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25.07.03<br />

Vortrag am Vorabend des Libori-Festes 2003<br />

Sr. M. Assumpta Schenkl, OCist<br />

Frauenmystik im deutschen Mittelalter –<br />

Zeugnis für heute<br />

Dû bist mîn, ich bin dîn:<br />

des solt dû gewis sîn.<br />

dû bist beslozzen<br />

in mînem herzen:<br />

verlorn ist daz slüzzelîn:<br />

dû muost immer drinne sîn.<br />

Dies ist das älteste Liebeslied deutscher Sprache, das wir kennen, entstanden zur Zeit des<br />

Minnesanges und in der Hochblüte der deutschen Frauenmystik, die in ihren Ausdrucksformen,<br />

in ihren sprachlichen Bildern oft eine verblüffende Ähnlichkeit aufweisen. Und so ist<br />

dieses innige kleine Lied sicher zunächst von einem liebenden Menschen dem oder der Geliebten<br />

zugesungen worden. Aber es kann - ohne jede Verfälschung, ja vielleicht sogar mit<br />

noch mehr Recht und Wahrheit - gedeutet werden als ein Lied des liebenden Gottes an einen<br />

Menschen und auch eines liebenden Menschen an den geliebten Gott: Dû bist mîn, ich<br />

bin dîn: dû bist beslozzen in mînem herzen.<br />

Damit sind wir mitten im Zentrum der Mystik; der Mystik ganz allgemein, aber insbesondere<br />

der Mystik der heiligen Frauen von Helfta.<br />

Ehe ich aber im einzelnen näher auf die wesentlichen Züge der Helftaer Mystik eingehe,<br />

möchte ich doch den Begriff „Mystik" noch etwas genauer abklären.<br />

Bei den vielen Gesprächen mit Besuchern, die zu uns nach Helfta kommen, um etwas über<br />

Mystik zu hören, ist rnir bewusst geworden, dass bei vielen sehr verschwommene Vorstellungen<br />

von Mystik gegeben sind, bzw. dass sehr häufig mehr oder weniger unwesentliche<br />

Begleiterscheinungen mystischen Lebens für das Wesentliche gehalten werden, wie zum<br />

Beispiel Visionen, Auditionen, Elevationen, Ekstasen usw. Sicher, all diese Dinge sind häufig<br />

mit mystischen Erfahrungen verbunden. Aber gerade sehr große und erfahrene Mystiker


wie Johannes vom Kreuz oder Bernhard von Clairvaux betonen immer wieder, dass bei höheren<br />

Stufen mystischer Erfahrung diese Dinge mehr und mehr zurücktreten und tiefste<br />

mystische Erfahrung völlig außerhalb jeder sinnlichen Erfahrung vor sich geht - „auf weiselose<br />

Weise", wie Meister Eckhart es nennt - und sich auch weitgehend der menschlichen<br />

Sprache entzieht. Die vielen Bilder, denen wir in der Sprache der Mystiker begegnen, sind<br />

wohl häufig eher Versuche, anderen Menschen das eigentlich Unaussprechliche irgendwie<br />

zu erklären und nahezubringen.<br />

Ja, aber was ist nun das Eigentliche, der Kern mystischer Erfahrung? Ich will versuchen,<br />

Ihnen das an einem ein wenig ungewöhnlichen Text aus unserer Zeit aufzuzeigen, dessen<br />

Verfasser sich nie und nimmer für einen Mystiker gehalten hätte. Es handelt sich um einen<br />

Brief, einen Brief an Gott, den man in der Rocktasche eines jungen amerikanischen Soldaten<br />

gefunden hat, der am Ende des 2. Weltkrieges in Italien gefallen war - vielleicht eine<br />

halbe Stunde, nachdem er den Brief geschrieben hatte:<br />

Sieh, o Gott, ich habe dich niemals angeredet,<br />

aber jetzt möchte ich dir guten Tag sagen.<br />

Die Leute sagten zu mir, dass du gar nicht existierst,<br />

und wie ein Dummkopf habe ich dies alles geglaubt.<br />

Gestern abend sah ich aus einem Granatloch<br />

Dein Himmelsgewölbe.<br />

Ich schloss daraus, dass man mich angelogen hat.<br />

Hätte ich mir Zeit genommen, um deine Werks anzusehen,<br />

wäre ich von selbst darauf gekommen,<br />

dass man mir einen Bären aufband.<br />

Ich möchte wissen, o Gott, ob du mir<br />

deine Hand reichen würdest.<br />

Ein Gefühl sagt mir, dass du mich verstehst.<br />

Sonderbar, ich musste an diesen höllischen Ort kommen,<br />

bevor ich Zeit hatte, dein Angesicht zu sehen.<br />

Wohl, ich denke, da ist nicht mehr viel zu sagen,<br />

aber ich bin froh, dass ich dich heute traf.<br />

Ich glaube, die Stunde des Angriffs<br />

wird bald schlagen.<br />

Aber ich habe keine Angst, seit ich weiß,


dass du mir nahe bist.<br />

Ich höre das Signal. Wohl, o Gott, ich habe zu gehen.<br />

Ich habe dich gern, das sollst du wissen.<br />

Sieh, es wird einen harten Kampf geben.<br />

Wer weiß, vielleicht komme ich<br />

zu deiner Wohnung diese Nacht.<br />

Obgleich ich früher nicht sehr freundlich zu dir war,<br />

mache ich mir doch Gedanken, ob du mich<br />

an deiner Tür erwartest<br />

Sieh, ich weine, ich vergieße Tränen!<br />

Wohl, ich habe jetzt zu gehen, Gott, auf Wiedersehen.<br />

Sonderbar. Seit ich dich traf, habe ich keine Angst,<br />

zu dir zu kommen.<br />

Was ist hier vor sich gegangen? Keine Vision, keine Audition, keine Ekstase - und doch ein<br />

