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2 Impressum Inhalt 3<br />
Beltaine<br />
Ich bin die deine Geliebte, dein Halt, deine<br />
Seele.<br />
Grüne Wiesen und das tanzende Blattwerk<br />
der sich frisch geöffneten Knospen an den<br />
Bäumen sind mein wehendes Haar,<br />
Und meine Brüste ragen als Gebirge in den<br />
Himmel empor.<br />
Die dunkle Erde ist mein Schoß,<br />
der den Samen empfängt, den du säst.<br />
Und mein Teppich aus weichem Moos sei<br />
dein Lager.<br />
Komm bette dich auf mir und höre meinen<br />
Herzschlag.<br />
Lass unsere Herzen im Gleichklang die Welt<br />
erfüllen.<br />
Jenseits, zwischen den Welten<br />
Fernab von den Grenzen von Tag und Nacht,<br />
welche allen Irdischen auferlegt sind,<br />
Zwischen Leben und Tod,<br />
Zwischen Freude und Trauer,<br />
Zwischen Raum und Zeit<br />
Werden wir eins und doch Alles<br />
Und wiegen uns in immerwährender Ekstase<br />
Impressum<br />
Herausgeber:<br />
Beatrice Reinhold<br />
Reichenhainer Straße 47<br />
09126 Chemnitz<br />
Verantwortlicher Redakteur:<br />
Julia Olias<br />
Layout und Internetpräsenz:<br />
Carsten Weinert<br />
Texte, Bilder und gestaltete Anzeigen sind Eigentum des<br />
Urhebers/Herausgebers. Für nicht veröffentlichte oder<br />
nicht rechtzeitig veröffentlichte Anzeigen, nicht ausgeführte<br />
Beilagenaufträge oder nicht erschienene Artikel o-<br />
der Fotos wird kein Schadenersatz geleistet. Dies gilt auch<br />
bei Nichterscheinen der Zeitung in Fällen höherer Gewalt,<br />
sowie aus Gründen, die der Herausgeber nicht zu vertreten<br />
hat. Eingesandte Manuskripte, Fotos und Bilder müssen<br />
frei von Rechten Dritter sein. Es wird keine Haftung für<br />
eingesandte Manuskripte, Fotos und Bilder übernommen.<br />
Für den Inhalt von Artikeln, die nicht durch die Redaktion<br />
erstellt wurden (Leserbeiträgen), ist die Redaktion nicht<br />
verantwortlich und übernimmt keine Haftung für eventuell<br />
negative Auswirkungen. Unter der Rubrik Leserbriefe<br />
werden Leserbriefe veröffentlicht, die in sachlicher Weise<br />
abgefasst sind und keine beleidigende Angriffe enthalten;<br />
nicht nachprüfbare Inhalte können nicht abgedruckt werden.<br />
Keine Rücksendung. Die Redaktion behält sich eine<br />
sinnwahrende Kürzung oder ein Ablehnen von Manuskripten<br />
vor, ein Recht auf Veröffentlichung besteht nicht. Inhalte<br />
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nicht mit der Meinung des Herausgebers übereinstimmen.<br />
Unter einem Pseudonym wird nur veröffentlicht, wenn der<br />
Redaktion Name und Anschrift bekannt sind. Private<br />
Kleinanzeigen sind kostenlos, Informationen zu gewerblichen<br />
Anzeigen sind bei der Anzeigenannahme einzuholen.<br />
Diese Zeitung ist kostenfrei. Die im Internet veröffentlichte<br />
Zeitung im PDF-Format kann frei heruntergeladen und<br />
ausgedruckt werden. Die Urheberrechte bleiben dadurch<br />
unberührt.<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
Beltainemärchen<br />
Elementarwesen: Die Gnome<br />
Ein Göttinnenportrait: Epona<br />
Magie der Natur: Die Sonnenfinsternis<br />
Pagane Erziehung: Das Feuer<br />
Tiere in den Mythen: Die Biene<br />
Slawische Frühlingsfeste<br />
Wicca mit oder ohne Dogmen<br />
Der Cthulhumythos:<br />
Yog-Sothoth und Hastor<br />
Die Weide<br />
Frauenzeit<br />
Wicca: Vollkommene Liebe und<br />
Vollkommenes Vertrauen<br />
Die Kabbalah: Der Baum des Lebens<br />
Rezension: The Pagan Man<br />
The Witchy News
4 Beltaine Beltaine 5<br />
A<br />
ls die wärmenden Sonnenstrahlen sich<br />
morgens über das Land ausbreiten, ist<br />
Aileen schon auf den Beinen. Es fällt ihr<br />
nicht schwer, morgens aufzustehen, denn auf<br />
dem Hof, welchen ihre Eltern führen, ist es<br />
normal, dass mit Tagesanbruch bereits alle<br />
wach sind. Die Tiere müssen gefüttert und<br />
die Kühe gemolken werden und Frühstück<br />
gibt es auch erst, wenn diese Aufgaben erledigt<br />
sind. Heute aber muss sie nicht im Stall<br />
helfen, denn ihre Eltern haben sie ausgeschickt,<br />
um Holz und Kräuter für das jährliche<br />
Beltanefest zu holen. Es ist ein wichtiges<br />
Fest für alle auf dem kleinen Hof, denn es<br />
sichert die Fruchtbarkeit der Tiere und damit<br />
das Überleben.<br />
Aileen feiert gern mit ihren Eltern. Trotzdem<br />
wünscht sie sich manchmal, sie könne mit<br />
den anderen jungen Leuten im Dorf um die<br />
Feuer tanzen. Voller Sehnsucht denkt sie dabei<br />
an Edan, den hübschen, braunhaarigen<br />
Jungen vom Nachbarhof. Aber bisher schien<br />
er sie nie bemerkt zu haben. Und zu Beltane<br />
haben sie sicher auch auf seinem Hof viel zu<br />
tun. Schnell wendet sie sich wieder ihren<br />
Aufgaben zu, bevor sie sich vorstellen kann,<br />
wie er sich vielleicht einem anderen Mädchen<br />
zuwendet und setzt ihren Weg mit eiligen<br />
Schritten fort.<br />
Auf den neu erblühenden Wiesen liegt noch<br />
der Tau und bald sind Aileens Füße davon<br />
ganz nass. Am Waldrand angekommen, findet<br />
sie schnell die Stelle, an welcher sie wie<br />
jedes Jahr die Kräuter fürs Feuer und Essen<br />
sammelt. Der würzige Geruch von Waldmeister<br />
und Rosmarin steigt ihr in die Nase<br />
und Aileen sammelt jede Menge in ihre Tasche,<br />
packt noch andere Kräuter dazu und<br />
geht dann noch weiter, um ein wenig Holz<br />
zu holen. Alle am Hof haben bereits seit Tagen<br />
bei der Holzsuche mitgeholfen, so dass<br />
hoch aufgestapelt vor den zwei Feuerstellen<br />
Eichen- und Eibenklötze liegen. Aileen muss<br />
nun nur noch das aromatische Haselnuss-<br />
Ein Beltanemärchen<br />
und Wachholderholz holen, mit welchem die<br />
Feuer angesteckt werden. So läuft sie am<br />
Waldrand entlang und muss wieder an Edan<br />
denken. Es ist schon eine Weile her, seit sie<br />
ihn das letzte Mal gesehen hat.<br />
Ihre Freundinnen aus dem Dorf sind zum<br />
letzten Beltanefest in den Wald gegangen<br />
und auch für ihren älteren Bruder Niall ist<br />
das selbstverständlich. Aileen weiß nicht so<br />
genau, was die Mädchen aus dem Dorf dort<br />
erlebt haben, aber es muss toll gewesen sein,<br />
denn sie haben sehr geheimnisvoll getan und<br />
gekichert. Seitdem wirken sie alle viel erwachsener<br />
und Aileen kommt sich wie eine<br />
Außenseiterin vor. Mit einiger Anstrengung<br />
bricht sie ein paar junge, biegsame Haselnussruten<br />
ab, um anschließend über die<br />
Wiese zurückzulaufen und an einem einzelnen<br />
Wacholderstrauch noch ein paar Stängel<br />
von dessen aromatischem Holz zu sammeln.<br />
Die Sonne scheint ihr schon warm ins Gesicht<br />
und sie genießt in vollen Zügen den<br />
Morgen, während sie mit schnellen Schritten<br />
zurück zum Hof läuft.<br />
„Und, hast du dein Grünzeug gefunden,<br />
Schwesterchen?“ fragt Niall sie beim Reinkommen.<br />
Zur Antwort legt sie die Kräuter<br />
auf den Tisch und setzt sich schnell. „Hör<br />
mal“, spricht Niall weiter, „ich muss Vater<br />
nachher noch im Stall helfen, kannst du heute<br />
mal nach den Fallen sehen?“ Die Fallen<br />
mag Aileen gar nicht. Ihr Bruder stellt sie<br />
auf, damit die Familie ein wenig Wildfleisch<br />
auf den Tisch bekommt, denn das ist günstiger<br />
als immer die eigenen Tiere zu schlachten.<br />
Aber Aileen findet es nicht gut, die Tiere<br />
in den Wäldern zu fangen, wo sie doch ihre<br />
eigenen haben. „Wenn´s sein muss. Aber dafür<br />
nennst du mich nicht immer Schwesterchen,<br />
dafür bin ich langsam zu alt“, kontert<br />
Aileen. Niall zieht die Augenbrauen hoch.<br />
Das ist er von Aileen nicht gewöhnt. „Na<br />
schön. Aber bring die Tiere auch wirklich<br />
mit, statt sie wieder frei zu lassen.“ Damit<br />
steht er auf und geht, während Aileen noch<br />
weiter frühstückt.<br />
„Lass dich nicht von ihm ärgern“, tröstet sie<br />
die Mutter ihr gegenüber, „er meint es nicht<br />
böse.“<br />
Aileen schnappt sich ihre Tasche und macht<br />
sich erneut auf den Weg. „Vielleicht ist ja<br />
auch nichts in den Fallen“, hofft sie, aber<br />
schon in der ersten am Feld findet sie ein bereits<br />
totes Kaninchen und beißt sich auf die<br />
Lippen, damit sie nicht weinen muss. „Warum<br />
bin ich aber auch so schrecklich empfindlich?<br />
Kein Wunder, dass Edan sich nicht<br />
für mich interessiert“, ärgert sie sich.<br />
Sie läuft weiter übers Feld, wieder in Richtung<br />
Wald. In zwei anderen Fallen findet sie<br />
nichts und ist sehr erleichtert. Gleich erscheint<br />
ihr die Welt schon wieder schöner,<br />
die Blumen bunter und sie atmet tief den<br />
Duft des Frühlings ein. „Auf dem Rückweg<br />
werde ich ein paar Blumen pflücken und einen<br />
Kranz daraus binden, für Ranald, unseren<br />
Bullen“, überlegt Aileen.<br />
Am Waldrand angelangt, geht sie zu der letzten<br />
Falle ihres Bruders. Schon von weitem<br />
sieht sie etwas Kleines darin zappeln. Das<br />
Tier lebt noch. Als sie näher kommt, sieht<br />
sie, dass es ein junges Eichhörnchen ist. Sein<br />
Fuß hat sich in der Schlinge verfangen und<br />
hilflos springt es hin und her und starrt Aileen<br />
angstvoll aus großen, fast schwarzen<br />
Augen an. Sie hat sofort Mitleid mit dem<br />
Tier, und obwohl sie an den Hinweis ihres<br />
Bruders denken muss, greift sie zu ihrem<br />
Messer, um das Eichhörnchen zu befreien.<br />
„An dir ist ja sowieso kaum Fleisch dran“,<br />
beruhigt sie ihr Gewissen. Sie schneidet das<br />
kleine Tier vorsichtig los und im Nu ist es<br />
auf den Bäumen des Waldes verschwunden.<br />
Doch Aileen hat das Gefühl, dass sie bei ihrer<br />
Tat beobachtet wurde. Sie schaut sich<br />
um, aber sie kann niemanden sehen. „Hallo?<br />
Ist da jemand?“ ruft sie etwas ängstlich in<br />
den Wald hinein. Aber nur der Wind rauscht<br />
geheimnisvoll durch die Baumwipfel. Der<br />
Wald sieht plötzlich, obwohl die Sonne<br />
durch die Blätter scheint, ein wenig unheimlich<br />
aus. Er scheint tiefer und vor allem<br />
dunkler geworden zu sein. Aileen hebt das<br />
Kaninchen auf und möchte schleunigst gehen,<br />
da tritt plötzlich ein Mann hinter den<br />
Bäumen hervor. Er ist von ausgesprochen<br />
großer Statur und äußerst muskulös. Sein<br />
langes, dunkles Haar fällt ihm auf die Schultern<br />
hinab. Der Blick, mit dem er Aileen ansieht,<br />
scheint sie regelrecht zu durchdringen,<br />
ist für sie jedoch nicht unangenehm. In seinen<br />
dunklen Augen kann sie sehen, dass er<br />
wahrscheinlich äußerst alt ist. In ihnen strahlt<br />
die Weisheit der Welt, sie sind scheinbar unendlich<br />
tief, unergründlich. Seine Ausstrahlung<br />
übertrifft alles, was sie bisher in ihrem<br />
ganzen Leben gesehen hat. Die Kraft und die<br />
Macht, die sie von ihm spürt, lässt ihre Beine<br />
leicht zittern.<br />
Obwohl er Aileen scheinbar vollkommen<br />
fremd ist, hat sie keine Angst vor ihm, denn<br />
seine Augen schauen sie freundlich an und<br />
erscheinen ihr seltsam vertraut.<br />
„Ich grüße dich, Aileen“, sagt er und es erscheint<br />
ihr fast natürlich, dass er ihren Namen<br />
kennt. Seine Stimme klingt angenehm<br />
in ihren Ohren, es erscheint ihr fast so, als ob<br />
er seine Lippen nicht bewegt und seine Wor-
6 Beltaine Beltaine 7<br />
te nur in ihrem Kopf erklingen: „Du brauchst<br />
dich nicht zu fürchten, denn du gehst recht in<br />
der Annahme, dass wir uns bereits kennen.“<br />
Nun wundert sich Aileen doch. Kann dieser<br />
Mann vielleicht ihre Gedanken lesen? Wieder<br />
erklingt diese durchdringende Stimme in<br />
ihrem Kopf: „Die Menschen nennen mich<br />
den Herrn des Waldes, jedoch geben sie mir<br />
unendlich viele Namen. Ich habe schon oft<br />
gesehen, wie du Tiere aus den Fallen befreit<br />
hast und auch wie du im letzten Herbst den<br />
kranken Falken gepflegt hast. Da ein Teil<br />
von mir in jedem Tier und Baum des Waldes<br />
steckt, hast du auch mir damit geholfen. Alles,<br />
was du hier in den Wäldern sehen, hören<br />
und fühlen kannst, all das bin ich. Heute ist<br />
Beltane, daher zeige ich mich dir und werde<br />
dir einen Wunsch erfüllen. Was ist es, was<br />
du am meisten ersehnst?“<br />
Aileen überlegt und überlegt, doch in seiner<br />
Anwesenheit kann sie keinen klaren Gedanken<br />
fassen. Es kommt ihr so vor, als sieht er<br />
mitten in ihr Herz hinein, als kann er ihre<br />
durcheinandergeratenen Gedanken hören.<br />
Sie errötet leicht unter dem prüfenden Blick<br />
des Herrn des Waldes. „Nun, Aileen, ich<br />
kenne deinen Wunsch und ich werde dir diesen<br />
erfüllen, wenn er nur aus deinem Herzen<br />
kommt“, spricht er weiter, „du musst nur<br />
selbst den Mut aufbringen, zum Dorf zu gehen<br />
und den Jungen deiner Begierde dort zu<br />
finden. Ich weiß, dass du glaubst, du dürftest<br />
dies nicht tun, und jedes Jahr auf die Erlaubnis<br />
deiner Eltern wartest. Doch es liegt allein<br />
an dir, den Mut und die Willenskraft für diesen<br />
Wunsch aufzubringen. Beltane ist ein<br />
äußerst magischer Tag im Jahr. Wenn du<br />
heute mit den anderen über die Feuer<br />
springst, dann denke fest an deinen Wunsch<br />
und glaube daran, dass er in Erfüllung geht.“<br />
Der Herr des Waldes blickt ihr noch einmal<br />
tief in die Augen und sie spürt eine Kraft<br />
und einen Mut in sich, den sie vorher nicht<br />
hatte. Dann wendet er sich um und geht. Seine<br />
wunderschöne Gestalt scheint vor ihren<br />
Augen zu verschwimmen und plötzlich ist er<br />
nur noch ein Hirsch, der sich durch den Wald<br />
in großen Sprüngen von Aileen entfernt. Fast<br />
glaubt sie, die Begegnung mit dem Herrn des<br />
Waldes hätte sie sich nur eingebildet, doch<br />
seine Worte klingen noch in ihrem Herzen<br />
nach und instinktiv weiß Aileen, dass er<br />
wahr gesprochen hat. Heute wird sie ins Dorf<br />
gehen und mit ihren Freundinnen über die<br />
Feuer springen. Sie packt entschlossen das<br />
Kaninchen und macht sich auf den Rückweg.<br />
Und ganz in der Erwartung auf den bevorstehenden<br />
Abend verbringt sie den restlichen<br />
Tag voller Spannung, bereitet nicht nur das<br />
Vieh vor, sondern auch sich selbst, kämmt<br />
sich, flicht ihre langen Haare und zieht ihre<br />
schönsten Kleider an.<br />
Als es dämmert, werden die Feuer entzündet,<br />
lodern hell in der Dunkelheit, und sie hilft<br />
die Herden hindurch zu treiben, so wie es die<br />
Familie seit Jahren tut, damit die Götter die<br />
Fruchtbarkeit der Tiere erhalten. Auch die<br />
Menschen gehen zwischen den Feuern hindurch<br />
und bereits jetzt denkt Aileen an ihren<br />
Wunsch, hält ihn ganz fest und stellt sich<br />
vor, wie sie zum Dorf kommt und mit den<br />
anderen um die Feuer tanzt. Sie sieht wie Niall<br />
sich auf den Weg macht und ihre Eltern<br />
winken ihm nach. Die Mutter wirft Aileen<br />
einen fragenden Blick zu: „Wolltest du nicht<br />
mit?“ Aileen kann es noch nicht glauben und<br />
schnell hat sie sich ihren Mantel übergezogen<br />
und rennt Niall hinterher. Sie ist immer<br />
noch wie im Traum, als sie das Dorf erreichen.<br />
Schon von weitem sehen Niall und Aileen<br />
das Licht der Feuer lodern und ihr Bruder<br />
klopft ihr noch einmal aufmunternd auf<br />
die Schulter, bevor er sich von ihr entfernt.<br />
Einige Dorfbewohner spielen auf Instrumenten,<br />
die anderen tanzen allein oder zu zweit<br />
um die Feuer.<br />
Ilisa, eine Freundin von Aileen, kommt auf<br />
sie zu, packt sie ungestüm bei der Hand und<br />
zieht sie mitten hinein in die Menge der tanzenden<br />
und feiernden Menschen. Aileen<br />
lacht und tanzt mit ihnen, findet ihre anderen<br />
Freundinnen bald und sie fassen sich an den<br />
Händen und springen ausgelassen um die<br />
Feuer. Wie als hätten sich die Dorfbewohner<br />
abgesprochen, bilden sie eine lange Reihe<br />
und schließlich einen Kreis der sich immer<br />
schneller um die größte Feuerstelle dreht.<br />
Die sengende Hitze schlägt Aileen ins Gesicht,<br />
doch sie kommt nicht nur von dem<br />
Feuer, sondern auch aus ihrem Inneren.<br />
Nacheinander lösen sich Menschen aus dem<br />
Kreis und springen allein oder Hand in Hand<br />
über die lodernden Flammen. Normalerweise<br />
hätte Aileen Angst davor, doch heute ist alles<br />
anders. Sie tanzt mit den anderen immer<br />
schneller, die Welt um sie herum scheint zu<br />
verschwimmen und dann nimmt sie allen<br />
Mut zusammen und springt über die hoch<br />
schlagenden Flammen. In diesem Moment<br />
denkt sie an Edan, an seine tiefen, dunklen<br />
Augen und seine starken Arme. Sie fliegt fast<br />
durch das Feuer und auf der anderen Seite<br />
stolpert sie jemandem direkt in die Arme.<br />
Als sie aufschaut, sieht sie, dass es Edan ist.<br />
Aileen?!“ sagt er überrascht, aber nicht unfreundlich.<br />
„Ich dachte schon, du würdest<br />
niemals im Dorf feiern.“ „Nein, wie du<br />
siehst, bin ich ja hier!“ antwortet Aileen<br />
frech und deutet einen kleinen Knicks an.<br />
Woher sie den Mut für diese Antwort nimmt,<br />
ist ihr selbst nicht so ganz klar. Doch Edans<br />
Augen blitzen erfreut auf und er reicht ihr die<br />
Hand. „Nun, mein Fräulein, dürfte ich Sie<br />
dann um einen Tanz bitten?“ Aileen nimmt<br />
seine Hand und lacht. Sie reihen sich zwischen<br />
den Dorfbewohnern ein und springen<br />
und wiegen sich zur Musik.<br />
Wieder scheint die Welt um Aileen in einem<br />
Strudel zu verschwimmen. Der Lärm der<br />
Feiernden wird zum fernen Rauschen und sie<br />
sieht nur noch Edan. Die Flammen leuchten<br />
auf seinem Gesicht, sein Duft steigt ihr in die<br />
Nase und sie schmiegt sich eng an seinen<br />
Körper. Inmitten der Hitze beginnen sich<br />
seine Gesichtszüge zu verändern. Zuerst traut<br />
sie ihren Augen kaum, doch dann sieht sie,<br />
dass sein Gesicht nun die Form vom Herrn<br />
des Waldes angenommen hat. Sie spürt die<br />
Kraft, die er ausstrahlt, kann jeden seiner<br />
Muskeln fühlen. Sie nimmt den Geruch von<br />
Moos und Erde an ihm wahr. Wenn sie in<br />
seine Augen sieht, fühlt Aileen sich, als ob<br />
sie den Boden unter ihren Füßen verliert, so<br />
als ob sie schweben würde.<br />
Die Zeit scheint still zu stehen, während sich<br />
ihre Körper im Schein der Feuer bewegen.<br />
Sie tanzen noch eine ganze Weile, mal wild,<br />
mal langsam, bevor er sie ein Stück abseits<br />
zieht und fragend ansieht. „Ich war noch nie<br />
im Wald“, sagt er und schaut plötzlich recht<br />
ernst aus, „ich wollte diesen Moment immer<br />
mit dir verbringen.“ Sein Blick gleitet an ihrem<br />
Körper hinunter. Als sich ihre Blicke<br />
wieder treffen, kann Aileen diese Spannung<br />
zwischen ihnen spüren, die regelrecht greifbar<br />
ist. Sie sieht ihm in die Augen, erkennt<br />
den Blick des Waldherrn. und ihre Knie werden<br />
weich; ihre Beine drohen nachzugeben,<br />
doch er hält sie an den Hüften fest.<br />
„Dann lass uns das tun“, antwortet sie leise<br />
und zaghaft und drückt ihren aufgehitzten<br />
Körper gegen ihn. Hand in Hand verlassen<br />
sie den hellen Platz und laufen in Richtung<br />
des dunklen Waldes und Aileen denkt: „Der<br />
Herr des Waldes hatte Recht: Diese Nacht ist<br />
wirklich voller Magie.“<br />
Coleen
8 Gnome Gnome 9<br />
Z<br />
um Abschluss der Reihe über die E-<br />
lementarwesen wollen wir uns nun<br />
noch die Gnome anschauen. Jetzt wird der<br />
eine oder andere sicher denken, dass noch<br />
die Wesen des Äthers fehlen, aber aufgrund<br />
der Art und Beschaffenheit des Äthers könnte<br />
man ihm zugleich alle und doch kein Wesen<br />
zuordnen; daher will ich sie beiseite lassen.<br />
Zudem wird von Paracelsus, von dem ja<br />
die in den westlichen Mysterientraditionen<br />
gebräuchliche Zuordnung stammt, nur auf<br />
vier Elemente und vier entsprechende Arten<br />
von Elementarwesen eingegangen. Über die<br />
Wesen des Äthers möge sich also jeder Leser<br />
seine eigenen Gedanken machen; verschiedenste<br />
Abhandlungen über das Thema<br />
sind leicht im Internet zu finden.<br />
Aber zurück zu den Gnomen: Der Begriff<br />
„Gnom“ ist noch gar nicht so alt, wie man<br />
vielleicht vermuten mag, denn vor Paracelsus<br />
taucht er nirgendwo auf. Wo aber hatte<br />
er seinen „gnomus“ dann her? Natürlich<br />
könnte er ihn im Sinne einer humanistischen<br />
Wortneuschöpfung 1 selbst erfunden haben.<br />
Andererseits könnte es auch sein, dass der<br />
„Gnom“ vom griechischen „geonomos“ abstammt,<br />
was soviel wie „Erdbewohner“<br />
heißt. Eine dritte Variante für den Ursprung<br />
ist das griechische „gnome“, es bedeutet<br />
„Verstand“. Ich selbst halte die „geonomos“-<br />
Variante jedoch für die wahrscheinlichste.<br />
Zumindest passt sie von den Eigenschaften<br />
am besten, wenn wir bedenken, dass der<br />
Verstand eher dem Reich der Luft zuzuordnen<br />
ist und die Gnome in der Erde leben.<br />
Doch auch Gnome konnten und können sehr<br />
scharfsinnig sein und ihre Schätze bestanden<br />
zwar auch, aber nicht nur aus edlen Steinen<br />
und Metallen, sondern ebenso aus Wissen<br />
und Weisheit. Ungleich älter als der Begriff<br />
„Gnom“ ist natürlich das Wissen um die<br />
1 Hiermit sind Wörter gemeint, die latinisiert wurden, also<br />
nicht aus der ursprünglichen lateinischen Sprache<br />
stammen. Es sind also immer Wortneuschöpfungen.<br />
Elementarwesen<br />
Wesenheiten der Erde, denn Erdgeister kannte<br />
man auch schon Jahrtausende zuvor, nur<br />
unter anderen Namen.<br />
Schon in der Antike kannte man sogenannte<br />
Pygmäen 2 (griech. „pygmaios“) als Bezeichnung<br />
für Wesen, die nur faustgroß waren;<br />
daher kann man dieses Wort auch mit<br />
„Fäustling“ übersetzen. Zugleich war der<br />
pygmaios eine griechische Maßeinheit, die<br />
einer Länge von 35cm entspricht. Das deckt<br />
sich in etwa mit der späteren Beschreibung<br />
des Paracelsus, der die Gnome als zwei<br />
Spannen hoch beschrieb, also etwa 40cm.<br />
Sogar den Begriff pygmaios verwendete Paracelsus<br />
parallel zu seinem gnomus weiter.<br />
Nach Homer lebten diese kleinen, Völker<br />
bildenden Wesen am Rande der bewohnbaren<br />
Welt in Höhlen und betrieben Ackerbau.<br />
Auch Aristoteles und andere erwähnten sie,<br />
ordneten sie aber verschiedenen Wohngegenden<br />
zu, so etwa Nordafrika oder Indien.<br />
Der größte Feind der Pygmäen waren angeblich<br />
die Kraniche.<br />
Das Mittelalter übernahm die Vorstellungen<br />
der Antike. Allerdings stufte man die Wesen<br />
herab und betrachtete sie fortan nicht mehr<br />
als kleines menschliches Volk, sondern als<br />
eine Art der Affen. In der frühen Neuzeit<br />
schließlich begann man die Existenz der<br />
Pygmäen zu bezweifeln und führte dafür die<br />
verschiedensten Beweise ins Feld. Auch der<br />
Vergleich von Affen, Menschen und Pygmäen<br />
wurde immer wieder aufgegriffen, bis<br />
2 Die Pygmäen der antiken Sagenwelt haben mit den seit<br />
dem 19. Jhd. in Europa bekannten, kleinwüchsigen<br />
Völkern Zentralafrikas wahrscheinlich nichts gemein.<br />
-Die Gnome-<br />
man schließlich in der Zeit der Aufklärung<br />
mehrheitlich davon ausging, dass es sich bei<br />
ihnen um Fabelwesen handeln müsse.<br />
Johannes Trithemius (1462-1516) beschrieb<br />
die Erdgeister als teils bösartig, teils hilfsbereit.<br />
Ein beliebtes Motiv taucht hier auf: das<br />
Hüten von Schätzen. Nach Trithemius sind<br />
es nämlich die Wesen der Erde, die diese behüten.<br />
Georgius Agricola (1494-1555), Wissenschaftler<br />
und Mineraloge, beschrieb Geister<br />
in Stollen und Dämonen in Bergwerken<br />
als völlig normale Erscheinungen der Natur.<br />
Eine andere Sicht über die Verbindung der<br />
Elementarwesen zu ihren Elementen hatte<br />
Agrippa von Nettesheim (1486-1535), der<br />
davon ausging, dass Erdgeister jene Wesen<br />
wären, die aus Feuer, Luft, Wasser und Erde<br />
zusammen bestünden. Anders als die meisten<br />
seiner Zeitgenossen, meinte Agrippa, dass<br />
die Elementargeister ihre jeweilige Ausprägung<br />
nicht durch ihren Lebensraum, sondern<br />
durch ihre Zusammensetzung ihrer Körper<br />
erhielten. Ein Feuergeist zum Beispiel zeichne<br />
sich also nicht dadurch aus, dass er im<br />
Feuer lebt, sondern dass er aus Feuer besteht.<br />
In der Philosophia occulta beschrieb Agrippa,<br />
dass die Wesen der Erde für Glück und<br />
Unglück der Menschen verantwortlich seien.<br />
Sie erscheinen ihm als Reisebegleiter, helfen<br />
Freunden und seien bei Kriegen anwesend.<br />
Paracelsus (1493-1541) bezeichnete, wie<br />
schon berichtet, die Elementargeister der Erde<br />
sowohl als Gnome als auch als Pygmäen.<br />
Ist unser Lebensraum nach unten durch die<br />
Erde begrenzt, so ist es jener der Gnome<br />
durch das Wasser. Ihr Lebensraum ist die<br />
Erde, unserer die Luft. Demzufolge sehen<br />
und gehen sie genauso durch die feste Erde,<br />
wie es dem Menschen in der Luft möglich<br />
ist. Auch sie können also die Sonne und die<br />
Jahreszeiten sehen und sich problemlos in<br />
der Erde fortbewegen. Da diese das kompakteste<br />
der vier Elemente Erde, Wasser, Luft<br />
und Feuer ist, müssen die Wesen der Erde<br />
demzufolge auch die subtilsten sein. Paracelsus<br />
hält die „Bergleute“, wie er sie auch<br />
nennt, für klein und ungefährlich. Der<br />
Mensch könne sie sich aber recht gut dienstbar<br />
machen, vor allem für divinatorische<br />
Zwecke; dafür gehen sie eher selten eine Ehe<br />
mit Menschen ein; ausgeschlossen ist es aber<br />
nicht. Die Kommunikation auf sprachlicher<br />
Ebene dürfte recht leicht sein, denn die<br />
Gnome reden laut Paracelsus in der gleichen<br />
Sprache wie wir.<br />
Auch Heinrich Heine (1797-1856) beschäftigte<br />
sich mit den Erdwesen. Zunächst wies<br />
er darauf hin, dass man unbedingt Kobolde,<br />
die Geister von Verstorbenen in Mischung<br />
mit teuflischen Wesen sind, von den eigentlichen<br />
Erdgeistern trennen müsse. Letztere<br />
leben in den Bergen und werden auch Gnome,<br />
Wichtel, kleines Volk oder Zwerge genannt.<br />
Er schätzt, dass früher auch Riesen<br />
dazu gezählt haben könnten. Diese hätten jedoch<br />
nicht überdauert, da sie zu viel zum<br />
Überleben gebraucht hätten. Die Zwerge hingegen<br />
hätten es leichter gehabt. Durch ihre<br />
Kunstfertigkeiten waren sie reicher und<br />
durch ihre kleine Größe gelang es ihnen<br />
leichter, sich in Höhlen fortzubewegen. In<br />
früheren Zeiten hätten sich die Zwerge nach<br />
Heines Meinung gern unter den Menschen<br />
aufgehalten, aber da sie zu oft geärgert wurden,<br />
fühlten sie sich verjagt und sind nun nur<br />
noch tief in der Erde zu finden.<br />
Heine überliefert uns auch das Beispiel einer<br />
Beschwörung, durch die man die Zwerge locken<br />
kann, damit sie sich den Menschen zei-
10 Gnome Gnome 11<br />
gen: „Er stellte an eine [...] Stelle einen kleinen<br />
ganz neuen Tisch, mit einem weißen Tuche<br />
bedeckt, darauf zwei Schüsselchen<br />
Milch, ferner zwei Schüsselchen Honig, zwei<br />
Tellerchen und neun Messerchen. Hierauf<br />
nahm er ein schwarzes Huhn und schnitt<br />
demselben über einer Küchenpfanne den<br />
Hals ab, so dass das Blut in die Speise tröpfelte.<br />
Dann warf er ein Stück gen Sonnenaufgang<br />
und das andere gen Sonnenuntergang,<br />
und begann seine Beschwörung.“ 3<br />
Anschließend versteckte sich der Beschwörer<br />
und beobachtete die Zwerge, wie sie a-<br />
ßen. „Nun richtete er Fragen an sie, die sie<br />
beantworteten, und als er dies oft wiederholt<br />
hatte, wurden sie so vertraut mit ihm, dass<br />
sie wie seine Gäste in sein Haus kamen.<br />
Wenn er nicht die gehörigen Anstalten getroffen,<br />
erschienen sie gar nicht oder entflohen<br />
fast auf der Stelle. Er ließ endlich auch<br />
