Jahresbericht Nr. 20
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„Ich lerne noch“<br />
Ein auch emotional<br />
tiefgreifender Lernprozess<br />
prägte mich heuer in ganz<br />
Diesen Spruch von Michelangelo Buonarotti<br />
besonderer Weise. Seit 38 Jahren<br />
(gest.1564) haben wir heuer in einem<br />
„stehe“ ich nun - wie man so<br />
Wettbewerb zur „Leitmelodie“ unserer<br />
schön sagt - in der Klasse, wenn<br />
Schule erhoben.<br />
auch direktorial reduziert,<br />
aber genauso leidenschaftlich<br />
Mag. Dr. Manfred Holzleitner<br />
wie in früheren Jahren. Die<br />
bildungspolitische Debatte<br />
hat mit dem diesjährigen<br />
ministeriellen Aschermittwoch (einem wirklichen „Krisenfest“) eine<br />
Achterbahnfahrt eingeleitet, die mich mit ihren argumentativen Berg- und<br />
Talfahrten an dem, was jedes Dienstverhältnis zuvorderst prägen muss, fast<br />
verzweifeln ließ: grundsätzliche Loyalität.<br />
Die einzige gescheite Antwort auf die derzeitige Schuldebatte kann für mich<br />
nur eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Begriff der Bildung sein. Hier<br />
sind wir in unserer ba.kip! mit Michelangelo gerne „Lernende“. Der lateinische<br />
„discipulus“, der Schüler, die Schülerin, ist jener, der an sich arbeitet, in und an<br />
der Gemeinschaft lernt.<br />
Gerade als Bildungsanstalt dürfen und müssen wir uns um Bildung bemühen,<br />
der selbstverständlich eine möglichst gute Ausbildung an die Seite zu stellen<br />
ist. Ein pädagogisches Rufzeichen sei mit dem Philosophen Peter Bieri<br />
vorangestellt: „Man bildet sich. Ausbilden können uns andere, bilden kann<br />
sich jeder nur selbst.“ Bildung ist etwas, das Menschen mit sich und für sich<br />
machen. Ausbildung hat das Ziel etwas zu können - daher sind die Deskriptoren<br />
in den Bildungsstandards richtigerweise mit „Ich kann“ eingeleitet. Wer sich<br />
bildet, arbeitet daran, etwas zu werden. Beides ist notwendig; beides nur in<br />
einem dialektischen Verhältnis sinnvoll zu verstehen und zu praktizieren.<br />
Weithin herrscht auch Konsens, dass Bildung als individueller Auftrag nur<br />
im Austausch mit anderen gelingen kann. Solches „Austauschen“ (lateinisch:<br />
commercium!) ist jener Kommerz, jene Ökonomie im Schulwesen, die ich für<br />
angemessen und sinnvoll halte.<br />
Schule als Ort des Lernens (Marian Heitger, Erziehungswissenschafter) kann<br />
nur gelingen, wenn passiert, was Bernhard Bueb fordert: „Ein guter Lehrer<br />
muss Kinder mögen“. Respektvoller Umgang (Heinz Zangerle, Psychologe),<br />
wertschätzende und respektvolle Haltung der Lehrkraft (Brigitte Koriander,<br />
IMST- Fonds) müssen der Teppich sein, auf dem Lernen „gehen lernt“. Aus<br />
mancher Diskussion ist mir bewusst, dass mein innerster, pädagogischer<br />
Leitspruch auf keine ungeteilte Zustimmung stößt. In der wunderbaren<br />
Formulierung (1871!) der französischen Dichterin, Lehrerin und Direktorin<br />
Louise Michel sollte die „Verführungskraft“ eines Commerciums (wörtlich:<br />
Austausch der Herzen), spürbar werden, dem sich niemand zu entziehen<br />
vermag: Für ein weites, hilfsbereites Herz „ist die einzig atembare Luft die<br />
Menschenliebe“. In diesem Sinn verstehe ich die Erziehungswissenschafterin<br />
Charmaine Liebertz, die jüngst in einem Vortrag meinte, nicht unterrichten<br />
sollen wir, sondern aufrichten.<br />
Es bleibt die wichtige Frage, wie der Austausch, die Transformation von<br />
Bildung und Ausbildung in unserem Schulsystem stattfinden können. Als<br />
Bildungsstätte sind wir natürlich sehr bemüht um unsere Ausbildung.<br />
Gerade der wöchentliche Praxistag scheint mir den Charme unserer Schule<br />
auszumachen. Er ist die glückliche Verbindung hart erarbeiteter Vorbereitung<br />
und deren Umsetzung in der Bildungsstätte Kindergarten mit einhergehender,<br />
beobachtbarer Entwicklung der Persönlichkeiten der angehenden<br />
Kindergartenpädagog/innen.<br />
So nähert sich unsere Schule einem Ideal von theoretischem Wissen und<br />
praktischer Erfahrung. Sie vermag jungen Menschen Sinn zu vermitteln durch<br />
ihr tätiges, reflektiertes Arbeiten mit Kindern, sodass sie von der ersten bis zur<br />
fünften Klasse einen beinahe „wunderbaren“ Reifungsprozess durchlaufen,<br />
der mich immer wieder staunen lässt. Mit unseren Schüler/innen lernen und<br />
entwickeln sich auch Lehrerinnen und Lehrer. Diese gegenseitige Befruchtung<br />
fördern zu dürfen, erfüllt mich mit großer Freude.<br />
Die angesprochenen schulpolitischen Turbulenzen des heurigen Jahres<br />
sollen mit einem Epilog ausklingen. Es muss ins allgemeine - also auch ins<br />
herrschende ökonomische! - Bewusstsein dringen, dass nur, was jemand kann,<br />
auch überprüft werden kann, nicht, wie jemand in der Welt ist. Klar sollte sein,<br />
„dass das Gelingen von Bildungsprozessen weder an Standards gemessen noch<br />
an Erfolgsquoten welcher Art auch immer überprüft werden kann“ (Konrad<br />
Paul Liessmann, Philosoph).<br />
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