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Elektronischer Rechtsverkehr in den Niederlanden

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<strong>Elektronischer</strong> <strong>Rechtsverkehr</strong> <strong>in</strong> <strong>den</strong> Niederlan<strong>den</strong><br />

Frau mag. Iur. Dory Reil<strong>in</strong>g, die Vizepräsi<strong>den</strong>t<strong>in</strong> des LG Amsterdam und EDV­Berater<strong>in</strong> für<br />

<strong>den</strong> Rat der Rechtsprechung, begann ihren Vortrag mit e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> das<br />

Gerichtssystem der Niederlande.<br />

In <strong>den</strong> Niederlan<strong>den</strong> zählt man 1.800 Richter, die für 16. Mio. E<strong>in</strong>wohner zuständig s<strong>in</strong>d.<br />

Durchschnittlich 1,5 Mio. Verfahren wer<strong>den</strong> pro Jahr abgehandelt. Insoweit hob Frau Reil<strong>in</strong>g<br />

hervor, dass <strong>in</strong> Deutschland e<strong>in</strong>e wesentlich höhere Dichte an Richtern anzutreffen ist.<br />

Im Anschluss stellte Frau Reil<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>ige EDV­Hilfsmittel für <strong>den</strong> juristischen Alltag vor. Sie<br />

begann mit dem „Porta Iuris“, wo der Nutzer juristische Fach<strong>in</strong>formationen erhält. In<br />

Datenbanken s<strong>in</strong>d Gesetzestexte und auch Kommentare abrufbar. Abgerundet wird alles<br />

durch die Möglichkeit e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>tegrierten Suche. Weiterh<strong>in</strong> stellte Frau Reil<strong>in</strong>g die Seite<br />

www.rechtspraak.nl vor. Dort wer<strong>den</strong> unter anderem wichtige Entscheidungen kurz nach<br />

ihrer Verkündung (<strong>in</strong>nerhalb von wenigen M<strong>in</strong>uten) veröffentlicht, damit gerade die Presse<br />

e<strong>in</strong>e aktuelle Informationsmöglichkeit hat. Über www.rechtspraak.nl gelangt man auch zu<br />

dem ICT­Proeflokaal <strong>in</strong> Zutphen<br />

(http://www.rechtspraak.nl/rondom_rechtspraak/ict_proeflokaal/ma<strong>in</strong>.htm), das Herr Bartosz<br />

Sujecki im zweiten Vortragsteil e<strong>in</strong>gehend vorstellte.<br />

In ihrem weiteren Vortrag stellte Frau Reil<strong>in</strong>g <strong>den</strong> am 01.01.2002 neu gegründeten Rat für<br />

die Rechtsprechung vor. Dieser Rat besteht aus 5 Mitgliedern, von <strong>den</strong>en derzeit 3 Richter<br />

s<strong>in</strong>d. Der Vorsitzende muss immer e<strong>in</strong> Richter se<strong>in</strong>. Hauptaufgaben des Rates s<strong>in</strong>d unter<br />

anderem das Budget, die Geldzuweisung an Gerichte und die Unterstützung der<br />

Geschäftsführung der Gerichte. Weiterh<strong>in</strong> soll der Rat die Qualität der Verwaltung und<br />

Gerichte fördern und <strong>in</strong>sbesondere diesen Stellen beratend zur Seite stehen. Die Ziele s<strong>in</strong>d die<br />

gesellschaftliche Qualität der Rechtsprechung zu erhöhen, Verfahren schneller zu bearbeiten<br />

und auch die Zugänglichkeit zur Rechtsprechung zu verbessern. Das derzeit größte Problem<br />

bereitet die Strafrechtsprechung. Die zum E<strong>in</strong>satz kommen<strong>den</strong> EDV­Instrumente wer<strong>den</strong><br />

ständig weiterentwickelt. Im Rahmen der Research­ und Development ­ Aktivitäten kommt<br />

dem Kenntniszentrum ICT Proeflokaal, <strong>den</strong> Experimenten der Gerichte, der Rechts<strong>in</strong>formatik<br />

(Universität) und <strong>in</strong>ternationalen Gremien e<strong>in</strong>e entschei<strong>den</strong>de Bedeutung zu. Gerade im<br />

