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An den Hochschulen wird so viel reformiert wie nie zuvor

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CHANCEN<br />

Der große Feldversuch<br />

<strong>An</strong> <strong>den</strong> <strong>Hochschulen</strong> <strong>wird</strong> <strong>so</strong> <strong>viel</strong> <strong>reformiert</strong> <strong>wie</strong> <strong>nie</strong> <strong>zuvor</strong>. Das Ergebnis:<br />

Die deutsche Universität gibt es nicht mehr VON MANUEL J. HARTUNG UND JAN-MARTIN WIARDA<br />

Nr. 4 17. Januar 2008 DIE ZEIT 61<br />

Die deutschen <strong>Hochschulen</strong> sind<br />

dabei, sich neu zu erfin<strong>den</strong>.<br />

Was waren die wichtigsten<br />

Veränderungen der vergangenen<br />

Jahre, <strong>wie</strong> <strong>wird</strong> die Universität der<br />

Zukunft aussehen? Und stimmt<br />

überhaupt die Richtung der<br />

Reformen? Darauf suchen<br />

unsere Autoren auf <strong>den</strong> folgen<strong>den</strong><br />

Seiten <strong>An</strong>tworten<br />

Manchmal fragt sich Da<strong>nie</strong>l Adamczak,<br />

<strong>wie</strong> es wohl früher gewesen sein muss,<br />

damals, als die Stu<strong>den</strong>ten noch Zeit<br />

hatten. »Kein voll gestopfter Stun<strong>den</strong>plan, kein<br />

Klausurenmarathon, keine Studiengebühren«,<br />

sagt er mit verklärtem Blick. Was für eine Vorstellung!<br />

Seine ältere Schwester hat die Zeit noch<br />

erlebt, damals, vor acht Jahren, vor einer Reform-<br />

Ewigkeit. Und heute? »Das ist kein Studium<br />

mehr, das ist eine Ausbildung.« Er sagt es nicht<br />

<strong>wie</strong> einen Vorwurf, eher <strong>wie</strong> eine Feststellung.<br />

Adamczak ist 22 und macht seinen Bachelor in<br />

Germanistik an der Universität Duisburg-Essen,<br />

einer der größten im Land mit mehr als 30 000<br />

Stu<strong>den</strong>ten. Und <strong>wie</strong> Adamczak da sitzt, in der<br />

überfüllten Cafeteria mitten auf dem Beton-<br />

Campus in Essen, huscht ihm ein Lächeln übers<br />

Gesicht. »Sicher, es könnte weniger stressig<br />

sein«, sagt er, »aber ein bisschen Druck kann ich<br />

gebrauchen.« Plötzlich friert sein Lächeln ein.<br />

»Wobei ich manchmal das Gefühl habe, dass es<br />

zu <strong>viel</strong> ist, dass ich kaputtgehe.«<br />

Es ist paradox: Einerseits schwärmt Adamczak<br />

von <strong>den</strong> alten Zeiten, die er nicht erlebt<br />

hat, und leidet unter dem permanenten Druck;<br />

andererseits fühlt er sich an der heutigen Uni<br />

wohl. Dieses »Sowohl-als-auch«, dieses »Halbehalbe«,<br />

<strong>wie</strong> Adamczak sagt, ist typisch für die<br />

zwei Millionen Stu<strong>den</strong>ten in Deutschland. Sie<br />

alle sind Teil eines gigantischen Feldversuchs:<br />

<strong>den</strong>n die Universitäten verändern sich in <strong>so</strong> rascher<br />

Folge <strong>wie</strong> seit Jahrzehnten nicht. Seit <strong>den</strong><br />

