Auditive Wahrnehmungsstörung (AWS) - Tips für Eltern - Fbinkert.ch
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Dr.med. Meinrad H.Ryffel Sommer 2005<br />
Kinder- und Jugendarzt FMH<br />
3053 Mün<strong>ch</strong>enbu<strong>ch</strong>see<br />
<strong>Auditive</strong> <strong>Wahrnehmungsstörung</strong> (<strong>AWS</strong>)<br />
Alleine oder häufig im Rahmen einer ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung) sind bei<br />
Kindern mit einer <strong>AWS</strong> die Verarbeitungs- und Wahrnehmungsleistungen von auditiven (dh übers<br />
Gehör aufgenommenen) Informationen ers<strong>ch</strong>wert. Das Gehör ist dabei völlig intakt und ein Hörtest<br />
ist typis<strong>ch</strong>erweise normal, au<strong>ch</strong> sonst ist das Kind normal entwickelt und wie andere Kinder normal<br />
intelligent. Das Problem besteht darin, dass man<strong>ch</strong>e Höreindrücke ni<strong>ch</strong>t so verarbeitet werden können<br />
wie das bei Personen ohne diese Störung der Fall ist. Betroffene können mit einzelnen Bestandteilen<br />
der Spra<strong>ch</strong>e (Sätze, Wörter, Silben oder Laute) ni<strong>ch</strong>t so arbeiten, wie dies <strong>für</strong> einen<br />
normalen Spra<strong>ch</strong>erwerb und <strong>für</strong> das Verständnis notwendig ist.<br />
Folgendes Beispiel soll das verans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>en:<br />
Regelre<strong>ch</strong>te auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsleistung:<br />
Das Kind hört und reagiert spontan adaequat, es kann vor allem alle Störgeräus<strong>ch</strong>e ausblenden.<br />
Beeinträ<strong>ch</strong>tigte auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsleistung:<br />
Das Kind hört, nimmt aber alle Geräus<strong>ch</strong>e glei<strong>ch</strong> laut wahr und kann nur unter grösster Anstrengung<br />
das Wesentli<strong>ch</strong>e heraushören, respektive auswählen.<br />
Diese andere Art zuzuhören führt vor allem in der S<strong>ch</strong>ule, beim Lernen und au<strong>ch</strong> in vielen<br />
anderen Situationen zu Problemen, die dur<strong>ch</strong> folgende Tipps und Massnahmen mit der<br />
Zeit verbessert werden können. Diese Vors<strong>ch</strong>läge sollen Ihnen als <strong>Eltern</strong> den Umgang mit<br />
ihrem Kind erlei<strong>ch</strong>tern helfen.<br />
• Lernen Sie soviel wie mögli<strong>ch</strong> über die auditive <strong>Wahrnehmungsstörung</strong>. Denken Sie oft daran,<br />
dass ihr Kind diese S<strong>ch</strong>wierigkeit hat, vergessen Sie aber nie, wel<strong>ch</strong>e Stärken es ebenfalls<br />
besitzt und versu<strong>ch</strong>en Sie, diese gezielt zu fördern.<br />
• Hören Sie Ihrem Kind wirkli<strong>ch</strong> zu. Vereinfa<strong>ch</strong>en Sie Ihre Spra<strong>ch</strong>e, wenn Ihr Kind Sie ni<strong>ch</strong>t zu<br />
verstehen s<strong>ch</strong>eint.<br />
• Spre<strong>ch</strong>en Sie bewusst tägli<strong>ch</strong> einige Minuten ganz alleine mit Ihrem Kind. Widmen Sie ihm<br />
dabei Ihre volle Aufmerksamkeit und hören Sie ruhig zu. Sie werden dadur<strong>ch</strong> viel über die
Wahrnehmungss<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>en Ihres Kindes lernen und au<strong>ch</strong> viel über die Art, wie Ihr Kind diese<br />
S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>en zu meistern versu<strong>ch</strong>t.<br />
• Gehen Sie positiv auf Ihr Kind zu. Vermeiden Sie, so zu tun, als ob es kein Problem gäbe.<br />
Helfen Sie Ihrem Kind zu verstehen, dass es ein wenig anders begreift und lernt als andere<br />
Kinder. Betonen Sie, dass Sie Ihr Kind dabei unterstützen werden.<br />
