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Das Hungertuch „Gott begegnen im Fremden“

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<strong>Das</strong> <strong>Hungertuch</strong> <strong>„Gott</strong> <strong>begegnen</strong> <strong>im</strong> <strong>Fremden“</strong><br />

(1994; Azaria Mbatha)<br />

<strong>Das</strong> <strong>Hungertuch</strong> <strong>„Gott</strong> <strong>begegnen</strong> <strong>im</strong> <strong>Fremden“</strong> (1994; Künstler: Azaria Mbatha) ist geprägt von den<br />

Themen der Misereor-Fastenaktion 1994. Angesichts weltweiter Flucht- und<br />

Migrationsbewegungen wird der Umgang mit den hier lebenden Flüchtlingen und Fremden mehr<br />

und mehr zum Testfall christlicher Solidarität. Der Künstler verknüpft mit seiner Schwarz-weiß-<br />

Linoltechnik biblische Aussagen mit afrikanischer Realität. Im Mittelpunkt steht die<br />

Emmausgeschichte, die deutlich macht: Wer dem Fremden begegnet und ihn aufn<strong>im</strong>mt, findet Gott<br />

und sich selbst.<br />

Der Künstler<br />

Die Wahl fiel auf Azariah Mbatha, weil seine künstlerische Qualität national und international<br />

anerkannt ist. Er gestaltet seine Bilder als Christ; eine Trennung von weltlichem und religiösem<br />

Lebensbereich gibt es bei ihm nicht. Seine Arbeit präsentiert sich als authentisches Zeugnis eines<br />

afrikanischen Künstlers, dessen eigener Lebensweg von den Erfahrungen in der Fremde gezeichnet<br />

ist. Geboren am 29. Juni 1941 in Makeba, Zululand, schloss er 1961 seine Schulbildung an der<br />

Ceza Secondary School ab. Danach arbeitete er kurze Zeit als Büroangestellter <strong>im</strong> Vryheid (Natal),<br />

wo er an Tuberkulose erkrankte und ins Missionskrankenhaus nach Ceza gebracht wurde. Dort<br />

lernte er den schwedischen Missionar Peder Gowenius kennen, der eine wichtige Rolle für seinen<br />

Werdegang als Künstler spielen sollte. Im Rahmen der Beschäftigungstherapie als Rekonvaleszent<br />

führte ihn Gowenius in die Technik des Linolschnittes ein. Als sein Mentor gebeten wurde, in<br />

Umpumulo (Natal) eine Kunstschule für Schwarze aufzubauen, begleitete ihn sein Schüler Azariah<br />

Mbatha. 1963 wurde diese Kunstschule an ihren heutigen Sitz nach Rorke's Drift, Natal, verlegt,<br />

wo Mbatha mehrere Jahre unterrichtete. 1965 bis 1967 erhielt er ein Stipendium für die


Kunstfachschule in Stockholm. Er arbeitete Tag und Nacht, um sich das Geld zu verdienen, das er<br />

brauchte, um seine Familie für diese Zeit nach Schweden nachkommen zu lassen. In den Jahren<br />

1968 und 1969 lehrte er wieder Kunst in Rorke's Drift. 1970 kehrte er nach Schweden zurück, holte<br />

von 1971-1974 sein Abitur nach, belegte von 1975-1977 an der Universität von Lund<br />

Kunstgeschichte, ergänzte den Abschluss mit einem Zweitstudium in Sozialwissenschaften und<br />

beendete seine Studien mit einer einjährigen Weiterbildung an der Lehrerausbildungsstätte in Lund.<br />

Seitdem lebt Azariah Mbatha in Lund, zuerst noch mit dem Broterwerb als Lehrbeauftragter an<br />

Schulen, inzwischen als freischaffender Künstler.<br />

Auf einen Blick<br />

Der Anlass<br />

Die Bildmotive des <strong>Hungertuch</strong>es sind geprägt von der Zielsetzung des Werkes Misereor und<br />

inhaltlich inspiriert von den Themen der Misereor-Fastenaktion 1994.<br />

Die Ursachen von Flucht und Migration sowie unser Umgang mit den in Deutschland lebenden<br />