Reformen Wilhelm von Humboldts im frühen 19.<br />

Jahrhundert, <strong>so</strong> weit gehen manche Beobachter,<br />

hat es <strong>so</strong>lche Umwälzungen nicht gegeben; nicht<br />

nach dem Zweiten Weltkrieg, nicht nach dem<br />

Sputnik-Schock, nicht nach 1968, nicht nach der<br />

deutschen Einheit. »Jetzt stehen die Reformen<br />

auf der Tage<strong>so</strong>rdnung, die wir jahrelang nicht<br />

angegangen sind«, sagt der Germanist Wolfgang<br />

Frühwald, früherer Präsi<strong>den</strong>t der Deutschen<br />

Forschungsgemeinschaft (siehe Interview auf<br />

S. 63).<br />

Wenn ein Stu<strong>den</strong>t <strong>wie</strong> Adamczak die Broschüre<br />

einer deutschen Universität aus dem Jahr 1998 in<br />

die Hand bekäme, würde sie ihm von einer völlig<br />

anderen Institution erzählen als jener, die er heute<br />

kennt: Damals gab es Magister und Diplom, heute<br />

gibt es Bachelor und Master. Damals zahlten<br />

die Stu<strong>den</strong>ten <strong>nie</strong>drige Verwaltungsbeiträge,<br />

heute fallen zusätzlich bis zu 500 Euro Studiengebühren<br />

im Semester all. Damals waren die-<br />

<strong>Hochschulen</strong> <strong>wie</strong> nachgeordnete Behör<strong>den</strong>, <strong>den</strong><br />

22, macht seinen Bachelor in<br />

Germanistik an der Universität Duisburg-Essen


Wissenschaftsministerien bis hin zur Bestellung<br />

von Tafelkreide Rechenschaft schuldig; heute<br />

sind <strong>viel</strong>e selbstständig, etwa als Stiftungen mit<br />

einem starken Präsi<strong>den</strong>ten an der Spitze. Damals<br />

war es, zumindest der herrschen<strong>den</strong> Meinung<br />

nach, egal, an welcher Hochschule sich die Erstsemester<br />

einschrieben; heute differenziert sich<br />

die Hochschulwelt in Elite-Unis und <strong>so</strong>lche ohne<br />

Prädikat, in Fachhochschulen, die sich Universities<br />

of Applied Sciences nennen, in Privat-Unis<br />

und Unternehmenshochschulen. (Eine Übersicht<br />

über Reformbaustellen auf S. 62.)<br />

Während die Befürworter der Reformen sie<br />

für unabdingbar halten, damit Deutschland<br />

auf dem weltweiten Bildungsmarkt mithalten<br />

kann, verurteilen Kritiker die Veränderungen als<br />

wirtschaftsfreundlich, ja neoliberal. Einig sind<br />

sich beide Seiten nur in einem: Die Reformen<br />

markieren das Ende der deutschen Universität.<br />

Denn die deutsche Universität gibt es tatsächlich<br />

nicht mehr. Oder, <strong>wie</strong> der Philo<strong>so</strong>phieprofes<strong>so</strong>r<br />

Walter Ch. Zimmerli, neuer Präsi<strong>den</strong>t der TU<br />

Cottbus, sagt: Wer von ihr rede, müsse das künftig<br />

im Plural tun. » Wir alle lei<strong>den</strong> am Erbe des<br />

Platonismus, die Vielheit auf die Einheit reduzieren<br />

zu wollen«, sagt Zimmerli. In einer Zeit,<br />

in der nicht mehr <strong>wie</strong> in <strong>den</strong> sechziger Jahren<br />

acht Prozent eines Altersjahrgangs studieren,<br />

<strong>so</strong>ndern fast vierzig, muss es auch <strong>viel</strong>e Typen<br />

von Universitäten geben.<br />

Heute kann eine deutsche Universität darum<br />

<strong>so</strong> aussehen <strong>wie</strong> die von Da<strong>nie</strong>l Adamczak: eine<br />

Uni, die eher Schule ist als Hochschule, mit<br />

fixem Stun<strong>den</strong>plan und ständig überprüftem<br />

Wissen. <strong>An</strong> der nicht das Ausmaß der Selbstfindung<br />

<strong>den</strong> Takt vorgibt, <strong>so</strong>ndern der Blick auf die<br />