• Ma<strong>ch</strong>en Sie <strong>für</strong> jeden Tag eine feste Zeit aus, in der Sie mit dem Kind arbeiten. Sie werden<br />
besonders gute Erfolge haben, wenn ni<strong>ch</strong>ts Ihre gemeinsame Zeit stört ( dabei zB andere<br />
Kinder oder Erwa<strong>ch</strong>sene spre<strong>ch</strong>en, Fernseher oder Radio laufen, die Spülmas<strong>ch</strong>ine zu hören<br />
ist, die kleine S<strong>ch</strong>wester unbedingt dabei sein will etc etc).<br />
• Lenken Sie zu Beginn die akustis<strong>ch</strong>e und optis<strong>ch</strong>e Aufmerksamkeit des Kindes auf si<strong>ch</strong>. Ihr<br />
Kind wird sowohl dur<strong>ch</strong> Hins<strong>ch</strong>auen als au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> Hinhören lernen.<br />
• Beginnen Sie mit sehr kurzen Übungszeiten (z.B. drei Minuten tägli<strong>ch</strong>) und steigern Sie diese<br />
allmähli<strong>ch</strong>. So werden Sie besonders erfolgrei<strong>ch</strong> mit Ihrem Kind lernen: Hören Sie dann auf,<br />
wenn das Kind besonders erfolgrei<strong>ch</strong> ist ! Vermeiden Sie alles, was das Kind an seine<br />
Grenze und in die Enttäus<strong>ch</strong>ung bringt.<br />
• Bleiben Sie so ruhig und gelassen wie mögli<strong>ch</strong>. Spre<strong>ch</strong>en Sie ruhig und si<strong>ch</strong>er.<br />
• Anweisungen sollen kurz und einfa<strong>ch</strong> sein. Lange Aufgaben müssen in kleinere Bestandteile<br />
gegliedert werden. Geben Sie dem Kind Zeit, Aufgaben S<strong>ch</strong>ritt <strong>für</strong> S<strong>ch</strong>ritt zu erledigen.<br />
• Kinder mit einer auditiven <strong>Wahrnehmungsstörung</strong> wirken immer wieder wie s<strong>ch</strong>werhörig.<br />
Verzweifeln Sie ni<strong>ch</strong>t, wenn Ihr Kind das eine hört und versteht, das andere aber ni<strong>ch</strong>t. Ihr Kind<br />
ist dann ni<strong>ch</strong>t zwangsläufig unkonzentriert. Es will Sie au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t absi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ärgern. Lassen Sie<br />
bei Bedarf Ihr Kind Ihre Anweisungen zur Si<strong>ch</strong>erheit no<strong>ch</strong> einmal wiederholen.<br />
• Wenn Ihrem Kind eine Aufgabe zu s<strong>ch</strong>wer ist, we<strong>ch</strong>seln Sie zu einer lei<strong>ch</strong>teren Aufgabe.<br />
Kehren Sie dana<strong>ch</strong> zur ersten Aufgabe zurück. Ihr Kind wird sie dann lei<strong>ch</strong>ter lösen können.<br />
• Bitten Sie Ihr Kind, ruhig na<strong>ch</strong>zufragen, wenn es etwas ni<strong>ch</strong>t verstanden hat. Ermutigen Sie das<br />
Kind, andere Lösungswege zu benutzen.<br />
• Helfen Sie Ihrem Kind dabei, selbständig zu werden. Lassen Sie es regelmässig wiederkehrende<br />
Aufgaben im Haushalt erfüllen. Nutzen Sie dabei Bildkarten (z. B. alles <strong>für</strong> die S<strong>ch</strong>ule<br />
vorbereiten, ins Bett gehen, das Kinderzimmer aufräumen, beim Putzen helfen, den Tis<strong>ch</strong><br />
decken).<br />
• Bestehen Sie darauf, dass das Kind das tut, was es au<strong>ch</strong> kann. Ma<strong>ch</strong>en Sie ihm klar, dass Sie<br />
das von ihm erwarten.<br />
• Loben Sie Ihr Kind au<strong>ch</strong> <strong>für</strong> den geringsten Erfolg immer unmittelbar ans<strong>ch</strong>liessend. Betonen<br />
Sie ni<strong>ch</strong>t die Fehler. Es ist ni<strong>ch</strong>t hilfrei<strong>ch</strong>, wenn Sie es mit anderen Kindern verglei<strong>ch</strong>en.<br />
• Spre<strong>ch</strong>en Sie langsam. Ma<strong>ch</strong>en Sie Pausen zwis<strong>ch</strong>en den Sätzen.<br />
• Wenn Ihr Kind Sie ni<strong>ch</strong>t verstanden hat und Sie den Satz wiederholen müssen, dann benutzen<br />
