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<strong>Martin</strong>-Luther-Universität<br />

Halle-Wittenberg<br />

<strong>Hallische</strong> Beiträge <strong>zur</strong> <strong>Zeitgeschichte</strong><br />

Heft 15<br />

- Halle 2005 -


Bildnachweis: S. 7: Privatbesitz Marion Rupieper-Pantenius, Halle (Saale)<br />

Impressum: Die <strong>Hallische</strong>n Beiträge <strong>zur</strong> <strong>Zeitgeschichte</strong> erscheinen in loser Folge.<br />

Herausgeber: Prof. Dr. Hermann-Josef Rupieper † (H. 1/1996-H.<br />

14/2004), Dr. Jana Wüstenhagen, Daniel Bohse (ab H. 15/2005)<br />

Redaktion: Daniel Bohse (v. i. S. d. P.), Denise Wesenberg<br />

ISSN: 1433-7886<br />

Druck:<br />

Druckerei <strong>de</strong>r <strong>Martin</strong>-Luther-Universität Halle-Wittenberg<br />

Hoher Weg 4, 06120 Halle (Saale)


Inhalt<br />

Jana Wüstenhagen / Daniel Bohse<br />

Vorwort ………………………………………………………5<br />

Aufsätze<br />

Dietmar Schulze<br />

Der „Röhm-Putsch“ in <strong>de</strong>r Provinz Sachsen ……………………9<br />

Anja Edith Spuhn<br />

Die Integration von Vertriebenen in <strong>de</strong>n Arbeitsprozeß am Beispiel<br />

<strong>de</strong>s Mansfel<strong>de</strong>r Kupferschieferbergbaus (1945-1949) …………34<br />

Essays und Berichte<br />

Daniel Bohse / Henrik Eberle<br />

Foto- und Filmdokumente zum Kriegsen<strong>de</strong> 1944/45 und <strong>zur</strong><br />

Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands im Russischen<br />

Staatsarchiv für Film- und Fotodokumente (RGAKFD) ………61<br />

Wilfried Lübeck<br />

Die Aktionen „Potsdam“ und „112b“ im Rahmen <strong>de</strong>r<br />

Reparationsleistungen <strong>de</strong>r Provinz Sachsen 1945/46 ……………71


Vorwort<br />

Mit diesem Heft erscheinen die „<strong>Hallische</strong>n Beiträge <strong>zur</strong> <strong>Zeitgeschichte</strong>“<br />

zum ersten Mal ohne Hermann-Josef Rupieper. Der Begrün<strong>de</strong>r und langjährige<br />

Herausgeber <strong>de</strong>r Reihe, Professor für <strong>Zeitgeschichte</strong> an <strong>de</strong>r <strong>Martin</strong>-<br />

Luther-Universität Halle-Wittenberg, starb am 31. August 2004 völlig überraschend<br />

während seines Urlaubs auf Kreta. Noch immer trauern Freun<strong>de</strong><br />

und Kollegen um einen engagierten, klugen und warmherzigen Menschen,<br />

<strong>de</strong>ssen Einsatz für die Universität und das Institut unvergessen bleiben<br />

wird. Seine zahlreichen Stu<strong>de</strong>nten, Doktoran<strong>de</strong>n und Mitarbeiter am Lehrstuhl<br />

kannten ihn als einen nimmermü<strong>de</strong>n Hochschullehrer, <strong>de</strong>r stets bis an<br />

die Belastungsgrenze in Arbeit steckte und doch zu je<strong>de</strong>m Zeitpunkt für sie<br />

da war.<br />

Hermann-Josef Rupieper wur<strong>de</strong> 1942 in Recklinghausen geboren. Sein<br />

wissenschaftlicher Wer<strong>de</strong>gang begann mit <strong>de</strong>m Studium <strong>de</strong>r Geschichte,<br />

Anglistik und Politikwissenschaft an <strong>de</strong>r Freien Universität Berlin und <strong>de</strong>r<br />

Stanford University (Kalifornien, USA), an <strong>de</strong>r er 1974 promoviert wur<strong>de</strong>.<br />

Aus dieser Zeit rührte seine Liebe zu <strong>de</strong>n USA, <strong>de</strong>ren Geschichte zeitlebens<br />

zu seinen großen Forschungsfel<strong>de</strong>rn gehörte. Es waren vor allem die Darstellungen<br />

zu <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utsch-amerikanischen Beziehungen, die ihm unter<br />

Kollegen hohes Ansehen verschafften und die internationale Ausrichtung<br />

<strong>de</strong>r <strong>Zeitgeschichte</strong> an <strong>de</strong>r <strong>Martin</strong>-Luther-Universität Halle-Wittenberg beför<strong>de</strong>rten.<br />

Wie stark die zeitgeschichtliche Forschung in Halle mit seinem<br />

Namen verbun<strong>de</strong>n ist, zeigte sich im Januar 2005 auf <strong>de</strong>r Trauerfeier <strong>de</strong>s<br />

Deutschen Historischen Instituts in Washington, <strong>de</strong>ssen erster geschäftsführen<strong>de</strong>r<br />

Direktor Rupieper 1987 war. Aus allen Teilen <strong>de</strong>r USA waren<br />

Wissenschaftler angereist, die <strong>de</strong>s streitbaren „German“ ge<strong>de</strong>nken wollten.<br />

Nach seiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter und als Assistenzprofessor<br />

an <strong>de</strong>r Freien Universität Berlin habilitierte sich Rupieper hier<br />

1981. Später folgte er einem Ruf an die Philipps-Universität Marburg,<br />

bevor er 1993 nach Halle kam, um am neugegrün<strong>de</strong>ten Institut für<br />

Geschichte <strong>de</strong>r <strong>Martin</strong>-Luther-Universität <strong>de</strong>n Lehrstuhl für <strong>Zeitgeschichte</strong><br />

zu übernehmen.<br />

Die von ihm gesetzten Forschungsakzente formten das Profil <strong>de</strong>r <strong>Zeitgeschichte</strong><br />

in Halle. So verband er die von ihm inspirierte regionale Wi<strong>de</strong>rstandsforschung<br />

