Maya Dagaz Mit den besten Wünschen der Carl ... - Berberich Papier
Maya Dagaz Mit den besten Wünschen der Carl ... - Berberich Papier
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Das Trainingscamp<br />
Coaching <strong>der</strong> gefährlichen Art<br />
Ein Krimi in fünf Teilen<br />
von <strong>Maya</strong> <strong>Dagaz</strong><br />
Teil 1
<strong>Maya</strong> <strong>Dagaz</strong><br />
Das Trainingscamp<br />
Coaching <strong>der</strong> gefährlichen Art<br />
Teil I<br />
<strong>Mit</strong> <strong>den</strong> <strong>besten</strong> <strong>Wünschen</strong><br />
<strong>der</strong> <strong>Carl</strong> <strong>Berberich</strong> GmbH<br />
Gedruckt auf PIONEER PREPRINT 100 g/qm
2<br />
Handlung:<br />
Die anlässlich einer Weihnachtsfeier <strong>der</strong> <strong>Carl</strong> <strong>Berberich</strong> GmbH<br />
ausgelobte Teilnahme an einem zweiwöchigen Spezialseminar,<br />
entpuppt sich schon bald als hinterhältiges Spiel und<br />
lebensbedrohliche Situation …<br />
Anmerkung <strong>der</strong> Autorin:<br />
Obgleich die Hintergrundinformationen zur <strong>Carl</strong> <strong>Berberich</strong> GmbH<br />
<strong>der</strong> Wahrheit entsprechen, sind alle Handlungen und Charaktere<br />
völlig frei erfun<strong>den</strong> und dienen einzig dem Zweck, Sie auf eine<br />
hoffentlich vergnügliche Art und Weise zu unterhalten.<br />
Mein beson<strong>der</strong>er Dank gilt dem sympathischen Team von <strong>Berberich</strong><br />
<strong>Papier</strong>, die diesen kreativen Spaß unterstützt haben, wie auch Ihnen,<br />
geneigter Leser, <strong>den</strong>n ohne Sie wäre dieses Projekt ebenfalls nicht<br />
möglich gewesen.<br />
Ähnlichkeiten mit leben<strong>den</strong> o<strong>der</strong> bereits verblichenen Personen<br />
sind rein zufällig. Mögen es mir die <strong>Mit</strong>arbeiter des Unternehmens<br />
verzeihen, ihnen das eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Wort in <strong>den</strong> Mund gelegt zu<br />
haben, welches sie ohne Zweifel in <strong>der</strong> Form nie gesagt hätten. - O<strong>der</strong><br />
vielleicht doch?<br />
Und nun wünsche ich Ihnen viel Vergnügen mit <strong>der</strong> eigens für Sie<br />
verfassten Geschichte!<br />
Unsere Adressen im Internet:<br />
www.dein-krimi.de, www.dein-autor.de
Für alle Kun<strong>den</strong><br />
von <strong>Berberich</strong> <strong>Papier</strong><br />
3
4<br />
Fragen zu Teil 1:<br />
Wie viele Artikel befin<strong>den</strong> sich bei <strong>der</strong> <strong>Carl</strong> <strong>Berberich</strong><br />
GmbH ständig auf Lager?<br />
Nur die letzte Ziffer <strong>der</strong> Antwort notieren:<br />
Wie viele Einwohner hat Heilbronn (in Zahlen)?<br />
Erste Ziffer <strong>der</strong> Antwort notieren:<br />
Wie viele <strong>Mit</strong>arbeiter <strong>der</strong> <strong>Carl</strong> <strong>Berberich</strong> GmbH wer<strong>den</strong> zur<br />
Motivationsschulung geschickt?<br />
Antwort eintragen:<br />
Wann wurde die <strong>Carl</strong> <strong>Berberich</strong> GmbH gegründet?<br />
Erste Zahl <strong>der</strong> Antwort eintragen:<br />
Die Antworten auf alle Fragen, <strong>der</strong>en Reihenfolge<br />
unbedingt beibehalten wer<strong>den</strong> muss, befin<strong>den</strong> sich im<br />
jeweiligen Buchabschnitt.
Du musst durchhalten, schrie es in ihm. Hilfe, wir brauchen Hilfe!<br />
Er kämpfte sich durchs Unterholz, stolperte, rappelte sich hoch, stapfte<br />
verbissen weiter.<br />
Da, das Ende des Waldes!<br />
Die eisige Luft ließ <strong>den</strong> Schweiß, <strong>der</strong> ihm von <strong>der</strong> Stirn in <strong>den</strong> Kragen<br />
seiner Jacke tropfte, gefrieren. Keuchend blieb er stehen und suchte <strong>den</strong><br />
Horizont ab. Wie ein Leichentuch breitete sich <strong>der</strong> weiße Schleier im Tal<br />
vor ihm aus.<br />
Nichts! Nicht die Spur eines Weges.<br />
Schnee, nichts als Schnee!<br />
Der Wunsch, diesen unheimlichen Ort zu verlassen, wurde in ihm so<br />
übermächtig, dass er völlig blind einen Fuß vor <strong>den</strong> an<strong>der</strong>en setzte. Das<br />
Blut hämmerte schmerzhaft in seinem Schädel. Verzweifelt stemmte er<br />
sich gegen <strong>den</strong> zunehmen<strong>den</strong> Wirbel aus Flocken; doch er kam nicht<br />
weit. Immer wie<strong>der</strong> versank seine Gestalt gefährlich tief im meterhohen<br />
Schnee. <strong>Mit</strong> letzter Kraft umkrallten seine tauben Finger Halt suchend<br />
einen tief hängen<strong>den</strong> Ast.<br />
Ich schaffe es nicht! Die Erkenntnis traf ihn wie ein Faustschlag. In<br />
hilfloser Wut ballte er die Fäuste. Aus und vorbei! Er schwankte kurz, dann<br />
versagten seine Beine <strong>den</strong> Dienst, bevor eine tiefe Ohnmacht ihn<br />
vollends mit sich riss.<br />
Einige Wochen zuvor …<br />
Fast unbemerkt hatte die frostige Winternacht <strong>den</strong> Himmel über dem<br />
schwäbischen Heilbronn zurückerobert. Die geschäftige Betriebsamkeit<br />
<strong>der</strong> etwa einhun<strong>der</strong>ttausend Einwohner schien bloß noch eine ferne<br />
Erinnerung des Sommers. Die ausgedehnten Fußgängerzonen, Parks und<br />
idyllischen Radwege entlang des Flusses waren verwaist, die Straßen von<br />
unzähligen weißen o<strong>der</strong> kitschig bunten Lämpchen gesäumt. An vielen<br />
Gebäu<strong>den</strong> erklommen wahre Hor<strong>den</strong> rot gekleideter Männer die Wände.<br />
So mancher sorgsam gestutzte Baum bog sich, auch ohne Schnee,<br />
verzweifelt unter <strong>der</strong> erdrücken<strong>den</strong> Last <strong>der</strong> Lichterketten und<br />
glitzern<strong>den</strong> Kugeln. Überall in <strong>der</strong> im Schnittpunkt zweier wichtiger<br />
internationaler Autobahnmagistralen gelegenen Neckarstadt leuchtete<br />
die Mahnung, sich in <strong>den</strong> alljährlichen Rummel zu stürzen und seine<br />
Lieben mit meist überflüssigen Geschenken zu überhäufen.<br />
5
In <strong>der</strong> Sichererstraße unweit des Industriegebiets Neckar befand sich<br />
das fünfstöckige Verwaltungsgebäude <strong>der</strong> <strong>Carl</strong> <strong>Berberich</strong> GmbH mit<br />
angrenzendem Produktionsgebäude. Während <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>ne, mit roten<br />
Backsteinen verkleidete Bau des Tages von <strong>den</strong> <strong>Mit</strong>arbeitern des<br />
Unternehmens zum Leben erweckt wurde, lag er nun kalt und verwaist.<br />
Lediglich ein einsames Licht aus einem <strong>der</strong> Fenster im zweiten Stock<br />
durchdrang ein wenig die Dunkelheit. Es stammte aus einem <strong>der</strong> hell und<br />
mo<strong>der</strong>n eingerichteten Büroräume.<br />
Philipp Wilhelm saß noch immer tief gebeugt über <strong>den</strong> Akten. Erst<br />
wenige Wochen zuvor war er vom stellvertreten<strong>den</strong> Einkaufsleiter zum<br />
Bereichsleiter von <strong>Berberich</strong> Systems aufgestiegen. Dieser im Jahre 2002<br />
neu gegründete Geschäftsbereich betreute die Entwicklung und<br />
Herstellung individuell gestalteter Organisationsmittel. Auf dem<br />
Schreibtisch flimmerte ein Bildschirm und <strong>der</strong> Stapel unerledigter<br />
Unterlagen türmte sich vor ihm auf. Müde wischte er sich mit <strong>der</strong> Hand<br />
über seine schmerzen<strong>den</strong> Augen. Der jungenhaft wirkende<br />
Diplomkaufmann liebte seine Arbeit bei <strong>der</strong> <strong>Carl</strong> <strong>Berberich</strong> GmbH, einem<br />
<strong>der</strong> letzten unabhängigen Familienunternehmen im <strong>Papier</strong>großhandel.<br />
Er fühlte sich als Teil dieser stetig größer wer<strong>den</strong><strong>den</strong> Mannschaft und<br />
konnte sich keinen Platz vorstellen an dem er lieber wäre. Aber es kriselte<br />
überall in <strong>der</strong> deutschen Wirtschaft und Fusionen waren an <strong>der</strong><br />
Tagesordnung. Durch gute Leistung allein war kaum ein Kunde mehr zu<br />
überzeugen und immer häufiger berichteten Medien von Stellenabbau<br />
und Betriebsschließungen. Selbst private Insolvenzen waren an <strong>der</strong><br />
Tagesordnung.<br />
Sein Blick fiel auf eine Druck & Medien - Ausgabe vom vergangenen<br />
Mai. Auch die <strong>Papier</strong>industrie befand sich seit einigen Jahren im<br />
Konsolidierungsprozess. Einige <strong>Papier</strong>hersteller stan<strong>den</strong> durch selbst<br />
geschaffene Überkapazitäten in ganz Europa, hohe Energiekosten und<br />
stagnierende Preise unter enormem Druck. Ein Aufschwung schien<br />
nirgends in Sicht. Was würde die Zukunft wohl noch alles bereithalten?<br />
Aufgeschreckt durch das Geräusch vorbeieilen<strong>der</strong> Polizeisirenen<br />
bemerkte Philipp Wilhelm nun erst die fast unheimlich wirkende Stille im<br />
Gebäude. Sein Blick streifte die elegante Uhr am Handgelenk. Neunzehn<br />
Uhr dreißig.<br />
Halb acht?<br />
Erschrocken sprang er von seinem Bürostuhl auf.<br />
