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Die Revolution der Städte

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fruchtbar war und eine Geschichte, wenn nicht die Geschichte überhaupt, schuf, wird <strong>der</strong> Markt zum Mittelpunkt. Er<br />

tritt an die Stelle des Versammlungsortes (<strong>der</strong> Agora, des Forums), ersetzt ihn. Um den Markt, <strong>der</strong> zum wesentlichen<br />

Teil geworden ist, gruppieren sich Kirche und Rathaus (das von einer Kaufmannsoligarchie besetzt ist) mit Bergfried<br />

o<strong>der</strong> Kampanile, den Symbolen <strong>der</strong> Freiheit. Man beachte, daß die Architektur sich den neuen Stadtbegriff zu eigen<br />

macht und ihn übersetzt. Das Stadtgelände wird zum Begegnungsort von Dingen und Menschen, zum<br />

Umtauschplatz. Es schmückt sich mit den Zeichen <strong>der</strong> errungenen Freiheit, anscheinend mit <strong>der</strong> Freiheit schlechthin.<br />

Ein großartiger und lächerlicher Kampf. In diesem Sinn ist die Untersuchung <strong>der</strong> »bastides« (befestigte<br />

mittelalterliche <strong>Städte</strong>, die auf Befehl <strong>der</strong> französischen Könige gegründet wurden) im Südwesten Frankreichs von<br />

Interesse. In diesen ersten <strong>Städte</strong>n, die um den Marktplatz erbaut wurden, mag man ein Symbol erblicken. Ironie <strong>der</strong><br />

Geschichte. Sobald die ,Herrschaft <strong>der</strong> Ware mit ihrer Logik, ihrer Ideologie, ihrer Sprache und ihren Menschen,<br />

anhebt, wird die Ware zum Fetisch. Im 14. Jahrhun<strong>der</strong>t glaubt man, es genüge, nur einen Markt zu gründen, Läden<br />

und Bogengänge um einen zentral gelegenen Platz zu erbauen, und Händler und Käufer würden herbeiströmen. So<br />

gründet man (Grundherren und Bürger) Handelsstädte in nahezu wüsten Gebieten ohne Ackerbau, wo noch<br />

wan<strong>der</strong>nde Halbnomaden ihre Herden treiben. <strong>Die</strong> <strong>Städte</strong> im Südwesten Frankreichs tragen zwar klingende Namen,<br />

aber sie sind Fehlgründungen. Wie dem auch sei; auf die politische Stadt folgt die Handelsstadt. Um diese Zeit (im<br />

Abendland etwa im 14. Jahrhun<strong>der</strong>t) wird <strong>der</strong> Handel zu einer städtischen Funktion; auf Grund <strong>der</strong> Funktion entsteht<br />

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eine Form (o<strong>der</strong> entstehen Formen: baulicher und/o<strong>der</strong> städtebaulicher Art). Somit erhält die Stadtanlage eine neue<br />

Struktur. <strong>Die</strong> Umwandlungen von Paris bieten ein deutliches Bild <strong>der</strong> vielschichtigen Wechselbeziehungen zwischen<br />

den drei Aspekten und den drei Hauptkonzepten. Funktion, Form, Struktur. Flecken und Vorstädte, die anfänglich<br />

Handelsplätze und handwerkliche Gemeinwesen waren: Beaubourg, Saint-Antoine, Saint-Honoré, werden zu<br />

Mittelpunkten, die <strong>der</strong> im eigentlichen Sinn politischen Gewalt (den Institutionen) Einfluß, Ansehen und Raum<br />

streitig machen, sie zu Kompromissen zwingen und mit ihr gemeinsam eine machtvolle Stadteinheit schaffen.<br />

Zu einem bestimmten Zeitpunkt tritt im europäischen Abendland ein "Ereignis" ein, das bei aller ungeheuren<br />

Tragweite dennoch verborgen und nahezu unbemerkt bleibt. Innerhalb <strong>der</strong> gesamten sozialen Ordnung gewinnt die<br />

Stadt <strong>der</strong>maßen an Gewicht, daß eben diese Ordnung aus den Fugen gerät. Immer noch maß man bei <strong>der</strong> Stadt-Land-<br />