Vorgang, der das Leben, das Innere dieses jungen Menschen total verändert hat. Man kann<br />

es auf einen ganz einfachen Nenner bringen: Gott hat seine Seele angerührt und verwandelt.<br />

Wie - das hätte er uns sicher nicht sagen können; eben „auf weiselose Weise". Den<br />

Vorgang als solchen hat er wohl kaum bewusst wahrgenommen - wohl aber die Auswirkungen!<br />

Alles war anders als zuvor: Keine Angst mehr, nicht einmal vor dem Tod; Friede, Freude,<br />

tiefe innere Ruhe aus der inneren Gewissheit: Ich bin unendlich geborgen, weil unendlich<br />

geliebt. Diese Auswirkungen: Verschwinden von Angst und Sorge, Freude, Friede, Bewusstsein<br />

tiefer Geborgenheit in Gottes Liebe, Liebe zu diesem Gott und Vertrauen zu IHM,<br />

nennt Bernhard von Clairvaux die untrüglichen Zeichen echter mystischer Erfahrung. Man<br />

kann Mystik also schlicht und einfach so definieren: Umwandelnde Berührung der Seele des<br />

Menschen durch Gott, die sich den Sinnen und der Sprache weithin entzieht, aber tiefe,<br />

bleibende Wirkungen zurücklässt.<br />

Nun aber endlich zur Mystik der heiligen Frauen von Helfta. Wohl ist bei ihnen häufig von<br />

Visionen und Auditionen die Rede, aber daneben auch immer wieder von diesen ganz leisen<br />

umwandelnden Berührungen der Seele durch Gott. Andererseits gewinnt man bei den<br />

Schilderungen ihrer Gottesbegegnungen oft auch den Eindruck, dass sie sich sprachlicher<br />

Bilder bedienen, um anderen irgendwie begreiflich zu machen, was Gott in ihnen gewirkt<br />

hat. Bei Mechtild von Magdeburg, die aus dem Adel in der Umgebung Magdeburgs stammt,<br />

finden sich häufig Bilder aus dem Bereich des höfischen Lebens, manchmal auch Anklänge


an den Minnesang, so dass man erkennen kann: Dies sind nicht Schilderungen von Visionen,<br />

sondern eher Versuche, das Unsagbare sagbar und begreiflich zu machen. Zudem<br />

kann man an den Auswirkungen der mystischen Erfahrungen dieser Frauen für ihr eigenes<br />

Leben und die gewaltige Ausstrahlung auf das Leben anderer Menschen über Jahrhunderte<br />

hinweg bis heute klar erkennen, dass es sich bei ihnen um authentische Gotteserfahrung<br />

handelt.<br />

Auf zwei Besonderheiten der Helftaer Mystik möchte ich noch hinweisen: Das eine ist eine<br />

erstaunliche Offenheit für die Umwelt, die Natur und die Menschen. Während viele andere<br />

Mystiker sagen, man müsse seine Sinne verschließen und sich ganz in sich selbst zurückziehen,<br />

um Gott zu erfahren, nehmen sie IHN gleichsam auch durch ihre Sinne in sich auf.<br />

Mechtild von Hakeborn wird von Christus sogar aufgefordert, IHN auch durch alles, was sie<br />

sieht, hört, schmeckt, in sich eintreten zu lassen. Und bei Gertrud der Großen findet sich<br />

eine sehr schöne Schilderung, wie sie gerade bei der Betrachtung der Frühlingsnatur sich<br />

auftut für Gottes Einströmen. Aus sehr vielen Berichten der heiligen Frauen selbst und ihrer<br />

Mitschwestern erfahren wir, dass sie immer offen waren für die Nöte und Bedürfnisse der<br />

Menschen und sich Zeit nahmen - auch kostbare Gebetszeit opferten -, sich ihre Bitten und<br />

Wünsche anzuhören.<br />

Eine zweite Besonderheit der Helftaer Mystik ist, dass die Visionen und Auditionen der heiligen<br />

Frauen herauswachsen aus der Liturgie, bzw. anknüpfen an liturgische Texte oder Bibelworte.<br />

Häufig beginnen ihre Berichte mit einem solchen Zitat. Diese starke Bindung an<br />

die Liturgie bewahrt ihre mystischen Erfahrungen vor Subjektivismus und verleiht ihnen einen<br />

hohen Grad an Objektivität.<br />

Nun noch eine kurze Vorstellung der drei heiligen Frauen von Helfta. Wer waren sie eigentlich?<br />

Die erste von ihnen, die in das Kloster Helfta eintrat, war Mechtild von Hakeborn (1241 -<br />

1299), leibliche Schwester der damaligen Äbtissin. Sie kam in sehr jungen Jahren und hat<br />

als Kantorin, Novizenmeisterin und Leiterin der klösterlichen Schule die Spiritualität des Klosters<br />

sicher stark mitgeprägt. Vermutlich hatte sie schon in ihrer Jugend mystische Erfahrungen,<br />

die sie aber lange geheim hielt Erst in ihren letzten Lebensjahren hat sie sie auf<br />

ausdrücklichen Wunsch Christi einer Mitschwester diktiert, da sie selbst nicht mehr schreiben<br />

konnte. Ihr Buch: „Das Buch der besonderen Gnade" (»Liber specialis Gratiae« ) wurde<br />

auch in unseren Tagen wieder neu herausgegeben.<br />

Als nächste kam die heilige Gertrud die Große an (1256 - 1302), damals noch ganz klein.<br />