6
Die Weihnachtsfeier!<br />
Schnell notierte er im Stehen einige Daten auf dem vor ihm liegen<strong>den</strong><br />
Blatt und ließ <strong>den</strong> Mauspfeil über <strong>den</strong> Monitor huschen. Dann trommelte<br />
er ungeduldig mit <strong>den</strong> Fingern auf die Schreibtischplatte, bis ein leises<br />
Geräusch endlich das Abschalten des Computers signalisierte. Erleichtert<br />
strich er sich durch sein kräftiges hellbraunes Haar, warf sich einen<br />
Mantel über und hastete in Richtung Ausgang. Kaum auf dem Gang<br />
hörte er ein entferntes Murmeln. Lauschend blieb <strong>der</strong> Schwabe stehen.<br />
Offensichtlich war Philipp Wilhelm doch nicht allein im<br />
Verwaltungsgebäude. Aus dem über ihm liegen<strong>den</strong> Stockwerk drang die<br />
Stimme des Geschäftsführers für Vertrieb, Einkauf, IT, Logistik, Personal<br />
und <strong>Berberich</strong> Systems an sein Ohr. Robert Konzack schien noch zu<br />
telefonieren. Der Bereichsleiter beschloss, ihn an die Weihnachtsfeier zu<br />
erinnern und wandte sich in Richtung Treppe.<br />
››Be<strong>den</strong>ken Sie nur die möglichen Auswirkungen …‹‹ Robert Konzack<br />
klang besorgt. Er hatte wohl einen sehr anstrengen<strong>den</strong> Kun<strong>den</strong> in <strong>der</strong><br />
Leitung. ››Denken Sie nicht, dass die Sache gefährlich wer<strong>den</strong> könnte?‹‹<br />
Philipps Hand lag bereits am Türgriff, als eine zweite Stimme ihn<br />
innehalten ließ. ››Solange keiner etwas von unserem heutigen Treffen<br />
erfährt, nein. Nur das könnte unser geplantes Projekt gefähr<strong>den</strong>. Sind Sie<br />
sich absolut sicher, dass niemand mehr im Büro ist?‹‹<br />
Eine Pause entstand. Stille.<br />
Philipp verharrte wie erstarrt. Sein Herz hämmerte wild.<br />
››Absolut!‹‹<br />
››Nun, dann seien Sie ohne Sorge, werter Herr Konzack, wir haben alles<br />
im Griff; das garantiere ich!‹‹<br />
Trotz <strong>der</strong> beruhigend gemeinten Worte begann Robert Konzack<br />
unruhig auf und ab zu gehen. ››Das mag durchaus <strong>der</strong> Fall sein, <strong>den</strong>noch<br />
...‹‹ Der schlanke Mann im dunkelgrauen Anzug blieb stehen und atmete<br />
scharf ein. ››Hören Sie, keiner von meinem Team darf vorzeitig etwas<br />
merken, ist das klar?‹‹<br />
Durch <strong>den</strong> leicht geöffneten Türspalt erspähte Philipp seinen Chef. Der<br />
stets so besonnen wirken<strong>den</strong> 37-jährige hielt die Arme verschränkt und<br />
blickte fragend durch <strong>den</strong> Raum. Ruhe bewahren, ermahnte sich Philipp,<br />
nur die Ruhe bewahren und hielt die Luft an.<br />
››Alles ist <strong>besten</strong>s durchdacht. Keine Sorge, ich übernehme die volle<br />
Verantwortung‹‹, versprach <strong>der</strong> Unbekannte gelassen. ››Es läuft wie<br />
besprochen.‹‹<br />
7
Noch immer stand sein Vorgesetzter unschlüssig in <strong>der</strong> <strong>Mit</strong>te des<br />
Raumes und rieb sich nach<strong>den</strong>klich die Stirn.<br />
››Es kann nichts schief gehen!‹‹, fügte die dunkle, sonore<br />
Männerstimme nachdrücklich hinzu.<br />
Robert Konzack zögerte noch kurz, dann schien er überzeugt.<br />
Zielstrebig begab er sich an seinen Schreibtisch und unterzeichnete mit<br />
energischem Schwung ein Formular. Kaum hatte er seinen Stift<br />
abgesetzt, tauchte wie aus dem Nichts ein Hüne neben ihm auf.<br />
Zustimmend umschloss seine schaufelartige Pranke die Rechte des<br />
Geschäftsführers, während er mit <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Hand flink das Dokument<br />
in eine schwarze Aktentasche gleiten ließ, bevor dieser seine Meinung<br />
nochmals än<strong>der</strong>n konnte. ››Sie wer<strong>den</strong> es nicht bereuen!‹‹<br />
Der ruhige, sehr kultivierte Ton des Frem<strong>den</strong> überraschte Philipp<br />
Wilhelm. Er begann, <strong>den</strong> Riesen genauer zu mustern. Seine mo<strong>der</strong>nen,<br />
frisch polierten Le<strong>der</strong>schuhe hatten fast die Länge einer PC-Tastatur und<br />
unter einem erstaunlich dezenten Anzug spannten sich wahre<br />
Muskelberge. Die gelockte, mehr als schulterlange Mähne wurde von<br />
einem Band im Nacken gehalten. Seine Haarfarbe hatte etwas von einer<br />
blutigen Karotte …<br />
<strong>Mit</strong>ten in Philipps Betrachtung hinein ruckte <strong>der</strong> Kopf des<br />
Unbekannten herum und fixierte mit gletscherblauen Augen <strong>den</strong><br />
Türspalt. Erschrocken zuckte <strong>der</strong> Bereichsleiter zurück, machte kehrt und<br />
eilte in Richtung Treppe. Nur wenige Schritte, dann war <strong>der</strong> Rotschopf an<br />
<strong>der</strong> Tür und verfolgte mit steinerner Miene die hastige Flucht.<br />
››Das Spiel hat begonnen‹‹, murmelte <strong>der</strong> Hüne leise zu sich selbst und<br />
verzog sein Gesicht zu einem hämischen Grinsen.<br />
Ohne sich noch einmal umzudrehen hastete Philipp Wilhelm durch die<br />
große gläserne Empfangshalle aus dem Gebäude. Sofort trieb ihm <strong>der</strong><br />
kühle Ostwind die Tropfen ins Gesicht und <strong>der</strong> feuchte Asphalt saugte an<br />
seinen viel zu dünnen Büroslippern. Aus einigen Metern Entfernung<br />
drückte er mit klammen Fingern auf die Fernbedienung seines<br />
Schlüssels. Das Licht seines Wagens flammte auf und wies ihm <strong>den</strong> Weg.<br />
Er sprang ins Fahrzeug und raste mit quietschen<strong>den</strong> Reifen los. Erst als er<br />
einige hun<strong>der</strong>t Meter weiter auf <strong>der</strong> regennassen Paulinenstraße ins<br />
Schlingern geriet, verlangsamte er die Fahrt. Während er nun am Theater<br />
von Heilbronn in die Mannheimer Straße einbog, ging ihm das<br />
unfreiwillig belauschte Gespräch nicht mehr aus dem Sinn.<br />
8
Was hatte das alles zu bedeuten? Die <strong>Carl</strong> <strong>Berberich</strong> GmbH existierte<br />
nun schon seit über 145 Jahren. Die Firmenzahlen des im Jahre 1863<br />
durch <strong>Carl</strong> <strong>Berberich</strong> gegründeten Unternehmens waren dank <strong>der</strong><br />
schlanken Organisation und kun<strong>den</strong>nahen Präsenz gut. Zudem hatte<br />
man gerade erst Investitionen in die Zukunft getätigt und <strong>den</strong> Bereich<br />
<strong>Berberich</strong> Systems um 2000m² sowie die Fläche des <strong>Papier</strong>großhandels<br />
um weitere 1000m² erweitert. Dies zeigte doch das starke Vertrauen in<br />
Leistungsfähigkeit und Wachstum des Unternehmens, das über ein<br />
breites marktgerechtes Sortiment für die ungefähr 18000<br />
Kun<strong>den</strong>beziehungen verfügte. Über 3000 Artikel befan<strong>den</strong> sich ständig<br />
auf Lager und man arbeitete mit namhaften nationalen und<br />
internationalen <strong>Papier</strong>lieferanten wie etwa Burgo, Sappi, Koehler,<br />
StoraEnso und <strong>den</strong> Papeteries de Clairefontaines zusammen. Robert<br />
Konzack hatte die Geschäftsführung zusammen mit Karl-Heinz Schweizer<br />
erst vor wenigen Monaten übernommen, da Hans-Joachim Lehmann<br />
nach neun Jahren umsichtiger Führung in <strong>den</strong> Ruhestand gegangen war.<br />
Sollten <strong>den</strong>noch einige <strong>der</strong> fast vierhun<strong>der</strong>t <strong>Mit</strong>arbeiter entlassen wer<strong>den</strong><br />
o<strong>der</strong> wollte man das Unternehmen am Ende sogar verkaufen? Konnte er<br />
sich <strong>den</strong>n so gründlich in <strong>den</strong> schon seit Jahren in leiten<strong>den</strong> Funktionen<br />
tätigen Geschäftsführern getäuscht haben? Unmöglich, es muss eine<br />
einfache Erklärung geben, versuchte er sich selbst zu beruhigen.<br />
Die für Robert Konzack zuständige Chefsekretärin <strong>der</strong> <strong>Carl</strong> <strong>Berberich</strong><br />
GmbH hatte das Büro an diesem Tag frühzeitig verlassen um die<br />
Vorbereitungen für die anstehende Weihnachtsfeier zu überwachen.<br />
Kein Detail entging Martina Kellers geschulten Augen, während sie<br />
prüfend an <strong>den</strong> einzelnen Tischen entlang schritt. Sie testete die<br />
Wassermenge in <strong>den</strong> Gestecken, zupfte hie und da eine Serviette zurecht<br />
und überprüfte, ob auch je<strong>der</strong> Platz mit einer Nummer versehen war, wie<br />
es ihr Chef angewiesen hatte. Die Menükarten lagen aus und die<br />
Dekoration war ansprechend. Zur Sicherheit kontrollierte sie nochmals<br />
die für die Ansprache vorgesehenen Schablonen und legte sie beruhigt<br />
an <strong>der</strong>en Platz zurück. Ihr Blick schweifte weiter und blieb schließlich am<br />
Eingang des eigens für die Feier angemieteten Salons des Insel-Hotels<br />
hängen. Dort stand ein festlich dekorierter Tisch mit Sektschalen und<br />
Flaschen in Kühlgefäßen. In <strong>der</strong> <strong>Mit</strong>te prangte eine Lostrommel für die<br />
durch die <strong>Mit</strong>arbeiter <strong>der</strong> Firma eigenständig organisierte Tombola.<br />
9