<strong>zur</strong> NS- und DDR-Zeit mit <strong>de</strong>r größeren Analyse <strong>de</strong>r<br />

ost<strong>de</strong>utschen Diktatur. Dabei legte er großen Wert auf Interdisziplinarität,<br />

vor allem aber auf die Verbindung <strong>de</strong>r hallischen Forschung mit <strong>de</strong>r internationalen<br />

Wissenschaftswelt. Er selbst reiste mehrmals zu Vorträgen und<br />

Archivreisen nach Woronesch, Moskau und in die USA, während umgekehrt<br />

russische und amerikanische Wissenschaftler in Halle ihre Forschungen<br />

vorstellten.<br />

5


Ein beson<strong>de</strong>res Anliegen war Rupieper immer die För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s wissenschaftlichen<br />

Nachwuchses. Im Jahre 1996 begrün<strong>de</strong>te er die Reihe <strong>de</strong>r<br />

„<strong>Hallische</strong>n Beiträge <strong>zur</strong> <strong>Zeitgeschichte</strong>“, um eine Plattform für Nachwuchswissenschaftler<br />

und herausragen<strong>de</strong> stu<strong>de</strong>ntischen Arbeiten zu schaffen.<br />

Unter seiner Herausgeberschaft publizierten in <strong>de</strong>n vergangenen neun<br />

Jahren neben etablierten Kollegen aus <strong>de</strong>m In- und Ausland vor allem<br />

junge Historiker aus Halle zu regionalen und überregionalen Themen <strong>de</strong>r<br />

<strong>Zeitgeschichte</strong>. Bei <strong>de</strong>r Auswahl <strong>de</strong>r Beiträge legte Rupieper beson<strong>de</strong>ren<br />

Wert auf die Originalität <strong>de</strong>r Quellen. So beruhte nahezu je<strong>de</strong>r Aufsatz auf<br />

Archivstudien, die Dokumente zu Tage för<strong>de</strong>rten, die zuvor noch nie<br />

publiziert wor<strong>de</strong>n waren. Seine ehemaligen Mitarbeiter haben sich vorgenommen,<br />

mit diesem Heft die von Hermann-Josef Rupieper begrün<strong>de</strong>te<br />

Tradition in Halle fortzuführen.<br />

Die nachfolgend publizierten Beiträge präsentieren einen Ausschnitt aus<br />

kürzlich abgeschlossenen und noch laufen<strong>de</strong>n Forschungsprojekten <strong>de</strong>r<br />

Autoren. Dietmar Schulze greift einen bislang vernachlässigten Aspekt <strong>de</strong>r<br />

Geschichte <strong>de</strong>s ehemaligen Konzentrationslagers Lichtenburg auf: <strong>de</strong>ssen<br />

Nutzung <strong>zur</strong> Verwahrung und „Aburteilung“ von Personen, die 1934 im<br />

Rahmen <strong>de</strong>r „Nie<strong>de</strong>rschlagung“ <strong>de</strong>s sogenannten „Röhm-Putsches“ verhaftet<br />

wor<strong>de</strong>n waren. Der Beitrag von Anja Edith Spuhn gibt die Ergebnisse<br />

ihrer am hiesigen Institut verfaßten Magisterarbeit wie<strong>de</strong>r. Am<br />

Beispiel <strong>de</strong>s Mansfel<strong>de</strong>r Kupferschieferbergbaus hinterfragt sie Metho<strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>r Arbeitsintegration von su<strong>de</strong>ten<strong>de</strong>utschen Vertriebenen in das Wirtschaftssystem<br />

<strong>de</strong>r Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands (SBZ). Mit<br />

logistischen und finanziellen Problemen im Zusammenhang mit sowjetischen<br />

Reparationen und Demontagen beschäftigt sich <strong>de</strong>r Beitrag von<br />

Wilfried Lübeck. Henrik Eberle und Daniel Bohse berichten über einen<br />

Forschungsaufenthalt im Russischen Staatsarchiv für Film- und Fotodokumente.<br />

Sie zeigen, daß angesichts <strong>de</strong>r zwischen Öffnung und Restriktion<br />

schwanken<strong>de</strong>n russischen Archivpolitik noch immer für die <strong>de</strong>utsche <strong>Zeitgeschichte</strong><br />

aufschlußreiche Bestän<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Beachtung und Auswertung<br />

harren. Die Herausgeber wünschen wie immer eine anregen<strong>de</strong> Lektüre.<br />

Jana Wüstenhagen<br />

Daniel Bohse<br />

6


Aufsätze<br />

Der „Röhm-Putsch“ in <strong>de</strong>r Provinz Sachsen<br />

von Dietmar Schulze<br />

Am Dienstag, <strong>de</strong>n 16. Oktober 1934 erschienen <strong>de</strong>r Korrektor Paul Mosert<br />

und seine Ehefrau Anna am Landgericht Torgau. Die Eheleute baten um<br />

die Bewilligung <strong>de</strong>s Armenrechts und um die Zuordnung eines Rechtsanwalts<br />

für folgen<strong>de</strong> Klage: „Wir wollen Klage erheben gegen <strong>de</strong>n<br />

Preussischen Staat, vertreten durch <strong>de</strong>n Herrn Preussischen Ministerpräsi<strong>de</strong>nten…“<br />

1 Vorgebliches Ziel war, festzustellen, ob <strong>de</strong>r Staat Preußen<br />

verpflichtet wer<strong>de</strong>n könne, <strong>de</strong>m Ehepaar Mosert „in Form einer Geldrente<br />

Scha<strong>de</strong>nsersatz zu leisten insoweit, als unser Sohn Kurt Mosert uns<br />

gegenüber unterhaltspflichtig gewor<strong>de</strong>n wäre.“ 2<br />

Den Hintergrund <strong>de</strong>r ungewöhnlichen Klage bil<strong>de</strong>te die etwa dreieinhalb<br />