ihren König erscheinen, der allein in einem<br />
Scharlachmäntelchen ankam, worunter er<br />
ein Buch trug, das er auf den Tisch warf,<br />
und er gestattete seinem Beschwörer darin<br />
zu lesen, so viel und so lange er wolle. Auch<br />
schöpfte der Mann daraus große Weisheit<br />
und Geheimnisse besonderer Art.“ 4 Hier sehen<br />
wir, dass die Erdwesen, hier im Speziellen<br />
die Zwerge, durchaus auch hohe geistige<br />
Schätze besaßen.<br />
Nach Rudolf Steiner (1861-1555) sind die<br />
Erdwesen unter anderem die Baumeister der<br />
Natur und der darin lebenden Wesen, und<br />
zwar sowohl im festen wie auch im flüssigen<br />
und gasförmigen Zustand, also aller Wesen<br />
auf und in Erde, Wasser und Luft. Nach Vicky<br />
Gabriel und William Anderson steuern<br />
sie das Erscheinungsbild der einzelnen Individuen.<br />
M. P. Hall (1901-1990) schrieb in „The secret<br />
of all ages“ 1928, dass Gnome über Fel-<br />
3 H. Heine: „Elementargeister und Dämonen“, In:<br />
„Sämmtliche Werke“, 1868<br />
4 Ebd.<br />
sen, Mineralien und die Flora eine große<br />
Macht hätten. Die Pygmäen, wie er sie nennt,<br />
sollen in Höhlen wohnen, Hüter versteckter<br />
Schätze sein und mit Metallen und verschiedenen<br />
Steinen, auch Edelsteinen, arbeiten.<br />
Sie sind sehr klein, dafür können sie aber<br />
oftmals ihre Gestalt wandeln. Manchmal sind<br />
sie bösartig und der Umgang mit ihnen kann<br />
sehr schwer werden. Die Pygmäen heiraten,<br />
gründen Familien und haben eine besondere<br />
Vorliebe für Essen.<br />
Auch in der Literatur können wir Erdgeister<br />
finden. In Goethes Faust I heißt es zum Beispiel<br />
von einem Erdgeist, dass er für eine<br />
Kraft steht, durch die Immaterielles materiell<br />
bzw. manifest wird. In Shakespeares „Sommernachtstraum“<br />
erfahren wir, dass sich die<br />
Erdgeister regelmäßig treffen und von ihrem<br />
König „Gob“ beherrscht werden. Vielleicht<br />
liegt hierin der Grund, dass Gnome später oft<br />
mit Goblins verglichen und verwechselt<br />
wurden, welche eher den Kobolden ähneln.<br />
Aber die einzelnen Erdwesen sind sowieso<br />
sehr schwer voneinander zu unterscheiden.<br />
So kann man zu den Gnomen die Zwerge dazuzählen,<br />
je nachdem welchem genauen System<br />
man folgt oder welche Eigenschaften<br />
man den Wesen zuordnet. Unter anderem<br />
werden auch die folgenden Wesen zu den<br />
Gnomen gezählt: Kobolde, Wichtel, Heinzelmännchen,<br />
Däumlinge und Leprechaune.<br />
Auch in viele Märchen haben insbesondere<br />
die Zwerge Einzug gehalten. Denke ich an<br />
Zwerge, kommt mir immer gleich Schneeweißchen<br />
und Rosenrot in den Sinn, die allerdings<br />
einem eher bösartigen Zwerg begegnen.<br />
Natürlich habe ich auch dieses Mal wieder<br />
ein paar Leute gefragt, wie sie sich die Gnome<br />
vorstellen, und möchte euch davon berichten.<br />
Viele stellen sich die Gnome vom<br />
Aussehen her älter vor, allerdings in der<br />
Größe von kleinen Kindern. Das deckt sich<br />
auch mit nahezu allen obigen, historischen<br />
Beschreibungen. Allerdings wurde mir auch<br />
von menschenähnlicher Größe und sogar ü-<br />
bermenschlicher Größe berichtet, was uns an<br />
die einstigen Riesen erinnert. Bei Kleidung<br />
bzw. Haut gehen die Meinungen auseinander.<br />
Während einige sich ein menschenähnliches<br />
Erscheinungsbild vorstellen, gehen andere<br />
von einer dunklen Haut oder Kleidung<br />
aus Borke und Rinde aus, sodass sie zum<br />
Teil schwer von ihrer Umgebung zu unterscheiden<br />
sind. Da sie in der Erde, in Höhlen<br />
und unter Wurzeln leben, können sie sich gut<br />
verstecken, wenn sie nichts mit uns zu tun<br />
haben wollen. Vom Prinzip her aber besteht<br />
durchaus die Vorstellung, dass sie sich gerne<br />
den Menschen zeigen, ihnen auch helfen o-<br />
der kleine Geschenke machen, aber auch ihren<br />
Schabernack mit uns treiben. Sie wirken<br />
oft sehr ernst, manchmal geradezu mürrisch,<br />
und beschäftigt.<br />
Hervorgehoben haben die Befragten auch<br />
das handwerkliche Geschick, sodass die<br />
Gnome sich quasi alles selbst herstellen können<br />
und kaum auf andere Wesen angewiesen<br />
sind. Metalle wie Gold spielen dabei eine<br />
wichtige Rolle. Als Hüter der Erde sind sie<br />
nach Meinung einiger sehr wichtig, denn sie<br />
kümmern sich um alle Schätze, die eben<br />
auch Lebewesen, wie Tiere und Pflanzen<br />
einschließen, aber auch um die Steine, Mineralien<br />
und Felsen. Dadurch wird auch der<br />
Eindruck des Geizes geweckt, obwohl sie ja<br />
eigentlich nur die materielle Natur beschützen<br />
wollen.<br />
Was die Unterscheidung und Abgrenzung<br />
der Erdwesen angeht, so gestaltet es sich wie<br />
oben beschrieben etwas schwierig: Die einen<br />
zählen Zwerge und Riesen zu den Gnomen,<br />
andere gehen von völlig verschiedenen Wesen<br />
aus, wieder andere unterscheiden zwischen<br />
Berg- bzw. Fels- und Baumwesen, je<br />
nach Zuständigkeits- und Lebensbereich.<br />
Das ist durchaus eine Sache der Herangehensweise.<br />
So kann man zum Beispiel einerseits<br />
davon ausgehen, dass die Elementarwesen<br />
aus dem jeweiligen Element bestehen,<br />
wie Agrippa von Nettesheim es tat, andererseits<br />
davon, dass sie in eben jenem leben,<br />
was Paracelsus annahm. Außerdem kümmern<br />
sie sich um diese ihnen zugeordneten<br />
Dinge, im Fall der Gnome also um Erdreich,<br />
Fels und Pflanzen bzw. ums Materielle oder<br />
gar ums Ruhen.<br />
Für uns dürfte die Sichtweise von Paracelsus<br />
am ehesten zutreffen. Somit wären hier Wesen<br />
zu den Gnomen gehörig, die in der Erde<br />
selbst wohnen, wie wir es in der Luft tun.<br />
Dennoch sind auch die anderen Erdwesen da<br />
und deshalb für die Natur und uns nicht weniger<br />
wichtig.<br />
Wenn ihr also einmal einem solchen begegnet,<br />
so behandelt es mit Respekt. Seid nicht<br />
allzu verwundert, wenn sie sich merkwürdig<br />
verhalten oder euch erschrecken, denn ihre<br />
Ethik entspricht nicht unbedingt der unseren.<br />
Vielleicht bekommt ihr ja auch ein kleines<br />
Geschenk, das in eurem Herzen eine wahre<br />
Freude auslöst.<br />
Blessed be!<br />
Fjörgynn<br />
Quellen:<br />
L. Petzold: Kleines Lexikon der Dämonen<br />
und Elementargeister, 2003<br />
H. Heine: Sämmtliche Werke, 1868<br />
A. Classen (Hrsg.): Paracelsus im Kontext<br />
der Wissenschaften seiner Zeit, 2010<br />
Paracelsus: Liber de nymphes, sylphis, pygmaeis<br />
et salamandris et de ceateris spiritibus<br />
M. P. Hall: The secret teachings of all ages,<br />
1928<br />
V. Gabriel, W. Anderson: Der alte Pfad.<br />
Wege zur Natur in uns selbst, 2010
12 Epona Epona 13<br />
I<br />
n einer der vorangegangenen Ausgaben<br />
schrieb Jaronne recht ausführlich über<br />
das Pferd und die Mythen, Legenden und<br />
Bräuche, die sich um dieses bezaubernde<br />
Tier ranken. Gerührt von diesem Artikel,<br />
kam ich auf die Idee, selbst etwas über die<br />
Göttin Epona zu schreiben, die als Pferdegöttin<br />
der Kelten und Römer vielleicht manchem<br />
bekannt ist.<br />
Wie ihr es von mir gewohnt seid, möchte ich<br />
zuerst auf ihr Erscheinungsbild und ihre verschiedenen<br />
Darstellungen zu sprechen<br />
kommen. Dargestellt wird sie auf den meisten<br />
Abbildungen als wunderschöne, junge<br />
Frau. Entweder sitzt sie im Damensitz auf<br />
einem Pferd oder aber sie steht stolz zwischen<br />
zwei Rössern. Auf manchen Abbildungen<br />
ist sie auch mit einem Fohlen zu sehen,<br />
was die Menschen dazu brachte, sie mit<br />
ihren Erfahrungen von Tod und Wiedergeburt<br />
in Verbindung zu bringen. Doch möchte<br />
ich später zu ihren zahlreichen Aufgabenfeldern<br />
und Aspekten kommen.<br />
Auf vielen altertümlichen Reliefs kann man<br />
sie auch auf einem Thron sitzend sehen, umgeben<br />
von vielen Pferden und Maultieren,<br />
die ihr vertrauensvoll aus der Hand fressen.<br />
Meine Suche ließ mich auch Abbildungen<br />
aus der Zeit der Römer aufstöbern, auf denen<br />
sie erhaben in einem von Rössern gezogenen<br />
Wagen steht. Oft wurde sie auch einfach<br />
als eine weiße Stute dargestellt, was<br />
nahe liegt, denn ihr Name „Epona“, oder<br />
auch „Epana“ bedeutet soviel wie „große<br />
Stute“. Dieser schöne Name ist auch mit<br />
dem lateinischen Wort „equus“, dem griechischen<br />
„hippos“ und dem gallischen „epos“<br />
verwandt; alle drei Wörter bedeuten natürlich<br />
nichts anderes als „Pferd“. Wenn man<br />
sich ein wenig anstrengt, kann man einen<br />
Teil ihres Namens auch in dem Wort „Pony“<br />
finden.<br />
Götterprofil<br />
Die Pferdegöttin Epona<br />
In ihrer Begleitung finden wir neben den<br />
Pferden auch einen Hund oder einen Vogel,<br />
manchmal aber auch keltische Muttergöttinnen,<br />
wie die Campestres oder Sulaeviae,<br />
kleine Herrinnen der Feldlager. In ihrer Hand<br />
hält sie auf vielen Abbildungen einen<br />
Schlüssel, den man als Türöffner für das Tor,<br />
welches in die Anderswelt führt, interpretieren<br />
kann. Attribute ihrer Großzügigkeit sind<br />
das Füllhorn und auch eine Schüssel voller<br />
Nahrung, was uns ihre Rolle als Muttergöttin<br />
sehr verdeutlicht. Ebenso galt Epona als eine<br />
Göttin der Fruchtbarkeit, welches auf ihren<br />
Abbildungen durch Fohlen oder durch eine<br />
Patera ausgedrückt wird. Letztere ist eine<br />
flache Opferschale, in der den Göttern<br />
Trank- oder Blutopfer dargebracht wurden,<br />
sogenannte Libationen.<br />
Epona war bei den Kelten und später auch<br />
bei den Römern die Schutzgöttin aller Reitund<br />
Lasttiere, sie hielt ihre Hände über die<br />
Pferdezucht, welche für die Kelten ein sehr<br />
wichtiger Bestandteil ihrer Kultur war. Sie<br />
setzten ihre recht kleinen, aber dennoch äußerst<br />
zähen und wendigen Pferde in vielerlei<br />
Hinsicht ein: als Zugtiere für Transportwagen,<br />
für Wagenrennen und auch als Schlachtrösser.<br />
Die Art, wie die Kelten mit ihren<br />
Pferden in die Schlacht zogen, beeindruckte<br />
die Römer sehr, denn mit ihren Bemalungen<br />
und ohne Sattel auf den zotteligen Tieren sitzend,<br />
boten sie wohl einen befremdlichen<br />
und Ehrfurcht gebietenden Anblick. Den Sattel<br />
übernahmen die Kelten später von den<br />
Römern. Man sollte auch erwähnen, dass<br />
sich die keltischen Pferdchen in Rom bei den<br />
Wagenrennen sehr großer Beliebtheit erfreuten,<br />
denn sie waren nicht nur widerstandsfähig<br />
und stark, sondern auch äußerst schnell<br />
und wendig.<br />
Epona ist die einzige keltische Göttin, welche<br />
komplett und mit ihrem ursprünglichen<br />
Namen von den Römern übernommen wurde;<br />
ihr Kult war der einzige einer keltischen<br />
Gottheit in der Millionenstadt Rom. Hatte sie<br />
bei den Kelten unter anderem den Rang einer<br />
Mutter- und Todesgottheit, so wurde sie im<br />
Römischen Reich in eine Kriegsgöttin verwandelt.<br />
Dort, wo die Römer Kontakt mit<br />
den Kelten hatten, begann die Verehrung natürlich<br />
zuerst. Kein Wunder also, dass man<br />
Stätten ihrer Verehrung vor allem im Osten<br />
Frankreichs und entlang des Rheins fand, wo<br />
sich die großen römischen Garnisonen am<br />
Limes befanden, von wo sich ihr Kult in<br />
Richtung Italien ausbreitete. Dort wurde sie<br />
dann oft auf die gleiche Art und Weise wie<br />
die ursprüngliche römische Kriegsgöttin Bellona<br />
dargestellt, das heißt, sie trug unter anderem<br />
einen Helm, eine Lanze und ein<br />
Schwert. In Rom wurde Epona daher als<br />
Schutzherrin der Reiterei und auch der Wagenlenker<br />
verehrt und ihr zu Ehren fand alljährlich<br />
am 18. Dezember ein Fest statt. Laut<br />
dem Magistratsbeamten Minucius Felix wurden<br />
ihr rote Rosen als Opfer dargebracht, ihr<br />
zu Ehren wurden Pferde und Esel reich geschmückt<br />
und unter Umständen auch geopfert.<br />
Ebenso wurde ihr Name in den Kaiserkult<br />
eingearbeitet, indem die Gattinnen der<br />
Kaiser dann Namen wie „Epona Augusta“<br />
oder „Epona Regina“ trugen, sicherlich wegen<br />
der Bedeutung Eponas als Muttergöttin.<br />
Erwähnung fand Epona sogar in den Werken<br />
einiger römischer Dichter. Apuleius beschreibt<br />
in „Der Goldene Esel“ eine Nische<br />
im Inneren eines Stalles, wo ein Bild von ihr<br />
mit frisch gepflückten Rosen bekränzt worden<br />
ist. Der in ein Pferd verwandelte Protagonist<br />
der Erzählung weiß genau, dass er<br />
seine menschliche Gestalt zurückerhält, wird,<br />
wenn er von den Opferrosen frisst. Epona<br />
verfügt also über die Macht in Tiere verwandelte<br />
Menschen zu erlösen. Der römische<br />
Dichter Juvenal erwähnt die Göttin in seinen<br />
Satiren ebenfalls in Verbindung mit Pferdeställen.<br />
Im Laufe der Zeit hat sich der Kult der Pferdegöttin<br />
bis ins heutigen Portugal und über<br />
die Donau bis hinüber nach Osteuropa verbreitet,<br />
so großer Beliebtheit erfreute sie<br />
sich.<br />
Doch ich möchte die Römer nun bei Seite<br />
lassen und etwas näher auf Eponas Bedeutung<br />
für die keltischen Stämme zu sprechen<br />
kommen. In ihren Ursprüngen war Epona<br />
nämlich gar keine mit Speer und Schild ausgerüstete<br />
Kriegsherrin. Sie war eine friedliebende<br />
Göttin, welche die Kraft und die Ausdauer<br />
ihrer Rösser den Menschen zur Verfügung<br />
stellen und auch auf sie übertragen<br />
wollte.<br />
Wie wichtig die Göttin wirklich für die Kelten<br />
war, können wir aus Berichten entnehmen,<br />
die aus den frühen keltischen Nomadenstämmen<br />
stammen. Dort glaubte man,<br />
dass die Stammesväter symbolisch mit einer<br />
weißen Stute vereint bzw. verheiratet wurden,<br />
um den Segen der Göttin über ihre Herrschaft<br />
zu bringen. Dieser Brauch war noch<br />
bis in das 11. Jahrhundert u. Z. in Irland gang<br />
und gäbe und es hieß, dass die irischen Herrscher<br />
erst nach ihrer Hochzeit mit der weißen,<br />
das Land verkörpernden Stute die volle<br />
Herrschaftsgewalt übertragen bekommen haben.
14 Epona Epona 15<br />
Über die Entstehung der Pferdegöttin gibt es<br />
mehrere Mythen, von denen ich zwei aufgreifen<br />
möchte. Zum einen heißt es in einem<br />
vom Griechen Agesilaos überlieferten druidischen<br />
Rätsel, sie sei aus einer weißen Stute<br />
und dem „Furius Stellus“ („Zorniger<br />
Stern“/„Roter Stern“) hervorgegangen. Man<br />
geht heute davon aus, dass mit dem Roten<br />
Stern entweder der römische Gott Mars oder<br />
auch der keltische Teutates gemeint ist. Teutates,<br />
oder auch Touto-tati-s war der Stammesgott<br />
der Kelten schlechthin, der väterliche<br />
Führer im Frieden als auch in Kriegszeiten.<br />
Dargestellt wurde er wahrscheinlich mit<br />
Widderhörnern und in Begleitung eines wilden<br />
Ebers. Teutates war im Römischen<br />
Reich auch einer der Beinamen des Gottes<br />
Mars. Zum anderen wird vermutet, dass E-<br />
pona aus einer weißen Stute und einem ganz<br />
normalen menschlichen Mann hervorgegangen<br />
sei. Beide Varianten ermöglichen es ihr,<br />
beliebig ihre Gestalt zwischen der einer Stute<br />
und der einer Frau zu wechseln. Vielleicht<br />
hat sie ja auch deshalb die Macht Menschen<br />
in Tiere und Tiere in Menschen zu verwandeln.<br />
Wie ich bereits erwähnt habe, wurde Epona<br />
auch oft mit einem Füllhorn oder mit einer<br />
Schale voller Nahrung dargestellt. Ebenso<br />
kann man sie auf einigen Darstellungen auch<br />
zusammen mit einem kleinen Fohlen sehen.<br />
Dies deutet darauf hin, dass sie bei den Kelten<br />
nicht nur für das Wohlergehen der Pferde,<br />
Maultiere und Esel zuständig war. Vielmehr<br />
hielt sie als Mutter- und Fruchtbarkeitsgöttin<br />
auch schützend ihre Hände über<br />
die Menschen.<br />
Alten Inschriften zufolge soll ihr auch der<br />
Beiname „Regani“ gegeben worden sein.<br />
Und an genau dieser Stelle wird es spannend,<br />
denn die altkeltische Regani (oder<br />
auch Rigani) war die Mittlerin zwischen<br />
Himmel und Erde und soll einige Zeit mit<br />
dem Himmelsherrn verbracht haben, um<br />
dann wieder hinab in die Unterwelt zu steigen,<br />
damit sie sich mit dem dort ansässigen<br />
Herrscher vereinigen konnte. Wenn wir also<br />
diesen Inschriften Glauben schenken, können<br />
wir davon ausgehen, dass Epona eventuell<br />
eine viel größere Bedeutung im Leben der<br />
Kelten hatte. Als Königin über die Totenwelt<br />
lenkte sie das Geschehen von Tod und Wiedergeburt.<br />
Dass sie ebenso als Heilerin verehrt<br />
wurde, können wir daran sehen, dass<br />
viele ihrer geheiligten Stätten heilige Quellen<br />
waren. Da das Pferd bei den Kelten als<br />
schamanisches Totem- und Krafttier heilig<br />
war, galt Epona auch als Herrscherin über<br />
die Anderswelt.<br />
Heute wird jedoch davon ausgegangen, dass<br />
sie diese Stelle lediglich in den älteren Kulten<br />
der keltischen Stämme einnahm und dass<br />
sie mit dem Einzug der Römer größtenteils<br />
auf die Position der Beschützerin der Pferde<br />
und Kavallerie „herabgesetzt“ wurde.<br />
Epona hatte in der keltischen Mythologie<br />
scheinbar einen so hohen Rang, dass man<br />
heute noch in ganz Europa ihr gewidmete<br />
Schreine finden kann. Im Jahre 1966 fand<br />
man in Ostfrankreich eine sehr bedeutsame<br />
Statue, die „Epona von Alesia“. Alesia war<br />
damals sozusagen das Zentrum des Epona-<br />
Kultes. Einer ihrer wichtigsten Schreine<br />
wurde in Stuttgart in „ihrem Stutengarten“<br />
gefunden; weitere Reliefs fand man in Bayern,<br />
Baden-Württemberg und Hessen. Allerdings<br />
muss ich an dieser Stelle erwähnen,<br />
dass diese Inschriften nicht aus der Zeit der<br />
Kelten stammen, sondern sehr wahrscheinlich<br />
germanischen oder auch römischen Ursprung<br />
haben. Bei Mainz fand sich sogar eine<br />
Inschrift für Epona, deren Urheber ein Syrer<br />
gewesen sein soll. In einer norditalienischen<br />
Weihinschrift hingegen wurde sie mit<br />
der römischen Göttin Ops gleichgesetzt. Diese<br />
war in der römischen Mythologie eine<br />
Fruchtbarkeitsgöttin, beschützte die Neugeborenen<br />
und in Kriegszeiten wurde sie angerufen,<br />
damit sie über die Stadt Rom wache.<br />
Sie war die Mutter Jupiters und die Frau von<br />
Saturnus und wurde daher mit der griechischen<br />
Rhea verglichen. Oft setzte man Epona<br />
auch mit Macha, Etain oder Rhiannon gleich.<br />
Es hieß, dass Macha ein weiblicher Nachkomme<br />
jener Götter war, welche weit vor<br />
den keltischen Göttern über Irland herrschten.<br />
In den Mythen war sie die Gattin von<br />
Herrschern, welche nur durch die „Heilige<br />
Hochzeit“ mit ihr die volle Herrschaftsgewalt<br />
besaßen. Oft trat sie als Kämpferin in<br />
einem Streitwagen auf. Etain, in der irischen<br />
Mythologie die Tochter der Túatha Dé Danann,<br />
wurde von dem Sprachforscher T.<br />
F. O'Rahilly (1883-1953) für eine Sonnengöttin<br />
gehalten, allerdings trug sie auch ab<br />
und an den Beinamen Echraide („Reiterin“).<br />
Und Rhiannon (romano-britisch: Rigantona<br />
– „Großkönigin“) war ebenfalls eine Pferdegöttin,<br />
sehr oft dargestellt mit einem prächtigen<br />
Schimmel. Wie wir sehen, haben alle<br />
diese drei Göttinnen etwas mit Pferden zu<br />
tun. Wenn ein Gott oder eine Wesenheit so<br />
eng in Verbindung mit Pferden steht, nennt<br />
man diese auch hippomorphisch.<br />
Die Göttin Epona ist heute noch sehr fest in<br />
den Köpfen und den Herzen der Menschen<br />
verankert. Fast alle Händler von Pferdefutter,<br />
Reitutensilien, oder auch Pferdezüchter selber,<br />
schreiben sich ihren Namen auf die Fahnen.<br />
Ich habe im Internet lediglich nach dem<br />
Wort „Epona“ gesucht und fand sofort Vereine,<br />
Ställe und Futterhändler.<br />
Auf Mackinac Island im US-Bundesstaat<br />
Michigan wird Epona heute noch jedes Jahr<br />
im Juni verehrt, indem die Pferde in der Region<br />
gesegnet und Paraden abgehalten werden.<br />
Auf der kleinen Insel inmitten des Huronsees<br />
sind Automobile nicht erlaubt, womit<br />
das Pferd definitiv das schnellste Transportmittel<br />
ist. Scheinbar haben die Menschen<br />
dieser Gegend noch immer einen ganz besonderen<br />
Bezug zu unserer Pferdegöttin und<br />
ihren Tieren.<br />
Epona verkörpert Kraft, Willen und Zielstrebigkeit,<br />
sie symbolisiert das Starke in einer<br />
Frau, sie ist unabhängig und ungebrochen.<br />
Und mit ihrer Bekanntheit weilt sie auch<br />
weiterhin sehr lebendig unter den Menschen.<br />
Quellen (Internetseiten Stand März 2012):<br />
Julia<br />
R. M. Allesch: Die Pferdegöttin Epona in<br />
Noreia und Virunum, Hückeswagen 1984.<br />
G. J. Bellinger: Knaurs Lexikon der Mythologie,<br />
München 2000.<br />
A. Cotterell: Enzyklopädie der Mythologie,<br />
Fränkisch-Crumbach 1999.<br />
O. Gigon (Hrsg.): Lexikon der Alten Welt,<br />
Düsseldorf/Zürich 2001.<br />
W. Spickermann, R. Wiegels: Keltische Götter<br />
im Römischen Reich, Möhnesee 2005.<br />
http://www.keltika.eu/
16 Natur Natur 17<br />
"Flatternde Geister füllen die Flur, und füllen<br />
den Vorhof,<br />
Zu des Erebos Schatten hinuntereilend!<br />
Die Sonne ist am Himmel erloschen,<br />
und rings herrscht schreckliches Dunkel!"<br />
(Homer: Odyssee)<br />
E<br />
s ist heller Tag. Die Sonne steht weit<br />
oben am Himmel und strahlt in voller<br />
Kraft. Doch plötzlich erscheint ein schwarzer<br />
Schatten vor der leuchtenden Scheibe<br />
und Stück um Stück wird es dunkler, bis der<br />
leuchtende Feuerball vollständig verschwunden<br />
ist. Eine Sonnenfinsternis findet<br />
statt.<br />
Die Magie der Natur<br />
Wenn die Sonne sich verfinstert<br />
Die Sonne ist der zentrale Baustein unseres<br />
Planetensystems und schenkt lebensspendende<br />
Energie in Form von Wärme und<br />
Licht. Schon seit jeher kannten wie sie als<br />
die Kraft, die Leben zu geben und auch zu<br />
nehmen vermag. Ohne sie würden weder unsere<br />
Welt, noch die Rasse der Menschen e-<br />
xistieren. Jene Gottheiten, die Sinn- und Abbild<br />
der überbordenden Sonnenkraft waren,<br />
haben daher zu allen Zeiten und in allen<br />
Kulturen eine übergeordnete Rolle gespielt:<br />
Schamasch bei den Babyloniern, Ra bei den<br />
Ägyptern, Tonatiu, Inti und Itzamna bei den<br />
Azteken, Inka und Maya, der Sol invictus<br />
der Römer, Utu bei den Sumerern und Sol<br />
bei den Germanen. Durch Beobachtung der<br />
Sonne waren die Menschen schon sehr früh<br />
in der Lage bestimmte Ereignisse, die den<br />
Jahreszyklen unterworfen waren, zu erkennen.<br />
An jenem Zyklus richteten wir Menschen<br />
unser gesamtes Leben und natürlich<br />
auch unsere Feste aus. Wir feiern die Sonnenwenden<br />
und die Tagundnachtgleichen –<br />
Feste, die in den mannigfachen Kulturen des<br />
Menschen zwar unterschiedliche Gestalt, a-<br />
ber doch ganz ähnliche Bedeutungen haben.<br />
Aus der großen Verehrung, die wir gerade<br />
jenem lebensspendenden Himmelskörper<br />
zollen, entstand über kurz oder lang auch die<br />
Idee des Monotheismus. Aton, die Sonnenscheibe,<br />
war der erste Gott, dessen Diener<br />
für ihn in Anspruch nahmen, dass es keinen<br />
neben ihm geben dürfe.<br />
Wenn also die Sonne einen so hohen Stellenwert<br />
als göttliche Entität genossen hat,<br />
was muss den Menschen dann bewegt haben,<br />
wenn es zu einer Sonnenfinsternis kam? Wen<br />
wundert es da, dass im Zusammenhang mit<br />
dem Verschlingen oder dem Verdunkeln der<br />
Sonne Mythen überliefert sind, die sich ausschließlich<br />
mit dem Ende der Welt befassen?<br />
Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie<br />
es gelingen sollte, ohne die Sonne in der heutigen<br />
Welt, geschweige denn in einer archaischen,<br />
zu überleben, selbst wenn die Erde<br />
nicht abkühlen würde. Sämtliche Prozesse in<br />
der Natur, von den Paarungszeiten und der<br />
Aufzucht der Jungen im Tierreich über die<br />
Photosynthese der Pflanzen und deren<br />
Wachstum bis hin zum Wasserkreislauf,<br />
werden von ihr beeinflusst. So bedeutete die<br />
Verfinsterung der Sonne den alten Völkern<br />
nichts anderes, als den Umsturz der göttlichen<br />
Ordnung, das Ende der Welt, das Aufbegehren<br />
der Dämonen.<br />
Vater erzählt<br />
Wie erblühte meine kindliche Fantasie, als<br />
mein Vater mir von der sibirischen Sonnenfinsternis<br />
seiner Studienzeit berichtete. In<br />
seiner studienfreien Zeit hatte er eine Arbeit<br />
angenommen, die ihn in die Sibirische Taiga<br />
verschlug, wo er am 31. 07. 1981 dem Naturereignis<br />
beiwohnen konnte. Ich lauschte<br />
seinen Erzählungen und hatte natürlich meine<br />
eigenen kindlichen Bilder vor Augen. Er<br />
beschrieb, wie die Atmosphäre sich änderte,<br />
die Tiere in der Umgebung langsam unruhig<br />
wurden und man das Gefühl bekam, etwas<br />
Großes passiere gleich. Niemand in seinem<br />
Umfeld, er eingeschlossen, war darauf vorbereitet,<br />
dass eine Sonnenfinsternis stattfinden<br />
würde. Alle wurden davon überrascht.<br />
Ich habe noch im Ohr, wie er zu mir sagte:<br />
„Wir sind alle in unsere Unterkünfte gerannt<br />
und haben angezogen, was wir finden konnten,<br />
weil die Dunkelheit ganz plötzlich eine<br />
enorme Kälte mit sich brachte.“<br />
Das war für mich so unglaublich, dass ich<br />
mir vorstellte, für einen Augenblick wäre die<br />
Welt eingefroren. Mit dem Wissen, was ich<br />
heute habe, war dieses Bild wohl gar nicht so<br />
falsch, wenn man davon ausgeht, dass die<br />
Sonne verdunkelt bliebe. In jedem Fall hat<br />
mich seine Geschichte so beeindruckt, dass<br />
ich mich noch immer gut daran erinnere.<br />
Bisher habe ich nur eine partielle Sonnenfinsternis,<br />
und zwar im August 1999, bewusst<br />
erleben dürfen, kann mir aber sehr gut<br />
vorstellen, wie stark die Empfindungen<br />
wachsen mögen, wenn man sich einer totalen<br />
Verfinsterung gegenübersieht.<br />
Allein an der Art, wie mein Vater sprach,<br />
merkte man, wie ihn dieses Erlebnis geprägt<br />
haben muss. Und es wundert mich nicht,<br />
dass sich im Laufe der Zeit so viele Geschichten<br />
um dieses Naturereignis entsponnen<br />
haben. Ehrlich gesagt, beneide ich meinen<br />
Vater ein wenig, um seine Erfahrung.<br />
In den Mythen der Welt<br />
Mythen über die Sonne und ihre Verdunklung<br />
findet man über die ganze Welt verstreut.<br />
Ungewöhnlich ist die Geschichte, die man<br />
sich auf Tahiti erzählt, denn sie hat ausnahmsweise<br />
rein gar nichts mit Angst und<br />
Unheil zu tun. Laut diesem Mythos sind<br />
Sonne und Mond in ewiger Liebe zueinander<br />
entbrannt, tanzen von alters her miteinander<br />
und strahlen auf diese Weise für die Erde<br />
und ihre Geschöpfe. Die einzige Ausnahme<br />
bildet ein kleiner Augenblick. Wenn sie den<br />
Zenit ihres Tanzes erreichen, verschmelzen<br />
sie in ihrer Liebe schwelgend miteinander.<br />
Das ist der einzige Moment, in dem sie nicht<br />
mehr für die Erde, sondern nur noch für sich<br />
selbst strahlen. Dadurch zeugen sie viele<br />
Kinder, die wie Sterne am Himmel leuchten.<br />
So ist es ja auch zu beobachten, denn wenn<br />
Dunkelheit über die Erde fällt, werden die<br />
kleinen, leuchtenden Himmelskörper überhaupt<br />
erst sichtbar. Meist sind die Mythen<br />
rund um die Verfinsterung der Sonne aber<br />
ungleich düsterer Natur.<br />
In China beispielsweise glaubte man, dass<br />
der Drachen des Chaos versucht die Sonne<br />
zu verschlingen. Wenn er es schafft, verdunkelt<br />
sich der Himmel. Die einzige Möglichkeit,<br />
ihn dazu zu bringen, die Sonne wieder<br />
freizugeben, besteht darin, lautes Getöse mit<br />
Trommeln, Rasseln und öffentlichem Drohgeschrei<br />
gen Himmel zu senden, auf dass der<br />
dunkle Drache die Sonne wieder ausspucke.
