Ferner Gott
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1. So. n. Trinitatis: Jeremia 23,16‐29<br />
„Auch ein <strong>Gott</strong>, der ferne ist…“<br />
Predigt Dekan Jö rg Dittmar, St.‐Mang‐Kirche, Kempten<br />
© Jörg Dittmar (es gilt das gesprochene Wort). Nur zum privaten Gebrauch<br />
Liebe Gemeinde!<br />
Ob wir das Rad noch einmal rumreißen? Ob uns das gelingen wird: den Klimawandel stoppen, die Energiewende packen, die<br />
Finanzkrise meistern, die Demokratisierung der arabischen Welt fördern und ob uns das gelingt: Europa zusammenhalten –<br />
auch eine Währung, die das Symbol eines Friedensraums war und noch immer ist?<br />
Oder wird uns ein Tsunami wegspülen, der Atommüll aus Asse wieder vor die Füße fallen, religiöse Fundamentalisten aller Art<br />
an die Macht drängen, ein Killervirus uns dahinraffen und der Euroraum in Nationalstaaten zerbrechen, die ihren eigenen<br />
Vorteil auf Kosten ihrer Nachbarn suchen – notfalls mit Zöllen, Währungs-Spekulationen oder im schlimmsten Fall militärisch?<br />
Fragen über Fragen – da bräuchte man schon einen Propheten, wenn man Antworten haben will. Und es gibt ja Propheten –<br />
z.B. Heils-Propheten, die uns trösten und ermutigen, indem sie sagen: „Alles wird gut! Die Suppe wird nicht so heiß gelöffelt,<br />
wie sie eingegossen wird! Seht den Lichtstreif einer wunderbaren Zukunft! Nie war die Welt so gut wie heute!“ Und die anderen<br />
Propheten kennen wir natürlich auch, die Unheilspropheten: „Der Weltuntergang kommt! Ändert euer Leben, schont<br />
die Umwelt, trennt euren Müll, verweigert euch dem System, denn es wird untergehen.“<br />
Rinderwahn und BSE, SARS und die Vogelgrippe und dann die Schweinegrippe, Terrorzellen überall, Tamiflu zuhause und ein<br />
Atombunker in der Tiefgarage und Krise am laufenden Band: Finanzkrise, Immobilienkrise, Bankenkrise, Eurokrise und<br />
Schweinsteigers Waden-Problem. Bisher lagen die Unken-Rufer und Panik-Propheten – <strong>Gott</strong> sei gelobt – auch nicht richtig.<br />
Irgendwie ist das schwierig mit den Propheten: Die einen trösten, die andern mahnen. Und wer hat Recht? Falsche Propheten?<br />
Echte Propheten? Wie soll man das auseinander halten? In der Bibel gibt es dafür eine ganz einfache und schlichte<br />
Regel, die so genial wie überflüssig ist. Diese Regel steht in 5. Mose 18,22: „Wenn ein Prophet im Namen des Herren redet<br />
und es wird nichts draus und es tritt nicht ein, dann ist das ein Wort, das der Herr nicht geredet hat! Der Prophet hat´s aus<br />
Vermessenheit geredet; darum kümmere dich nicht darum!“ Das macht Sinn, oder? Nur weiß man das eben vorher nicht – ob<br />
es nachher besser gewesen wäre, wenn man vorher auf den Propheten gehört hätte. Und immerhin gibt es ja auch die Geschichte<br />
vom Propheten Jona, der Unheil und den Weltuntergang prophezeit, damit sich die Stadt Ninive bekehrt. Dann tut<br />
sie es und der Prophet ist sauer, dass <strong>Gott</strong> ihn Lügen straft, weil er aus Erbarmen die Stadt doch nicht untergehen lässt. Jona<br />
also ein echter und falscher Prophet zugleich.<br />
Unser heutiger Predigttext ist der Ausschnitt aus einer Propheten-Predigt: schroff, grob, aggressiv, tieftraurig und düster. Da<br />
kämpft einer, den alle für einen falschen Propheten halten gegen die, die er für falsche Propheten hält. Jeremia – eine zutiefst<br />
tragische Gestalt, weil seine Unheils-Prophezeiungen tatsächlich eintreten. Nach biblischen Maßstäben also ein „echter<br />
Prophet“, was ihm aber überhaupt keine Freude ist. Und so kämpft er erbittert um Gehör. Wir wollen es ihm mal kurz schenken:<br />