Gebührenrechnung. Sie kann aber auch <strong>so</strong> sein<br />

<strong>wie</strong> die von Sina-Victoria Barysch. Barysch ist<br />

gerade 25 Jahre alt gewor<strong>den</strong>, sie sitzt in einem<br />

Seminarraum am Göttinger Max-Planck-lnstitut<br />

für Biophysikalische Chemie, vom Gang gehen<br />

Labore ab, und während sie sich über die langen<br />

blon<strong>den</strong> Haare streicht, sagt sie Sätze <strong>wie</strong>:<br />

»Elite? Warum <strong>so</strong>llte ich mich nicht wohl dabei<br />

fühlen?« Barysch ist gewissermaßen die Elite<br />

der Elite, sie belegt <strong>den</strong> Integrierten Master- und<br />

Promotionsstudiengang Molekularbiologie und<br />

erforscht Transportwege in Rattenzellen. Der<br />

Studiengang ist Teil einer Graduiertenschule,<br />

<strong>wird</strong> getragen von der Uni Göttingen, die kürzlich<br />

im Elitewettbewerb zu <strong>den</strong> Siegern zählte,<br />

drei Max-Planck-lnstituten, <strong>den</strong> elitärsten Forschungseinrichtungen,<br />

die diese Republik zu<br />

bieten hat, und dem Primatenzentrum. Barysch<br />

übersprang wegen exzellenter Leistungen die<br />

Masterarbeit und fing gleich damit an, an der<br />

Dissertation zu arbeiten.<br />

Als der Studiengang im Jahr 2000 erfun<strong>den</strong><br />

wurde, zeigte er als eine Art Prototyp, <strong>wie</strong> deutsche<br />

Universitäten es in Zukunft an die internationale<br />

Spitze schaffen <strong>so</strong>llen: Die Macher legten<br />

Englisch als Unterrichtssprache fest und rekrutierten<br />

Stu<strong>den</strong>ten aus der ganzen Welt. <strong>An</strong> 50 Orten<br />