Monate zuvor blutig nie<strong>de</strong>rgeschlagene angebliche Revolte <strong>de</strong>s Stabschefs<br />

<strong>de</strong>r Sturmabteilungen (SA) <strong>de</strong>r NSDAP, Ernst Röhm. Bei <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rschlagung<br />

dieses „Putsches“ in <strong>de</strong>r Zeit vom 30. J<strong>uni</strong> bis zum 2. Juli 1934<br />

wur<strong>de</strong>n nicht nur viele Führungskräfte <strong>de</strong>r SA ermor<strong>de</strong>t, son<strong>de</strong>rn auch<br />

vermeintliche Regimegegner erschossen und persönliche Rachegelüste<br />

brutal befriedigt. Eines <strong>de</strong>r Opfer war SA-Obersturmbannführer Kurt<br />

Mosert, Führer <strong>de</strong>r SA-Standarte 72 3 mit Sitz in Torgau.<br />

Bis Anfang Oktober 1934 konnten die Eheleute Mosert von staatlichen<br />

o<strong>de</strong>r Parteistellen keine offizielle Auskunft über das plötzliche Verschwin<strong>de</strong>n<br />

ihres Sohnes erhalten. Mehrere Eingaben und Beschwer<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong>n<br />

mit lakonischer Kürze <strong>zur</strong>ückgewiesen o<strong>de</strong>r blieben gänzlich unbeantwortet.<br />

Erst über drei Monate nach <strong>de</strong>m Verschwin<strong>de</strong>n ihres Sohnes, am 6.<br />

Oktober, ließ die Staatspolizeistelle Halle <strong>de</strong>n Eltern knapp mitteilen, daß<br />

„Kurt Mosert während <strong>de</strong>r anläßlich <strong>de</strong>r Röhm-Revolte eingeleiteten<br />

Aktion getötet wor<strong>de</strong>n“ sei. 4 Die Moserts sahen anscheinend keine an<strong>de</strong>re<br />

Möglichkeit als <strong>de</strong>n Klageweg, um Aufklärung und Wie<strong>de</strong>rgutmachung,<br />

sofern diese in solch einem Fall überhaupt möglich ist, zu erzwingen. Da<br />

1 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin (im folgen<strong>de</strong>n: GStAPK), HA<br />

I, Rep. 90 P, Nr. 39/3, Bl. 259.<br />

2 Ebenda.<br />

3 Die Standarte 72 erhielt ihre Bezeichnung in Anlehnung an das 1860 gegrün<strong>de</strong>te 4.<br />

Thüringische Infanterie-Regiment Nr. 72. Mit <strong>de</strong>r bewußten Anknüpfung an die<br />

kaiserliche Bezeichnung sollte die Akzeptanz <strong>de</strong>r SA-Verbän<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Bevölkerung<br />

gestärkt wer<strong>de</strong>n.<br />

4 GStAPK, HA I, Rep. 90 P, Nr. 39/3, Bl. 262.<br />

9


we<strong>de</strong>r Polizei noch Staatsanwaltschaft aktiv gewor<strong>de</strong>n waren, hatte Paul<br />

Mosert selbst die Initiative ergriffen und <strong>de</strong>m Schicksal seines Sohnes<br />

nachgeforscht. Er kam zu <strong>de</strong>m Schluß, daß sein Sohn Kurt von SS-Leuten<br />

<strong>de</strong>s Konzentrationslagers Lichtenburg (bei Prettin) ermor<strong>de</strong>t wor<strong>de</strong>n war.<br />

I. Das Konzentrationslager Lichtenburg<br />

Das Schloß Lichtenburg – heute zum Ort Prettin (Sachsen-Anhalt)<br />

gehörend – diente seit <strong>de</strong>m Jahr 1811 als Zuchthaus. 5 Im 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />

erfuhr die Schloßanlage zwei Erweiterungen, zunächst im Nordosten um<br />

einen als Lazarett genutzten Seitenflügel und dann im Südosten um einen<br />

Zellenbau. Bei<strong>de</strong> Anbauten wur<strong>de</strong>n am Beginn <strong>de</strong>s 20. Jahrhun<strong>de</strong>rts mit<br />

einem flachen Werkstattgebäu<strong>de</strong> verbun<strong>de</strong>n, so daß ein zweiter als<br />

Werkstatthof bezeichneter Schloßhof entstand. Als Haftstätte für politische<br />

Gefangene kann die Lichtenburg auf eine lange und unrühmliche Tradition<br />

verweisen. Nach <strong>de</strong>r gescheiterten Revolution von 1848/49 wur<strong>de</strong>n dort<br />

viele Aufständische interniert. Der Grund für die Errichtung <strong>de</strong>s<br />

Zellenbaus 1878/79 war die Verfolgung von Sozial<strong>de</strong>mokraten nach <strong>de</strong>m<br />

Sozialistengesetz. Im Jahr 1928 wur<strong>de</strong> das Zuchthaus Lichtenburg wegen<br />

unhaltbarer baulicher Zustän<strong>de</strong> geschlossen. Der größte Teil <strong>de</strong>s Schloßkomplexes<br />

stand nun leer, nur wenige Firmen nutzen das Gebäu<strong>de</strong><br />

gewerblich, so daß es zunehmend verfiel.<br />

Im J<strong>uni</strong> 1933 wur<strong>de</strong> das Schloß nach fünf Jahren Leerstand als Haftstätte<br />

für politische Gefangene, als Konzentrationslager reaktiviert. Anlaß war die<br />

Suche <strong>de</strong>s preußischen Innenministeriums nach zusätzlichen Unterbringungsmöglichkeiten<br />

für politische Gefangene, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r unmittelbar nach<br />

<strong>de</strong>r nationalsozialistischen Machtergreifung folgen<strong>de</strong> Terror hatte zu<br />

Massenverhaftungen und damit <strong>zur</strong> Überfüllung <strong>de</strong>r Gefängnisse geführt.<br />

