten auf der Erde<br />

stattfinden. Die Bahnen der Erde und des<br />

Mondes bleiben nach menschlichen Zeitmaßstäben<br />

ungefähr gleich. Folglich kann<br />

man mittels gesammelter astronomischer Daten<br />

über die Bewegungen des Mondes und<br />

der Sonne am Firmament kommende Sonnenverfinsterungen<br />

voraussagen.<br />

Diese Daten sind oftmals in Tabellen zusammengefasst<br />

und werden Finsterniszyklen<br />

genannt. Dabei wird nicht nur die Sonnenfinsternis,<br />

sondern auch ihr Gegenpart, die<br />

Mondfinsternis, und ihr Verhalten zueinander<br />

betrachtet. Die Mathematik zur Berechnung<br />

und Erklärung dieser Zyklen ist recht<br />

komplex und nicht besonders spannend.<br />

Darum möchte ich, lieber Leser, nicht unnötig<br />

weiter darauf eingehen. Es sei nur erwähnt,<br />

dass es viele verschiedene Zyklen<br />

gibt, die ineinander geschachtelt sind oder<br />

aufeinander folgen. Das Prinzip ist dabei<br />

immer das gleiche: Nach einer bestimmten<br />

Anzahl von Lunationen folgt eine Sonnenfinsternis<br />

der nächsten; jedoch fast immer<br />

auf verschiedenen Orten der Erde.<br />

Trotz dieser sich wiederholenden Reihen an<br />

Sonnenverdunklungen, sollte man nicht dem<br />

Trugschluss verfallen, dass es sich um eine<br />

rhythmische, gleich bleibende Bewegung<br />

handelt. Diese Zyklen sind nur zeitliche Ausschnitte<br />

mit einer begrenzten und ausgewählten<br />

Anzahl von Ereignissen. Für alle Finsternisse<br />

in einem sehr langen Zeitverlauf betrachtet,<br />

existiert nicht einmal ein Zyklus.<br />

Nun wissen wir, wie eine Sonnenfinsternis<br />

entsteht. Doch sind auch alle gleich? Und<br />

wie groß ist ein Bereich auf der Erde, der<br />

während einer Verdunkelung vom Mondschatten<br />

bedeckt wird? Die Antworten auf<br />

beide Fragen hängen miteinander zusammen.<br />

Die Erde ist großflächig und hat eine gekrümmte<br />

Form. Folglich verändert sich der<br />

Zielpunkt der Sichtlinie eines Menschen, der<br />

direkt zum Mond bzw. zur Sonne schaut, mit<br />

seiner örtlichen Lage. Das heißt im Klartext,<br />

wenn man am Äquator eine Sonnenfinsternis<br />

betrachtet, heißt das nicht automatisch, dass<br />

es auch zur selben Zeit vom Polarkreis aus<br />

möglich ist.<br />

Jedoch muss man, was die Möglichkeiten der<br />

Sichtungen angeht, Unterscheidungen machen.<br />

Es gibt den riesigen Halbschatten, der<br />

tausende Kilometer Durchmesser hat, und<br />

den sich darin befindlichen Kernschatten mit<br />

nur maximal 300 km Durchmesser.<br />

Der Halbschatten ist der Bereich, in dem der<br />

Mond von der Erde aus betrachtet nur einen<br />

Teil der Sonne verdeckt. Folglich ergibt eine<br />

totale Sonnenfinsternis den Kernschatten.<br />

Da nur ein kleines Gebiet unseres Planeten<br />

vom Kernschatten bedeckt wird, findet dieses<br />

besondere astronomische Schauspiel für<br />

einen lokal festgelegten Ort natürlich viel<br />

seltener statt als für den Planeten Erde als<br />

Ganzes. Wenn man aus dem Weltraum auf<br />

unseren Planeten herab sieht, kann man den<br />

Schatten des Mondes relativ häufig erspähen.<br />

Dies ist sogar in Einzelfällen mehrmals innerhalb<br />

eines Jahres möglich. Aber an ein<br />

und demselben Ort, findet eine totale Verfinsterung<br />

unseres Zentralgestirns am Himmel<br />

im Mittel nur alle 300 bis 400 Jahre statt.<br />

Jedoch gilt dies nur für eine totale Sonnenfinsternis,<br />

denn es gibt mehrere Arten von<br />

Finsternissen des Zentralgestirns am Erdenhimmel.<br />

Die am häufigsten auftretende ist<br />

die partielle Sonnenfinsternis, im Sinne einer<br />

zum Teil bedeckten Sonne. Diese Art der<br />

Finsternis hat fast jeder Mensch schon einmal<br />

in seinem Leben miterleben dürfen. Im<br />

Grunde passiert dieses Ereignis so relativ<br />

häufig, weil der Kernschatten nicht am Beobachter<br />

vorbei zieht. Man befindet sich<br />

während der gesamten Zeit nur im Halbschatten.<br />

Die Glücklichen, die zur selben<br />

Zeit am richtigen Ort sind, erleben dann eine<br />

zentrale Finsternis, da über ihnen der Kernschatten<br />

hinweg verläuft.<br />

Die zentrale Verdunkelung der Sonne dauert<br />

nur wenige Minuten, selten länger als fünf,<br />

da Mond und Erde in stetiger Bewegung<br />

sind. Davor und danach herrscht logischerweise<br />

die partielle Bedeckung vor. Die zentrale<br />

Sonnenfinsternis wird zudem in zwei<br />

weitere unterschiedliche Formen unterteilt,<br />

in die totale und die ringförmige Sonnenfinsternis.<br />

Die Sonne ist zwar viel weiter weg als der<br />

Mond, jedoch ist sie sehr groß. Von der Erde<br />

aus betrachtet sind beide Himmelskörper<br />

scheinbar gleich groß, was im Übrigen reiner<br />

Zufall ist.<br />

Nun bewegt sich der Mond auf einer elliptischen<br />

Bahn um die Erde. Wenn er weiter<br />

weg ist, erscheint er dann logischerweise<br />

auch kleiner als bei minimaler Nähe. Ist der<br />

scheinbare Durchmesser des Mondes zu<br />

klein, kann er nicht die gesamte Sonne bedecken.<br />

Auch nicht wenn er genau im Mond-


22 Natur Natur 23<br />

knoten und damit im Zentrum der Tagesspenderin<br />

steht. Was man dann wahrnimmt,<br />

ist eine dunkle schwarze Scheibe, die von<br />

einem dünnen, aber grellen Ring umgeben<br />

ist. Dieses Ereignis nennt man dann ringförmige<br />

Finsternis. Ist die Sonne vollständig<br />

verdunkelt, handelt es sich um eine totale<br />

Finsternis. Die ringförmigen dauern darüber<br />

hinaus etwas länger als die totalen Sonnenfinsternisse,<br />

was einfach nur eine Folge des<br />

längeren augenscheinlichen Weges der Bewegung<br />

des Erdtrabanten an der Sonnenscheibe<br />

vorbei ist, da er am Himmel kleiner<br />

erscheint. Auch ist im geringen Maße das<br />

zweite Kepler'sche Gesetz mitverantwortlich<br />

für den längeren Weg des Mondes: Je weiter<br />

der Mond von der Erde entfernt ist, umso<br />

langsamer ist seine Geschwindigkeit.<br />

Zusätzlich gibt es noch die Art der eigentlichen<br />

partiellen Sonnenfinsternis. Diese ist in<br />

dem Sinne zu verstehen, dass der Kernschatten<br />

gar nicht die Erde berührt, sondern vorbeieilt.<br />

Jedoch ist der Halbschatten mit seinen<br />

tausenden Kilometern so groß, dass er<br />

immer noch den blauen Planeten erreicht.<br />

Solche Ereignisse finden nur in Polnähe<br />

statt, da die Ekliptik immer grundsätzlich<br />

Richtung Äquatornähe zeigt und somit die<br />

Polkappen den äußeren Rand der Erde darstellen.<br />

Die Ekliptik ist die scheinbare Bewegung<br />

der Sonne um die Erde.<br />

Bei Neumond steht der Erdtrabant dann aus<br />

dem Blickwinkel des Äquators zu weit über<br />

oder unter der Sonne.<br />

Jetzt wissen wir alles Wesentliche, was es<br />

über die Sonnenfinsternis als solches zu erfahren<br />

gibt. Doch zeigen sich während diesem<br />

seltenen Naturschauspiel einige interessante<br />

Erscheinungen. Das aus meiner Sicht<br />

faszinierendste Phänomen ist ironischerweise<br />

die mit bloßem Auge nicht ohne weiteres<br />

wahrnehmbare Bahnkrümmung von Licht.<br />

Bei einer Sonnenfinsternis, insbesondere der<br />

totalen, kommt es zu einer starken Verfinsterung<br />

des Himmels, vergleichbar mit einer<br />

fortgeschrittenen Abenddämmerung. Der<br />

Horizont leuchtet dann in orange bis roter<br />

Farbe und der Rest des Himmels ist tief dunkelblau<br />

gefärbt. Helle Fixsterne und sich am<br />

Firmament befindliche Planeten werden urplötzlich<br />

sichtbar. Hinzu kommt noch urplötzliche<br />

Kälte. Die Pflanzen- und Tierwelt<br />

reagiert sogar auf diese Helligkeits- und<br />

Temperaturverringerung, als würde die<br />

Nacht hereinbrechen.<br />

Weitere Effekte treten vor allem wenige Sekunden<br />

kurz vor der totalen Verdunkelung<br />

des großen Feuerballs auf, wenn nur noch eine<br />

sehr dünne Sichellinie der Sonne erkennbar<br />

ist. Dann kommt es zum Perlschnur- oder<br />

Diamantenringeffekt. Auf der noch sichtbaren<br />

Linie erscheinen kleine Leuchtpunkte,<br />

die sich vom Rest abheben. Ihre Entstehung<br />

ist eine Folge der zerklüfteten und mit tiefen<br />

Kratern übersäten Mondlandschaft. Es ist<br />

vergleichbar mit einem Sonnenuntergang<br />

hinter einem Gebirge. An den Stellen wo<br />

sich Täler befinden, ist die Sonne noch<br />

sichtbar, die Berge jedoch verstecken sie hinter<br />

sich.<br />

Eine andere Auswirkung, die zur selben Zeit<br />

auftritt wie der Perlschnureffekt, wird fliegende<br />

Schatten genannt. Die Sonnensichel ist<br />

zu diesem Zeitpunkt extrem dünn, fast rein<br />

eindimensional. Sie beginnt zu flackern, wie<br />

es normalerweise nur die Fixsterne am Firmament<br />

der Nacht tun. Da die Sichel jedoch<br />

viel heller ist, sieht man das Flackern sogar<br />

indirekt an Schattenspielen, die auf dem Boden<br />

oder Wänden stattfinden. Wenn Licht<br />

das Übertragungsmedium wechselt, wird es<br />

gebrochen. Dies kommt zum Beispiel vor,<br />

wenn die Lichtstrahlen von der Luft ins<br />

Wasser gelangen und umgekehrt. Das Bild<br />

erscheint uns plötzlich verzerrt. Wenn nun<br />

Wellen über das Wasser gleiten, beginnt es<br />

sogar zu flackern.<br />

Ähnlich verhält es sich mit Licht, das aus<br />

dem Weltraum zu uns gelangt. Es geht vom<br />

Medium des Vakuums in das Medium der<br />

Luft über. Nun werden die Lichtwellen<br />

gebrochen. Da aber die Atmosphäre in ständiger<br />

Bewegung ist und ihr Druck sich von<br />

Ort zu Ort ändert, wird das Licht zeitlich und<br />

örtlich lokal immer wieder neu gebrochen<br />

und geht dabei unterschiedliche Wege. Eine<br />

Folge davon ist der Fakt, dass bestimmte<br />

Stellen am Boden kurzzeitig weniger beleuchtet<br />

werden als andere. Und genau dies<br />

ist der Grund für die fliegenden Schatten und<br />

im Übrigen auch für das Flackern von Sternen.<br />

Jedoch kann dies nur funktionieren,<br />

wenn ein leuchtendes Objekt am Himmel<br />

nicht in Form einer Fläche ausgedehnt ist,<br />

wie es beispielsweise bei Planeten der Fall<br />

ist. Die Sichel muss also schon besonders<br />

dünn am Himmel sein; so wie kurz vor Beginn<br />

der totalen Sonnenfinsternis.<br />

Wenn dann aber die totale Finsternis begonnen<br />

hat, tritt endlich das größte aller Wunder<br />

auf und die Sonne offenbart ihren Rand, die<br />

Korona, jene Strahlenkrone der schwarzen<br />

Sonne. Normalerweise ist unser Heimatstern<br />

ja so hell, dass wir seine zu schwach leuchtende<br />

Oberfläche nicht sehen können. Nun<br />

aber erscheinen kleine rote Flecken direkt an<br />

der Grenze des Mondschattens, umgeben von<br />

einem weißen, nebelähnlichen Gebilde.<br />

Dies sind die mächtigen und lebensspendenden<br />

Materieströme der Sonne, die bis tief ins<br />

All herausragen. Der weiße, diffuse Ring jedoch<br />

stellt die Atmosphäre der Sonne dar.<br />

Vor allem jene Korona gilt neben dem<br />

schwarzen Mondschatten als Sinnbild einer<br />

Sonnenfinsternis, wunderschön und schrecklich<br />

zugleich, pulsierend vor Leben und Fanal<br />

der Endzeit. Verfinstert sich die Sonne,<br />

so glaubt die Seele des Menschen Kräfte am<br />

Werk, die jenseits unserer Götter, unserer<br />

Welt und Vorstellungskraft sind.<br />

Ally<br />

Quellen:<br />

Die Bibel, Elberfelder Übersetzung, Paderborn<br />

2005.<br />

J. P. McEvoy: Sonnenfinsternis. Die Geschichte<br />

eines Aufsehen erregenden Phänomens,<br />

Berlin, 2001.<br />

J. Osterkamp: Wann die Sonne erlosch,<br />

www.spektrum.de, 23.06.2008.<br />

C. Schlatter: Wenn plötzlich das Licht ausbleibt<br />

– Deutung und Wahrnehmung des<br />

Phänomens der Sonnenfinsternis im Laufe<br />

der Menschheitsgeschichte, Lausanne, 1999<br />

A. Stifter: Lese seiner Werke, Düsseldorf<br />

1947.<br />

G. Vanin: Große Kosmische Phänomene,<br />

Kometen, Sternschnuppen, Sonnen- und<br />

Mondfinsternisse, Augsburg, 1998.<br />

A. Walker: Sonnenfinsternisse und andere<br />

faszinierende Erscheinungen am Himmel,<br />

Basel, 1999.<br />

Sonnenfinsternis über dem Pazifik, 1883<br />

Étienne Léopold Trouvelot (1827-1895)