Flüchtlingen und Fremden stehen dabei <strong>im</strong> Mittelpunkt der Informations- und Bildungsarbeit.<br />

Anhand konkreter Beispiele aus dem afrikanischen Kontext werden die unterschiedlichen<br />

Fluchtursachen erläutert. Gleichzeitig wird das Engagement kirchlicher Entwicklungsarbeit zur<br />

Bekämpfung dieser Ursachen vorgestellt.<br />

Der Testfall christlicher Solidarität mit den Armen zeigt sich dann für die Menschen hier zu Lande<br />

vor allem <strong>im</strong> Umgang mit den hier lebenden Flüchtlingen und Fremden.<br />

Um diese Botschaft ins Bild zu bringen, hat Azariah Mbatha biblische Aussagen mit afrikanischer<br />

Realität verknüpft. Diese biblischen Impulse sollen unser Denken und Handeln beeinflussen.<br />

<strong>Das</strong> Thema<br />

<strong>Das</strong> zentrale Thema des <strong>Hungertuch</strong>es lautet: <strong>„Gott</strong> <strong>begegnen</strong> <strong>im</strong> <strong>Fremden“</strong>.<br />

Schon <strong>im</strong> Alten Testament klärt das „Heiligkeitsgesetz“ <strong>im</strong> Buch Leviticus die rechtliche Stellung<br />

der Fremden: „Liebe die Fremden wie dich selbst“ (Lev 19, 34). Die Einhaltung der kultischen und<br />

sozialen Gebote sind Nachweis, welchem Gott das Volk des Bundes glaubt.<br />

Die Emmausgeschichte macht deutlich: Wer dem Fremden begegnet und ihn aufn<strong>im</strong>mt, findet Gott<br />

und sich selbst (Lk 24, 13-35; vgl. auch Mt 10, 40; Mk 9, 37). Die Aufnahme oder die<br />

Nichtaufnahme der Fremden wird uns so zum Gericht (vgl. Mt 25, 35.43).<br />

Die Botschaft<br />

Die Lebensbereiche „Fremdling und Gastfreundschaft“ sind mit ihrer christologischen und<br />

heilsgeschichtlichen D<strong>im</strong>ension zentraler Bestandteil der biblischen Botschaft des Alten und Neuen<br />

Testamentes. Die Bilder des <strong>Hungertuch</strong>es zeigen solche biblischen Szenen, verwoben mit der<br />

konkreten Situation der Menschen in Afrika und bei uns in Deutschland. So können die Aussagen<br />

des <strong>Hungertuch</strong>es in vielfacher Form für uns Wegweiser sein:<br />

– Sei gastfreundlich zu den Fremden und lasse ihnen deinen Schutz zukommen (vgl. Gen 18, 2-8;<br />

Lk 7, 44ff.);<br />

– Sorge dafür, dass der Fremde sein Anders-Sein auch behalten darf (Dtn 10, 18);<br />

– Begreife, dass auch dein Leben einer Pilgerschaft gleicht (vgl. 1 Petr 2, 11; 2 Kor 5, 1-10) und<br />

von Aufbruch und Wanderschaft geprägt ist;<br />

– Lerne, in jedem Gast und in jedem Fremden den Herrn selbst zu erkennen (Mt 10, 40; Mk 9,<br />

37).