Sie wurde als fünfjährige Waise in die Obhut der Schwestern gegeben, wuchs also im Kloster<br />

auf. Sie war ein sehr lebhaftes und intelligentes Kind. Als etwa Siebzehnjährige nahm


auch sie den Schleier. Nun legte die damalige Äbtissin sehr großen Wert auf eine hervorragende<br />

Bildung der Schwestern und ließ deshalb die gelehrten Dominikaner aus den umliegenden<br />

Städten nach Helfta kommen, damit sie die Schwestern in alle damals bekannten<br />

Wissenschaften einführten, so dass die Begabten unter ihnen hochgebildete Frauen waren.<br />

Der heiligen Gertrud nun wäre dieses großartige Bildungsangebot beinahe zum Verhängnis<br />

geworden. Es interessierte und faszinierte sie so, dass sie am liebsten, wie sie später selber<br />

schreibt, Tag und Nacht studiert hätte und ihr geistliches Leben nur eine ganz untergeordnete<br />

Rolle spielte. Das dauerte immerhin sieben bis acht Jahre, bis kurz nach ihrem 26. Geburtstag<br />

die erste ihr zuteil gewordene Christusbegegnung eine radikale Wende brachte.<br />

Von da an - sie lebte noch etwa zwanzig Jahre - war Christus, dem sie nun häufig begegnen<br />

durfte, die absolute Mitte ihres Lebens. Auch sie bekam den Auftrag, ihre Erfahrungen niederzuschreiben<br />

- und nannte das Buch: „Gesandter der göttlichen Liebe". Ein zweites Buch:<br />

„Geistliche Übungen" folgte in späteren Jahren.<br />

Als letzte kam Mechtild von Magdeburg (1207 - 1290). Im Gegensatz zu den beiden war<br />

sie schon relativ betagt, etwa 60. Sie schreibt, sie sei mit zwölf Jahren zum ersten Mal vom<br />

Heiligen Geist gegrüßt worden, hatte da also wohl ihre erste mystische Erfahrung.<br />

Ich unwürdige Sünderin wurde in meinem zwölften Jahre,<br />

als ich allein war, in überaus seligem Fließen vom Heiligen Geiste gegrüßt, dass ich es nie<br />

mehr über mich brächte, mich zu einer großen, hässlichen Sünde hinreißen zu lassen.<br />

Der vielliebe Gruß kam alle Tage<br />

und machte mir herzlich leid aller Welt Süßigkeit,<br />

und er vermehrt sich noch alle Tage.<br />

Dies geschah während einunddreißig Jahren.<br />

(MvM. Das fließende Licht der Gottheit, Buch IV, 1-28)<br />

Diese Gnade wurde ihr offensichtlich immer wieder geschenkt; so beschloss sie als Zwanzigjährige,<br />

das väterliche Gut zu verlassen, und ging als Begine nach Magdeburg. Dort lebte<br />

sie vierzig Jahre, häufig heimgesucht von teils beglückenden, teils leidvollen mystischen<br />

Erfahrungen, die sie niederschrieb in dem Buch: „Das fließende Licht der Gottheit" (nebenbei:<br />

Das erste Buch geistlichen Inhalts in deutscher Sprache!). Da sie sehr alt wurde - etwa<br />

84 - lebten also über einen Zeitraum von etwa zwanzig Jahren die drei heiligen Frauen, alle<br />

drei mystisch begnadet und schriftstellerisch, ja dichterisch begabt, im selben Kloster. Das<br />

ist wohl das ganz Besondere von Helfta, und meines Wissens einmalig in der Geschichte


der deutschen Klöster und Heiligen. Und das Eigenartige ist, dass viele Besucher uns sagen,<br />

etwas von dieser geistlichen Atmosphäre sei in dieser Klosterkirche bis heute spürbar. -<br />

Ja, aber nun endlich zur geistlichen Botschaft dieser drei Frauen und deren Bedeutung<br />

für uns heute. Ich möchte auf 5 Punkte eingehen, die mir als Botschaft für uns heute besonders<br />

wichtig erscheinen:<br />

1. Die Sehnsucht Gottes nach dem Menschen<br />

Eine Frau sagte mir neulich: „Davon habe ich noch niemals in einer Predigt etwas gehört!"<br />

Und in der Tat, ich glaube, das Wissen, das Bewusstsein, dass Gott sich nach uns sehnt, ist<br />

für viele Christen etwas Fremdes. Und dabei ist es etwas so Wunderbares! Und so vielfach<br />

bestätigt im Alten und im Neuen Testament! Im Alten Testament finden sich zahlreiche Stellen<br />

für diese Sehnsucht Gottes; so z.B. bei der Wüstenwanderung Israels, wo Gott immer<br />

und immer wieder dem abtrünnigen und murrenden Volk nachgeht, ihm verzeiht und hilft<br />

und es zurückholt zu sich.<br />

Besonders stark kommt Gottes Sehnsucht nach dem Menschen zum Ausdruck im Hohenlied.<br />

Immer wieder lesen wir dort den Ruf des Bräutigams – sprich Gottes: „Steh' auf, meine<br />

Freundin, und komm! Komm, komm vom Libanon, so komm doch!" Hier, in der<br />

Verdoppelung, ganz besonders drängend und intensiv. Zehnmal insgesamt steht dieses<br />

„Komm!" im Hohenlied. Und an anderer Stelle lesen wir: „Tu mir auf, meine Freundin,<br />

meine Schwester, tu mir aufl" Und wieder: „.Lass dein Antlitz mich schauen, deine<br />