Trotz verschie<strong>de</strong>ner Einwän<strong>de</strong> entschied <strong>de</strong>r Merseburger Regierungspräsi<strong>de</strong>nt,<br />

das Schloß als Konzentrationslager her<strong>zur</strong>ichten. Zur Beschle<strong>uni</strong>gung<br />

<strong>de</strong>r vorbereiten<strong>de</strong>n Arbeiten wur<strong>de</strong> Anfang J<strong>uni</strong> ein Vorauskommando<br />

von 50 Häftlingen <strong>zur</strong> Lichtenburg gebracht. Am 13. J<strong>uni</strong> 1933,<br />

einen Tag nach <strong>de</strong>r Ankunft <strong>de</strong>s Vorkommandos, teilte <strong>de</strong>r Regierungspräsi<strong>de</strong>nt<br />

allen zuständigen Behör<strong>de</strong>n die offizielle Eröffnung eines<br />

„Sammellagers“ im ehemaligen Zuchthaus Lichtenburg mit. Eine Woche<br />

später trafen 450 Schutzhäftlinge aus <strong>de</strong>n Gefängnissen <strong>de</strong>s Regierungsbezirks<br />

ein. Nur einen Monat später drängten sich bereits ungefähr 1600<br />

Häftlingen in <strong>de</strong>r Lichtenburg.<br />

5 Der sächsische König Friedrich August I. bestimmte am 2. Februar 1811 die Schlösser<br />

Lichtenburg und Sonnenstein bei Pirna als Ersatz für das Zucht-, Armen- und<br />

Waisenhaus Torgau, das einer „Lan<strong>de</strong>s-Festung“ weichen mußte. Vgl. Sächsisches<br />

Hauptstaatsarchiv Dres<strong>de</strong>n, Geheimes Finanzkollegium, Spezialreskripte, 1811, Nr. 86.<br />

10


Das KZ Lichtenburg unterstand zunächst <strong>de</strong>m preußischen Innenministerium.<br />

Mit <strong>de</strong>r Ernennung <strong>de</strong>s Reichsführer-SS, Heinrich Himmler, zum<br />

Inspekteur <strong>de</strong>r Geheimen Staatspolizei am 20. April 1934 ergaben sich aber<br />

tiefgreifen<strong>de</strong> Än<strong>de</strong>rungen. Himmler ging unverzüglich daran, seine Vorstellungen<br />

von Schutzhaft und Konzentrationslager auf alle preußischen Lager<br />

zu übertragen. Sie sollten entwe<strong>de</strong>r aufgelöst o<strong>de</strong>r übernommen und<br />

reorganisiert wer<strong>de</strong>n. Die Umgestaltung begann beim KZ Lichtenburg.<br />

Himmler entzog <strong>de</strong>r preußischen Verwaltung die Dienstaufsicht und entsandte<br />

<strong>de</strong>n Kommandanten <strong>de</strong>s KZ Dachau, Theodor Eicke, als Inspekteur<br />

<strong>de</strong>r Konzentrationslager nach Prettin. Eicke traf am 28. Mai 1934 ein<br />

und begann unverzüglich mit <strong>de</strong>r Neuorganisation <strong>de</strong>s Lagers nach<br />

Dachauer Vorbild. Er setzte <strong>de</strong>n Direktor und <strong>de</strong>n Verwaltungsführer <strong>de</strong>s<br />

Lagers ab, trennte Kommandantur- und Wachbereich voneinan<strong>de</strong>r und<br />

richtete eine politische Abteilung ein. Für eine Übergangszeit, in die auch<br />

<strong>de</strong>r „Röhm-Putsch“ fällt, kontrollierte Eicke, trotz <strong>de</strong>r Berufung eines<br />

neuen Lagerkommandanten noch das Geschehen in <strong>de</strong>r Lichtenburg.<br />

Die Tatsache, daß das Konzentrationslager Lichtenburg in die<br />

Geschehnisse rund um die „Röhm-Revolte“ eingebun<strong>de</strong>n war, fand bisher<br />

nur geringe Beachtung. 6 In <strong>de</strong>r Literatur wer<strong>de</strong>n vor allem zwei Punkte<br />

untersucht. Zum einen die Frage nach <strong>de</strong>n Ermor<strong>de</strong>ten, zum an<strong>de</strong>ren die<br />

Behandlung <strong>de</strong>r sogenannten Ehrenhäftlinge 7 . Die wenigen bekannten<br />

Einzelheiten wur<strong>de</strong>n jedoch von <strong>de</strong>n Autoren nicht auf ihren Wahrheitsgehalt<br />

überprüft und meist verkürzt wie<strong>de</strong>rgegeben. Klaus Drobisch<br />

erwähnt Moserts gewaltsamen Tod nicht einmal. Statt <strong>de</strong>ssen behauptet er,<br />

sinnentstellend kürzend und ohne die Quelle zu geprüft zu haben, <strong>de</strong>r<br />

katholische Sport- und Jugendfunktionär Adalbert Probst sei im KZ<br />

Lichtenburg ermor<strong>de</strong>t wor<strong>de</strong>n. 8 Stefanie Endlich nennt dagegen Mosert<br />

und einen Mag<strong>de</strong>burger SA-Führer als weiteres Opfer, gibt jedoch keine<br />

6<br />

Vgl. Johannes Tuchel: Konzentrationslager. Organisationsgeschichte und Funktion <strong>de</strong>r<br />

„Inspektion <strong>de</strong>r Konzentrationslager“ 1934-1938 (= Schriften <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>sarchivs, Band<br />

39), Boppard 1991, S. 167, S. 176ff.; Klaus Drobisch: Konzentrationslager im Schloß<br />

Lichtenburg, Cottbus 1987, S. 31 sowie die überarbeitete Ausgabe, Wittenberg 1997, S.<br />

27f.; vgl. auch Klaus Drobisch, Günther Wieland: System <strong>de</strong>r NS-Konzentrationslager<br />