Bereich der Rechts<strong>in</strong>formatik wer<strong>den</strong> Untersuchungen durchgeführt, die Aufschluss darüber<br />

br<strong>in</strong>gen sollen, was konkret zu entwickeln ist. Als konkretes Beispiel stellte Frau Reil<strong>in</strong>g e<strong>in</strong><br />

Modell vor, das die Gerichte <strong>in</strong> Amsterdam selbst entwickelten (Amsterdamer Modell).<br />

Dieses Modell ist Privaten versperrt, eröffnet aber für große Firmen e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>fachere Art e<strong>in</strong>e<br />

Klage „elektronisch“ e<strong>in</strong>zureichen. Der Kläger kann an <strong>den</strong> Rechtspfleger vorab elektronisch<br />

die notwendigen Unterlagen zur Klageerhebung e<strong>in</strong>reichen. Die Unterlagen müssen <strong>in</strong><br />

schriftlicher Form nachgereicht wer<strong>den</strong>. Über <strong>den</strong> Rechtspfleger wird dann auch der Beklagte<br />

<strong>in</strong>formiert. Der Rechtspfleger übermittelt die Daten auf e<strong>in</strong>er CD an das Rechenzentrum. Im<br />

Anschluss f<strong>in</strong>det dann der normale Prozess statt. Trotz der noch fehlen<strong>den</strong> gesetzlichen<br />

Regelungen versucht man hier e<strong>in</strong>en Weg zu gehen, der e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>fachere Möglichkeit aufzeigt<br />

e<strong>in</strong>e Klage e<strong>in</strong>zureichen. Die gesetzlichen Regelungen <strong>in</strong> <strong>den</strong> Niederlan<strong>den</strong> liegen h<strong>in</strong>ter


<strong>den</strong>en <strong>in</strong> Deutschland zurück. Am 08. Mai 2001 hat der niederländische Gesetzgeber die<br />

digitale Signatur <strong>in</strong> Art. 3:15a BW (niederländisches BGB) gesetzlich e<strong>in</strong>geführt. Gemäß Art.<br />

3:15c BW ist diese Vorschrift auch auf alle anderen Rechtsgebiete, <strong>in</strong>sbesondere auch auf das<br />

Verfahrensrecht anwendbar. Die elektronische Form, wie sie <strong>in</strong> Deutschland durch das Gesetz<br />

zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an <strong>den</strong><br />

modernen Rechtsgeschäftsverkehr (vom 13.07.2001; BGBl. I 1542) <strong>in</strong> § 126 a BGB geregelt<br />

ist, bef<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> <strong>den</strong> Niederlan<strong>den</strong> erst im Gesetzgebungsverfahren (Art. 3:227a Abs. 1<br />

Entwurf­BW). Derzeit sieht der Entwurf aber lediglich e<strong>in</strong>e Begrenzung auf <strong>den</strong><br />

Vertragsabschluss vor, sodass hier e<strong>in</strong> Änderung unausweichlich ist.<br />

Insbesondere wurde im Rahmen des Arbeitskreises von Frau Reil<strong>in</strong>g auch e<strong>in</strong> Blick auf<br />

England geworfen, wo die E<strong>in</strong>reichung und Verteidigung gegen e<strong>in</strong>e Klage auch auf<br />

elektronischem Wege möglich ist (www.moneyclaim.gov.uk).<br />

Die E<strong>in</strong>führung des elektronischen <strong>Rechtsverkehr</strong>s muss e<strong>in</strong>hergehen mit der Änderung der<br />

Gerichtsorganisationen. Im zweiten Teil des Arbeitskreises referierte Herr Sujecki über das<br />

ICT­ Proeflokaal. Die Entstehung des ICT­Proeflokaals begann mit der „Leemhuies­<br />

Kommission“, deren Ziel es war die Rechtsprechung zu verbessern. Die Ergebnisse der<br />

Kommission mündeten <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>führung e<strong>in</strong>es „Rates für die Rechtsprechung“. Die<br />

Umsetzung der Ideen der Leemhuis­Kommission fand ihren Weg zunächst <strong>in</strong> der<br />

„Programma Versterk<strong>in</strong>g Rechterlijke Orgaisatie“ (pVRO ­<br />

http://www.rechtspraak.nl/gerechtshof/amsterdam/Jaarverslag_1999/pvro.htm). Ziel war es<br />

die Richter über die neuen Entwicklungen zu <strong>in</strong>formieren und Projekte durchzuführen, die<br />