Predigttext aus dem Jeremiabuch, Kapitel 23:<br />
So spricht der Herr Zebaot: Hört nicht auf die Worte der Propheten, die euch weissagen! Sie betrügen euch; denn sie verkünden<br />
euch Gesichte aus ihrem Herzen und nicht aus dem Mund des Herrn. Sie sagen denen, die des Herrn Wort verachten:<br />
„Es wird euch wohlgehen…!“, und allen, die nach ihrem verstockten Herzen wandeln, sagen sie: „Es wird kein Unheil<br />
über euch kommen!“. Aber wer hat im Rat des Herrn gestanden? Dass er sein Wort gesehen und gehört hätte? Wer hat sein<br />
Wort vernommen und gehört? Siehe, es wird ein Wetter des Herrn kommen voll Grimm und schreckliches Ungewitter auf<br />
den Kopf des <strong>Gott</strong>losen niedergehen. Und des Herrn Zorn wird nicht ablassen, bis er tue und ausrichte, was er im Sinn hat.<br />
Zur letzten Zeit werdet ihr es klar erkennen. Ich sandte die Propheten nicht, und doch laufen sie; ich redete nicht zu ihnen,<br />
und doch weissagen sie. Denn wenn sie in meinem Rat gestanden hätten, so hätten sie meine Worte meinem Volk gepredigt,<br />
um es von seinem bösen Wandel und von seinem bösen Tun zu bekehren. Bin ich nur ein <strong>Gott</strong>, der nahe ist, spricht der<br />
Herr, und nicht auch ein <strong>Gott</strong>, der ferne ist? Meinst du, dass sich jemand so heimlich verbergen könnte, dass ich ihn nicht
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sehe? spricht der Herr? Bin ich es nicht, der Himmel und Erde erfüllt? spricht der Herr. Ich höre es wohl, was die Propheten<br />
reden, die Lüge weissagen in meinem Namen und sprechen: Mir hat geträumt, mir hat geträumt. Wann wollen doch die<br />
Propheten aufhören, die Lüge weissagen und ihres Herzens Trug weissagen und wollen, dass mein Volk meinen Namen vergesse<br />
über ihren Träumen, die einer dem anderen erzählt, wie auch ihre Väter meinen Namen vergaßen über dem Baal? Ein<br />
Prophet, der Träume hat, der erzähle Träume; wer aber mein Wort hat, der predige mein Wort recht. Wie reimen sich Stroh<br />
und Weizen zusammen? spricht der Herr. Ist mein Wort nicht wie ein Feuer, spricht der Herr, und wie ein Hammer, der Felsen<br />
zerschmeisst?<br />
In diesen alten Worten ist es wie eine noch immer heiße Glut: das Wutschnauben, die Ohnmacht, die Verzweiflung eines<br />
Menschen, der sich sicher ist: „<strong>Gott</strong> hat eine Warnung – und niemand glaubt mir. Es ist zum wahnsinnig werden!“ Nur es<br />
könnte eben sein, dass seine „Gegner“ mit der gleichen Hingabe und Selbstüberzeugung vor dem Volk und vor dem König<br />
stehen. Nichts ist absurder als zwei, die sich jeweils mit ihren Behauptungen auf „<strong>Gott</strong>“ und auf „göttliche Wahrheit“ berufen<br />
und zugleich fundamental widersprechen. Prophetengezänk ist wie Pfarrer- und Priestergezänk. Letztlich schadet es der<br />
Glaubwürdigkeit aller. Aber vielleicht ist es auch nicht vermeidbar und auch nicht billiger zu haben, als dass man um „göttliche<br />
Wahrheiten“ zu ringen hat und es mit dem Behaupten allein eben nicht getan ist.<br />
Die Situation, um die es in unserem Predigttext geht, ist für Jeremia und auch für seine Gegner nicht einfach:<br />
In der Antike prägte das Schicksal Israels, dass es aufgrund seiner geographischen Lage immer Aufmarschgebiet der Großmächte<br />
im Nahen Osten war: Entweder Ägypten von Süden her, oder Assur bzw. Babylon von Nord-Osten her. 597 vor Christus<br />
hatte der Babylonische Feldherr Nebukadnezar (I) den aufmüpfigen Vasallenstadt Juda in einem Feldzug in die Knie gezwungen<br />