18 Natur Natur 19<br />
Es gibt auch eine balinesische Wesenheit<br />
namens Kala Rau, die sich vor Eifersucht<br />
auf die Götter und vor Gier nach Unsterblichkeit<br />
als derjenige verkleidete, der das<br />
Unsterblichkeitselixier auf einem Götterbankett<br />
servieren sollte. Gerade als er versuchte<br />
einen Schluck zu trinken, wurde er jedoch<br />
entdeckt und auf der Stelle enthauptet. Zwar<br />
erlitt sein Körper auf diese Weise den Tod,<br />
sein Kopf jedoch nicht, weil dieser bereits<br />
Berührung mit dem Elixier hatte. Aus Rache<br />
jagt Kala Rau nun Sonne und Mond hinterher,<br />
um sie zu verschlingen und so die<br />
Schöpfung der Götter zu erschüttern.<br />
Manchmal, wie man am Himmel beobachten<br />
kann, schafft er das auch, jedoch nicht für<br />
lange Zeit. Schließlich ist es ein abgetrennter<br />
Kopf und dem Himmelskörper gelingt durch<br />
die Öffnung im Hals bald wieder die Flucht.<br />
Aber nicht nur in Asien findet man Geschichten<br />
über die Verdunkelung der Sonne.<br />
In der germanischen Mythologie läutet die<br />
Verdunkelung von Sonne und Mond das Ende<br />
der Welt ein, die Ragnarök. Beide Gestirne<br />
werden, solange sie am Firmament zu sehen<br />
sind, von einem Wolf gejagt, um von<br />
ihm verschlungen zu werden. Wenn dies gelänge,<br />
würden die Sterne vom Himmel fallen,<br />
die Erde erbeben, das Land überflutet<br />
werden und der Fenriswolf sich befreien<br />
können, auf dass Göttervater Odin von ihm<br />
gefressen werde. Das klingt zwar so düster,<br />
wie die Sonnenfinsternis selbst, ist aber nur<br />
das Vorspiel zu einer erneuten Explosion der<br />
Schöpfung; die eine Welt stirbt, eine andere<br />
wird geboren. Eine Verdunklung der Sonne<br />
kann also auch eine Erneuerung der Schöpfung<br />
bedeuten. Bei einigen afrikanischen<br />
Stämmen heißt es, dass die Sonne während<br />
ihrer Verfinsterung stirbt, im dunklen Bauch<br />
verfault und anschließend neu geboren wird.<br />
Manchmal ist auch von Reinigung die Rede.<br />
Die Angst der Azteken vor der Sonnenfinsternis<br />
war so groß, dass sie sogar Menschenopfer<br />
anboten, um ihrer Schutzgottheit Tonatiuh<br />
im ständigen Kampf gegen die Mächte<br />
der Unterwelt beizustehen, die sie jede Nacht<br />
als „schwarze Sonne“ durchqueren musste.<br />
Wenn eine Sonnenfinsternis eintrat, bedeutete<br />
das, dass Tonatiuh sich besonders mächtigen<br />
Angriffen ausgeliefert sah. Also musste<br />
die Schwäche der Sonne mit Lebenskraft, also<br />
Menschenblut, wieder geheilt werden.<br />
Die Sonnenfinsternis von 1842<br />
Jakob Alt (1789-1872)<br />
Nördlicher hatten die verschiedenen indianischen<br />
Stämme zwar ganz unterschiedliche<br />
Vorstellungen davon, was am Himmel nun<br />
passieren möge, jedoch ging es dort wesentlich<br />
unblutiger zu als bei den Azteken. So<br />
glaubten manche, dass ein großer Vogel den<br />
Weg der Sonne kreuze und diese mit seinen<br />
mächtigen Flügeln verdecke. Andere meinten,<br />
Sonne und Mond würden das Geschlecht<br />
tauschen, sodass die Nacht plötzlich am Tag<br />
in Erscheinung träte. Und wiederum andere<br />
fürchteten, das Licht würde ausgehen und<br />
schossen Feuerpfeile gen Himmel, um die<br />
Sonne wieder zum Leuchten zu bringen.<br />
In der Vorstellung der Inuit wird die Sonne<br />
Malina aus Begierde vom Mond Anningan<br />
gejagt, um sie in Besitz zu nehmen. Gelingt<br />
ihm die Vergewaltigung, verfinstert sie sich<br />
für diese Zeit. Er ist so sehr davon getrieben,<br />
Malina nachzustellen, dass er sogar vergisst<br />
zu essen, was den abnehmenden Mond bis<br />
hin zum Neumond erklärt. Beide hassen das<br />
jeweils andere Geschlecht, weswegen es bei<br />
den Inuit angeblich Brauch ist, dass Männer<br />
bei einer Sonnenfinsternis nicht aus dem<br />
Haus gehen und Frauen nicht bei Neumond.<br />
Der Dichter Worte...<br />
Glücklicherweise gab es in der Vergangenheit<br />
Poeten, die es geschafft haben, uns eindrucksvolle<br />
Bilder der sich verfinsternden<br />
Sonne zu hinterlassen und ihren Empfindungen<br />
durch Worte Ausdruck zu verleihen. Einer<br />
von ihnen war Adalbert Stifter (1805-<br />
1868), der das Erlebnis der Sonnenfinsternis<br />
vom 8. Juli 1842 recht eindrucksvoll schilderte:<br />
„Wie heilig, wie unbegreiflich und wie<br />
furchtbar ist jenes Ding, das uns stets umflutet,<br />
das wir seelenlos genießen und das unseren<br />
Erdball mit solchen Schaudern zittern<br />
macht, wenn es sich entzieht, das Licht, wenn<br />
es sich nur kurz entzieht.<br />
Die Luft wurde kalt, empfindlich kalt, es fiel<br />
Tau, daß Kleider und Instrumente feucht waren<br />
– die Tiere entsetzten sich; was ist das<br />
schrecklichste Gewitter, es ist ein lärmender<br />
Trödel gegen diese todesstille Majestät – mir<br />
fiel Lord Byrons Gedicht ein: Die Finsternis,<br />
wo die Menschen Häuser anzünden, Wälder<br />
anzünden, um nur Licht zu sehen – aber auch<br />
eine solche Erhabenheit, ich möchte sagen<br />
Gottesnähe, war in der Erscheinung dieser<br />
zwei Minuten, daß dem Herzen nicht anders<br />
war, als müsse er irgendwo stehen.<br />
Byron war viel zu klein – es kamen, wie auf<br />
einmal, jene Worte des heiligen Buches in<br />
meinen Sinn, die Worte bei dem Tode Christi.“<br />
1<br />
Auch zum Zeitpunkt der Kreuzigung Christi<br />
soll also eine Sonnenfinsternis stattgefunden<br />
haben. Doch Stifter führt die Worte ein we-<br />
1 Adalbert Stifter: Lese seiner Werke, S. 274f<br />
nig anders aus, als sie in der Bibel zu finden<br />
sind. Im Matthäus-Evangelium heißt es:<br />
„Aber von der sechsten Stunde an kam eine<br />
Finsternis über das ganze Land bis zur neunten<br />
Stunde. […] Jesus aber schrie wieder mit<br />
lauter Stimme und gab den Geist auf. Und<br />
siehe, der Vorhang des Tempels zerriß in<br />
zwei (Stücke), von oben bis unten; und die<br />
Erde erbebte, und die Felsen zerrissen, und<br />
die Grüfte öffneten sich, und viele Leiber der<br />
entschlafenen Heiligen wurden auferweckt.“ 2<br />
Ähnlich düster und schrecklich erscheint uns<br />
eine Textpassage der Antike, die ein solches<br />
Naturereignis beschreiben könnte. Es geht<br />
um einige Zeilen aus Homers Odyssee und<br />
zwar um genau jene, die ich zu Beginn meines<br />
Artikels schon zitierte. Odysseus war<br />
König der Insel Ithaka und ein bekannter<br />
Held des Trojanischen Krieges. Er soll die<br />
Idee mit dem hölzernen Pferd gehabt haben,<br />
die den Griechen schlussendlich den Sieg<br />
über das mächtige Troja einbrachte. Nach einer<br />
langen Irrfahrt mit vielen Abenteuern<br />
und Prüfungen, die etwa zehn Jahre dauerte,<br />
schaffte er es nach Hause zurückzukehren<br />
und musste feststellen, dass seine Frau von<br />
Männern umgeben war, die um sie freiten,<br />
weil Odysseus schon zu lange weg gewesen<br />
war; auch waren ihm viele seiner Knechte<br />
und Mägde untreu geworden. So versteckte<br />
er sich also und plante blutige Rache. Eine<br />
Vision jener kommenden Taten beschreibt<br />
der 20. Gesang der Odyssee, in dem ein alter<br />
Seher die Rache des Odysseus mit den<br />
Schrecken einer Sonnenfinsternis vergleicht.<br />
Keiner der Freier wird der Wut des Heimgekehrten<br />
entgehen können.<br />
Von Wut, Rache und einer Sonnenfinsternis<br />
berichtet auch die letzte Geschichte, von der<br />
ich euch berichten will. Zugetragen hat sie<br />
sich im Süden der USA, als Sklaverei dort<br />
noch an der Tagesordnung war. Nat Turner,<br />
2 Matthäus 27,45-52; Bibel, Elberfelder Übersetzung
20 Natur Natur 21<br />
der Anführer einer schwarzen Befreiungsbewegung,<br />
hatte bereits eine Schar von Anhängern<br />
um sich versammelt. Jedoch war<br />
noch nicht abzusehen, wann die Gruppe den<br />
letzten Schritt zum Aufstand machen würde,<br />
bis im Februar 1831 der „schwarze Engel“<br />
am Himmel siegreich aus dem Kampf gegen<br />
den „weißen Engel“ hervorging. Dies war<br />
das himmlische Zeichen, auf das alle<br />
gewartet hatten, und die große<br />
Sklavenrevolte begann. Leider wurden sie<br />
bald durch die Miliz aufgehalten und allesamt<br />
gehenkt. Dennoch war dieser Beweis<br />
für die Macht ihres Glaubens nicht umsonst,<br />
denn ihre Tat blieb nicht ohne<br />
Nachwirkungen und zog eine ganze Reihe<br />
weiterer Aufstände nach sich.<br />
Der Endzeitgedanke im Zusammenhang mit<br />
der Verfinsterung der Sonne existierte durch<br />
alle Zeitalter bis in unsere heutige Zeit ungebrochen<br />
weiter. Nicht umsonst hat so<br />
mancher nach dem 11. August 1999 umso<br />
stärker an den Untergang de alten Welt mit<br />
dem Beginn des neuen Millenniums geglaubt.<br />
Was lernen wir daraus? Verdunkelt<br />
sich die Sonne so scheint die Zeit stillzustehen<br />
und für einen kurzen Augenblick ersterben<br />
Schöpfung und Götter. Schon so viele<br />
Welten sind untergegangen und ein Zeitalter<br />
folgte auf das andere. Aber etwas ist immer<br />
geblieben: Die Erde existiert noch, ebenso<br />
wie die Sonne.<br />
Und was sagt die Wissenschaft?<br />
Im Grunde genommen ist der Ursprung einer<br />
Sonnenfinsternis recht simpel. Die Erde<br />
dreht sich um die Sonne und der Mond um<br />
die Erde. Und wenn der Erdtrabant sich zwischen<br />
unseren Planeten und das Zentralgestirn<br />
schiebt, verdeckt der Mond die Sonne.<br />
Aber wann genau ist dies der Fall?<br />
Würde die Mondbahn in derselben Ebene<br />
liegen wie die Bahn der Erde um ihren Heimatstern,<br />
würde logischerweise immer zu<br />
Neumond eine Sonnenfinsternis stattfinden.<br />
Denn Neumond bedeutet immer, dass die<br />
sonnenabgewandte Seite des Mondes zur Erde<br />
zeigt. Daraus folgt, der Neumond steht<br />
immer zur gleichen Zeit an der gleichen Stelle<br />
wie die Sonne am Firmament. Auch wenn<br />
das mit der gleichen Stelle, exakt betrachtet,<br />
nicht ganz stimmt. Der Erdtrabant schaut von<br />
uns aus gesehen direkt zur Sonne, nur können<br />
wir ihn nicht sehen, weil sie mit ihrer<br />
blendenden Kraft alles überstrahlt und somit<br />
für uns alles andere im Weltraum unsichtbar<br />
macht, was nicht selbst stark genug leuchtet.<br />
Das in der Atmosphäre gestreute Licht tut<br />
sein übriges.<br />
Warum haben wir aber nun nicht nach jeder<br />
Lunation, einer Monddrehung, immer wieder<br />
eine Sonnenfinsternis?<br />
Die Antwort darauf ist simpel. Der Mond<br />
bewegt sich auf einer zur Erdbahn – das ist<br />
der Umlauf der Erde um die Sonne – leicht<br />
geneigten Ebene. Daraus ergibt sich, dass es<br />
nur zu einer Sonnenfinsternis kommt, wenn<br />
sich Erdbahn und Mondbahn kreuzen und<br />
gleichzeitig auch noch Neumond vorherrscht.<br />
Das kreuzen der zwei Bahnen wird<br />
auch Mondknoten genannt.<br />
Ausgehend davon erklärt es sich, warum<br />
Sonnenfinsternisse so selten auf der Erde<br />
stattfinden. Die Bahnen der Erde und des<br />
Mondes bleiben nach menschlichen Zeitmaßstäben<br />
ungefähr gleich. Folglich kann<br />
man mittels gesammelter astronomischer Daten<br />
über die Bewegungen des Mondes und<br />
der Sonne am Firmament kommende Sonnenverfinsterungen<br />
voraussagen.<br />
Diese Daten sind oftmals in Tabellen zusammengefasst<br />
und werden Finsterniszyklen<br />
genannt. Dabei wird nicht nur die Sonnenfinsternis,<br />
sondern auch ihr Gegenpart, die<br />
Mondfinsternis, und ihr Verhalten zueinander<br />
betrachtet. Die Mathematik zur Berechnung<br />
und Erklärung dieser Zyklen ist recht<br />
komplex und nicht besonders spannend.<br />
Darum möchte ich, lieber Leser, nicht unnötig<br />
weiter darauf eingehen. Es sei nur erwähnt,<br />
dass es viele verschiedene Zyklen<br />
gibt, die ineinander geschachtelt sind oder<br />
aufeinander folgen. Das Prinzip ist dabei<br />
immer das gleiche: Nach einer bestimmten<br />
Anzahl von Lunationen folgt eine Sonnenfinsternis<br />
der nächsten; jedoch fast immer<br />
auf verschiedenen Orten der Erde.<br />
Trotz dieser sich wiederholenden Reihen an<br />
Sonnenverdunklungen, sollte man nicht dem<br />
Trugschluss verfallen, dass es sich um eine<br />
rhythmische, gleich bleibende Bewegung<br />
handelt. Diese Zyklen sind nur zeitliche Ausschnitte<br />
mit einer begrenzten und ausgewählten<br />
Anzahl von Ereignissen. Für alle Finsternisse<br />
in einem sehr langen Zeitverlauf betrachtet,<br />
existiert nicht einmal ein Zyklus.<br />
Nun wissen wir, wie eine Sonnenfinsternis<br />
entsteht. Doch sind auch alle gleich? Und<br />
wie groß ist ein Bereich auf der Erde, der<br />
während einer Verdunkelung vom Mondschatten<br />
bedeckt wird? Die Antworten auf<br />
beide Fragen hängen miteinander zusammen.<br />
Die Erde ist großflächig und hat eine gekrümmte<br />
Form. Folglich verändert sich der<br />
Zielpunkt der Sichtlinie eines Menschen, der<br />
direkt zum Mond bzw. zur Sonne schaut, mit<br />
seiner örtlichen Lage. Das heißt im Klartext,<br />
wenn man am Äquator eine Sonnenfinsternis<br />
betrachtet, heißt das nicht automatisch, dass<br />
es auch zur selben Zeit vom Polarkreis aus<br />
möglich ist.<br />
Jedoch muss man, was die Möglichkeiten der<br />
Sichtungen angeht, Unterscheidungen machen.<br />
Es gibt den riesigen Halbschatten, der<br />
tausende Kilometer Durchmesser hat, und<br />
den sich darin befindlichen Kernschatten mit<br />
nur maximal 300 km Durchmesser.<br />
Der Halbschatten ist der Bereich, in dem der<br />
Mond von der Erde aus betrachtet nur einen<br />
Teil der Sonne verdeckt. Folglich ergibt eine<br />
totale Sonnenfinsternis den Kernschatten.<br />
Da nur ein kleines Gebiet unseres Planeten<br />
vom Kernschatten bedeckt wird, findet dieses<br />
besondere astronomische Schauspiel für<br />
einen lokal festgelegten Ort natürlich viel<br />
seltener statt als für den Planeten Erde als<br />
Ganzes. Wenn man aus dem Weltraum auf<br />
unseren Planeten herab sieht, kann man den<br />
Schatten des Mondes relativ häufig erspähen.<br />
Dies ist sogar in Einzelfällen mehrmals innerhalb<br />
eines Jahres möglich. Aber an ein<br />
und demselben Ort, findet eine totale Verfinsterung<br />
unseres Zentralgestirns am Himmel<br />
im Mittel nur alle 300 bis 400 Jahre statt.<br />
Jedoch gilt dies nur für eine totale Sonnenfinsternis,<br />
denn es gibt mehrere Arten von<br />
Finsternissen des Zentralgestirns am Erdenhimmel.<br />
Die am häufigsten auftretende ist<br />
die partielle Sonnenfinsternis, im Sinne einer<br />
zum Teil bedeckten Sonne. Diese Art der<br />
Finsternis hat fast jeder Mensch schon einmal<br />
in seinem Leben miterleben dürfen. Im<br />
Grunde passiert dieses Ereignis so relativ<br />
häufig, weil der Kernschatten nicht am Beobachter<br />
vorbei zieht. Man befindet sich<br />
während der gesamten Zeit nur im Halbschatten.<br />
Die Glücklichen, die zur selben<br />
Zeit am richtigen Ort sind, erleben dann eine<br />
zentrale Finsternis, da über ihnen der Kernschatten<br />
hinweg verläuft.<br />
Die zentrale Verdunkelung der Sonne dauert<br />
nur wenige Minuten, selten länger als fünf,<br />
da Mond und Erde in stetiger Bewegung<br />
sind. Davor und danach herrscht logischerweise<br />
die partielle Bedeckung vor. Die zentrale<br />
Sonnenfinsternis wird zudem in zwei<br />
weitere unterschiedliche Formen unterteilt,<br />
in die totale und die ringförmige Sonnenfinsternis.<br />
Die Sonne ist zwar viel weiter weg als der<br />
Mond, jedoch ist sie sehr groß. Von der Erde<br />
aus betrachtet sind beide Himmelskörper<br />
scheinbar gleich groß, was im Übrigen reiner<br />
Zufall ist.<br />
Nun bewegt sich der Mond auf einer elliptischen<br />
Bahn um die Erde. Wenn er weiter<br />
weg ist, erscheint er dann logischerweise<br />
auch kleiner als bei minimaler Nähe. Ist der<br />
scheinbare Durchmesser des Mondes zu<br />
klein, kann er nicht die gesamte Sonne bedecken.<br />
Auch nicht wenn er genau im Mond-
22 Natur Natur 23<br />
knoten und damit im Zentrum der Tagesspenderin<br />
steht. Was man dann wahrnimmt,<br />
ist eine dunkle schwarze Scheibe, die von<br />
einem dünnen, aber grellen Ring umgeben<br />
ist. Dieses Ereignis nennt man dann ringförmige<br />
Finsternis. Ist die Sonne vollständig<br />
verdunkelt, handelt es sich um eine totale<br />
Finsternis. Die ringförmigen dauern darüber<br />
hinaus etwas länger als die totalen Sonnenfinsternisse,<br />
was einfach nur eine Folge des<br />
längeren augenscheinlichen Weges der Bewegung<br />
des Erdtrabanten an der Sonnenscheibe<br />
vorbei ist, da er am Himmel kleiner<br />
erscheint. Auch ist im geringen Maße das<br />
zweite Kepler'sche Gesetz mitverantwortlich<br />
für den längeren Weg des Mondes: Je weiter<br />
der Mond von der Erde entfernt ist, umso<br />
langsamer ist seine Geschwindigkeit.<br />
Zusätzlich gibt es noch die Art der eigentlichen<br />
partiellen Sonnenfinsternis. Diese ist in<br />
dem Sinne zu verstehen, dass der Kernschatten<br />
gar nicht die Erde berührt, sondern vorbeieilt.<br />
Jedoch ist der Halbschatten mit seinen<br />
tausenden Kilometern so groß, dass er<br />
immer noch den blauen Planeten erreicht.<br />
Solche Ereignisse finden nur in Polnähe<br />
statt, da die Ekliptik immer grundsätzlich<br />
Richtung Äquatornähe zeigt und somit die<br />
Polkappen den äußeren Rand der Erde darstellen.<br />
Die Ekliptik ist die scheinbare Bewegung<br />
der Sonne um die Erde.<br />
Bei Neumond steht der Erdtrabant dann aus<br />
dem Blickwinkel des Äquators zu weit über<br />
oder unter der Sonne.<br />
Jetzt wissen wir alles Wesentliche, was es<br />
über die Sonnenfinsternis als solches zu erfahren<br />
gibt. Doch zeigen sich während diesem<br />
seltenen Naturschauspiel einige interessante<br />
Erscheinungen. Das aus meiner Sicht<br />
faszinierendste Phänomen ist ironischerweise<br />
die mit bloßem Auge nicht ohne weiteres<br />
wahrnehmbare Bahnkrümmung von Licht.<br />
Bei einer Sonnenfinsternis, insbesondere der<br />
totalen, kommt es zu einer starken Verfinsterung<br />
des Himmels, vergleichbar mit einer<br />
fortgeschrittenen Abenddämmerung. Der<br />
Horizont leuchtet dann in orange bis roter<br />
Farbe und der Rest des Himmels ist tief dunkelblau<br />
gefärbt. Helle Fixsterne und sich am<br />
Firmament befindliche Planeten werden urplötzlich<br />
sichtbar. Hinzu kommt noch urplötzliche<br />
Kälte. Die Pflanzen- und Tierwelt<br />
reagiert sogar auf diese Helligkeits- und<br />
Temperaturverringerung, als würde die<br />
Nacht hereinbrechen.<br />
Weitere Effekte treten vor allem wenige Sekunden<br />
kurz vor der totalen Verdunkelung<br />
des großen Feuerballs auf, wenn nur noch eine<br />
sehr dünne Sichellinie der Sonne erkennbar<br />
ist. Dann kommt es zum Perlschnur- oder<br />
Diamantenringeffekt. Auf der noch sichtbaren<br />
Linie erscheinen kleine Leuchtpunkte,<br />
die sich vom Rest abheben. Ihre Entstehung<br />
ist eine Folge der zerklüfteten und mit tiefen<br />
Kratern übersäten Mondlandschaft. Es ist<br />
vergleichbar mit einem Sonnenuntergang<br />
hinter einem Gebirge. An den Stellen wo<br />
sich Täler befinden, ist die Sonne noch<br />
sichtbar, die Berge jedoch verstecken sie hinter<br />
sich.<br />
Eine andere Auswirkung, die zur selben Zeit<br />
auftritt wie der Perlschnureffekt, wird fliegende<br />
Schatten genannt. Die Sonnensichel ist<br />
zu diesem Zeitpunkt extrem dünn, fast rein<br />
eindimensional. Sie beginnt zu flackern, wie<br />
es normalerweise nur die Fixsterne am Firmament<br />
der Nacht tun. Da die Sichel jedoch<br />
viel heller ist, sieht man das Flackern sogar<br />
indirekt an Schattenspielen, die auf dem Boden<br />
oder Wänden stattfinden. Wenn Licht<br />
das Übertragungsmedium wechselt, wird es<br />
gebrochen. Dies kommt zum Beispiel vor,<br />
wenn die Lichtstrahlen von der Luft ins<br />
Wasser gelangen und umgekehrt. Das Bild<br />
erscheint uns plötzlich verzerrt. Wenn nun<br />
Wellen über das Wasser gleiten, beginnt es<br />
sogar zu flackern.<br />
Ähnlich verhält es sich mit Licht, das aus<br />
dem Weltraum zu uns gelangt. Es geht vom<br />
Medium des Vakuums in das Medium der<br />
Luft über. Nun werden die Lichtwellen<br />
gebrochen. Da aber die Atmosphäre in ständiger<br />
Bewegung ist und ihr Druck sich von<br />
Ort zu Ort ändert, wird das Licht zeitlich und<br />
örtlich lokal immer wieder neu gebrochen<br />
und geht dabei unterschiedliche Wege. Eine<br />
Folge davon ist der Fakt, dass bestimmte<br />
Stellen am Boden kurzzeitig weniger beleuchtet<br />
werden als andere. Und genau dies<br />
ist der Grund für die fliegenden Schatten und<br />
im Übrigen auch für das Flackern von Sternen.<br />
Jedoch kann dies nur funktionieren,<br />
wenn ein leuchtendes Objekt am Himmel<br />
nicht in Form einer Fläche ausgedehnt ist,<br />
wie es beispielsweise bei Planeten der Fall<br />
ist. Die Sichel muss also schon besonders<br />
dünn am Himmel sein; so wie kurz vor Beginn<br />
der totalen Sonnenfinsternis.<br />
Wenn dann aber die totale Finsternis begonnen<br />
hat, tritt endlich das größte aller Wunder<br />
auf und die Sonne offenbart ihren Rand, die<br />
Korona, jene Strahlenkrone der schwarzen<br />
Sonne. Normalerweise ist unser Heimatstern<br />
ja so hell, dass wir seine zu schwach leuchtende<br />
Oberfläche nicht sehen können. Nun<br />
aber erscheinen kleine rote Flecken direkt an<br />
der Grenze des Mondschattens, umgeben von<br />
einem weißen, nebelähnlichen Gebilde.<br />
Dies sind die mächtigen und lebensspendenden<br />
Materieströme der Sonne, die bis tief ins<br />
All herausragen. Der weiße, diffuse Ring jedoch<br />
stellt die Atmosphäre der Sonne dar.<br />
Vor allem jene Korona gilt neben dem<br />
schwarzen Mondschatten als Sinnbild einer<br />
Sonnenfinsternis, wunderschön und schrecklich<br />
zugleich, pulsierend vor Leben und Fanal<br />
der Endzeit. Verfinstert sich die Sonne,<br />
so glaubt die Seele des Menschen Kräfte am<br />
Werk, die jenseits unserer Götter, unserer<br />
Welt und Vorstellungskraft sind.<br />
Ally<br />
Quellen:<br />
Die Bibel, Elberfelder Übersetzung, Paderborn<br />
2005.<br />
J. P. McEvoy: Sonnenfinsternis. Die Geschichte<br />
eines Aufsehen erregenden Phänomens,<br />
Berlin, 2001.<br />
J. Osterkamp: Wann die Sonne erlosch,<br />
www.spektrum.de, 23.06.2008.<br />
C. Schlatter: Wenn plötzlich das Licht ausbleibt<br />
– Deutung und Wahrnehmung des<br />
Phänomens der Sonnenfinsternis im Laufe<br />
der Menschheitsgeschichte, Lausanne, 1999<br />
A. Stifter: Lese seiner Werke, Düsseldorf<br />
1947.<br />
G. Vanin: Große Kosmische Phänomene,<br />
Kometen, Sternschnuppen, Sonnen- und<br />
Mondfinsternisse, Augsburg, 1998.<br />
A. Walker: Sonnenfinsternisse und andere<br />
faszinierende Erscheinungen am Himmel,<br />
Basel, 1999.<br />
Sonnenfinsternis über dem Pazifik, 1883<br />
Étienne Léopold Trouvelot (1827-1895)
24 Erziehung Erziehung 25<br />
Die Flammen brennen...<br />
Sieh, wie sie ineinanderlohen!<br />
Sie züngeln und tanzen, eine im anderen<br />
Sein.<br />
Verglühen zu Asche, doch keine für sich allein.<br />
Wie sie sich umschlingen, innig durchdringen,<br />
mit heißem Verlangen, sich verzehren im<br />
andern.<br />
Erfüllung in Farben aus Himmelsgeschick,<br />
lichtvoll, ihr Tanz. Liebe im Glück.<br />
Heidemarie Chaerling<br />
I<br />
m Artikel über den Frühling habe ich<br />
mich darauf konzentriert, mit Kindern<br />
die durchaus geheimnisvollen Vorgänge in<br />
der Natur zu erleben. Wenn der junge<br />
Mensch gleichzeitig Staunen, Freude und<br />
Respekt gegenüber der Umwelt lernt, wird er<br />
wahrscheinlich auch als Erwachsener verantwortungsvoll<br />
mit Stein, Wasser und Tier<br />
umgehen. Selbstverständlich ist das Erleben<br />
zum Beginn des Jahres auch in der Mitte des<br />
Jahreskreises mit der gleichen Leichtigkeit<br />
umzusetzen. Der Sommer beinhaltet wie<br />
keine andere Zeit, dass man sich außerhalb<br />
der eigenen vier Wände aufhält. Wenn man<br />
im Frühjahr das Erwachen der Natur mit<br />
dem Nachwuchs bewundert hat, kann man<br />
im Sommer die Fülle und Pracht auf dieselbe<br />
Weise genießen. Die Erziehung funktioniert<br />
wie der Jahreskreis; wenn man gut gesät hat,<br />
erlebt man recht bald, wie die Saat aufgeht<br />
und Blüten und Früchte hervorbringt.<br />
Ich möchte es hierbei eigentlich bewenden<br />
lassen und an der Stelle auf einige Qualitäten<br />
des Sommers und seines Elementes, also des<br />
Feuers, eingehen, von denen ich es unendlich<br />
wichtig finde, dass Kinder diese erfahren<br />
und erleben.<br />
Pagane Erziehung<br />
Das Feuer – der Sommer<br />
Die Inspiration<br />
Feuer kann sterben. Es ist leicht, ein Flämmchen<br />
oder Glut gewaltsam zu löschen. Am<br />
häufigsten erstickt man Feuer entweder mit<br />
Wasser oder mit etwas Gegenständlichem,<br />
zum Bespiel mit Sand oder einer Decke. Das<br />
Ergebnis ist immer gleich, der Sauerstoff, also<br />
die Luft, wird entzogen. In einer Feuerstelle<br />
genügt es, dem Feuer die Nahrung vorzuenthalten.<br />
In Bezug auf das Feuer der Inspiration, der<br />
Flamme, die Ideen gebiert, kann man das<br />
eins zu eins übersetzen. Ideen kann man ersticken<br />
und kindliche Inspiration wird allzu<br />
oft übersehen oder mit einer Floskel abgetan.<br />
Wasser, welches das innere Feuer löscht,<br />
steht hier für Gefühle wie Zweifel, Angst<br />
und Kleinmut. Ein Kind, welches gelernt hat,<br />
dass ihm nicht zugehört wird, wird kaum die<br />
nötige Energie für Kreativität aufbringen<br />
können. Genauso verhält es sich, wenn dem<br />
Nachwuchs klar ist, dass die finanziellen<br />
Mittel, also die Erde, für die Umsetzung fehlen.<br />
Aber das Überschütten mit materiellen<br />
Mitteln, hier meine ich Geschenke und Süßigkeiten<br />
statt Zeit und Aufmerksamkeit,<br />
wirkt beinahe noch tödlicher auf das innere<br />
Flämmchen.<br />
Um die Fantasie, die Kreativität und damit<br />
die Inspiration zu wecken, braucht es Impulse<br />
und Förderung.<br />
Das bedeutet konkret, dass gute Ideen und<br />
Ansätze des Kindes erkannt werden sollten<br />
und dann auch unterstützt werden müssen.<br />
Daher ist es in jedem Fall als Erstes nötig,<br />