Als eine Hotelangestellte mit einem großen Silbertablett an ihr<br />
vorbeihuschte, stieg ihr für einen kurzen Moment <strong>der</strong> appetitliche Duft<br />
<strong>der</strong> Häppchen aus Lachs, Krabben und schwäbischen Spezialitäten in die<br />
Nase. Dann bedeutete ihr Colin Rust, <strong>der</strong> Computerspezialist <strong>der</strong> <strong>Carl</strong><br />
<strong>Berberich</strong> GmbH, mit einem Handzeichen <strong>den</strong> erfolgreichen Abschluss <strong>der</strong><br />
technischen Installation. Am Ende des in warmen Farben gehaltenen<br />
Raums stand nun eine Leinwand und in <strong>der</strong> Nähe war <strong>der</strong> Beamer<br />
aufgebaut. Glücklicherweise hatte Colin Rust auch an ein<br />
Verlängerungskabel und an<strong>der</strong>e Details gedacht, da sich einige<br />
Steckdosen, wie so oft, an <strong>der</strong> falschen Stelle befan<strong>den</strong>. Kritisch<br />
durchmaßen ihre dunklen Augen ein letztes Mal die festlich dekorierte<br />
Räumlichkeit, um dann am gegenüberliegen<strong>den</strong> Spiegel Halt zu machen.<br />
Ihre glatte, leicht gestufte Frisur saß tadellos und harmonierte gut mit <strong>der</strong><br />
farblich auf das kastanienfarbene, leicht rötlich schimmernde Haar<br />
abgestimmten Kleidung. Energisch schob sie ihre Brille zurecht und<br />
wandte sich zum Eingang an dem bereits die ersten <strong>Mit</strong>arbeiter<br />
auftauchten. Unauffällig gab sie einem Angestellten des Lokals das<br />
Zeichen zum Öffnen <strong>der</strong> Sektflaschen und eilte zur Begrüßung <strong>der</strong><br />
warten<strong>den</strong> <strong>Mit</strong>arbeiter.<br />
Knapp zwanzig Minuten später traf auch <strong>der</strong> Bereichsleiter von<br />
<strong>Berberich</strong> Systems vor dem Insel-Hotel ein. Die angemietete Räumlichkeit,<br />
des direkt am Neckar auf <strong>der</strong> Willy-Mayer-Brücke gelegenen<br />
vierstöckigen Gebäudes, war inzwischen gut gefüllt. Neben <strong>den</strong> rund<br />
vierzig <strong>Mit</strong>arbeitern aus <strong>der</strong> Zentrale waren auch viele des einhun<strong>der</strong>t<br />
Mann starken Teams aus dem nahe gelegenen Zentrallager in Abstatt<br />
sowie die Leiter <strong>der</strong> acht Nie<strong>der</strong>lassungen in Begleitung einiger Kun<strong>den</strong><br />
erschienen.<br />
››Hallo Herr Wilhelm, da sind Sie ja endlich!‹‹ <strong>Mit</strong> einem gewinnen<strong>den</strong><br />
Lächeln schob Kurt Römmele, <strong>der</strong> Leiter <strong>der</strong> Vertriebsentwicklung, <strong>den</strong><br />
Stuhl neben sich einla<strong>den</strong>d zur Seite. ››Ich habe Ihnen extra einen Platz<br />
freigehalten.‹‹ Dann blickte er suchend an seinem jüngeren Kollegen<br />
vorbei. ››Wo haben Sie <strong>den</strong>n unseren Herrn Konzack gelassen?‹‹<br />
Schnell wischte Philipp Wilhelm das vor ihm auftauchende Bild des<br />
rothaarigen Hünen zur Seite. ››Keine Ahnung. Ist er <strong>den</strong>n nicht hier?‹‹<br />
››Na prima, dann kann es mit dem Essen ja noch Zeit dauern. Dabei<br />
habe ich heute <strong>Mit</strong>tag extra gefastet‹‹, mischte sich Drita Mehmetaj, die<br />
Disponentin für <strong>den</strong> Einkauf, schmollend ein.<br />
10
››Vielleicht sitzt er ja noch immer an seinem Schreibtisch?‹‹, überlegte<br />
Martina Keller laut und verließ daraufhin mit ihrem Handy bewaffnet <strong>den</strong><br />
Saal.<br />
Philipp Wilhelm registrierte schmunzelnd <strong>den</strong> verschmitzten Blick, mit<br />
dem Kurt Römmele <strong>den</strong> Weggang <strong>der</strong> Chefsekretärin verfolgte, verkniff<br />
sich jedoch einen diesbezüglichen Kommentar, da die Bedienung gerade<br />
an ihm vorbeihuschen wollte. Kurt Römmele, <strong>der</strong> Leiter <strong>der</strong><br />
Vertriebsentwicklung war <strong>der</strong> <strong>Carl</strong> <strong>Berberich</strong> GmbH nun schon über<br />
vierzig Jahre treu und hatte im Unternehmen eine rasante Karriere<br />
hingelegt. Der bebrillte Gesamtprokurist mit seinem noch immer<br />
dunklen Haar war für seine ausgeprägt menschliche Komponente<br />
bekannt.<br />
Kaum war Martina Keller zurück und die Getränke serviert, da ging das<br />
laute Summen im Saal abrupt in ein gedämpftes Murmeln über. Auch<br />
ohne sich umzudrehen, wusste Philipp Wilhelm, dass die Geschäftsführer<br />
soeben eingetroffen sein mussten. Verstohlen beobachtete er Robert<br />
Konzack und Karl-Heinz Schweizer, <strong>der</strong>en Verhalten souverän wie immer<br />
schien. Beim Gang durch <strong>den</strong> Raum begrüßten sie viele <strong>der</strong> <strong>Mit</strong>arbeiter<br />
persönlich, wechselten das ein o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Wort mit ihnen und begaben<br />
sich anschließend zu einem bereitstehen<strong>den</strong> Mikrofon vor <strong>der</strong><br />
aufgebauten Leinwand.<br />
››Liebe <strong>Mit</strong>arbeiterinnen und <strong>Mit</strong>arbeiter, werte Kun<strong>den</strong>.‹‹, eröffnete<br />
<strong>der</strong> 57-jährige Karl-Heinz Schweizer das Wort. ››Wir freuen uns sehr, Sie zu<br />
unserer diesjährigen Weihnachtsfeier im Insel-Hotel begrüßen zu können!<br />
Ich hoffe, inzwischen sind alle versorgt?‹‹ Er hob sein Glas zum Gruß. ››Ich<br />
möchte Sie jetzt nicht mit einer langen Rede über die Firmenzahlen <strong>der</strong><br />
<strong>Carl</strong> <strong>Berberich</strong> GmbH langweilen – schon gar nicht vor dem Essen.‹‹ Ein<br />
paar höfliche Lacher setzten ein. ››Aber sicherlich verrate ich kein<br />
Geheimnis, wenn ich Ihnen mitteile, dass wir trotz schwieriger<br />
Wirtschaftlage einen Jahresumsatz von zweihun<strong>der</strong>t Millionen Euro<br />
erzielt haben. Selbstverständlich bin ich <strong>der</strong> festen Überzeugung, dass<br />
wir noch einiges mehr erreichen können.‹‹<br />
Der Blick des Geschäftsführers für Rechnungswesen, Finanzen und<br />
Liegenschaften wan<strong>der</strong>te durch <strong>den</strong> Saal. ››Der Funke des ‚Wir sind<br />
<strong>Berberich</strong>’ muss auf unsere Kun<strong>den</strong> und Lieferanten überspringen. Dazu<br />
brauchen wir dynamische <strong>Mit</strong>arbeiter, die mit<strong>den</strong>ken, zufrie<strong>den</strong> sind und<br />
Spaß an ihrer Arbeit haben. Wir alle sind Teil eines traditionellen<br />
Familienunternehmen, das seine Werte hat und auf das sich an<strong>der</strong>e<br />
11
verlassen können. Darauf dürfen wir auch ein bisschen stolz sein. Für uns<br />
zählt je<strong>der</strong> <strong>Mit</strong>arbeiter! Je<strong>der</strong> ist gleich wichtig, egal in welcher Position<br />
er tätig ist. Wir nehmen je<strong>den</strong> ernst, <strong>den</strong>n Ihr seid unsere Mannschaft.‹‹<br />
Karl-Heinz Schweizer rückte seine Brille zurecht und übergab das<br />
Mikrofon an seinen jüngeren Kollegen.<br />
››Wir müssen überzeugen, dass wir die Besten sind und es ist schön zu<br />
sehen, dass nicht nur wir, son<strong>der</strong>n auch unsere <strong>Mit</strong>arbeiter Gas geben<br />
und dies selbst in sozialen Bereichen‹‹, führte Robert Konzack weiter aus,<br />
››<strong>den</strong>n wie ich soeben erfahren habe, sind bereits alle Lose <strong>der</strong> Tombola<br />
zu Gunsten <strong>der</strong> Heilbronner Stimme-Aktion ‚Menschen in Not’ verkauft.<br />
Dabei ist die stolze Summe von 657,05 Euro zusammengekommen. Euer<br />
soziales Engagement macht uns stolz. Deshalb haben Herr Schweizer<br />
und ich beschlossen, die Summe auf 1000 Euro aufzurun<strong>den</strong> und die<br />
Gewinne ein wenig aufzustocken. Das heißt, bei dieser Tombola gibt es<br />
keine Nieten. Jedes Los ist ein Gewinn!‹‹<br />
Zustimmendes Klopfen auf die Tische ertönte.<br />
››So, bevor wir uns jetzt <strong>den</strong> leckeren Speisen zuwen<strong>den</strong>, möchte ich<br />
die Gelegenheit nutzen, Ihnen im Namen <strong>der</strong> <strong>Carl</strong> <strong>Berberich</strong> GmbH<br />
meinen Dank für die gute Zusammenarbeit auszusprechen. Aus diesem<br />
Grunde halten wir für Sie heute Abend noch eine ganz beson<strong>der</strong>e<br />
Überraschung bereit. Doch dazu später mehr... Frau Keller!‹‹<br />
Gemächlichen Schrittes näherte sich die Chefsekretärin Martina Keller<br />
vom an<strong>der</strong>en Ende des Raumes, eine lustige Weihnachtsmütze keck auf<br />
dem Haupt. Der Versuch, ernst und seriös zu wirken, schlug völlig fehl,<br />
<strong>den</strong>n sobald ihr Blick auch nur ein klein wenig zur Seite fiel, stahl sich wie<br />
von selbst ein breites Schmunzeln in ihre Mundwinkel. Neben ihr<br />
schlurfte nämlich eine rot gekleidete Gestalt mit weißem Bart, dicker<br />
Knubbelnase und viel zu großen Stiefeln. Der Mann mit dem<br />
ausgestopften Wams, hatte einen Kartoffelsack geschultert und<br />
bimmelte unablässig mit einer großen Kuhglocke.<br />
››Ho, ho, ho, meine Lieben!‹‹, rief <strong>der</strong> füllige Weihnachtsmann<br />