und Jerusalem erobert. Einen Teil der Oberschicht deportierte er. Die Auflagen der Besatzer wurden noch strenger.<br />
Die Frage war: Wollen wir wieder mehr Selbständigkeit erlangen, das Königtum wieder stärken, einen neuen Konflikt mit<br />
Babylon wagen um die Schmach der Niederlage besser überwinden zu können?<br />
Oder nehmen wir das Joch dieser Niederlage auf uns? Jeremia warb dafür. Symbolisch nahm er ein hölzernes Joch auf die<br />
Schultern, wenn er in den Tempel ging, der immerhin noch stand. Ganz anderer Ansicht aber war der Prophet Chananja: Der<br />
prophezeite die baldige Heimkehr der Exulanten, die Rückkehr des verschleppten Königs, die Erstattung der gestohlenen<br />
Tempelschätze. Jeremia hört das und – so erzählt das Kapitel 28 – er wird sogar von dieser Vision mitgerissen und sagt nach<br />
Chananjas Prophezeiung: „Ja, Amen, so sei es!“ Und Chananja nimmt Jeremia das Joch von den Schultern und zerbricht es. –<br />
Ganz großes Kino im Alten Testament! Und die Masse schöpft Hoffnung. Dann aber fühlt sich Jeremia gezwungen durch<br />
<strong>Gott</strong>, Chananja eine andere Botschaft zu sagen: „So spricht der Herr: Du hast das hölzerne Joch zerbrochen, aber du hast<br />
damit nun ein eisernes Joch an seine Stelle gesetzt!“ Jetzt trägt Jeremia ein eisernes Joch und Chananja stirbt noch im gleichen<br />
Jahr.<br />
Jeremia wird recht behalten: Die Tendenzen zum Widerstand in Judäa wachsen und bleiben Babylon nicht verborgen. 586<br />
vor Christus (11 Jahre nach dem ersten Feldzug) zieht Nebukadnezar (nun der III) nach Jerusalem und macht nach einer<br />
Belagerung kurzen Prozess mit der Stadt: Das davidische Königtum ist untergegangen, der Tempel Salomos ist zerstört, die<br />
Bewohner der Stadt geschändet, getötet, verschleppt. Jeremia behält Recht – indem der um Jerusalem weint.<br />
„Bin ich nur ein <strong>Gott</strong>, der nahe ist, spricht der Herr, und nicht auch ein <strong>Gott</strong>, der ferne ist?“<br />
Der ferne <strong>Gott</strong> – der unerreichbare, der unverständliche, der schweigende <strong>Gott</strong>: Mag sein, dass da Jeremia etwas ausspricht,<br />
was er später auf den Steinen des verbrannten Jerusalem spüren wird wie eine unendliche Leere im eigenen Herzen.<br />
Denn, was hilft es ihm, Recht behalten zu haben? Das Elend seiner Prophetie ist ja nicht nur, dass er das Elend kommen sieht,<br />
vor dem er warnen will. Das Elend ist auch, dass er damit einen <strong>Gott</strong> verkündigt, der ein strafender und rächender und ein<br />
„pädagogischer <strong>Gott</strong>“ bleiben wird – einer mit einer Straf-und-Belohnungs-Pädagogik: Zuckerbrot und Peitsche.<br />
Ein <strong>Gott</strong>esbild, das die Weltgeschichte als Weltgericht begreift. Ein <strong>Gott</strong>esbild, in dem Rache ein Prinzip ist und Vergeltung<br />
zur Logik gehört. Ein <strong>Gott</strong>esbild, indem Jeremia später verzweifelt darum ringt, Vertrauen in jene Hand <strong>Gott</strong>es wiederzugewinnen,<br />
die doch so hart geschlagen und gestraft hat.<br />
Jeremia wird selbst in den Trümmern Jerusalems versuchen, dem Volk wieder Mut zu machen und Hoffnung zu spenden. Er<br />
selbst erprobt sich als Heilsprophet: „Unsere Tränen sieht <strong>Gott</strong>! Die Entführten kommen heim, die Verstreuten werden wieder<br />
gesammelt!“<br />
Aber er durchbricht das <strong>Gott</strong>esbild nicht: Er hat <strong>Gott</strong>es Hand drohend und schlagend und strafend gepredigt. Warum man<br />
sich dieser Hand anvertrauen sollte – das zu begründen, wird ihm nie mehr ganz gelingen. Das ist die tiefste Tragik des Jeremia<br />
und der Prophetie insgesamt.