Stimme mich hören! Denn deine Stimme ist süß, und lieblich dein Gesicht." Welche<br />

Liebe, welche ungestüme Sehnsucht spricht aus diesen Worten!<br />

Eine der erschütterndsten Selbstaussagen Gottes über Seine Liebe ist Seine Sehnsucht<br />

nach dem Menschen, wie sie das ganze Alte Testament durchzieht und schließlich einmündet<br />

in die Menschwerdung Jesu Christi. Auch sie hat ja nur ein Motiv: Gottes Liebe zu uns –<br />

Seine Sehnsucht, uns heimzuholen zu sich. Und in der Botschaft Jesu wird nun weitergeführt,<br />

was sich wie ein roter Faden hinzog durch das ganze Alte Testament. Jesu erstes<br />

Wort bei Markus: „Kehrt um, kehrt um von euren verkehrten Wegen, kommt her zu<br />

mir!" Wieder das Thema des Hohenliedes: „Kommt, kommt her!" Und das letzte Wort vor<br />

der Himmelfahrt: „Predigt die Umkehr!" Der Ruf zur Umkehr, zur Heimholung, der alte<br />

Sehnsuchtsruf ist also der Rahmen – das Thema des Evangeliums. Die ganze Predigt Jesu,<br />

sein drei Jahre währendes Wandern, ist nichts anderes als immer wieder dieser Ruf, als das<br />

unermüdliche und durch keine Zurückweisung und Enttäuschung abzuschreckende Werben<br />

Gottes um den Menschen. Besonders deutlich wird es erkennbar in einigen Gleichnissen.<br />

Ich denke besonders an die Parabeln vom verlorenen Schaf, der verlorenen Drachme, des


verlorenen Sohnes. In den beiden ersten: welcher Aufwand des Suchens, welche stürmische<br />

Freude des Wiederfindens! Beides fast noch übertroffen von der überschwenglichen<br />

Freude des vielleicht schon Jahre sich sehnenden Vaters. Und in den letzten Stunden seines<br />

Lebens, wie in einem Testament gleichsam, spricht Jesus es mit unüberbietbarer Dringlichkeit<br />

aus: „Desiderio desideravi“. Voll Sehnsucht sehnte ich mich – heute, ein Leben<br />

lang, eine Ewigkeit lang; sehnte mich so unermesslich, dass ich alle meine Wonne, den<br />

Schoß des Vaters, meinen Himmel verließ, um dieser Sehnsucht Genüge zu tun.<br />

Endlich noch ein letztes Zeichen dieser göttlichen Sehnsucht, das wir wohl viel zu wenig als<br />

solches sehen: Welche Darstellung Gottes, des Gottmenschen, ist häufiger als die des Gekreuzigten?<br />

Uns allen ist sie vertraut seit unseren Kindestagen. Zumeist sehen wir in ihr –<br />

und das mit Recht – ein Zeichen der unbegrenzten, alles Vorstellen übersteigenden Liebe<br />

Gottes. Aber sie ist doch zugleich ein unglaublich ausdrucksstarker Gestus der Sehnsucht –<br />

die weit offenen Arme, das geöffnete Herz, das uns zugeneigte Haupt. Zwei Jahrtausende<br />

hindurch schon sind diese Arme nach uns ausgespannt...<br />

Bei den Frauen von Helfta, besonders stark bei Gertrud und bei Mechtild von Magdeburg,<br />

spielt diese Sehnsucht Gottes eine wesentliche Rolle.<br />

Gertrud übernimmt ein Zitat von Bernhard von Clairvaux und zeigt auf, wie sich dieses Wort<br />

in ihrem eigenen Leben erfüllt:<br />

Wenn wir fliehen - Du folgst uns nach.<br />

Kehren wir Dir den Rücken - Du trittst uns vors Angesicht.<br />

Du flehst voller Demut - aber Du wirst verachtet.<br />

Weder Beschämung noch Verachtung kann Dich dahin bringen, Dich abzuwenden.<br />

Du bist unermüdlich, uns zu jenen Freuden zu ziehen,<br />

die kein Auge gesehen, die kein Ohr gehört hat<br />

und die noch nie in eines Menschen Herz gekommen sind.<br />

(Ges. II/3).<br />

Und bei ihrer eigenen Bekehrung liegt die Initiative ja ganz ausschließlich auf seiten Gottes.<br />

So schreibt sie von ihrer ersten Christusbegegnung: „ER sprach zu mir: ‘Schnell wird<br />

kommen dein Heil!’ -,Ich werde dich retten und befreien, fürchte dich nicht!’. ER ergriff<br />

meine Hand; ER erhob mich und stellte mich neben sich" (II/1). Man ist beinahe erinnert<br />

an den guten Hirten, der sein verlorenes Schäflein aus den Dornen befreit und auf den eigenen<br />

Schultern trägt. Sehnsucht Gottes, der von sich aus dem Menschen nachgeht und ihn<br />

an sich zieht und heimholt. Und welche überschwengliche Freude im Himmel, wo immer<br />

solches Heimholen gelingt!