ausgelassen. ››Wart ihr auch alle brav in diesem Jahr?‹‹ Erst am Klang <strong>der</strong><br />
Stimme erkannten nun einige <strong>den</strong> sonst eher drahtigen, meist leger<br />
gekleideten Computerfachmann Colin Rust. Als dieser nun <strong>den</strong> prall<br />
gefüllten Jutesack theatralisch und mit lautem Rums auf <strong>den</strong> Bo<strong>den</strong><br />
plumpsen ließ, brach ein fröhlicher Jubel aus.<br />
››Ja ... ‹‹, ››Klar!‹‹<br />
››Nein, <strong>der</strong> Kurt Römmele ganz sicher nicht!‹‹<br />
12
››Hört, hört‹‹, stoppte <strong>der</strong> Rauschebart in gespieltem Ernst die Unruhe<br />
und zauberte eine Rute aus seinem Mantel. Dann erklomm er ein kleines<br />
Podest und begann zu deklamieren.<br />
››Ein Ruf des Chefs hat mich ereilt. -<br />
Ihr wart sehr brav, wurde mitgeteilt?‹‹<br />
Erneutes Bimmeln und vielstimmiges Lachen.<br />
Colin Rust reimend und in Weihnachtskluft; wer hätte das gedacht? Es<br />
versprach ein lustiger Abend zu wer<strong>den</strong>.<br />
››Drum hört ihr Lieben und lasst euch sagen,<br />
an meiner Last muss ich recht schwer tragen!‹‹<br />
››Na, kein Wun<strong>der</strong>, bei <strong>der</strong> Rute‹‹, unterbrach ihn ein ganz Frecher und<br />
erntete einige Lacher am Tisch.<br />
Theatralisch schwang Colin <strong>den</strong> Zweig und schlug damit auf<br />
imaginäre Bösewichte ein. Sein gespielt strenger Blick war durch <strong>den</strong><br />
langen Rauschebart und die falsche Nase kaum zu erkennen.<br />
››In meinem Sack sind tolle Sachen,<br />
die euch sicher Freude machen!‹‹<br />
Lautes Johlen stoppte erneut <strong>den</strong> Vers. Wie, Colin Rust hatte ‚tolle<br />
Sachen in seinem Sack’? Das wurde ja immer besser ...<br />
››Doch was ihr kriegt, ist das nicht fein,<br />
soll erst noch mein Geheimnis sein.‹‹<br />
››Buh!‹‹, ››Gemein!‹‹, wur<strong>den</strong> Stimmen laut.<br />
Colin Rust begann die Pakete mit <strong>den</strong> Tombolagewinnen aus dem<br />
mitgebrachten Jutesack zu nehmen und reihte sie auf dem Tisch an <strong>der</strong><br />
Wand auf. Unterdessen fuhr er fort zu deklamieren:<br />
››Je<strong>der</strong> von euch besitzt ein Los<br />
und später ist die Freude groß,<br />
<strong>den</strong>n jede Nummer wird gezogen<br />
und ist von Wert, ganz ungelogen!‹‹<br />
Erneut erklang die Weihnachtsglocke und <strong>der</strong> Nikolaus rückte hastig<br />
das Kissen unter seinem Gewand zurück in die rechte Position. Die<br />
Zuschauer kicherten amüsiert.<br />
››Hört ihr die Zahl, kommt zu mir rauf,<br />
vielleicht erspart es euch <strong>den</strong> Weihnachtskauf!‹‹<br />
Das abschließende Bimmeln und sein letztes ››Ho, ho, ho‹‹ gingen<br />
bereits im einsetzen<strong>den</strong> Rätselraten über mögliche Gewinne unter.<br />
Lässig warf Colin sich <strong>den</strong> nun leeren Sack über die Schulter und<br />
watschelte gemächlich von dannen.<br />
13
Unterdessen eilte Martina Keller gut gelaunt in Richtung Toiletten und<br />
entledigte sich <strong>der</strong> Weihnachtskappe. Sie war gerade dabei, ihre Haare<br />
vor dem Spiegel zu richten, als zwei Herren plau<strong>der</strong>nd vor <strong>der</strong> Tür stehen<br />
blieben. Sofort erkannte sie <strong>den</strong> Bass des Geschäftsführers Karl-Heinz<br />
Schweizer. ››So eine Show hätte ich dem Rust gar nicht zugetraut!‹‹<br />
››Da haben Sie Recht.‹‹<br />
››Was meinen Sie, Herr Konzack, sollte es ihn nicht auch erwischen?<br />
Wäre wahrlich ein Zugewinn.‹‹<br />
››Da stimme ich Ihnen zu‹‹, meinte dieser amüsiert.<br />
››Vielleicht anstelle unseres Nie<strong>der</strong>lassungsleiters von Hofheim-Wallau,<br />
Herrn Jens Gröndahl?‹‹, schlug Karl-Heinz Schweizer vor. ››Zumal er erst<br />
vor wenigen Monaten erneut Nachwuchs bekommen hat. Laura und<br />
Sophie sind noch klein.‹‹<br />
››Ja, vielleicht sollten wir ihn erst einmal außen vor lassen. Also gut,<br />
arrangieren Sie <strong>den</strong> Austausch. Colin Rust wird seinen Weg schon gehen<br />
und eine an<strong>der</strong>e Beschäftigung wird ihm sicher gut tun.‹‹<br />
Die Stimmen entfernten sich.<br />
Martina lauschte angestrengt, doch außer dem Rauschen eines<br />
Wasserhahns in <strong>der</strong> Herrentoilette war nichts zu hören. Einen Augenblick<br />
später trat sie vorsichtig spähend aus <strong>der</strong> Tür und prallte dabei fast<br />
gegen Philipp Wilhelm.<br />
Erschrocken starrten sich die bei<strong>den</strong> an.<br />
››Haben Sie das gehört?‹‹, entfuhr es dem Bereichsleiter verblüfft. ››Was<br />
hatte das <strong>den</strong>n zu bedeuten?‹‹<br />
››Keine Ahnung.‹‹ Martina zuckte ratlos mit <strong>den</strong> Schultern, bevor sie<br />
verwirrt zu ihrem Platz im Saal zurückkehrte. Dabei fiel ihr Blick auf <strong>den</strong><br />
noch immer als Nikolaus gekleideten Colin Rust. Sein <strong>der</strong> aktuellen Mode<br />
junger Männer entsprechendes langes Haar war völlig durcheinan<strong>der</strong>.<br />
Der falsche Bart hing, nur durch ein leichtes Gummiband gehalten,<br />
schlaff unter seinem Kinn, während er zufrie<strong>den</strong> an einem Glas nippte.<br />
Soeben wurde <strong>der</strong> erste Gang serviert, doch <strong>der</strong> Appetit war ihr<br />
gründlich vergangen. Was sie unfreiwillig belauscht hatte, ergab<br />
irgendwie keinen Sinn. Colin arbeitete im Redaktionsteam <strong>der</strong> neu<br />
geschaffenen <strong>Mit</strong>arbeiterzeitung und war als Fachmann auf seinem<br />
Gebiet, wie ein je<strong>der</strong> von ihnen, unersetzbar. Schnell schluckte sie <strong>den</strong><br />
sich bil<strong>den</strong><strong>den</strong> Kloß in ihrem Hals herunter und nahm sich vor, ihren Chef<br />
bei nächster Gelegenheit unauffällig darauf anzusprechen. Als Colin Rust<br />
14
ihr kurz darauf fröhlich zwinkernd zuprostete, hatte sie ihre Mimik wie<strong>der</strong><br />
im Griff und erwi<strong>der</strong>te seinen Gruß mit leicht zittriger Hand.<br />
Während <strong>der</strong> Vorspeise entwickelte so mancher am Tisch immer neue,<br />
noch spaßigere Geschenkideen, kommentiert vom amüsierten Gelächter<br />
<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en. Erst beim Hauptgang war wie<strong>der</strong> etwas Ruhe in <strong>der</strong> Runde<br />
eingekehrt. Danach ergriff Robert Konzack erneut das Wort:<br />
››<strong>Papier</strong> ist unsere große Lei<strong>den</strong>schaft! Es ist <strong>der</strong> wichtigste<br />
Kommunikationsträger und auch durch alle Möglichkeiten <strong>der</strong> neuen<br />
Medien nicht zu ersetzen. Es ist greifbar, spürbar und hat seine<br />
unverwechselbaren Eigenschaften. Unser Preis-Leistungs-Verhältnis<br />
stimmt, da wir mit <strong>den</strong> <strong>besten</strong> europäischen <strong>Papier</strong>herstellern<br />
zusammenarbeiten. Dank unseren acht Dienstleistungszentren in Abstatt,<br />
Langenfeld, Ottobrunn, Hofheim, Lehrte, Seevetal, Lippstadt und Thalgau‹‹,<br />
er nickte <strong>den</strong> entsprechen<strong>den</strong> Nie<strong>der</strong>lassungsleitern freundlich zu,<br />
››sowie unserer Vernetzung durch internen Warenverkehr über Nacht<br />
sind wir in <strong>der</strong> Lage, unsere Kun<strong>den</strong> innerhalb von vierundzwanzig<br />
Stun<strong>den</strong> zu beliefern und kennen zudem die spezifischen Anfor<strong>der</strong>ungen<br />
des jeweiligen Marktes vor Ort. Dennoch sollten wir stetig daran arbeiten,<br />
unsere Teamarbeit noch weiter zu verbessern.‹‹<br />
Der junge Geschäftsführer betrachtete die große Runde seiner<br />
Zuhörer. ››Wir blicken zurück auf ein ereignisreiches Jahr … Bei einer<br />
freiwilligen Entrümplungsaktion unseres Altbaugebäudes haben viele<br />
fleißige Hände ein kleines Wun<strong>der</strong> vollbracht, an dem auch unsere<br />
Gesellschafterin Eva Eren als Kehr-Fee beteiligt war ... Am ersten Januar<br />
fiel <strong>der</strong> Startschuss für unsere Eigenmarke TYPE. <strong>Mit</strong> <strong>der</strong> August Koehler<br />
AG konnten wir einen kompetenten Partner für dieses<br />
selbstdurchschreibende <strong>Papier</strong> gewinnen. Zudem gab es Kochevents,<br />
eine Besichtigung <strong>der</strong> Fabrik von Sappi, Nahe Graz, und anlässlich des<br />
Besuches unseres Lieferanten Burgo, einen zünftigen Austausch auf <strong>der</strong><br />
Wiesn. Die Gewinner des AUROCARD-Wettbewerbs hatten die<br />
unvergessliche Chance, bei dem von Enso organisierten Topevent <strong>den</strong><br />
Inariesee in Finnland zu besuchen. Matthias Zeussel aus Ottobrunn war<br />
einer von Ihnen ... Anfang September startete unser Firmenlauf durch die<br />
Heilbronner Innenstadt und unsere Website wurde von <strong>der</strong><br />
Fachzeitschrift Deutscher Drucker ausgezeichnet. Seit <strong>Mit</strong>te Oktober gibt<br />
es die <strong>Berberich</strong> Akademie, um engagierten <strong>Mit</strong>arbeitern die Chance zu<br />
bieten, sich im Unternehmen weiterzuentwickeln. Außerdem haben wir<br />