1933-1939, Berlin 1993, S. 188; Stefanie Endlich: Die Lichtenburg 1933-1939. Haftort<br />

politischer Prominenz und Frauen-KZ. In: Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hg.):<br />

Herrschaft und Gewalt. Frühe Konzentrationslager 1933-1939 (= Geschichte <strong>de</strong>r<br />

Konzentrationslager 1933-1945, Band 2), Berlin 2002, S. 11-64, hier S. 32. Rudolf<br />

Jordan, <strong>de</strong>r ehemalige Gauleiter <strong>de</strong>s Gaues Halle-Merseburg, legte 50 Jahre nach <strong>de</strong>m<br />

„Röhm-Putsch“ eine apologetische Schrift zum Thema vor. Auf die Ereignisse im Gau<br />

ging er allerdings nur äußerst knapp ein, das KZ Lichtenburg erwähnte er überhaupt<br />

nicht. Vgl. Rudolf Jordan: Der 30. J<strong>uni</strong> 1934. Die sogenannte „Röhm-Revolte“ und ihre<br />

Folgen aus <strong>de</strong>r Sicht eines Erlebniszeugen, Bremen 1984.<br />

7 Der Begriff „Ehrenhäftling“ ist ein zeitgenössischer Terminus. Er bezeichnet sowohl<br />

SA-Männer als auch konservative Kräfte, die im Zuge <strong>de</strong>s „Röhm-Putsches“ interniert<br />

wur<strong>de</strong>n.<br />

8 Vgl. Drobisch, Konzentrationslager (1997), S. 28.<br />

11


Quelle für ihre Behauptung an. 9 Im Fall <strong>de</strong>r „Ehrenhäftlinge“ wird nur<br />

angeführt, daß sie eine bessere Behandlung als die an<strong>de</strong>ren Häftlinge<br />

genossen hätten – eine Behauptung, die in dieser Bestimmtheit unkorrekt<br />

ist. Beispielsweise schreibt Drobisch, daß sich die „Ehrenhäftlinge“ aus<br />

„<strong>de</strong>m Führerkasino und einem Prettiner Gasthof selbst verpflegen“<br />

durften. 10 Mit dieser verknappten Darstellung erweckt er <strong>de</strong>n Eindruck, die<br />

Selbstverpflegung <strong>de</strong>r „Ehrenhäftlinge“ wäre Normalität gewesen. Die<br />

wahrscheinlich zugrun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong> Aussage ist aber komplexer: „Sie [die<br />

‚Ehrenhäftlinge‘ – D.S.] konnten sich sogar erstklassiges Mittagessen aus<br />

<strong>de</strong>m Gasthaus in Prettin kommen lassen, wenn sie das Geld dazu hatten!<br />

Manche hatten es aber nicht! Diese holten sich die ihnen zustehen<strong>de</strong><br />

Verpflegung aus <strong>de</strong>r Häftlingsküche.“ 11 Hier drängt sich <strong>de</strong>r Eindruck auf,<br />

daß Drobisch die Haft <strong>de</strong>r „Ehrenhäftlinge“ an sich bagatellisieren will.<br />

Ziel dieses Beitrages ist, die Verstrickung <strong>de</strong>s Konzentrationslagers<br />

Lichtenburg in <strong>de</strong>n „Röhm-Putsch“ korrekt darzustellen. Dazu sollen vier<br />

Fragen untersucht wer<strong>de</strong>n:<br />

1. Wieviel Personen wur<strong>de</strong>n nach <strong>de</strong>r „Röhm-Revolte“ in <strong>de</strong>r Lichtenburg<br />

interniert?<br />

2. Gab es Unterschie<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Behandlung <strong>de</strong>r Gefangenen?<br />

3. Wer wur<strong>de</strong> – außer Kurt Mosert – vom Wachpersonal <strong>de</strong>s Konzentrationslagers<br />

ermor<strong>de</strong>t?<br />

4. Was wußte und wie reagierte die Bevölkerung in <strong>de</strong>r Umgebung <strong>de</strong>s<br />

Konzentrationslagers?<br />

Zur Beantwortung stehen Quellen verschie<strong>de</strong>ner Provenienz <strong>zur</strong><br />

Verfügung. Da sich eine Mordaktion dieses Ausmaßes nur schwer<br />

verheimlichen ließ, ihre wesentlichen Opfer auch gar nicht verschwiegen<br />

wer<strong>de</strong>n sollten, existieren viele Zeugnisse. Es sind sowohl Listen mit <strong>de</strong>n<br />

Namen <strong>de</strong>r Mordopfer 12 als auch mit <strong>de</strong>n Namen <strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>m 30. J<strong>uni</strong> als<br />

Regimegegner verhafteten Personen 13 überliefert. Auch wenn nicht in<br />

je<strong>de</strong>m Fall genau bekannt ist, wer welche Aufstellungen für welchen Zweck<br />

anfertigen ließ und es einige Unstimmigkeiten in <strong>de</strong>n Details gibt, ist am<br />

Wahrheitsgehalt <strong>de</strong>r Aufzählungen nicht zu zweifeln. Da viele <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r<br />

Lichtenburg internierten SA-Männer überzeugte, gar fanatische Nationalsozialisten<br />

waren, empfan<strong>de</strong>n sie ihre Verhaftung als vollkommen unverständlich.<br />

Einige setzten nach ihrer Freilassung lange Berichte auf und<br />

9 Vgl. Endlich, Lichtenburg, S. 32. In <strong>de</strong>r von Endlich am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Abschnitts<br />

angeführten Quelle wer<strong>de</strong>n die Namen <strong>de</strong>r Mordopfer nicht erwähnt.<br />