Unermüdliche Sehnsucht Gottes nach dem Menschen: Gertruds Leben ist geradezu ein<br />

Paradebeispiel für diese Wahrheit.<br />

Auch Mechtild von Magdeburg wird von IHM angerufen; „gegrüßt", wie sie schreibt. Auch<br />

sie wird immer mehr angezogen von IHM. Bei ihr gibt es einige wunderschöne Stellen über<br />

diese Sehnsucht Gottes. Ein paar davon möchte ich Ihnen vortragen:<br />

„Herr, du bist allzeit liebeskrank nach mir,<br />

das hast du wohl bewiesen an dir:<br />

Du hast mich geschrieben<br />

in dein Buch der Gottheit,<br />

du hast mich gemalt in deine lautere Menschheit,<br />

du hast mich in die heilige Wunde<br />

deines Herzens eingegraben,<br />

um mich nimmer zu vergessen,<br />

und in deine Hände,<br />

um deine Gnade mir auszuteilen,<br />

und in deine Füße,<br />

um nimmer von mir loszukommen."<br />

(Buch III/2)<br />

„Dass ich dich überaus liebe, das habe ich von Natur,<br />

weil ich die Liebe selber bin.<br />

Dass ich dich oftmals liebe, hab ich von meiner Sehnsucht,<br />

weil ich ersehne, dass man mich herzlich liebt.<br />

Dass ich dich lange liebe, kommt von meiner Ewigkeit,<br />

weil ich ohne Anfang und ohne Ende bin ".<br />

(Buch I/24)<br />

Wenn einem Menschen diese unermüdliche Sehnsucht Gottes einmal bewusst geworden<br />

ist, so wird dadurch sicher auch seine eigene Sehnsucht nach diesem uns so unendlich liebenden<br />

Gott erwachen; und er wird seinerseits alles tun, um sich von sich aus diesem Gott<br />

zu nähern und Ihm die Antwort der Liebe zu geben. Und in solchem Auf-einander-zu-gehen<br />

von Gott und Mensch kommt es zu immer innigerer Beziehung, und endlich, wenn der<br />

Mensch sich Gott ganz öffnet, IHN ganz in sich einlässt, zu einer tiefen Vereinigung, dem<br />

Wohnen Gottes im Menschen und des Menschen in Gott.<br />

2. Das Innewohnen


Dieses Innewohnen und Ineinanderwohnen ist der innerste Wesenskern aller christlichen<br />

Mystik. Bei allen drei heiligen Frauen von Helfta finden wir gerade dafür viele und schöne<br />

Texte.<br />

Zunächst zwei Texte von Mechtild von Hakeborn:<br />

Und wiederum sagte die Liebe zur Seele: „Gehe hinein in die Freude deines Herrn."<br />

Bei diesen Worten wurde die Seele völlig in Gott hineingerissen, dass es war, als<br />

würde ein Wassertropfen in Wein gegossen – er wird ganz in Wein verwandelt. Und<br />

so wurde diese Glückselige, indem sie ganz in Gott hinüberging, mit ihm ein Geist. In<br />

dieser Einung wurde die Seele in sich selbst zunichte gemacht, aber Gott machte sie<br />

sehr stark und sprach zu ihr: „Alles, was je ein Mensch fassen, empfangen und begreifen<br />

kann, werde ich dir eingießen."<br />

Während an einem Karfreitag die Priester nach gewohntem Brauch das Kreuz begruben,<br />

sprach diese andächtige Jungfrau zum Herrn: „Du mein Geliebter, du Herz<br />

meiner Seele, ach, wäre doch meine Seele aus Elfenbein, damit ich dich würdig in ihr<br />

begraben könnte!" Der Herr antwortete ihr darauf „Ich werde dich in mir begraben.<br />

..... Zu deiner Rechten werde ich das Lob sein und alle deine Werke vollenden, zu<br />

deiner Linken aber werde ich eine goldene Rücklehne rein, die dich stützt in aller<br />

Drangsal; unter dir werde ich der feste Grund sein, der deine Seele trägt und hält. "<br />

(in: „Erhebe dich, meine Seele" - Mystische Texte des Mittelalters. 1988 Philipp Reclam jun.,<br />

Stuttgart. S. 151/116)<br />

Ein anderes Mal nach der heiligen Kommunion sprach der Herr zu ihr. „Ich in dir und<br />

du in mir, in meiner Allmacht, so wie ein Fisch im Wasser. " Sie fragte: „Mein Herr,<br />

Fische werden oft mit dem Netz aus dem Wasser gezogen. Was dann, wenn mir das<br />

zustößt? " Der Herr gab zur Antwort: „Du wirst nicht aus mir herausgerissen werden<br />

können, weil du in meinem göttlichen Herzen ein Nest haben wirst.“<br />

(a.a.0. S. 121).<br />

Wir hatten eben bei Mechtild von Hakeborn das schöne Bild vom Fisch. So wie er in seinem<br />

Element ist im Wasser, so ist die Seele in ihrem Element bei Gott, in Gott. Das gleiche Bild<br />

finden wir wieder bei Mechtild von Magdeburg in einem nach meinem Dafürhalten ganz<br />

besonders schönen Text:<br />

„Der Fisch kann im Wasser nicht ertrinken,


der Vogel in den Lüften nicht versinken,<br />

das Gold ist im Feuer nie vergangen;<br />

denn es wird dort Klarheit<br />

und leuchtenden Glanz empfangen.<br />

Gott hat allen Kreaturen das gegeben,<br />

dass sie ihrer Natur gemäß leben.<br />

Wie könnte ich denn meiner Natur widerstehn?<br />

Ich muss von allen Dingen weg zu Gott hingehn,<br />

der mein Vater ist von Natur,<br />

mein Bruder nach seiner Menschheit,<br />

mein Bräutigam von Minnen<br />

und ich seine Braut ohne Beginnen."<br />

(Buch I,44/9-21).<br />

Noch zwei kurze Stellen aus dem Buch der heiligen Gertrud: Das achte Kapitel des II. Buches<br />

überschreibt sie: »Wie ihre Seele noch inniglicher in Gott hineingezogen wurde«.<br />