24 Erziehung Erziehung 25<br />

Die Flammen brennen...<br />

Sieh, wie sie ineinanderlohen!<br />

Sie züngeln und tanzen, eine im anderen<br />

Sein.<br />

Verglühen zu Asche, doch keine für sich allein.<br />

Wie sie sich umschlingen, innig durchdringen,<br />

mit heißem Verlangen, sich verzehren im<br />

andern.<br />

Erfüllung in Farben aus Himmelsgeschick,<br />

lichtvoll, ihr Tanz. Liebe im Glück.<br />

Heidemarie Chaerling<br />

I<br />

m Artikel über den Frühling habe ich<br />

mich darauf konzentriert, mit Kindern<br />

die durchaus geheimnisvollen Vorgänge in<br />

der Natur zu erleben. Wenn der junge<br />

Mensch gleichzeitig Staunen, Freude und<br />

Respekt gegenüber der Umwelt lernt, wird er<br />

wahrscheinlich auch als Erwachsener verantwortungsvoll<br />

mit Stein, Wasser und Tier<br />

umgehen. Selbstverständlich ist das Erleben<br />

zum Beginn des Jahres auch in der Mitte des<br />

Jahreskreises mit der gleichen Leichtigkeit<br />

umzusetzen. Der Sommer beinhaltet wie<br />

keine andere Zeit, dass man sich außerhalb<br />

der eigenen vier Wände aufhält. Wenn man<br />

im Frühjahr das Erwachen der Natur mit<br />

dem Nachwuchs bewundert hat, kann man<br />

im Sommer die Fülle und Pracht auf dieselbe<br />

Weise genießen. Die Erziehung funktioniert<br />

wie der Jahreskreis; wenn man gut gesät hat,<br />

erlebt man recht bald, wie die Saat aufgeht<br />

und Blüten und Früchte hervorbringt.<br />

Ich möchte es hierbei eigentlich bewenden<br />

lassen und an der Stelle auf einige Qualitäten<br />

des Sommers und seines Elementes, also des<br />

Feuers, eingehen, von denen ich es unendlich<br />

wichtig finde, dass Kinder diese erfahren<br />

und erleben.<br />

Pagane Erziehung<br />

Das Feuer – der Sommer<br />

Die Inspiration<br />

Feuer kann sterben. Es ist leicht, ein Flämmchen<br />

oder Glut gewaltsam zu löschen. Am<br />

häufigsten erstickt man Feuer entweder mit<br />

Wasser oder mit etwas Gegenständlichem,<br />

zum Bespiel mit Sand oder einer Decke. Das<br />

Ergebnis ist immer gleich, der Sauerstoff, also<br />

die Luft, wird entzogen. In einer Feuerstelle<br />

genügt es, dem Feuer die Nahrung vorzuenthalten.<br />

In Bezug auf das Feuer der Inspiration, der<br />

Flamme, die Ideen gebiert, kann man das<br />

eins zu eins übersetzen. Ideen kann man ersticken<br />

und kindliche Inspiration wird allzu<br />

oft übersehen oder mit einer Floskel abgetan.<br />

Wasser, welches das innere Feuer löscht,<br />

steht hier für Gefühle wie Zweifel, Angst<br />

und Kleinmut. Ein Kind, welches gelernt hat,<br />

dass ihm nicht zugehört wird, wird kaum die<br />

nötige Energie für Kreativität aufbringen<br />

können. Genauso verhält es sich, wenn dem<br />

Nachwuchs klar ist, dass die finanziellen<br />

Mittel, also die Erde, für die Umsetzung fehlen.<br />

Aber das Überschütten mit materiellen<br />

Mitteln, hier meine ich Geschenke und Süßigkeiten<br />

statt Zeit und Aufmerksamkeit,<br />

wirkt beinahe noch tödlicher auf das innere<br />

Flämmchen.<br />

Um die Fantasie, die Kreativität und damit<br />

die Inspiration zu wecken, braucht es Impulse<br />

und Förderung.<br />

Das bedeutet konkret, dass gute Ideen und<br />

Ansätze des Kindes erkannt werden sollten<br />

und dann auch unterstützt werden müssen.<br />

Daher ist es in jedem Fall als Erstes nötig,<br />

sich mit den Meinungen des Kindes auseinanderzusetzen<br />

und sich auszutauschen, anstatt<br />

jede kindliche Inspiration als Flause abzutun.<br />

Nur durch die Kommunikation und<br />

das Beschäftigen mit den Ideen, ist es möglich,<br />

gemeinsam zu erkennen, welche Einfälle<br />

der Umsetzung wert sind.<br />

Kinder können durch Motivation, Orientierungshilfen<br />

und aktive Zusammenarbeit ihre<br />

eigene Zielstrebigkeit entdecken. Schließlich<br />

ist das die Grundlage, um den Willen des<br />

Kindes herauszubilden und wachsen zu lassen.<br />

Der Wille<br />

Lebendiges Feuer ist wie ein Raubtier. Sobald<br />

es die Gelegenheit bekommt, wird es<br />

ungestüm, wild und unberechenbar. Eine<br />

scheinbar zahme Kerzenflamme kann zum<br />

Inferno werden, die Glut einer weggeworfenen<br />

Zigarette ist in der Lage einen Flächenbrand<br />

auszulösen und das Feuer der wärmenden<br />

Sonne zerstört in trockenen Zeiten<br />

ganze Ernten.<br />

Ebenso verhält es sich mit dem Feuer, das<br />

jedem von uns innewohnt. Es benötigt Nahrung<br />

und Ziele, damit es wachsen und nützen<br />

kann.<br />

Willensstarke Kinder sind ein Geschenk. Sie<br />

sagen ihre Meinung, streiten schon mal um<br />

Grundsätze, sind meistens konzentriert und<br />

geben sich später in der Schule zielstrebig.<br />

Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt haben,<br />

versuchen sie es durchzusetzen.<br />

Wenn man den Kleinen beigebracht hat, dass<br />

es sich lohnt, etwas wirklich zu wollen, wird<br />

es ihnen später gelingen, ihren Willen zu artikulieren<br />

und das Ziel dabei nicht aus den<br />

Augen zu verlieren. Dazu gehört aber, dass<br />

flüchtige Wünsche nicht sofort erfüllt werden,<br />

sondern dass man dem Nachwuchs früh<br />

beibringt, dass die Erfüllung des Willens mit<br />

Zielstrebigkeit und Anstrengung verbunden<br />

ist, die für sich selbst schon Freude bereitet.<br />

Ich versuche es einmal zu verdeutlichen.<br />

Das kleine Kind wünscht sich ein besonderes<br />

Spielzeug. Nun wäre es fatal, loszulaufen<br />

und das Gewünschte einfach zu besorgen.<br />

Geschähe das, wäre die Freude der meisten<br />

Kinder oft nur von kurzer Dauer und bald<br />

würde der nächste Wunsch formuliert. Viel<br />

besser wäre es kindgerecht zu erklären, wie<br />

das Spielzeug hergestellt wird, aus welchen<br />

Rohstoffen es besteht und was für eine Leistung<br />

erbracht werden muss, bis der Gegenstand<br />

im Ladenregal steht. Als nächstes kann<br />

man mit dem Kind (auch außerhalb von<br />

Weihnachten) einen aufwendigen Wunschzettel<br />

basteln. Das darf ruhig ein paar Tage<br />

in Anspruch nehmen. Manchmal kann es<br />

hilfreich sein, etwas Zubehör zu schaffen.<br />

Soll es eine besondere Puppe sein, kann man<br />

dem Nachwuchs sagen, das eine Puppe auch<br />

ein Bettchen benötigt und jenes zunächst<br />

gemeinsam zu basteln. Auf diese Weise lehrt<br />

man das Fokussieren und natürlich auch die<br />

Wertschätzung und ganz nebenbei wird der<br />

Nachwuchs nicht auf die Idee kommen, im<br />

Supermarkt wegen irgendwelcher Wünsche<br />

zu quengeln.<br />

Kinder sollten lernen, dass es sich lohnt, etwas<br />

wirklich zu wollen. Und sie sollten unbedingt<br />

lernen, dass die Umsetzung des Willens<br />

Aufmerksamkeit benötigt.<br />

Ich möchte unbedingt noch erwähnen, dass<br />

es ganz wichtig ist, den Willen der Kleinen<br />

zu fördern. Erwachsene müssen zuhören,<br />

Kinder regelmäßig nach ihrer Meinung fragen<br />

und diese auch unterstützen. Natürlich<br />

ist es auch in der Verantwortung der Großen,<br />

dem Nachwuchs frühzeitig beizubringen,<br />

was der Unterschied zwischen einem flüchti-


26 Erziehung Biene 27<br />

gen Wunsch und etwas wirklich Gewolltem<br />

ist.<br />

Ganz beiläufig lernen Kinder auf diese Weise<br />

die Grundlagen allen magischen Wirkens.<br />

Das Feuer der Liebe<br />

Ich halte es für überflüssig, an dieser Stelle<br />

auf die Liebe zwischen Eltern und Kindern<br />

einzugehen, und schon gar nicht soll es hier<br />

um leidenschaftliche Liebe gehen.<br />

Die meisten Heiden haben, bei allen Diskrepanzen,<br />

doch eines gemeinsam: Mehrheitlich<br />

verstehen sie sich als Teil eines Ganzen, sehen<br />

sich nicht als Krone, sondern als ebenbürtiger<br />

Bestandteil der Schöpfung und viele<br />

von ihnen glauben an die Immanenz des<br />

Göttlichen. Daraus schließt oft, dass die<br />

Welt von Liebe durchdrungen ist und dass<br />

die Liebe der Ursprung alles Lebendigen ist.<br />

Die meisten Kinder lieben die sie umsorgenden<br />

Erwachsenen von ganz allein. Später, in<br />

der Pubertät sorgen Hormone für den Funken,<br />

der die partnerschaftliche Liebe entfacht.<br />

Allumfassende Liebe jedoch, optimalerweise<br />

verbunden mit Verantwortung und Respekt<br />

für die natürliche Umwelt wird nicht in die<br />

Wiege gelegt. Dazu kommt, dass jenes zu<br />

lehren ein wenig ein Kunststück ist. Die<br />

Liebe ist zwar ein Gefühl, aber ausgedrückt<br />

wird sie mit sichtbaren Taten, denn sonst erfährt<br />

sie keine Erfüllung. Lippenbekenntnisse<br />

helfen gerade in der Erziehung wenig.<br />

Und wenn gestresste Erwachsene über unliebsame<br />

Nachbarn, die politische Situation,<br />

das Wetter, den Pollenflug oder eine Insektenplage<br />

schimpfen, dann schaut sich der<br />

Nachwuchs eben genau das ab. Mir ist klar,<br />

dass man nicht immer lächelnd durch die<br />

Welt laufen kann, allerdings wird man Kindern<br />

mit schlechter Laune, geäußerten Sorgen<br />

und Ärger eher kein Bild von freundlichen<br />

Göttern und Geistern und einer Ganzheit<br />

der Lebendigen beibringen können.<br />

Wahrscheinlich sind wir diesbezüglich allesamt<br />

am Lernen.<br />

Im Rahmen dieses Artikels unterhielt ich<br />

mich mit Freunden über das Thema. Erstaunlicherweise<br />

bezeichneten sie gerade diese<br />

Liebe als ein Ideal, welches sehr schwierig<br />

umzusetzen sei. Aber vielleicht tun wir uns<br />

einfach nur schwer damit, täglich ein bisschen<br />

Wärme in unsere Welt zu lassen. Wenn<br />

wir uns morgens vor dem Spiegel freundlich<br />

zunicken, den neuen Tag mit guten Gedanken<br />

begrüßen, auch Fremde mit unserem Lächeln<br />

beschenken und fest daran glauben,<br />

dass das Leben ein kostbares Geschenk ist,<br />

dann holen wir das Feuer der Liebe in unsere<br />

eigenen Herzen, von dort aus in die Familie<br />

und schließlich kann es zum Herdfeuer werden,<br />

dass unsere ganze Umgebung wärmt.<br />

Nun hat das meiste mit dem Sommer gar<br />

nichts zu tun gehabt. Das macht aber gar<br />

nichts, denn Cäsar Otto Hugo Flaischlen<br />

(1864-1920) forderte schon zu Recht auf:<br />

Hab Sonne im Herzen,<br />

ob's stürmt oder schneit,<br />

ob der Himmel voll Wolken,<br />

die Erde voll Streit!<br />

Hab Sonne im Herzen,<br />

dann komme, was mag!<br />

das leuchtet voll Licht dir<br />

den dunkelsten Tag!<br />

cLEO<br />

Tiere in den Mythen<br />

„Wenn die Biene von der Erde verschwindet,<br />

dann hat der Mensch nur noch vier Jahre zu<br />

leben.“<br />

(Albert Einstein)<br />

I<br />

n meinem folgenden Artikel möchte ich<br />

die Leser gern über die Bienchen und die<br />

Blümchen aufklären. Vielleicht fragt ihr euch<br />

jetzt, wie ich darauf komme, denn dieser<br />

Ausdruck hat ja eher etwas mit der Aufklärung<br />

über das Sexualleben zu tun. Und genau<br />

darauf möchte ich auch unter anderem hinaus.<br />

Ich möchte ebenfalls erklären, was der<br />

Unterschied zwischen einem B-Movie und<br />

dem Bee-Movie ist, in welchem Zusammenhang<br />

diese kleinen, fleißigen Insekten mit<br />

der Göttin Aphrodite stehen, welche Rolle<br />

der Pariser Parfümeur Pierre-Francois-Pascal<br />

Guerlain spielt, warum die Geschichten der<br />

Biene Maja und der Biene Sonnenstrahl für<br />

Kinder äußerst wichtig sind und warum die<br />

Pharaonen die Bienen aufs Höchste verehrt<br />

haben.<br />

„Einst ward Eros, der Dieb, von den zornigen<br />

Bienen gestochen,<br />

Als er Honig aus dem Korb entwendete. Vorn<br />

an den Händen<br />

Hatten sie all' ihm die Finger durchbohrt; er<br />

blies sich die Hände<br />

Schmerzvoll, sprang auf den Boden und<br />

stampfte.<br />

Jetzo der Kypris<br />

Zeigt' er das schwellende Weh und jammerte,<br />

dass so ein kleines<br />

Die Biene<br />

Tierchen die Biene nur sei und wie mächtige<br />

Wunden sie mache.<br />

Lächelnd die Mutter darauf: ´Bist du nicht<br />

ähnlich dem Bienlein?<br />

Schau, wie klein du bist und wie mächtige<br />

Wunden du machest.´“<br />

(„Der Honigdieb“ von Theokrit, geboren um<br />

270 v. u. Z. aus Theokrits Idyllen)<br />

Zu Beginn möchte ich euch etwas über die<br />

Dunkle Biene erzählen. Die Apis Mellifica<br />

Syriaca war nämlich die ursprünglich heimische<br />

Honigbiene in Europa. Die Bienen, die<br />

wir heute bei uns sehen, sind sogenannte<br />

Fremdbienen, welche hier in Europa seit ungefähr<br />

150 Jahren gezüchtet werden. Diese<br />

Bienen stammen ursprünglich aus dem Süden,<br />

werden dementsprechend Südbienen<br />

genannt, während die Dunkle Biene Namen<br />

wie zum Beispiel Schwarzbiene, Heidebiene,<br />

Nordrasse oder auch Nordbiene trägt. Der<br />

Chitinpanzer der Dunklen Biene ist schwarz,<br />

gelbe Streifen können wir an ihr nicht finden.<br />

Sie hat im Vergleich zu den Südbienen einen<br />

kurzen Rüssel und recht langes, braunes Ü-<br />

berhaar, lässt sich demzufolge von den Südbienen<br />

sehr leicht unterscheiden. Leider ist<br />

die Dunkle Biene bei uns so gut wie ausgerottet,<br />

da sie durch die Nachzuchten der Südbienen<br />

aus ihrem Heimatgebiet vertrieben<br />

wurde. Heute finden wir sie nur noch fleckchenweise<br />

in Europa vor.<br />

Der Honig, den die Bienen herstellen, wird<br />

auch „Nektar der Götter“ genannt. Schon die<br />

alten Ägypter waren von ihnen so begeistert,<br />

dass in vielen königlichen Protokollen der


28 Biene Biene 29<br />

Name des jeweiligen Pharaos mit dem Titel<br />

„n-swt-bit“ („der der Binse und der Biene<br />

angehört“) begann. Hierbei muss ich erläutern,<br />

dass die Binse das Wahrzeichen für<br />

Oberägypten und die Biene das Symbol für<br />

Unterägypten war. Die Hieroglyphe für das<br />

Wort „König“ stellte bei den Ägyptern eine<br />

Biene dar, solch große Verehrung wurde ihr<br />

entgegengebracht. Bei meinen Recherchen<br />

bin ich auf das Wort „bit“ und viele ähnliche<br />

Wörter gestoßen: dem englischen „bee“,<br />

dem althochdeutschen „bini“, dem schwedischen<br />

„bi“ und dem niederländischen „bij“.<br />

Im Herkunftswörterbuch des Duden ist nicht<br />

geklärt, ob diese Worte alle etwas miteinander<br />

zu tun haben, jedoch konnte ich dort folgendes<br />

herausfinden: „Die starken Abweichungen<br />

dieser Formen […] beruhen vermutlich<br />

auch auf tabuistischen Entstellungen.<br />

Die Biene war früher ein wichtiges<br />

Jagdtier, das wegen des Honigs sehr geschätzt<br />

war und durch Nennung des richtigen<br />

Namens nicht vertrieben werden durfte.“<br />

Doch bevor ich mich noch weiter mit<br />

der Äquivalenz des Wortes „bit“ in anderen<br />

Sprachen aufhalte, möchte ich wieder auf die<br />

Ägypter zu sprechen kommen. Es wurde bereits<br />

auf Reliefs, die aus der Zeit der fünften<br />

Dynastie kommen, Darstellungen von Imkern<br />

entdeckt. Diese Reliefs stammen aus<br />

dem Sonnenheiligtum des Niweserra (2445-<br />

2421 v. u. Z.) in Aru Gurab. Die Ägypter<br />

kannten sich schon vor fünftausend Jahren<br />

mit der Bienenzucht aus und hielten sich die<br />

gelbschwarzen Insekten in Tonröhren, mit<br />

denen die Imker von Gebiet zu Gebiet wanderten,<br />

um somit den Honigertrag zu steigern.<br />

Der Kriegsgöttin Neith wurde ein<br />

Tempel errichtet, dem die Ägypter den Namen<br />

„Sais per-bit“ („Haus der Bienen“)gaben.<br />

Im „Papyrus der Zeichen“, einer<br />

Sammlung von Hieroglyphen und vielen<br />

Kommentaren zu diesen, ist die Biene das<br />

erste Zeichen, welches dort auftritt, ebenso<br />

finden wir viele Bienendarstellungen auf<br />

Wandmalereien in Tempeln und Palästen,<br />

Statuen und Grabmälern. Honigkuchen waren<br />

in Ägypten ein sehr beliebtes Opfer für<br />

die Götter, um diese zu beschwichtigen. Die<br />

Ägypter konservierten ihre Toten mit Propolis,<br />

was auch Bienenharz, Bienenschleim o-<br />

der auch Kittwachs genannt wird. Propolis<br />

ist ein Produkt, mit dem die Bienen zum Beispiel<br />

die Innenwände der Wabenzellen<br />

hauchdünn auskleiden. Sie kapseln damit<br />

auch Fremdkörper im Bienenstock ab, die sie<br />

aus eigener Kraft nicht entfernen können. Jedoch<br />

konservierten nicht nur die Ägypter ihre<br />

Verstorbenen in einem von Bienen hergestellten<br />

Produkt. Auch von den Assyrern<br />

wissen wir, dass sie ihre Toten mit Hilfe von<br />

Honig präpariert haben. Die anspruchslosen<br />

Spartaner konservierten so lediglich ihre Könige,<br />

als Zeichen hoher Verehrung, die sie<br />

ihnen entgegenbrachten.<br />

Heute wird Propolis äußerst vielschichtig<br />

verwendet, da es antibiotisch, antimykotisch<br />

und antiviral wirkt. Wegen dieser und seiner<br />

zur Wundheilung beitragenden Eigenschaften<br />

wird es bei Entzündungen der Haut, Pilzinfektionen,<br />

Ekzemen, Schürfwunden und<br />

leichten Schleimhautentzündungen benutzt.<br />

Ebenso soll Propolis bei rheumatischen Beschwerden<br />

– dies ist allerdings umstritten –<br />

und zur Vorbeugung vor Erkältungskrankheiten<br />

helfen. Der berühmte griechische Arzt<br />

Hippokrates (460-370 v. u. Z.) schätzte den<br />

Honig aufs Äußerste als Heilmittel bei Fieber,<br />

zur Wundbehandlung und auch als Unterstützung<br />

bei Diäten.<br />

Ich muss an dieser Stelle anmerken, dass die<br />

alten Chinesen nicht nur den Honig als<br />

Heilmittel ansahen. Der Stich der Bienen inspirierte<br />

sie auf dem Gebiet der Akupunktur.<br />

Ursprünglich war der Stich einer Biene für<br />

die Chinesen sogar eine Art Initiation in<br />

mystische Erkenntnisse und Einsichten.<br />

Honig spielte auch als Fruchtbarkeitssymbol<br />

eine erhebliche Rolle.<br />

In Indien zum Beispiel musste in dem Raum,<br />

in welchem eine Hochzeitszeremonie stattfinden<br />

sollte, eine Schale mit Honig stehen<br />

und war dort demzufolge ein fester Bestandteil<br />

von Hochzeitszeremonien.<br />

Auf meiner Suche nach Informationen bin<br />

ich natürlich auch auf das Wort „Honigmond“<br />

oder auch „honeymoon“ gestoßen.<br />

Dieses Wort bedeutet nichts anderes als<br />

„Hochzeitsreise“, jedoch hatte der Honigmond<br />

früher rein gar nichts mit Reisen zu<br />

tun. Er bezeichnete viel mehr den Zeitraum<br />

des Zyklus der Frau im Monat Mai, dem<br />

Monat der Liebe. Es hieß, wenn man den<br />

Wunsch nach Kindern verspürt, solle man sie<br />

möglichst in diesem Zeitraum zeugen, denn<br />

dann, so hieß es jedenfalls, kommen gesunde<br />

und starke Kinder zur Welt. Bei meiner Suche<br />

in den schier unendlichen Weiten des Internets<br />

bin ich auf unzählige Hotels und<br />

Wellness-Zentren gestoßen.<br />

Es hieß ebenso, dass ein Gemisch aus Honig<br />

und Menstruationsblut das Liebeselixier<br />

schlechthin sei. Die griechische Göttin der<br />

Liebe, Aphrodite, stellte laut Mythos zusammen<br />

mit ihren heiligen Bienenbegleitern<br />

einen Nektar her, welcher Unsterblichkeit<br />

verlieh. Andererseits trug sie auch den<br />

Beinamen Meiboía (Bienenkönigin), unter<br />

welchem sie ihre äußerst zahlreichen Liebhaber<br />

erst kastrierte und dann durch Aussaugen<br />

tötete.<br />

Die Götter der Homerischen Sagenwelt und<br />

ebenso die Götter im germanischen Mythos<br />

tranken Met, der ihnen Macht, Stärke und Inspiration<br />

verlieh. Der germanische Göttervater<br />

Odin (Wodan) trank häufig und gern Met;<br />

darüber gibt es unzählige Geschichten. Der<br />

Met der Dichtkunst wurde bei den Germanen<br />

„Odrörir“ genannt. Ich möchte hier nur kurz<br />

anreißen, wie dieser heilige Met entstanden<br />

ist. Die Asen und die Wanen befanden sich<br />

im Krieg und als sie endlich einen Friedensvertrag<br />

schlossen, spuckten alle Beteiligten<br />

schlussendlich in ein Gefäß. Aus dieser Ansammlung<br />

von Speichel schufen sie einen<br />

Mann namens Kvasir, der als der weiseste<br />

unter den Menschen bekannt wurde, da es<br />

wirklich keine Frage gab, die dieser nicht beantworten<br />

konnte. Kvasir begab sich irgendwann<br />

auf eine lange Reise und begegnete<br />

den beiden Zwergen Fjalarr (Verberger) und<br />

Galarr (Brüller). Diese beiden habgierigen<br />

Burschen erschlugen Kvasir kurzerhand, als<br />

sie mitbekamen, wen sie denn da bewirteten.<br />

Sein Blut ließen sie in drei Krüge fließen,<br />

mischten Honig und einige Früchte dazu und<br />

aus diesem Gebräu wurde dann Odrörir, das<br />

Getränk, welches jeden zu einem Dichter<br />

und Weisen machte, der in seinen Genuss<br />

kam. Dieser Met gelangte über Umwege<br />

schließlich zum Riesen Suttung, welcher das<br />

Gebräu seiner Tochter anvertraute, damit sie<br />

darüber wachen möge. Doch schlussendlich<br />

gelang es Odin, diesen Met zu entwenden<br />

und ihn zu den Asen zurückzubringen.<br />

Bei den Römern und den Griechen galt das<br />

Land der Germanen sicherlich nicht als<br />

schön, sondern eher als wild und barbarisch.<br />

Die Germanen hatten jedoch äußerst viele<br />

und große Wälder, die ihnen heilig waren.<br />

Besonders verehrte Bäume waren Eschen<br />

und Eichen und die Linde galt als Honigbaum<br />

schlechthin. Die Germanen brachten in<br />

abgesägten Baumklötzen die Waldbienen zu<br />

sich nach Hause auf die Höfe und pflegten<br />

sie dort. Der griechische Seefahrer Pytheas<br />

(um 380-310 v. u. Z.) entdeckte auf seiner<br />

Entdeckungsreise, die er von den britischen<br />

Inseln aus startete, an der deutschen Nordseeküste<br />

erstmals Menschen, welche Met<br />

brauten und sich Honig auf das Brot<br />

schmierten.<br />

Doch auch in der Geschichte des Christentums<br />

können wir die fleißigen Bienen recht<br />

häufig finden. In der Bibel wird die Biene als<br />

das einzige Lebewesen angesehen, welches<br />

unverändert aus dem Garten Eden übrig<br />

geblieben ist. In den mittelalterlichen walisischen<br />

Gesetzen hieß es: „Der Ursprung der<br />

Bienen liegt im Paradies, und aufgrund der


30 Biene Biene 31<br />

Sünde des Menschen kam sie von dort, und<br />

Gott gab ihnen seinen Segen, und darum<br />

kann die Messe nicht ohne Wachs gesprochen<br />

werden.“ 1<br />

Ich fand noch zwei erwähnenswerte Stellen<br />

in der Bibel, die von den Bienen handeln,<br />

jedoch genießen sie hier einen recht zerstörerischen<br />

und gefräßigen Ruf (Jesaja 7:18,<br />

Psalm 118:12) und werden von Gott als Strafe<br />

auf die Menschheit losgelassen.<br />

Einen christlichen Hintergrund haben auch<br />

die sogenannten „Bienensegen“. Die meisten<br />

dieser Segenssprüche stammen aus dem<br />

19. Jahrhundert und aus Norddeutschland. In<br />

einem dieser Sprüche wünscht man sich:<br />

„[...] Den Honig für Menschenspeis,<br />

Das Wachs zu Gottes Ehr und Preis.“<br />

Ein anderer lautet wie folgt:<br />

„Bien und Wies<br />

setzt euch an Baum und Ries<br />

setzt euch an Lov und Gras<br />

und traget ein Honig und Wachs.“ 2<br />

Wegen ihrer vermeintlich ungeschlechtlichen<br />

Fortpflanzung wurde die Biene für die<br />

Kirche zu einem Sinnbild für Keuschheit<br />

und Jungfräulichkeit. Ebenso stand sie für<br />

die jungfräuliche Geburt Jesu.<br />

Auf meiner Suche nach Informationen, wie<br />

es denn mit der Beliebtheit der fleißigen,<br />

kleinen Insekten heute steht, bin ich auf etwas<br />

äußerst Spannendes gestoßen: Auf dem<br />

Dach der Pariser Oper befindet sich ein Bienenstock,<br />

der von einem Bühnenarbeiter eingerichtet<br />

wurde. Diesen privilegierten Bienen<br />

stehen alle Parks, Friedhöfe und Gärten<br />

der Stadt zur Verfügung. Nebenbei erwähnt,<br />

dauert in Paris die Blütezeit etwas länger als<br />

auf dem Land, da es in dieser großen Stadt<br />

um ein paar Grad Celsius wärmer ist. Der<br />

Honig, den diese Bienen produzieren, wird<br />

1 Aus: Jacob Streit: „Das Bienenbuch“, Verlag Freies<br />

Geistesleben, 11. Auflage, 2007<br />

2 Aus: Weimarer Schriften: „Von Bienen und Beuten. Das<br />

Deutsche Bienenmuseum in Weimar (Jubiläumsschrift),<br />

Weimar 2007<br />

unter anderem nicht gerade günstig im berühmten<br />

Pariser Feinkostgeschäft Fauchon<br />

verkauft und erfreut sich großer Beliebtheit.<br />

Ebenso war die Biene das Symbol einiger<br />

Stadtwappen, die im napoleonischen Kaiserreich<br />

entstanden; sie ersetzte dort die königliche<br />

Lilie. Doch auch an anderer Stelle in<br />

Frankreich taucht unsere Biene auf. Dafür<br />

war der berühmte Pariser Parfumeur Pierre-<br />

Francois-Pascal Guerlain verantwortlich. Er<br />

komponierte der Kaiserin Eugénie als Hochzeitsgeschenk<br />

das Parfum Eau de Cologne<br />

Impériale. Sie war nicht nur sofort für dieses<br />

Parfum zu begeistern, weil es so herrlich<br />

nach Orangenblüten, Zitronen, Lavendel und<br />

Rosmarin duftete; nein, es half ihr auch noch<br />

gegen ihre Migräne. Guerlain erhielt von<br />

Napoleon III. den Titel „Geprüfter Parfumeur<br />

Seiner Majestät“ verliehen; dies war<br />

der höchste Titel, den ein Hoflieferant tragen<br />

konnte. Dieses Parfum gibt es noch heute<br />

und es ist besonders auffällig durch sein<br />

Fläschchen, eines der allerersten Parfumflakons<br />

der Welt. Kreiert wurde es von der<br />

Glasmanufaktur Pochet et du Courval. Es ist<br />

zylinderförmig und mit einer Kuppel versehen,<br />

auf der mit feinem Gold verzierte herausgearbeitete<br />

Waben prangen. 69 goldene<br />

Bienen perfektionieren dieses kleine Meisterwerk.<br />

Besonders erstaunlich daran ist,<br />

dass dieses Fläschchen seit dem Jahre 1853<br />

unverändert weiter produziert wird und sich<br />

höchster Beliebtheit erfreut.<br />

Zum Schluss möchte ich noch auf ein paar<br />

äußerst spannende und vor allem für Kinder<br />

wichtige Medien zu sprechen kommen, die<br />

mit Bienen zu tun haben.<br />

Einen sogenannten B-Movie kennt sicherlich<br />

jeder, denn Filme, deren Qualität zu wünschen<br />

übrig lässt, werden so genannt. Allerdings<br />

gibt es auch den Bee-Movie, welcher<br />

tatsächlich ein sogenannter A-Movie ist, denn<br />

er besitzt wirklich in jeder Hinsicht Topqualität.<br />

Man hat mit diesem Film einen Zeichentrickfilm<br />

mit höchstem technischen und<br />

finanziellen Aufwand produziert. Es dreht<br />

sich darin um einen Bienenjüngling, Barry B.<br />

Benson, der sich die Welt außerhalb seines<br />

Bienenstocks anschauen möchte, bevor er in<br />

die Fußstapfen aller Bienen tritt. Er entdeckt<br />

voller Entsetzen, dass die Menschen die Bienen<br />

ausbeuten, denn er findet durch Zufall in<br />

einem Supermarkt Massen an Honiggläsern.<br />

Daraufhin klagt Barry die honigproduzierenden<br />

Menschen an und erreicht damit, dass<br />

diese sie nicht mehr ausbeuten dürfen. Dadurch<br />

kommt es zum Überangebot an Honig,<br />

weshalb die Bienen ihre „Produktion“ einstellen.<br />

Unglücklicherweise geht nun alles<br />

Grünen und Blühen zugrunde, denn es findet<br />

keine Bestäubung mehr statt. Nach vielen<br />

halsbrecherischen Abenteuern gelangen die<br />

Bienen jedoch wieder zurück in ihr Geschäft,<br />

bestäuben ohne Unterlass Blumen und retten<br />

damit sozusagen die Welt.<br />

Ja, der Film wirkt vielleicht etwas kitschig<br />

und sehr bunt, jedoch wird man beim Sehen<br />

von Bee-Movie bestens unterhalten und Kinder<br />

lernen auf spielerische Weise äußerst viele<br />

wichtige Informationen über die Verhaltensweisen<br />

und die Wichtigkeit der Bienen.<br />

Ebenso ein Klassiker ist das im Jahr 1912 erschienene<br />

Kinderbuch „Biene Maja und ihre<br />

Abenteuer“ von Waldemar Bonsels. Hierin<br />

geht es um eine kleine Biene, die den Arbeiterdienst<br />

verweigert, jedoch ihren Heimatstock<br />

vor einem heimtückischen Hornissenangriff<br />

retten kann. In diesem Buch und auch<br />

in der später erschienenen Zeichentrick-Serie<br />

lernen Kinder ebenfalls sehr viel über das<br />

Verhalten der Bienen untereinander aber<br />

auch über richtiges Sozialverhalten.<br />

In der Geschichte der „Kleinen Biene Sonnenstrahl“<br />

(von Jakob Streit) lernen wir, wie<br />

die Aufgaben und die Verantwortung im zunehmenden<br />

Alter steigen. Biene Sonnenstrahl<br />

fliegt aus, um besonders guten Honig<br />

zu finden, kann jedoch nicht mehr zurück in<br />

ihren Stock fliegen, da es sehr schnell zu kalt<br />

geworden ist. Somit muss sie eine Nacht,<br />

ganz allein, im dunklen Wald verbringen und<br />

erlebt dort einige aufregende Abenteuer. Am<br />

Ende der Geschichte arbeitet sie sich schließlich<br />

zur Ersten Dienerin der Königin hinauf.<br />

Tiere zu mögen oder gar zu lieben, fällt dem<br />

Menschen im Allgemeinen nicht schwer.<br />

Katzen sind faszinierend, Hunde sind treu,<br />

Vögel singen uns etwas vor und Hamster<br />

sind einfach nur niedlich. Bei Insekten wird<br />

das Ganze etwas schwieriger. Schmetterlinge,<br />

Libellen oder auch exotische Insekten<br />

bezaubern uns unter Umständen. Aber die<br />

Biene ist auf den ersten Blick alles andere als<br />

bezaubernd. Sie ist weder verschmust, noch<br />

besonders exotisch und auch nicht wirklich<br />

hübsch. Der Stich einer Biene kann, manchmal<br />

tagelang, schlimme Schmerzen hervorrufen<br />

und für einen Allergiker kann eben<br />

dieser Stich sogar lebensbedrohlich werden.<br />

Ja, die Bienen zu lieben, ist vielleicht nicht<br />

einfach, aber ihnen Respekt, Vorsicht und<br />

Wertschätzung entgegenzubringen, das machen<br />

die Menschen seit vielen tausend Jahren.<br />

Quellen:<br />

Jaronne<br />

I. Dalichow: Bienengeheimnisse, München<br />

2009.<br />

Die Bibel, Elberfelder Übersetzung, Wuppertal<br />

2003 (9).<br />

A. Rößner: Von Bienen und Beuten - das<br />

Deutsche Bienenmuseum Weimar. In:<br />

Stadtmuseum Weimar, Landesverband<br />

Thüringer Imker e.V. (Hrsg.): Weimarer<br />

Schriften 60 (Jubiläumsschrift), Weimar<br />

2007.<br />

J. Streit: Das Bienenbuch, Stuttgart 2007<br />

(11).