Erste Lesehilfe<br />

Bleibe bei uns, Fremder.<br />

Die Emmausgeschichte<br />

Auf drei Ebenen erzählt der Künstler von Emmaus.<br />

Zwei Männer, mit Reisesack unterwegs, laden einen Fremden zu Gast bei sich ein.<br />

Erst be<strong>im</strong> Brotbrechen erkennen sie Jesus. Der Eingeladene wird selbst zum Gastgeber. Die einen<br />

Fremden aufgenommen haben, nehmen teil am Gastmahl des Herrn. Diese Tischrunde weitet sich<br />

aus für alle Menschen, für die Großen und die Kleinen, für die Frauen, Männer und Kinder, für<br />

Schwarze und Weiße.<br />

Jesus entschwindet ihren Augen. Die Jünger kehren zurück nach Jerusalem. Jesus überlässt sie auf<br />

ihrem Weg sich selbst – ein Hinweis auf unseren Lebensweg, der oft von mehr Unsicherheit,<br />

Gebrochenheit und Alleinsein geprägt ist als vom Spüren der kraftvollen Nähe Gottes. Und doch<br />

sagen die Jünger zueinander: „Brannte uns nicht das Herz in der Brust, als er unterwegs mit uns<br />

redete. . .“ (Lk 24, 32).<br />

Der Auferstandene will sich auch heute als Fremder und Ausgestoßener denen zu erkennen geben,<br />

die seine Jünger sein wollen.<br />

Die Hölle auf Erden –<br />

Alltag für Millionen<br />

Menschen sind auf der Flucht und stehen als Fremde vor unserer Türe.<br />

Der Künstler zeigt eine Gruppe von Sklaven, mit Ketten verbunden. Rund 100 Millionen Menschen<br />

wurden allein in Afrika über die Jahrhunderte gegen ihren Willen als Sklaven in die Fremde<br />

verschleppt.<br />

Wir sehen eine allein stehende Frau mit vielen Kindern am Rock und am Hals. Es ist die Frau eines<br />

Wanderarbeiters, der in die Stadt zog, um Arbeit zu suchen, während seine Frau für das Leben und<br />

Überleben der Kinder zu sorgen hat. Fremde stehen vor einer hüttenähnlichen Toreinfahrt. Sie<br />

begehren Einlass. Werden sie Aufnahme finden?<br />

Ein Mann mit Fackel zündet Häuser an. Eine Maske verdeckt sein Gesicht. Er steht vor einem Sarg,<br />

in dem bereits Opfer des Fremdenhasses liegen. Teils tot, teils zu Tode verängstigt, finden sie<br />

keinen Ausweg. Die Leiter ist zerbrochen. Auf dem großen Karren liegen die Toten, die auf ihren<br />

Abtransport warten.<br />

Aufbruch zu einem neuen Leben.<br />

Die Abrahamgeschichte<br />

Abraham verlässt seine He<strong>im</strong>at Haran mit seiner Frau Sarah und seinem Neffen Lot. Mit all ihren<br />

Schafen und Ziegen, mit ihren Kindern und Zelten ziehen sie in das fremde Land. Sogar die<br />

Kranken werden auf ihren Tragen mitgeschleppt. Einige bleiben aber zurück, allein und vereinsamt<br />

am Eingang ihrer Hütten. Sie haben Angst, die vertraute Umgebung mit all den Fleischtöpfen <strong>im</strong><br />

Stich zu lassen.<br />

In Erinnerung an die Zeit, da Israel <strong>im</strong> fremden Land gelebt hat sowie an unsere eigene Situation<br />

als Pilger und Fremdlinge auf Erden (Ps 39, 13; Hebr 11, 13) soll jeder Gast <strong>im</strong> Namen Gottes, der<br />

ihn liebt, aufgenommen werden.<br />

Abraham, der Fremdling aus Ur in Chaldäa, wurde zum Prototyp für den Menschen, der<br />

„unbehaust“ und nur „Gast auf Erden“ (GL 656) ist. Als Stammvater des Volkes Israel ist er mit<br />

seiner Gastfreundschaft den drei Fremden gegenüber (vgl. Gen 18, 1-33) Garant für die Zusage<br />

Gottes, dass wir in jedem Fremden dem Herrn <strong>begegnen</strong>.