Beziehung letzterem die größere Bedeutung zu: dem Land mit seinem Reichtum an Grundbesitz, den<br />

Bodenerzeugnissen, den bodenständigen Menschen (Lehensleute o<strong>der</strong> Träger von Adelstiteln). Immer noch wurde<br />

die Stadt in ihrer Beziehung zum Land als Fremdkörper angesehen, was durch die Wälle wie durch die einen<br />

Übergang bildenden Vororte zum Ausdruck kam. Irgendwann jedoch verkehren sich die vielschichtigen<br />

Beziehungen ins Gegenteil, die Situation kehrt sich um. Auf <strong>der</strong> Achse muß <strong>der</strong> bedeutsame Moment dieser<br />

Rückkehr, <strong>der</strong> Umkehrung, <strong>der</strong> Heterotopie angezeigt werden. Von jetzt an erscheint die Stadt we<strong>der</strong> sich noch <strong>der</strong><br />

Umwelt als städtische Insel in einem Ozean aus Land; verglichen mit <strong>der</strong> dörflichen o<strong>der</strong> ländlichen Natur erscheint<br />

sie sich nicht mehr als etwas Paradoxes, als Ungeheuer, Himmel o<strong>der</strong> Hölle. Sie geht in Bewußtsein und Wissen als<br />

gleichwertiges Element des Gegensatzes »Stadt - Land« ein. Das Land? Es ist nun nichts o<strong>der</strong> nichts mehr - als die<br />

»Umgebung« <strong>der</strong> Stadt, ihr Horizont, ihre Grenze. Der Dorfbewohner? Er hört in seinen eigenen Augen auf, für den<br />

Grundherrn zu arbeiten. Er produziert für die Stadt, für den städtischen Markt. Wenn er auch weiß, daß <strong>der</strong> Kornund<br />

<strong>der</strong> Holzhändler ihn ausbeuten, so findet er doch dort, auf dem Markt, den Weg in die Freiheit.<br />

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Was geht nun zu diesem kritischen Zeitpunkt vor sich? Der denkende Mensch sieht sich nicht mehr als Teil <strong>der</strong><br />

Natur, einer düsteren Welt, geheimnisvollen Kräften ausgeliefert. Zwischen ihm und <strong>der</strong> Natur, zwischen seinem<br />

Zentrum und Mittelpunkt (dem des Denkens, des Seins) und <strong>der</strong> Welt steht nun ein wichtiger Vermittler: die<br />

Wirklichkeit <strong>der</strong> Stadt. Von diesem Augenblick an sind Gesellschaft und Land nicht mehr eins. Auch politische Stadt<br />

und Gesellschaft bilden keine Einheit mehr. Der Staat wächst über sie hinaus, nimmt in seiner Hegemonie von ihnen<br />

Besitz und nützt die Rivalität bei<strong>der</strong> aus. Dennoch erkennt <strong>der</strong> Mensch <strong>der</strong> damaligen Zeit die sich ankündigende<br />

Majestät nicht. <strong>Die</strong> VERNUNFT, wer wird sie für sich in Anspruch nehmen dürfen? Das Königtum? Der Herr des<br />

Himmels? Das Individuum? Was sich wirklich wandelt, das ist - nach dem Nie<strong>der</strong>gang Athens und Roms, nachdem<br />

<strong>der</strong>en wichtigste Werke, die Logik und das Recht, in Nacht versanken - die Vernunft <strong>der</strong> politischen Stadt. Eine<br />

Wie<strong>der</strong>geburt des Logos findet statt, aber man schreibt sie nicht dem Wie<strong>der</strong>erstehen des Stadtwesens zu, son<strong>der</strong>n<br />

einer transzendenten Ursache. Der Rationalismus, <strong>der</strong> seinen Höhepunkt mit Descartes erreicht, begleitet diese<br />

Umkehrung <strong>der</strong> Dinge, bei <strong>der</strong> das Städtische dem Dörflich-Ländlichen den Rang abläuft. Aber die Stadt erkennt<br />

ihre neue Vorrangstellung nicht. Dennoch entsteht um diese Zeit das Bild <strong>der</strong> Stadt. Schon besaß die Stadt die

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