32 Slawen Slawen 33<br />

E<br />

ndlich zeigt sich das Grün. Wasser aus<br />

den Bergen und Himmeln trägt Altes<br />

hinfort und lässt Neues reifen. Das Feuer unter<br />

dem Kochtopf des Lebens ist zweifellos<br />

entzündet und sein Brodeln allerorten zu<br />

bemerken. So ist also die Zeit der Frühlingsfeste<br />

gekommen, die Zeit der Umzüge, des<br />

Lärmens und der nächtlichen Feuer. Zeit<br />

auch für meinen nächsten Artikel über die<br />

Kulte der Slawen, die ich in der vergangenen<br />

Ausgabe der Damhain <strong>Alla</strong> sträflich vernachlässigt<br />

habe. Doch nun lohnt es sich<br />

wieder, denn slawische Frühlingsbräuche<br />

sind so ganz nach meinem Geschmack und<br />

daher möchte ich sie dem geneigten Leser<br />

näher bringen. Was daran so besonders ist?<br />

Für mich sind es die Idole und Puppen, die<br />

die Völker der Slawen wie meines Wissens<br />

nach keine andere Volksgruppe Europas in<br />

ihre Feiern einbinden: todbringende und befruchtende,<br />

Dämonen und Götter, männliche<br />

und weibliche, gebastelte und menschliche,<br />

winterliche und sommerliche.<br />

Slawische Mythologie<br />

Der slawische Frühling<br />

Und hier merken wir schon: Immer stellen<br />

diese Idole die „Fleischwerdung“ einer<br />

mächtigen natürlichen Kraft dar. Hauptsächlich<br />

finden wir sie aber bei zwei Gelegenheiten:<br />

einmal, wenn der Winter ausgetrieben<br />

werden soll, und einmal, um die Fruchtbarkeit<br />

des nahenden Sommers zu beschwören.<br />

Die Winteraustreibungen finden vor allem<br />

um die Frühlingstagundnachtgleiche (Ostara,<br />

Frühjahrsäquinoktium) statt und haben sich<br />

durch zahlreiche Jahrhunderte bis in die heutige<br />

Zeit erhalten. Der Ablauf solcher slawischen<br />

Volksfeste in der Märzenzeit ist immer<br />

recht ähnlich. Eine Strohpuppe, die<br />

wohl den Winterdämon oder den Tod darstellt,<br />

wird von den Mädchen oder Jungen<br />

eines Ortes angekleidet und umhergetragen.<br />

Dabei ergeht es ihr nicht gerade gut, denn<br />

auf ihrem Weg wird sie bei jeder sich bietenden<br />

Gelegenheit in Pfützen, Teiche und<br />

Bäche getunkt oder gar mit Steinen und<br />

Knüppeln beworfen. Die Puppen können dabei<br />

ganz unterschiedliche Größen haben;<br />

manche haben die Größe von Handpuppen,<br />

andere gleichen lebensgroßen Idolen, die auf<br />

einem Stecken umhergetragen werden. Auch<br />

das Ende des Dämons kann ganz unterschiedlich<br />

ausfallen, fest steht nur, dass er<br />

sterben muss. Mancherorts verbrennt man<br />

ihn, andernorts wird er zerrissen und seine<br />

Füllung in die Winde zerstreut, meist jedoch<br />

ertränkt man den Götzen in einem Tümpel<br />

oder Teich außerhalb der Ortschaft. Dass<br />

man zumindest in früheren Tagen durchaus<br />

Respekt, wenn nicht gar Angst, vor den<br />

Kräften des Winterdämons hatte, zeigt uns<br />

die Art, wie man mit der Puppe umging. Lag<br />

sie zu guter Letzt im Teich, rannten die jungen<br />

Leute wie von Sinnen in ihre Ortschaft<br />

zurück, denn der Letzte, der dort ankam,<br />

würde innerhalb eines Jahres sterben müssen.<br />

Die Puppe durfte nach ihrem Tod nicht mehr<br />

berührt werden, man durfte nicht zu ihr zurückschauen.<br />

Am sichersten schien es daher<br />

oft, den Dämon gleich auf das Gebiet einer<br />

Nachbargemeinde zu werfen; eine Praxis, die<br />

nicht selten zu handfesten Auseinandersetzungen<br />

führte, denn wer wollte schon gern<br />

den Tod vor die Tür geworfen bekommen?<br />

Mit dem Dämon des Winters war nicht zu<br />

spaßen. Führen wir uns vor Augen, was es<br />

mit diesem Dämon auf sich hatte und wofür<br />

er eigentlich stand: für den Mangel, den<br />

Hunger, für Krankheit, Kälte, Dunkelheit<br />

und Tod. Was in Polen, Tschechien und der<br />

Slowakei heute noch als alljährliche Folklore<br />

erscheint, war den früheren Slawen also bitterer<br />

Ernst und schien überlebensnotwendig.<br />

Heute geht es freilich lockerer zu: Das Austreiben<br />

des Winters hat sich zum Frühlingsausflug<br />

entwickelt, auf dem Kindergartengruppen,<br />

Familien und Schulklassen Wanderungen<br />

unternehmen und dabei die Puppe mit<br />

sich tragen, die entsprechend den alten Traditionen<br />

malträtiert wird. In Gegenden, wo<br />

das Verbrennen des Dämons üblich war,<br />

trägt dies heute den Charakter unserer deutschen<br />

„Hexenfeuer“.<br />

Auch slawische Völker kennen die<br />

frühsommerlichen „Hexenfeuer“<br />

Vielleicht haben der slawische Winterdämon<br />

und die deutsche Lumpenhexe, die auf dem<br />

Hexenfeuer verbrannt wird, ja sogar den<br />

gleichen Ursprung. Um dies herauszufinden,<br />

müsste man untersuchen, ob solche „Hexen“<br />

aus Stecken und Lumpen im Osten Deutschlands<br />

häufiger verbrannt werden als im Rest<br />

des Landes.<br />

Die slawische Winterpuppe hat im Laufe der<br />

Jahrhunderte zahlreiche Transformationen<br />

erlebt, ist unter verschiedensten Namen bekannt<br />

und mal Göttin, mal Hexe, mal Dämon,<br />

mal profaner Strohsack. In Polen zum<br />

Beispiel kann sie durchaus auch als Mann<br />

auftreten und heißt dann Mařoch, bei den<br />

Sorben nennt man sie gleich Smjerć, den<br />

Tod, und auch der ist männlich.<br />

Gerade die neuheidnischen Gruppen, die es<br />

ja auch bei den slawischen Völkern schon<br />

seit dem 19. Jahrhundert gibt, wollten aus<br />

dem Idol gern eine Göttin machen, Mořana<br />

oder Marzana, eine slawische Hekate, Königin<br />

der Hexen, Herrin des Winters und der<br />

Träume. In jenen Vorstellungen wird der<br />

Winterdämon zum Todesaspekt einer Vegetationsgöttin,<br />

die im Laufe des Sommers erst<br />

zur fruchtbringenden Maikönigin wird, um<br />

sich zur Sommersonnenwende dann mit ihrem<br />

Bruder Jarilo, dem Mond, zu vereinen.<br />

Attribute dieser Großen Göttin sind dementsprechend<br />

Kornähre und Athame, da sie die<br />

Herrin über Leben und Tod ist.<br />

Damit kommen wir auch schon zur zweiten<br />

Art heiliger Frühlingsfeste, bei denen Puppen<br />

Verwendung finden – jenen der Pfingstzeit.<br />

Wie ich schon erwähnte, dienten sie ja auch<br />

dazu die fruchtbringenden Kräfte des Sommers<br />

zu beschwören; die entsprechenden<br />

Feste werden daher zum Ende der Frühlingszeit<br />

begangen. Damit fallen sie in die Zeit<br />

der Pfingsttage, die in ganz Europa mannigfach<br />

begangen werden, meist mit der Wahl<br />

eines Pfingstkönigs bzw. einer Pfingstkönigin.<br />

Die slawischen Bräuche jener Tage werden<br />

zuweilen unter dem Namen Rusalienfeste<br />

zusammengefasst, da sie der Zeit der<br />

ersten Rosenblüte vorausgehen, die den Beginn<br />

des Sommers markiert. Und egal ob in<br />

Tschechien, Slowenien oder der Slowakei,<br />

das Geschehen ist meist das gleiche, zumindest<br />

aber sehr ähnlich: Jungen und Mädchen<br />

wählen aus ihrer Mitte einen König und eine


34 Slawen Slawen 35<br />

Königin, kleiden sie ein und krönen sie mit<br />

einem Kranz. Die Königin erhält eine Blumenkrone<br />

und ein Gewand aus bunten Bändern,<br />

der König hingegen ein Kleid aus<br />

Fichten- oder Tannenrinde, denn er ist Jarilo,<br />

der Grüne Mann, der alljährlich stirbt, um<br />

bald darauf wiedergeboren zu werden. Mädchen<br />

und Jungen ziehen nun gleichermaßen<br />

durch den Ort und bitten um Geschenke für<br />

ihr Herrscherpaar. Für den König endet die<br />

Reise allerdings wieder am Teich, wo er<br />

symbolisch enthauptet wird, indem man seine<br />

Krone ins Wasser stößt. Alternativ werden<br />

für das Spiel aber vielerorts auch Puppen<br />

verwendet, die dann wiederum enthauptet,<br />

ins Wasser gestoßen oder zerrissen werden.<br />

Während der „Grünen Woche“ tanzen die<br />

Rusalki unter den Menschen; Darstellung von<br />

K. Makovsky, 1879<br />

In Russland, Weißrussland und der Ukraine<br />

ist es die sogenannte Rusalka, die Anfang<br />

Juni während der sogenannten „Grünen Woche“<br />

umhergetragen und schließlich auseinander<br />

gerissen wird. Die Rusalken, eigentlich<br />

Wasserdämonen, entsteigen in dieser<br />

Woche (der siebenten nach Ostern) den Weihern<br />

und Flüssen, um unter den Menschen<br />

zu wandeln. Um sie auf Abstand zu halten,<br />

finden einerseits viele Mittelchen private<br />

Verwendung (Weihrauch, Kreuze, Knoblauch,<br />

Wermut...), andererseits gibt es aber<br />

auch große Dorffeste, auf denen die Rusalka<br />

von einer weiblichen Strohfigur oder einem<br />

geschmückten Birkenstamm dargestellt wird.<br />

Dieses Idol schafft man zunächst unter großem<br />

„Hallo“ aus dem Ort, um sich dann auf<br />

offenem Feld einen Kampf darum zu liefern.<br />

Dies endet dann meist mit dem Zerfetzen des<br />

Götzen, dessen Füllung über das Feld verteilt<br />

wird, bzw. mit der Versenkung der Birke in<br />

einem nahen Fluss. Ursprünglich sollte dies<br />

die Fruchtbarkeit des Bodens garantieren und<br />

vor dem Geist der Rusalka schützen, wird<br />

aber heute vor allem mit Volksfest und Gaudi<br />

verbunden sein. Üblicherweise beginnen<br />

die Feiern am Donnerstag der „Grünen Woche“<br />

und enden drei Tage darauf mit der Zerstörung<br />

des Idols am Pfingstsonntag. Die<br />

ganze drei Tage umspannende Zeit des Feierns<br />

wird in Russland als „Semik“ bezeichnet.<br />

Im Gegensatz zu den Bräuchen des Winteraustreibens<br />

dient die Tötung der Puppen in<br />

den Rusalien vordergründig nicht der Verbannung<br />

der Dämonen, sondern der Freisetzung<br />

ihrer fruchtbringenden Kräfte. Da muss<br />

es uns nicht wundern, dass Jarilo oder Rusalka<br />

mancherorts auch als Pferd dargestellt<br />

werden, wobei sich zwei Leute in einem<br />

Pferdekostüm verstecken, schließlich ist das<br />

Pferd ein altes Fruchtbarkeitssymbol und galt<br />

als Wanderer zwischen den Welten. Von Jarilo<br />

heißt es in manchen Volksliedern, dass<br />

er zu Fuß und zu Pferd kam. Wie kann das<br />

sein? Das geht nur, wenn er selbst ein Pferd<br />

ist.<br />

Wegen ihrer fruchtbringenden Wirkung enden<br />

die Überreste der Rusalien-Dämonen<br />

immer auf dem Feld, egal ob es sich dabei<br />

um eine zerrissene Puppe oder die Verkleidung<br />

menschlicher Protagonisten handelt.<br />

Auch wird in diesen Tagen der Toten gedacht<br />

und der Frühjahrsputz begangen; alles<br />

Riten, die der Reinigung von Haus und Gemeinde<br />

dienen (vgl. der Mai als Weißdornmonat:<br />

Damhain <strong>Alla</strong> 20, „Der Weißdorn“).<br />

Viele weitere Bräuche und Spiele gäbe es<br />

noch zu erwähnen und nicht alle haben mit<br />

Idolen zu tun: das Maibaumaufrichten zum<br />

Beispiel, den Eierkult, die Divination aus<br />

Blumenkränzen, die ins Wasser geworfen<br />

werden oder die erotischen Kukerspiele der<br />

Bulgaren. Doch ich möchte den Artikel nicht<br />

überfrachten und wer weitergehende Fragen<br />

hat, kann gern die Redaktion anschreiben.<br />

Auf dass der Inhalt des Beitrages nicht im<br />

Lexikon des sinnslosen Wissens abgeheftet<br />

werde, möchte ich euch noch erzählen, wie<br />

ich im vergangenen Jahr Ostara gefeiert habe.<br />

Dazu muss ich sagen, dass in meinem<br />

paganen Bekanntenkreis immer ein wenig<br />

Unlust aufkam, wenn es um die Organisation<br />

von Ostara ging. Niemand wollte diese Aufgabe<br />

so recht übernehmen, da es jedes Jahr<br />

Probleme mit dem Fest gab, insbesondere<br />

damit es inhaltlich zu füllen. Und das bei einem<br />

munteren Frühlingsfest...<br />

Im Jahr 2011 endlich besannen wir uns auf<br />

den spielerischen Charakter der Tagundnachtgleiche<br />

und beschlossen, etwas zu organisieren,<br />

das sich an slawische Frühjahrsfeste<br />

anlehnt. Wichtig dabei ist – und das<br />

sollte für Frühjahrsfeste selbstverständlich<br />

sein – dass ein Teil der Spiele im Freien<br />

stattfindet. Zunächst einmal spielten Männer<br />

und Frauen getrennt voneinander. Die Männer<br />

hatten aus Stecken, Strick und Blattwerk<br />

im Vorfeld einen Götzen gebaut und ihn den<br />

Frauen übergeben. Die haben ihn dann keck<br />

versteckt und die Männer auf eine Schnitzeljagd<br />

geschickt, während sie selbst ein Märchen<br />

mit Rollenverteilung durchspielten. Auf<br />

diese Weise kürten sie die Königin, die im<br />

späteren Ostara-Ritual die Frühlingsgöttin<br />

darstellen würde. Der endlich aufgefundene<br />

Winterdämon bildete zunächst das Zentrum<br />

des Rituals, wurde dann gemeinsam in den<br />

Wald getragen und dort verbrannt. Allerdings<br />

flohen wir nicht schnell in den Ort zurück<br />

ohne zurückzublicken, sondern übernachteten<br />

noch am Feuer, denn immerhin<br />

war es ein schöner Frühlingstag.<br />

Das sich nur kurz zuvor ein Japan eine A-<br />

tomkatastrophe ereignet hatte, gab dem Fest<br />

noch eine ganz besondere Bedeutung. Genau<br />

in jenen Tagen rollte die radioaktive Wolke,<br />

die ihren Ursprung in Fukushima hatte, über<br />

Deutschland hinweg und dazu regnete es<br />

auch noch; „Black Rain“, wie es umgangssprachlich<br />

heißt. Und in der Tat hatten einige<br />

meiner Bekannten in jenen Tagen dubiosen<br />

Ausschlag oder schuppende Hände. Das<br />

kann man sich mit anderen Ursachen schönreden,<br />

aber ein schaler Beigeschmack bleibt<br />

eben doch zurück. Also stießen wir den Wintergötzen<br />

ins Feuer, auf dass Angst, Stumpfheit<br />

und Resignation nie über das Feuer im<br />

Herzen der Menschen, über die Liebe und<br />

die Freuden einer Gemeinschaft die Oberhand<br />

gewinnen mögen. Alle Akte der Freude<br />

sind wahre Rituale des Lebens. Und ohne<br />

Freude in unseren Herzen müssten wir sterben.<br />

Charon<br />

Quellen:<br />

Yovino-Young, M.: Pagan Ritual and Myth<br />

in Russian Magic Tales, Lewiston 1993.<br />

Váňa, Z.: Mythologie und Götterwelt der<br />

slawischen Völker, Stuttgart 1992.<br />

Semik mit Maibaum und Maikönig; russische<br />

Darstellung aus dem 19. Jhd.