Sie andere Wörter und ändern Sie den Satzbau.<br />
• Kinder mit einer auditiven <strong>Wahrnehmungsstörung</strong> brau<strong>ch</strong>en oft mehr Zeit, bis sie Sie verstanden<br />
haben. Geben Sie Ihrem Kind Zeit zum Na<strong>ch</strong>denken und zum Antworten.<br />
• Vermeiden Sie Gesprä<strong>ch</strong>e, wenn Ihr Kind in einem anderen Zimmer ist. Es kann Sie s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter<br />
verstehen, sieht ni<strong>ch</strong>t Ihre Mimik und hat keine anderen optis<strong>ch</strong>en Anhaltspunkte.<br />
• Ihr Kind brau<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong> der S<strong>ch</strong>ule viellei<strong>ch</strong>t besonders viel Zeit zum Entspannen und Abs<strong>ch</strong>alten.<br />
Geben Sie ihm dann diese Zeit, bevor es mit den Hausaufgaben beginnt.<br />
• Überlegen Sie mit dem Kind, wo es in aller Ruhe spielen und die Hausaufgaben ungestört<br />
erledigen kann.<br />
• Wenn Sie mit Ihrem Kind lesen, dann lesen Sie laut und spre<strong>ch</strong>en Sie über das, was Sie<br />
gemeinsam gelesen haben.<br />
• Wenn Ihr Kind wütend oder aufgeregt ist, versteht es die Spra<strong>ch</strong>e in der Regel no<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter.<br />
Beruhigen Sie es mit wenigen kurzen und klaren Sätzen. Spre<strong>ch</strong>en Sie dabei ni<strong>ch</strong>t laut. Später<br />
können Sie dann wieder ausführli<strong>ch</strong>er werden.<br />
• Fragen Sie Ihre Logopädin oder Legasthenielehrerin na<strong>ch</strong> Spielen, die Sie mit Ihrem Kind spielen<br />
können, vor allem Spiele, in denen es lernt, aufmerksam zu laus<strong>ch</strong>en.
Für den Unterri<strong>ch</strong>t in der S<strong>ch</strong>ule haben si<strong>ch</strong> die folgenden Vors<strong>ch</strong>läge bewährt, wobei<br />
leider natürli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t alles umgesetzt werden kann:<br />
• Die wi<strong>ch</strong>tigste Hilfe <strong>für</strong> ein Kind mit einer auditiven <strong>Wahrnehmungsstörung</strong>: eine sehr ruhige<br />
Klasse mit ruhigen Mits<strong>ch</strong>ülern und ni<strong>ch</strong>t zu laut spre<strong>ch</strong>enden Lehrern.<br />
• Vorteilhaft sind kleine, ges<strong>ch</strong>lossene Klassenräume, die si<strong>ch</strong> abseits von Verkehrslärm oder<br />
anderen Störgeräus<strong>ch</strong>en befinden.<br />
• Bei Klassenräumen, die sehr stark hallen, ho<strong>ch</strong> sind und wenig s<strong>ch</strong>alldämmendes Material<br />
enthalten, können Sie den Hall und die Hintergrundgeräus<strong>ch</strong>e dur<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>alldämmende Massnahmen<br />
mindern: Bü<strong>ch</strong>erregale, Sitzecke mit Polstern, Pinwände aus Filz oder Kork, Vorhänge,<br />
Wandbehänge, Leisten <strong>für</strong> Bilder und Aushänge, Akustikfliesen, Deckenverkleidung.<br />
Ventilgeräus<strong>ch</strong>e oder Umwälzgeräus<strong>ch</strong>e der Heizung, Geräus<strong>ch</strong>e von Wasserleitungen oder<br />
Lufts<strong>ch</strong>ä<strong>ch</strong>ten sind zu verringern.<br />
Lehrer sollten folgende Vorkehrungen treffen:<br />
• Nähern Sie si<strong>ch</strong> dem Kind beim Spre<strong>ch</strong>en, spre<strong>ch</strong>en Sie klar und deutli<strong>ch</strong>, ohne zu übertreiben.<br />
Wenden Sie si<strong>ch</strong> ihm zu, denn sol<strong>ch</strong>e Kinder sind oft darauf angewiesen, Ihr Mundbild zu sehen<br />
- Sie mö<strong>ch</strong>ten Ihnen quasi von den Lippen ablesen.<br />
• Halten Sie Blickkontakt, während Sie das Kind beim Namen nennen oder berühren Sie das<br />