eine <strong>Mit</strong>arbeiterzeitung ins Leben gerufen, die vorläufig MAZ heißt. Bis<br />
15
zum Ende des Jahres können Sie noch Namensvorschläge bei unserem<br />
Marketingleiter Hanspeter Albrecht einreichen. Griffig und prägnant<br />
sollte er sein. Das Redaktionsteam wird eine Vorauswahl treffen, die dann<br />
in <strong>der</strong> nächsten Ausgabe veröffentlicht wird. Über die Vorschläge<br />
stimmen wir gemeinsam ab. Hierfür wurde einige kleine Preise<br />
ausgelobt. Und schlussendlich‹‹, fügte er stolz hinzu, ››fand in diesem<br />
Jahr bereits zum fünften Mal die Druck & Medien Awards statt, mo<strong>der</strong>iert<br />
von Barbara Schöneberger. Unser Paperlieferant Burgo unterstützte <strong>den</strong><br />
Award ‚Akzi<strong>den</strong>zdruckerei des Jahres’. Der von <strong>Berberich</strong> <strong>Papier</strong><br />
gesponserte Preis <strong>der</strong> ‚Familiendruckerei des Jahres’ ging in diesem Jahr<br />
an Esser Druck. Wir freuen uns, dass die Preise in <strong>der</strong> Druckbranche einen<br />
hohen Stellenwert haben, <strong>den</strong>n Druckereien sind das Rückrad <strong>der</strong><br />
deutschen Druckindustrie. Diesen Unternehmen gebührt Anerkennung.<br />
Es gibt mehrere tausend Druckereien in Deutschland und fast alle sind<br />
Familienunternehmen. Drei Viertel von ihnen haben weniger als zehn<br />
<strong>Mit</strong>arbeiter. In diesen Unternehmen ist oftmals die gesamte Familie tätig<br />
und Familien sind in ihren Entscheidungen meist längerfristiger<br />
orientiert, da sie sich in <strong>der</strong> Regel über Generationen hinweg<br />
engagieren.‹‹<br />
Im Anschluss an die emotionale Rede des Geschäftsführers hatten die<br />
Angestellten des Insel-Hotels das Dessert gereicht. Jetzt warteten alle<br />
gespannt auf die Ausgabe <strong>der</strong> Tombolapreise. Die Verteilung wurde von<br />
Petra Wilhelm und Eva Eren, <strong>den</strong> Gesellschafterinnen <strong>der</strong> <strong>Carl</strong> <strong>Berberich</strong><br />
GmbH, höchst persönlich vorgenommen. Während Nikolaus Colin Rust<br />
ihnen die Präsente reichte, verkündeten die bei<strong>den</strong> auf eine witzige und<br />
schlagfertige Art die darauf vermerkte Zahl, sowie <strong>den</strong> möglichen Inhalt<br />
und überreichten das Paket dem unter Applaus vortreten<strong>den</strong> Gewinner.<br />
Zum Vergnügen aller wur<strong>den</strong> die Gaben sogleich an Ort und Stelle<br />
enthüllt. Dabei hatte <strong>der</strong> Verkaufsleiter stets einen originellen<br />
Kommentar für die ‚sinnvolle’ Verwendung <strong>der</strong> Tombolapreise parat.<br />
Edle Weine und Champagner, Kugelschreiber, bestickte Handtücher,<br />
USB-Sticks, iPods, ein Handy und weitere Dinge fan<strong>den</strong> hier ihre neuen<br />
Besitzer.<br />
Als alle Preise verteilt waren, ergriff Karl-Heinz Schweizer erneut das<br />
Wort: ››Ich bitte nochmals um Ihre geschätzte Aufmerksamkeit.‹‹<br />
Beschwichtigend hob er seine Arme und zog damit die Blicke aller<br />
Anwesen<strong>den</strong> auf sich. ››Die von Herrn Konzack zuvor angekündigte<br />
Überraschung steht ja noch aus: unser heutiger Hauptgewinn!‹‹ Nach<br />
16
einer kleinen Kunstpause fuhr <strong>der</strong> Geschäftsführer fort. ››Bevor wir zur<br />
Auslosung schreiten, möchte ich Ihnen erst einmal mehr darüber<br />
verraten. In diesem Jahr haben wir nämlich einen wirklich einzigartigen<br />
Preis zu vergeben!‹‹<br />
Ein kurzes Handzeichen und alle Lichter im Saal wur<strong>den</strong> gedimmt.<br />
Außer dem monotonen Rauschen des Lüfters war kein Laut zu<br />
vernehmen. Karl-Heinz Schweizer trat einige Schritte zur Seite und gab<br />
damit <strong>den</strong> Blick zur Leinwand frei, auf <strong>der</strong> nun eine burgähnliche<br />
Schlossanlage in idyllischer Umgebung zu sehen war. ››Dem<br />
Hauptgewinner <strong>der</strong> heutigen Verlosung wird eine Reise <strong>der</strong> ganz<br />
beson<strong>der</strong>en Art zuteil; das kann ich Ihnen versprechen! Er o<strong>der</strong> Sie wird in<br />
diesem Anwesen zwei herrliche Wochen verleben und an einem Seminar<br />
teilnehmen, das seinesgleichen sucht!‹‹<br />
<strong>Mit</strong> einem zufrie<strong>den</strong>en Lächeln registrierte er das einsetzende Raunen,<br />
als nun im langsamen Wechsel eine Auswahl eleganter Zimmer mit<br />
hohen Stuckdecken und edlen Kaminen gezeigt wurde.<br />
››In diesen erlesenen Räumlichkeiten wer<strong>den</strong> Sie zwei Wochen lang<br />
auch kulinarisch verwöhnt.‹‹ Das Bild einer pompös gedeckten Tafel<br />
schien seine Worte unterstreichen zu wollen.<br />
››Hier wer<strong>den</strong> die Seminare abgehalten.‹‹ Seine Hand wies einla<strong>den</strong>d<br />
zur Leinwand, die soeben einen Blick in <strong>den</strong> luxuriösen Schulungsraum<br />
gestattete.<br />
››Und auch abends ist für Gemütlichkeit gesorgt.‹‹ Eine ausgelassen<br />
wirkende Gruppe umstand ein abendliches Lagerfeuer. Abschließend<br />
war das Schloss aus <strong>der</strong> Vogelperspektive zu bewun<strong>der</strong>n. Offensichtlich<br />
lag die Anlage auf einem von Wäl<strong>der</strong>n und Wiesen umgebenen Hügel,<br />
fernab jeglicher Zivilisation.<br />
››Eine o<strong>der</strong> einer unter Ihnen, meine Damen und Herren, wird diese<br />
einzigartige Reise gewinnen‹‹, meinte Karl-Heinz Schweizer strahlend<br />
und deutete dabei vage in Richtung <strong>der</strong> gespannten Zuhörer. ››Die<br />
Reisekosten, wie auch die Schulung mit einem sehr gefragten, wirklich<br />
hervorragen<strong>den</strong> Coach, sind selbstverständlich inklusive. Zudem können<br />
die Tage als Bildungsurlaub abgerechnet wer<strong>den</strong>.‹‹ Das Licht im Saal<br />
flammte auf, die Szenerie auf <strong>der</strong> Leinwand erlosch. ››Wie Ihnen vielleicht<br />
aufgefallen ist, wurde je<strong>der</strong> Platz mit einer Zahl versehen. Vorab haben<br />
wir bereits einige gezogen. Wer die betreffende Nummer hört, kommt<br />
bitte zu mir.‹‹<br />
17
Nachdem die Zahlen verkündet wor<strong>den</strong> waren traten Martina Keller,<br />
Philipp Wilhelm und Kurt Römmele, gefolgt von <strong>der</strong> Einkaufsdisponentin<br />
Drita Mehmetaj sowie Colin Rust heran. Währenddessen besprachen sich<br />
die Geschäftsführer leise miteinan<strong>der</strong>. Danach wandte sich Karl-Heinz<br />
Schweizer erneut an alle und verkündete. ››Liebe <strong>Mit</strong>arbeiter, geschätzte<br />
Kun<strong>den</strong>. Sind Sie nicht auch <strong>der</strong> Meinung, dass je<strong>der</strong> <strong>der</strong> hier befindlichen<br />
Damen und Herren eine Teilnahme an diesem außergewöhnlichen<br />
Erlebnis verdient hätte?‹‹<br />
Ein begeistertes Klopfen auf die Tische war die Antwort.<br />
››Nu, <strong>der</strong> gleichen Ansicht war auch Herr Konzack und hat daher<br />
spontan entschie<strong>den</strong>‹‹, er nickte <strong>den</strong> verdutzt Dreinblicken<strong>den</strong> freundlich<br />
zu, ››Sie alle mit dem Hauptpreis zu be<strong>den</strong>ken.‹‹<br />
Unter dem freudigen Applaus <strong>der</strong> Anwesen<strong>den</strong> bekamen Martina,<br />
Drita, Philipp, Kurt und Colin die Umschläge mit allen notwendigen<br />
Informationen überreicht. ››Treffpunkt ist ein kleiner Bahnhof nahe<br />
Rothenburg. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen und vor allem einen<br />
unvergesslichen Aufenthalt‹‹, meinte <strong>der</strong> Geschäftsführer abschließend.<br />
Womit er recht behalten sollte…<br />
18<br />
Knapp vier Wochen später, Sonntag, Anreise<br />
Eine schier endlose Flut von Bäumen streifte vorüber. Stolz trotzten<br />
sie jedem Wetter. An einigen Stellen jedoch hatte <strong>der</strong> Wind eine Schneise<br />
geschlagen und sie neigten sich gleichförmig, wie zum Gruß, in eine<br />
Richtung. Oft wechselten die Eindrücke so schnell, dass Martina Kellers<br />
Augen kaum folgen konnten. Die Chefsekretärin saß am Fenster des<br />
rattern<strong>den</strong> Zuges und betrachtete ein paar idyllisch gelegene,<br />
moosbedeckte Häuser, die einen schmalen Fluss zu bewachen schienen.<br />
Kurz darauf beschleunigte <strong>der</strong> Zug wie<strong>der</strong>. Erneut flogen Gebäude<br />
vorbei, Fabriken, Schrebergärten, gefolgt von weiteren kahlen Wäl<strong>der</strong>n<br />
und Wan<strong>der</strong>wegen, einem Parkplatz, wie<strong>der</strong> Fabriken und dann einer<br />
Straße, auf <strong>der</strong> einige mutige Sonnenanbeter <strong>der</strong> Kälte zum Trotz mit<br />
ihren Inlinern entlang schossen. Kühe, ein Bahnhof, wie<strong>der</strong> ein Halt. Zwei<br />
Wochen auf einem Schloss, ging es ihr durch <strong>den</strong> Sinn. Sie nahm sich fest<br />
vor, die unerwartete Reise einfach zu genießen.<br />
Zuckelnd kämpfte sich <strong>der</strong> Zug über die immer steiler wer<strong>den</strong><strong>den</strong><br />
Hügel. Auf einer Anhöhe entdeckte sie Überreste einer verfallenen Burg.