36 Dogmen Dogmen 37<br />

„Ich glaube jedem, der die Wahrheit sucht.<br />

Ich glaube keinem, der sie gefunden hat.“<br />

Kurt Tucholsky (1890-1935)<br />

D<br />

er erste Schritt in eine neue Richtung<br />

ist aufgrund der Ungewissheit, ob man<br />

auf dem Boden überhaupt Halt findet, immer<br />

der schwierigste. So geht es mir gerade auch<br />

mit dem Anfang dieses Artikels, daher<br />

möchte ich hier deutlich machen, dass ich<br />

mit dieser Arbeit keine Dogmen aufstellen<br />

will. Wie gewohnt sind meine Schlussfolgerungen<br />

als rein subjektive Hypothesen zu<br />

verstehen, die ihr gerne widerlegen könnt, so<br />

ihr dazu geneigt seid. Und warum ich diese<br />

Sätze gleich vorweg stellen möchte, werdet<br />

ihr bald merken.<br />

Wie so einige Ideen des Menschen entstammt<br />

auch diese Idee, über mögliche<br />

dogmatische Strukturen im Wicca zu schreiben,<br />

einer Diskussion. Wie diese genau zustande<br />

kam, kann ich leider nicht mehr<br />

nachvollziehen, möglich könnte aber sein,<br />

dass ein Buch von Frederic Lamond mit dem<br />

Titel „Naturpantheismus – Religion ohne<br />

Dogmen“ einen kleinen Teil dazu beigetragen<br />

haben könnte. Doch dies sei nur am<br />

Rande erwähnt, da es mir fern liegt, über ein<br />

Buch zu schreiben, sondern eher eine unabhängige<br />

Schlussfolgerung anzustreben.<br />

Es ist sicherlich nicht alltäglich, sich mit<br />

Dogmen im Wicca auseinander zu setzen.<br />

Möglicherweise haben sich einige nicht<br />

einmal darüber Gedanken gemacht, sondern<br />

einfach so praktiziert, wie sie es kannten o-<br />

der für richtig hielten. Meiner Meinung nach<br />

stellt das für die spirituelle Praxis kaum einen<br />

Verlust dar, lediglich eine Konzentration<br />

aufs Wesentliche. Doch für genauso wichtig<br />

halte ich es, wenn man sich auch in philosophischer<br />

Hinsicht mit seiner Spiritualität beschäftigt.<br />

Hier meine ich natürlich insbesondere<br />

die Mysterientradition Wicca. Auch<br />

wenn wir das Wort Dogma hauptsächlich<br />

Wicca –<br />

mit oder ohne Dogmen?<br />

aus der christlichen Theologie kennen, so<br />

können wir es dennoch im passenden Zusammenhang<br />

bringen und lösen somit seine<br />

„dogmatische“ Verwendung auf.<br />

Bevor wir uns tiefer mit diesem Thema beschäftigen,<br />

sollte vielleicht am Anfang der<br />

Begriff Dogma erklärt werden. Das Wort<br />

stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet<br />

übersetzt soviel wie „Meinung“, „Lehrsatz“<br />

oder „Beschluss“. Verwandt dürfte es<br />

mit dem lateinischen Wort Doktrin sein,<br />

welches „Lehre“ bedeutet. Beide Wörter bezeichnen<br />

in etwa dasselbe, nämlich eine<br />

Aussage, die für wahr und allgemeingültig<br />

angesehen werden sollte, auch wenn beide in<br />

verschiedenen Zusammenhängen benutzt<br />

werden. Gehen wir weiter, so meinen sie<br />

letztlich unumstößliche Grundsätze, die über<br />

jeden Zweifel erhaben sein sollten und somit<br />

zu universellen Gesetzen avanciert sind.<br />

Natürlich gibt es beinahe unendlich viele<br />

Beispiele für Dogmen, insbesondere innerhalb<br />

der christlichen Kirchen, aber auch in<br />

der Politik (Doktrin), Wissenschaft (Axiom<br />

oder Paradigma) und in vielen weiteren Bereichen.<br />

Ein typisch christliches Dogma wäre beispielsweise<br />

die Erbsünde oder die jungfräuliche<br />

Geburt Jesu Christi durch Maria. Diese<br />

Festlegung auf eine bestimmte Aussage hat<br />

natürlich seine Vorteile, denn wenn man innerhalb<br />

eines Systems einen Satz als Gegebenheit<br />

festsetzt, spart man sich weitere<br />

Auseinandersetzungen und kann das Systemkonstrukt<br />

weiter aufbauen. Somit ändert<br />

sich die Herangehensweise, denn ohne dieses<br />

Dogma würde der Messias von einer „unreinen“<br />

Frau geboren worden sein, die noch<br />

immer mit der Erbsünde behaftet wäre, was<br />

in den Augen vieler Christen wohl undenkbar<br />

wäre. Mit dem Dogma hingegen hat das<br />

Hinterfragen und Zweifeln ein Ende und der<br />

Glauben kann unter anderem von der Masse<br />

leichter aufgenommen werden. In diesem<br />

Zusammenhang sehen wir davon ab, dass in<br />

der Bibel, dem Herzstück und Glaubensfundament<br />

des Christentums, nicht von einer<br />

unbefleckten Empfängnis gesprochen wird,<br />

sondern diese wahrscheinlich der Schlussfolgerung<br />

entsprang, dass die Mutter von Jesus,<br />

dem Sohn Gottes, frei von der Erbsünde sein<br />

müsste, um die Göttlichkeit Christi zu bestätigen.<br />

Diese Auslegung wurde im Konzil von<br />

Trient im 16. Jahrhundert als Dogma erklärt<br />

und ist somit seit dieser Zeit als festes Gesetz<br />

im katholischen Glauben verankert. Erst<br />

zwei Jahrhunderte später erläuterte Papst Pius<br />

IX. dieses Dogma ausführlich in einer<br />

Bulle und legte eine präzisere Lehrmeinung<br />

fest.<br />

Nach diesem kleinen Ausflug in die christliche<br />

Dogmatik wollen wir uns aber nun dem<br />

Wicca widmen. Und gleich zu Anfang stoßen<br />

wir auf eine kleine Schwierigkeit: Ist<br />

Wicca eigentlich eine Religion? Diese Frage<br />

zu beantworten, scheint eine Sache der Auslegung<br />

zu sein, da der Begriff Religion bis<br />

jetzt noch keine einheitliche Definition erfahren<br />

hat. Wenn wir definieren würden,<br />

dass eine Religion jede spirituelle Bewegung<br />

ist, der ein Glaube zugrunde liegt, könnten<br />

wir diese Frage mit „ja“ beantworten. Nur als<br />

solches definiert ist dieser Glaube jedoch<br />

nicht, vielmehr geht der Glaube einher mit<br />

der spirituellen Entwicklung durch Erfahrungen,<br />

durch das Erleben von Mysterien und<br />

Offenbarungen.<br />

Zum Wohl oder Übel ist selbst Wicca nicht<br />

eindeutig definiert, was eine ganzheitliche<br />

Betrachtung des Glaubens als eine Bewegung<br />

oder Religion schier undenkbar macht.<br />

Ich selbst möchte mir hier nicht anmaßen,<br />

eine Definition zu erstellen, daher werde ich<br />

einige zentrale Elemente des Wicca in Bezug<br />

auf dogmatische Hinweise beleuchten, ohne<br />

damit zu behaupten, dass diese Dinge für jeden<br />

Wicca der Welt grundlegend sein müssten.<br />

Wenn wir nach dogmatischen Elementen im<br />

Wicca suchen wollen, so ist es für mich nur<br />

natürlich, dass ich zuerst bei den Hinterlassenschaften<br />

des Gründers Gerald B. Gardner<br />

recherchiere. Seine wesentlichen Aufzeichnungen<br />

zum Mysterienkult bleiben wohl die<br />

Textsammlungen und Ritualbeschreibungen,<br />

die wir heute als das „Buch der Schatten“<br />

kennen. Aus diesem Sammelsurium werde<br />

ich einige Texte genauer beschreiben und erläutern<br />

können, ob wir nicht doch ein kleines<br />

Dogma im Wicca entdeckt hätten.<br />

Der erste Text, der nach Dogmatik geradezu<br />

riecht, trägt den Namen „The Old Laws“, der<br />

wahrscheinlich Anfang der 60er Jahre verfasst<br />

wurde. Hierin finden wir so genannte<br />

„Ardanes“, vermutlich eine atypische<br />

Schreibweise des Wortes „ordain“, welches<br />

soviel bedeutet wie „festsetzen“ oder<br />

„bestimmen“. Somit handelt es sich bei diesem<br />

Text in der Tat um eine Art von Gesetzesentwürfen,<br />

die unter anderem die Strukturen<br />

und Belange des Covens regeln sollen.<br />

Auch wenn dieser Text wahrscheinlich erst<br />

nach dem Entzweien von Gerald Gardner<br />

und seiner damaligen Hohepriesterin Doreen


38 Dogmen Dogmen 39<br />

Valiente ins Buch der Schatten eingefügt<br />

wurde, so ist er dennoch ein fester Bestandteil<br />

dieses Werkes, nicht nur in geschichtlicher<br />

Hinsicht des Wicca.<br />

Gerade im rituellen Rahmen finden wir stets<br />

einen gleichwährenden Ablauf der Prozedur,<br />

um einen Kreis zu errichten. Wenn die rituellen<br />

Abschnitte auch gelegentlich andersartig<br />

ausgeführt werden, bleibt doch der Ablauf<br />

ziemlich konstant. Daraus entwickelte<br />

sich eine Art Grundritualgerüst, welches eine<br />

große Anzahl der Wicca in der ganzen<br />

Welt verwenden, auch wenn dieses Gerüst<br />

vermutlich von anderen Gemeinschaften wie<br />

dem Hermetic Order of the Golden Dawn,<br />

den Freimaurern oder dem Ordo Templi O-<br />

rientis stammte und adaptiert wurde. Inzwischen<br />

wurden diese Adaptionen nach der<br />

Entstehung des Wiccakults noch von anderen<br />

Seiten fortgetrieben, so können wir diesen<br />

typischen Ritualaufbau zum Beispiel in<br />

einigen Spielarten des Asatru und bei anderen<br />

exotischen oder individuellen spirituellen<br />

Praktiken beobachten.<br />

Eine Sonderstellung nimmt für mich die Offenbarung<br />

ein, die bekannte Charge aus der<br />

Feder von Doreen Valiente. Dieser Text ist<br />

vielmehr eine Unterweisung, die sowohl eine<br />

Ethik wie auch bestimmte Anhaltspunkte<br />

auf rituelle Handlungen und verborgene<br />

Mysterien vermittelt. Die Charge ist die<br />

wohl populärste Offenbarung im Wicca und<br />

hat in vielen Ritualabläufen des Buchs der<br />

Schatten einen festen Stellenwert.<br />

Eine weitere äußerst bekannte und von vielen<br />

Neuheiden angenommene Aussage ist:<br />

„Tu’ was du willst, aber schade niemandem“,<br />

der essentielle Satz der sogenannten<br />

Wiccan Rede. Abgesehen von der etwas<br />

problematischen Aussage dieses Statements<br />

1 , wird es sehr oft zu den klassischen<br />

1 Einen ausführlichen Artikel über die Wiccan Rede<br />

findet ihr in der <strong>Damháin</strong> <strong>Alla</strong> Ausgabe 8<br />

„Wicca-Weisheiten“ gezählt und könnte eine<br />

übergeordnete Ethik darstellen.<br />

Dies sind nur einige Beispiele für Texte, aus<br />

denen gut und gerne Dogmen entnommen<br />

werden könnten. Die Frage bleibt aber bestehen,<br />

ob es sich hierbei tatsächlich um Dogmen<br />

handelt. Meine Antwort würde dazu<br />

lauten: „ja und nein!“<br />

Die Begründung ist relativ einfach zu verstehen,<br />

denn unabhängig davon, ob man nun in<br />

einem Coven oder allein praktizieren sollte,<br />

arbeitet vermutlich jeder ein wenig anders<br />

mit diesen Texten. Da schon der Begriff<br />

Wicca als solches nicht universell definiert<br />

ist, kann es auch keine einheitlichen Dogmen<br />

für Wicca geben. Dennoch wird es einzelne<br />

Personen oder Coven geben, die bestimmte<br />

Texte als für ihre Spiritualität wichtig und<br />

essentiell erachten. Wenn solch ein Text stets<br />

befolgt wird, gleichgültig der Hintergründe<br />

für die Verwendung, könnte man sicherlich<br />

sagen, dass es sich um ein Dogma handeln<br />

könnte.<br />

Für einige Coven stellt zum Beispiel ihr eigenes<br />

Buch der Schatten eine Art von Dogma<br />

dar, zum Beispiel in der Art und Weise,<br />

wie es geführt wird. So könnten beispielsweise<br />

die Texte von Gerald Gardner separiert<br />

von coveneigenen Texten stehen oder das<br />

Buch rein handschriftlich geführt werden.<br />

Der Hieros Gamos, eine der heiligsten Handlungen<br />

im Wicca, könnte eventuell zu jedem<br />

Jahresfest vollzogen werden, um ein Beispiel<br />

für ein rituelles Dogma anzuführen. In solch<br />

einem Zusammenhang könnte man das Wort<br />

Dogma auch mit Tradition austauschen, doch<br />

beide beschreiben hier dieselbe Sache.<br />

In diesem Zusammenhang möchte ich klar<br />

formulieren, dass Dogmen grundsätzlich<br />

nicht negativ, sondern generell neutral zu<br />

verstehen sind. Die negative Färbung dieses<br />

Begriffes haben wir wahrscheinlich einigen<br />

Kirchenkritikern zu verdanken, welche viele<br />

kirchliche Dogmen für nicht mehr zeitgemäß<br />

hielten und in ihren Schriften und Proklamationen<br />

verspottet hatten. Für das aufgeklärte<br />

Volk ist aus dem Dogma wahrscheinlich<br />

schnell ein Begriff für verstaubtes und unzeitgemäßes<br />

Denken geworden.<br />

Die allgemeine Gültigkeit eines Dogmas ist<br />

in dieser Hinsicht auch nicht mit dem einzig<br />

wahren Weg zu verwechseln. Keinesfalls<br />

sollte es bedeuten, dass alle Menschen dieses<br />

Dogma annehmen müssten, um ein Dogma<br />

zu sein. Meines Erachtens reichen eine Person<br />

und ein Grundsatz, um ein Dogma entstehen<br />

zu lassen. Die Unumstößlichkeit eines<br />

Dogmas sollte daher gewährleistet sein, dass<br />

man seine Hintergründe ausführlich erforschen<br />

und nachvollziehen könnte, um sich<br />

somit entscheiden zu können, ob man dieses<br />

Dogma annehmen oder ablehnen sollte.<br />

Die möglichen Schwierigkeiten, die auftreten<br />

könnten, sind meiner Erfahrung nach oftmals<br />

solche, dass die Bedeutungen mancher Werte<br />

und Richtlinien falsch interpretiert werden<br />

könnten.<br />

Gerade bei den „Old Laws“ und anderen Bestandteilen<br />

des Buchs der Schatten könnte<br />

man auf die Idee kommen, dass die Gründe<br />

für diese Beschreibungen ein ausgeprägter<br />

Sexismus und nichts anderes wären, welches<br />

mitunter durch emanzipatorische Gedanken<br />

zwangsläufig zu Ablehnung führt. Dazu sei<br />

gesagt, dass es erstens Unterschiede zwischen<br />

Männern und Frauen tatsächlich gibt,<br />

schon allein anatomisch gesehen, und Wicca<br />

zweitens meist auf Polaritäten aufbaut, gerade<br />

in Hinsicht auf die Geschlechter. Eine Zuteilung<br />

der Aufgabengebiete, Verantwortlichkeiten<br />

oder Rollen im Ritual nach Geschlecht<br />

ist daher eher eine logische Konsequenz,<br />

wenn mit dem Kreislauf der Göttin<br />

und des Gottes gearbeitet wird, wie es in den<br />

klassischen Jahreskreisfesten oftmals der Fall<br />

ist. Dies soll aber nur ein Beispiel dafür sein,<br />

wie bestimmte Richtlinien aufgrund von vorschnellen<br />

Urteilen zu negativen Dogmen abgestempelt<br />

werden könnten.<br />

Allgemein gehalten könnten wir sagen, dass<br />

ein Dogma letztlich ein spiritueller Lehrsatz<br />

sein kann, der von bestimmten Menschen für<br />

stimmig erkoren und somit im jeweiligen<br />

Glauben verankert wurde. Meiner Meinung<br />

nach ist es für einen lebendigen Glauben<br />

durchaus wichtig, dass auch Dogmen hinterfragt<br />

werden können und teilweise auch sollten,<br />

um entweder ein tieferes Verständnis für<br />

seinen Glauben zu entwickeln oder sich aber<br />

fundiert von bestimmten Dogmen distanzieren<br />

zu können.<br />

Ein Dogma ist im Zusammenhang mit Wicca<br />

also individuell, entweder für die Einzelperson<br />

oder für den Coven gültig, und oftmals<br />

gut nachvollziehbar. Keinesfalls sind sie nur<br />

negativ, sondern besitzen meist eine bestimmte<br />

Lehre oder Erkenntnis, an der festgehalten<br />

werden soll.<br />

Natürlich soll es auch Menschen auf den spirituellen<br />

Wegen des Wicca geben, die völlig<br />

ohne Dogmen auskommen mögen, das sollen<br />

sie auch gerne weiterhin. Mich persönlich<br />

würde sehr interessieren, ob vielleicht mit<br />

der Zeit auch auf diese Weise Dogmen entstehen<br />

könnten.<br />

Doch abseits jeglicher Autorität und Regeln<br />

bin ich mir ziemlich sicher, dass auch diese<br />

Menschen der Stimme der Großen Göttin<br />

folgen werden, wenn sie nach ihnen ruft.<br />

Quellen:<br />

Fynn<br />

R. Leonhardt: Grundinformation Dogmatik,<br />

2. Auflage, 2004<br />

Duden - das Bedeutungswörterbuch, 4. Auflage,<br />

2010<br />

G. B. Gardner: The Gardnerian Book of<br />

Shadows<br />

A. A. Kelly: Inventing Witchcraft, 2007


40 Cthulhu-Mythos Cthulhu-Mythos 41<br />

I<br />

n den vorangegangenen Artikeln habe<br />

ich mich mit jenen Entitäten befasst, zu<br />

denen es wenigstens einige Quellen gibt:<br />

Cthulhu, Nyarlathotep, Azathoth und Dagon.<br />

Jetzt möchte ich versuchen, euch die Wesen<br />

wenigstens vorzustellen, von denen kaum<br />

mehr als kurze Erwähnungen in der „Lovecraftchen<br />

Literatur“ vorhanden sind. Befassen<br />

wir uns heute also mit den beiden sogenannten<br />

Torwächtern.<br />

Yog-Sothot<br />

Für mich ist er ein Wanderer zwischen den<br />

Welten, sozusagen ein klassischer Schwellengott.<br />

Um mit den anderen Wesen in Kontakt<br />

zu kommen, sollte man sich zunächst<br />

mit ihm beschäftigen, denn er ist Tor und<br />

Schlüssel zu den Großen Alten.<br />

Yog-Sothoth ist, obwohl er als ein in<br />

Schwärze gefangenes Wesen dargestellt<br />

wird, das Wissen, welches im Außen aktiv<br />

ist.<br />

Die wenigen Informationen lassen bereits an<br />

dieser Stelle den Schluss zu, dass er ein<br />

Schlüssel zu einer ganz besonderen Form<br />

des Wissens bzw. des Zugangs zu Erkenntnissen<br />

sein muss. Intelligenz im herkömmlichen<br />

Sinn stellen wir uns als Licht vor; erhellend<br />

und erleuchtend. Im Gegenzug bezeichnen<br />

wir Irrsinnige durchaus als „geistig<br />

umnachtet“. Aber gerade der Begriff „umnachtet“<br />

spiegelt die Vorstellung von etwas<br />

wieder, was von undurchdringlicher Dunkelheit<br />

umfangen ist.<br />

Lovecraft selbst lässt uns jedenfalls auch im<br />

Dunkeln stehen.<br />

In Das Grauen von Dunwich 1 vereint Yog-<br />

Sothoth allwissend Vergangenheit, Gegenwart<br />

und Zukunft in sich. Einige Jahre später<br />

stellt ihn der Autor in Das Grauen im Museum<br />

2 ganz anders dar: Er erscheint dort dem<br />

Protagonisten als Ansammlung von bunten<br />

Kugeln, die lediglich bösartig wirken.<br />

1 Lovecraft, 1929<br />

2 Lovecraft, 1932<br />