sich mit den Meinungen des Kindes auseinanderzusetzen<br />
und sich auszutauschen, anstatt<br />
jede kindliche Inspiration als Flause abzutun.<br />
Nur durch die Kommunikation und<br />
das Beschäftigen mit den Ideen, ist es möglich,<br />
gemeinsam zu erkennen, welche Einfälle<br />
der Umsetzung wert sind.<br />
Kinder können durch Motivation, Orientierungshilfen<br />
und aktive Zusammenarbeit ihre<br />
eigene Zielstrebigkeit entdecken. Schließlich<br />
ist das die Grundlage, um den Willen des<br />
Kindes herauszubilden und wachsen zu lassen.<br />
Der Wille<br />
Lebendiges Feuer ist wie ein Raubtier. Sobald<br />
es die Gelegenheit bekommt, wird es<br />
ungestüm, wild und unberechenbar. Eine<br />
scheinbar zahme Kerzenflamme kann zum<br />
Inferno werden, die Glut einer weggeworfenen<br />
Zigarette ist in der Lage einen Flächenbrand<br />
auszulösen und das Feuer der wärmenden<br />
Sonne zerstört in trockenen Zeiten<br />
ganze Ernten.<br />
Ebenso verhält es sich mit dem Feuer, das<br />
jedem von uns innewohnt. Es benötigt Nahrung<br />
und Ziele, damit es wachsen und nützen<br />
kann.<br />
Willensstarke Kinder sind ein Geschenk. Sie<br />
sagen ihre Meinung, streiten schon mal um<br />
Grundsätze, sind meistens konzentriert und<br />
geben sich später in der Schule zielstrebig.<br />
Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt haben,<br />
versuchen sie es durchzusetzen.<br />
Wenn man den Kleinen beigebracht hat, dass<br />
es sich lohnt, etwas wirklich zu wollen, wird<br />
es ihnen später gelingen, ihren Willen zu artikulieren<br />
und das Ziel dabei nicht aus den<br />
Augen zu verlieren. Dazu gehört aber, dass<br />
flüchtige Wünsche nicht sofort erfüllt werden,<br />
sondern dass man dem Nachwuchs früh<br />
beibringt, dass die Erfüllung des Willens mit<br />
Zielstrebigkeit und Anstrengung verbunden<br />
ist, die für sich selbst schon Freude bereitet.<br />
Ich versuche es einmal zu verdeutlichen.<br />
Das kleine Kind wünscht sich ein besonderes<br />
Spielzeug. Nun wäre es fatal, loszulaufen<br />
und das Gewünschte einfach zu besorgen.<br />
Geschähe das, wäre die Freude der meisten<br />
Kinder oft nur von kurzer Dauer und bald<br />
würde der nächste Wunsch formuliert. Viel<br />
besser wäre es kindgerecht zu erklären, wie<br />
das Spielzeug hergestellt wird, aus welchen<br />
Rohstoffen es besteht und was für eine Leistung<br />
erbracht werden muss, bis der Gegenstand<br />
im Ladenregal steht. Als nächstes kann<br />
man mit dem Kind (auch außerhalb von<br />
Weihnachten) einen aufwendigen Wunschzettel<br />
basteln. Das darf ruhig ein paar Tage<br />
in Anspruch nehmen. Manchmal kann es<br />
hilfreich sein, etwas Zubehör zu schaffen.<br />
Soll es eine besondere Puppe sein, kann man<br />
dem Nachwuchs sagen, das eine Puppe auch<br />
ein Bettchen benötigt und jenes zunächst<br />
gemeinsam zu basteln. Auf diese Weise lehrt<br />
man das Fokussieren und natürlich auch die<br />
Wertschätzung und ganz nebenbei wird der<br />
Nachwuchs nicht auf die Idee kommen, im<br />
Supermarkt wegen irgendwelcher Wünsche<br />
zu quengeln.<br />
Kinder sollten lernen, dass es sich lohnt, etwas<br />
wirklich zu wollen. Und sie sollten unbedingt<br />
lernen, dass die Umsetzung des Willens<br />
Aufmerksamkeit benötigt.<br />
Ich möchte unbedingt noch erwähnen, dass<br />
es ganz wichtig ist, den Willen der Kleinen<br />
zu fördern. Erwachsene müssen zuhören,<br />
Kinder regelmäßig nach ihrer Meinung fragen<br />
und diese auch unterstützen. Natürlich<br />
ist es auch in der Verantwortung der Großen,<br />
dem Nachwuchs frühzeitig beizubringen,<br />
was der Unterschied zwischen einem flüchti-
26 Erziehung Biene 27<br />
gen Wunsch und etwas wirklich Gewolltem<br />
ist.<br />
Ganz beiläufig lernen Kinder auf diese Weise<br />
die Grundlagen allen magischen Wirkens.<br />
Das Feuer der Liebe<br />
Ich halte es für überflüssig, an dieser Stelle<br />
auf die Liebe zwischen Eltern und Kindern<br />
einzugehen, und schon gar nicht soll es hier<br />
um leidenschaftliche Liebe gehen.<br />
Die meisten Heiden haben, bei allen Diskrepanzen,<br />
doch eines gemeinsam: Mehrheitlich<br />
verstehen sie sich als Teil eines Ganzen, sehen<br />
sich nicht als Krone, sondern als ebenbürtiger<br />
Bestandteil der Schöpfung und viele<br />
von ihnen glauben an die Immanenz des<br />
Göttlichen. Daraus schließt oft, dass die<br />
Welt von Liebe durchdrungen ist und dass<br />
die Liebe der Ursprung alles Lebendigen ist.<br />
Die meisten Kinder lieben die sie umsorgenden<br />
Erwachsenen von ganz allein. Später, in<br />
der Pubertät sorgen Hormone für den Funken,<br />
der die partnerschaftliche Liebe entfacht.<br />
Allumfassende Liebe jedoch, optimalerweise<br />
verbunden mit Verantwortung und Respekt<br />
für die natürliche Umwelt wird nicht in die<br />
Wiege gelegt. Dazu kommt, dass jenes zu<br />
lehren ein wenig ein Kunststück ist. Die<br />
Liebe ist zwar ein Gefühl, aber ausgedrückt<br />
wird sie mit sichtbaren Taten, denn sonst erfährt<br />
sie keine Erfüllung. Lippenbekenntnisse<br />
helfen gerade in der Erziehung wenig.<br />
Und wenn gestresste Erwachsene über unliebsame<br />
Nachbarn, die politische Situation,<br />
das Wetter, den Pollenflug oder eine Insektenplage<br />
schimpfen, dann schaut sich der<br />
Nachwuchs eben genau das ab. Mir ist klar,<br />
dass man nicht immer lächelnd durch die<br />
Welt laufen kann, allerdings wird man Kindern<br />
mit schlechter Laune, geäußerten Sorgen<br />
und Ärger eher kein Bild von freundlichen<br />
Göttern und Geistern und einer Ganzheit<br />
der Lebendigen beibringen können.<br />
Wahrscheinlich sind wir diesbezüglich allesamt<br />
am Lernen.<br />
Im Rahmen dieses Artikels unterhielt ich<br />
mich mit Freunden über das Thema. Erstaunlicherweise<br />
bezeichneten sie gerade diese<br />
Liebe als ein Ideal, welches sehr schwierig<br />
umzusetzen sei. Aber vielleicht tun wir uns<br />
einfach nur schwer damit, täglich ein bisschen<br />
Wärme in unsere Welt zu lassen. Wenn<br />
wir uns morgens vor dem Spiegel freundlich<br />
zunicken, den neuen Tag mit guten Gedanken<br />
begrüßen, auch Fremde mit unserem Lächeln<br />
beschenken und fest daran glauben,<br />
dass das Leben ein kostbares Geschenk ist,<br />
dann holen wir das Feuer der Liebe in unsere<br />
eigenen Herzen, von dort aus in die Familie<br />
und schließlich kann es zum Herdfeuer werden,<br />
dass unsere ganze Umgebung wärmt.<br />
Nun hat das meiste mit dem Sommer gar<br />
nichts zu tun gehabt. Das macht aber gar<br />
nichts, denn Cäsar Otto Hugo Flaischlen<br />
(1864-1920) forderte schon zu Recht auf:<br />
Hab Sonne im Herzen,<br />
ob's stürmt oder schneit,<br />
ob der Himmel voll Wolken,<br />
die Erde voll Streit!<br />
Hab Sonne im Herzen,<br />
dann komme, was mag!<br />
das leuchtet voll Licht dir<br />
den dunkelsten Tag!<br />
cLEO<br />
Tiere in den Mythen<br />
„Wenn die Biene von der Erde verschwindet,<br />
dann hat der Mensch nur noch vier Jahre zu<br />
leben.“<br />
(Albert Einstein)<br />
I<br />
n meinem folgenden Artikel möchte ich<br />
die Leser gern über die Bienchen und die<br />
Blümchen aufklären. Vielleicht fragt ihr euch<br />
jetzt, wie ich darauf komme, denn dieser<br />
Ausdruck hat ja eher etwas mit der Aufklärung<br />
über das Sexualleben zu tun. Und genau<br />
darauf möchte ich auch unter anderem hinaus.<br />
Ich möchte ebenfalls erklären, was der<br />
Unterschied zwischen einem B-Movie und<br />
dem Bee-Movie ist, in welchem Zusammenhang<br />
diese kleinen, fleißigen Insekten mit<br />
der Göttin Aphrodite stehen, welche Rolle<br />
der Pariser Parfümeur Pierre-Francois-Pascal<br />
Guerlain spielt, warum die Geschichten der<br />
Biene Maja und der Biene Sonnenstrahl für<br />
Kinder äußerst wichtig sind und warum die<br />
Pharaonen die Bienen aufs Höchste verehrt<br />
haben.<br />
„Einst ward Eros, der Dieb, von den zornigen<br />
Bienen gestochen,<br />
Als er Honig aus dem Korb entwendete. Vorn<br />
an den Händen<br />
Hatten sie all' ihm die Finger durchbohrt; er<br />
blies sich die Hände<br />
Schmerzvoll, sprang auf den Boden und<br />
stampfte.<br />
Jetzo der Kypris<br />
Zeigt' er das schwellende Weh und jammerte,<br />
dass so ein kleines<br />
Die Biene<br />
Tierchen die Biene nur sei und wie mächtige<br />
Wunden sie mache.<br />
Lächelnd die Mutter darauf: ´Bist du nicht<br />
ähnlich dem Bienlein?<br />
Schau, wie klein du bist und wie mächtige<br />
Wunden du machest.´“<br />
(„Der Honigdieb“ von Theokrit, geboren um<br />
270 v. u. Z. aus Theokrits Idyllen)<br />
Zu Beginn möchte ich euch etwas über die<br />
Dunkle Biene erzählen. Die Apis Mellifica<br />
Syriaca war nämlich die ursprünglich heimische<br />
Honigbiene in Europa. Die Bienen, die<br />
wir heute bei uns sehen, sind sogenannte<br />
Fremdbienen, welche hier in Europa seit ungefähr<br />
150 Jahren gezüchtet werden. Diese<br />
Bienen stammen ursprünglich aus dem Süden,<br />
werden dementsprechend Südbienen<br />
genannt, während die Dunkle Biene Namen<br />
wie zum Beispiel Schwarzbiene, Heidebiene,<br />
Nordrasse oder auch Nordbiene trägt. Der<br />
Chitinpanzer der Dunklen Biene ist schwarz,<br />
gelbe Streifen können wir an ihr nicht finden.<br />
Sie hat im Vergleich zu den Südbienen einen<br />
kurzen Rüssel und recht langes, braunes Ü-<br />
berhaar, lässt sich demzufolge von den Südbienen<br />
sehr leicht unterscheiden. Leider ist<br />
die Dunkle Biene bei uns so gut wie ausgerottet,<br />
da sie durch die Nachzuchten der Südbienen<br />
aus ihrem Heimatgebiet vertrieben<br />
wurde. Heute finden wir sie nur noch fleckchenweise<br />
in Europa vor.<br />
Der Honig, den die Bienen herstellen, wird<br />
auch „Nektar der Götter“ genannt. Schon die<br />
alten Ägypter waren von ihnen so begeistert,<br />
dass in vielen königlichen Protokollen der
28 Biene Biene 29<br />
Name des jeweiligen Pharaos mit dem Titel<br />
„n-swt-bit“ („der der Binse und der Biene<br />
angehört“) begann. Hierbei muss ich erläutern,<br />
dass die Binse das Wahrzeichen für<br />
Oberägypten und die Biene das Symbol für<br />
Unterägypten war. Die Hieroglyphe für das<br />
Wort „König“ stellte bei den Ägyptern eine<br />
Biene dar, solch große Verehrung wurde ihr<br />
entgegengebracht. Bei meinen Recherchen<br />
bin ich auf das Wort „bit“ und viele ähnliche<br />
Wörter gestoßen: dem englischen „bee“,<br />
dem althochdeutschen „bini“, dem schwedischen<br />
„bi“ und dem niederländischen „bij“.<br />
Im Herkunftswörterbuch des Duden ist nicht<br />
geklärt, ob diese Worte alle etwas miteinander<br />
zu tun haben, jedoch konnte ich dort folgendes<br />
herausfinden: „Die starken Abweichungen<br />
dieser Formen […] beruhen vermutlich<br />
auch auf tabuistischen Entstellungen.<br />
Die Biene war früher ein wichtiges<br />
Jagdtier, das wegen des Honigs sehr geschätzt<br />
war und durch Nennung des richtigen<br />
Namens nicht vertrieben werden durfte.“<br />
Doch bevor ich mich noch weiter mit<br />
der Äquivalenz des Wortes „bit“ in anderen<br />
Sprachen aufhalte, möchte ich wieder auf die<br />
Ägypter zu sprechen kommen. Es wurde bereits<br />
auf Reliefs, die aus der Zeit der fünften<br />
Dynastie kommen, Darstellungen von Imkern<br />
entdeckt. Diese Reliefs stammen aus<br />
dem Sonnenheiligtum des Niweserra (2445-<br />
2421 v. u. Z.) in Aru Gurab. Die Ägypter<br />
kannten sich schon vor fünftausend Jahren<br />
mit der Bienenzucht aus und hielten sich die<br />
gelbschwarzen Insekten in Tonröhren, mit<br />
denen die Imker von Gebiet zu Gebiet wanderten,<br />
um somit den Honigertrag zu steigern.<br />
Der Kriegsgöttin Neith wurde ein<br />
Tempel errichtet, dem die Ägypter den Namen<br />
„Sais per-bit“ („Haus der Bienen“)gaben.<br />
Im „Papyrus der Zeichen“, einer<br />
Sammlung von Hieroglyphen und vielen<br />
Kommentaren zu diesen, ist die Biene das<br />
erste Zeichen, welches dort auftritt, ebenso<br />
finden wir viele Bienendarstellungen auf<br />
Wandmalereien in Tempeln und Palästen,<br />
Statuen und Grabmälern. Honigkuchen waren<br />
in Ägypten ein sehr beliebtes Opfer für<br />
die Götter, um diese zu beschwichtigen. Die<br />
Ägypter konservierten ihre Toten mit Propolis,<br />
was auch Bienenharz, Bienenschleim o-<br />
der auch Kittwachs genannt wird. Propolis<br />
ist ein Produkt, mit dem die Bienen zum Beispiel<br />
die Innenwände der Wabenzellen<br />
hauchdünn auskleiden. Sie kapseln damit<br />
auch Fremdkörper im Bienenstock ab, die sie<br />
aus eigener Kraft nicht entfernen können. Jedoch<br />
konservierten nicht nur die Ägypter ihre<br />
Verstorbenen in einem von Bienen hergestellten<br />
Produkt. Auch von den Assyrern<br />
wissen wir, dass sie ihre Toten mit Hilfe von<br />
Honig präpariert haben. Die anspruchslosen<br />
Spartaner konservierten so lediglich ihre Könige,<br />
als Zeichen hoher Verehrung, die sie<br />
ihnen entgegenbrachten.<br />
Heute wird Propolis äußerst vielschichtig<br />
verwendet, da es antibiotisch, antimykotisch<br />
und antiviral wirkt. Wegen dieser und seiner<br />
zur Wundheilung beitragenden Eigenschaften<br />
wird es bei Entzündungen der Haut, Pilzinfektionen,<br />
Ekzemen, Schürfwunden und<br />
leichten Schleimhautentzündungen benutzt.<br />
Ebenso soll Propolis bei rheumatischen Beschwerden<br />
– dies ist allerdings umstritten –<br />
und zur Vorbeugung vor Erkältungskrankheiten<br />
helfen. Der berühmte griechische Arzt<br />
Hippokrates (460-370 v. u. Z.) schätzte den<br />
Honig aufs Äußerste als Heilmittel bei Fieber,<br />
zur Wundbehandlung und auch als Unterstützung<br />
bei Diäten.<br />
Ich muss an dieser Stelle anmerken, dass die<br />
alten Chinesen nicht nur den Honig als<br />
Heilmittel ansahen. Der Stich der Bienen inspirierte<br />
sie auf dem Gebiet der Akupunktur.<br />
Ursprünglich war der Stich einer Biene für<br />
die Chinesen sogar eine Art Initiation in<br />
mystische Erkenntnisse und Einsichten.<br />
Honig spielte auch als Fruchtbarkeitssymbol<br />
eine erhebliche Rolle.<br />
In Indien zum Beispiel musste in dem Raum,<br />
in welchem eine Hochzeitszeremonie stattfinden<br />
sollte, eine Schale mit Honig stehen<br />
und war dort demzufolge ein fester Bestandteil<br />
von Hochzeitszeremonien.<br />
Auf meiner Suche nach Informationen bin<br />
ich natürlich auch auf das Wort „Honigmond“<br />
oder auch „honeymoon“ gestoßen.<br />
Dieses Wort bedeutet nichts anderes als<br />
„Hochzeitsreise“, jedoch hatte der Honigmond<br />
früher rein gar nichts mit Reisen zu<br />
tun. Er bezeichnete viel mehr den Zeitraum<br />
des Zyklus der Frau im Monat Mai, dem<br />
Monat der Liebe. Es hieß, wenn man den<br />
Wunsch nach Kindern verspürt, solle man sie<br />
möglichst in diesem Zeitraum zeugen, denn<br />
dann, so hieß es jedenfalls, kommen gesunde<br />
und starke Kinder zur Welt. Bei meiner Suche<br />
in den schier unendlichen Weiten des Internets<br />
bin ich auf unzählige Hotels und<br />
Wellness-Zentren gestoßen.<br />
Es hieß ebenso, dass ein Gemisch aus Honig<br />
und Menstruationsblut das Liebeselixier<br />
schlechthin sei. Die griechische Göttin der<br />
Liebe, Aphrodite, stellte laut Mythos zusammen<br />
mit ihren heiligen Bienenbegleitern<br />
einen Nektar her, welcher Unsterblichkeit<br />
verlieh. Andererseits trug sie auch den<br />
Beinamen Meiboía (Bienenkönigin), unter<br />
welchem sie ihre äußerst zahlreichen Liebhaber<br />
erst kastrierte und dann durch Aussaugen<br />
tötete.<br />
Die Götter der Homerischen Sagenwelt und<br />
ebenso die Götter im germanischen Mythos<br />
tranken Met, der ihnen Macht, Stärke und Inspiration<br />
verlieh. Der germanische Göttervater<br />
Odin (Wodan) trank häufig und gern Met;<br />
darüber gibt es unzählige Geschichten. Der<br />
Met der Dichtkunst wurde bei den Germanen<br />
„Odrörir“ genannt. Ich möchte hier nur kurz<br />
anreißen, wie dieser heilige Met entstanden<br />
ist. Die Asen und die Wanen befanden sich<br />
im Krieg und als sie endlich einen Friedensvertrag<br />
schlossen, spuckten alle Beteiligten<br />
schlussendlich in ein Gefäß. Aus dieser Ansammlung<br />
von Speichel schufen sie einen<br />
Mann namens Kvasir, der als der weiseste<br />
unter den Menschen bekannt wurde, da es<br />
wirklich keine Frage gab, die dieser nicht beantworten<br />
konnte. Kvasir begab sich irgendwann<br />
auf eine lange Reise und begegnete<br />
den beiden Zwergen Fjalarr (Verberger) und<br />
Galarr (Brüller). Diese beiden habgierigen<br />
Burschen erschlugen Kvasir kurzerhand, als<br />
sie mitbekamen, wen sie denn da bewirteten.<br />
Sein Blut ließen sie in drei Krüge fließen,<br />
mischten Honig und einige Früchte dazu und<br />
aus diesem Gebräu wurde dann Odrörir, das<br />
Getränk, welches jeden zu einem Dichter<br />
und Weisen machte, der in seinen Genuss<br />
kam. Dieser Met gelangte über Umwege<br />
schließlich zum Riesen Suttung, welcher das<br />
Gebräu seiner Tochter anvertraute, damit sie<br />
darüber wachen möge. Doch schlussendlich<br />
gelang es Odin, diesen Met zu entwenden<br />
und ihn zu den Asen zurückzubringen.<br />
Bei den Römern und den Griechen galt das<br />
Land der Germanen sicherlich nicht als<br />
schön, sondern eher als wild und barbarisch.<br />
Die Germanen hatten jedoch äußerst viele<br />
und große Wälder, die ihnen heilig waren.<br />
Besonders verehrte Bäume waren Eschen<br />
und Eichen und die Linde galt als Honigbaum<br />
schlechthin. Die Germanen brachten in<br />
abgesägten Baumklötzen die Waldbienen zu<br />
sich nach Hause auf die Höfe und pflegten<br />
sie dort. Der griechische Seefahrer Pytheas<br />
(um 380-310 v. u. Z.) entdeckte auf seiner<br />
Entdeckungsreise, die er von den britischen<br />
Inseln aus startete, an der deutschen Nordseeküste<br />
erstmals Menschen, welche Met<br />
brauten und sich Honig auf das Brot<br />
schmierten.<br />
Doch auch in der Geschichte des Christentums<br />
können wir die fleißigen Bienen recht<br />
häufig finden. In der Bibel wird die Biene als<br />
das einzige Lebewesen angesehen, welches<br />
unverändert aus dem Garten Eden übrig<br />
geblieben ist. In den mittelalterlichen walisischen<br />
Gesetzen hieß es: „Der Ursprung der<br />
Bienen liegt im Paradies, und aufgrund der
30 Biene Biene 31<br />
Sünde des Menschen kam sie von dort, und<br />
Gott gab ihnen seinen Segen, und darum<br />
kann die Messe nicht ohne Wachs gesprochen<br />
werden.“ 1<br />
Ich fand noch zwei erwähnenswerte Stellen<br />
in der Bibel, die von den Bienen handeln,<br />
jedoch genießen sie hier einen recht zerstörerischen<br />
und gefräßigen Ruf (Jesaja 7:18,<br />
Psalm 118:12) und werden von Gott als Strafe<br />
auf die Menschheit losgelassen.<br />
Einen christlichen Hintergrund haben auch<br />
die sogenannten „Bienensegen“. Die meisten<br />
dieser Segenssprüche stammen aus dem<br />
19. Jahrhundert und aus Norddeutschland. In<br />
einem dieser Sprüche wünscht man sich:<br />
„[...] Den Honig für Menschenspeis,<br />
Das Wachs zu Gottes Ehr und Preis.“<br />
Ein anderer lautet wie folgt:<br />
„Bien und Wies<br />
setzt euch an Baum und Ries<br />
setzt euch an Lov und Gras<br />
und traget ein Honig und Wachs.“ 2<br />
Wegen ihrer vermeintlich ungeschlechtlichen<br />
Fortpflanzung wurde die Biene für die<br />
Kirche zu einem Sinnbild für Keuschheit<br />
und Jungfräulichkeit. Ebenso stand sie für<br />
die jungfräuliche Geburt Jesu.<br />
Auf meiner Suche nach Informationen, wie<br />
es denn mit der Beliebtheit der fleißigen,<br />
kleinen Insekten heute steht, bin ich auf etwas<br />
äußerst Spannendes gestoßen: Auf dem<br />
Dach der Pariser Oper befindet sich ein Bienenstock,<br />
der von einem Bühnenarbeiter eingerichtet<br />
wurde. Diesen privilegierten Bienen<br />
stehen alle Parks, Friedhöfe und Gärten<br />
der Stadt zur Verfügung. Nebenbei erwähnt,<br />
dauert in Paris die Blütezeit etwas länger als<br />
auf dem Land, da es in dieser großen Stadt<br />
um ein paar Grad Celsius wärmer ist. Der<br />
Honig, den diese Bienen produzieren, wird<br />
1 Aus: Jacob Streit: „Das Bienenbuch“, Verlag Freies<br />
Geistesleben, 11. Auflage, 2007<br />
2 Aus: Weimarer Schriften: „Von Bienen und Beuten. Das<br />
Deutsche Bienenmuseum in Weimar (Jubiläumsschrift),<br />
Weimar 2007<br />
unter anderem nicht gerade günstig im berühmten<br />
Pariser Feinkostgeschäft Fauchon<br />
verkauft und erfreut sich großer Beliebtheit.<br />
Ebenso war die Biene das Symbol einiger<br />
Stadtwappen, die im napoleonischen Kaiserreich<br />
entstanden; sie ersetzte dort die königliche<br />
Lilie. Doch auch an anderer Stelle in<br />
Frankreich taucht unsere Biene auf. Dafür<br />
war der berühmte Pariser Parfumeur Pierre-<br />
Francois-Pascal Guerlain verantwortlich. Er<br />
komponierte der Kaiserin Eugénie als Hochzeitsgeschenk<br />
das Parfum Eau de Cologne<br />
Impériale. Sie war nicht nur sofort für dieses<br />
Parfum zu begeistern, weil es so herrlich<br />
nach Orangenblüten, Zitronen, Lavendel und<br />
Rosmarin duftete; nein, es half ihr auch noch<br />
gegen ihre Migräne. Guerlain erhielt von<br />
Napoleon III. den Titel „Geprüfter Parfumeur<br />
Seiner Majestät“ verliehen; dies war<br />
der höchste Titel, den ein Hoflieferant tragen<br />
konnte. Dieses Parfum gibt es noch heute<br />
und es ist besonders auffällig durch sein<br />
Fläschchen, eines der allerersten Parfumflakons<br />
der Welt. Kreiert wurde es von der<br />
Glasmanufaktur Pochet et du Courval. Es ist<br />
zylinderförmig und mit einer Kuppel versehen,<br />
auf der mit feinem Gold verzierte herausgearbeitete<br />
Waben prangen. 69 goldene<br />
Bienen perfektionieren dieses kleine Meisterwerk.<br />
Besonders erstaunlich daran ist,<br />
dass dieses Fläschchen seit dem Jahre 1853<br />
unverändert weiter produziert wird und sich<br />
höchster Beliebtheit erfreut.<br />
Zum Schluss möchte ich noch auf ein paar<br />
äußerst spannende und vor allem für Kinder<br />
wichtige Medien zu sprechen kommen, die<br />
mit Bienen zu tun haben.<br />
Einen sogenannten B-Movie kennt sicherlich<br />
jeder, denn Filme, deren Qualität zu wünschen<br />
übrig lässt, werden so genannt. Allerdings<br />
gibt es auch den Bee-Movie, welcher<br />
tatsächlich ein sogenannter A-Movie ist, denn<br />
er besitzt wirklich in jeder Hinsicht Topqualität.<br />
Man hat mit diesem Film einen Zeichentrickfilm<br />
mit höchstem technischen und<br />
finanziellen Aufwand produziert. Es dreht<br />
sich darin um einen Bienenjüngling, Barry B.<br />
Benson, der sich die Welt außerhalb seines<br />
Bienenstocks anschauen möchte, bevor er in<br />
die Fußstapfen aller Bienen tritt. Er entdeckt<br />
voller Entsetzen, dass die Menschen die Bienen<br />
ausbeuten, denn er findet durch Zufall in<br />
einem Supermarkt Massen an Honiggläsern.<br />
Daraufhin klagt Barry die honigproduzierenden<br />
Menschen an und erreicht damit, dass<br />
diese sie nicht mehr ausbeuten dürfen. Dadurch<br />
kommt es zum Überangebot an Honig,<br />
weshalb die Bienen ihre „Produktion“ einstellen.<br />
Unglücklicherweise geht nun alles<br />
Grünen und Blühen zugrunde, denn es findet<br />
keine Bestäubung mehr statt. Nach vielen<br />
halsbrecherischen Abenteuern gelangen die<br />
Bienen jedoch wieder zurück in ihr Geschäft,<br />
bestäuben ohne Unterlass Blumen und retten<br />
damit sozusagen die Welt.<br />
Ja, der Film wirkt vielleicht etwas kitschig<br />
und sehr bunt, jedoch wird man beim Sehen<br />
von Bee-Movie bestens unterhalten und Kinder<br />
lernen auf spielerische Weise äußerst viele<br />
wichtige Informationen über die Verhaltensweisen<br />
und die Wichtigkeit der Bienen.<br />
Ebenso ein Klassiker ist das im Jahr 1912 erschienene<br />
Kinderbuch „Biene Maja und ihre<br />
Abenteuer“ von Waldemar Bonsels. Hierin<br />
geht es um eine kleine Biene, die den Arbeiterdienst<br />
verweigert, jedoch ihren Heimatstock<br />
vor einem heimtückischen Hornissenangriff<br />
retten kann. In diesem Buch und auch<br />
in der später erschienenen Zeichentrick-Serie<br />
lernen Kinder ebenfalls sehr viel über das<br />
Verhalten der Bienen untereinander aber<br />
auch über richtiges Sozialverhalten.<br />
In der Geschichte der „Kleinen Biene Sonnenstrahl“<br />
(von Jakob Streit) lernen wir, wie<br />
die Aufgaben und die Verantwortung im zunehmenden<br />
Alter steigen. Biene Sonnenstrahl<br />
fliegt aus, um besonders guten Honig<br />
zu finden, kann jedoch nicht mehr zurück in<br />
ihren Stock fliegen, da es sehr schnell zu kalt<br />
geworden ist. Somit muss sie eine Nacht,<br />
ganz allein, im dunklen Wald verbringen und<br />
erlebt dort einige aufregende Abenteuer. Am<br />
Ende der Geschichte arbeitet sie sich schließlich<br />
zur Ersten Dienerin der Königin hinauf.<br />
Tiere zu mögen oder gar zu lieben, fällt dem<br />
Menschen im Allgemeinen nicht schwer.<br />
Katzen sind faszinierend, Hunde sind treu,<br />
Vögel singen uns etwas vor und Hamster<br />
sind einfach nur niedlich. Bei Insekten wird<br />
das Ganze etwas schwieriger. Schmetterlinge,<br />
Libellen oder auch exotische Insekten<br />
bezaubern uns unter Umständen. Aber die<br />
Biene ist auf den ersten Blick alles andere als<br />
bezaubernd. Sie ist weder verschmust, noch<br />
besonders exotisch und auch nicht wirklich<br />
hübsch. Der Stich einer Biene kann, manchmal<br />
tagelang, schlimme Schmerzen hervorrufen<br />
und für einen Allergiker kann eben<br />
dieser Stich sogar lebensbedrohlich werden.<br />
Ja, die Bienen zu lieben, ist vielleicht nicht<br />
einfach, aber ihnen Respekt, Vorsicht und<br />
Wertschätzung entgegenzubringen, das machen<br />
die Menschen seit vielen tausend Jahren.<br />
Quellen:<br />
Jaronne<br />
I. Dalichow: Bienengeheimnisse, München<br />
2009.<br />
Die Bibel, Elberfelder Übersetzung, Wuppertal<br />
2003 (9).<br />
A. Rößner: Von Bienen und Beuten - das<br />
Deutsche Bienenmuseum Weimar. In:<br />
Stadtmuseum Weimar, Landesverband<br />
Thüringer Imker e.V. (Hrsg.): Weimarer<br />
Schriften 60 (Jubiläumsschrift), Weimar<br />
2007.<br />
J. Streit: Das Bienenbuch, Stuttgart 2007<br />
(11).