<strong>in</strong>sbesondere die Abläufe <strong>in</strong>nerhalb der Verwaltung verbessern helfen.<br />

Innerhalb des am 01. Januar 2002 e<strong>in</strong>geführten Rates für die Rechtsprechung (Raad voor de<br />

Rechtspraak) bef<strong>in</strong>det sich nun das ICT­Proeflokaal. Das ICT­Proeflokaals testet unter<br />

anderem elektronische Mittel auf ihre Brauchbarkeit für die Rechtsprechung. Aufgabe ist es<br />

auch der Rechtsprechung e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>druck über die IT­E<strong>in</strong>satzmöglichkeiten zu geben.<br />

Insbesondere ist es wichtig bisher un<strong>in</strong>formierten Verwaltungsangestellten Informationen<br />

über die Entwicklung im IT­Sektor zu vermitteln, damit diese an der Entwicklung teil nehmen<br />

können. Als aktuelle Projekt s<strong>in</strong>d unter anderem Work Flow Managmentsysteme zu nennen,<br />

deren Ziel es zum Beispiel ist die Sitzungspläne von Richtern abzustimmen. Weiterh<strong>in</strong> prüft<br />

man <strong>den</strong> E<strong>in</strong>satz von Spracherkennungssystemen, Video­ und Audiokonferenzen,<br />

biometrischen System und auch entscheidungsunterstützen<strong>den</strong> Systemen, die gerade im<br />

Bereich des Strafrechts zu e<strong>in</strong>er Gleichheit, <strong>in</strong>sbesondere bei Strafmaßen, führen soll.<br />

Geplant ist weiter die „elektronische Akte“ umzusetzen, „E­Learn<strong>in</strong>g“ und<br />

Informationssysteme für die Öffentlichkeit.<br />

Das ICT­Proeflokaal ist somit nicht nur e<strong>in</strong> Testlaboratorium. Der <strong>in</strong>nerhalb der e<strong>in</strong>zelnen<br />

Prüfungsverfahren aufgebaute Wissensstand wir <strong>den</strong> Gerichten als auch dem<br />

Justizm<strong>in</strong>isterium <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Datenbank zur Verfügung gestellt. Kommt es später zum E<strong>in</strong>satz<br />

e<strong>in</strong>es neuen Verfahrens übernimmt das ICT­Proeflokaal die Schulung der Anwender (zB<br />

Gerichtsbedienstete). Den Gerichten wird zwar bei der Auswahl der e<strong>in</strong>zelnen Produkte e<strong>in</strong>


Ermessen e<strong>in</strong>geräumt, durch das ICT­Proeflokaal wird aber e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>heitliche Anwendung des<br />

elektronischen <strong>Rechtsverkehr</strong>s gewährleistet.<br />

Die angegangenen Projekte und Ziele dürfen aber nicht <strong>den</strong> E<strong>in</strong>druck vermitteln, e<strong>in</strong>e<br />

gesetzliche Grundlage ist nicht notwendig. Der Nachteil der angesprochenen Projekte liegt<br />

sicherlich dar<strong>in</strong>, dass es nur „Pilotprojekte“ s<strong>in</strong>d. Die Anforderung zur Umsetzung ist die<br />

Schaffung e<strong>in</strong>er gesetzlichen Grundlage für <strong>den</strong> IT­E<strong>in</strong>satz <strong>in</strong>nerhalb der Rechtsprechung.<br />

Gerade aber auch das „Amsterdamer Modell“ zeigt, dass es nicht immer nur <strong>in</strong> die e<strong>in</strong>e<br />

Richtung, nämlich zuerst Gesetz und dann Entwicklung und Anwendung gehen muss.<br />

Innovative Techniken verlangen auch <strong>in</strong>novative Lösungsansätze. Gerade der schnelle<br />

Wandel der Informationstechnologien verlangt andere gesetzliche Rahmenbed<strong>in</strong>gungen,<br />

damit die technische Weiterentwicklung nicht gebremst wer<strong>den</strong>.<br />

Ass. iur. Ralph Dornis<br />

E­MAIL: mail@ralph­dornis.de<br />

dornis@juris.de

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