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Bericht von Jochen Tenter

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6. Württembergischer VGT in Esslingen, 2007<br />

AG 4: Unterbringung und Zwangsbehandlung<br />

Anmerkung: Gemeinsame Leitung der AG mit Fr. Schulz, Richterin am AG Stuttgart, die die<br />

rechtlichen Aspekte im Detail darstellte z.B. auch den BGH Beschluss vom 1.2.2006, AZ XII<br />

ZB 236/05 zur Zwangsbehandlung bei Untergebrachten nach §1906 BGB, s.u.<br />

1. Unterbringung /Freiheitseinschränkung bzw. Entziehung<br />

Prämisse:<br />

Vermeidung oder zumindest Minimierung freiheitseinschränkender Maßnahmen ist<br />

eine grundrechtliche Verpflichtung.<br />

Gleichzeitig Abwägung <strong>von</strong> Gefährdung notwendig.<br />

=> ein klassischer Zielkonflikt<br />

1.1 Behandlung, Krankenhaus<br />

UBG-Verfahren, Landesrecht<br />

BGB-Verfahren, Bundesrecht § 1906<br />

(s. Hauptvortrag im Plenum)<br />

1.2. Heim, Beheimatung<br />

Rechtlich: nur BGB- Unterbringung möglich.<br />

1.2.1. Typische Anlässe: „weglaufen“ = nach Hause laufen<br />

Keine Untersuchungen, dass verwirrte dadurch wirklich häufiger sterben. Achtung:<br />

Winter, abgelegene Gebiete. Weniger Risiko in der Stadt trotz Verkehr. Demenz ist<br />

Lebensrisiko.<br />

Genehmigungspflicht durch Richter im Einzelfall immer dann, wenn eine Maßnahme<br />

selektiv verhindern soll, dass jemand gemäß seinem natürlichen Willen sich bewegen<br />

will. Ziel, Motiv etc. ist ohne Bedeutung.<br />

Technische Mittel:<br />

Trickschlösser (Zahlenkombination, Additionen, hoch angebrachte Doppelschalter,<br />

etc. )<br />

Chips im Nahbereich, die bei Verlassen Signal auslösen und so verhindern, dass<br />

Menschen einen Bereich verlassen.<br />

Ortungsgeräte: rein GSM („Handy“) oder GPS und GSM (Broschüre. „Wenn<br />

Alzheimer-Patienten weglaufen“ unter www.alzheimer-forschung.de, Fa. Bosch,<br />

http://www.alzheimerforum.de/2/13/Technische_Hilfsmittel-06-11.pdf , Seite 17)<br />

<strong>Jochen</strong> <strong>Tenter</strong> - Zentrum für Psychiatrie DIE WEISSENAU - 88214 Ravensburg - 1 -


Alternativen:<br />

Milieugestaltung so, dass keine Wunsch besteht, weg zu laufen („Sich zu Hause<br />

fühlen“)<br />

Info der Nachbarn, Polizei, über „Wegläufer, schnelles Finden.<br />

Abgeschlossener Gartenbereich, so dass Bewegung in sicherer Umgebung möglich<br />

ist.<br />

Toleranz in der Gemeinde für derartiges Verhalten.<br />

Absprachen mit Bevollmächtigten, Betreuern, Familien.<br />

Versteckte Türen innerhalb des Heimes, die aber nicht verschlossen sind.<br />

Und wenn Beschluss vorliegt, diesen selektiv handhaben: „gute und schlechte Tage“.<br />

Freiheitseinschränkung ist nur bei den Personen möglich, die die Freiheit haben. Also<br />

Bettgitter bei Bewegungslosen sind nicht genehmigungspflichtig.<br />

Die im Gesetzestexte erwähnte Freiheitsbeschränkung durch Medikamente (§1906, Abs.4)<br />

ist so gut wie nie indiziert und ebenso wenig genehmigungsfähig. Es gibt keine<br />