32 Slawen Slawen 33<br />
E<br />
ndlich zeigt sich das Grün. Wasser aus<br />
den Bergen und Himmeln trägt Altes<br />
hinfort und lässt Neues reifen. Das Feuer unter<br />
dem Kochtopf des Lebens ist zweifellos<br />
entzündet und sein Brodeln allerorten zu<br />
bemerken. So ist also die Zeit der Frühlingsfeste<br />
gekommen, die Zeit der Umzüge, des<br />
Lärmens und der nächtlichen Feuer. Zeit<br />
auch für meinen nächsten Artikel über die<br />
Kulte der Slawen, die ich in der vergangenen<br />
Ausgabe der Damhain <strong>Alla</strong> sträflich vernachlässigt<br />
habe. Doch nun lohnt es sich<br />
wieder, denn slawische Frühlingsbräuche<br />
sind so ganz nach meinem Geschmack und<br />
daher möchte ich sie dem geneigten Leser<br />
näher bringen. Was daran so besonders ist?<br />
Für mich sind es die Idole und Puppen, die<br />
die Völker der Slawen wie meines Wissens<br />
nach keine andere Volksgruppe Europas in<br />
ihre Feiern einbinden: todbringende und befruchtende,<br />
Dämonen und Götter, männliche<br />
und weibliche, gebastelte und menschliche,<br />
winterliche und sommerliche.<br />
Slawische Mythologie<br />
Der slawische Frühling<br />
Und hier merken wir schon: Immer stellen<br />
diese Idole die „Fleischwerdung“ einer<br />
mächtigen natürlichen Kraft dar. Hauptsächlich<br />
finden wir sie aber bei zwei Gelegenheiten:<br />
einmal, wenn der Winter ausgetrieben<br />
werden soll, und einmal, um die Fruchtbarkeit<br />
des nahenden Sommers zu beschwören.<br />
Die Winteraustreibungen finden vor allem<br />
um die Frühlingstagundnachtgleiche (Ostara,<br />
Frühjahrsäquinoktium) statt und haben sich<br />
durch zahlreiche Jahrhunderte bis in die heutige<br />
Zeit erhalten. Der Ablauf solcher slawischen<br />
Volksfeste in der Märzenzeit ist immer<br />
recht ähnlich. Eine Strohpuppe, die<br />
wohl den Winterdämon oder den Tod darstellt,<br />
wird von den Mädchen oder Jungen<br />
eines Ortes angekleidet und umhergetragen.<br />
Dabei ergeht es ihr nicht gerade gut, denn<br />
auf ihrem Weg wird sie bei jeder sich bietenden<br />
Gelegenheit in Pfützen, Teiche und<br />
Bäche getunkt oder gar mit Steinen und<br />
Knüppeln beworfen. Die Puppen können dabei<br />
ganz unterschiedliche Größen haben;<br />
manche haben die Größe von Handpuppen,<br />
andere gleichen lebensgroßen Idolen, die auf<br />
einem Stecken umhergetragen werden. Auch<br />
das Ende des Dämons kann ganz unterschiedlich<br />
ausfallen, fest steht nur, dass er<br />
sterben muss. Mancherorts verbrennt man<br />
ihn, andernorts wird er zerrissen und seine<br />
Füllung in die Winde zerstreut, meist jedoch<br />
ertränkt man den Götzen in einem Tümpel<br />
oder Teich außerhalb der Ortschaft. Dass<br />
man zumindest in früheren Tagen durchaus<br />
Respekt, wenn nicht gar Angst, vor den<br />
Kräften des Winterdämons hatte, zeigt uns<br />
die Art, wie man mit der Puppe umging. Lag<br />
sie zu guter Letzt im Teich, rannten die jungen<br />
Leute wie von Sinnen in ihre Ortschaft<br />
zurück, denn der Letzte, der dort ankam,<br />
würde innerhalb eines Jahres sterben müssen.<br />
Die Puppe durfte nach ihrem Tod nicht mehr<br />
berührt werden, man durfte nicht zu ihr zurückschauen.<br />
Am sichersten schien es daher<br />
oft, den Dämon gleich auf das Gebiet einer<br />
Nachbargemeinde zu werfen; eine Praxis, die<br />
nicht selten zu handfesten Auseinandersetzungen<br />
führte, denn wer wollte schon gern<br />
den Tod vor die Tür geworfen bekommen?<br />
Mit dem Dämon des Winters war nicht zu<br />
spaßen. Führen wir uns vor Augen, was es<br />
mit diesem Dämon auf sich hatte und wofür<br />
er eigentlich stand: für den Mangel, den<br />
Hunger, für Krankheit, Kälte, Dunkelheit<br />
und Tod. Was in Polen, Tschechien und der<br />
Slowakei heute noch als alljährliche Folklore<br />
erscheint, war den früheren Slawen also bitterer<br />
Ernst und schien überlebensnotwendig.<br />
Heute geht es freilich lockerer zu: Das Austreiben<br />
des Winters hat sich zum Frühlingsausflug<br />
entwickelt, auf dem Kindergartengruppen,<br />
Familien und Schulklassen Wanderungen<br />
unternehmen und dabei die Puppe mit<br />
sich tragen, die entsprechend den alten Traditionen<br />
malträtiert wird. In Gegenden, wo<br />
das Verbrennen des Dämons üblich war,<br />
trägt dies heute den Charakter unserer deutschen<br />
„Hexenfeuer“.<br />
Auch slawische Völker kennen die<br />
frühsommerlichen „Hexenfeuer“<br />
Vielleicht haben der slawische Winterdämon<br />
und die deutsche Lumpenhexe, die auf dem<br />
Hexenfeuer verbrannt wird, ja sogar den<br />
gleichen Ursprung. Um dies herauszufinden,<br />
müsste man untersuchen, ob solche „Hexen“<br />
aus Stecken und Lumpen im Osten Deutschlands<br />
häufiger verbrannt werden als im Rest<br />
des Landes.<br />
Die slawische Winterpuppe hat im Laufe der<br />
Jahrhunderte zahlreiche Transformationen<br />
erlebt, ist unter verschiedensten Namen bekannt<br />
und mal Göttin, mal Hexe, mal Dämon,<br />
mal profaner Strohsack. In Polen zum<br />
Beispiel kann sie durchaus auch als Mann<br />
auftreten und heißt dann Mařoch, bei den<br />
Sorben nennt man sie gleich Smjerć, den<br />
Tod, und auch der ist männlich.<br />
Gerade die neuheidnischen Gruppen, die es<br />
ja auch bei den slawischen Völkern schon<br />
seit dem 19. Jahrhundert gibt, wollten aus<br />
dem Idol gern eine Göttin machen, Mořana<br />
oder Marzana, eine slawische Hekate, Königin<br />
der Hexen, Herrin des Winters und der<br />
Träume. In jenen Vorstellungen wird der<br />
Winterdämon zum Todesaspekt einer Vegetationsgöttin,<br />
die im Laufe des Sommers erst<br />
zur fruchtbringenden Maikönigin wird, um<br />
sich zur Sommersonnenwende dann mit ihrem<br />
Bruder Jarilo, dem Mond, zu vereinen.<br />
Attribute dieser Großen Göttin sind dementsprechend<br />
Kornähre und Athame, da sie die<br />
Herrin über Leben und Tod ist.<br />
Damit kommen wir auch schon zur zweiten<br />
Art heiliger Frühlingsfeste, bei denen Puppen<br />
Verwendung finden – jenen der Pfingstzeit.<br />
Wie ich schon erwähnte, dienten sie ja auch<br />
dazu die fruchtbringenden Kräfte des Sommers<br />
zu beschwören; die entsprechenden<br />
Feste werden daher zum Ende der Frühlingszeit<br />
begangen. Damit fallen sie in die Zeit<br />
der Pfingsttage, die in ganz Europa mannigfach<br />
begangen werden, meist mit der Wahl<br />
eines Pfingstkönigs bzw. einer Pfingstkönigin.<br />
Die slawischen Bräuche jener Tage werden<br />
zuweilen unter dem Namen Rusalienfeste<br />
zusammengefasst, da sie der Zeit der<br />
ersten Rosenblüte vorausgehen, die den Beginn<br />
des Sommers markiert. Und egal ob in<br />
Tschechien, Slowenien oder der Slowakei,<br />
das Geschehen ist meist das gleiche, zumindest<br />
aber sehr ähnlich: Jungen und Mädchen<br />
wählen aus ihrer Mitte einen König und eine
34 Slawen Slawen 35<br />
Königin, kleiden sie ein und krönen sie mit<br />
einem Kranz. Die Königin erhält eine Blumenkrone<br />
und ein Gewand aus bunten Bändern,<br />
der König hingegen ein Kleid aus<br />
Fichten- oder Tannenrinde, denn er ist Jarilo,<br />
der Grüne Mann, der alljährlich stirbt, um<br />
bald darauf wiedergeboren zu werden. Mädchen<br />
und Jungen ziehen nun gleichermaßen<br />
durch den Ort und bitten um Geschenke für<br />
ihr Herrscherpaar. Für den König endet die<br />
Reise allerdings wieder am Teich, wo er<br />
symbolisch enthauptet wird, indem man seine<br />
Krone ins Wasser stößt. Alternativ werden<br />
für das Spiel aber vielerorts auch Puppen<br />
verwendet, die dann wiederum enthauptet,<br />
ins Wasser gestoßen oder zerrissen werden.<br />
Während der „Grünen Woche“ tanzen die<br />
Rusalki unter den Menschen; Darstellung von<br />
K. Makovsky, 1879<br />
In Russland, Weißrussland und der Ukraine<br />
ist es die sogenannte Rusalka, die Anfang<br />
Juni während der sogenannten „Grünen Woche“<br />
umhergetragen und schließlich auseinander<br />
gerissen wird. Die Rusalken, eigentlich<br />
Wasserdämonen, entsteigen in dieser<br />
Woche (der siebenten nach Ostern) den Weihern<br />
und Flüssen, um unter den Menschen<br />
zu wandeln. Um sie auf Abstand zu halten,<br />
finden einerseits viele Mittelchen private<br />
Verwendung (Weihrauch, Kreuze, Knoblauch,<br />
Wermut...), andererseits gibt es aber<br />
auch große Dorffeste, auf denen die Rusalka<br />
von einer weiblichen Strohfigur oder einem<br />
geschmückten Birkenstamm dargestellt wird.<br />
Dieses Idol schafft man zunächst unter großem<br />
„Hallo“ aus dem Ort, um sich dann auf<br />
offenem Feld einen Kampf darum zu liefern.<br />
Dies endet dann meist mit dem Zerfetzen des<br />
Götzen, dessen Füllung über das Feld verteilt<br />
wird, bzw. mit der Versenkung der Birke in<br />
einem nahen Fluss. Ursprünglich sollte dies<br />
die Fruchtbarkeit des Bodens garantieren und<br />
vor dem Geist der Rusalka schützen, wird<br />
aber heute vor allem mit Volksfest und Gaudi<br />
verbunden sein. Üblicherweise beginnen<br />
die Feiern am Donnerstag der „Grünen Woche“<br />
und enden drei Tage darauf mit der Zerstörung<br />
des Idols am Pfingstsonntag. Die<br />
ganze drei Tage umspannende Zeit des Feierns<br />
wird in Russland als „Semik“ bezeichnet.<br />
Im Gegensatz zu den Bräuchen des Winteraustreibens<br />
dient die Tötung der Puppen in<br />
den Rusalien vordergründig nicht der Verbannung<br />
der Dämonen, sondern der Freisetzung<br />
ihrer fruchtbringenden Kräfte. Da muss<br />
es uns nicht wundern, dass Jarilo oder Rusalka<br />
mancherorts auch als Pferd dargestellt<br />
werden, wobei sich zwei Leute in einem<br />
Pferdekostüm verstecken, schließlich ist das<br />
Pferd ein altes Fruchtbarkeitssymbol und galt<br />
als Wanderer zwischen den Welten. Von Jarilo<br />
heißt es in manchen Volksliedern, dass<br />
er zu Fuß und zu Pferd kam. Wie kann das<br />
sein? Das geht nur, wenn er selbst ein Pferd<br />
ist.<br />
Wegen ihrer fruchtbringenden Wirkung enden<br />
die Überreste der Rusalien-Dämonen<br />
immer auf dem Feld, egal ob es sich dabei<br />
um eine zerrissene Puppe oder die Verkleidung<br />
menschlicher Protagonisten handelt.<br />
Auch wird in diesen Tagen der Toten gedacht<br />
und der Frühjahrsputz begangen; alles<br />
Riten, die der Reinigung von Haus und Gemeinde<br />
dienen (vgl. der Mai als Weißdornmonat:<br />
Damhain <strong>Alla</strong> 20, „Der Weißdorn“).<br />
Viele weitere Bräuche und Spiele gäbe es<br />
noch zu erwähnen und nicht alle haben mit<br />
Idolen zu tun: das Maibaumaufrichten zum<br />
Beispiel, den Eierkult, die Divination aus<br />
Blumenkränzen, die ins Wasser geworfen<br />
werden oder die erotischen Kukerspiele der<br />
Bulgaren. Doch ich möchte den Artikel nicht<br />
überfrachten und wer weitergehende Fragen<br />
hat, kann gern die Redaktion anschreiben.<br />
Auf dass der Inhalt des Beitrages nicht im<br />
Lexikon des sinnslosen Wissens abgeheftet<br />
werde, möchte ich euch noch erzählen, wie<br />
ich im vergangenen Jahr Ostara gefeiert habe.<br />
Dazu muss ich sagen, dass in meinem<br />
paganen Bekanntenkreis immer ein wenig<br />
Unlust aufkam, wenn es um die Organisation<br />
von Ostara ging. Niemand wollte diese Aufgabe<br />
so recht übernehmen, da es jedes Jahr<br />
Probleme mit dem Fest gab, insbesondere<br />
damit es inhaltlich zu füllen. Und das bei einem<br />
munteren Frühlingsfest...<br />
Im Jahr 2011 endlich besannen wir uns auf<br />
den spielerischen Charakter der Tagundnachtgleiche<br />
und beschlossen, etwas zu organisieren,<br />
das sich an slawische Frühjahrsfeste<br />
anlehnt. Wichtig dabei ist – und das<br />
sollte für Frühjahrsfeste selbstverständlich<br />
sein – dass ein Teil der Spiele im Freien<br />
stattfindet. Zunächst einmal spielten Männer<br />
und Frauen getrennt voneinander. Die Männer<br />
hatten aus Stecken, Strick und Blattwerk<br />
im Vorfeld einen Götzen gebaut und ihn den<br />
Frauen übergeben. Die haben ihn dann keck<br />
versteckt und die Männer auf eine Schnitzeljagd<br />
geschickt, während sie selbst ein Märchen<br />
mit Rollenverteilung durchspielten. Auf<br />
diese Weise kürten sie die Königin, die im<br />
späteren Ostara-Ritual die Frühlingsgöttin<br />
darstellen würde. Der endlich aufgefundene<br />
Winterdämon bildete zunächst das Zentrum<br />
des Rituals, wurde dann gemeinsam in den<br />
Wald getragen und dort verbrannt. Allerdings<br />
flohen wir nicht schnell in den Ort zurück<br />
ohne zurückzublicken, sondern übernachteten<br />
noch am Feuer, denn immerhin<br />
war es ein schöner Frühlingstag.<br />
Das sich nur kurz zuvor ein Japan eine A-<br />
tomkatastrophe ereignet hatte, gab dem Fest<br />
noch eine ganz besondere Bedeutung. Genau<br />
in jenen Tagen rollte die radioaktive Wolke,<br />
die ihren Ursprung in Fukushima hatte, über<br />
Deutschland hinweg und dazu regnete es<br />
auch noch; „Black Rain“, wie es umgangssprachlich<br />
heißt. Und in der Tat hatten einige<br />
meiner Bekannten in jenen Tagen dubiosen<br />
Ausschlag oder schuppende Hände. Das<br />
kann man sich mit anderen Ursachen schönreden,<br />
aber ein schaler Beigeschmack bleibt<br />
eben doch zurück. Also stießen wir den Wintergötzen<br />
ins Feuer, auf dass Angst, Stumpfheit<br />
und Resignation nie über das Feuer im<br />
Herzen der Menschen, über die Liebe und<br />
die Freuden einer Gemeinschaft die Oberhand<br />
gewinnen mögen. Alle Akte der Freude<br />
sind wahre Rituale des Lebens. Und ohne<br />
Freude in unseren Herzen müssten wir sterben.<br />
Charon<br />
Quellen:<br />
Yovino-Young, M.: Pagan Ritual and Myth<br />
in Russian Magic Tales, Lewiston 1993.<br />
Váňa, Z.: Mythologie und Götterwelt der<br />
slawischen Völker, Stuttgart 1992.<br />
Semik mit Maibaum und Maikönig; russische<br />
Darstellung aus dem 19. Jhd.