Der Cthulhu-Mythos<br />

Yog-Sothot und Hastur<br />

Zusätzlich bezeichnen ihn Turner und Langford<br />

3 als Mitregenten von Azathoth, dem ursprünglichen,<br />

verrückten Chaos 4 .<br />

Wenn nun Yog-Sothoth sowohl Raum und<br />

Zeit sein soll, der allwissende Schlüssel zu<br />

den verborgenen Welten, gleichzeitig aber<br />

unendlich verhüllt und dann auch wieder mit<br />

der ganzen belebten Welt verbunden ist,<br />

dann sollten wir uns schon etwas näher mit<br />

ihm beschäftigen, denn es könnte sich lohnen.<br />

Es fällt mir schwer, Yog-Sothoth irgendeinem<br />

Anteil der gesunden Psyche zuzuordnen.<br />

Im Gegensatz zu den üblichen dunkleren<br />

Göttern aus anderen Pantheonen glaube<br />

ich kaum, dass es hier genügt, evtl. verborgene<br />

Aggressionen oder Trauer hervorzuholen,<br />

ein Ritual zu zelebrieren und danach von<br />

einer Begegnung mit dem zu sprechen, was<br />

gemeint sein könnte. Am ehesten würde ich<br />

diese schwarze Intelligenz mit Thagirion in<br />

Verbindung bringen, dem qliphotischen Gegenstück<br />

zum kabbalistischen Tiphareth.<br />

Thagirion ist die schwarze Sonne, welche einerseits<br />

zwischen uns und den anderen Welten<br />

des qliphotischen Baumes vermittelt und<br />

andererseits die Schattenwelten mit schwarzem<br />

Licht erleuchtet.<br />

Um das wieder etwas fassbarer zu machen,<br />

drücke ich mich mal weniger esoterisch aus:<br />

Meiner Meinung nach muss man den Weg<br />

der Verrücktheit gehen, um irgendwann inmitten<br />

des Irrsinns den Sinn aller Verwirrung<br />

sehen zu können. Man entsagt also mindestens<br />

für einen längeren Zeitraum den Früchten<br />

der Ordnung und der Organisiertheit und<br />

stellt sich all den Alpträumen, Ängsten und<br />

3 In „Das Buch der toten Namen/Necronomicon“, 1993<br />

4 Siehe Damhain <strong>Alla</strong>, Ausgabe 22<br />

Wahnideen, denen man sich normalerweise<br />

entgegenstellt. Da es kaum gelingen dürfte,<br />

nach solchen „Ausflügen“ ein nach den üblichen<br />

Maßstäben erfülltes Leben zu führen,<br />

nimmt es nicht Wunder, das Lovecrafts Protagonisten<br />

entweder als unglückselig oder,<br />

wenn sie sich mit dem Außergewöhnlichen<br />

auseinandersetzen, als bösartig, abnorm und<br />

damit als schwarzmagisch bezeichnet werden.<br />

So sehr mich die Aussicht auf die schwarze<br />

Erleuchtung, die ein Wesen wie Yog-Sothoth<br />

zu versprechen mag, fasziniert, ist für mich,<br />

der ich mich sehr wohl an meinem Alltag erfreuen<br />

kann, der Weg dorthin eher nicht<br />

gangbar. In der Literatur bezahlt der Anhänger<br />

Yog-Sothoths mit ewiger Knechtschaft<br />

und in der Realität, glaube ich, würde dem so<br />

sein.<br />

Hastur, der Gelbe König<br />

Mit Hastur ist es etwas verworren. Diese<br />

Wesenheit tauchte schon auf, bevor Lovecraft<br />

über sie schrieb und zwar bei Ambrose<br />

Bierce in dessen Kurzgeschichte Haïta, der<br />

Hirte (1893). Bierce scheint ihn erfunden zu<br />

haben; jedenfalls ist er bei ihm ein gütiger<br />

Gott der Hirten und Herden. In der Geschichtensammlung<br />

Der König in Gelb (1895) von<br />

Robert Chambers wurde er dann wieder verwendet,<br />

einmal als Name einer Stadt, einmal<br />

als möglicherweise übermenschliches Wesen.<br />

Zugleich erwähnte Chambers in seinen<br />

Geschichten einen geheimnisvollen Gelben<br />

König und ein gelbes Symbol. Jenes Zeichen<br />

unterwerfe den Besitzer dem Willen des<br />

Gelben Königs bzw. seiner Nachfolger. Jenen<br />

König, den ursprünglichen Erschaffer<br />

des Symbols, beschreibt Chambers dabei als<br />

nicht menschlich und nicht von dieser Welt.<br />

Lovecraft erwähnt später sowohl Hastur, als<br />

auch das gelbe Zeichen in Der Flüsterer im<br />

Dunkeln und stellt dort eine kultische Verbindung<br />

zwischen beiden her, belässt es aber<br />

im Übrigen dabei und geht nicht näher darauf<br />

ein.<br />

Erst Lovecrafts Herausgeber August Derleth<br />

und spätere Autoren erhoben Hastur in die<br />

Reihen der Großen Alten und setzten ihn mit<br />

dem Gelben König gleich, den sie als Hastur-<br />

Avatar beschrieben. Dabei dient das gelbe<br />

Symbol als Schlüssel zur Welt der großen<br />

Alten; Hastur ist der Torwächter und unterwirft<br />

die Besitzer des Zeichens seinem Willen,<br />

schlägt sie in den Bann des uralten, funkelnden<br />

Chaos und lässt sie nicht wieder los.<br />

Man beschreibt ihn als magere, schwebende<br />

Gestalt, gekleidet in flatternde, gelbe Tücher.<br />

Die Farbe Gelb zeichnet Hastur als Wesenheit<br />

der Luft aus, wie es seine Rolle als<br />

Schlüsselmeister und Grenzwärter auch erwarten<br />

lässt. Jedoch scheint dies eine rein<br />

menschliche Vorstellung zu sein, da die<br />

Großen Alten sich einer Zuordnung zu den<br />

uns bekannten Elementen eigentlich entziehen.<br />

Als weiterer möglicher Avatar Hasturs gilt<br />

„der Hohepriester, der nicht beschrieben<br />

werden soll“. Diese Gestalt beschrieb Lovecraft<br />

in seinem Gedicht The Elder Pharos als<br />

den letzten der Großen Alten, der unter den<br />

Menschen wohnt und durch Trommeln mit<br />

dem Chaos spricht. Von jenem flüstere man,<br />

dass er sein Gesicht hinter einer gelben, seidenen<br />

Maske verberge, die verhüllen soll,<br />

dass er nicht von dieser Welt sei.<br />

Die beiden Entitäten scheinen völlig verschieden,<br />

obwohl beide als Tore bzw.<br />

Schlüssel bezeichnet werden. Auch Cthulhu<br />

wird diese Funktion zugewiesen. Das sind<br />

Paradebeispiele für das gesamte Konstrukt:<br />

Chaos und Willkür.<br />

Cth


42 Weide Weide 43<br />

In die tiefen Wasserfluten sinkt die Hoffnung<br />

hinab,<br />

ungesehen, ungehört, aus jener Welt in eine<br />

andere –tiefere, dunklere.<br />

Nur die Weide sieht’s und versteht’s<br />

–eines Tages zurückbringend was einst verloren.<br />

I<br />

ch komme aus einem Landstrich, der<br />

nicht besonders aufregend ist. Es gibt<br />

kaum Wald und Wasser, das Land ist flach<br />

und eines der dünnbesiedeltsten in Deutschland.<br />

Ich könnte behaupten, dass es langweilig<br />

ist, wären da nicht noch der Wind, der<br />

dichte Nebel und in ihm wundersame, unwirkliche<br />

Schemen. In der Dämmerung und<br />

im Mondlicht sieht man große Gestalten, die<br />

auf leerem Felde in Reihe ihre schweren<br />

Köpfe aus den weißen Schleiern strecken.<br />

Wenn Nebel Tore zu einer anderen Welt<br />

sind, so sind für mich Weiden die Wächter<br />

dieser Tore. Manch einem verwehren sie<br />

wohl den Einlass und andere kehren verwandelt<br />

oder nimmermehr zurück.<br />

Die Kopfweiden, die mir auf unseren Feldern<br />

auffielen, sind beschnittene Weidenarten,<br />

häufig Silber- oder Korbweiden. Es gibt<br />

allerdings über 400 Weidenarten, die von ihrer<br />

Größe her von den Zwergsträuchern bis<br />

hin zu über 30 Meter großen Bäumen heranreichen.<br />

Das Aussehen der Weiden (Salix)<br />

ist so unterschiedlich, dass man teilweise nur<br />

durch die Genetik der Pflanze herausfinden<br />

kann, ob sie zu der Familie der Weidengewächse<br />

(Salicaceae) gehört. Wer sich die<br />

Mühe machen will, kann auch die Anordnung<br />

der Blätter an den Zweigen studieren,<br />

um Pflanzen auf ihre Weidenzugehörigkeit<br />

zu testen, denn jedes fünfte Blatt ist dem ersten<br />

parallel angeordnet. Zu den Weidengewächsen<br />

zählt auch noch die Pappel, aber<br />

ich möchte mich ausschließlich mit der<br />

Weide befassen, welche mythisch und mystisch<br />

doch für mich um einiges interessanter<br />

ist. Die Weiden sind bis auf die Trauerweide<br />

zweihäusig (diözisch), was bedeutet, dass es<br />

männliche und weibliche Weiden gibt. Allerdings<br />

hält sich ein Weidenbaum bei der<br />

Fortpflanzung nicht unbedingt an seinen gegengeschlechtlichen<br />

Part. Weiden gehen unterschiedlichste<br />

Kreuzungen ein, entwickeln<br />

immer neue Hybride und Mutationen und<br />

machen dadurch ihre Bestimmung noch<br />

schwieriger.<br />

Medizin<br />

Die Weide gilt als eine omnipotente Heilpflanze.<br />

Sie soll schmerzstillend, harntreibend,<br />

fiebersenkend sein und der Verklumpung<br />

von Blut vorbeugen, somit das Risiko<br />

von Herzinfarkten und Schlaganfällen senken.<br />

Auch gegen Schuppen, Akne und Warzen<br />

kann sie verwendet werden. Die Stoffe,<br />

welche dies bewirken sollen, sind Salicin,<br />

Flavonoide u.a. der Weidenrinde in bestimmten<br />

Arten. Allerdings wird das Salicin erst in<br />

der Leber zur wirksamen Salicylsäure umgewandelt.<br />

Acetylgruppen, die an die Salicylsäure<br />

angeheftet wurden, bilden das moderne<br />

ASS (Acetylsalicylsäure). Nur die Salicylsäure<br />

alleine, wie sie durch Salicin der<br />

Weide im Körper gebildet wird, ist leider<br />

schleimhautschädigend und kann zu Überreaktionen<br />

und Magen-Darm-Problemen führen.<br />

Diejenigen die noch kein ASS hatten, wie<br />

zum Beispiel die Babylonier und Assyrer,<br />

mussten daher mit der Weide vorlieb nehmen,<br />

wie die Schmerzrezepturen auf Tontafeln<br />

dieser Zeit beweisen (700 v. u. Z.). Auch<br />

die alten Ägypter behandelten mit Weide<br />

Schwellungen und Entzündungen.<br />

Die Weide<br />

Die Signaturenlehre – die Merkmale der<br />

Pflanze geben hier Aufschluss auf deren<br />

Wirkung – spricht der Weide einige Wirkungen<br />

zu, die sie tatsächlich auch hat. So<br />

schreibt schon Homer von der empfängnisverhütenden<br />

Wirkung der Weide, da sie sehr<br />

früh ihre Samen abwirft. Auch Plinius der<br />

Ältere und Diuskurides vertraten diese Ansicht.<br />

Heute ist nachgewiesen, dass in bestimmten<br />

Weidenarten speziell die Kätzchen<br />

Östrogene enthalten, die den Eisprung verhindern<br />

können, aber zur Thematik der Empfängnisverhütung<br />

komme ich später noch<br />

einmal. Weiterhin ist die Weide sehr robust,<br />

biegsam, widersteht Wind und Wasser und<br />

deutet somit auf eine heilende Wirkung gegenüber<br />

Gicht und Rheumatismus hin.<br />

„Study of Willows“ (1750-1755)<br />

Thomas Gainsborough<br />

Das Wort „Weide“ kommt von dem althochdeutschen<br />

„wîda“, was „die Biegsame“ bedeutet.<br />

Das Korbflechten ist gleich der Weberei<br />

eines der ältesten Handwerke der<br />

Menschheit und in unseren Breiten wurde<br />

und wird hierzu die Korbweide verwendet.<br />

Mit Hilfe dieses biegsamen Baumes waren<br />

der Transport von Waren und auch der Hausbau<br />

mit geflochtenen Wänden, wie er bereits<br />

in der Jungsteinzeit praktiziert wurde, erst<br />

möglich. Um nun mal den Bogen zum Mystischen<br />

zu schlagen: Wenn Hexenbesen<br />

Borsten haben, sind diese mit Hilfe der Weide<br />

gefertigt.<br />

Liebe und Verlust<br />

Die Weide ist wie die Eibe ein Göttinnenbaum,<br />

der ebenfalls mit der Unterwelt in<br />

Verbindung steht. Die Eibe hat den Ruf des<br />

Baumes der Ewigkeit und der Wiederauferstehung,<br />

weil sie fast unzerstörbar ist, uralt<br />

werden kann und sich zwar langsam, doch<br />

stetig immer wieder auf unterschiedlichste<br />

Weise fortpflanzt. Die Weide hat einen ähnlichen<br />

Ruf, wenn auch aus anderen Gründen.<br />

Sie ist extrem schnell wachsend und kann<br />

auch einfach per Steckling angepflanzt werden.<br />

Jedoch stirbt sie auch schnell ab und<br />

hinterlässt oft ausgehöhlte Stämme, die dann<br />

doch wieder neu austreiben können.<br />

Sie ist mit dem Demeter- und Persephonemythos<br />

verknüpft. Der Demeter, der Göttin<br />

der Fruchtbarkeit, wird die schnell sprießende<br />

Weide zugeordnet, ebenso wie die Biene,<br />

die ihre ersten Pollen des Jahres von blühenden<br />

Weidenkätzchen bezieht. Die sterbende<br />

Weide, welche von innen verfault, setzt man<br />

mit Persephone in Verbindung. Auch in ihrer<br />

Funktion des empfängnisverhütenden Baumes<br />

wird sie der „jungfräulichen“ Göttin zugeordnet.<br />

Interessanterweise ist in Granatäpfeln,<br />

von denen Persephone in der Unterwelt<br />

gekostet hat, unter anderem Östriol/Estriol<br />

vorhanden, welches in ausreichender Konzentration<br />

den Eisprung verhindern kann. So<br />

kann, auch wenn Leben ohne Tod nicht möglich<br />

ist, kein Leben in der Unterwelt entstehen.<br />

Persephone soll einen Weidenhain gepflegt<br />

haben, welcher der Göttin Hekate ge-


44 Weide Weide 45<br />

weiht war. Hekate, die Göttin der Übergänge<br />

und Schwellen, und Persephone, die selbst<br />

die Schwelle zum Tod übertreten hat, sind<br />

mit diesem Baum verbunden. Diese Schwellenpflanze<br />

markiert sichtbar und im mystischen<br />

Verständnis die Übergänge. Durch ihre<br />

Fäule bildet sie mit der verbliebenen Rinde<br />

Tore, durch die man hindurchschauen und<br />

-schreiten kann. Die Weide steht häufig an<br />

Flussufern und feuchten Wiesen, sodass Nebel<br />

entstehen kann und sie umhüllt. Das<br />

Wasser und der Nebel selbst bilden in vielen<br />

Mythologien, wie zum Beispiel der Griechen<br />

oder Kelten einen Übergang in die Totenoder<br />

Anderswelt.<br />

„[…] Aber bist du im Schiffe den Ocean jetzo<br />

durchsegelt,<br />

Und an dem niedern Gestad' und den Hainen<br />

Persephoneiens,<br />

Voll unfruchtbarer Weiden und hoher Erlen<br />

und Pappeln […]“<br />

(Homer: Odyssee; Übersetzung nach J. H.<br />

Voß)<br />

Später ist es wieder einmal der Herr Shakespeare,<br />

der die Baumsymbolik aufgreift und<br />

ihre düsteren Seiten verarbeitet. Im Gegensatz<br />

zur Eibe, die das Gift der Rachegöttinnen<br />

darstellt, erscheinen die Weiden bei<br />

Shakespeare als Symbol für den Verlust von<br />

Liebe und Leben. Die Ophelia ertrinkt, nachdem<br />

sie den Halt an einer Weide verlor, mit<br />

deren Hilfe sie einen Blumenkranz flechten<br />

wollte. Den Blumenkranz hätte sie auch<br />

nicht mehr gebraucht, denn Hamlet verschmähte<br />

sie als Braut, da er in seinem<br />

Wahnsinn gefangen war.<br />

Desdemona aus „Othello“ singt ein Klagelied<br />

über eine verlorene Liebe. Ihr geht das<br />

Lied nicht aus dem Kopf, welches einst von<br />

einem sterbenden Mädchen gesungen wurde.<br />

„Das Mägdlein saß singend am Feigenbaum<br />

früh, singt Weide, grüne Weide!<br />

Die Hand auf dem Busen, das Haupt auf dem<br />

Knie, singt Weide, Weide, Weide!<br />

Das Bächlein, es murmelt und stimmet mit<br />

ein; singt Weide, grüne Weide!<br />

Heiß rollt ihr die Trän' und erweicht das Gestein;<br />

singt Weide, Weide, Weide!<br />

Von Weiden all flecht' ich mir nun den Kranz<br />

– O scheltet ihn nicht, sein Zorn ist mir<br />

recht. –<br />

Ich nannt' ihn du Falscher! Was sagt' er dazu?<br />

Singt Weide, grüne Weide!<br />

Seh' ich nach den Mädeln, nach den Buben<br />

siehst du.“<br />

(aus: W. Shakespeare: „Othello, der Mohr<br />

von Venedig“)<br />

Kurz darauf wird sie von ihrem Mann, Othello,<br />

umgebracht.<br />

Aphrodisiakum und Lusthemmer<br />

In China geniest die Weide einen sehr lebensbejahenden<br />

Ruf. Das „Qi“ welches auch<br />

die Kraft darstellt, die das Leben erhält und<br />

in Bewegung setzt, bedeutet auch Weide. Mit<br />

ihren Zweigen wurde auch orakelt und die<br />

Chinesische Weide (Echte Trauerweide)<br />

steht für Schönheit und Anmut. Doch wird<br />

auch davor gewarnt, Mädchen die schwingenden<br />

Zweige der Weide sehen zu lassen,<br />

damit diese nicht auf unkeusche Gedanken<br />

kommen. Die Redewendung „Blumen pflücken<br />

und Weiden kaufen“ deutet einen Bordellbesuch<br />

an. Die Weide erhitzte mit ihren<br />

schlanken sich wiegenden Zweigen so sehr<br />

die Gemüter, dass sie als Aphrodisiakum<br />

eingenommen wurde.<br />

Im alten Griechenland hingegen galt der<br />

Baum, obwohl der Demeter zugeordnet, als<br />

Antiaphrodisiakum. Es gab in der Zeit um<br />

Oktober/November herum ein dreitägiges<br />

Fest zu Ehren der Demeter, welches nur von<br />

Frauen begangen wurde. Die Thesmophorien<br />

waren ein Saatfest, aber auch gleichzeitig ein<br />

Gedenken an die Suche der Demeter nach ihrer<br />

Tochter. Die Frauen bestiegen den Pnyx,<br />

einen Hügel in Athen, der sonst nur Männern<br />

für Versammlungen vorbehalten war, und<br />

richteten sich dort mit selbstgebauten Hütten<br />

ein. Es ist wenig bis gar nichts von den rituellen<br />

Handlungen bekannt, die dort vollzogen<br />

wurden. Der erste Tag war nur der Anreise<br />

und dem Einrichten der Lagerstätten<br />

gewidmet, dabei ließen sich die Frauen auf<br />

Weidenblättern nieder, um keusch zu bleiben.<br />

Sie trugen keinen Schmuck und keine<br />

Schminke. Der zweite Tag war ein Fastentag.<br />

Es wurde geschwitzt, gefastet und dabei auf<br />

den Weiden geruht. Die Abstinenz von Nahrung<br />

und Sex sollte den Verlust von Demeter,<br />

der Göttin der Fruchtbarkeit, darstellen,<br />

aber auch reinigend für die folgenden Riten<br />

sein. Am dritten Tag wurden Nahrung und<br />

Fruchtbarkeitssymbole aus der Erde geholt,<br />

die Tags zuvor vergraben worden waren. Die<br />

Frauen wurden als Bienen bezeichnet, um ihre<br />

Keuschheit zu unterstreichen. Dieses Fest<br />

war die einzige Möglichkeit, allein unter<br />

Frauen sein zu können, ohne von Männern<br />

scheel beäugt zu werden. Sie mussten sich<br />

weder hübsch machen, benehmen, noch ihren<br />