Ihre Augen wan<strong>der</strong>ten zum Gang. Dort stan<strong>den</strong> missmutige Gestalten<br />
dicht gedrängt und starrten gierig auf die belegten Plätze wie Geier auf<br />
einen Sterben<strong>den</strong> in <strong>der</strong> Wüste. Als Martina Keller <strong>den</strong> fast<br />
vorwurfsvollen Blick eines Umstehen<strong>den</strong> bemerkte, wandte sie ihre<br />
Aufmerksamkeit wie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Landschaft zu. Gerade tauchte eine von<br />
Graffitis verunstaltete Bahnstation vor ihr auf, doch gnädigerweise<br />
verdeckte ein entgegenkommen<strong>der</strong> Zug sogleich <strong>den</strong> tristen Anblick.<br />
Plötzlich begann die prall gefüllte Handtasche auf ihrem Schoß zu<br />
vibrieren und sie erkannte <strong>den</strong> Klingelton ihres Handys. Einige<br />
<strong>Mit</strong>reisende starrten sie unwillig an, als sie hektisch ihre Tasche<br />
durchwühlte. Es dauerte eine Weile bis sie das leuchtende Display<br />
entdeckt hatte und sich das Handy ans Ohr klemmte. ››Keller.‹‹<br />
››Hallo Frau Keller! Gut, dass ich Sie noch erreiche ... Sind Sie schon<br />
unterwegs zum Seminar?‹‹ Die Stimme ihres Chefs lenkte sie<br />
augenblicklich von <strong>der</strong> Betrachtung eines Bussards ab, <strong>der</strong> einsam seine<br />
Kreise über einem leeren Feld neben dem Bahnhof zog.<br />
››Ja, Herr Konzack.‹‹ Sofort überflog sie in Gedanken ihre letzten<br />
Vorbereitungen im Büro. ››Herr Jens Gröndahl von <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lassung in<br />
Hofheim-Wallau hat am Freitag angerufen und Sie um Rückruf gebeten.<br />
Ach und falls Sie Ihre Unterlagen suchen; es liegt alles in <strong>der</strong><br />
Unterschriftenmappe auf Ihrem Schreibtisch. Die Faxnummer des<br />
Schlosses steht auf dem Blatt im obersten Fach, wie auch die<br />
Privatnummern aller Teilnehmer, um die Sie mich gebeten hatten.‹‹<br />
Sie hörte ihn blättern.<br />
››Ah ja, gut!‹‹ Nach einem kurzen Räuspern fügte er eindringlich hinzu:<br />
››Bitte sorgen Sie dafür, dass alle <strong>Mit</strong>arbeiter die Teilnahme am Seminar<br />
ernst nehmen! Niemand darf vorzeitig aufgeben o<strong>der</strong> abbrechen, ganz<br />
gleich, was passiert. Keiner, hören Sie?‹‹<br />
Martina schwieg verwirrt und registrierte beiläufig, wie <strong>der</strong> Bussard,<br />
einem leben<strong>den</strong> Torpedo gleich, blitzschnell auf <strong>den</strong> Acker zuschoss.<br />
Dann stieg <strong>der</strong> Vogel mit seiner erschlafften Beute in <strong>den</strong> Klauen wie<strong>der</strong><br />
auf. <strong>Mit</strong> einem Ruckeln fuhr <strong>der</strong> Zug weiter und <strong>der</strong> Greifvogel<br />
verschwand aus ihrem Blickfeld.<br />
››Haben wir uns da verstan<strong>den</strong>?‹‹, wollte Robert Konzack energisch<br />
wissen und hüstelte kurz. ››Sonst wird dies Konsequenzen nach sich<br />
ziehen müssen.‹‹<br />
››Aber Herr Konzack, warum sollte ...?‹‹, entfuhr es ihr bestürzt.<br />
››Ich verlasse mich auf Sie, Frau Keller.‹‹<br />
››Selbstverständlich Herr Konzack.‹‹<br />
19
››Gut! Ich wünsche Ihnen angenehmen Aufenthalt.‹‹<br />
››Danke, Herr ...‹‹ Fassungslos starrte sie auf ihr Mobiltelefon. Der<br />
Geschäftsführer hatte einfach aufgelegt.<br />
Warum dachte ihr Chef, jemand könnte freiwillig einen bezahlten<br />
Zusatzurlaub in einem Schloss vorzeitig been<strong>den</strong> wollen? Was hatte das<br />
alles zu bedeuten? Martina Keller kauerte fröstelnd in ihrem Sitz. Die<br />
Bahnbetreiber schienen die Kraft ihrer Klimaanlage unter Beweis stellen<br />
zu wollen, <strong>den</strong>n es wurde zunehmend kühler im Abteil. Sie warf sich<br />
ihren Mantel über und starrte ausdruckslos in die Ferne bis das Schild<br />
Wei<strong>den</strong>hausen schließlich in Sicht kam. Froh, <strong>der</strong> inneren Unruhe, wie<br />
auch <strong>der</strong> abgestan<strong>den</strong>en Luft mit ihren Gerüchen nach Schweiß und<br />
billigem Parfum, entrinnen zu können, kämpfte sie sich in Richtung<br />
Ausstieg während <strong>der</strong> Zug mit einem durchdringen<strong>den</strong> Quietschen zum<br />
Stehen kam.<br />
Unterdessen im Schloss …<br />
››Ist alles für die Ankunft unserer Gäste vorbereitet?‹‹ Der Schlossherr<br />
saß hinter seinem schweren Schreibtisch in <strong>der</strong> Bibliothek und blätterte<br />
in <strong>den</strong> Akten.<br />
››Es gibt noch ein paar kleine technische Schwierigkeiten. Aber die<br />
sind sicher beseitigt bis die Teilnehmer anreisen‹‹, beeilte sich <strong>der</strong><br />
Seminarleiter zu sagen. ››Ihr Neffe kümmert sich schon um das Problem.‹‹<br />
››Und die Wettervorhersage?‹‹ Fragend schaute er auf.<br />
››Könnte nicht besser sein. Anselm meinte, bis Ende <strong>der</strong> Woche wird es<br />
jede Menge Neuschnee geben!‹‹<br />
››Gut.‹‹ Nach<strong>den</strong>klich fügte <strong>der</strong> Baron hinzu: ››Die Schulungsteilnehmer<br />
dürfen auf keinen Fall zu früh etwas merken. Sorge dafür, dass alles<br />
reibungslos läuft. Insbeson<strong>der</strong>e mit <strong>den</strong> <strong>Mit</strong>arbeitern <strong>der</strong> <strong>Carl</strong> <strong>Berberich</strong><br />
GmbH.‹‹<br />
››Kein Problem, Herr Baron, wir haben alles im Griff!‹‹<br />
Die Einkaufsdisponentin Drita Mehmetaj hatte absichtlich eine sehr<br />
frühe Bahnverbindung gewählt, <strong>den</strong>n keinesfalls wollte sie zu spät am<br />
vereinbarten Treffpunkt erscheinen. Nun stand sie gelangweilt am<br />
verwaisten Bahngebäude. Außer auf <strong>den</strong> Bus zu warten, gab es nichts zu<br />
tun. Gedankenversunken schob sie eine Haarsträhne beiseite, die ihr <strong>der</strong><br />
kühle Wind ins Gesicht getrieben hatte und überlegte, warum das Los<br />
ausgerechnet auf sie gefallen war. Einerseits war sie froh über zwei<br />
Wochen Abwechslung, an<strong>der</strong>erseits fragte sie sich, was sie erwarten<br />
20
würde. Ein alter Mann kam langsam die Straße entlang geschlurft und<br />
warf ihr einen kurzen Blick zu, bevor er seinen Weg fortsetzte. Aus <strong>den</strong><br />
Augenwinkeln bemerkte sie, dass er einige Meter weiter stoppte.<br />
Ungeduldig begann Drita ihre Uhr zu studieren. Es war noch immer viel<br />
zu früh und langsam fühlten sich ihre Beine wie Eisbeutel an.<br />
››Griasgood Gnädigsde, hawadäre!‹‹ Unerwartet war <strong>der</strong> kleine Kauz<br />
plötzlich neben ihr aufgetaucht, <strong>den</strong> verbeulten Hut zum Gruß erhoben.<br />
››Kenna’s mia söng, wia weid des as is?‹‹<br />
Irritiert starrte sie ihn an. ››Wie bitte?‹‹<br />
››Jä mei, is schoa nöch viare?‹‹ Er deutete eindringlich auf ihr linkes<br />
Handgelenk.<br />
Ach die Uhrzeit. ››Nein, erst kurz vor vier‹‹, presste sie hervor und<br />
schaute schnell wie<strong>der</strong> in eine an<strong>der</strong>e Richtung.<br />
››Dängggschee‹‹, brummelte <strong>der</strong> Alte, blieb jedoch scheinbar<br />
unentschlossen stehen. Erstaunlich lebhaft leuchteten seine glasklaren<br />
Augen aus <strong>den</strong> verbrauchten Zügen. ››Warddn's auf ebba? Dea Bus<br />
kemmat aweil earsd in zwanzge Minuddn.‹‹ Der stark verlebt wirkende<br />
Mann verunsicherte Drita ein wenig. Unwillkürlich umklammerte sie ihre<br />
Handtasche einen Deut fester. ››Koa Ängsd, guads Freilein! I hoab need<br />
voa, eana woas zua dua.‹‹ Er schien ihre Bewegung registriert zu haben.<br />
››Wo woin's <strong>den</strong>n hie?‹‹<br />
Wi<strong>der</strong> Willen huschte nun doch ein Lächeln über ihr Gesicht. Seine<br />
Ausdrucksweise war einfach zu drollig. ››Zum Schloss Finkenberg.‹‹, gab<br />
sie daher höflich zurück. ››Kennen Sie das? Müsste hier ganz in <strong>der</strong> Nähe<br />
sein.‹‹<br />
››Himmi-Heagoods-Saggramensd!‹‹ <strong>Mit</strong> weit aufgerissen Augen starrte<br />
er sie an, bekreuzigte sich und wich unwillkürlich einen Schritt zurück.<br />
››Dö woin's hie? Jä, ham's <strong>den</strong>n fei nix dövo gehört? Grauslige Soachen<br />
bassier'n dö herobe auf'm Schloss!‹‹ Er murmelte einen weiteren Fluch<br />
und schlurfte kopfschüttelnd davon. ››Jo mei, geet des aweil scho wieda<br />
los, dö heraußen. I häm's gewoarnd. Kruzifix, I häm’s gewoarnd!‹‹<br />
››Hallo Frau Mehmetaj!‹‹ Martina Keller war aufgetaucht und legte<br />