36 Dogmen Dogmen 37<br />
„Ich glaube jedem, der die Wahrheit sucht.<br />
Ich glaube keinem, der sie gefunden hat.“<br />
Kurt Tucholsky (1890-1935)<br />
D<br />
er erste Schritt in eine neue Richtung<br />
ist aufgrund der Ungewissheit, ob man<br />
auf dem Boden überhaupt Halt findet, immer<br />
der schwierigste. So geht es mir gerade auch<br />
mit dem Anfang dieses Artikels, daher<br />
möchte ich hier deutlich machen, dass ich<br />
mit dieser Arbeit keine Dogmen aufstellen<br />
will. Wie gewohnt sind meine Schlussfolgerungen<br />
als rein subjektive Hypothesen zu<br />
verstehen, die ihr gerne widerlegen könnt, so<br />
ihr dazu geneigt seid. Und warum ich diese<br />
Sätze gleich vorweg stellen möchte, werdet<br />
ihr bald merken.<br />
Wie so einige Ideen des Menschen entstammt<br />
auch diese Idee, über mögliche<br />
dogmatische Strukturen im Wicca zu schreiben,<br />
einer Diskussion. Wie diese genau zustande<br />
kam, kann ich leider nicht mehr<br />
nachvollziehen, möglich könnte aber sein,<br />
dass ein Buch von Frederic Lamond mit dem<br />
Titel „Naturpantheismus – Religion ohne<br />
Dogmen“ einen kleinen Teil dazu beigetragen<br />
haben könnte. Doch dies sei nur am<br />
Rande erwähnt, da es mir fern liegt, über ein<br />
Buch zu schreiben, sondern eher eine unabhängige<br />
Schlussfolgerung anzustreben.<br />
Es ist sicherlich nicht alltäglich, sich mit<br />
Dogmen im Wicca auseinander zu setzen.<br />
Möglicherweise haben sich einige nicht<br />
einmal darüber Gedanken gemacht, sondern<br />
einfach so praktiziert, wie sie es kannten o-<br />
der für richtig hielten. Meiner Meinung nach<br />
stellt das für die spirituelle Praxis kaum einen<br />
Verlust dar, lediglich eine Konzentration<br />
aufs Wesentliche. Doch für genauso wichtig<br />
halte ich es, wenn man sich auch in philosophischer<br />
Hinsicht mit seiner Spiritualität beschäftigt.<br />
Hier meine ich natürlich insbesondere<br />
die Mysterientradition Wicca. Auch<br />
wenn wir das Wort Dogma hauptsächlich<br />
Wicca –<br />
mit oder ohne Dogmen?<br />
aus der christlichen Theologie kennen, so<br />
können wir es dennoch im passenden Zusammenhang<br />
bringen und lösen somit seine<br />
„dogmatische“ Verwendung auf.<br />
Bevor wir uns tiefer mit diesem Thema beschäftigen,<br />
sollte vielleicht am Anfang der<br />
Begriff Dogma erklärt werden. Das Wort<br />
stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet<br />
übersetzt soviel wie „Meinung“, „Lehrsatz“<br />
oder „Beschluss“. Verwandt dürfte es<br />
mit dem lateinischen Wort Doktrin sein,<br />
welches „Lehre“ bedeutet. Beide Wörter bezeichnen<br />
in etwa dasselbe, nämlich eine<br />
Aussage, die für wahr und allgemeingültig<br />
angesehen werden sollte, auch wenn beide in<br />
verschiedenen Zusammenhängen benutzt<br />
werden. Gehen wir weiter, so meinen sie<br />
letztlich unumstößliche Grundsätze, die über<br />
jeden Zweifel erhaben sein sollten und somit<br />
zu universellen Gesetzen avanciert sind.<br />
Natürlich gibt es beinahe unendlich viele<br />
Beispiele für Dogmen, insbesondere innerhalb<br />
der christlichen Kirchen, aber auch in<br />
der Politik (Doktrin), Wissenschaft (Axiom<br />
oder Paradigma) und in vielen weiteren Bereichen.<br />
Ein typisch christliches Dogma wäre beispielsweise<br />
die Erbsünde oder die jungfräuliche<br />
Geburt Jesu Christi durch Maria. Diese<br />
Festlegung auf eine bestimmte Aussage hat<br />
natürlich seine Vorteile, denn wenn man innerhalb<br />
eines Systems einen Satz als Gegebenheit<br />
festsetzt, spart man sich weitere<br />
Auseinandersetzungen und kann das Systemkonstrukt<br />
weiter aufbauen. Somit ändert<br />
sich die Herangehensweise, denn ohne dieses<br />
Dogma würde der Messias von einer „unreinen“<br />
Frau geboren worden sein, die noch<br />
immer mit der Erbsünde behaftet wäre, was<br />
in den Augen vieler Christen wohl undenkbar<br />
wäre. Mit dem Dogma hingegen hat das<br />
Hinterfragen und Zweifeln ein Ende und der<br />
Glauben kann unter anderem von der Masse<br />
leichter aufgenommen werden. In diesem<br />
Zusammenhang sehen wir davon ab, dass in<br />
der Bibel, dem Herzstück und Glaubensfundament<br />
des Christentums, nicht von einer<br />
unbefleckten Empfängnis gesprochen wird,<br />
sondern diese wahrscheinlich der Schlussfolgerung<br />
entsprang, dass die Mutter von Jesus,<br />
dem Sohn Gottes, frei von der Erbsünde sein<br />
müsste, um die Göttlichkeit Christi zu bestätigen.<br />
Diese Auslegung wurde im Konzil von<br />
Trient im 16. Jahrhundert als Dogma erklärt<br />
und ist somit seit dieser Zeit als festes Gesetz<br />
im katholischen Glauben verankert. Erst<br />
zwei Jahrhunderte später erläuterte Papst Pius<br />
IX. dieses Dogma ausführlich in einer<br />
Bulle und legte eine präzisere Lehrmeinung<br />
fest.<br />
Nach diesem kleinen Ausflug in die christliche<br />
Dogmatik wollen wir uns aber nun dem<br />
Wicca widmen. Und gleich zu Anfang stoßen<br />
wir auf eine kleine Schwierigkeit: Ist<br />
Wicca eigentlich eine Religion? Diese Frage<br />
zu beantworten, scheint eine Sache der Auslegung<br />
zu sein, da der Begriff Religion bis<br />
jetzt noch keine einheitliche Definition erfahren<br />
hat. Wenn wir definieren würden,<br />
dass eine Religion jede spirituelle Bewegung<br />
ist, der ein Glaube zugrunde liegt, könnten<br />
wir diese Frage mit „ja“ beantworten. Nur als<br />
solches definiert ist dieser Glaube jedoch<br />
nicht, vielmehr geht der Glaube einher mit<br />
der spirituellen Entwicklung durch Erfahrungen,<br />
durch das Erleben von Mysterien und<br />
Offenbarungen.<br />
Zum Wohl oder Übel ist selbst Wicca nicht<br />
eindeutig definiert, was eine ganzheitliche<br />
Betrachtung des Glaubens als eine Bewegung<br />
oder Religion schier undenkbar macht.<br />
Ich selbst möchte mir hier nicht anmaßen,<br />
eine Definition zu erstellen, daher werde ich<br />
einige zentrale Elemente des Wicca in Bezug<br />
auf dogmatische Hinweise beleuchten, ohne<br />
damit zu behaupten, dass diese Dinge für jeden<br />
Wicca der Welt grundlegend sein müssten.<br />
Wenn wir nach dogmatischen Elementen im<br />
Wicca suchen wollen, so ist es für mich nur<br />
natürlich, dass ich zuerst bei den Hinterlassenschaften<br />
des Gründers Gerald B. Gardner<br />
recherchiere. Seine wesentlichen Aufzeichnungen<br />
zum Mysterienkult bleiben wohl die<br />
Textsammlungen und Ritualbeschreibungen,<br />
die wir heute als das „Buch der Schatten“<br />
kennen. Aus diesem Sammelsurium werde<br />
ich einige Texte genauer beschreiben und erläutern<br />
können, ob wir nicht doch ein kleines<br />
Dogma im Wicca entdeckt hätten.<br />
Der erste Text, der nach Dogmatik geradezu<br />
riecht, trägt den Namen „The Old Laws“, der<br />
wahrscheinlich Anfang der 60er Jahre verfasst<br />
wurde. Hierin finden wir so genannte<br />
„Ardanes“, vermutlich eine atypische<br />
Schreibweise des Wortes „ordain“, welches<br />
soviel bedeutet wie „festsetzen“ oder<br />
„bestimmen“. Somit handelt es sich bei diesem<br />
Text in der Tat um eine Art von Gesetzesentwürfen,<br />
die unter anderem die Strukturen<br />
und Belange des Covens regeln sollen.<br />
Auch wenn dieser Text wahrscheinlich erst<br />
nach dem Entzweien von Gerald Gardner<br />
und seiner damaligen Hohepriesterin Doreen
38 Dogmen Dogmen 39<br />
Valiente ins Buch der Schatten eingefügt<br />
wurde, so ist er dennoch ein fester Bestandteil<br />
dieses Werkes, nicht nur in geschichtlicher<br />
Hinsicht des Wicca.<br />
Gerade im rituellen Rahmen finden wir stets<br />
einen gleichwährenden Ablauf der Prozedur,<br />
um einen Kreis zu errichten. Wenn die rituellen<br />
Abschnitte auch gelegentlich andersartig<br />
ausgeführt werden, bleibt doch der Ablauf<br />
ziemlich konstant. Daraus entwickelte<br />
sich eine Art Grundritualgerüst, welches eine<br />
große Anzahl der Wicca in der ganzen<br />
Welt verwenden, auch wenn dieses Gerüst<br />
vermutlich von anderen Gemeinschaften wie<br />
dem Hermetic Order of the Golden Dawn,<br />
den Freimaurern oder dem Ordo Templi O-<br />
rientis stammte und adaptiert wurde. Inzwischen<br />
wurden diese Adaptionen nach der<br />
Entstehung des Wiccakults noch von anderen<br />
Seiten fortgetrieben, so können wir diesen<br />
typischen Ritualaufbau zum Beispiel in<br />
einigen Spielarten des Asatru und bei anderen<br />
exotischen oder individuellen spirituellen<br />
Praktiken beobachten.<br />
Eine Sonderstellung nimmt für mich die Offenbarung<br />
ein, die bekannte Charge aus der<br />
Feder von Doreen Valiente. Dieser Text ist<br />
vielmehr eine Unterweisung, die sowohl eine<br />
Ethik wie auch bestimmte Anhaltspunkte<br />
auf rituelle Handlungen und verborgene<br />
Mysterien vermittelt. Die Charge ist die<br />
wohl populärste Offenbarung im Wicca und<br />
hat in vielen Ritualabläufen des Buchs der<br />
Schatten einen festen Stellenwert.<br />
Eine weitere äußerst bekannte und von vielen<br />
Neuheiden angenommene Aussage ist:<br />
„Tu’ was du willst, aber schade niemandem“,<br />
der essentielle Satz der sogenannten<br />
Wiccan Rede. Abgesehen von der etwas<br />
problematischen Aussage dieses Statements<br />
1 , wird es sehr oft zu den klassischen<br />
1 Einen ausführlichen Artikel über die Wiccan Rede<br />
findet ihr in der <strong>Damháin</strong> <strong>Alla</strong> Ausgabe 8<br />
„Wicca-Weisheiten“ gezählt und könnte eine<br />
übergeordnete Ethik darstellen.<br />
Dies sind nur einige Beispiele für Texte, aus<br />
denen gut und gerne Dogmen entnommen<br />
werden könnten. Die Frage bleibt aber bestehen,<br />
ob es sich hierbei tatsächlich um Dogmen<br />
handelt. Meine Antwort würde dazu<br />
lauten: „ja und nein!“<br />
Die Begründung ist relativ einfach zu verstehen,<br />
denn unabhängig davon, ob man nun in<br />
einem Coven oder allein praktizieren sollte,<br />
arbeitet vermutlich jeder ein wenig anders<br />
mit diesen Texten. Da schon der Begriff<br />
Wicca als solches nicht universell definiert<br />
ist, kann es auch keine einheitlichen Dogmen<br />
für Wicca geben. Dennoch wird es einzelne<br />
Personen oder Coven geben, die bestimmte<br />
Texte als für ihre Spiritualität wichtig und<br />
essentiell erachten. Wenn solch ein Text stets<br />
befolgt wird, gleichgültig der Hintergründe<br />
für die Verwendung, könnte man sicherlich<br />
sagen, dass es sich um ein Dogma handeln<br />
könnte.<br />
Für einige Coven stellt zum Beispiel ihr eigenes<br />
Buch der Schatten eine Art von Dogma<br />
dar, zum Beispiel in der Art und Weise,<br />
wie es geführt wird. So könnten beispielsweise<br />
die Texte von Gerald Gardner separiert<br />
von coveneigenen Texten stehen oder das<br />
Buch rein handschriftlich geführt werden.<br />
Der Hieros Gamos, eine der heiligsten Handlungen<br />
im Wicca, könnte eventuell zu jedem<br />
Jahresfest vollzogen werden, um ein Beispiel<br />
für ein rituelles Dogma anzuführen. In solch<br />
einem Zusammenhang könnte man das Wort<br />
Dogma auch mit Tradition austauschen, doch<br />
beide beschreiben hier dieselbe Sache.<br />
In diesem Zusammenhang möchte ich klar<br />
formulieren, dass Dogmen grundsätzlich<br />
nicht negativ, sondern generell neutral zu<br />
verstehen sind. Die negative Färbung dieses<br />
Begriffes haben wir wahrscheinlich einigen<br />
Kirchenkritikern zu verdanken, welche viele<br />
kirchliche Dogmen für nicht mehr zeitgemäß<br />
hielten und in ihren Schriften und Proklamationen<br />
verspottet hatten. Für das aufgeklärte<br />
Volk ist aus dem Dogma wahrscheinlich<br />
schnell ein Begriff für verstaubtes und unzeitgemäßes<br />
Denken geworden.<br />
Die allgemeine Gültigkeit eines Dogmas ist<br />
in dieser Hinsicht auch nicht mit dem einzig<br />
wahren Weg zu verwechseln. Keinesfalls<br />
sollte es bedeuten, dass alle Menschen dieses<br />
Dogma annehmen müssten, um ein Dogma<br />
zu sein. Meines Erachtens reichen eine Person<br />
und ein Grundsatz, um ein Dogma entstehen<br />
zu lassen. Die Unumstößlichkeit eines<br />
Dogmas sollte daher gewährleistet sein, dass<br />
man seine Hintergründe ausführlich erforschen<br />
und nachvollziehen könnte, um sich<br />
somit entscheiden zu können, ob man dieses<br />
Dogma annehmen oder ablehnen sollte.<br />
Die möglichen Schwierigkeiten, die auftreten<br />
könnten, sind meiner Erfahrung nach oftmals<br />
solche, dass die Bedeutungen mancher Werte<br />
und Richtlinien falsch interpretiert werden<br />
könnten.<br />
Gerade bei den „Old Laws“ und anderen Bestandteilen<br />
des Buchs der Schatten könnte<br />
man auf die Idee kommen, dass die Gründe<br />
für diese Beschreibungen ein ausgeprägter<br />
Sexismus und nichts anderes wären, welches<br />
mitunter durch emanzipatorische Gedanken<br />
zwangsläufig zu Ablehnung führt. Dazu sei<br />
gesagt, dass es erstens Unterschiede zwischen<br />
Männern und Frauen tatsächlich gibt,<br />
schon allein anatomisch gesehen, und Wicca<br />
zweitens meist auf Polaritäten aufbaut, gerade<br />
in Hinsicht auf die Geschlechter. Eine Zuteilung<br />
der Aufgabengebiete, Verantwortlichkeiten<br />
oder Rollen im Ritual nach Geschlecht<br />
ist daher eher eine logische Konsequenz,<br />
wenn mit dem Kreislauf der Göttin<br />
und des Gottes gearbeitet wird, wie es in den<br />
klassischen Jahreskreisfesten oftmals der Fall<br />
ist. Dies soll aber nur ein Beispiel dafür sein,<br />
wie bestimmte Richtlinien aufgrund von vorschnellen<br />
Urteilen zu negativen Dogmen abgestempelt<br />
werden könnten.<br />
Allgemein gehalten könnten wir sagen, dass<br />
ein Dogma letztlich ein spiritueller Lehrsatz<br />
sein kann, der von bestimmten Menschen für<br />
stimmig erkoren und somit im jeweiligen<br />
Glauben verankert wurde. Meiner Meinung<br />
nach ist es für einen lebendigen Glauben<br />
durchaus wichtig, dass auch Dogmen hinterfragt<br />
werden können und teilweise auch sollten,<br />
um entweder ein tieferes Verständnis für<br />
seinen Glauben zu entwickeln oder sich aber<br />
fundiert von bestimmten Dogmen distanzieren<br />
zu können.<br />
Ein Dogma ist im Zusammenhang mit Wicca<br />
also individuell, entweder für die Einzelperson<br />
oder für den Coven gültig, und oftmals<br />
gut nachvollziehbar. Keinesfalls sind sie nur<br />
negativ, sondern besitzen meist eine bestimmte<br />
Lehre oder Erkenntnis, an der festgehalten<br />
werden soll.<br />
Natürlich soll es auch Menschen auf den spirituellen<br />
Wegen des Wicca geben, die völlig<br />
ohne Dogmen auskommen mögen, das sollen<br />
sie auch gerne weiterhin. Mich persönlich<br />
würde sehr interessieren, ob vielleicht mit<br />
der Zeit auch auf diese Weise Dogmen entstehen<br />
könnten.<br />
Doch abseits jeglicher Autorität und Regeln<br />
bin ich mir ziemlich sicher, dass auch diese<br />
Menschen der Stimme der Großen Göttin<br />
folgen werden, wenn sie nach ihnen ruft.<br />
Quellen:<br />
Fynn<br />
R. Leonhardt: Grundinformation Dogmatik,<br />
2. Auflage, 2004<br />
Duden - das Bedeutungswörterbuch, 4. Auflage,<br />
2010<br />
G. B. Gardner: The Gardnerian Book of<br />
Shadows<br />
A. A. Kelly: Inventing Witchcraft, 2007
40 Cthulhu-Mythos Cthulhu-Mythos 41<br />
I<br />
n den vorangegangenen Artikeln habe<br />
ich mich mit jenen Entitäten befasst, zu<br />
denen es wenigstens einige Quellen gibt:<br />
Cthulhu, Nyarlathotep, Azathoth und Dagon.<br />
Jetzt möchte ich versuchen, euch die Wesen<br />
wenigstens vorzustellen, von denen kaum<br />
mehr als kurze Erwähnungen in der „Lovecraftchen<br />
Literatur“ vorhanden sind. Befassen<br />
wir uns heute also mit den beiden sogenannten<br />
Torwächtern.<br />
Yog-Sothot<br />
Für mich ist er ein Wanderer zwischen den<br />
Welten, sozusagen ein klassischer Schwellengott.<br />
Um mit den anderen Wesen in Kontakt<br />
zu kommen, sollte man sich zunächst<br />
mit ihm beschäftigen, denn er ist Tor und<br />
Schlüssel zu den Großen Alten.<br />
Yog-Sothoth ist, obwohl er als ein in<br />
Schwärze gefangenes Wesen dargestellt<br />
wird, das Wissen, welches im Außen aktiv<br />
ist.<br />
Die wenigen Informationen lassen bereits an<br />
dieser Stelle den Schluss zu, dass er ein<br />
Schlüssel zu einer ganz besonderen Form<br />
des Wissens bzw. des Zugangs zu Erkenntnissen<br />
sein muss. Intelligenz im herkömmlichen<br />
Sinn stellen wir uns als Licht vor; erhellend<br />
und erleuchtend. Im Gegenzug bezeichnen<br />
wir Irrsinnige durchaus als „geistig<br />
umnachtet“. Aber gerade der Begriff „umnachtet“<br />
spiegelt die Vorstellung von etwas<br />
wieder, was von undurchdringlicher Dunkelheit<br />
umfangen ist.<br />
Lovecraft selbst lässt uns jedenfalls auch im<br />
Dunkeln stehen.<br />
In Das Grauen von Dunwich 1 vereint Yog-<br />
Sothoth allwissend Vergangenheit, Gegenwart<br />
und Zukunft in sich. Einige Jahre später<br />
stellt ihn der Autor in Das Grauen im Museum<br />
2 ganz anders dar: Er erscheint dort dem<br />
Protagonisten als Ansammlung von bunten<br />
Kugeln, die lediglich bösartig wirken.<br />
1 Lovecraft, 1929<br />
2 Lovecraft, 1932<br />
Der Cthulhu-Mythos<br />
Yog-Sothot und Hastur<br />
Zusätzlich bezeichnen ihn Turner und Langford<br />
3 als Mitregenten von Azathoth, dem ursprünglichen,<br />
verrückten Chaos 4 .<br />
Wenn nun Yog-Sothoth sowohl Raum und<br />
Zeit sein soll, der allwissende Schlüssel zu<br />
den verborgenen Welten, gleichzeitig aber<br />
unendlich verhüllt und dann auch wieder mit<br />
der ganzen belebten Welt verbunden ist,<br />
dann sollten wir uns schon etwas näher mit<br />
ihm beschäftigen, denn es könnte sich lohnen.<br />
Es fällt mir schwer, Yog-Sothoth irgendeinem<br />
Anteil der gesunden Psyche zuzuordnen.<br />
Im Gegensatz zu den üblichen dunkleren<br />
Göttern aus anderen Pantheonen glaube<br />
ich kaum, dass es hier genügt, evtl. verborgene<br />
Aggressionen oder Trauer hervorzuholen,<br />
ein Ritual zu zelebrieren und danach von<br />
einer Begegnung mit dem zu sprechen, was<br />
gemeint sein könnte. Am ehesten würde ich<br />
diese schwarze Intelligenz mit Thagirion in<br />
Verbindung bringen, dem qliphotischen Gegenstück<br />
zum kabbalistischen Tiphareth.<br />
Thagirion ist die schwarze Sonne, welche einerseits<br />
zwischen uns und den anderen Welten<br />
des qliphotischen Baumes vermittelt und<br />
andererseits die Schattenwelten mit schwarzem<br />
Licht erleuchtet.<br />
Um das wieder etwas fassbarer zu machen,<br />
drücke ich mich mal weniger esoterisch aus:<br />
Meiner Meinung nach muss man den Weg<br />
der Verrücktheit gehen, um irgendwann inmitten<br />
des Irrsinns den Sinn aller Verwirrung<br />
sehen zu können. Man entsagt also mindestens<br />
für einen längeren Zeitraum den Früchten<br />
der Ordnung und der Organisiertheit und<br />
stellt sich all den Alpträumen, Ängsten und<br />
3 In „Das Buch der toten Namen/Necronomicon“, 1993<br />
4 Siehe Damhain <strong>Alla</strong>, Ausgabe 22<br />
Wahnideen, denen man sich normalerweise<br />
entgegenstellt. Da es kaum gelingen dürfte,<br />
nach solchen „Ausflügen“ ein nach den üblichen<br />
Maßstäben erfülltes Leben zu führen,<br />
nimmt es nicht Wunder, das Lovecrafts Protagonisten<br />
entweder als unglückselig oder,<br />
wenn sie sich mit dem Außergewöhnlichen<br />
auseinandersetzen, als bösartig, abnorm und<br />
damit als schwarzmagisch bezeichnet werden.<br />
So sehr mich die Aussicht auf die schwarze<br />
Erleuchtung, die ein Wesen wie Yog-Sothoth<br />
zu versprechen mag, fasziniert, ist für mich,<br />
der ich mich sehr wohl an meinem Alltag erfreuen<br />
kann, der Weg dorthin eher nicht<br />
gangbar. In der Literatur bezahlt der Anhänger<br />
Yog-Sothoths mit ewiger Knechtschaft<br />
und in der Realität, glaube ich, würde dem so<br />
sein.<br />
Hastur, der Gelbe König<br />
Mit Hastur ist es etwas verworren. Diese<br />
Wesenheit tauchte schon auf, bevor Lovecraft<br />
über sie schrieb und zwar bei Ambrose<br />
Bierce in dessen Kurzgeschichte Haïta, der<br />
Hirte (1893). Bierce scheint ihn erfunden zu<br />
haben; jedenfalls ist er bei ihm ein gütiger<br />
Gott der Hirten und Herden. In der Geschichtensammlung<br />
Der König in Gelb (1895) von<br />
Robert Chambers wurde er dann wieder verwendet,<br />
einmal als Name einer Stadt, einmal<br />
als möglicherweise übermenschliches Wesen.<br />
Zugleich erwähnte Chambers in seinen<br />
Geschichten einen geheimnisvollen Gelben<br />
König und ein gelbes Symbol. Jenes Zeichen<br />
unterwerfe den Besitzer dem Willen des<br />
Gelben Königs bzw. seiner Nachfolger. Jenen<br />
König, den ursprünglichen Erschaffer<br />
des Symbols, beschreibt Chambers dabei als<br />
nicht menschlich und nicht von dieser Welt.<br />
Lovecraft erwähnt später sowohl Hastur, als<br />
auch das gelbe Zeichen in Der Flüsterer im<br />
Dunkeln und stellt dort eine kultische Verbindung<br />
zwischen beiden her, belässt es aber<br />
im Übrigen dabei und geht nicht näher darauf<br />
ein.<br />
Erst Lovecrafts Herausgeber August Derleth<br />
und spätere Autoren erhoben Hastur in die<br />
Reihen der Großen Alten und setzten ihn mit<br />
dem Gelben König gleich, den sie als Hastur-<br />
Avatar beschrieben. Dabei dient das gelbe<br />
Symbol als Schlüssel zur Welt der großen<br />
Alten; Hastur ist der Torwächter und unterwirft<br />
die Besitzer des Zeichens seinem Willen,<br />
schlägt sie in den Bann des uralten, funkelnden<br />
Chaos und lässt sie nicht wieder los.<br />
Man beschreibt ihn als magere, schwebende<br />
Gestalt, gekleidet in flatternde, gelbe Tücher.<br />
Die Farbe Gelb zeichnet Hastur als Wesenheit<br />
der Luft aus, wie es seine Rolle als<br />
Schlüsselmeister und Grenzwärter auch erwarten<br />
lässt. Jedoch scheint dies eine rein<br />
menschliche Vorstellung zu sein, da die<br />
Großen Alten sich einer Zuordnung zu den<br />
uns bekannten Elementen eigentlich entziehen.<br />
Als weiterer möglicher Avatar Hasturs gilt<br />
„der Hohepriester, der nicht beschrieben<br />
werden soll“. Diese Gestalt beschrieb Lovecraft<br />
in seinem Gedicht The Elder Pharos als<br />
den letzten der Großen Alten, der unter den<br />
Menschen wohnt und durch Trommeln mit<br />
dem Chaos spricht. Von jenem flüstere man,<br />
dass er sein Gesicht hinter einer gelben, seidenen<br />
Maske verberge, die verhüllen soll,<br />
dass er nicht von dieser Welt sei.<br />
Die beiden Entitäten scheinen völlig verschieden,<br />
obwohl beide als Tore bzw.<br />
Schlüssel bezeichnet werden. Auch Cthulhu<br />
wird diese Funktion zugewiesen. Das sind<br />
Paradebeispiele für das gesamte Konstrukt:<br />
Chaos und Willkür.<br />
Cth
42 Weide Weide 43<br />
In die tiefen Wasserfluten sinkt die Hoffnung<br />
hinab,<br />
ungesehen, ungehört, aus jener Welt in eine<br />
andere –tiefere, dunklere.<br />
Nur die Weide sieht’s und versteht’s<br />
–eines Tages zurückbringend was einst verloren.<br />
I<br />
ch komme aus einem Landstrich, der<br />
nicht besonders aufregend ist. Es gibt<br />
kaum Wald und Wasser, das Land ist flach<br />
und eines der dünnbesiedeltsten in Deutschland.<br />
Ich könnte behaupten, dass es langweilig<br />
ist, wären da nicht noch der Wind, der<br />
dichte Nebel und in ihm wundersame, unwirkliche<br />
Schemen. In der Dämmerung und<br />
im Mondlicht sieht man große Gestalten, die<br />
auf leerem Felde in Reihe ihre schweren<br />
Köpfe aus den weißen Schleiern strecken.<br />
Wenn Nebel Tore zu einer anderen Welt<br />
sind, so sind für mich Weiden die Wächter<br />
dieser Tore. Manch einem verwehren sie<br />
wohl den Einlass und andere kehren verwandelt<br />
oder nimmermehr zurück.<br />
Die Kopfweiden, die mir auf unseren Feldern<br />
auffielen, sind beschnittene Weidenarten,<br />
häufig Silber- oder Korbweiden. Es gibt<br />
allerdings über 400 Weidenarten, die von ihrer<br />
Größe her von den Zwergsträuchern bis<br />
hin zu über 30 Meter großen Bäumen heranreichen.<br />
Das Aussehen der Weiden (Salix)<br />
ist so unterschiedlich, dass man teilweise nur<br />
durch die Genetik der Pflanze herausfinden<br />
kann, ob sie zu der Familie der Weidengewächse<br />
(Salicaceae) gehört. Wer sich die<br />
Mühe machen will, kann auch die Anordnung<br />
der Blätter an den Zweigen studieren,<br />
um Pflanzen auf ihre Weidenzugehörigkeit<br />
zu testen, denn jedes fünfte Blatt ist dem ersten<br />
parallel angeordnet. Zu den Weidengewächsen<br />
zählt auch noch die Pappel, aber<br />
ich möchte mich ausschließlich mit der<br />
Weide befassen, welche mythisch und mystisch<br />
doch für mich um einiges interessanter<br />
ist. Die Weiden sind bis auf die Trauerweide<br />
zweihäusig (diözisch), was bedeutet, dass es<br />
männliche und weibliche Weiden gibt. Allerdings<br />
hält sich ein Weidenbaum bei der<br />
Fortpflanzung nicht unbedingt an seinen gegengeschlechtlichen<br />
Part. Weiden gehen unterschiedlichste<br />
Kreuzungen ein, entwickeln<br />
immer neue Hybride und Mutationen und<br />
machen dadurch ihre Bestimmung noch<br />
schwieriger.<br />
Medizin<br />
Die Weide gilt als eine omnipotente Heilpflanze.<br />
Sie soll schmerzstillend, harntreibend,<br />
fiebersenkend sein und der Verklumpung<br />
von Blut vorbeugen, somit das Risiko<br />
von Herzinfarkten und Schlaganfällen senken.<br />
Auch gegen Schuppen, Akne und Warzen<br />
kann sie verwendet werden. Die Stoffe,<br />
welche dies bewirken sollen, sind Salicin,<br />
Flavonoide u.a. der Weidenrinde in bestimmten<br />
Arten. Allerdings wird das Salicin erst in<br />
der Leber zur wirksamen Salicylsäure umgewandelt.<br />
Acetylgruppen, die an die Salicylsäure<br />
angeheftet wurden, bilden das moderne<br />
ASS (Acetylsalicylsäure). Nur die Salicylsäure<br />
alleine, wie sie durch Salicin der<br />
Weide im Körper gebildet wird, ist leider<br />
schleimhautschädigend und kann zu Überreaktionen<br />
und Magen-Darm-Problemen führen.<br />
Diejenigen die noch kein ASS hatten, wie<br />
zum Beispiel die Babylonier und Assyrer,<br />
mussten daher mit der Weide vorlieb nehmen,<br />
wie die Schmerzrezepturen auf Tontafeln<br />
dieser Zeit beweisen (700 v. u. Z.). Auch<br />
die alten Ägypter behandelten mit Weide<br />
Schwellungen und Entzündungen.<br />
Die Weide<br />
Die Signaturenlehre – die Merkmale der<br />
Pflanze geben hier Aufschluss auf deren<br />
Wirkung – spricht der Weide einige Wirkungen<br />
zu, die sie tatsächlich auch hat. So<br />
schreibt schon Homer von der empfängnisverhütenden<br />
Wirkung der Weide, da sie sehr<br />
früh ihre Samen abwirft. Auch Plinius der<br />
Ältere und Diuskurides vertraten diese Ansicht.<br />
Heute ist nachgewiesen, dass in bestimmten<br />
Weidenarten speziell die Kätzchen<br />
Östrogene enthalten, die den Eisprung verhindern<br />
können, aber zur Thematik der Empfängnisverhütung<br />
komme ich später noch<br />
einmal. Weiterhin ist die Weide sehr robust,<br />
biegsam, widersteht Wind und Wasser und<br />
deutet somit auf eine heilende Wirkung gegenüber<br />
Gicht und Rheumatismus hin.<br />
„Study of Willows“ (1750-1755)<br />
Thomas Gainsborough<br />
Das Wort „Weide“ kommt von dem althochdeutschen<br />
„wîda“, was „die Biegsame“ bedeutet.<br />
Das Korbflechten ist gleich der Weberei<br />
eines der ältesten Handwerke der<br />
Menschheit und in unseren Breiten wurde<br />
und wird hierzu die Korbweide verwendet.<br />
Mit Hilfe dieses biegsamen Baumes waren<br />
der Transport von Waren und auch der Hausbau<br />
mit geflochtenen Wänden, wie er bereits<br />
in der Jungsteinzeit praktiziert wurde, erst<br />
möglich. Um nun mal den Bogen zum Mystischen<br />
zu schlagen: Wenn Hexenbesen<br />
Borsten haben, sind diese mit Hilfe der Weide<br />
gefertigt.<br />
Liebe und Verlust<br />
Die Weide ist wie die Eibe ein Göttinnenbaum,<br />
der ebenfalls mit der Unterwelt in<br />
Verbindung steht. Die Eibe hat den Ruf des<br />
Baumes der Ewigkeit und der Wiederauferstehung,<br />
weil sie fast unzerstörbar ist, uralt<br />
werden kann und sich zwar langsam, doch<br />
stetig immer wieder auf unterschiedlichste<br />
Weise fortpflanzt. Die Weide hat einen ähnlichen<br />
Ruf, wenn auch aus anderen Gründen.<br />
Sie ist extrem schnell wachsend und kann<br />
auch einfach per Steckling angepflanzt werden.<br />
Jedoch stirbt sie auch schnell ab und<br />
hinterlässt oft ausgehöhlte Stämme, die dann<br />
doch wieder neu austreiben können.<br />
Sie ist mit dem Demeter- und Persephonemythos<br />
verknüpft. Der Demeter, der Göttin<br />
der Fruchtbarkeit, wird die schnell sprießende<br />
Weide zugeordnet, ebenso wie die Biene,<br />
die ihre ersten Pollen des Jahres von blühenden<br />
Weidenkätzchen bezieht. Die sterbende<br />
Weide, welche von innen verfault, setzt man<br />
mit Persephone in Verbindung. Auch in ihrer<br />
Funktion des empfängnisverhütenden Baumes<br />
wird sie der „jungfräulichen“ Göttin zugeordnet.<br />
Interessanterweise ist in Granatäpfeln,<br />
von denen Persephone in der Unterwelt<br />
gekostet hat, unter anderem Östriol/Estriol<br />
vorhanden, welches in ausreichender Konzentration<br />
den Eisprung verhindern kann. So<br />
kann, auch wenn Leben ohne Tod nicht möglich<br />
ist, kein Leben in der Unterwelt entstehen.<br />
Persephone soll einen Weidenhain gepflegt<br />
haben, welcher der Göttin Hekate ge-
44 Weide Weide 45<br />
weiht war. Hekate, die Göttin der Übergänge<br />
und Schwellen, und Persephone, die selbst<br />
die Schwelle zum Tod übertreten hat, sind<br />
mit diesem Baum verbunden. Diese Schwellenpflanze<br />
markiert sichtbar und im mystischen<br />
Verständnis die Übergänge. Durch ihre<br />
Fäule bildet sie mit der verbliebenen Rinde<br />
Tore, durch die man hindurchschauen und<br />
-schreiten kann. Die Weide steht häufig an<br />
Flussufern und feuchten Wiesen, sodass Nebel<br />
entstehen kann und sie umhüllt. Das<br />
Wasser und der Nebel selbst bilden in vielen<br />
Mythologien, wie zum Beispiel der Griechen<br />
oder Kelten einen Übergang in die Totenoder<br />
Anderswelt.<br />
„[…] Aber bist du im Schiffe den Ocean jetzo<br />
durchsegelt,<br />
Und an dem niedern Gestad' und den Hainen<br />
Persephoneiens,<br />
Voll unfruchtbarer Weiden und hoher Erlen<br />
und Pappeln […]“<br />
(Homer: Odyssee; Übersetzung nach J. H.<br />
Voß)<br />
Später ist es wieder einmal der Herr Shakespeare,<br />
der die Baumsymbolik aufgreift und<br />
ihre düsteren Seiten verarbeitet. Im Gegensatz<br />
zur Eibe, die das Gift der Rachegöttinnen<br />
darstellt, erscheinen die Weiden bei<br />
Shakespeare als Symbol für den Verlust von<br />
Liebe und Leben. Die Ophelia ertrinkt, nachdem<br />
sie den Halt an einer Weide verlor, mit<br />
deren Hilfe sie einen Blumenkranz flechten<br />
wollte. Den Blumenkranz hätte sie auch<br />
nicht mehr gebraucht, denn Hamlet verschmähte<br />
sie als Braut, da er in seinem<br />
Wahnsinn gefangen war.<br />
Desdemona aus „Othello“ singt ein Klagelied<br />
über eine verlorene Liebe. Ihr geht das<br />
Lied nicht aus dem Kopf, welches einst von<br />
einem sterbenden Mädchen gesungen wurde.<br />
„Das Mägdlein saß singend am Feigenbaum<br />
früh, singt Weide, grüne Weide!<br />
Die Hand auf dem Busen, das Haupt auf dem<br />
Knie, singt Weide, Weide, Weide!<br />
Das Bächlein, es murmelt und stimmet mit<br />
ein; singt Weide, grüne Weide!<br />
Heiß rollt ihr die Trän' und erweicht das Gestein;<br />
singt Weide, Weide, Weide!<br />
Von Weiden all flecht' ich mir nun den Kranz<br />
– O scheltet ihn nicht, sein Zorn ist mir<br />
recht. –<br />
Ich nannt' ihn du Falscher! Was sagt' er dazu?<br />
Singt Weide, grüne Weide!<br />
Seh' ich nach den Mädeln, nach den Buben<br />
siehst du.“<br />
(aus: W. Shakespeare: „Othello, der Mohr<br />
von Venedig“)<br />
Kurz darauf wird sie von ihrem Mann, Othello,<br />
umgebracht.<br />
Aphrodisiakum und Lusthemmer<br />
In China geniest die Weide einen sehr lebensbejahenden<br />
Ruf. Das „Qi“ welches auch<br />
die Kraft darstellt, die das Leben erhält und<br />
in Bewegung setzt, bedeutet auch Weide. Mit<br />
ihren Zweigen wurde auch orakelt und die<br />
Chinesische Weide (Echte Trauerweide)<br />
steht für Schönheit und Anmut. Doch wird<br />
auch davor gewarnt, Mädchen die schwingenden<br />
Zweige der Weide sehen zu lassen,<br />
damit diese nicht auf unkeusche Gedanken<br />
kommen. Die Redewendung „Blumen pflücken<br />
und Weiden kaufen“ deutet einen Bordellbesuch<br />
an. Die Weide erhitzte mit ihren<br />
schlanken sich wiegenden Zweigen so sehr<br />
die Gemüter, dass sie als Aphrodisiakum<br />
eingenommen wurde.<br />
Im alten Griechenland hingegen galt der<br />
Baum, obwohl der Demeter zugeordnet, als<br />
Antiaphrodisiakum. Es gab in der Zeit um<br />
Oktober/November herum ein dreitägiges<br />
Fest zu Ehren der Demeter, welches nur von<br />
Frauen begangen wurde. Die Thesmophorien<br />