Männern sexuell zu Diensten sein. Wenn<br />

doch einem Mann einfiel, zu spionieren,<br />

wurde er brutal vom Berg gejagt und verdroschen.<br />

Unter dem Schutz der Weiden der<br />

Demeter konnten die Frauen für eine kurze<br />

Zeit frei sein.<br />

Volksglaube und Hexenbaum<br />

Einst war die Weide in unserem Kulturraum<br />

ein heiliger Baum, ein Baum der Muttergöttin<br />

und dem Mond zugeordnet. Die Weide ist<br />

eine der Anführerinnen aus dem walisischen<br />

„Cad Goddeu“ (Schlacht der Bäume) und<br />

führt dort die Kämpfe an. Mit der Christianisierung<br />

begann dann die Verteufelung. Die<br />

Weide sei ein Hexenbaum und im Schutz der<br />

Nebel spielen die Hexen in ihrem Geäst mit<br />

dem Gehörnten. Judas Ischariot soll sich<br />

nach einer verbreiteten Volkssage an ebendiesen<br />

Baum aufgehängt haben, noch<br />

schlimmer für den Ruf der Weide. Trotzdem<br />

wurde im einfachen Volk die Weide weiterhin<br />

für kleine Zauber genutzt, wenn auch für<br />

sehr entgegen gesetzte Zwecke. Um Feuer<br />

und Blitzschlag abzuwenden, hängte man sie<br />

sich ans Haus. Man ging zu Weiden, um dort<br />

über Sorgen zu sprechen und Krankheiten<br />

loszuwerden, denn die Weide nimmt auf,<br />

was man ihr gibt und sei es auch etwas<br />

Schlechtes. Knotenzauber konnten direkt in<br />

die herabhängenden Zweige gebracht werden.<br />

Andererseits sollte man Weiden meiden,<br />

da dort böse Geister hausten, und ein Fluchbeutelchen<br />

mit faulem Weidenholz war auch<br />

ganz schnell gemacht, wenn man den Nachbarn<br />

um Vieh oder Ackerfrucht beneidete.<br />

Nur weil die Weide mit der Unterwelt im<br />

festen Zusammenhang steht, wurde sie mit<br />

der Hölle in Verbindung gebracht, dabei<br />

strebt kaum ein anderer Baum so schnell<br />

nach dem Himmel. Es gibt wie gesagt zwar<br />

Weiden in allen Größen, doch schnell wachsen<br />

sie allemal und verbreiten sich weiträumig.<br />

Nur ist es leider mit der biologischen<br />

Weide genauso wie mit der mystischen; sie<br />

lässt sich allzu schnell vertreiben.<br />

arminte<br />

Quellen:<br />

W. Mannhardt: Die Götterwelt der Deutschen<br />

und nordischen Völker: Eine Darstellung,<br />

1860.<br />

H. Dierbach: Flora mythologica oder Pflanzenkunde<br />

in Bezug auf Mythologie und Symbolik<br />

der Griechen und Römer, 1833.<br />

J. Berendes: Des Pedanios Dioskurides aus<br />

Anazarbos Arzneimittellehre in fünf Büchern,<br />

1902.<br />

H. Hertwig: Gesund durch Heilpflanzen,<br />

1938.<br />

M. Treichler: Empfängnisverhütung im Römischen<br />

Reich, 2007.<br />

D. Laudert: Mythos Baum, 2004.


46 Frauenzeit Frauenzeit 47<br />

„Wenn die Frau das Recht hat, das Schafott<br />

zu besteigen, muss sie auch das Recht haben,<br />

die (Redner)Tribüne zu besteigen.“<br />

Olympe de Gouges (hingerichtet 1793)<br />

I<br />

n manchen Kreisen gehört es fast schon<br />

zur Kultur; Feministinnen spinnen. Entweder<br />

sind sie verbissene Kampflesben, die<br />

ewig Frigiden oder gelangweilte Hausfrauen,<br />

die sich mal lieber einen ordentlichen oder<br />

besser gesagt potenten Mann suchen sollten.<br />

Darüber hinaus scheinen Frauenrechtlerinnen<br />

nicht nur aus dem Gott eine Göttin zu<br />

kreieren, vielmehr laufen sie angeblich kastrationswütig<br />

durch die Lande, um alles Maskuline<br />

abzuschaffen. Und augenscheinlich<br />

werden sie nicht nur von Männern belächelt,<br />

immer mehr Frauen distanzieren sich von allem<br />

„Emanzenzeug“.<br />

Das macht mich immer wieder wütend und<br />

noch viel öfter traurig, denn scheinbar haben<br />

viele vergessen, wie der weibliche Alltag<br />

noch vor wenigen Jahren aussah und vermutlich<br />

werden allzu oft die Augen vor der<br />

Situation der Frauen im Heute verschlossen.<br />

Frauenzeit<br />

Die Realität der Frau<br />

Olympe de Gouge (1748-1793) war nicht die<br />

Erste, die sich mit den nicht vorhandenen<br />

Rechten der Frauen befasste. Sie entgegnete<br />

der 1789 aus der französischen Nationalversammlung<br />

entstandenen Erklärung der Menschen-<br />

und Bürgerrechte ihrerseits mit 17<br />

Artikeln über Frauenrechte. Hundert Jahre<br />

zuvor kritisierte Marie Le Jars de Gournay<br />

(1565-1645) bereits öffentlich die Situation<br />

der Frauen: „Frauen sind das Geschlecht,<br />

dem man alle Güter versagt [...] um ihm als<br />

einziges Glück und ausschließliche Tugend<br />

die Unwissenheit, den Anschein der Dummheit<br />

und das Dienen zu bestimmen.“<br />

Allerdings dauerte es trotz vereinzelter<br />

Stimmen, die sich erhoben, noch bis zur Mitte<br />

des 19. Jahrhunderts, ehe eine Bewegung<br />

entstand, die endlich gehört werden musste.<br />

Interessanterweise waren es fast immer die<br />

sozialistischen Umwälzungen, welche heutige<br />

Selbstverständlichkeiten wie das Frauenwahlrecht<br />

einführten, und genauso spannend<br />

finde ich es, dass Männer, die sich öffentlich<br />

mit Frauenrechten auseinandersetzten, zunächst<br />

aus dem sozialistischen Lager kamen,<br />

wie zum Beispiel Karl Marx, August Bebel<br />

und Friedrich Engels.<br />

Damit nimmt es nicht Wunder, dass mit dem<br />

Ende des zweiten Weltkrieges in der DDR<br />

die formale Gleichberechtigung der Frau zur<br />

Selbstverständlichkeit wurde, ganz im Gegenteil<br />

zum anderen Teil Deutschlands.<br />

In den 50ern wurde in der Bundesrepublik<br />

diskutiert, ob unverheiratete Frauen überhaupt<br />

einen eigenen Haushalt führen dürfen,<br />

und in den 70ern kämpften bundesdeutsche<br />

Frauen um das Recht auf Abtreibung oder<br />

darum, dass Frauen ohne die Genehmigung<br />

ihres Mannes berufstätig sein können.<br />

Mit der Wende sahen sich ostdeutsche Frauen<br />

mit einer für sie befremdlichen Realität<br />

konfrontiert. Plötzlich verdienten sie nicht<br />

mehr denselben Lohn wie männliche Kollegen,<br />

Kindertagesstätten wurden rapide abgebaut,<br />

denn Mütter von Kleinkindern sollten<br />

lieber zu Hause bleiben. Ihre Entscheidung,<br />

ob sie eine Schwangerschaft vorzeitig beenden,<br />

muss in einer Beratungsstelle diskutiert<br />

werden und ein Abbruch muss selbst finanziert<br />

werden.<br />

Entscheidet sich die Frau für das Kind, liegt<br />

der Löwenanteil der Finanzierung im Zweifelsfall<br />

bei der Frau selbst, denn staatliche<br />

Unterstützungen wurden immer weiter heruntergefahren.<br />

Für Alleinerziehende mit geringem<br />

Einkommen sind Kinder kaum leistbar,<br />

von fehlenden Betreuungseinrichtungen<br />

ganz zu schweigen. Aber auch Verhütungsmittel<br />

wie die Pille sind aus eigener Tasche<br />

zu zahlen.<br />

Vielleicht haben sich die Frauen daran gewöhnt,<br />

denn das neue System war immerhin<br />

gewollt. Und die jüngeren sind schließlich so<br />

aufgewachsen. Aber auch Jahre nach der<br />

Wiedervereinigung müsste doch manches<br />

merkwürdig erscheinen.<br />

1998 gab es per Gesetz in Deutschland überhaupt<br />

erst einmal die Vergewaltigung in der<br />

Ehe, aber erst seit 2004 wird sie von Amts<br />

wegen verfolgt. Und weil ich gerade beim<br />

Thema Vergewaltigung bin, Soldaten der<br />

Bundeswehr bekommen bei ihren Auslandseinsätzen<br />

Kondome und Gleitmittel. Allerdings<br />

werden sie gebeten, zu Huren zu gehen.<br />

Zurück nach Deutschland, Frauen verdienen<br />

im Durchschnitt 23 % weniger als Männer.<br />

In der Wirtschaft kommt auf drei männliche<br />

Führungskräfte eine Frau.<br />

Nicht nur die Kosmetikindustrie, sondern –<br />

und das finde ich beängstigend – zusehends<br />

auch die Schönheitschirurgie verdient an<br />

Frauen ein Vielfaches mehr als an Männern.<br />

Warum auch immer, schon ganz junge Mädchen<br />

lassen an sich herumschneiden.<br />

Aber auch ganz alltägliche Dinge fallen jenseits<br />

von Statistiken auf. Immer noch höre<br />

ich von männlichen Zeitgenossen, dass Frauen<br />

manche Dinge eben besser können als<br />

Männer. Dazu gehört Körperhygiene angeblich<br />

genauso wie Windeln wechseln, soziale<br />

Probleme lösen, putzen oder sich um pflegebedürftige<br />

Angehörige zu kümmern. Die Sachen,<br />

die sich Männer auf die Fahnen schreiben,<br />

erscheinen vergnüglicher und kurzweiliger:<br />

Autofahren, einen Nagel in die Wand<br />

schlagen oder stundenlang am Computer sitzen.<br />

Wenn Frauen beginnen, diesen Firlefanz<br />

zu glauben, gestaltet sich der Alltag mühsam<br />

und aus meiner Erfahrung glauben das zu<br />

viele Frauen auch heute noch. Ein bisschen<br />

belustigend finde ich manchmal die „Menschenaffentheorie“,<br />

die besagt, dass Männer<br />

ihre Gene nahezu überall verbreiten müssen,<br />

also keinesfalls treu sein können. Das ist sogar<br />

in manchen wissenschaftlichen Kreisen<br />

verbreitet. Apropos Wissenschaftler: Unlängst<br />

sah ich eine ziemlich seriöse Reportage<br />

über Java-Menschen, eine Form des homo<br />

erectus. Der Archäologe kommentierte mit<br />

folgendem Wortlaut: „Die Java-Menschen<br />

fuhren mit ihren Booten weite Strecken. Sie<br />

hatten auch Frauen dabei.“ Soso, die Menschen<br />

und die Frauen.<br />

Wahrscheinlich liegt das alles an der sündhaften<br />

Eva, die Tod und Verderben über die<br />

Welt brachte. Andererseits, selbst unsere<br />

nichtchristlichen Vorfahren beherrschten<br />

schon die Kunst der Ungleichberechtigung.<br />

Ich bin überzeugt davon, dass es noch lange<br />

kein befriedigendes Schlusswort zum Thema<br />

gibt, denn selbst in unserer so modernen,<br />

westlichen Welt ist die Frau ein Mensch<br />

zweiter Klasse und dazu verdonnert, mithilfe<br />

von Quotenregelungen hier und da ihren<br />

Platz zu bekommen. Manchmal möchte ich<br />

euch Mädels aus eurer Passivität schütteln,<br />

euch eure Genügsamkeit und Opferbereitschaft<br />

wegreißen. Oft möchte ich euch zur<br />

Solidarität aufrufen und gelegentlich würde<br />

ich euch Waffen in die Hand drücken. Ich<br />

hoffe nicht, dass es „typisch Frau“ ist, zu<br />

dulden, wegzuschauen und zufrieden zu sein<br />

mit Bröckchen vom großen Kuchen. Aber<br />

ich weiß, dass ihr selbst dahin kommen<br />

müsst, und vielleicht löst ihr dann irgendwann<br />

eine neue Welle der Emanzipation aus,<br />

die darin mündet, selbstverständlich groß<br />

und frei zu sein.<br />

Lilye


48 Wicca Wicca 49<br />

T<br />

raditionell initiierte Wicca werden sich<br />

sicherlich erinnern; perfect love und<br />

perfect trust werden als erste Passwörter bezeichnet,<br />

die man benötigt, um das Tor zur<br />

Welt der Götter durchschreiten zu können.<br />

Aber auch die meisten anderen Hexen und<br />

Heiden kennen mindestens Teile der sogenannten<br />

Wiccan Rede, deren lange Version<br />

mit den Worten beginnt: „Bide the Wiccan<br />

laws ye must in perfect love and perfect<br />

trust.“ 1<br />

Die Wahl dieser zwei abstrakten Begriffe als<br />

Schlüsselwörter ist sicherlich kein Zufall. In<br />

der Tat sind „Liebe“ und „Vertrauen“ ein<br />

wesentlicher, wenn nicht sogar der zentrale<br />

Bestandteil von Wicca. Jedoch sind beide<br />

nicht nur Elemente dieser Mysterientradition,<br />

sondern gehören auch zum alltäglichen,<br />

sozialen Leben und spielen ebenso in anderen<br />

Religionen eine bedeutende Rolle. Ich<br />

möchte mich allerdings, lieber Leser, in erster<br />

Linie auf die Bedeutung von Liebe und<br />

Vertrauen für mich als Wicca konzentrieren.<br />

Beginnen wir mit der Liebe.<br />

Die Liebe ist das stärkste Gefühl von Verbundenheit,<br />

das ein Mensch empfinden<br />

kann. Sie ist allumfassend und übermächtig,<br />

sie kann jede andere Empfindung umhüllen<br />

oder überdecken. Liebe stellt keine Bedingungen<br />

und muss nicht zwangsläufig erwidert<br />

werden.<br />

Gibt es eine sachliche Definition von Liebe?<br />

Ich zitiere an dieser Stelle der Einfachheit<br />

halber die vermeintlich unseriöse Wikipedia,<br />

deren Artikel manchmal eben doch nicht so<br />

schlecht sind. Dort heißt es: „Im ersteren<br />

Verständnis ist Liebe ein mächtiges Gefühl<br />

und mehr noch eine innere Haltung positiver,<br />

inniger und tiefer Verbundenheit zu einer<br />

Person, die den reinen Zweck oder<br />

Nutzwert einer zwischenmenschlichen Be-<br />

1 Vermutlich von A. Porter und G. Thompson, erstmals<br />

1964 von D. Valiente ausgesprochen. Die bekannteste<br />

Textstelle ist: An it harm none, do what ye will.<br />

Vollkommene Liebe<br />

und vollkommenes Vertrauen<br />

-Aus der Sicht eines Wicca-<br />

ziehung übersteigt und sich in der Regel<br />

durch eine tätige Zuwendung zum anderen<br />

ausdrückt.“<br />

Man kann zwar zwischen verschiedenen Arten<br />

von Liebe unterscheiden, allerdings sind<br />

für mein Verständnis im Kern alle Formen<br />

und Facetten der Liebe ein und dasselbe.<br />

So gibt es die Partnerliebe, die Objektliebe,<br />

die familiäre Liebe, Freundesliebe, die<br />

Selbstliebe, die Nächstenliebe und viele<br />

mehr. All diese verschiedenen Variationen<br />

der stärksten bekannten Zuneigung sind<br />

durch entsprechende Intentionen, Emotionen<br />

und Motivationen dem jeweiligen Zusammenhang<br />

angepasst. Beispielsweise besitzt<br />

die Partnerliebe ein romantisches, sexuelles<br />

Element, während die familiäre Verbundenheit<br />

eine rein soziale Komponente vorweist.<br />

Die Tatsache, dass es so viele verschiedene<br />

Erscheinungsformen der Liebe gibt, ließe e-<br />

ventuell den Schluss zu, dass der Mensch fähig<br />

ist, alles und jeden zu lieben. Ich gehe<br />

sogar noch einen Schritt weiter und behaupte,<br />

dass jede Person in ihrem innersten Kern<br />

aus reiner ungeformter Liebe besteht. Sie ist<br />

aus meiner Sicht die Antriebskraft, um sich<br />

selbst und die Welt um sich herum zu gestalten.<br />

Das würde die vielen unterschiedlichen<br />

Ausprägungen dieser starken Verbundenheit<br />

erklären.<br />

Die Liebe schenkt uns die Stärke und die<br />

Motivation für viele Handlungen, Gefühle<br />

und Ansichten. Die Welt im Außen und die<br />

Schale des eigenen Selbst stellen dabei eine<br />

Art Schablone, also einen Richtungsweiser<br />

dar.<br />

Um ein Beispiel zu nennen, beziehe ich mich<br />

auf die Partnerliebe. Der Wille zur Partnerschaft<br />

und zur Nähe entspringt der Liebe,<br />

und wie diese Partnerschaft gestaltet und wie<br />

mit ihr umgegangen wird, folgt aus den persönlichen<br />

Ansichten und der jeweiligen Situation.<br />

Zu diesen Überlegungen komme ich<br />

auch durch meine Schlussfolgerungen, welche<br />

ich in meinem Artikel über den Wahren<br />

Willen 2 ausführlich beschrieb. Damals unterstrich<br />

ich einen direkten Zusammenhang<br />

zwischen dem Willen und der Liebe.<br />

Die Liebe eines Menschen wird von dem<br />

Umfeld an seinen Taten beurteilt. Es reicht<br />

nicht, dass ich für mich weiß, dass ich meine<br />

Kinder liebe. Damit diese es auch wahrnehmen<br />

können, muss ich es ihnen zeigen.<br />

Eine besondere und vielleicht die wichtigste<br />

Form der Liebe ist die Selbstliebe. Die Fähigkeit,<br />

zu lieben, steckt in uns allen. Das<br />

Potential dazu muss natürlich herausgelockt<br />

und angewendet werden. Nun ist es so, dass<br />

die Grundlage aller Emotionen und Handlungen<br />

die eigene Person ist. Liebt sich je-<br />

2 Siehe Damhain <strong>Alla</strong>, Ausgaben 17 und 18<br />

mand nicht selbst, wird es dem Betreffenden<br />

einerseits schwer fallen, Liebe nach außen<br />

tragen zu können. Andererseits kann es immer<br />

wieder dazu führen, dass das Umfeld<br />

den Mangel an Selbstliebe kompensieren<br />

muss. Zwar kann man sich auch ohne Selbstliebe<br />

mit anderen verbunden fühlen, doch<br />

wird der eigene Mangel zu Verunreinigungen,<br />

wie zum Beispiel überzogener Eifersucht<br />

oder Besitzergreifung führen.<br />

Selbstliebe ist also eine wesentliche Grundlage<br />

für reine und zweckungebundene Liebe.<br />

Da Liebe eine Form der tiefen Zuneigung<br />

und Anerkennung darstellt, kann Selbstliebe<br />

ungefähr so beschrieben werden, dass man<br />

mit sich selbst im Reinen ist, sich selbst also<br />

als Ganzes anerkennt und sich zugeneigt ist.<br />

Wenn man einen abstrakten Begriff in seinem<br />

vollen Umfang verstehen möchte, kann<br />

es nicht schaden, kurz sein Antonym zu betrachten.<br />

Dafür bieten sich offensichtlich der Hass und<br />

die Gleichgültigkeit an. Hass ist eine tiefe<br />

Abneigung gegen jemanden oder etwas und<br />

kann zunächst als ein Gegenpart zur Zuneigung<br />

betrachtet werden. Allerdings ist bei<br />

genauer Betrachtung der Hass eine Art negativer<br />

Verbundenheit. Um wirklich zu hassen,<br />

muss man sich seinem Subjekt emotional<br />

und gedanklich ebenso intensiv zuwenden<br />

wie bei der Liebe, wenn auch mit völlig anderer<br />

Qualität.<br />

Mit der Gleichgültigkeit sieht es etwas anders<br />

aus. Personen und Objekte, die einem<br />

egal sind, ignoriert man, nimmt sie nicht o-<br />

der unberührt wahr. Es besteht kein Gefühl<br />

der Verbundenheit. Es existiert kein Wille,<br />

keine Motivation und keine innere Kraft, um<br />

auch nur in irgendeiner Form mit ihnen zu<br />

interagieren. So gesehen, kann man durchaus<br />

die Egalität als Gegenteil zur Liebe betrachten.