beruhigend eine Hand auf die Schulter <strong>der</strong> bleichen Drita. ››Was haben<br />
Sie <strong>den</strong>n mit dem armen Mann gemacht? Der ist ja völlig verwirrt.‹‹<br />
Ein eintreffendes Taxi enthob Drita <strong>der</strong> Antwort. Philipp Wilhelm und<br />
Kurt Römmele entstiegen gut gelaunt dem Fahrzeug und traten grüßend<br />
heran. Zwischenzeitlich hatte ein weiterer Zug gehalten und einige Leute<br />
strömten aus dem kleinen Bahngebäude. Zwei Männer um die fünfzig<br />
21
mit Koffern <strong>der</strong> Marke 'Schick' blieben plau<strong>der</strong>nd stehen. Dunkle Anzüge<br />
und zart blaue Hem<strong>den</strong> blitzten durch Ihre Kaschmirmäntel. Als fünfzehn<br />
Minuten später <strong>der</strong> edle Kleinbus eintraf, hatte sich außer Colin Rust noch<br />
eine junge Dame schüchtern in die Nähe <strong>der</strong> Gruppe gestellt.<br />
››Seawus, I bin dea Anselm. Kemma’s, d’ Herrschafte!‹‹, grüßte <strong>der</strong><br />
knorrige Chauffeur kurz. Dann teilte er mit, man solle sich besser<br />
’gschwind auffi mache’, <strong>den</strong>n einige ’Leid’ wür<strong>den</strong> später eintreffen und<br />
so müsse er die Strecke nochmals fahren.<br />
Nachdem die zahlreichen Koffer und Taschen, wie auch alle<br />
Teilnehmer einen Platz gefun<strong>den</strong> hatten, ging es los. In <strong>der</strong> vor<strong>der</strong>en<br />
Reihe vertieften sich die bei<strong>den</strong> Herren in <strong>den</strong> Kaschmirmänteln sofort<br />
wie<strong>der</strong> in ein Fachgespräch über Verkaufsabschlüsse. Martina Keller saß<br />
schweigend daneben. Dahinter fan<strong>den</strong> Drita Mehmetaj, Colin Rust und<br />
die schüchterne junge Frau einen Platz, während Philipp Wilhelm und<br />
Kurt Römmele es sich auf <strong>der</strong> Rückbank gemütlich machten. Neben<br />
ihnen ließ sich ein Herr Ende fünfzig namens Manfred Mächtig nie<strong>der</strong><br />
und stellte sich sogleich mit einem Augenzwinkern als Vorgesetzter von<br />
Heidi Hilflos, <strong>der</strong> jungen Frau in <strong>der</strong> zweiten Reihe vor.<br />
Die Fahrt dauerte keine zwanzig Minuten. Der Bus durchquerte das<br />
kleine Städtchen mit dem weithin sichtbaren Zwiebelturm <strong>der</strong><br />
Stadtkirche und kreuzte zwei weitere Ortschaften. Danach schlängelte<br />
sich <strong>der</strong> schmale Weg an abgeernteten Fel<strong>der</strong>n, Hängen mit Weinreben<br />
und kleinen Waldstücken <strong>den</strong> Hügel hinauf. Noch bevor sie die Anhöhe<br />
erreicht hatten, erblickten sie aus <strong>der</strong> Ferne ein burgähnliches Anwesen.<br />
››Das muss es sein!‹‹ Gebannt starrte Drita Mehmetaj auf die<br />
Gebäudeformation zu ihrer Rechten, dessen Mauerwerk durch die<br />
sinkende Sonne in ein unwirkliches, sehr malerisches Licht getaucht<br />
wurde. ››Schloss Finkenberg.‹‹<br />
Langsam umrundete das Fahrzeug einen Teil <strong>der</strong> Außenmauern,<br />
durchquerte <strong>den</strong> äußeren Torbogen und kam schließlich im weitläufigen<br />
Vorhof zum Stehen. Als sie <strong>den</strong> Kleinbus verließen, trat ihnen eine<br />
attraktive Dame Anfang dreißig erwartungsvoll entgegen. Langes,<br />
kastanienbraunes Haar floss einem Wasserfall gleich über ihren Rücken<br />
und endete erst kurz vor <strong>der</strong> zarten Taille. ››Guten Tag! Ich bin Dr. Juliette<br />
Manon‹‹, setzte sie mit warmer Stimme zur Begrüßung an. ››Es ist mir eine<br />
große Freude, Sie im Namen des Freiherrn von Finkenberg auf seinem<br />
Anwesen begrüßen zu können!‹‹ Lächelnd wies sie auf <strong>den</strong> Herrn zu ihrer<br />
Linken. ››Herr Baron.‹‹<br />
22
››Habe die Ehre‹‹, meinte dieser galant und begrüßte je<strong>den</strong> mit einem<br />
festen Händedruck. Fast ehrfürchtig erwi<strong>der</strong>ten die Teilnehmer <strong>den</strong> Gruß<br />
des Mannes, <strong>der</strong> hoheitsvoll eingerahmt von zwei Wachtelhun<strong>den</strong> vor<br />
ihnen stand. Ein eleganter, grüner Lo<strong>den</strong> nebst Jägerhut mit Gamsbart<br />
unterstrich die würdevolle Erscheinung.<br />
››Herr von Finkenberg war so freundlich uns für die nächsten zwei<br />
Wochen sein Anwesen zur Verfügung zu stellen.‹‹<br />
››Es ist mir eine beson<strong>der</strong>e Freude! Ich hoffe, Sie fühlen sich wohl in<br />
meinem Hause. Sollte einmal etwas nicht zu Ihrer Zufrie<strong>den</strong>heit sein,<br />
wen<strong>den</strong> Sie sich bitte vertrauensvoll an meine Hausdame‹‹, meinte <strong>der</strong><br />
Baron mit einem Lächeln zu einer ein wenig abseits stehen<strong>den</strong>, älteren<br />
Frau. ››Anna, wären Sie bitte so liebenswürdig, die Herrschaften zu Ihren<br />
Räumlichkeiten zu führen?‹‹<br />
Gespannt folgten die Ankömmlinge <strong>der</strong> grauhaarigen Haushälterin.<br />
Unterdessen hatte ihr Fahrer Anselm bereits alle Koffer aus dem<br />
Fahrzeug entla<strong>den</strong> und brauste mit einem angedeuteten Gruß davon.<br />
Der Gästetrakt lag in <strong>der</strong> so genannten Vorburg, links vom Torbogen<br />
<strong>der</strong> Einfahrt. Zur Überraschung aller entpuppten sich ihre Räume als<br />
komplett ausgestattete Appartements mit bis zu einhun<strong>der</strong>tzwanzig<br />
Quadratmetern Wohnfläche. Je zwei Personen teilten sich einen Bereich,<br />
<strong>der</strong> eher an die Suite eines Fünfsternehotels erinnerte und im Laura-<br />
Ashley-Stil individuell eingerichtet war. Anna erklärte Ihnen kurz <strong>den</strong><br />
Weg zum Amtshaus in dem die eigentliche Begrüßung ››nachert‹‹, also in<br />
etwa einer halben Stunde stattfin<strong>den</strong> würde und verschwand.<br />
››Wow, sehen Sie sich das an!‹‹<br />
Staunend betrachtete Kurt <strong>den</strong> offen gestalteten Kamin, in dem<br />
bereits ein munteres Feuer lo<strong>der</strong>te. Davor lu<strong>den</strong> einige, mit einem<br />
blauweiß gestreiften Stoff überzogene Sessel zum gemütlichen<br />
Verweilen ein. Der alte Dielenbo<strong>den</strong> war blank poliert und harmonierte<br />
hervorragend mit dem warmen Blau, in dem ihre Räumlichkeiten<br />
gehalten waren. Das Reich von Philipp Wilhelm und Kurt Römmele<br />
bestand aus je einem Wannen- und Duschbad, zwei Schlafräumen mit<br />
Himmelbett und einem äußerst stilvollen Wohnraum. In ihm befan<strong>den</strong><br />
sich, neben einer sehr gemütlichen Küchennische mit weißgetünchtem<br />
Holztisch, zahlreiche Kanapees, Sessel und eine Kaminecke mit direktem<br />
Zugang zum Innenhof. Das alte Mauerwerk war so massiv, dass man vor<br />
die eigentlichen Fensternischen teilweise noch ein zweites Glas zum<br />
Schutz gegen die Kälte angebracht hatte. Alles wirkte gemütlich und<br />
23
einla<strong>den</strong>d. Auf ihrem Esstisch stand eine Schale mit frischem Obst und<br />
überall waren frische Blumensträuße verteilt.<br />
››Unglaublich!‹‹ Der Leiter Vertriebsentwicklung hatte soeben seinen<br />
Rundgang beendet und begutachtete nun neugierig <strong>den</strong> Inhalt einer<br />
kleinen, edlen Holzkiste, die auf <strong>der</strong> antiken Anrichte neben dem Kamin<br />
deponiert war. ››Und Herr Wilhelm, glauben Sie, wir halten es hier zwei<br />
Wochen aus?‹‹, wollte er mit einem zufrie<strong>den</strong>en Grinsen wissen.<br />
››Denke schon!‹‹ Philipp trat neben ihn und entnahm <strong>der</strong> Schachtel fast<br />
andächtig eine dicke Zigarre <strong>der</strong> Marke Cohiba. Nachdem er sie prüfend<br />
zwischen <strong>den</strong> Fingern gedreht hatte, bemerkte er mit einem Blick auf die<br />
Uhr. ››Schade, dass uns jetzt keine Zeit bleibt.‹‹<br />
››Ja, wirklich bedauerlich.‹‹<br />
Voller Tatendrang verließen die bei<strong>den</strong> ihr neues Reich. Am Portal zum<br />
Vorhof trafen sie auf Colin Rust in Begleitung eines fülligen, gemütlich<br />
wirken<strong>den</strong> <strong>Mit</strong>tvierzigers.<br />
››Ich bin de André‹‹, stellte dieser sich vor, ››André Fröhlich!‹‹<br />
››Philipp Wilhelm!‹‹, ››Kurt Römmele!‹‹<br />
Sie begrüßten einan<strong>der</strong> mit einem Händedruck.<br />
››Mich ham se zum Colin gesteckt.‹‹ Kameradschaftlich schlug er Colin<br />
Rust auf die Schulter. ››Awwä notfalls könne miejä uns ja ausm Wääsch<br />
gehe, in dem Palast, <strong>den</strong> se unnsä Zimma nenne.‹‹ Er rollte grinsend mit<br />