weltweit fan<strong>den</strong> die Auswahlverfahren statt,<br />

etwa in Indien und China; erst gab es Tests vor<br />

Ort, etwa in Goethe-Instituten, die Besten wur<strong>den</strong><br />

nach Göttingen eingela<strong>den</strong>; wer zu weit weg<br />

wohnte, wurde per Videokonferenz von bis zu<br />

sechs Prüfern befragt. Zwei Drittel der Stu<strong>den</strong>ten<br />

stammen aus dem Ausland, <strong>viel</strong>e aus Osteuropa.<br />

Die Betreuung ist exzellent. »Die Kurse sind sehr<br />

klein, ich kann jederzeit mit meinen Profes<strong>so</strong>ren<br />

re<strong>den</strong>«, sagt Barysch. Auch in Duisburg-Essen<br />

gibt es mittlerweile vier Graduiertenschulen, die<br />

allerdings nicht aus dem Exzellenzwettbewerb<br />

hervorgegangen sind, <strong>so</strong>ndern von der DFG gefördert<br />

wer<strong>den</strong>, dazu ein vom Land getragenes<br />

Forschungskolleg. Sie alle gehören zu dem Versuch,<br />

Exzellenz in einem Land zu etablieren, das<br />

von seinen Massenuniversitäten geprägt ist. Für<br />

Lothar Zechlin, <strong>den</strong> Rektor von Duisburg-Essen,<br />

25, promoviert in<br />

Molekularbiologie an der Universität Göttingen


gehört genau das zur komplizierten Wirklichkeit<br />

der deutschen <strong>Hochschulen</strong>. „Masse und Elite,<br />

das ist kein Gegensatz«, sagt er. »Wir brauchen<br />

die akademische Ausbildung für breite Bevölkerungskreise<br />

und, darauf aufbauend, Institutionen,<br />

die herausragende Talente verstärkt fördern und<br />

international ganz vorn mitspielen.«<br />

Es ist womöglich der beste Beleg für <strong>den</strong><br />

krassen Wandel, <strong>den</strong> Deutschlands Universitäten<br />

durchlaufen: Solche Sätze von dem Rektor einer<br />

Hochschule zu hören, die erst kürzlich unter<br />

Schmerzen aus <strong>den</strong> Unis in Duisburg und Essen<br />

entstand; die wegen weniger Ab<strong>so</strong>lventen mit<br />

immer weniger Geld auskommen muss und bei<br />

der Exzellenzinitiative leer ausging. Der Glaube<br />

an Wettbewerb und Eliteförderung ist offenbar<br />

selbst jenen ins Blut gegangen, die gemeinhin<br />

als die Verlierer des Neuanfangs gelten, selbst<br />

wenn sie, <strong>wie</strong> Zechlin, <strong>den</strong> Elitewettbewerb<br />

kritisieren.<br />

Die Gewinner sehen das verständlicherweise<br />

anders - und schwärmen von <strong>den</strong> Bedingungen.<br />

In Baryschs Göttinger Studiengang führen sie<br />

schon die <strong>An</strong>fänger an die Spitzenforschung<br />

heran. Das mag zunächst <strong>wie</strong> eine Selbstverständlichkeit<br />

klingen, ist aber in Deutschland<br />

immer noch die Ausnahme: In Göttingen wurde<br />

die strikte Trennung zwischen außeruniversitärer<br />

und universitärer Forschung überwun<strong>den</strong>, eine<br />

Forderung, die Experten schon seit Langem erheben.<br />

Dichotom gesprochen, gab es in Deutschland<br />

lange Jahre chronisch unterfinanzierte Unis,<br />

die massenweise Stu<strong>den</strong>ten ausbil<strong>den</strong> <strong>so</strong>llten,<br />

während oft nur wenige Meter entfernt bestens<br />

ausgestattete Forschungsinstitute ein Heer von<br />

Eliteforschern beschäftigten. Beide Seiten beäugten<br />

sich streng. »Unser Studiengang war auch<br />

ein Experimentierkasten, um die Skepsis der<br />

Kollegen von außeruniversitären Einrichtungen<br />

zu überwin<strong>den</strong>«, sagt Steffen Burkhardt, der<br />

Koordinator des Studiengangs, »es gibt diese<br />

Unterscheidung faktisch nicht mehr.« Was vor<br />

einigen Jahren noch ab<strong>so</strong>lute Avantgarde war,<br />

wurde in der Exzellenzinitiative ein Hebel zum<br />

Titel »Elite-Uni« - in Aachen und Karlsruhe<br />

führte ein <strong>so</strong>lches Konzept der Kooperation zum<br />

Erfolg.<br />

Sina-Victoria Barysch und Da<strong>nie</strong>l Adamczak,<br />

Göttingen und Duisburg-Essen, illustrieren, mit<br />

welch großen Fliehkräften sich die einzelnen<br />

Universitäten von dem entfernen, was einmal der<br />

Kern der deutschen Universität gewesen ist - oder<br />

in der Vorstellung breiter Teile der Öffentlichkeit<br />

gewesen sein <strong>so</strong>ll. Als universitas magistrorum<br />

et scholarium war sie gestartet, als Gemeinschaft<br />

der Lehren<strong>den</strong> und Lernen<strong>den</strong>; zum Beginn des<br />

19. Jahrhunderts bildete sich aus, was hundert<br />

Jahre später als Humboldtsches Bildungsideal<br />

sprichwörtlich wer<strong>den</strong> <strong>so</strong>llte: In Einsamkeit <strong>so</strong>llten<br />

