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Heinrich von Treitschke und die Treitschkestrasse in Heidelberg ...

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<strong>Treitschke</strong>s Auftritt betonte <strong>die</strong> Distanz zu den Positionen des politischen Antisemitismus der<br />

Zeit <strong>und</strong> der Agitation se<strong>in</strong>er Verbände. Punktuell hat er sich vom ideologisch verfestigten<br />

Antisemitismus, <strong>in</strong>sbesondere <strong>von</strong> rassisch begründeten Versionen, abgesetzt. 22 Im<br />

Unterschied zum verächtlich betrachteten „Radau-Antisemitismus“ der Straße <strong>und</strong> der<br />

H<strong>in</strong>terzimmer <strong>von</strong> Gaststätten 23 lieferte <strong>Treitschke</strong> anb<strong>in</strong>dungsfähige Salongewissheit <strong>und</strong><br />

Parkettweisheit, <strong>in</strong> der Sache freilich nicht m<strong>in</strong>der scharf <strong>und</strong> kompromisslos. Den Satz vom<br />

„Unglück“, das <strong>die</strong> Juden bereiteten, wies <strong>Treitschke</strong> der Strasse zu („ertönt es heute wie<br />

aus e<strong>in</strong>em M<strong>und</strong>e“) – nur war er dort gar nicht erschollen, sondern <strong>Treitschke</strong> hatte ihn<br />

geformt.<br />

<strong>Treitschke</strong> war ke<strong>in</strong>er der gleichermaßen radikalen wie auch sektiererischen Vordenker des<br />

Antisemitismus wie etwa der Publizist Wilhelm Marr (1819-1904) oder der Nationalökonom<br />

Eugen Dühr<strong>in</strong>g (1833-1921), <strong>die</strong> mit ihren Schriften <strong>und</strong> Splittergruppen das extreme Milieu<br />

be<strong>die</strong>nten. E<strong>in</strong>e solche Rolle hat er auch nicht angestrebt, aber deutliche Anleihen bei deren<br />

Gedankengut gemacht <strong>und</strong> es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e bürgerlich akzeptable Sprache übersetzt („e<strong>in</strong>e Kluft<br />

zwischen abendländischem <strong>und</strong> semitischem Wesen hat <strong>von</strong> jeher bestanden“ 24 ).<br />

<strong>Treitschke</strong>s Position <strong>in</strong> der Geschichte des Antisemitismus im Kaiserreich zeichnet sich<br />

damit durch ihre besondere Subtilität aus. Judenfe<strong>in</strong>dschaft war für <strong>Treitschke</strong> Teil e<strong>in</strong>er<br />

übersteigerten Zentrierung auf Preußen <strong>und</strong> Funktion zur Ausgestaltung der gerade<br />

vollzogenen konservativen Wende. Gerade mit <strong>die</strong>sem „<strong>in</strong>tegrativen“ Auftritt haben<br />

<strong>Treitschke</strong>s Positionen Wirksamkeit entfaltet. Die herausgehobene Stellung des Akteurs <strong>und</strong><br />

<strong>die</strong> Prägnanz se<strong>in</strong>er Formulierungen ließen se<strong>in</strong> E<strong>in</strong>greifen <strong>in</strong> <strong>die</strong> politischen<br />

Tagesereignisse zum Fanal geraten.<br />

<strong>Treitschke</strong>s Votum war, unter den Bed<strong>in</strong>gungen se<strong>in</strong>er Zeit, e<strong>in</strong> erstrangiges mediales<br />

Ereignis. Die später erst als „Berl<strong>in</strong>er Antisemitismusstreit“ apostrophierte<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzung im Gefolge <strong>von</strong> <strong>Treitschke</strong>s Aufsatz erklärt sich nicht aus den dar<strong>in</strong><br />

vorgetragenen Argumenten, wohl auch kaum se<strong>in</strong>em rhetorischen Geschick, sondern<br />

wesentlich aus dem akademischen Rang des Autors. Zustimmung <strong>und</strong> Widerspruch zu<br />

se<strong>in</strong>em Aufsatz waren gleichermaßen energisch. Ob gewollt oder nicht, hat er damit <strong>die</strong><br />

„Antisemitenpetition“ <strong>von</strong> 1880 <strong>in</strong> der breiten Öffentlichkeit befördert <strong>und</strong> ihr <strong>in</strong>sbesondere im<br />

studentischen Milieu Anhang verschafft. Ebenso hat er se<strong>in</strong>e liberalen Kollegen an der<br />

Berl<strong>in</strong>er Universität herausgefordert („Notabeln-Erklärung“ der Professoren Virchow,<br />

ferner Johannes Heil, Antisemitismus, Kulturkampf <strong>und</strong> Konfession. Die antisemitischen „Kulturen“ Frankreichs <strong>und</strong><br />

Deutschlands im Vergleich, <strong>in</strong>: Olaf Blaschke and Aram Mattioli (Hg.), Katholischer Antisemitismus im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert.<br />

Ursachen <strong>und</strong> Traditionen im <strong>in</strong>ternationalen Vergleich, Zürich 2000, S. 195-228.<br />

22<br />

Peter G. J. Pulzer: Die Entstehung des politischen Antisemitismus <strong>in</strong> Deutschland <strong>und</strong> Österreich 1867–1914. Vom Autor<br />

durchges. <strong>und</strong> um e<strong>in</strong>en Forschungsbericht erw. Neuausgabe, Gött<strong>in</strong>gen 2004, S. 263; Übersicht: Werner Bergmann,<br />

Geschichte des Antisemitismus, München 2002; vgl. jetzt auch Thomas Gräfe, Antisemitismus <strong>in</strong> Deutschland 1815-1918.<br />

Rezensionen - Forschungsüberblick – Bibliographie, Norderstedt 2011.<br />

23<br />

Krieger, „Berl<strong>in</strong>er Antisemitismusstreit“, S. 14.<br />

24<br />

Ebd., S. 15.<br />

7

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