10 Vgl. Drobisch/Wieland, System, S. 28.<br />

11 Archiv Ge<strong>de</strong>nkstätte Lichtenburg (im folgen<strong>de</strong>n: AGL), 831G, Erinnerungsbericht<br />

Walter Kramer, Bl. 224.<br />

12 Vgl. Bun<strong>de</strong>sarchiv Berlin (im folgen<strong>de</strong>n: BArch Berlin), NS 23, Nr. 475.<br />

13 Vgl. ebenda, Nr. 434; GStAPK, HA I, Rep. 90 P, Nr. 114, Geheime Staatspolizei,<br />

Alphabet. Verzeichnis <strong>de</strong>r bei <strong>de</strong>r Röhm-Revolte Festgenommenen 1934; ebenda, Nr.<br />

39/3, Geheime Staatspolizei, Politische Bewegungen, Parteien, Vereine (SA, SS, ST)<br />

1934-1936 (Beiheft 1), Bl. 273ff.<br />

12


schil<strong>de</strong>rten ihre Erlebnisse. Auch diese Darstellungen, zeitnah verfaßt,<br />

können als Quelle für <strong>de</strong>n Ablauf <strong>de</strong>s Geschehens im Konzentrationslager<br />

Lichtenburg genutzt wer<strong>de</strong>n. Zur Beurteilung <strong>de</strong>r Reaktion <strong>de</strong>r Bevölkerung<br />

stehen die monatlichen Lageberichte <strong>de</strong>r zuständigen Staatspolizeistellen<br />

<strong>zur</strong> Verfügung. Zu<strong>de</strong>m existieren noch Berichte <strong>de</strong>s Oberpräsi<strong>de</strong>nten<br />

<strong>de</strong>r Provinz Sachsen und <strong>de</strong>r provinzialsächsischen Regierungspräsi<strong>de</strong>nten.<br />

Die Lageberichte, die von 1933 bis 1936 erstellt wur<strong>de</strong>n, sind zwar nur<br />

lückenhaft überliefert, für diese Arbeit wichtige Rapporte aus <strong>de</strong>n Sommermonaten<br />

<strong>de</strong>s Jahres 1934 blieben aber fast vollständig erhalten. 14 Eine<br />

weitere Quelle sind die zeitgenössischen Tageszeitungen. Ihr Inhalt kann als<br />

offizieller Wissenstand <strong>de</strong>r Bevölkerung gelten. Zur Ergänzung dienen<br />

zu<strong>de</strong>m diverse Quellen mit personenbezogenen Angaben über die verschie<strong>de</strong>nen<br />

Opfer bzw. Opfergruppen. Eine kritische Abwägung <strong>de</strong>s Informationsgehaltes<br />

aller Quellen und die anschließen<strong>de</strong> Kombination <strong>de</strong>r als<br />

sicher bzw. wahrscheinlich erachteten Informationen ergibt ein relativ<br />

vielschichtiges Bild.<br />

II.<br />

Zur Vorgeschichte <strong>de</strong>s „Röhm-Putsches“<br />

Die Vorgeschichte und <strong>de</strong>r Ablauf <strong>de</strong>r Ereignisse rund um <strong>de</strong>n 30. J<strong>uni</strong><br />

1934 sind mittlerweile so häufig beschrieben und analysiert wor<strong>de</strong>n 15 , daß<br />

an dieser Stelle ein knapper Abriß <strong>de</strong>s Geschehens zum Verständnis als<br />

ausreichend erachtet wird.<br />

Die berüchtigten Sturmabteilungen, unter <strong>de</strong>m Kürzel SA bekannt<br />

gewor<strong>de</strong>n, waren die politische Armee <strong>de</strong>r NSDAP. Im Jahr 1921 gegrün-<br />

14<br />

Vgl. Manfred Müller: Zustimmung und Ablehnung, Partizipation und Resistenz. Die<br />

preußische Provinz Sachsen im Spiegel geheimer Gestapo- und Regierungsberichte<br />

1933-1936. Untersuchungen zu Lage, Stimmung, Einstellung und Verhalten <strong>de</strong>r<br />

Bevölkerung (= Europäische Hochschulschriften, Reihe III, Geschichte und ihre<br />

Hilfswissenschaften, Band 886), Frankfurt/Main 2000; Hermann-J. Rupieper, Alexan<strong>de</strong>r<br />

Sperk (Hg.): Die Lageberichte <strong>de</strong>r Geheimen Staatspolizei <strong>zur</strong> Provinz Sachsen 1933-<br />

1936, Band 1, Regierungsbezirk Mag<strong>de</strong>burg, Halle 2003; Dies.: Die Lageberichte <strong>de</strong>r<br />

Geheimen Staatspolizei <strong>zur</strong> Provinz Sachsen 1933-1936, Band 2, Regierungsbezirk<br />

Merseburg, Halle 2004.<br />

15 Vgl. Karl Dietrich Bracher, Wolfgang Sauer, Gerhard Schulz: Die<br />

nationalsozialistische Machtergreifung. Studien <strong>zur</strong> Errichtung <strong>de</strong>s totalitären<br />

Herrschaftssystems in Deutschland 1933/34 (= Schriften <strong>de</strong>s Instituts für Politische<br />

Wissenschaft, Band 14), Köln/Opla<strong>de</strong>n 1960; Immo von Fallois: Kalkül und Illusion.<br />

Der Machtkampf zwischen Reichswehr und SA während <strong>de</strong>r Röhm-Krise 1934 (=<br />

Beiträge <strong>zur</strong> Politischen Wissenschaft, Band 75), Berlin 1994; Heinz Höhne: Der Or<strong>de</strong>n<br />

unter <strong>de</strong>m Totenkopf. Die Geschichte <strong>de</strong>r SS, Bindlach 1989; Ders.: Mordsache Röhm.<br />

Hitlers Durchbruch <strong>zur</strong> Alleinherrschaft 1933-1934, Reinbek 1984; Peter Longerich:<br />

Die braunen Bataillone. Geschichte <strong>de</strong>r SA, Augsburg 1999; Klaus-Jürgen Müller:<br />

Armee und Drittes Reich 1933-1939 (= Sammlung Schöningh <strong>zur</strong> Geschichte und<br />

Gegenwart), 2. Aufl., Pa<strong>de</strong>rborn 1989.<br />

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<strong>de</strong>t, entwickelte sich die SA im folgen<strong>de</strong>n Jahrzehnt zu einer Massenorganisation.<br />