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Liebe Gemeinde,<br />
ich weiß, dass heute viele gerne wieder Propheten hätten: Mit Vollmacht große Worte sagen, mit eindrucksvoller Geste in all<br />
die schwierigen Fragen der Politik hinein Machtworte oder eingängige Lösungen hineinsprechen, die man dann noch mit<br />
göttlicher Autorität ausstattet – das wär´s.<br />
Ich weiß, dass unter den Theologen – zumal unter den fundamentalistisch angehauchten – die Sehnsucht groß ist, mit Mahnungen,<br />
Warnungen und drohenden Tönen wieder Werte und Gehorsam und eine einfache Schwarz-Weiß-Weltsicht anzumahnen.<br />
Und zugleich haben wir auf der anderen Seite die, die <strong>Gott</strong> nur noch als Schmusedecke, Wellness-Angebot und Kuschel-<br />
Phantasie predigen, dass man mit ein bisschen süßlicher Weltflucht einlullt, weil es ja nur darum geht, wie es mir am<br />
schnellsten am wohlsten wird oder was sich am besten anfühlt.<br />
Ein <strong>Gott</strong> der ferne ist – ich glaube, dass dieses Wort Jeremias tatsächlich sehr heilsam und wichtig ist: Allen Erklärungsversuchen<br />
entzieht sich dieser <strong>Gott</strong>. Allen, die ihn benutzen, behaupten und für ihre Argumente als Garant benutzen wollen, nicht<br />
diskutieren zu müssen. Wo man <strong>Gott</strong> für seine eigenen Argumente und Interessen als Quelle angibt, da hat man ihn missbraucht<br />
und missverstanden. Es ist gut, immer zuerst einmal davon auszugehen, dass <strong>Gott</strong> – wenn er überhaupt existiert –<br />
ein ferner <strong>Gott</strong> ist. Und damit eben auch kein Kuschelgott, der immer alles gut findet und brav auf meine Zuwendung wartet.<br />
Es gibt tatsächlich nur eine einzige Weise, in der <strong>Gott</strong> uns verlässlich und unmissverständlich nahe ist: In Jesus Christus.<br />
Das ist unser heiß umstrittenes Glaubensbekenntnis – den einen ein Ärgernis und den anderen eine Torheit, wie Paulus sagt.<br />
Es sind nicht Theorien, nicht Meinungen, nicht Visionen oder Erkenntnisse, nicht Philosophien und nicht moralische Konstrukte<br />
in denen wir <strong>Gott</strong> begegnen in seiner wirklichen Gestalt, es ist auch nicht die Weltgeschichte mit ihrem schreienden<br />
Unrecht und mit ihrem gebannten Blick auf die Sieger und Starken - sondern wir erkennen <strong>Gott</strong> wie eine Kraft und wie den<br />
Widerschein eines großen Lichts in allem, was Jesus sagt oder tut.<br />
Jesus erklärt uns nicht das Leid der Welt – er geht daran, es zu lindern.<br />
Jesus ruft nicht zum gewaltsamen Widerstand auf – aber er predigt und lebt eine Freiheit und einen Frieden, der höher ist<br />
als alles, was Menschen beengen könnte.<br />
Jesus vertraut in seinem gewaltsamen Tod sich dennoch der Hand eines <strong>Gott</strong>es an, den er nicht spürt und dennoch als Vater<br />
anruft. Und der reißt ihn heraus zu neuem Leben.<br />
Jesus warnt nicht den verlorenen Sohn, er möge zuhause bleiben. Er zeigt den Heimweg und warnt die Unbarmherzigen vor<br />
der Kälte in ihren Herzen.<br />
Ich sage: Wir brauchen keine Propheten – weder Angstmacher noch Vertröster.<br />
Wir brauchen nur den EINEN, der <strong>Gott</strong>es Nähe selbst ist. Ihm folgen wir und er ist an unserer Seite. Und da gelten nicht<br />
mehr die pädagogischen Regeln von Zuckerbrot und Peitsche, nicht mehr die Regeln von Angst und süßen Lockmitteln. Nein:<br />
Was da kommt – alles muss uns zum Besten dienen. Das Bittere und Harte, was uns treffen kann. Das Schöne und das Leichte<br />
und Wunderbare, das auf uns niederregnen wird –Indem ich mich an Jesus Christus halte, wird darin <strong>Gott</strong> mir nahe sein.<br />
Was kommt auf uns zu? Es ist immer Christus. Es ist immer er und sein gütiger und erbarmender Blick auf uns. Es ist kein<br />
Schicksal und kein Schlaraffenland, sondern es sind Augen, durch die mich der nahe <strong>Gott</strong> liebevoll anschaut.<br />
AMEN