<strong>den</strong> Augen. ››Die Wohnschdubb is a Kellergewölbe, fehle nur noch die<br />
Weinflasche. Sa-gen-haft!‹‹<br />
Während die Gruppe <strong>den</strong> geräumigen Platz durchquerte, erfuhren sie<br />
von André Fröhlich, dass er Besitzer eines großen Möbelhauses sei und<br />
sich hier mal einer neuen Herausfor<strong>der</strong>ung stellen wolle. ››En Freund von<br />
mia war hia und hat gesacht: André, da muss de aach ma gucke, däss is<br />
däss Allerbeste, was ich je erlebt hab!‹‹<br />
Am Eingang zum Amtshaus hieß Dr. Juliette Manon die Herren<br />
nochmals herzlich willkommen und bat sie, erst einmal in <strong>der</strong> Amtsstube<br />
zu ihrer Linken Platz zu nehmen. Kurz darauf gesellten sich Drita<br />
Mehmetaj und Martina Keller aufgeregt plau<strong>der</strong>nd zu ihnen. Die<br />
Hausdame Anna huschte in die Stube, servierte Wein und verschwand<br />
wie<strong>der</strong>. Nach und nach trafen weitere Teilnehmer ein.<br />
Schließlich trat Dr. Manon ein. ››So, unsere Gruppe ist komplett, zwölf<br />
Teilnehmer. Ich zeige Ihnen jetzt einen Teil <strong>der</strong> Räumlichkeiten. Bitte<br />
folgen Sie mir!‹‹<br />
24
Vom Vorhof aus führte ein geteerter Pfad sanft <strong>den</strong> Hügel hinauf bis<br />
zum Hauptteil des Schlosses. Nach ein- bis zweihun<strong>der</strong>t Metern<br />
gelangten sie über eine alte Zugbrücke zum Innern des Schlosshofes.<br />
Dort hielt Dr. Manon eine Weile inne, um <strong>den</strong> Teilnehmern die<br />
Gelegenheit zu geben, die weitläufige Gebäudeformation genauer zu<br />
betrachten. Zur Linken befand sich das U-förmige Anwesen mit dem in<br />
<strong>der</strong> <strong>Mit</strong>te gelegenen Haupthaus, samt Erkern und Türmen. Die Garagen,<br />
zu früheren Zeiten wohl eher Scheunengebäude, erweiterten <strong>den</strong> vor<br />
ihnen liegen<strong>den</strong> Bau und mündeten in eine dicke Abschlussmauer, die<br />
gegenüber vom Haupthaus lag. Direkt rechts neben dem Durchgang zur<br />
Zugbrücke beherbergte ein gemauertes Gebäude die Wildkammer sowie<br />
technische Anlagen und beschloss einst das Karree zum Schutz gegen<br />
Feinde o<strong>der</strong> unerwünschte Besucher.<br />
››Hier entlang bitte!‹‹<br />
Beeindruckt folgte die Gruppe <strong>der</strong> grazilen Frau mit Doktorentitel über<br />
<strong>den</strong> mit Pflastersteinen ausgelegten Hof und schließlich durch das<br />
Hauptportal ins Schloss hinein. Im Innern führte eine ausgetretene, doch<br />
noch immer sehr imposante Treppe hinauf in <strong>den</strong> ersten Stock. Dort<br />
eröffnete sich zu bei<strong>den</strong> Seiten ein breiter, endlos scheinen<strong>der</strong> Gang mit<br />
hohen stuckverzierten Decken. Er war mit unzähligen Geweihen,<br />
ausgestopften Vögeln und düsteren Ahnenportraits ausstaffiert. Heidi<br />
Hilflos klammerte sich schutzsuchend an <strong>den</strong> Arm von Manfred Mächtig.<br />
Während die Teilnehmer durch <strong>den</strong> Gang und mehrere, miteinan<strong>der</strong><br />
verbun<strong>den</strong>e Säle schlen<strong>der</strong>ten, erfuhren sie von <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong><br />
Freiherren von Finkenberg. Juliette erzählte Ihnen von <strong>der</strong> Errichtung des<br />
Schlosses im dreizehnten Jahrhun<strong>der</strong>t und das vor drei Generationen die<br />
uralte Weinbautradition wie<strong>der</strong>belebt wor<strong>den</strong> sei und deshalb rund ums<br />
Schloss Weinberge angelegt wor<strong>den</strong> waren. Es war die Rede von<br />
Rebhängen auf Keuperbö<strong>den</strong>, die sich nach Sü<strong>den</strong> und Südwesten<br />
anschlossen und dass die soeben getesteten Weine alle aus eigenem<br />
Anbau stammen wür<strong>den</strong>.<br />
››Kann man die hier kaufen?‹‹, wollte einer <strong>der</strong> Teilnehmer wissen.<br />
››Selbstverständlich‹‹, lächelte Juliette Manon. ››Das Schloss hat einen<br />
gut geführten Weinkeller und eine eigene Kelterei.‹‹<br />
››Ist das schön!‹‹ Verträumt betrachtete Martina Keller die<br />
atemberaubende Aussicht aus <strong>den</strong> fast bo<strong>den</strong>tiefen Fenstern.<br />
Dr. Manon trat neben sie und deutete auf einen Torbogen zwischen<br />
Gebäude und Garagentrakt. ››Direkt dahinter liegt <strong>der</strong> Schlossgarten. Den<br />
müssen Sie sich unbedingt mal ansehen. Von dort hat man einen<br />
25
Rundblick über die gesamte Gegend und mittendrin steht noch eine alte<br />
Ruine.‹‹<br />
Langsam ging die Gruppe weiter und lauschte sichtlich beeindruckt<br />
<strong>den</strong> Ausführungen <strong>der</strong> Therapeutin. ››Nun ja, Sie wer<strong>den</strong> sicher noch<br />
reichlich Gelegenheit bekommen, das Gelände zu erforschen‹‹,<br />
unterbrach sie kurz ihren Redefluss. ››Das Frühstück steht übrigens<br />
morgens ab halb acht für Sie in <strong>der</strong> Amtsstube bereit. Das ist <strong>der</strong> Raum, in<br />
dem wir uns vorhin versammelt haben. Alle Hauptmahlzeiten wer<strong>den</strong> im<br />
Damenzimmer serviert, das Ihnen unsere Hausdame Anna nachher<br />
zeigen wird. Hier befin<strong>den</strong> wir uns übrigens im Markgrafenzimmer.‹‹<br />
Nun durchquerten die Teilnehmer staunend einen prunkvollen Saal,<br />
<strong>der</strong> in ihnen vage Erinnerungen an die oft gezeigten Filme über eine<br />
österreichische Kaiserin wach rief. Zahlreiche, sicherlich wertvolle<br />
Gemälde und Kristalllüster schmückten Wände und Decken. Hier hätten<br />
wohl an die einhun<strong>der</strong>t Menschen bequem einen Platz gefun<strong>den</strong>. Auf<br />
<strong>der</strong> Schwelle zum nachfolgen<strong>den</strong> Raum drehte sich Dr. Manon um und<br />
erklärte. ››So, da sind wir! Das Winterzimmer, Ihr Reich für die nächsten<br />
zwei Wochen.‹‹<br />
Neugierig traten sie ein. Der imposante Seminarraum ähnelte im Stil<br />
dem soeben durchquerten, war jedoch etwas kleiner. In ihm befand sich<br />
eine fast zwei Meter breite, von vierzehn hohen Lehnstühlen<br />
eingerahmte Tafel, an dessen Ende ein überdimensionales Flipchart<br />
aufgebaut war. Vor jedem Stuhl lagen neben edlen Kugelschreibern<br />
hochwertige Ordner und Notizblöcke mit Adelswappen bereit, die alle<br />
von <strong>der</strong> <strong>Berberich</strong> <strong>Papier</strong> GmbH auf hochwertigem ALLEGRO GLOSS<br />
Bil<strong>der</strong>druckpapier hergestellt wor<strong>den</strong> waren. Dezent verteilte<br />
Blumengestecke unterstrichen das stilvolle Flair. Zögerlich, fast<br />
ehrfürchtig näherten sich die zwölf Teilnehmer <strong>der</strong> langen Tafel.<br />
››Nehmen Sie bitte Platz. Eine Sitzordnung gibt es nicht, jedoch sollte<br />
<strong>der</strong> einmal von Ihnen gewählte Platz in <strong>den</strong> nächsten zwei Wochen<br />
beibehalten wer<strong>den</strong>. Aber bitte lassen Sie die Kopfen<strong>den</strong> frei.‹‹ Dr. Manon<br />
wartete geduldig bis sich alle nie<strong>der</strong>gelassen hatten. Erst dann erhob sie<br />
wie<strong>der</strong> ihre Stimme: ››Der Leiter des Seminars wird sich jetzt Ihrer<br />
annehmen. Darf ich vorstellen …‹‹ Sie hielt kurz inne und wies mit ihrer<br />
Rechten bedeutungsvoll zu <strong>den</strong> hohen Flügeltüren.<br />
››Herr Bo-do Scha-ffer!‹‹<br />
26<br />
Ende Teil 1
<strong>Carl</strong> <strong>Berberich</strong> GmbH<br />
Hauptverwaltung<br />
Sichererstraße 52<br />
74076 Heilbronn<br />
Telefon 07131 189-0<br />
Fax 07131 189-190<br />
Nie<strong>der</strong>lassungen<br />
Nie<strong>der</strong>lassung Abstatt<br />
bei Heilbronn<br />
<strong>Carl</strong>-<strong>Berberich</strong>-Straße 2<br />
74232 Abstatt<br />
Telefon 07062 671-0<br />
Fax 07062 671-153<br />
Nie<strong>der</strong>lassung Hofheim-Wallau<br />
bei Frankfurt<br />
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65719 Hofheim-Wallau<br />
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Nie<strong>der</strong>lassung Langenfeld<br />
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bei Hamburg<br />
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Nie<strong>der</strong>lassung Thalgau<br />
bei Salzburg<br />
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A-5303 Thalgau<br />
Telefon 0043 6235 5051-0<br />
Fax 0043 6235 6080<br />
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