waren ein Saatfest, aber auch gleichzeitig ein<br />
Gedenken an die Suche der Demeter nach ihrer<br />
Tochter. Die Frauen bestiegen den Pnyx,<br />
einen Hügel in Athen, der sonst nur Männern<br />
für Versammlungen vorbehalten war, und<br />
richteten sich dort mit selbstgebauten Hütten<br />
ein. Es ist wenig bis gar nichts von den rituellen<br />
Handlungen bekannt, die dort vollzogen<br />
wurden. Der erste Tag war nur der Anreise<br />
und dem Einrichten der Lagerstätten<br />
gewidmet, dabei ließen sich die Frauen auf<br />
Weidenblättern nieder, um keusch zu bleiben.<br />
Sie trugen keinen Schmuck und keine<br />
Schminke. Der zweite Tag war ein Fastentag.<br />
Es wurde geschwitzt, gefastet und dabei auf<br />
den Weiden geruht. Die Abstinenz von Nahrung<br />
und Sex sollte den Verlust von Demeter,<br />
der Göttin der Fruchtbarkeit, darstellen,<br />
aber auch reinigend für die folgenden Riten<br />
sein. Am dritten Tag wurden Nahrung und<br />
Fruchtbarkeitssymbole aus der Erde geholt,<br />
die Tags zuvor vergraben worden waren. Die<br />
Frauen wurden als Bienen bezeichnet, um ihre<br />
Keuschheit zu unterstreichen. Dieses Fest<br />
war die einzige Möglichkeit, allein unter<br />
Frauen sein zu können, ohne von Männern<br />
scheel beäugt zu werden. Sie mussten sich<br />
weder hübsch machen, benehmen, noch ihren<br />
Männern sexuell zu Diensten sein. Wenn<br />
doch einem Mann einfiel, zu spionieren,<br />
wurde er brutal vom Berg gejagt und verdroschen.<br />
Unter dem Schutz der Weiden der<br />
Demeter konnten die Frauen für eine kurze<br />
Zeit frei sein.<br />
Volksglaube und Hexenbaum<br />
Einst war die Weide in unserem Kulturraum<br />
ein heiliger Baum, ein Baum der Muttergöttin<br />
und dem Mond zugeordnet. Die Weide ist<br />
eine der Anführerinnen aus dem walisischen<br />
„Cad Goddeu“ (Schlacht der Bäume) und<br />
führt dort die Kämpfe an. Mit der Christianisierung<br />
begann dann die Verteufelung. Die<br />
Weide sei ein Hexenbaum und im Schutz der<br />
Nebel spielen die Hexen in ihrem Geäst mit<br />
dem Gehörnten. Judas Ischariot soll sich<br />
nach einer verbreiteten Volkssage an ebendiesen<br />
Baum aufgehängt haben, noch<br />
schlimmer für den Ruf der Weide. Trotzdem<br />
wurde im einfachen Volk die Weide weiterhin<br />
für kleine Zauber genutzt, wenn auch für<br />
sehr entgegen gesetzte Zwecke. Um Feuer<br />
und Blitzschlag abzuwenden, hängte man sie<br />
sich ans Haus. Man ging zu Weiden, um dort<br />
über Sorgen zu sprechen und Krankheiten<br />
loszuwerden, denn die Weide nimmt auf,<br />
was man ihr gibt und sei es auch etwas<br />
Schlechtes. Knotenzauber konnten direkt in<br />
die herabhängenden Zweige gebracht werden.<br />
Andererseits sollte man Weiden meiden,<br />
da dort böse Geister hausten, und ein Fluchbeutelchen<br />
mit faulem Weidenholz war auch<br />
ganz schnell gemacht, wenn man den Nachbarn<br />
um Vieh oder Ackerfrucht beneidete.<br />
Nur weil die Weide mit der Unterwelt im<br />
festen Zusammenhang steht, wurde sie mit<br />
der Hölle in Verbindung gebracht, dabei<br />
strebt kaum ein anderer Baum so schnell<br />
nach dem Himmel. Es gibt wie gesagt zwar<br />
Weiden in allen Größen, doch schnell wachsen<br />
sie allemal und verbreiten sich weiträumig.<br />
Nur ist es leider mit der biologischen<br />
Weide genauso wie mit der mystischen; sie<br />
lässt sich allzu schnell vertreiben.<br />
arminte<br />
Quellen:<br />
W. Mannhardt: Die Götterwelt der Deutschen<br />
und nordischen Völker: Eine Darstellung,<br />
1860.<br />
H. Dierbach: Flora mythologica oder Pflanzenkunde<br />
in Bezug auf Mythologie und Symbolik<br />
der Griechen und Römer, 1833.<br />
J. Berendes: Des Pedanios Dioskurides aus<br />
Anazarbos Arzneimittellehre in fünf Büchern,<br />
1902.<br />
H. Hertwig: Gesund durch Heilpflanzen,<br />
1938.<br />
M. Treichler: Empfängnisverhütung im Römischen<br />
Reich, 2007.<br />
D. Laudert: Mythos Baum, 2004.
46 Frauenzeit Frauenzeit 47<br />
„Wenn die Frau das Recht hat, das Schafott<br />
zu besteigen, muss sie auch das Recht haben,<br />
die (Redner)Tribüne zu besteigen.“<br />
Olympe de Gouges (hingerichtet 1793)<br />
I<br />
n manchen Kreisen gehört es fast schon<br />
zur Kultur; Feministinnen spinnen. Entweder<br />
sind sie verbissene Kampflesben, die<br />
ewig Frigiden oder gelangweilte Hausfrauen,<br />
die sich mal lieber einen ordentlichen oder<br />
besser gesagt potenten Mann suchen sollten.<br />
Darüber hinaus scheinen Frauenrechtlerinnen<br />
nicht nur aus dem Gott eine Göttin zu<br />
kreieren, vielmehr laufen sie angeblich kastrationswütig<br />
durch die Lande, um alles Maskuline<br />
abzuschaffen. Und augenscheinlich<br />
werden sie nicht nur von Männern belächelt,<br />
immer mehr Frauen distanzieren sich von allem<br />
„Emanzenzeug“.<br />
Das macht mich immer wieder wütend und<br />
noch viel öfter traurig, denn scheinbar haben<br />
viele vergessen, wie der weibliche Alltag<br />
noch vor wenigen Jahren aussah und vermutlich<br />
werden allzu oft die Augen vor der<br />
Situation der Frauen im Heute verschlossen.<br />
Frauenzeit<br />
Die Realität der Frau<br />
Olympe de Gouge (1748-1793) war nicht die<br />
Erste, die sich mit den nicht vorhandenen<br />
Rechten der Frauen befasste. Sie entgegnete<br />
der 1789 aus der französischen Nationalversammlung<br />
entstandenen Erklärung der Menschen-<br />
und Bürgerrechte ihrerseits mit 17<br />
Artikeln über Frauenrechte. Hundert Jahre<br />
zuvor kritisierte Marie Le Jars de Gournay<br />
(1565-1645) bereits öffentlich die Situation<br />
der Frauen: „Frauen sind das Geschlecht,<br />
dem man alle Güter versagt [...] um ihm als<br />
einziges Glück und ausschließliche Tugend<br />
die Unwissenheit, den Anschein der Dummheit<br />
und das Dienen zu bestimmen.“<br />
Allerdings dauerte es trotz vereinzelter<br />
Stimmen, die sich erhoben, noch bis zur Mitte<br />
des 19. Jahrhunderts, ehe eine Bewegung<br />
entstand, die endlich gehört werden musste.<br />
Interessanterweise waren es fast immer die<br />
sozialistischen Umwälzungen, welche heutige<br />
Selbstverständlichkeiten wie das Frauenwahlrecht<br />
einführten, und genauso spannend<br />
finde ich es, dass Männer, die sich öffentlich<br />
mit Frauenrechten auseinandersetzten, zunächst<br />
aus dem sozialistischen Lager kamen,<br />
wie zum Beispiel Karl Marx, August Bebel<br />
und Friedrich Engels.<br />
Damit nimmt es nicht Wunder, dass mit dem<br />
Ende des zweiten Weltkrieges in der DDR<br />
die formale Gleichberechtigung der Frau zur<br />
Selbstverständlichkeit wurde, ganz im Gegenteil<br />
zum anderen Teil Deutschlands.<br />
In den 50ern wurde in der Bundesrepublik<br />
diskutiert, ob unverheiratete Frauen überhaupt<br />
einen eigenen Haushalt führen dürfen,<br />
und in den 70ern kämpften bundesdeutsche<br />
Frauen um das Recht auf Abtreibung oder<br />
darum, dass Frauen ohne die Genehmigung<br />
ihres Mannes berufstätig sein können.<br />
Mit der Wende sahen sich ostdeutsche Frauen<br />
mit einer für sie befremdlichen Realität<br />
konfrontiert. Plötzlich verdienten sie nicht<br />
mehr denselben Lohn wie männliche Kollegen,<br />
Kindertagesstätten wurden rapide abgebaut,<br />
denn Mütter von Kleinkindern sollten<br />
lieber zu Hause bleiben. Ihre Entscheidung,<br />
ob sie eine Schwangerschaft vorzeitig beenden,<br />
muss in einer Beratungsstelle diskutiert<br />
werden und ein Abbruch muss selbst finanziert<br />
werden.<br />
Entscheidet sich die Frau für das Kind, liegt<br />
der Löwenanteil der Finanzierung im Zweifelsfall<br />
bei der Frau selbst, denn staatliche<br />
Unterstützungen wurden immer weiter heruntergefahren.<br />
Für Alleinerziehende mit geringem<br />
Einkommen sind Kinder kaum leistbar,<br />
von fehlenden Betreuungseinrichtungen<br />
ganz zu schweigen. Aber auch Verhütungsmittel<br />
wie die Pille sind aus eigener Tasche<br />
zu zahlen.<br />
Vielleicht haben sich die Frauen daran gewöhnt,<br />
denn das neue System war immerhin<br />
gewollt. Und die jüngeren sind schließlich so<br />
aufgewachsen. Aber auch Jahre nach der<br />
Wiedervereinigung müsste doch manches<br />
merkwürdig erscheinen.<br />
1998 gab es per Gesetz in Deutschland überhaupt<br />
erst einmal die Vergewaltigung in der<br />
Ehe, aber erst seit 2004 wird sie von Amts<br />
wegen verfolgt. Und weil ich gerade beim<br />
Thema Vergewaltigung bin, Soldaten der<br />
Bundeswehr bekommen bei ihren Auslandseinsätzen<br />
Kondome und Gleitmittel. Allerdings<br />
werden sie gebeten, zu Huren zu gehen.<br />
Zurück nach Deutschland, Frauen verdienen<br />
im Durchschnitt 23 % weniger als Männer.<br />
In der Wirtschaft kommt auf drei männliche<br />
Führungskräfte eine Frau.<br />
Nicht nur die Kosmetikindustrie, sondern –<br />
und das finde ich beängstigend – zusehends<br />
auch die Schönheitschirurgie verdient an<br />
Frauen ein Vielfaches mehr als an Männern.<br />
Warum auch immer, schon ganz junge Mädchen<br />
lassen an sich herumschneiden.<br />
Aber auch ganz alltägliche Dinge fallen jenseits<br />
von Statistiken auf. Immer noch höre<br />
ich von männlichen Zeitgenossen, dass Frauen<br />
manche Dinge eben besser können als<br />
Männer. Dazu gehört Körperhygiene angeblich<br />
genauso wie Windeln wechseln, soziale<br />
Probleme lösen, putzen oder sich um pflegebedürftige<br />
Angehörige zu kümmern. Die Sachen,<br />
die sich Männer auf die Fahnen schreiben,<br />
erscheinen vergnüglicher und kurzweiliger:<br />
Autofahren, einen Nagel in die Wand<br />
schlagen oder stundenlang am Computer sitzen.<br />
Wenn Frauen beginnen, diesen Firlefanz<br />
zu glauben, gestaltet sich der Alltag mühsam<br />
und aus meiner Erfahrung glauben das zu<br />
viele Frauen auch heute noch. Ein bisschen<br />
belustigend finde ich manchmal die „Menschenaffentheorie“,<br />
die besagt, dass Männer<br />
ihre Gene nahezu überall verbreiten müssen,<br />
also keinesfalls treu sein können. Das ist sogar<br />
in manchen wissenschaftlichen Kreisen<br />
verbreitet. Apropos Wissenschaftler: Unlängst<br />
sah ich eine ziemlich seriöse Reportage<br />
über Java-Menschen, eine Form des homo<br />
erectus. Der Archäologe kommentierte mit<br />
folgendem Wortlaut: „Die Java-Menschen<br />
fuhren mit ihren Booten weite Strecken. Sie<br />
hatten auch Frauen dabei.“ Soso, die Menschen<br />
und die Frauen.<br />
Wahrscheinlich liegt das alles an der sündhaften<br />
Eva, die Tod und Verderben über die<br />
Welt brachte. Andererseits, selbst unsere<br />
nichtchristlichen Vorfahren beherrschten<br />
schon die Kunst der Ungleichberechtigung.<br />
Ich bin überzeugt davon, dass es noch lange<br />
kein befriedigendes Schlusswort zum Thema<br />
gibt, denn selbst in unserer so modernen,<br />
westlichen Welt ist die Frau ein Mensch<br />
zweiter Klasse und dazu verdonnert, mithilfe<br />
von Quotenregelungen hier und da ihren<br />
Platz zu bekommen. Manchmal möchte ich<br />
euch Mädels aus eurer Passivität schütteln,<br />
euch eure Genügsamkeit und Opferbereitschaft<br />
wegreißen. Oft möchte ich euch zur<br />
Solidarität aufrufen und gelegentlich würde<br />
ich euch Waffen in die Hand drücken. Ich<br />
hoffe nicht, dass es „typisch Frau“ ist, zu<br />
dulden, wegzuschauen und zufrieden zu sein<br />
mit Bröckchen vom großen Kuchen. Aber<br />
ich weiß, dass ihr selbst dahin kommen<br />
müsst, und vielleicht löst ihr dann irgendwann<br />
eine neue Welle der Emanzipation aus,<br />
die darin mündet, selbstverständlich groß<br />
und frei zu sein.<br />
Lilye
48 Wicca Wicca 49<br />
T<br />
raditionell initiierte Wicca werden sich<br />
sicherlich erinnern; perfect love und<br />
perfect trust werden als erste Passwörter bezeichnet,<br />
die man benötigt, um das Tor zur<br />
Welt der Götter durchschreiten zu können.<br />
Aber auch die meisten anderen Hexen und<br />
Heiden kennen mindestens Teile der sogenannten<br />
Wiccan Rede, deren lange Version<br />
mit den Worten beginnt: „Bide the Wiccan<br />
laws ye must in perfect love and perfect<br />
trust.“ 1<br />
Die Wahl dieser zwei abstrakten Begriffe als<br />
Schlüsselwörter ist sicherlich kein Zufall. In<br />
der Tat sind „Liebe“ und „Vertrauen“ ein<br />
wesentlicher, wenn nicht sogar der zentrale<br />
Bestandteil von Wicca. Jedoch sind beide<br />
nicht nur Elemente dieser Mysterientradition,<br />
sondern gehören auch zum alltäglichen,<br />
sozialen Leben und spielen ebenso in anderen<br />
Religionen eine bedeutende Rolle. Ich<br />
möchte mich allerdings, lieber Leser, in erster<br />
Linie auf die Bedeutung von Liebe und<br />
Vertrauen für mich als Wicca konzentrieren.<br />
Beginnen wir mit der Liebe.<br />
Die Liebe ist das stärkste Gefühl von Verbundenheit,<br />
das ein Mensch empfinden<br />
kann. Sie ist allumfassend und übermächtig,<br />
sie kann jede andere Empfindung umhüllen<br />
oder überdecken. Liebe stellt keine Bedingungen<br />
und muss nicht zwangsläufig erwidert<br />
werden.<br />
Gibt es eine sachliche Definition von Liebe?<br />
Ich zitiere an dieser Stelle der Einfachheit<br />
halber die vermeintlich unseriöse Wikipedia,<br />
deren Artikel manchmal eben doch nicht so<br />
schlecht sind. Dort heißt es: „Im ersteren<br />
Verständnis ist Liebe ein mächtiges Gefühl<br />
und mehr noch eine innere Haltung positiver,<br />
inniger und tiefer Verbundenheit zu einer<br />
Person, die den reinen Zweck oder<br />
Nutzwert einer zwischenmenschlichen Be-<br />
1 Vermutlich von A. Porter und G. Thompson, erstmals<br />
1964 von D. Valiente ausgesprochen. Die bekannteste<br />
Textstelle ist: An it harm none, do what ye will.<br />
Vollkommene Liebe<br />
und vollkommenes Vertrauen<br />
-Aus der Sicht eines Wicca-<br />
ziehung übersteigt und sich in der Regel<br />
durch eine tätige Zuwendung zum anderen<br />
ausdrückt.“<br />
Man kann zwar zwischen verschiedenen Arten<br />
von Liebe unterscheiden, allerdings sind<br />
für mein Verständnis im Kern alle Formen<br />
und Facetten der Liebe ein und dasselbe.<br />
So gibt es die Partnerliebe, die Objektliebe,<br />
die familiäre Liebe, Freundesliebe, die<br />
Selbstliebe, die Nächstenliebe und viele<br />
mehr. All diese verschiedenen Variationen<br />
der stärksten bekannten Zuneigung sind<br />
durch entsprechende Intentionen, Emotionen<br />
und Motivationen dem jeweiligen Zusammenhang<br />
angepasst. Beispielsweise besitzt<br />
die Partnerliebe ein romantisches, sexuelles<br />
Element, während die familiäre Verbundenheit<br />
eine rein soziale Komponente vorweist.<br />
Die Tatsache, dass es so viele verschiedene<br />
Erscheinungsformen der Liebe gibt, ließe e-<br />
ventuell den Schluss zu, dass der Mensch fähig<br />
ist, alles und jeden zu lieben. Ich gehe<br />
sogar noch einen Schritt weiter und behaupte,<br />
dass jede Person in ihrem innersten Kern<br />
aus reiner ungeformter Liebe besteht. Sie ist<br />
aus meiner Sicht die Antriebskraft, um sich<br />
selbst und die Welt um sich herum zu gestalten.<br />
Das würde die vielen unterschiedlichen<br />
Ausprägungen dieser starken Verbundenheit<br />
erklären.<br />
Die Liebe schenkt uns die Stärke und die<br />
Motivation für viele Handlungen, Gefühle<br />
und Ansichten. Die Welt im Außen und die<br />
Schale des eigenen Selbst stellen dabei eine<br />
Art Schablone, also einen Richtungsweiser<br />
dar.<br />
Um ein Beispiel zu nennen, beziehe ich mich<br />
auf die Partnerliebe. Der Wille zur Partnerschaft<br />
und zur Nähe entspringt der Liebe,<br />
und wie diese Partnerschaft gestaltet und wie<br />
mit ihr umgegangen wird, folgt aus den persönlichen<br />
Ansichten und der jeweiligen Situation.<br />
Zu diesen Überlegungen komme ich<br />
auch durch meine Schlussfolgerungen, welche<br />
ich in meinem Artikel über den Wahren<br />
Willen 2 ausführlich beschrieb. Damals unterstrich<br />
ich einen direkten Zusammenhang<br />
zwischen dem Willen und der Liebe.<br />
Die Liebe eines Menschen wird von dem<br />
Umfeld an seinen Taten beurteilt. Es reicht<br />
nicht, dass ich für mich weiß, dass ich meine<br />
Kinder liebe. Damit diese es auch wahrnehmen<br />
können, muss ich es ihnen zeigen.<br />
Eine besondere und vielleicht die wichtigste<br />
Form der Liebe ist die Selbstliebe. Die Fähigkeit,<br />
zu lieben, steckt in uns allen. Das<br />
Potential dazu muss natürlich herausgelockt<br />
und angewendet werden. Nun ist es so, dass<br />
die Grundlage aller Emotionen und Handlungen<br />
die eigene Person ist. Liebt sich je-<br />
2 Siehe Damhain <strong>Alla</strong>, Ausgaben 17 und 18<br />
mand nicht selbst, wird es dem Betreffenden<br />
einerseits schwer fallen, Liebe nach außen<br />
tragen zu können. Andererseits kann es immer<br />
wieder dazu führen, dass das Umfeld<br />
den Mangel an Selbstliebe kompensieren<br />
muss. Zwar kann man sich auch ohne Selbstliebe<br />
mit anderen verbunden fühlen, doch<br />
wird der eigene Mangel zu Verunreinigungen,<br />
wie zum Beispiel überzogener Eifersucht<br />
oder Besitzergreifung führen.<br />
Selbstliebe ist also eine wesentliche Grundlage<br />
für reine und zweckungebundene Liebe.<br />
Da Liebe eine Form der tiefen Zuneigung<br />
und Anerkennung darstellt, kann Selbstliebe<br />
ungefähr so beschrieben werden, dass man<br />
mit sich selbst im Reinen ist, sich selbst also<br />
als Ganzes anerkennt und sich zugeneigt ist.<br />
Wenn man einen abstrakten Begriff in seinem<br />
vollen Umfang verstehen möchte, kann<br />
es nicht schaden, kurz sein Antonym zu betrachten.<br />
Dafür bieten sich offensichtlich der Hass und<br />
die Gleichgültigkeit an. Hass ist eine tiefe<br />
Abneigung gegen jemanden oder etwas und<br />
kann zunächst als ein Gegenpart zur Zuneigung<br />
betrachtet werden. Allerdings ist bei<br />
genauer Betrachtung der Hass eine Art negativer<br />
Verbundenheit. Um wirklich zu hassen,<br />
muss man sich seinem Subjekt emotional<br />
und gedanklich ebenso intensiv zuwenden<br />
wie bei der Liebe, wenn auch mit völlig anderer<br />
Qualität.<br />
Mit der Gleichgültigkeit sieht es etwas anders<br />
aus. Personen und Objekte, die einem<br />
egal sind, ignoriert man, nimmt sie nicht o-<br />
der unberührt wahr. Es besteht kein Gefühl<br />
der Verbundenheit. Es existiert kein Wille,<br />
keine Motivation und keine innere Kraft, um<br />
auch nur in irgendeiner Form mit ihnen zu<br />
interagieren. So gesehen, kann man durchaus<br />
die Egalität als Gegenteil zur Liebe betrachten.
50 Wicca Wicca 51<br />
Kommen wir zum Vertrauen, dem zweiten<br />
Begriff.<br />
Das Vertrauen scheint oberflächlich im Leben<br />
der Menschen keinen so hohen Stellenwert<br />
einzunehmen wie die Liebe. In Kunst<br />
und Literatur, sowohl auch in zwischenmenschlicher<br />
Kommunikation wird das<br />
Thema der tiefen Verbundenheit mehr ausgebreitet<br />
als das dieser inneren Überzeugung,<br />
die doch eigentlich mindestens genauso<br />
wichtig für soziale Interaktionen ist. Zwar<br />
ist sie kein so starkes und präsentes Gefühl<br />
wie die Liebe, aber was nützt es, wenn zum<br />
Beispiel ein Kind seine Eltern liebt, aber ihnen<br />
nicht vertraut?<br />
Doch was ist nun Vertrauen genau?<br />
Um das zu verdeutlichen, komme ich noch<br />
einmal auf die Wikipedia zurück: „Vertrauen<br />
ist die subjektive Überzeugung (auch<br />
Glaube) der Richtigkeit, Wahrheit bzw.<br />
Redlichkeit von Handlungen, Einsichten und<br />
Aussagen eines anderen oder von sich selbst<br />
(Selbstvertrauen). Zum Vertrauen gehört<br />
auch die Überzeugung der Möglichkeit von<br />
Handlungen und der Fähigkeit zu Handlungen.<br />
Das Gegenteil des Vertrauens ist das<br />
Misstrauen.“<br />
Der entscheidende Punkt hierbei ist, dass<br />
man in einer unsicheren Situation davon ü-<br />
berzeugt ist, dass etwas richtig zu sein<br />
scheint bzw. gut ausgeht. Es gibt keinen inneren<br />
Zweifel. Das klingt für mich nach Optimismus.<br />
Man könnte daraus entnehmen,<br />
dass ein tendenziell pessimistisch veranlagter<br />
Mensch schwerer Vertrauen aufbauen<br />
kann.<br />
Und wieder scheint hier die eigene Person<br />
fundamental zu sein. Mangelndes Selbstvertrauen<br />
führt nicht zwangsläufig zur Unfähigkeit,<br />
anderen zu vertrauen. Allerdings wird<br />
jemand, der sich selbst zweifelnd gegenübersteht,<br />
viel schneller an allem und jedem<br />
zweifeln, was in irgendeiner Weise mit demjenigen<br />
interagiert.<br />
Nun ist es im Grunde unmöglich, absolut<br />
nichts und niemanden zu vertrauen. Vertrauen<br />
ist überlebensnotwendig. Auch kann es<br />
sehr kompetenzbezogen sein, da es sich<br />
manchmal auf Handlungen und nicht unbedingt<br />
Personen oder Objekte bezieht. Zum<br />
Beispiel vertraue ich meinem Mechaniker,<br />
dass er mir mein Auto reparieren kann, aber<br />
ich vertraue ihm nicht beim Thema Gesundheit.<br />
Da wende ich mich besser an meinen<br />
Arzt.<br />
Vertrauen ist etwas ganz Alltägliches, ja<br />
schon Selbstverständliches, ohne das wir ü-<br />
berhaupt nicht lebensfähig wären. Das ganze<br />
Leben ist eine Unsicherheit und als Folge<br />
dessen bedeutet absolut kein Vertrauen zu<br />
besitzen, den Sensenmann mit offen Armen<br />
zu empfangen.<br />
Natürlich sind dem alltäglichen Vertrauen<br />
Grenzen gesetzt: Ich vertraue darauf, dass<br />
mir nichts passiert, wenn ich vom Dach des<br />
Wolkenkratzers springe – das ist gewagt!<br />
Vertrauen entsteht nicht nur, es kann auch<br />
wieder zerstört werden. Mein Auto war gerade<br />
in der Werkstatt und ist wieder untauglich.<br />
Der Mechaniker hat nun mein Vertrauen<br />
verloren. Und es benötigt einige Zeit, bis<br />
er sich wieder meinen Glauben an seine Fähigkeiten<br />
erarbeitet hat.<br />
Das Antonym dieser Überzeugung ist wohl<br />
das Misstrauen. Das bedeutet, dass man<br />
glaubt, etwas sei falsch oder geht schlecht<br />
aus.<br />
Nun ist der Leitfaden dieses Artikels die Bedeutung<br />
von vollkommener Liebe und vollkommenem<br />
Vertrauen in Wicca. Was heißt<br />
vollkommen? Und warum liegt eine so starke<br />
Betonung darauf?<br />
Vollkommenheit beschreibt etwas Absolutes<br />
und Vollständiges. Vollkommenes Vertrauen<br />
drückt für mich die Überzeugung aus, dass<br />
schlussendlich alles sinnvoll, dienlich und<br />
damit gut ist. Es ist das höchstmögliche Vertrauen,<br />
zu dem ein Mensch fähig sein kann.<br />
Im Grunde genommen ist es das Tor, was<br />
dem Gegenüber ermöglicht, seine Liebe mit<br />
uns zu teilen.<br />
Ähnlich verhält es sich mit der vollkommenen<br />
Liebe. Sie soll von jeglicher Verunreinigung<br />
befreit sein, wie zum Beispiel von<br />
Zwängen, Selbstsucht, Lügen oder Illusionen.<br />
Vollkommene Liebe heißt für mich,<br />
dass eine völlige, freie Verbundenheit, Kraft<br />
oder Nähe zu allem und jedem existiert. Ich<br />
stelle sie mir wie ein Licht vor, das sich aus<br />
dem tiefsten Inneren unserer Seele aus der<br />
scheinbar undurchdringlichen Finsternis erhebt<br />
und alles und jeden mit sich reißt.<br />
Sie ist diese tiefe Verbundenheit, die nichts<br />
und niemanden unterscheidet, und die Kraft,<br />
die alles durchdringt und nach Belieben<br />
formt.<br />
Liebe und Vertrauen bedingen und ergänzen<br />
sich gegenseitig. Scheinen sie zunächst lediglich<br />
als abstrakte Begriffe, werden sie bei<br />
näherer Betrachtung zu kraftvollen und mystischen<br />
Kräften, die umfassende Bewegungen<br />
auslösen,<br />
Selbstverständlich handelt es sich hierbei um<br />
Ideale. Es dürfte schwer sein, im Alltag ohne<br />
Vorurteile und andere Hindernisse in vollem<br />
Umfang gleichermaßen zu lieben oder zu<br />
vertrauen. Im schlimmsten Fall kann das sogar<br />
lebensbedrohlich sein. Aber man kann<br />
zumindest innerhalb seiner Möglichkeiten<br />
versuchen, diese Ideale anzustreben.<br />
Immerhin suche ich als Wicca innerhalb<br />
meines Coven und gegenüber den Göttern<br />
diese Vision der vollkommenen Verbindung.<br />
Natürlich sind dem aufgrund menschlicher<br />
Schwächen auch gewisse Grenzen gesetzt.<br />
Doch hinter alledem steckt noch viel mehr<br />
als das bereits Beschriebene.<br />
Als Wicca durchschreite ich das Jahresrad,<br />
indem ich die acht Jahreskreisfeste, auch<br />
Sabbate genannt, feiere. Dort begegnen mir<br />
Liebe und Vertrauen jedes Jahr aufs Neue.<br />
Licht und Finsternis wechseln sich wie in der<br />
Natur so auch in den Mysterienspielen regelmäßig<br />
und scheinbar immerwährend ab.<br />
Ohne die Liebe und das Vertrauen zwischen<br />
Gott und Göttin hätte dieser Kreislauf keinen<br />
Bestand.<br />
Doch auch der direkte Götterkontakt in Gestalt<br />
von Andachten und Ritualen jenseits der<br />
Sabbate sowie die Interaktion der Covenmitglieder<br />
untereinander prägen beziehungsweise<br />
ermöglichen den Pfad zur vollkommenen<br />
Liebe und zum vollkommenen<br />
Vertrauen.<br />
Ohne die entsprechende Hingabe und den<br />
festen Glauben wird man kaum zu den Göttern<br />
und der göttlichen Kraft in sich gelangen.<br />
In der Tat wird man die göttliche Kraft<br />
in sich nur zur vollen Entfaltung bringen<br />
können, wenn man Vertrauen in sich und die<br />
Verbindung zu den Göttern hegt. Insofern<br />
können wir die Liebe auch als göttliche Stärke<br />
in uns betrachten. Da wir sie als ein Gefühl<br />
der Verbundenheit wahrnehmen, lässt<br />
sich leicht daraus folgern, dass alles durch<br />
diese göttliche Energie verbunden ist. Die<br />
Menschen, die Götter, die Natur, ja die gesamte<br />
Welt sind von dieser göttlichen Kraft<br />
durchdrungen und damit untereinander verbunden.<br />
Somit liebt alles oder jeder im Kern<br />
alles und jeden. Wenn man damit vertraut ist,<br />
könnte man sogar sagen, die Welt wird in<br />
Liebe erschaffen und in Liebe kehrt sie zum<br />
Ursprung zurück. Jedes Individuum, jedes<br />
Lebewesen und jeder Stein ist durch seine<br />
Existenz vom großen Ganzen getrennt und<br />
strebt wieder dahin zurück. Denn Liebe ist<br />
auch ein Bedürfnis nach Nähe und im höheren<br />
Sinne ein Streben nach Vereinigung.<br />
Sehnsucht und Liebe sind untrennbar miteinander<br />
verschmolzen. Denn wie sollte ich<br />
mich nach etwas sehnen, was ich nicht liebe?<br />
Als Priester liebe ich idealerweise deswegen<br />
nicht nur die Menschen und die Götter, sondern<br />
alles andere auch, wie die Natur oder<br />
das Leben ganz allgemein. Wenn ich die<br />
Götter in ihrer Immanenz betrachte, sind sie
52 Wicca Kabbalah 53<br />
in Gestalt der Liebe ein Teil der Welt und<br />
stecken in allem. Folglich ist meine Hingabe<br />
zu den Göttern auch eine Liebe zur Welt und<br />
ich lerne dadurch das Leben in allem zu achten<br />
und zu würdigen.<br />
Sowie das Vertrauen in uns die Macht der<br />
Liebe frei werden lässt, kann man sogar<br />
noch einen Schritt weiter gehen. Um magisch<br />
zu wirken, sind der Wille und die Ü-<br />
berzeugung, dass der Zauber funktioniert, also<br />
das Vertrauen, unentbehrlich. Für mich<br />
ergibt die Liebe, ihre Kraft und Stärke, ihre<br />
Verbindung mit allem in der Welt und ihre<br />
Sehnsucht den magischen Willen.<br />
Aleister Crowley vermutete, dass die Liebe<br />
eins mit dem wahren Willen ist. Und die feste<br />
Überzeugung, der getätigte Zauber würde<br />
funktionieren, ist nichts weiter als das Vertrauen<br />
in die eigenen magischen Fähigkeiten.<br />
Für mich ist das erfolgreiche Entfaltung des<br />
vollständigen und ungezwungen Selbstvertrauens<br />
und der innewohnenden Liebe der<br />
beste Weg, eine sehr erfolgreiche Hexe zu<br />
werden.<br />
Neben der Verehrung der Götter und der<br />
Anwendung von Magie gibt es ein weiteres<br />
Segment im Wicca, in dem Vertrauen und<br />
Liebe eine Rolle spielen. In manchen Traditionen<br />
wird man gefragt, ob man bereit ist,<br />
„zu leiden, um zu lernen“. Hierbei geht es<br />
im Grunde darum, Erfahrungen aus Krisen<br />
zu ziehen. Man vertraut darauf, dass man gestärkt<br />
und weiser aus finsteren Tagen emporsteigt.<br />
Man flieht nicht vor der Dunkelheit,<br />
sondern empfängt sie mit offen Armen<br />
und in der festen Überzeugung, dass das<br />
Licht danach umso heller strahlt.<br />
Abschließend lässt sich vorbringen, lieber<br />
Leser, dass Liebe und Vertrauen nicht ohne<br />
Grund einen besonderen Stellenwert im<br />
Wicca, aber natürlich auch im Alltagsleben<br />
aller Menschen genießen, ganz unabhängig<br />
von ihrer Herkunft und Religion. Jegliches<br />
Zusammenleben ist ohne diese beiden Gefühle<br />
praktisch unmöglich. Daneben wäre alles,<br />
worauf mein Verständnis von Wicca<br />
aufbaut, die Götter, der Jahreskreis, der Coven<br />
und jegliche Philosophie dieser Mysterientradition<br />
hinfällig.<br />
Liebe und Vertrauen sind Mysterien des Lebens,<br />
die zumindest aus meiner Sicht als<br />
Wicca untrennbar miteinander verbunden<br />
sind. Welchen Sinn macht das Vertrauen,<br />
wenn jeder nur bei sich wäre? Und welchen<br />
Sinn hätte die Liebe, wenn niemand das Vertrauen<br />
hätte, sie anzunehmen oder durch sie<br />
zu wirken?<br />
Liebe und Vertrauen im Leben und vor allem<br />
auch zum Leben, zum eigenen und dem der<br />
anderen, gibt der menschlichen Existenz<br />
doch erst einen höheren Sinn.<br />
Es ist der Pfad der Freude, der Freiheit und<br />
der Vollkommenheit. Der Mensch, der durch<br />
und durch von Liebe und Vertrauen durchdrungen<br />
ist, wird niemals der Einsamkeit und<br />
der Verbitterung erliegen.<br />
mingkatze<br />
Der Baum des Lebens<br />
in der Kabbalah<br />
„Und Jehova Gott ließ aus dem Erdboden<br />
allerlei Bäume wachsen, lieblich anzusehen<br />
und gut zur Speise; und den Baum des Lebens<br />
in der Mitte des Gartens, und den Baum<br />
der Erkenntnis des Guten und Bösen.“<br />
1. Mose 2:9 3<br />
B<br />
äume werden in vielen Kulturen als<br />
heilig angesehen. So gibt es auch in<br />
der Kabbalah einen Baum, der weniger ein<br />
Baum ist als ein Konzept der Welt. Er stellt<br />
die Kosmologie und ein Diagramm des Weges<br />
zur Erleuchtung dar; ein Bild des Mikrowie<br />
auch des Makrokosmos.<br />
Viele Zuordnungen wurden für den Baum<br />
des Lebens getroffen. Sie sind so zahlreich<br />
und von Autor zu Autor unterschiedlich, dass<br />
sie für eine eigene Zeitschrift reichen würden.<br />
Den einzelnen Sphären des Baumes –<br />
Sephiroth genannt – werden Farben, Planeten,<br />
Engel, Gerüche, Steine und vieles mehr<br />
zugeordnet. Das System ist eigentlich darauf<br />
ausgelegt, dass man ihm nahezu alles zuordnen<br />
kann.<br />
Am Anfang der Kabbalah bestand der<br />
„Baum“ nur aus den Zahlen von Eins bis<br />
Zehn, die die Sephiroth bildeten. Erst später<br />
wurde er ein geometrisches Gebilde mit Pfaden<br />
und Welten. Durch einen Jesuiten, Athanasius<br />
Kircher (1602-1680), bekam der<br />
Baum sein heutiges Aussehen. Die Skizze<br />
aus seinem Werk Oedipus Aegyptiacus<br />
(1652) wird seitdem immer wieder von den<br />
Anhängern der westlichen Mysterientraditionen<br />
benutzt.<br />
Die Sephiroth kann man sich als zehn Sphären<br />
vorstellen, die auf dem Baum angeordnet<br />
3 Elberfelder Übersetzung<br />
sind. In der jüdischen Vorstellung sind diese<br />
Sphären Gefäße, die das göttliche Licht halten<br />
und weitergeben. Man es kann sich etwa<br />
so vorstellen wie eine Sektpyramide, in die<br />
man von oben Sekt hineinschüttet und in der<br />
sich von dort aus alle anderen Gläser langsam<br />
füllen. Allerdings geht es bei der Kabbalah<br />
nicht um das Trinken von Sekt. Jede einzelne<br />
Sephirah spiegelt einen Aspekt Gottes<br />
in seiner Funktion als Schöpfer wider. Wenn<br />
wir bei der ersten Sephirah noch das „neue“<br />
Licht des Schöpfers haben, wird es weiter<br />
unten zunehmend schwächer. Dieses Licht<br />
verändert sich durch die Gefäße, durch die es<br />
wandert.<br />
Wenn wir das Licht als eine Idee betrachten,<br />
die am Anfang noch ganz vage in unseren<br />
Köpfen weilt, so wird sie durch unsere Vorstellungen<br />
über Gesellschaft und Gerechtigkeit,<br />
über unsere Gefühle und Gedanken dazu<br />
soweit verändert, bis sie tatsächlich in die<br />
Tat umgesetzt werden kann. Die Kabbalisten<br />
versuchen, auf ihre Weise die Idee zum Ursprung<br />
zurückzuverfolgen, bis sie auf den<br />
Ursprung des Lichtes, also auf Gott, treffen.<br />
Der Baum des Lebens ist nämlich nicht nur<br />
ein Modell für die Schöpfung, sondern auch<br />
ein Weg zur Erkenntnis vom göttlichen<br />
Selbst in uns.<br />
Die zehn Sephiroth werden noch in den<br />
nachfolgenden Artikeln behandelt, deshalb<br />
wird sich dieser allein mit der Struktur des<br />
Baumes beschäftigen. Neben den Sephiroth,<br />
die untereinander durch 22 Pfade verbunden<br />
sind, gliedert sich der Baum in drei vertikale<br />
Säulen und vier horizontale Welten.