Oberster SA-Führer war seit 1930 Adolf Hitler. Nach <strong>de</strong>r nationalsozialistischen<br />

Machtergreifung und <strong>de</strong>r Gleichschaltung, das heißt <strong>de</strong>r<br />

Fusionierung mit vaterländischen und Wehrverbän<strong>de</strong>n, zählte die SA<br />

schließlich 4,5 Millionen Mitglie<strong>de</strong>r. Stabschef <strong>de</strong>r SA, damit nach Hitler<br />

<strong>de</strong>r wichtigste Mann und eigentlicher Befehlshaber, war seit Herbst 1930<br />

<strong>de</strong>r Reichswehrhauptmann a.D. Ernst Röhm. Er for<strong>de</strong>rte für sich und seine<br />

SA nach <strong>de</strong>m 30. Januar 1933 Einfluß und Ämter.<br />

Die <strong>de</strong>r nationalsozialistischen Machtergreifung folgen<strong>de</strong>n Terrormaßnahmen<br />

brachten ungefähr 25.000 SA-Männern einen Posten als Hilfspolizist<br />

o<strong>de</strong>r KZ-Bewacher. Bis zum Herbst 1933 konnte sich das Gewaltpotential<br />

<strong>de</strong>r SA auf diese Weise quasi legal abreagieren. Dann wur<strong>de</strong>n die<br />

SA-Hilfspolizisten entlassen und die Konzentrationslager schrittweise <strong>de</strong>r<br />

SS unterstellt. Ein neues Ventil fand die Aggressivität <strong>de</strong>r SA in <strong>de</strong>r<br />

For<strong>de</strong>rung nach einer „Zweiten Revolution“. Da viele SA-Männer im Jahr<br />

nach <strong>de</strong>r Machtergreifung immer noch arbeitslos und auf Unterstützung<br />

angewiesen waren, gewann die Revolutionsrhetorik eine sozialpolitische<br />

Dimension, die Hitlers konservative Unterstützer aufschreckte. Zu<strong>de</strong>m<br />

geriet <strong>de</strong>r Stabschef <strong>de</strong>r SA mit <strong>de</strong>r Reichswehrgeneralität in einen<br />

Interessenkonflikt. Röhms Ziel war, aus <strong>de</strong>r SA ein Milizheer zu formen<br />

und die Reichswehr auf militärische Ausbildungsfunktionen zu beschränken.<br />

Die Generalität wie<strong>de</strong>rum sah in <strong>de</strong>r Reichswehr <strong>de</strong>n einzigen<br />

Waffenträger <strong>de</strong>r Nation. Die For<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s SA-Stabschefs waren<br />

<strong>de</strong>shalb für die Militärs nicht akzeptabel. Röhm zerstritt sich aber auch mit<br />

<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Machtgruppierungen in Staat und Partei, so daß viele<br />

Personen ein Interesse an seinem Scheitern und am Untergang <strong>de</strong>r SA<br />

hatten. Zu <strong>de</strong>n Fein<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Stabschef <strong>de</strong>r SA gehörten auch <strong>de</strong>r preußische<br />

Ministerpräsi<strong>de</strong>nt und Reichsminister, Hermann Göring, <strong>de</strong>r Reichsführer-<br />

SS und Chef <strong>de</strong>r politischen Polizei, Heinrich Himmler, sowie <strong>de</strong>r Chef <strong>de</strong>s<br />

Sicherheitsdienstes (SD) <strong>de</strong>r SS, Reinhard Heydrich. Göring sah sich als<br />

preußischer Ministerpräsi<strong>de</strong>nt durch Röhms Son<strong>de</strong>rbeauftragte bei <strong>de</strong>n<br />

preußischen Behör<strong>de</strong>n in seiner Macht bedroht. Himmler, zu diesem<br />

Zeitpunkt als Reichsführer-SS noch <strong>de</strong>r SA unterstellt, gedachte sich aus<br />

dieser Abhängigkeit zu lösen und ging <strong>de</strong>swegen eine Allianz mit Göring<br />

ein. Heydrich als Chef <strong>de</strong>s SD verhan<strong>de</strong>lte dagegen mit <strong>de</strong>r Reichswehr.<br />

Sein Ansprechpartner war Generalmajor Walter v. Reichenau, <strong>de</strong>r das<br />

Ministeramt im Reichswehrministerium leitete. Auch bei vielen Parteigran<strong>de</strong>n<br />

war Röhm wenig angesehen, boten doch seine Homosexualität<br />

und die Cliquenwirtschaft <strong>de</strong>r SA genügend Anlaß <strong>zur</strong> Kritik.<br />

Röhms Fein<strong>de</strong> begannen zögerlich mit <strong>de</strong>r Kontaktaufnahme und<br />

Interessenabstimmung. Sie unterstellten <strong>de</strong>m Stabschef und seiner SA die<br />

Planung eines Staatsstreiches und sammelten vorgeblich und tatsächlich<br />

belasten<strong>de</strong>s Material. Parallel dazu legten Parteikreise, Gestapo und SS<br />

„schwarze Listen“ mit <strong>de</strong>n Namen von To<strong>de</strong>skandidaten an. Je weiter die<br />

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Absprachen gediehen, <strong>de</strong>sto mehr drängte alles in Richtung auf eine<br />

gewaltsame Lösung <strong>de</strong>s Konflikts. Der entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Anstoß kam jedoch<br />

nicht von <strong>de</strong>r SA, son<strong>de</strong>rn aus <strong>de</strong>r Gruppe konservativer Regimekritiker<br />

um Vizekanzler Franz v. Papen. Der stellvertreten<strong>de</strong> Regierungschef hatte<br />

am 17. J<strong>uni</strong> 1934 an <strong>de</strong>r Universität Marburg eine Re<strong>de</strong> gehalten, in <strong>de</strong>r er<br />

teilweise harsche Kritik am NS-Regime geübt hatte. Damit war eine<br />

Situation gegeben, die es Hitler ermöglichte, mit <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rschlagung eines<br />