Und sie berichtet:<br />

... sieh, da erschien die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes, unseres Erlösers,<br />

nicht wegen der Werke der Gerechtigkeit, wodurch ich Unwürdige dies hätte verdienen<br />

können, sondern nach ihrer unaussprechlichen Erbarmung, indem sie durch<br />

Wiedergeburt und Annahme an Kindes Statt mich befähigte, zu jener verehrungswürdigen,<br />

himmlischen hehren und unschätzbaren Vereinigung mit dir zu gelangen.<br />

(Gesandter der göttlichen Liebe, Buch II/8, S. 91).<br />

So wie der Herr am Feste der Reinigung meine Seele wie Wachs am Feuer geprägt<br />

hatte, so nahm er sie nun gleichsam wie flüssiges Wachs durch seine wunderwirkende<br />

Kraft in die göttliche Schatzkammer auf. .Und meine Seele blieb dort, trunken<br />

von unaussprechlicher, unfassbarer Liebe gehalten.<br />

(Reclam a.a.0, S. 148).<br />

In den Texten aller drei Frauen wird erkennbar: Dies Innewohnen – Ineinander-wohnen ist<br />

Gottes eigentliches Vorhaben mit uns. Dafür sind wir erschaffen. Und es sollte auch unser<br />

tiefstes Anliegen und intensivstes Streben sein, uns diesem Ineinandersein mit Gott immer<br />

mehr anzunähern, bzw. diese große Gnade von IHM zu erbitten. Sonst laufen wir Gefahr,<br />

am Eigentlichen vorbei zu leben.


3. Die Sendung<br />

Nun ergibt sich gerade aus solchem Innewohnen eine uns zunächst vielleicht überraschende,<br />

aber eigentlich ganz logische Konsequenz: Die Sendung, das Zeugnisgeben. Ich las<br />

kürzlich den Satz: „Sendung heißt Innewohnen“. Und es ist wirklich so. Ich kann als Gesandter<br />

den Sendenden nur dann glaubwürdig und authentisch vertreten, wenn ich ihn sehr<br />

gut kenne, mit ihm tief verbunden bin. Andernfalls besteht die Gefahr, dass ich nicht ihn,<br />

sondern mich selbst verkündige. Und wenn uns solches Innewohnen geschenkt ist, dann ist<br />

das auch immer hohe Verpflichtung und Verantwortung. Gott verlangt und erwartet unser<br />

Zeugnis.<br />

An den drei Helftaer Frauen wird uns das sehr eindrucksvoll deutlich gemacht:<br />

Mechtild von Hakeborn bekommt trotz eigenen Zögerns den ausdrücklichen Auftrag, alles,<br />

was der Herr ihr sagt, niederzuschreiben, und zwar mit der Begründung, dass diese Botschaft<br />

seiner Güte und Erbarmung nicht nur ihr, sondern allen Menschen gelte. Einmal wurde<br />

ihr an Weihnachten das Jesuskind in die Hände gelegt mit dem Auftrag: „Gib es weiter<br />

an jeden, der dir begegnet“. Ich denke, dieser Auftrag gilt jedem von uns.<br />

Auch bei Gertrud findet sich der ausdrückliche Befehl zur Weitergabe der Botschaft:<br />

„Weil ich aus Scheu die Abfassung dieser Schrift schon bis zum Feste Kreuzerhöhung<br />

verschoben hatte, so führte der Herr, während ich unter der Messe mich mit<br />

andern Übungen zu beschäftigen willens war, meinen Geist durch folgende Worte<br />

zurück. »Sei versichert, du wirst niemals aus dem Kerker des Fleisches herausgehen,<br />

bis du den Heller, den du noch zurückhältst, bezahlt hast (Mt 5,26).«.... Der Herr<br />

fügte noch hinzu: »Ich will ohne Widerspruch ein zuverlässiges Zeugnis meiner göttlichen<br />

Liebe in deinen Schriften haben für diese letzten Zeiten, in denen ich damit<br />

vielen wohlzutun beschlossen habe.«"<br />

(„Gesandter", 10. Kap., übersetzt von Johannes Weissbrodt)<br />

Das ist meines Wissens die einzige Stelle im Buch der heiligen Gertrud, an der Christus<br />

einmal sehr streng und energisch wird. Das zeigt umso deutlicher, wie ernst ER diesen Auftrag<br />

nimmt. So finden wir ihn auch bei Mechtild von Magdeburg wieder, und zwar gleich zu<br />

Beginn ihres Buches:<br />

„Dieses Buch soll man mit Freuden entgegennehmen, denn Gott selbst spricht die<br />

Worte:<br />

»Dieses Buch sende ich nun als Boten allen geistlichen Leuten, beiden, den guten<br />

wie den schlechten, denn wenn die Säulen fallen, dann kann das Gebäude nicht ü-


erdauern. Es kündet allein von mir und offenbart in rühmender Weise mein Geheimnis.<br />

Alle, die dieses Buch verstehen wollen, müssen es neunmal lesen. « (...)<br />

„Eia, Herr wie soll dieses Buch, das nur Deiner Verherrlichung dienen soll, heißen?"<br />

«Es soll heißen:<br />

Ein fließendes Licht meiner Gottheit<br />

in alle Herzen, die da leben ohne Falschheit»“<br />

(Buch I)<br />

Auch sie darf das empfangene Licht nicht in sich verschließen, sondern soll es weiterfließen<br />

lassen zu möglichst vielen Menschen hin.<br />

Ich habe keinen Zweifel daran, dass dieser Sendungsauftrag auch heute noch gilt, und dass<br />

er sogar als die eigentliche Absicht Gottes hinter dieser zunächst absolut unmöglich scheinenden<br />