Wissenschaftler forschen, in Freiheit <strong>so</strong>llten<br />

sie lehren und die Stu<strong>den</strong>ten lernen. Daraus verfestigte<br />

sich die <strong>An</strong>sicht, dass die Ausbildung an<br />

<strong>den</strong> <strong>Hochschulen</strong> überall gleich gut und wertvoll<br />

sei - was sicher <strong>nie</strong> wirklich der Fall war.<br />

Die Fixierung auf ein hehres Ideal ging dabei<br />

über <strong>viel</strong>e Jahre an <strong>den</strong> Interessen der Stu<strong>den</strong>ten<br />

vorbei. In dem Maße, in dem die <strong>Hochschulen</strong><br />

expandierten und neue Bevölkerungskreise aufnahmen,<br />

änderte sich auch die Zusammensetzung<br />

die Stu<strong>den</strong>tenschaft; <strong>viel</strong>e Lehrende ignorierten<br />

das. Dabei sind die Ab<strong>so</strong>lventen von heute kaum<br />

vergleichbar mit <strong>den</strong> Akademikern der frühen<br />

Sechziger: Heute studiert nicht nur, wer Profes<strong>so</strong>r<br />

oder <strong>An</strong>walt, Lehrer oder Arzt wer<strong>den</strong> will,<br />

<strong>so</strong>ndern auch die PR-Assistentin oder der mittelständische<br />

Immobilienmakler. Doch die neuen<br />

Massen-Unis waren ohne Konzept, das Studium<br />

blieb, trotz aller vermeintlichen Reformen, im<br />

Grunde gleich: abgestimmt auf die Bedürfnisse<br />

jener acht Prozent Bildung<strong>so</strong>berschicht, die vor<br />

vierzig Jahren studierten, untauglich für die<br />

Ausbildung von Massen, ihre Qualifizierung für<br />

<strong>den</strong> Arbeitsmarkt.<br />

Der akademische Stillstand verband sich<br />

mit der hartnäckigen Weigerung der Politik,<br />

die <strong>Hochschulen</strong> angesichts des <strong>An</strong>sturms von<br />

Erstsemestern mit <strong>den</strong> nötigen Geldern auszustatten.<br />

Die Folgen: Viele Stu<strong>den</strong>ten brachen ab,<br />

drehten eine Semesterrunde nach der nächsten,<br />

waren beim Abschluss im Schnitt fast 30 Jahre<br />

alt. Doch diese Bankrotterklärung wurde auch<br />

zum Gründungsdokument des Neuanfangs; der<br />

Elitewettbewerb und die Einführung des Bachelors<br />

sind zwei Seiten einer Medaille. jetzt endlich<br />

wollen die Universitäten bei<strong>den</strong> Gruppen gerecht<br />

wer<strong>den</strong>: <strong>den</strong> paar Prozent jedes Altersjahrgangs,<br />

die heute <strong>so</strong> forschen können und wollen <strong>wie</strong><br />

früher, und der großen Masse, die früher keine


Chance auf ein Studium hatte, die heute aber eine<br />

fundierte akademische Ausbildung braucht, um<br />

einen guten Job zu fin<strong>den</strong>.<br />

Es wuselt auf der Reformbaustelle Universität,<br />

es kracht und knarzt, doch die Verunsicherung ist<br />

gewaltig, <strong>viel</strong>en fehlt die große Vision: Was ist<br />

das Ziel? Geben sich die Universitäten selbst auf:<br />

wenn sie für eine große Mehrheit der Stu<strong>den</strong>ten<br />

reine Ausbildungseinrichtungen sind und nicht<br />

mehr Ort der großen gesellschaftlichen Debatten<br />

von einst? Wie <strong>wird</strong>, <strong>wie</strong> <strong>so</strong>ll die deutsche<br />

Universität, im Singular <strong>wie</strong> im Plural aussehen<br />

in zehn Jahren, in 15, in 20? Hat der Germanist<br />

Frühwald recht, wenn er sagt, dass »die Mutter<br />

aller Reformen« noch bevorsteht? Vielleicht<br />

kann es die eine große Vision auch gar nicht<br />

geben, <strong>viel</strong>leicht ist gerade ihr Fehlen Ausdruck<br />

der Entwicklung hin zur Vielfalt, die die <strong>Hochschulen</strong><br />

hinter sich haben. Ideen indes, <strong>wie</strong> die<br />

Universität der Zukunft aussehen <strong>so</strong>llte, gibt es<br />

<strong>viel</strong>e. Wolfgang Frühwald glaubt, die Einführung<br />

des Bachelors werde zwangsläufig zur Trennung<br />

in Ausbildungs- und Forschungseinrichtungen<br />

führen (siehe Interview). Der Hamburger<br />

Wissenschaftssenator Jörg Dräger prophezeit<br />

Universitäten, die <strong>den</strong> »verheißungsvollen, aber<br />

nicht einzulösen<strong>den</strong> <strong>An</strong>spruch, alles gleich gut<br />