54 Kabbalah Kabbalah 55<br />
Die drei Säulen<br />
Die Säulen bilden das Grundgerüst des Baumes.<br />
Sie stellen zwei Gegensätze und die<br />
zwischen beiden Polen ausgleichende Mitte<br />
dar.<br />
Sie bilden die Säulen des Salomonischen<br />
Tempels ab, in deren Mitte sich der Eingang<br />
in jenen befindet. In der Bibel werden sie als<br />
Boaz und Jachin beschrieben. Die Säulen<br />
dort sind mit floralen Motiven verziert, welche<br />
sie mit „der Tradition des sakralen Baumes“<br />
in Verbindung bringen. 4<br />
„Und er richtete die Säulen auf bei der Halle<br />
des Tempels: er richtete die rechte Säule<br />
auf und gab ihr den Namen Jakin, und er<br />
richtete die linke Säule auf und gab ihr den<br />
Namen Boas.“<br />
1. Könige 7:21 5<br />
In der Kabbalah sind sie aber die zwei Gegensätze,<br />
die üblicherweise mit „männlich“<br />
und „weiblich“ übersetzt werden. Dem<br />
zugrunde liegen die Prinzipien der Aktivität<br />
und Passivität.<br />
Die rechte Säule, auch die Säule der Gnade<br />
genannt, sendet einen Impuls aus, welche die<br />
linke Säule, die Säule der Strenge, empfängt<br />
und umsetzt und die durch die mittlere Säule,<br />
die Säule der Milde, ins Gleichgewicht<br />
geführt wird.<br />
Wir werden allerdings vor Probleme gestellt,<br />
wenn wir nur davon ausgehen, dass es<br />
männliche und weibliche Kräfte sind, die in<br />
den Säulen herrschen. Zum Beispiel wird<br />
von der Sphäre der Justiz und der moralischen<br />
Vorstellungen 6 auf der männlichen<br />
Säule ein Impuls ausgesendet, von der Sphäre<br />
des Krieges 7 empfangen und dort ausge-<br />
4 http://www.bibelwissenschaft.de/nc/wibilex/dasbibellexikon/details/quelle/WIBI/referenz/22031/<br />
5 Elberfelder Übersetzung<br />
6 Die Sephirah Chesed, Jupiter<br />
7 Die Sephirah Geburah, Mars<br />
führt und verteidigt. Zwar werden Gesetze<br />
oft mit einem König, also einer männlichen<br />
Person verbunden, aber ein Krieger ist meistens<br />
auch männlich. Deshalb sollten wir von<br />
unseren Vorstellungen von männlich und<br />
weiblich abkommen und sie eher mit Passivität<br />
und Aktivität übersetzen.<br />
Die Säulen sind also die Grundcharakteristik<br />
jener Sephiroth, die sich auf ihnen befinden.<br />
Die vier Welten<br />
Die Sephiroth als Ganzes lassen sich in vier<br />
Gruppen oder kabbalistisch korrekter in vier<br />
Welten einteilen. Das soll uns erstmal helfen,<br />
um einen groben Überblick zu gewinnen:<br />
1. Welt: Aziluth, Emanation, Stäbe im Tarot<br />
2. Welt: Briah, Schöpfung, Kelche im Tarot<br />
3. Welt: Yetzirah, Gestaltung, Schwerter im<br />
Tarot<br />
4. Welt: Assiah, Handlung, Münzen oder<br />
Scheiben im Tarot<br />
Im Zohar, einem der wichtigsten kabbalistischen<br />
Werke, liest man über sie: „Die erste<br />
Welt 'Atzilut' ist völlig rein und gut, alles genießt<br />
die Nähe des Unendlichen Lichtes.<br />
'Briah', die zweite Welt, ist überwiegend<br />
'Gut', hat aber einen kleinen Teil des Bösen<br />
in sich, welches nicht mit dem "Guten" vermischt<br />
ist. Die dritte Welt 'Yetzirah' besteht<br />
zur Hälfte aus Gutem und zur Hälfte aus Bösem,<br />
unvermischt, das heißt, das Gute steht<br />
dem Schlechten gegenüber: 'Dieses ebenso<br />
wie Jenes hat GOTT geschaffen.' Die 4. und<br />
letzte Welt, 'Assiah' ist überwiegend schlecht,<br />
jedoch mit einer kleinen Beimischung des<br />
Guten.“ 8<br />
Das Gute und Böse sind hierbei natürlich kritisch<br />
zu betrachten und eher mit „göttlich“<br />
und „materiell“ zu übersetzen. Das bedeutet,<br />
8 Kommentar zum Zohar von Rabbi Simon Bar Yochai<br />
(http://kabbala-info.net/deutsch/sohar-letters/index-sohargerman.htm<br />
)<br />
dass wir uns auf den oberen Sphären näher<br />
am göttlichen Ursprung befinden, während<br />
man sich die unteren Sephiroth zunehmend<br />
materieller, also getrennter vom Göttlichen<br />
vorstellt.<br />
Man kann es aber auch ganz unmystisch erklären.<br />
In Aziluth haben wir den ersten Impuls<br />
einer Idee. Diese Idee wird dann in Briah<br />
in unser Schubladensystem sortiert, damit<br />
man sie in der jeweiligen Welt auch nutzen<br />
kann. Das Nachdenken darüber, was alles<br />
noch zu der Idee gehört und wie wir sie am<br />
besten in die Tat umsetzen, findet in Yetzirah<br />
statt. Und die abschließende Tat passiert in<br />
Assiah.<br />
Oder auf mystische Weise mit den Worten<br />
des Tarots: Der Stab (Atziluth) wird in den<br />
Kelch (Briah) gesenkt. Das Schwert (Yetsirah)<br />
schneidet und formt das Wachs des Pentakels<br />
(Assiah).<br />
Die Welten sind also wie die Sephiroth ein<br />
Ausdruck der Schöpfung. Sie bieten noch<br />
einmal, wie die Säulen, eine Einteilung der<br />
Sphären in einen Grundtenor, in dem sie alle<br />
gemeinsam schwingen.<br />
Die Schlange und das Schwert<br />
Es finden sich noch weitere Symbole auf<br />
manchen Darstellungen des Baumes des Lebens.<br />
Gelegentlich finden wir eine Schlange,<br />
welche sich um die Pfade windet. Dabei befinden<br />
sich das Schwanzende in der unteren<br />
Sphäre und ihr Kopf bei der höchsten Sphäre.<br />
Wir finden sie wieder im Stab von Moses,<br />
der aus dem Holz des Baumes im Garten E-<br />
den stammen soll. Die Schlange spiegelt den<br />
Aufstieg zur göttlichen Schöpferkraft wieder.<br />
Daneben gibt es noch das Schwert, beziehungsweise<br />
den göttlichen Blitz. Dieser hat<br />
seinen Ursprung in der obersten Sphäre und<br />
durchstößt alle anderen Sphären, die unter<br />
ihr liegen. Das ist die Reihenfolge, in der die<br />
Schöpfung stattfindet.<br />
In der christlichen Tradition ist das Schwert<br />
das Flammenschwert, welches gemeinsam<br />
mit den Cherubin den Garten Eden schützen<br />
soll. Damit wird das Schwert zur trennenden<br />
Kraft zwischen Schöpfer und Schöpfung.<br />
Damit beende ich diese hoffentlich verständliche<br />
Einleitung.<br />
In den nächsten Artikeln geht es um die zehn<br />
Sephiroth, die in hier schon so oft erwähnt<br />
wurden und die Grundlage des Baums des<br />
Lebens bilden.<br />
Quellen:<br />
Olf<br />
C.Fielding, Die praktische Kabbalah, 2000<br />
I. Regardie, A Garden of Pomegranates,<br />
1999<br />
P. Zalewski, Kabbalah of the Golden Dawn,<br />
2000
56 Rezension Rezension 57<br />
W<br />
ir leben in einer Zeit, in der die<br />
Gleichberechtigung von Männern<br />
und Frauen noch immer nicht abgeschlossen<br />
ist. Der Sexismus hat noch immer eine große<br />
Macht, nur wenige Frauen haben die versprochene<br />
Geschlechtergleichstellung erfahren<br />
und müssen weiter um ihr natürliches<br />
Recht als gleichberechtigter Mensch kämpfen.<br />
Da wundert es auch nicht, dass wir im<br />
Neopaganismus ebenso auf dieses Phänomen<br />
treffen – wenn auch mit völlig anderer<br />
Ausprägung. Durch die spirituelle Frauenbewegung<br />
in den 60er Jahren zeigt sich hier<br />
ein ganz anderes Bild, in dem die Frauen in<br />
einigen Bereichen eine Vorherrschaftsstellung<br />
eingenommen haben. Doch was ist mit<br />
den Männern?<br />
Dieser Frage widmete sich der amerikanische<br />
Schriftsteller, Songwriter und Druide<br />
Isaac Bonewits in seinem Buch „The Pagan<br />
Man“. Vom jungen Studenten, der übrigens<br />
als Erster einen akademischen Bachelor of<br />
Arts in „Magie“ auf der Berkeley Universität<br />
im Jahre 1970 erhielt, bis zum angesehenen<br />
Erzdruiden und Autor hatte er viele Erfahrungen<br />
sammeln können, die er in dieses<br />
Buch über das männliche Geschlecht im<br />
Heidentum einfließen ließ. Durch sein soziales<br />
Engagement für etliche Bereiche des Neopaganismus<br />
erreichte er einen hohen Bekanntheitsgrad<br />
und hatte unzählige Kontakte,<br />
die ihn in seinen literarischen und aktivistischen<br />
Projekten unterstützten. Leider starb<br />
Isaac Bonewits am 12. August 2010 im Alter<br />
von 60 Jahren an Darmkrebs.<br />
Buchrezension<br />
Isaac Bonewits – The Pagan Man<br />
Nun aber zum Buch:<br />
Nach einer kurzen Einführung, in der Bonewits<br />
über die Beweggründe dieses Werkes<br />
aufklärt, beginnt er mit ausführlichen Differenzierungen<br />
der verschiedenen paganen<br />
Strömungen. Danach folgen einige Einblicke<br />
über die Entstehung dieser Richtungen,<br />
Schlüsselfiguren für die Entwicklung der<br />
neopaganen Strömung werden kurz beschrieben,<br />
um schließlich zum eigentlichen<br />
Werk zu schreiten. Die verschiedenen Rollen<br />
des Mannes in den unterschiedlichsten Bereichen<br />
werden beleuchtet, vom Ritualtrommler<br />
über neuheidnische Priester und<br />
Künstler bis hin zum homosexuellen Praktizierenden<br />
und neuzeitlichen Krieger. Dabei<br />
untermalt Bonewits seine Fragestellungen<br />
über die Männlichkeit oftmals mit gelegentlich<br />
satirisch anmutenden Interviews, Anekdoten<br />
und Zitaten.<br />
Über die Sexualität ist das Buch letztlich bei<br />
der Kernsubstanz angekommen, den gesellschaftlichen<br />
neopaganen Mann, wie er von<br />
anderen wahrgenommen wird und wie er<br />
sich fühlt. Hier werden die Problematiken<br />
mit dem anderen Geschlecht thematisiert, die<br />
eine gewisse Brisanz vermitteln, zum Nachdenken<br />
und Diskutieren anregen sollen. Bonewits<br />
verweist auf viele Aussagen von<br />
Männern, die sich durch Frauen oftmals bevormundet<br />
oder in ihrer Männlichkeit unterdrückt<br />
fühlen. Eine Gleichberechtigung<br />
durch die Polarität zwischen dem Gott und<br />
der Göttin sei vielerorts nur ein Idealzustand,<br />
würde in der Realität aber zu selten praktiziert<br />
werden. Stattdessen würden die Männer<br />
nicht selten durch ihre Männlichkeit degradiert.<br />
Durch offene Fragestellungen und Vorschläge<br />
beendet Bonewits diese Diskussion<br />
ohne Antwort oder Lösung, sondern nur mit<br />
Denkanstößen und Verweisen auf den eigenen<br />
Glauben. Wie nach jedem Kapitel bietet<br />
er auch hier „Aufgaben“, um sich näher mit<br />
den Themen auseinanderzusetzen, und somit<br />
für sich selbst eine Möglichkeit, über seine<br />
eigene Position klar zu werden und diese zu<br />
reflektieren.<br />
Nach einigen spezifisch auf Männer zugeschnittenen<br />
Ritualvorschlägen und Zaubern,<br />
die teils zum Schmunzeln verleiten, beendet<br />
Bonewits sein Buch mit den letzten Stimmen<br />
über die Definition des neopaganen Mannes<br />
und gibt Mut, auf dass jeder Mann seine eigene<br />
Rolle in seiner jeweiligen Spiritualität<br />
finden möge. Es folgen wie üblich die Fußnoten,<br />
die Bibliographie und Verweise auf<br />
Gruppen und Organisationen vor einem ausführlichen<br />
Stichwortverzeichnis und einer<br />
Kurzbiographie des Autors. Damit endet dieses<br />
Buch in englischer Sprache nach gut 250<br />
Seiten und einigen einfarbigen Fotografien.<br />
Fazit<br />
Nach dem Lesen dieses Buches hat der Autor<br />
tatsächlich erreicht, dass ich mich wieder in<br />
einem inneren Dialog befinde und meine eigenen<br />
Erfahrungen auswerte. Ich denke, es<br />
würde jedem Mann so gehen, der sich entweder<br />
in einer aktiven Gruppe befindet oder<br />
bereits einige Erfahrungen mit anderen<br />
Gruppen und Anhängern der neopaganen<br />
Spiritualität gemacht hat. Doch ich würde<br />
dieses Buch nicht nur für Männer empfehlen,<br />
denn auch jede interessierte Frau könnte e-<br />
benso mehr über das Gefühlsleben des heidnischen<br />
Mannes erfahren und ihren eigenen<br />
Umgang mit dieser Situation reflektieren.<br />
Dieses Buch ist durchaus kurzweilig geschrieben,<br />
nicht zuletzt durch die kleinen<br />
Anekdoten und Interviews, die hin und wieder<br />
zum Lachen anregen können. Besonders<br />
das Ritual zur Wiedererlangung der Potenz<br />
hat mich durch den spitzen Wortreim äußerst<br />
amüsiert. Wo sonst hört man in einem Zauber,<br />
dass Priapus den eigenen Zauberstab<br />
„boosten“ soll?!<br />
Schade ist natürlich, dass dieses Buch noch<br />
nicht in deutscher Sprache übersetzt wurde,<br />
daher wird die Zielgruppe leicht eingegrenzt.<br />
Auch muss der Hintergrund des Autors berücksichtigt<br />
werden, da er meist nur von a-<br />
merikanischen Gruppen berichten kann,<br />
wenn sich auch die Gegebenheiten und Ansichten<br />
mit denen im deutschsprachigen<br />
Raum eher wenig unterscheiden.<br />
Im Endeffekt wird wohl jeder etwas enttäuscht<br />
werden, wenn er sich dieses Buch in<br />
Hoffnung auf Antworten für seine Rolle als<br />
spiritueller Mann zulegen sollte. Diesen Anspruch<br />
hat dieses Buch aber sowieso nicht,<br />
eher zeigt es Möglichkeiten auf und regt zum<br />
Nachdenken an, sodass man seinem individuellen<br />
Konzept näher kommen kann. Und<br />
dafür ist es absolut zu empfehlen.<br />
Isaac Bonewits - The Pagan Man<br />
© 2005 - 1. Auflage, Citadel Press Books<br />
Ravenna
58 News News 59<br />
10. 01<br />
Eine Studie hat herausgefunden, dass Meditation<br />
die graue Hirnmasse verdichtet. Durch<br />
die Verdichtung wird die Gesundheit begünstigt,<br />
aber vor allem dem Altern entgegengewirkt.<br />
Die geringe Zunahme steht in<br />
direkter Proportion zur aufgewendeten Zeit.<br />
Vielleicht verlängert sich das Leben also um<br />
die in der Meditation verbrachte Zeit. Zeitverschwendung<br />
ist das Meditieren also<br />
nicht!<br />
http://grenzwissenschaftaktuell.blogspot.de/2012/01/studie-belegtmeditation-verdichtet.html<br />
12. 01.<br />
Ungarns neue, autoritäre Verfassung wird<br />
zahlreichen religiösen Minderheiten zum<br />
Verhängnis, darunter auch einigen paganen<br />
Gruppen. Das mit einer 2/3 Mehrheit von<br />
der konservativen Fidesz-Partei kontrollierte<br />
Parlament entzog 348 religiösen Vereinigungen<br />
die Anerkennung, darunter sämtlichen<br />
muslimischen, buddhistischen und paganen.<br />
Gleichzeitig wurde ein „christliches<br />
Staatsverständnis“ in der Verfassung festgeschrieben.<br />
Mit Unterstützung aus aller Welt<br />
schließen sich nun auch die religiösen Minderheiten<br />
den seit Monaten andauernden<br />
Demonstrationen gegen die erdrückende<br />
Macht der autoritären Regierung an. In Ungarn<br />
besuchen nur 21% der Bevölkerung regelmäßig<br />
die christlichen Kirchen.<br />
http://www.patheos.com/blogs/wildhunt/2012/01/pag<br />
ans-and-minority-religions-under-hungarysauthoritarian-new-constitution.html<br />
25. 01<br />
Atheisten wollen einen Tempel im Herzen<br />
Londons errichten. Nach Aussage des atheistischen<br />
Aktivisten Alain de Botton soll das<br />
46 Meter große, schwarze Gebäude den A-<br />
theisten einen Gemeinschaftsort geben, wie<br />
auch die großen Religionen welche haben.<br />
Zudem ehre man damit das Alter der Erde,<br />
welches von der Wissenschaft auf 4,6 Milliarden<br />
Jahre geschätzt wird.<br />
The Witchy News<br />
http://www.huffingtonpost.com/2012/01/25/atheiststemple_n_1231848.html?ncid=edlinkusaolp0000000<br />
3<br />
10. 02<br />
Mark Ordesky, Produzent der „Herr der Ringe“-Trilogie,<br />
will Erich von Dänikens Buch<br />
„Erinnerungen an die Zukunft“ verfilmen.<br />
Premiere soll Ende 2013 sein.<br />
http://grenzwissenschaftaktuell.blogspot.de/2012/02/hollywood-verfilmtdanikens.html<br />
11. 02<br />
Die Kosten des Papstbesuches in Freiburg im<br />
September letzten Jahres sind nun veröffentlicht<br />
worden. Stolze 23,7 Millionen Euro<br />
kostete die Sicherheit von Papst und Gläubigen;<br />
dem standen Einnahmen von lediglich<br />
1,4 Millionen Euro gegenüber. Den zu berappenden<br />
Fehlbetrag mussten die katholische<br />
Kirche, die Stadt Freiburg und der Staat<br />
zu gleichen Teilen aufbringen. 130 Euro<br />
wurden somit für jeden Gläubigen an diesem<br />
Tag ausgegeben.<br />
http://www.welt.de/politik/deutschland/article138637<br />
18/Papstbesuch-war-doppelt-so-teuer-wiegeplant.html<br />
13. 02.<br />
In den USA schlägt ein Sex-Skandel um den<br />
Yoga-Guru John Friend, Gründer von Anasura<br />
Yoga, hohe Wellen. Der populärste Yoga-Lehrer<br />
Amerikas soll seine Stellung<br />
missbraucht haben, um Yoga-Schülerinnen<br />
sexuell zu bedrängen. Yoga-Aktivisten sehen<br />
sich nun mit einer Medienkampagne gegen<br />
ihre Bewegung konfrontiert, die nicht zwischen<br />
der religiösen Praxis und den Verfeh<br />
lungen einzelner Lehrer unterscheidet, sondern<br />
Yoga plakativ als Sex-Religion anprangert.<br />
Besonders problematisch: Friend war<br />
zugleich Leiter eines Wicca-Covens und betonte<br />
stets die enge Verwandtschaft zwischen<br />
Anasura und Wicca. Nicht wenige Wicca in<br />
den USA befürchten nun bald selbst in die<br />
mediale Schusslinie zu geraten.<br />
http://www.patheos.com/blogs/wildhunt/2012/02/thewiccan-angle-to-a-yoga-scandal.html<br />
21. 02<br />
In Galway, Irland, wurde ein Geist fotografiert.<br />
Die Geisternonne tauchte vor dem Fotografen<br />
Jonathan Curren auf, als dieser Bilder<br />
einer historischen Straße schießen wollte<br />
und verschwand sofort wieder. Nun geistert<br />
das rätselhafte Bild durch die britische und<br />
irische Presse. Die Gegend rund um das<br />
westirische Galway ist bekannt für geisterhafte<br />
Frauenerscheinungen.<br />
http://de.nachrichten.yahoo.com/-geisterfrau--sorgtin-irland-f%C3%BCr-aufsehen.html<br />
12. 04<br />
In Indien deckte der Bürgerrechtler Sanal<br />
Edamaruku vor laufenden Kameras die wahre<br />
Ursache eines angeblichen Wunders auf.<br />
Das Wasser, welches aus dem Fuß einer Jesus-Statue<br />
in der katholischen Basilika von<br />
Velankanni rinnt und zahlreichen Pilgern als<br />
heilig gilt, stamme demnach aus einer lecken<br />
Abwasserleitung. Edamaruka sieht sich nun<br />
massiven Blasphemie-Anschuldigungen ausgesetzt<br />
und muss befürchten verhaftet zu<br />
werden.<br />
http://www.wissenrockt.de/2012/04/12/indien-<br />
wunder-enttarnt-glaubige-aufgebracht-<br />
26069/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_ca<br />
mpaign=indien-wunder-enttarnt-glaubigeaufgebracht<br />
14. 04<br />
In Cornwall wurde paganer Glauben in den<br />
schulischen Religionsunterricht aufgenommen.<br />
Da in der englischen Region zwischen<br />
600 und 750 Menschen leben, die sich zum<br />
pagenen Glauben bekennen, entschied die<br />
Verwaltung den Kindern einen breiteren Unterricht<br />
zu ermöglichen. Schon 2010 war das<br />
Druidentum in Cornwall als offizielle Religion<br />
anerkannt worden. Gegner des Vorstoßes<br />
argumentieren, dass man damit wohl nur<br />
der political correctness Genüge tun wolle<br />
und schon für den Unterricht in den großen<br />
Religionen kaum ausreichend Zeit vorhanden<br />
sei. Dennoch scheint Bedarf zu bestehen:<br />
Laut der letzten Volkszählung von 2001 bezeichnen<br />
sich in ganz England und Wales<br />
40000 Menschen als pagan.<br />
http://www.dailymail.co.uk/news/article-<br />
2129821/And-double-maths--paganism-Schools-toldwitchcraft-druids-RE-syllabus.html<br />
21. 04<br />
Überraschender Fund in einem australischen<br />
Museum: Im Keller lag 99 Jahre lang unbeachtet<br />
ein unidentifiziertes Manuskript, welches<br />
sich nun als ein Teil des Totenbuches<br />
von Amenhotep herausstellte. Der Priester<br />
und Architekt Amenhotep war der Erbauer<br />
des berühmten Amun-Re Tempels in Karnak<br />
und gilt als einer der einflussreichsten Ägypter<br />
seiner Zeit. Die Fragmente seines Totenbuches<br />
finden sich in Museen und Privatsammlungen<br />
um die ganze Welt verteilt. Der<br />
glückliche Entdecker John Taylor meint: "So<br />
eine Entdeckung macht man nur einmal im<br />
Leben."<br />
http://www.n-tv.de/wissen/fundsache/Papyrus-im-<br />
Museumskeller-article6080761.html<br />
F. Wirth