50 Wicca Wicca 51<br />

Kommen wir zum Vertrauen, dem zweiten<br />

Begriff.<br />

Das Vertrauen scheint oberflächlich im Leben<br />

der Menschen keinen so hohen Stellenwert<br />

einzunehmen wie die Liebe. In Kunst<br />

und Literatur, sowohl auch in zwischenmenschlicher<br />

Kommunikation wird das<br />

Thema der tiefen Verbundenheit mehr ausgebreitet<br />

als das dieser inneren Überzeugung,<br />

die doch eigentlich mindestens genauso<br />

wichtig für soziale Interaktionen ist. Zwar<br />

ist sie kein so starkes und präsentes Gefühl<br />

wie die Liebe, aber was nützt es, wenn zum<br />

Beispiel ein Kind seine Eltern liebt, aber ihnen<br />

nicht vertraut?<br />

Doch was ist nun Vertrauen genau?<br />

Um das zu verdeutlichen, komme ich noch<br />

einmal auf die Wikipedia zurück: „Vertrauen<br />

ist die subjektive Überzeugung (auch<br />

Glaube) der Richtigkeit, Wahrheit bzw.<br />

Redlichkeit von Handlungen, Einsichten und<br />

Aussagen eines anderen oder von sich selbst<br />

(Selbstvertrauen). Zum Vertrauen gehört<br />

auch die Überzeugung der Möglichkeit von<br />

Handlungen und der Fähigkeit zu Handlungen.<br />

Das Gegenteil des Vertrauens ist das<br />

Misstrauen.“<br />

Der entscheidende Punkt hierbei ist, dass<br />

man in einer unsicheren Situation davon ü-<br />

berzeugt ist, dass etwas richtig zu sein<br />

scheint bzw. gut ausgeht. Es gibt keinen inneren<br />

Zweifel. Das klingt für mich nach Optimismus.<br />

Man könnte daraus entnehmen,<br />

dass ein tendenziell pessimistisch veranlagter<br />

Mensch schwerer Vertrauen aufbauen<br />

kann.<br />

Und wieder scheint hier die eigene Person<br />

fundamental zu sein. Mangelndes Selbstvertrauen<br />

führt nicht zwangsläufig zur Unfähigkeit,<br />

anderen zu vertrauen. Allerdings wird<br />

jemand, der sich selbst zweifelnd gegenübersteht,<br />

viel schneller an allem und jedem<br />

zweifeln, was in irgendeiner Weise mit demjenigen<br />

interagiert.<br />

Nun ist es im Grunde unmöglich, absolut<br />

nichts und niemanden zu vertrauen. Vertrauen<br />

ist überlebensnotwendig. Auch kann es<br />

sehr kompetenzbezogen sein, da es sich<br />

manchmal auf Handlungen und nicht unbedingt<br />

Personen oder Objekte bezieht. Zum<br />

Beispiel vertraue ich meinem Mechaniker,<br />

dass er mir mein Auto reparieren kann, aber<br />

ich vertraue ihm nicht beim Thema Gesundheit.<br />

Da wende ich mich besser an meinen<br />

Arzt.<br />

Vertrauen ist etwas ganz Alltägliches, ja<br />

schon Selbstverständliches, ohne das wir ü-<br />

berhaupt nicht lebensfähig wären. Das ganze<br />

Leben ist eine Unsicherheit und als Folge<br />

dessen bedeutet absolut kein Vertrauen zu<br />

besitzen, den Sensenmann mit offen Armen<br />

zu empfangen.<br />

Natürlich sind dem alltäglichen Vertrauen<br />

Grenzen gesetzt: Ich vertraue darauf, dass<br />

mir nichts passiert, wenn ich vom Dach des<br />

Wolkenkratzers springe – das ist gewagt!<br />

Vertrauen entsteht nicht nur, es kann auch<br />

wieder zerstört werden. Mein Auto war gerade<br />

in der Werkstatt und ist wieder untauglich.<br />

Der Mechaniker hat nun mein Vertrauen<br />

verloren. Und es benötigt einige Zeit, bis<br />

er sich wieder meinen Glauben an seine Fähigkeiten<br />

erarbeitet hat.<br />

Das Antonym dieser Überzeugung ist wohl<br />

das Misstrauen. Das bedeutet, dass man<br />

glaubt, etwas sei falsch oder geht schlecht<br />

aus.<br />

Nun ist der Leitfaden dieses Artikels die Bedeutung<br />

von vollkommener Liebe und vollkommenem<br />

Vertrauen in Wicca. Was heißt<br />

vollkommen? Und warum liegt eine so starke<br />

Betonung darauf?<br />

Vollkommenheit beschreibt etwas Absolutes<br />

und Vollständiges. Vollkommenes Vertrauen<br />

drückt für mich die Überzeugung aus, dass<br />

schlussendlich alles sinnvoll, dienlich und<br />

damit gut ist. Es ist das höchstmögliche Vertrauen,<br />

zu dem ein Mensch fähig sein kann.<br />

Im Grunde genommen ist es das Tor, was<br />

dem Gegenüber ermöglicht, seine Liebe mit<br />

uns zu teilen.<br />

Ähnlich verhält es sich mit der vollkommenen<br />

Liebe. Sie soll von jeglicher Verunreinigung<br />

befreit sein, wie zum Beispiel von<br />

Zwängen, Selbstsucht, Lügen oder Illusionen.<br />

Vollkommene Liebe heißt für mich,<br />

dass eine völlige, freie Verbundenheit, Kraft<br />

oder Nähe zu allem und jedem existiert. Ich<br />

stelle sie mir wie ein Licht vor, das sich aus<br />

dem tiefsten Inneren unserer Seele aus der<br />

scheinbar undurchdringlichen Finsternis erhebt<br />

und alles und jeden mit sich reißt.<br />

Sie ist diese tiefe Verbundenheit, die nichts<br />

und niemanden unterscheidet, und die Kraft,<br />

die alles durchdringt und nach Belieben<br />

formt.<br />

Liebe und Vertrauen bedingen und ergänzen<br />

sich gegenseitig. Scheinen sie zunächst lediglich<br />

als abstrakte Begriffe, werden sie bei<br />

näherer Betrachtung zu kraftvollen und mystischen<br />

Kräften, die umfassende Bewegungen<br />

auslösen,<br />

Selbstverständlich handelt es sich hierbei um<br />

Ideale. Es dürfte schwer sein, im Alltag ohne<br />

Vorurteile und andere Hindernisse in vollem<br />

Umfang gleichermaßen zu lieben oder zu<br />

vertrauen. Im schlimmsten Fall kann das sogar<br />

lebensbedrohlich sein. Aber man kann<br />

zumindest innerhalb seiner Möglichkeiten<br />

versuchen, diese Ideale anzustreben.<br />

Immerhin suche ich als Wicca innerhalb<br />

meines Coven und gegenüber den Göttern<br />

diese Vision der vollkommenen Verbindung.<br />

Natürlich sind dem aufgrund menschlicher<br />

Schwächen auch gewisse Grenzen gesetzt.<br />

Doch hinter alledem steckt noch viel mehr<br />

als das bereits Beschriebene.<br />

Als Wicca durchschreite ich das Jahresrad,<br />

indem ich die acht Jahreskreisfeste, auch<br />

Sabbate genannt, feiere. Dort begegnen mir<br />

Liebe und Vertrauen jedes Jahr aufs Neue.<br />

Licht und Finsternis wechseln sich wie in der<br />

Natur so auch in den Mysterienspielen regelmäßig<br />

und scheinbar immerwährend ab.<br />

Ohne die Liebe und das Vertrauen zwischen<br />

Gott und Göttin hätte dieser Kreislauf keinen<br />

Bestand.<br />

Doch auch der direkte Götterkontakt in Gestalt<br />

von Andachten und Ritualen jenseits der<br />

Sabbate sowie die Interaktion der Covenmitglieder<br />

untereinander prägen beziehungsweise<br />

ermöglichen den Pfad zur vollkommenen<br />

Liebe und zum vollkommenen<br />

Vertrauen.<br />

Ohne die entsprechende Hingabe und den<br />

festen Glauben wird man kaum zu den Göttern<br />

und der göttlichen Kraft in sich gelangen.<br />

In der Tat wird man die göttliche Kraft<br />

in sich nur zur vollen Entfaltung bringen<br />

können, wenn man Vertrauen in sich und die<br />

Verbindung zu den Göttern hegt. Insofern<br />

können wir die Liebe auch als göttliche Stärke<br />

in uns betrachten. Da wir sie als ein Gefühl<br />

der Verbundenheit wahrnehmen, lässt<br />

sich leicht daraus folgern, dass alles durch<br />

diese göttliche Energie verbunden ist. Die<br />

Menschen, die Götter, die Natur, ja die gesamte<br />

Welt sind von dieser göttlichen Kraft<br />

durchdrungen und damit untereinander verbunden.<br />

Somit liebt alles oder jeder im Kern<br />

alles und jeden. Wenn man damit vertraut ist,<br />

könnte man sogar sagen, die Welt wird in<br />

Liebe erschaffen und in Liebe kehrt sie zum<br />

Ursprung zurück. Jedes Individuum, jedes<br />

Lebewesen und jeder Stein ist durch seine<br />

Existenz vom großen Ganzen getrennt und<br />

strebt wieder dahin zurück. Denn Liebe ist<br />

auch ein Bedürfnis nach Nähe und im höheren<br />

Sinne ein Streben nach Vereinigung.<br />

Sehnsucht und Liebe sind untrennbar miteinander<br />

verschmolzen. Denn wie sollte ich<br />

mich nach etwas sehnen, was ich nicht liebe?<br />

Als Priester liebe ich idealerweise deswegen<br />

nicht nur die Menschen und die Götter, sondern<br />

alles andere auch, wie die Natur oder<br />

das Leben ganz allgemein. Wenn ich die<br />

Götter in ihrer Immanenz betrachte, sind sie


52 Wicca Kabbalah 53<br />

in Gestalt der Liebe ein Teil der Welt und<br />

stecken in allem. Folglich ist meine Hingabe<br />

zu den Göttern auch eine Liebe zur Welt und<br />

ich lerne dadurch das Leben in allem zu achten<br />

und zu würdigen.<br />

Sowie das Vertrauen in uns die Macht der<br />

Liebe frei werden lässt, kann man sogar<br />

noch einen Schritt weiter gehen. Um magisch<br />

zu wirken, sind der Wille und die Ü-<br />

berzeugung, dass der Zauber funktioniert, also<br />

das Vertrauen, unentbehrlich. Für mich<br />

ergibt die Liebe, ihre Kraft und Stärke, ihre<br />

Verbindung mit allem in der Welt und ihre<br />

Sehnsucht den magischen Willen.<br />

Aleister Crowley vermutete, dass die Liebe<br />

eins mit dem wahren Willen ist. Und die feste<br />

Überzeugung, der getätigte Zauber würde<br />

funktionieren, ist nichts weiter als das Vertrauen<br />

in die eigenen magischen Fähigkeiten.<br />

Für mich ist das erfolgreiche Entfaltung des<br />

vollständigen und ungezwungen Selbstvertrauens<br />

und der innewohnenden Liebe der<br />

beste Weg, eine sehr erfolgreiche Hexe zu<br />

werden.<br />

Neben der Verehrung der Götter und der<br />

Anwendung von Magie gibt es ein weiteres<br />

Segment im Wicca, in dem Vertrauen und<br />

Liebe eine Rolle spielen. In manchen Traditionen<br />

wird man gefragt, ob man bereit ist,<br />

„zu leiden, um zu lernen“. Hierbei geht es<br />

im Grunde darum, Erfahrungen aus Krisen<br />

zu ziehen. Man vertraut darauf, dass man gestärkt<br />

und weiser aus finsteren Tagen emporsteigt.<br />

Man flieht nicht vor der Dunkelheit,<br />

sondern empfängt sie mit offen Armen<br />

und in der festen Überzeugung, dass das<br />

Licht danach umso heller strahlt.<br />

Abschließend lässt sich vorbringen, lieber<br />

Leser, dass Liebe und Vertrauen nicht ohne<br />

Grund einen besonderen Stellenwert im<br />

Wicca, aber natürlich auch im Alltagsleben<br />

aller Menschen genießen, ganz unabhängig<br />

von ihrer Herkunft und Religion. Jegliches<br />

Zusammenleben ist ohne diese beiden Gefühle<br />

praktisch unmöglich. Daneben wäre alles,<br />

worauf mein Verständnis von Wicca<br />

aufbaut, die Götter, der Jahreskreis, der Coven<br />

und jegliche Philosophie dieser Mysterientradition<br />

hinfällig.<br />

Liebe und Vertrauen sind Mysterien des Lebens,<br />

die zumindest aus meiner Sicht als<br />

Wicca untrennbar miteinander verbunden<br />

sind. Welchen Sinn macht das Vertrauen,<br />

wenn jeder nur bei sich wäre? Und welchen<br />

Sinn hätte die Liebe, wenn niemand das Vertrauen<br />

hätte, sie anzunehmen oder durch sie<br />

zu wirken?<br />

Liebe und Vertrauen im Leben und vor allem<br />

auch zum Leben, zum eigenen und dem der<br />

anderen, gibt der menschlichen Existenz<br />

doch erst einen höheren Sinn.<br />

Es ist der Pfad der Freude, der Freiheit und<br />

der Vollkommenheit. Der Mensch, der durch<br />

und durch von Liebe und Vertrauen durchdrungen<br />

ist, wird niemals der Einsamkeit und<br />

der Verbitterung erliegen.<br />

mingkatze<br />

Der Baum des Lebens<br />

in der Kabbalah<br />

„Und Jehova Gott ließ aus dem Erdboden<br />

allerlei Bäume wachsen, lieblich anzusehen<br />

und gut zur Speise; und den Baum des Lebens<br />

in der Mitte des Gartens, und den Baum<br />

der Erkenntnis des Guten und Bösen.“<br />

1. Mose 2:9 3<br />

B<br />

äume werden in vielen Kulturen als<br />

heilig angesehen. So gibt es auch in<br />

der Kabbalah einen Baum, der weniger ein<br />

Baum ist als ein Konzept der Welt. Er stellt<br />

die Kosmologie und ein Diagramm des Weges<br />

zur Erleuchtung dar; ein Bild des Mikrowie<br />

auch des Makrokosmos.<br />

Viele Zuordnungen wurden für den Baum<br />

des Lebens getroffen. Sie sind so zahlreich<br />

und von Autor zu Autor unterschiedlich, dass<br />

sie für eine eigene Zeitschrift reichen würden.<br />

Den einzelnen Sphären des Baumes –<br />

Sephiroth genannt – werden Farben, Planeten,<br />

Engel, Gerüche, Steine und vieles mehr<br />

zugeordnet. Das System ist eigentlich darauf<br />

ausgelegt, dass man ihm nahezu alles zuordnen<br />

kann.<br />

Am Anfang der Kabbalah bestand der<br />

„Baum“ nur aus den Zahlen von Eins bis<br />

Zehn, die die Sephiroth bildeten. Erst später<br />

wurde er ein geometrisches Gebilde mit Pfaden<br />

und Welten. Durch einen Jesuiten, Athanasius<br />

Kircher (1602-1680), bekam der<br />

Baum sein heutiges Aussehen. Die Skizze<br />

aus seinem Werk Oedipus Aegyptiacus<br />

(1652) wird seitdem immer wieder von den<br />

Anhängern der westlichen Mysterientraditionen<br />

benutzt.<br />

Die Sephiroth kann man sich als zehn Sphären<br />

vorstellen, die auf dem Baum angeordnet<br />

3 Elberfelder Übersetzung<br />

sind. In der jüdischen Vorstellung sind diese<br />

Sphären Gefäße, die das göttliche Licht halten<br />

und weitergeben. Man es kann sich etwa<br />

so vorstellen wie eine Sektpyramide, in die<br />

man von oben Sekt hineinschüttet und in der<br />

sich von dort aus alle anderen Gläser langsam<br />

füllen. Allerdings geht es bei der Kabbalah<br />

nicht um das Trinken von Sekt. Jede einzelne<br />

Sephirah spiegelt einen Aspekt Gottes<br />

in seiner Funktion als Schöpfer wider. Wenn<br />

wir bei der ersten Sephirah noch das „neue“<br />

Licht des Schöpfers haben, wird es weiter<br />

unten zunehmend schwächer. Dieses Licht<br />

verändert sich durch die Gefäße, durch die es<br />

wandert.<br />

Wenn wir das Licht als eine Idee betrachten,<br />

die am Anfang noch ganz vage in unseren<br />

Köpfen weilt, so wird sie durch unsere Vorstellungen<br />

über Gesellschaft und Gerechtigkeit,<br />

über unsere Gefühle und Gedanken dazu<br />

soweit verändert, bis sie tatsächlich in die<br />

Tat umgesetzt werden kann. Die Kabbalisten<br />

versuchen, auf ihre Weise die Idee zum Ursprung<br />

zurückzuverfolgen, bis sie auf den<br />

Ursprung des Lichtes, also auf Gott, treffen.<br />

Der Baum des Lebens ist nämlich nicht nur<br />

ein Modell für die Schöpfung, sondern auch<br />

ein Weg zur Erkenntnis vom göttlichen<br />

Selbst in uns.<br />

Die zehn Sephiroth werden noch in den<br />

nachfolgenden Artikeln behandelt, deshalb<br />

wird sich dieser allein mit der Struktur des<br />

Baumes beschäftigen. Neben den Sephiroth,<br />

die untereinander durch 22 Pfade verbunden<br />

sind, gliedert sich der Baum in drei vertikale<br />

Säulen und vier horizontale Welten.