Wiederbelebung des Klosters Helfta steht. Aber ganz sicher gilt er nicht nur uns, die<br />

wir heute an diesem Ort leben dürfen, sondern jedem Christen, wo immer er auch lebt; jedem<br />

von uns.<br />

4. Lob und Dank<br />

Wenigstens kurz möchte ich auf einen Punkt eingehen, der bei allen drei Helftaerinnen sehr<br />

betont wird: Dass wir Gott den gebührenden Dank und das IHM geschuldete Lob nicht vorenthalten<br />

sollten. Und ich meine, gerade wir Mitglieder der modernen Konsumgesellschaft<br />

sollten uns das besonders hinter die Ohren schreiben. Neigen wir nicht alle dazu, alles, alles,<br />

was der heutige Lebenskomfort uns an Annehmlichkeiten bietet, als ganz selbstverständlich<br />

hinzunehmen und höchstens zu kritisieren und zu jammern, wenn's einmal nicht so<br />

ganz klappt? Wie oft danken wir Gott für die Schönheit seiner Natur, für unser reichliches<br />

und gutes Essen, für unser bequemes Auto, unsere Gesundheit oder doch die sofortige ärztliche<br />

Hilfe? Ich fürchte, der Herrgott hätte nicht so unrecht, wenn ER uns, wie einst die Israeliten,<br />

ein „undankbares Geschlecht" schelten würde!<br />

Bei den drei heiligen Frauen von Helfta nehmen Lob und Dank einen sehr breiten Raum ein.<br />

Besonders bei Mechtild von Hakeborn ist es gleichsam der rote Faden, der sich als Hauptthematik<br />

durch ihr ganzes Buch zieht. Als Beispiel nur eine kurze Stelle: Auf die Aufforderung<br />

Christi, einen Wunsch, bzw. Befehl zu äußern, antwortet sie:<br />

„Mein Herr, das Wort eines Befehles steht mir nicht zu; dennoch: hätte ich irgendwelche<br />

Macht, dann würde ich alle Kreatur aufrufen und antreiben, dass sie dich mit aller<br />

Kraft, aller Kunstfertigkeit und Schönheit und mit allem Wissen und Können lobt!"


(Reclam, a.a.0. S. 112).<br />

In Gertruds zweitem Buch, den „Geistlichen Übungen", nimmt das Kapitel über Lob und<br />

Dank mit Abstand den größten Raum ein, und ihr lobpreisender Dank fließt in ganzen Kaskaden<br />

oft über Seiten hin.<br />

Sprachlich besonders schön sind die Lob- und Dankpassagen bei Mechtild von Magdeburg:<br />

Wir loben dich, Herr, dass du uns gesucht hast in deiner Demut.<br />

Wir loben dich, Herr, dass du uns behalten hast in deiner Barmherzigkeit.<br />

Wir loben dich, Herr, dass du uns geehrt hast mit deinem Leiden und deiner<br />

Schmach.<br />

Wir loben dich, Herr, dass du uns erquickt hast in deiner Güte.<br />

Wir loben dich, Herr, dass du uns geordnet hast in deiner Weisheit.<br />

Wir loben dich, Herr, dass du uns beschirmt hast mit deiner Macht.<br />

Wir loben dich, Herr, dass du uns geheiligt hast durch deinen Adel.<br />

Wir loben dich, Herr, dass du uns erleuchtet hast in deiner Vertraulichkeit.<br />

Wir loben dich, Herr, dass du uns erhöht hast in deiner Liebe.<br />

(Buch I,6).<br />

„Du bist das Licht über allen Lichtern,<br />

Du bist die Blume über allen Kronen,<br />

Du bist die Salbe für alle Schmerzen.<br />

Du bist die unwandelbare Treue ohne Trug,<br />

Du bist der Wirt irr allen Herbergen. "<br />

(Buch II,10).<br />

Ich denke, von einer solchen Haltung des Lobens und Dankens können wir uns alle eine<br />

Scheibe abschneiden!<br />

5. Vertrauen<br />

Ich komme zu einem allerletzten Punkt, der mir gerade für uns Christen von heute besonders<br />

wichtig erscheint. Das ist das Vertrauen. Wie steht's bei uns damit? Ist unser Vertrauen


nicht doch ziemlich angenagt von Zweifeln, Kleinglauben, Kleinmut? Da kann uns das Vorbild<br />

der drei Frauen nur gut tun.<br />

Den breitesten Raum nehmen die Texte über das Vertrauen bei Mechtild von Hakeborn<br />

ein, und ich möchte mich hauptsächlich an sie halten. Diese Texte beziehen sich zum Teil<br />

auf unser hiesiges, ganz alltägliches Leben mit seinen kleinen und großen Sorgen und Nöten.<br />

Sie bittet zuversichtlich um Hilfe in Krankheit, Dürre, Bedrohung durch feindliche Truppen<br />

und ähnliches. Sehr häufig sind Stellen, in denen Christus oder Gott Vater ihr zusichern,<br />

dass jeder, auch noch der größte Sünder, wenn er bereut, auf ewiges Heil hoffen darf.<br />

Und immer wieder sagt Gott Vater ihr, dass es IHM Freude macht und erwünscht ist, dass<br />

wir vertrauensvoll Großes von IHM erbitten und erhoffen, und ER versichert auch, dass ER<br />

dem Vertrauen nicht widerstehen kann: „Was ein Mensch vertrauend von mir erbittet,<br />

das muss ich ihm gewähren." Diesen Satz sollten wir uns merken. Besonders breiten<br />

Rahmen nehmen bei Mechtild von Hakeborn die Stellen ein, in denen Gott ihr und jedem<br />

Menschen, der seine Fehler bedauert und bereut, eine wahrhaft unfassbar große, ja unbegrenzte<br />