zu machen«, durch eine klare Fokussierung auf<br />

ihre Exzellenzbereiche ersetzen. Uwe Wesel,<br />

einer der letzten großen Linken der deutschen<br />

Universität, wünscht sich eine Universität, in der<br />

Lehre und Forschung im Gleichgewicht stehen,<br />

»ohne Projekte, Projektverbindungen, Sonderforschungsbereiche<br />

oder Exzellenzcluster, wofür zu<br />

<strong>viel</strong> Zeit bei <strong>An</strong>trägen aufgewendet wer<strong>den</strong> muss<br />

und hinterher noch mehr Arbeit erforderlich ist«<br />

(sechs Uni-Visionen lesen Sie auf S. 66).<br />

Ganz gleich, <strong>wie</strong> die Universität der Zukunft<br />

aussehen <strong>wird</strong>, ihr Wandel ist nicht mehr aufzuhalten.<br />

Abends, bevor Da<strong>nie</strong>l Adamczak <strong>den</strong><br />

Zug zurück nach Oberhausen nimmt, diskutieren<br />

er und seine Kommilitonen manchmal<br />

noch über Adorno, Nietzsche und die Dialektik,<br />

und irgendwann klagt dann einer von ihnen<br />

darüber, dass sie <strong>viel</strong> mehr pauken müssen als<br />

die verbliebenen Magisterstu<strong>den</strong>ten, die letzten<br />

Zeugen einer untergehen<strong>den</strong> Hochschulwelt. Die<br />

Bachelorstu<strong>den</strong>ten dagegen müssen alles unter<br />

einen Hut bringen: Uni, Nebenjob, Privatleben.<br />

Und in der Regelstudienzeit fertig wer<strong>den</strong>. Es ist<br />

nicht nur der Druck von außen, der sie treibt: Sie<br />

sind aufgewachsen in einer Zeit wirtschaftlichen<br />

Niedergangs, geprägt von der <strong>An</strong>gst vor Arbeitslosigkeit.<br />

Sie wissen, sie müssen sich anstrengen,<br />

um einen guten Job zu bekommen, und sie sind<br />

auch bereit dazu.<br />

So fällt die Reform des Studiums, die Neudefinition<br />

dessen, was Universität heißt, zusammen<br />

mit einer neuen ehrgeizigen und zudem offenbar<br />

extrem unideologischen Stu<strong>den</strong>tengeneration:<br />

zwei Effekte, die sich gegenseitig bedingen und<br />

verstärken. Adamczak verlässt morgens um acht<br />

das Haus, und oft <strong>wird</strong> es neun oder zehn Uhr<br />

abends, bis er <strong>wie</strong>der daheim ist. »Ich komme<br />

kaum noch zu etwas anderem als Studieren«,<br />

sagt er. Sein Blick schweift über <strong>den</strong> nicht abreißen<strong>den</strong><br />

Strom von Stu<strong>den</strong>ten, die sich mit<br />

einem Stück Kuchen eindecken, er grüßt eine<br />

vorübergehende Freundin, winkt dem Kumpel<br />

am Nebentisch - und lächelt. Da ist sie <strong>wie</strong>der,<br />

diese Mischung aus Kritik und Zufrie<strong>den</strong>heit.<br />

Dann sagt er, fast verwundert über sich selbst:<br />

»Die Uni ist mein Lebensmittelpunkt.«<br />

Fotos: Martin Schlueter für DIE ZEIT; www.martinschlueter.com (u.);<br />

<strong>An</strong>dre Zelck für DIE ZEIT; www.andre-zelck.com<br />

Audio: www.zeit.de/audio

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