54 Kabbalah Kabbalah 55<br />

Die drei Säulen<br />

Die Säulen bilden das Grundgerüst des Baumes.<br />

Sie stellen zwei Gegensätze und die<br />

zwischen beiden Polen ausgleichende Mitte<br />

dar.<br />

Sie bilden die Säulen des Salomonischen<br />

Tempels ab, in deren Mitte sich der Eingang<br />

in jenen befindet. In der Bibel werden sie als<br />

Boaz und Jachin beschrieben. Die Säulen<br />

dort sind mit floralen Motiven verziert, welche<br />

sie mit „der Tradition des sakralen Baumes“<br />

in Verbindung bringen. 4<br />

„Und er richtete die Säulen auf bei der Halle<br />

des Tempels: er richtete die rechte Säule<br />

auf und gab ihr den Namen Jakin, und er<br />

richtete die linke Säule auf und gab ihr den<br />

Namen Boas.“<br />

1. Könige 7:21 5<br />

In der Kabbalah sind sie aber die zwei Gegensätze,<br />

die üblicherweise mit „männlich“<br />

und „weiblich“ übersetzt werden. Dem<br />

zugrunde liegen die Prinzipien der Aktivität<br />

und Passivität.<br />

Die rechte Säule, auch die Säule der Gnade<br />

genannt, sendet einen Impuls aus, welche die<br />

linke Säule, die Säule der Strenge, empfängt<br />

und umsetzt und die durch die mittlere Säule,<br />

die Säule der Milde, ins Gleichgewicht<br />

geführt wird.<br />

Wir werden allerdings vor Probleme gestellt,<br />

wenn wir nur davon ausgehen, dass es<br />

männliche und weibliche Kräfte sind, die in<br />

den Säulen herrschen. Zum Beispiel wird<br />

von der Sphäre der Justiz und der moralischen<br />

Vorstellungen 6 auf der männlichen<br />

Säule ein Impuls ausgesendet, von der Sphäre<br />

des Krieges 7 empfangen und dort ausge-<br />

4 http://www.bibelwissenschaft.de/nc/wibilex/dasbibellexikon/details/quelle/WIBI/referenz/22031/<br />

5 Elberfelder Übersetzung<br />

6 Die Sephirah Chesed, Jupiter<br />

7 Die Sephirah Geburah, Mars<br />

führt und verteidigt. Zwar werden Gesetze<br />

oft mit einem König, also einer männlichen<br />

Person verbunden, aber ein Krieger ist meistens<br />

auch männlich. Deshalb sollten wir von<br />

unseren Vorstellungen von männlich und<br />

weiblich abkommen und sie eher mit Passivität<br />

und Aktivität übersetzen.<br />

Die Säulen sind also die Grundcharakteristik<br />

jener Sephiroth, die sich auf ihnen befinden.<br />

Die vier Welten<br />

Die Sephiroth als Ganzes lassen sich in vier<br />

Gruppen oder kabbalistisch korrekter in vier<br />

Welten einteilen. Das soll uns erstmal helfen,<br />

um einen groben Überblick zu gewinnen:<br />

1. Welt: Aziluth, Emanation, Stäbe im Tarot<br />

2. Welt: Briah, Schöpfung, Kelche im Tarot<br />

3. Welt: Yetzirah, Gestaltung, Schwerter im<br />

Tarot<br />

4. Welt: Assiah, Handlung, Münzen oder<br />

Scheiben im Tarot<br />

Im Zohar, einem der wichtigsten kabbalistischen<br />

Werke, liest man über sie: „Die erste<br />

Welt 'Atzilut' ist völlig rein und gut, alles genießt<br />

die Nähe des Unendlichen Lichtes.<br />

'Briah', die zweite Welt, ist überwiegend<br />

'Gut', hat aber einen kleinen Teil des Bösen<br />

in sich, welches nicht mit dem "Guten" vermischt<br />

ist. Die dritte Welt 'Yetzirah' besteht<br />

zur Hälfte aus Gutem und zur Hälfte aus Bösem,<br />

unvermischt, das heißt, das Gute steht<br />

dem Schlechten gegenüber: 'Dieses ebenso<br />

wie Jenes hat GOTT geschaffen.' Die 4. und<br />

letzte Welt, 'Assiah' ist überwiegend schlecht,<br />

jedoch mit einer kleinen Beimischung des<br />

Guten.“ 8<br />

Das Gute und Böse sind hierbei natürlich kritisch<br />

zu betrachten und eher mit „göttlich“<br />

und „materiell“ zu übersetzen. Das bedeutet,<br />

8 Kommentar zum Zohar von Rabbi Simon Bar Yochai<br />

(http://kabbala-info.net/deutsch/sohar-letters/index-sohargerman.htm<br />

)<br />

dass wir uns auf den oberen Sphären näher<br />

am göttlichen Ursprung befinden, während<br />

man sich die unteren Sephiroth zunehmend<br />

materieller, also getrennter vom Göttlichen<br />

vorstellt.<br />

Man kann es aber auch ganz unmystisch erklären.<br />

In Aziluth haben wir den ersten Impuls<br />

einer Idee. Diese Idee wird dann in Briah<br />

in unser Schubladensystem sortiert, damit<br />

man sie in der jeweiligen Welt auch nutzen<br />

kann. Das Nachdenken darüber, was alles<br />

noch zu der Idee gehört und wie wir sie am<br />

besten in die Tat umsetzen, findet in Yetzirah<br />

statt. Und die abschließende Tat passiert in<br />

Assiah.<br />

Oder auf mystische Weise mit den Worten<br />

des Tarots: Der Stab (Atziluth) wird in den<br />

Kelch (Briah) gesenkt. Das Schwert (Yetsirah)<br />

schneidet und formt das Wachs des Pentakels<br />

(Assiah).<br />

Die Welten sind also wie die Sephiroth ein<br />

Ausdruck der Schöpfung. Sie bieten noch<br />

einmal, wie die Säulen, eine Einteilung der<br />

Sphären in einen Grundtenor, in dem sie alle<br />

gemeinsam schwingen.<br />

Die Schlange und das Schwert<br />

Es finden sich noch weitere Symbole auf<br />

manchen Darstellungen des Baumes des Lebens.<br />

Gelegentlich finden wir eine Schlange,<br />

welche sich um die Pfade windet. Dabei befinden<br />

sich das Schwanzende in der unteren<br />

Sphäre und ihr Kopf bei der höchsten Sphäre.<br />

Wir finden sie wieder im Stab von Moses,<br />

der aus dem Holz des Baumes im Garten E-<br />

den stammen soll. Die Schlange spiegelt den<br />

Aufstieg zur göttlichen Schöpferkraft wieder.<br />

Daneben gibt es noch das Schwert, beziehungsweise<br />

den göttlichen Blitz. Dieser hat<br />

seinen Ursprung in der obersten Sphäre und<br />

durchstößt alle anderen Sphären, die unter<br />

ihr liegen. Das ist die Reihenfolge, in der die<br />

Schöpfung stattfindet.<br />

In der christlichen Tradition ist das Schwert<br />

das Flammenschwert, welches gemeinsam<br />

mit den Cherubin den Garten Eden schützen<br />

soll. Damit wird das Schwert zur trennenden<br />

Kraft zwischen Schöpfer und Schöpfung.<br />

Damit beende ich diese hoffentlich verständliche<br />

Einleitung.<br />

In den nächsten Artikeln geht es um die zehn<br />

Sephiroth, die in hier schon so oft erwähnt<br />

wurden und die Grundlage des Baums des<br />

Lebens bilden.<br />

Quellen:<br />

Olf<br />

C.Fielding, Die praktische Kabbalah, 2000<br />

I. Regardie, A Garden of Pomegranates,<br />

1999<br />

P. Zalewski, Kabbalah of the Golden Dawn,<br />

2000


56 Rezension Rezension 57<br />

W<br />

ir leben in einer Zeit, in der die<br />

Gleichberechtigung von Männern<br />

und Frauen noch immer nicht abgeschlossen<br />

ist. Der Sexismus hat noch immer eine große<br />

Macht, nur wenige Frauen haben die versprochene<br />

Geschlechtergleichstellung erfahren<br />

und müssen weiter um ihr natürliches<br />

Recht als gleichberechtigter Mensch kämpfen.<br />

Da wundert es auch nicht, dass wir im<br />

Neopaganismus ebenso auf dieses Phänomen<br />

treffen – wenn auch mit völlig anderer<br />

Ausprägung. Durch die spirituelle Frauenbewegung<br />

in den 60er Jahren zeigt sich hier<br />

ein ganz anderes Bild, in dem die Frauen in<br />

einigen Bereichen eine Vorherrschaftsstellung<br />

eingenommen haben. Doch was ist mit<br />

den Männern?<br />

Dieser Frage widmete sich der amerikanische<br />

Schriftsteller, Songwriter und Druide<br />

Isaac Bonewits in seinem Buch „The Pagan<br />

Man“. Vom jungen Studenten, der übrigens<br />

als Erster einen akademischen Bachelor of<br />

Arts in „Magie“ auf der Berkeley Universität<br />

im Jahre 1970 erhielt, bis zum angesehenen<br />

Erzdruiden und Autor hatte er viele Erfahrungen<br />

sammeln können, die er in dieses<br />

Buch über das männliche Geschlecht im<br />

Heidentum einfließen ließ. Durch sein soziales<br />

Engagement für etliche Bereiche des Neopaganismus<br />

erreichte er einen hohen Bekanntheitsgrad<br />

und hatte unzählige Kontakte,<br />

die ihn in seinen literarischen und aktivistischen<br />

Projekten unterstützten. Leider starb<br />

Isaac Bonewits am 12. August 2010 im Alter<br />

von 60 Jahren an Darmkrebs.<br />

Buchrezension<br />

Isaac Bonewits – The Pagan Man<br />

Nun aber zum Buch:<br />

Nach einer kurzen Einführung, in der Bonewits<br />

über die Beweggründe dieses Werkes<br />

aufklärt, beginnt er mit ausführlichen Differenzierungen<br />

der verschiedenen paganen<br />

Strömungen. Danach folgen einige Einblicke<br />

über die Entstehung dieser Richtungen,<br />

Schlüsselfiguren für die Entwicklung der<br />

neopaganen Strömung werden kurz beschrieben,<br />

um schließlich zum eigentlichen<br />

Werk zu schreiten. Die verschiedenen Rollen<br />

des Mannes in den unterschiedlichsten Bereichen<br />

werden beleuchtet, vom Ritualtrommler<br />

über neuheidnische Priester und<br />

Künstler bis hin zum homosexuellen Praktizierenden<br />

und neuzeitlichen Krieger. Dabei<br />

untermalt Bonewits seine Fragestellungen<br />

über die Männlichkeit oftmals mit gelegentlich<br />

satirisch anmutenden Interviews, Anekdoten<br />

und Zitaten.<br />

Über die Sexualität ist das Buch letztlich bei<br />

der Kernsubstanz angekommen, den gesellschaftlichen<br />

neopaganen Mann, wie er von<br />

anderen wahrgenommen wird und wie er<br />

sich fühlt. Hier werden die Problematiken<br />

mit dem anderen Geschlecht thematisiert, die<br />

eine gewisse Brisanz vermitteln, zum Nachdenken<br />

und Diskutieren anregen sollen. Bonewits<br />

verweist auf viele Aussagen von<br />

Männern, die sich durch Frauen oftmals bevormundet<br />

oder in ihrer Männlichkeit unterdrückt<br />

fühlen. Eine Gleichberechtigung<br />

durch die Polarität zwischen dem Gott und<br />

der Göttin sei vielerorts nur ein Idealzustand,<br />

würde in der Realität aber zu selten praktiziert<br />

werden. Stattdessen würden die Männer<br />

nicht selten durch ihre Männlichkeit degradiert.<br />

Durch offene Fragestellungen und Vorschläge<br />

beendet Bonewits diese Diskussion<br />

ohne Antwort oder Lösung, sondern nur mit<br />

Denkanstößen und Verweisen auf den eigenen<br />

Glauben. Wie nach jedem Kapitel bietet<br />

er auch hier „Aufgaben“, um sich näher mit<br />

den Themen auseinanderzusetzen, und somit<br />

für sich selbst eine Möglichkeit, über seine<br />

eigene Position klar zu werden und diese zu<br />

reflektieren.<br />

Nach einigen spezifisch auf Männer zugeschnittenen<br />

Ritualvorschlägen und Zaubern,<br />

die teils zum Schmunzeln verleiten, beendet<br />

Bonewits sein Buch mit den letzten Stimmen<br />

über die Definition des neopaganen Mannes<br />

und gibt Mut, auf dass jeder Mann seine eigene<br />

Rolle in seiner jeweiligen Spiritualität<br />

finden möge. Es folgen wie üblich die Fußnoten,<br />

die Bibliographie und Verweise auf<br />

Gruppen und Organisationen vor einem ausführlichen<br />

Stichwortverzeichnis und einer<br />

Kurzbiographie des Autors. Damit endet dieses<br />

Buch in englischer Sprache nach gut 250<br />

Seiten und einigen einfarbigen Fotografien.<br />

Fazit<br />

Nach dem Lesen dieses Buches hat der Autor<br />

tatsächlich erreicht, dass ich mich wieder in<br />

einem inneren Dialog befinde und meine eigenen<br />

Erfahrungen auswerte. Ich denke, es<br />

würde jedem Mann so gehen, der sich entweder<br />

in einer aktiven Gruppe befindet oder<br />

bereits einige Erfahrungen mit anderen<br />

Gruppen und Anhängern der neopaganen<br />

Spiritualität gemacht hat. Doch ich würde<br />

dieses Buch nicht nur für Männer empfehlen,<br />

denn auch jede interessierte Frau könnte e-<br />

benso mehr über das Gefühlsleben des heidnischen<br />

Mannes erfahren und ihren eigenen<br />

Umgang mit dieser Situation reflektieren.<br />

Dieses Buch ist durchaus kurzweilig geschrieben,<br />

nicht zuletzt durch die kleinen<br />

Anekdoten und Interviews, die hin und wieder<br />

zum Lachen anregen können. Besonders<br />

das Ritual zur Wiedererlangung der Potenz<br />

hat mich durch den spitzen Wortreim äußerst<br />

amüsiert. Wo sonst hört man in einem Zauber,<br />

dass Priapus den eigenen Zauberstab<br />

„boosten“ soll?!<br />

Schade ist natürlich, dass dieses Buch noch<br />

nicht in deutscher Sprache übersetzt wurde,<br />

daher wird die Zielgruppe leicht eingegrenzt.<br />

Auch muss der Hintergrund des Autors berücksichtigt<br />

werden, da er meist nur von a-<br />

merikanischen Gruppen berichten kann,<br />

wenn sich auch die Gegebenheiten und Ansichten<br />

mit denen im deutschsprachigen<br />

Raum eher wenig unterscheiden.<br />

Im Endeffekt wird wohl jeder etwas enttäuscht<br />

werden, wenn er sich dieses Buch in<br />

Hoffnung auf Antworten für seine Rolle als<br />

spiritueller Mann zulegen sollte. Diesen Anspruch<br />

hat dieses Buch aber sowieso nicht,<br />

eher zeigt es Möglichkeiten auf und regt zum<br />

Nachdenken an, sodass man seinem individuellen<br />

Konzept näher kommen kann. Und<br />

dafür ist es absolut zu empfehlen.<br />

Isaac Bonewits - The Pagan Man<br />

© 2005 - 1. Auflage, Citadel Press Books<br />

Ravenna


58 News News 59<br />

10. 01<br />

Eine Studie hat herausgefunden, dass Meditation<br />

die graue Hirnmasse verdichtet. Durch<br />

die Verdichtung wird die Gesundheit begünstigt,<br />

aber vor allem dem Altern entgegengewirkt.<br />

Die geringe Zunahme steht in<br />

direkter Proportion zur aufgewendeten Zeit.<br />

Vielleicht verlängert sich das Leben also um<br />

die in der Meditation verbrachte Zeit. Zeitverschwendung<br />

ist das Meditieren also<br />

nicht!<br />

http://grenzwissenschaftaktuell.blogspot.de/2012/01/studie-belegtmeditation-verdichtet.html<br />

12. 01.<br />

Ungarns neue, autoritäre Verfassung wird<br />

zahlreichen religiösen Minderheiten zum<br />

Verhängnis, darunter auch einigen paganen<br />

Gruppen. Das mit einer 2/3 Mehrheit von<br />

der konservativen Fidesz-Partei kontrollierte<br />

Parlament entzog 348 religiösen Vereinigungen<br />

die Anerkennung, darunter sämtlichen<br />

muslimischen, buddhistischen und paganen.<br />

Gleichzeitig wurde ein „christliches<br />

Staatsverständnis“ in der Verfassung festgeschrieben.<br />

Mit Unterstützung aus aller Welt<br />

schließen sich nun auch die religiösen Minderheiten<br />

den seit Monaten andauernden<br />

Demonstrationen gegen die erdrückende<br />

Macht der autoritären Regierung an. In Ungarn<br />

besuchen nur 21% der Bevölkerung regelmäßig<br />

die christlichen Kirchen.<br />

http://www.patheos.com/blogs/wildhunt/2012/01/pag<br />

ans-and-minority-religions-under-hungarysauthoritarian-new-constitution.html<br />

25. 01<br />

Atheisten wollen einen Tempel im Herzen<br />

Londons errichten. Nach Aussage des atheistischen<br />

Aktivisten Alain de Botton soll das<br />

46 Meter große, schwarze Gebäude den A-<br />

theisten einen Gemeinschaftsort geben, wie<br />

auch die großen Religionen welche haben.<br />

Zudem ehre man damit das Alter der Erde,<br />

welches von der Wissenschaft auf 4,6 Milliarden<br />

Jahre geschätzt wird.<br />

The Witchy News<br />

http://www.huffingtonpost.com/2012/01/25/atheiststemple_n_1231848.html?ncid=edlinkusaolp0000000<br />

3<br />

10. 02<br />

Mark Ordesky, Produzent der „Herr der Ringe“-Trilogie,<br />

will Erich von Dänikens Buch<br />

„Erinnerungen an die Zukunft“ verfilmen.<br />

Premiere soll Ende 2013 sein.<br />

http://grenzwissenschaftaktuell.blogspot.de/2012/02/hollywood-verfilmtdanikens.html<br />

11. 02<br />

Die Kosten des Papstbesuches in Freiburg im<br />

September letzten Jahres sind nun veröffentlicht<br />

worden. Stolze 23,7 Millionen Euro<br />

kostete die Sicherheit von Papst und Gläubigen;<br />

dem standen Einnahmen von lediglich<br />

1,4 Millionen Euro gegenüber. Den zu berappenden<br />

Fehlbetrag mussten die katholische<br />

Kirche, die Stadt Freiburg und der Staat<br />

zu gleichen Teilen aufbringen. 130 Euro<br />

wurden somit für jeden Gläubigen an diesem<br />

Tag ausgegeben.<br />

http://www.welt.de/politik/deutschland/article138637<br />

18/Papstbesuch-war-doppelt-so-teuer-wiegeplant.html<br />

13. 02.<br />

In den USA schlägt ein Sex-Skandel um den<br />

Yoga-Guru John Friend, Gründer von Anasura<br />

Yoga, hohe Wellen. Der populärste Yoga-Lehrer<br />

Amerikas soll seine Stellung<br />

missbraucht haben, um Yoga-Schülerinnen<br />

sexuell zu bedrängen. Yoga-Aktivisten sehen<br />

sich nun mit einer Medienkampagne gegen<br />

ihre Bewegung konfrontiert, die nicht zwischen<br />

der religiösen Praxis und den Verfeh<br />

lungen einzelner Lehrer unterscheidet, sondern<br />

Yoga plakativ als Sex-Religion anprangert.<br />

Besonders problematisch: Friend war<br />

zugleich Leiter eines Wicca-Covens und betonte<br />

stets die enge Verwandtschaft zwischen<br />

Anasura und Wicca. Nicht wenige Wicca in<br />

den USA befürchten nun bald selbst in die<br />

mediale Schusslinie zu geraten.<br />

http://www.patheos.com/blogs/wildhunt/2012/02/thewiccan-angle-to-a-yoga-scandal.html<br />

21. 02<br />

In Galway, Irland, wurde ein Geist fotografiert.<br />

Die Geisternonne tauchte vor dem Fotografen<br />

Jonathan Curren auf, als dieser Bilder<br />

einer historischen Straße schießen wollte<br />

und verschwand sofort wieder. Nun geistert<br />

das rätselhafte Bild durch die britische und<br />

irische Presse. Die Gegend rund um das<br />

westirische Galway ist bekannt für geisterhafte<br />

Frauenerscheinungen.<br />

http://de.nachrichten.yahoo.com/-geisterfrau--sorgtin-irland-f%C3%BCr-aufsehen.html<br />

12. 04<br />

In Indien deckte der Bürgerrechtler Sanal<br />

Edamaruku vor laufenden Kameras die wahre<br />

Ursache eines angeblichen Wunders auf.<br />

Das Wasser, welches aus dem Fuß einer Jesus-Statue<br />

in der katholischen Basilika von<br />

Velankanni rinnt und zahlreichen Pilgern als<br />

heilig gilt, stamme demnach aus einer lecken<br />

Abwasserleitung. Edamaruka sieht sich nun<br />

massiven Blasphemie-Anschuldigungen ausgesetzt<br />

und muss befürchten verhaftet zu<br />

werden.<br />

http://www.wissenrockt.de/2012/04/12/indien-<br />

wunder-enttarnt-glaubige-aufgebracht-<br />

26069/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_ca<br />

mpaign=indien-wunder-enttarnt-glaubigeaufgebracht<br />

14. 04<br />

In Cornwall wurde paganer Glauben in den<br />

schulischen Religionsunterricht aufgenommen.<br />

Da in der englischen Region zwischen<br />

600 und 750 Menschen leben, die sich zum<br />

pagenen Glauben bekennen, entschied die<br />

Verwaltung den Kindern einen breiteren Unterricht<br />

zu ermöglichen. Schon 2010 war das<br />

Druidentum in Cornwall als offizielle Religion<br />

anerkannt worden. Gegner des Vorstoßes<br />

argumentieren, dass man damit wohl nur<br />

der political correctness Genüge tun wolle<br />

und schon für den Unterricht in den großen<br />

Religionen kaum ausreichend Zeit vorhanden<br />

sei. Dennoch scheint Bedarf zu bestehen:<br />

Laut der letzten Volkszählung von 2001 bezeichnen<br />

sich in ganz England und Wales<br />

40000 Menschen als pagan.<br />

http://www.dailymail.co.uk/news/article-<br />

2129821/And-double-maths--paganism-Schools-toldwitchcraft-druids-RE-syllabus.html<br />

21. 04<br />

Überraschender Fund in einem australischen<br />

Museum: Im Keller lag 99 Jahre lang unbeachtet<br />

ein unidentifiziertes Manuskript, welches<br />

sich nun als ein Teil des Totenbuches<br />

von Amenhotep herausstellte. Der Priester<br />

und Architekt Amenhotep war der Erbauer<br />

des berühmten Amun-Re Tempels in Karnak<br />

und gilt als einer der einflussreichsten Ägypter<br />

seiner Zeit. Die Fragmente seines Totenbuches<br />

finden sich in Museen und Privatsammlungen<br />

um die ganze Welt verteilt. Der<br />

glückliche Entdecker John Taylor meint: "So<br />

eine Entdeckung macht man nur einmal im<br />

Leben."<br />

http://www.n-tv.de/wissen/fundsache/Papyrus-im-<br />

Museumskeller-article6080761.html<br />

F. Wirth

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