Vergebungsbereitschaft zusichert und mit einer Güte und Erbarmung nachgeht, die<br />

mich immer wieder von neuem erstaunt und fast erschüttert. Hier einige Beispiele dafür:<br />

„Ich sage dir, kein Sünder ist so arg, dass, wenn er wahrhaft bereut, ich ihm nicht zur<br />

selben Stunde all seine Schuld vergebe und mein Herz mit soviel Huld und Milde ü-<br />

ber ihn neige, als hätte er nie gefehlt ".<br />

(Lib II, 22; B45 - zitiert nach W. Repges, 2001, Benno Verlag Leipzig, S. 94)<br />

Sie trugen auf den Schultern die Last ihrer Sünden und luden sie vor den Füßen des<br />

Herrn ab ... Und der Herr sprach: „ Was wollen wir damit tun? Nun denn, so möge alles<br />

in der Liebe verbrannt werden ".<br />

(Lib III, 37; B 60 - a.a.0.)<br />

„Wenn also Gott mit den Augen der Erbarmung eine Seele anblickt und sich über sie<br />

neigt, um ihr zu vergeben, dann werden alle ihre Vergehen ewigem Vergessen überantwortet<br />

".<br />

(Lib I, 1; B 37 - a.a.0.)<br />

„Es ist. gut für den Menschen, sich oft ins Gedächtnis zu rufen, mit welch grundloser<br />

Liebe ich ihn erwählt habe und wie liebevoll seiner gedenkend ich alles, auch das<br />

Schlimme, ihm in ein Gutes wende."<br />

(Lib IV, 23; B 85 f. - a.a.0.)


"Die Sünden derer, die sie aus Liebe bereuen, werden zu goldenen Kleinodien. "<br />

(Lib I,10 - a.a.O., zitiert nach Bromberg)<br />

Eigentlich unglaublich, und viel zu wenig in unserem Bewusstsein, diese wahrhaft grenzenlose<br />

Weite und Unerschöpflichkeit der Größe Gottes, seiner Liebe zu uns, seiner Sehnsucht<br />

nach uns, besonders seiner Sehnsucht nach unserem Vertrauen, die ja auch im Evangelium<br />

immer wieder aufleuchtet und die wir immer wieder zu wenig ernst nehmen.<br />

Eine Zeitgenossin unserer drei heiligen Frauen, die niederländische Mystikerin Hadewich,<br />

sagt einmal: „Mit unserem Vertrauen berühren wir Gott an seiner schwachen Stelle. Er<br />

kann ihm nicht widerstehen". Warum nützen wir das so wenig aus?<br />

Ein allerletzter Text der heiligen Gertrud soll die große Bedeutung des Vertrauens noch<br />

einmal aufzeigen:<br />

Der Herr blickte sie voller Mitleid und Liebe an ...; dann schickte er ihr seine Demut<br />

entgegen ..., und er bekleidete sie damit wie mit einer violetten Tunika; er schickte ihr<br />

seine Hoffnung entgegen ..., und so wurde sie mit hellem Grün geschmückt; er<br />

schickte ihr seine Liebe entgegen ..., mit der er sich um die Seele müht, und so wurde<br />

sie in einen goldenen Mantel gehüllt; er schickte ihr seine Freude entgegen, die er<br />

an einer Seele hat, und damit wurde ihr eine goldene Krone aufgesetzt; er schickte<br />

ihr zuletzt sein Vertrauen entgegen, auf das gestützt er sich immer wieder der<br />

schwachen Menschheit zuneigt, und damit wurden ihr gleichsam Sandalen angezogen.<br />

So konnte sie würdig vor ihn treten."<br />

(Gesandter Buch III, 18; L 95 f, zitiert nach W- Repges, Benno-Verlag Leipzig 2001)<br />

Ein schönes Bild für die Wirkkraft des Vertrauens. Alle anderen Tugenden schmücken sie,<br />

aber erst das Vertrauen macht sie fähig, hinzugehen zu Gott, trägt sie hin zu IHM, macht sie<br />

fähig, sich IHM zu nähern und schließlich einzugehen in IHN.<br />

Ich halte diese Botschaft von der Bedeutung des Vertrauens fast für die wichtigste Botschaft<br />

der Frauen von Helfta an uns heute. Wie oft mangelt uns dieses Vertrauen sowohl<br />

hinsichtlich unseres ganz persönlichen Lebens, als auch unserer ganzen heutigen Welt,<br />

insbesondere im Hinblick auf unsere Kirche. Wieviel Resignation, wieviel Mut- und Hoffnungslosigkeit<br />

bei vielen Christen! Damit schaufeln wir uns selbst das Grab. Größeren<br />

Schaden können wir uns und der Kirche nicht zufügen.


Neulich war Bardo Weiß bei uns, der vielleicht manchen von Ihnen als Verfasser zahlreicher<br />

Schriften über die deutschen Mystikerinnen bekannt ist. Auch er sagte zu der Gruppe,<br />

mit der er gekommen war: „Wir denken oft: Es geht mit unserer Kirche nur noch den<br />

Bach hinunter, Bach hinunter, Bach hinunter... "<br />

Hier in Helfta haben wir es neu erfahren: Das Vertrauen ist unser stärkstes Kapital. Wir<br />

brauchen nur in tiefem Vertrauen Gottes Hand ergreifen und werden es erleben: ER zieht<br />

uns und unsere ganze Kirche mit starkem Arm nach oben.<br />

Dass auch Sie eine große Portion dieses Vertrauens von diesem Abend mit nach Hause<br />

nehmen, das wünsche ich Ihnen von Herzen!

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