Struktur des Todes –<br />

Kultur des Lebens<br />

Wir sehen ein großes Spinnennetz, gefüllt mit hilflosen Menschen sowie Spinneneiern, von denen<br />

einige schon aufgeplatzt sind und ihr Gift verströmen. Ein Hinweis auf die „Strukturen der Sünde<br />

und des Bösen“ (Redemptor Hominis, Nr. 15; Sollicitudo Rei Socialis, Nr. 36). Herrschende<br />

Denkweisen, irrationale Ängste um Eigentum und Arbeitsplatz, Sorgen um die nationale Identität<br />

erzeugen eine St<strong>im</strong>mung gegen die Fremden, der sich der Einzelne kaum widersetzen kann. <strong>Das</strong><br />

Gespinst des Bösen kann ein ganzes Volk vergiften.<br />

Auch hier die Opfer, eingepfercht in sargähnlichem Gefängnis, aus dem es kein Entrinnen zu geben<br />

scheint.<br />

Trotzdem gibt es Hoffnung. Wir sehen Menschen, die gemeinsam versuchen, Fremde und<br />

Gefährdete zu schützen. Eine kleine Gruppe von Frauen und Männern, die den Boden bearbeiten,<br />

die säen und pflanzen, werden umringt von einer Menschenkette, die diese Art von Leben in<br />

Freiheit beschützen.<br />

Flucht als Befreiung.<br />

Die Mosesgeschichte<br />

Moses steht mit Aaron vor dem Pharao. Sie bitten: „Lass unser Volk ziehen“. Aarons Schlange<br />

wird zum Beweis, dass Jahwe mächtiger ist als der Pharao. Er befreit sein Volk aus dem<br />

Sklavenhaus (Ex 20, 2).<br />

Aber jener Gott, der Mitleid hatte mit dem Schreien seines Volkes in der Fremde (vgl. Ex 22, 26),<br />

verlangt die Einhaltung von kultischen und sozialen Geboten. Sie sind Nachweis, welchem Gott<br />

das Volk des Bundes glaubt. In diesem Heiligkeitsgesetz heißt es u. a.: „Liebe die Fremden wie<br />

dich selbst“ (Lev 19, 34).<br />

<strong>Das</strong> Ziel des Exodus unter göttlicher Führung ist damals wie heute eine Welt, die Flüchtlinge<br />

menschlich aufn<strong>im</strong>mt, eine Welt, die ein Leben in Freiheit für alle Menschen möglich macht.<br />

Zusammenleben mit Fremden.<br />

<strong>Das</strong> h<strong>im</strong>mlische Jerusalem<br />

Angesichts von Hoffnungslosigkeit und Resignation greift der Künstler ein elementares Bild<br />

biblischer Hoffnung auf.<br />

Er malt das neue Jerusalem als Haus mit den vielen Wohnungen. Er hofft auf die Vision des<br />

Reiches Gottes, das, gefährdet und unansehnlich wie ein winziges Senfkorn, doch zum Baum wird,<br />

in dessen Zweigen die Vögel des H<strong>im</strong>mels Wohnung finden (vgl. Mk 4, 30-32; Mt 13, 31ff.; Lk 13,<br />

18f.) .<br />

So wie viele Vögel ihre Nester in den Bäumen haben, so dürfen die Menschen aller Rassen und<br />

Hautfarben <strong>im</strong> Schatten des „Reich-Gottes-Baumes“ leben. <strong>Das</strong>s diese Verheißung uns nicht in den<br />

Schoß gelegt wird, will der Künstler mit Nachdruck sagen.<br />

Er lädt uns ein, in der Jesus-Figur der Emmaus-Geschichte (der Name Jesus bedeutet „Jahwe ist<br />

Heil“) auch Jahwe zu sehen, der von uns fordert: „<strong>Das</strong> ist ein Fasten, wie ich es liebe: die Fesseln<br />

des Unrechts zu lösen, die Stricke des Jochs zu entfernen, . . . die obdachlosen Armen ins Haus<br />

aufzunehmen“ (Jes 58, 6-7).

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