Kind lei<strong>ch</strong>t. Ein sol<strong>ch</strong>es Vorgehen bewährt si<strong>ch</strong> besonders bei ablenkbaren und unruhigen<br />
Kindern und bei s<strong>ch</strong>wierigem Unterri<strong>ch</strong>tsstoff.<br />
• Setzen Sie das Kind in eine der vorderen Reihen des Klassenraums, wo es guten Kontakt zu<br />
Ihnen hat, aber ni<strong>ch</strong>t in die Mitte, sondern an den Rand der Reihe und in die Nähe von ruhigen<br />
Kindern, allerdings ni<strong>ch</strong>t in die Nähe von offenen Fernstern oder Türen.<br />
• Ohrstöpsel (Wei<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>aumstoffstöpsel, erhältli<strong>ch</strong> bei Hörgeräteakustikern) können ab und zu<br />
einmal <strong>für</strong> Kinder mit Geräus<strong>ch</strong>überempfindli<strong>ch</strong>keit und Kinder mit Filters<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>en hilfrei<strong>ch</strong><br />
sein, besonders in ruhigen Arbeitsperioden.<br />
• Stellen Sie zusätzli<strong>ch</strong>es ges<strong>ch</strong>riebenes oder bildhaftes Material zur Verfügung. Auf diese<br />
Weise muss si<strong>ch</strong> das Kind ni<strong>ch</strong>t nur auf die gespro<strong>ch</strong>ene Lehrerspra<strong>ch</strong>e konzentrieren. Führen<br />
Sie <strong>für</strong> alle Kinder Mits<strong>ch</strong>riften, Protokolle und Aufgabenhefte ein. Überprüfen Sie Ihre Tafelans<strong>ch</strong>riebe<br />
auf Deutli<strong>ch</strong>keit der S<strong>ch</strong>rift, Klarheit der Darstellung und auf Übereinstimmung zu der<br />
gespro<strong>ch</strong>enen Aussage.<br />
• Bemühen Sie si<strong>ch</strong> um Verständnissi<strong>ch</strong>erung dur<strong>ch</strong> Na<strong>ch</strong>fragen beim Kind. Bitten Sie das Kind<br />
um eine kurze Wiederholung.<br />
• Vermeiden Sie Missbilligung und Kritik, wenn das Kind Sie ni<strong>ch</strong>t verstanden hat.<br />
• Gegenüber Kindern mit auditiven <strong>Wahrnehmungsstörung</strong>en sollten sie langsam spre<strong>ch</strong>en,<br />
Sätze dur<strong>ch</strong> klare Pausen trennen und lange Sätze vermeiden.<br />
• Fordern Sie das betroffene Kind ni<strong>ch</strong>t zum glei<strong>ch</strong>zeitigen Zuhören und Mits<strong>ch</strong>reiben auf. Es<br />
wäre dadur<strong>ch</strong> überfordert und könnte si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t auf eine Sa<strong>ch</strong>e konzentrieren.<br />
• Tonbandaufnahmen stellen eine wi<strong>ch</strong>tige Hilfe dar: wenn das Kind gelernte oder gelesene<br />
Texte oder au<strong>ch</strong> einmal eigene Spontanspra<strong>ch</strong>e aufnimmt und dana<strong>ch</strong> anhört, bekommt es eine<br />
gute Rückmeldung über das eigene Spre<strong>ch</strong>en.<br />
• Besonders im Fremdspra<strong>ch</strong>enunterri<strong>ch</strong>t bewährt si<strong>ch</strong> das wiederholte und regelmässige Abhören<br />
von Tonbandkassetten mit dem Text der Lektionen (alle S<strong>ch</strong>ulbu<strong>ch</strong>verlage stellen Kassetten<br />
mit dem S<strong>ch</strong>ulbu<strong>ch</strong>stoff zur Verfügung). Au<strong>ch</strong> das Hören fremdspra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er Radiosendungen,<br />
das Ans<strong>ch</strong>auen von Filmen in der zu erlernenden Fremdspra<strong>ch</strong>e, das Mitlesen von fremdspra<strong>ch</strong>igen<br />
Texten zur Lieblings-U-Musik ist sehr hilfrei<strong>ch</strong>, um den Klang, den Rhythmus und<br />
die Artikulation der fremden Spra<strong>ch</strong>e zu erlernen.<br />
Angaben zum grossen Teil aus: Henning Rosenkötter, <strong>Auditive</strong> <strong>Wahrnehmungsstörung</strong>en, Stuttgart, Klett-Verlag,<br />
2003