Medikamente, die selektiv „Weglaufen“ verhindern, sondern nur Medikamente, die Antrieb<br />

dämpfen und/oder sedieren.<br />

1.2.2. Sonderform: Fixierung wegen Sturz<br />

Inzwischen sind die Grenzen durch die BGH-Urteile gezogen.<br />

Abhilfen:<br />

Safe-Hip-Protektoren: sind inzwischen Standard, gibt es auch weich (komfortabler)<br />

oder Modelle, die über der Kleidung zu tragen sind.<br />

Niedrige, bzw. Niedrigst-Betten. Es gibt voll höhenverstellbare Pflegebetten mit einer<br />

potenziellen Sturzhöhe <strong>von</strong> 23 (!) cm, so dass nicht mehr mit Verletzungen gerechnet<br />

werden muss.<br />

Gymnastikmatte vor dem Bett.<br />

Halber oder geteilter Seitenschutz. Sind keine Freiheitseinschränkung.<br />

Matratze auf dem Boden. Entspricht dies der Würde der Älteren?<br />

Balance und Kraft-Training ist erfolgreich, auch bei Demenzkranken.<br />

Die jeweiligen Vor- und Nachteile für Bewohner/Patient bzw. Pflegemitarbeiter wurden<br />

diskutiert.<br />

1.2.3. Keine Fixierung oder Zwangsmedikation nach § 1906 bei fremdaggressiven<br />

Verhalten?<br />

Diese Frage spielt vor allem in Einrichtungen der Behindertenhilfe eine große Rolle. Hier<br />

muss über mögliche Konsequenzen nachgedacht werden, wenn aggressives Verhalten nicht<br />

- zu Not auch unter Zwang oder durch vorübergehende Freiheitseinschränkung - verhindert<br />

wird. Die Alternative wäre eine Dauerunterbringung auf einer Behandlungsstation eines<br />

psychiatrischen Krankenhauses nach den Regeln des Unterbringungsgesetzes. Dies kann<br />

nicht im Sinne des Betroffenen sein.<br />

<strong>Jochen</strong> <strong>Tenter</strong> - Zentrum für Psychiatrie DIE WEISSENAU - 88214 Ravensburg - 2 -


2. Zwangsbehandlung<br />

2.1. Typisch: Psychose, keine Einsicht in Erkrankung<br />

Art der Medikation: Neuroleptika.<br />

Selten:<br />

Demenz.<br />

Wenn dann meist akut: Verwirrtheitszustand, Erregung.<br />

Antidementiva, Antidepressiva etc. sind sowieso nicht gegeben den<br />

Willen verabreichbar, da nur bei monate- bzw. jahrelanger Einnahme<br />

wirksam.<br />

Grundsätzlich zwei Situationen:<br />

1.) Pat. ist einwilligungsfähig: wenn er der Behandlung nicht zustimmt, darf er (egal was der<br />

Betreuer sagt) nicht behandelt werden.<br />

2.) Pat. ist nicht einwilligungsfähig, die Behandlung aber nach sorgfältiger Abwägung<br />

dringlich. Dann kann der Betreuer (Bevollmächtigte, jeweils für diesen Bereich legitimiert)<br />

stellvertretend einwilligen, auch unter Zwang, aber nur bei Untergebrachten in<br />

Krankenhäusern. Zu Hause - und auch ein Heim ist ein Zuhause - ist keine<br />

Zwangsbehandlung erlaubt. Keine Genehmigung durch Vormundschaftsgericht möglich<br />

möglich, da nicht im Gesetz vorgesehen. Es gibt aber abweichende Meinungen durch<br />

Obergerichte, s. Ausführungen Fr. Schulz.<br />

Persönlicher Kommentar:<br />

Unterbringung ohne (medikamentöse) Behandlung dringend vermeiden! Es wirkt zwar<br />

auch Milieutherapie, aber meist nur dann, wenn Pat. mitmachen.<br />

Psychische Krankheit nicht leugnen unter dem Vorwand „Recht auf Krankheit“.<br />

Grundsatz: sorgfältigste Abwägung <strong>von</strong> Nutzen und Schaden durch Behandlung, aber<br />

auch unterlassene Behandlung.<br />

9.3.2007, Dr. <strong>Jochen</strong> <strong>Tenter</strong><br />

<strong>Jochen</strong> <strong>Tenter</strong> - Zentrum für Psychiatrie DIE WEISSENAU - 88214 Ravensburg - 3 -

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