„Putsches“ auch an<strong>de</strong>re innenpolitische Schwierigkeiten aus<strong>zur</strong>äumen.<br />

Zeitgleich mit <strong>de</strong>r Entmachtung <strong>de</strong>r SA wur<strong>de</strong>n auch die Kritiker um v.<br />

Papen ausgeschaltet, womit zwei Probleme zugleich gelöst waren.<br />

Hitler befahl Ernst Röhm, eine SA-Führerbesprechung zum 30. J<strong>uni</strong><br />

1934 10.00 Uhr im bayerischen Bad Wiessee einzuberufen. Früh am<br />

Morgen erschien Hitler persönlich am Tagungsort. Er ließ die dort<br />

versammelten SA-Führer aus <strong>de</strong>n Betten holen, verhaften und nach<br />

München überstellen. An<strong>de</strong>re wur<strong>de</strong>n bei ihrer Ankunft auf <strong>de</strong>m Münchener<br />

Hauptbahnhof abgefangen. Die Verhafteten kamen in das Konzentrationslager<br />

Dachau o<strong>de</strong>r in das Gefängnis München-Sta<strong>de</strong>lheim und<br />

wur<strong>de</strong>n von SS-Männern sofort erschossen. Ernst Röhm, ebenfalls in<br />

Sta<strong>de</strong>lheim eingeliefert, starb am Abend <strong>de</strong>s 1. Juli auf Befehl Hitlers. Ohne<br />

Zögern erledigte Theodor Eicke, <strong>de</strong>r mittlerweile zum Inspekteur <strong>de</strong>r<br />

Konzentrationslager ernannte Kommandant <strong>de</strong>s KZ Dachau, gemeinsam<br />

mit seinem Adlatus, Michael Lippert, <strong>de</strong>n Mordauftrag. Die Verhaftungen<br />

in Bayern lösten eine vorbereitete Aktion im gesamten Deutschen Reich<br />

aus, die rasch <strong>de</strong>n vorgegebenen Rahmen sprengte und mehr als Hun<strong>de</strong>rt<br />

Opfer for<strong>de</strong>rte. Eine amtliche To<strong>de</strong>sliste enthält 83 Namen, darunter fast<br />

die gesamte SA-Prominenz und viele konservative Gegner. 16 Nirgends<br />

vermerkt wur<strong>de</strong>n die Opfer selbstherrlicher Entscheidungen, so wie Kurt<br />

Mosert. Per Gesetz wur<strong>de</strong> das Massaker nachträglich sanktioniert. Am 3.<br />

Juli 1934 erließ das Kabinett das „Gesetz über Maßnahmen <strong>de</strong>r<br />

Staatsnotwehr“. Es bestand aus einem einzigen Artikel: „Die <strong>zur</strong> Nie<strong>de</strong>rschlagung<br />

hoch- und lan<strong>de</strong>sverräterischer Angriffe am 30. J<strong>uni</strong>, 1. und 2.<br />

Juli 1934 vollzogenen Maßnahmen sind als Staatsnotwehr rechtens.“ 17<br />

III.<br />

SA-Häftlinge im KZ Lichtenburg<br />

Am 22. September 1934, gera<strong>de</strong> aus <strong>de</strong>r KZ-Haft entlassen, notierte<br />

Hermann Berchtold: „Viele Sittlichkeits- und Schwerverbrecher von über<br />

30 Jahren Gefängniszeit haben mir dort versichert, daß sie eine<br />

Gefängnisstrafe von zwei Jahren einer Dunkelhaft von einundvierzig<br />

Tagen, unter <strong>de</strong>n Bedingungen, wie sie mir diktiert waren, vorziehen<br />

16 Vgl. BArch Berlin, NS 23, Nr. 475.<br />

17 RGBl., 1934 I, S. 529.<br />

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wür<strong>de</strong>n.“ 18 Berchtold, aus <strong>de</strong>ssen Bemerkung durchaus Stolz herauszulesen<br />

ist, daß ihm am eigenen Leib erfahrene schlimme Haftbedingungen die<br />

Achtung von Kriminellen eintrug, war zumin<strong>de</strong>st in Süd<strong>de</strong>utschland kein<br />

Unbekannter. Als SA-Obergruppenführer repräsentierte er in Württemberg<br />

<strong>de</strong>n NS-Staat an hervorgehobener Stelle. Mit Sicherheit hätte er Wochen<br />

zuvor auf die Anerkennung dieser Kriminellen verzichtet, sie womöglich in<br />

ein Konzentrationslager sperren lassen. Nun war Berchtold selbst „dort“<br />

gewesen – in einem KZ, und zwar in <strong>de</strong>r Lichtenburg.<br />

Parallel <strong>zur</strong> Entmachtung und Ermordung Röhms hatte reichsweit eine<br />

große Verhaftungswelle eingesetzt. Da die Dominanz <strong>de</strong>r SA generell<br />

gebrochen wer<strong>de</strong>n sollte, waren diesmal nicht ehemalige Funktionäre <strong>de</strong>r<br />

Arbeiterparteien und Gewerkschaften die Opfer, son<strong>de</strong>rn regimetreue SA-<br />

Männer. Eine Zusammenstellung <strong>de</strong>r Geheimen Staatspolizei nennt die<br />

Namen von 1124 Personen, die in <strong>de</strong>r Zeit vom 30. J<strong>uni</strong> bis zum 2. Juli<br />

1934 im gesamten Deutschen Reich verhaftet wor<strong>de</strong>n waren. 19 Daß<br />

manche Internierungen vollkommen willkürlich erfolgten, belegt die Aussage<br />

eines Betroffenen: „Ein Haftbefehl lag nur gegen 3 Kamera<strong>de</strong>n aus<br />

<strong>de</strong>m Amt vor, die übrigen Kamera<strong>de</strong>n hatten sich in Unkenntnis <strong>de</strong>r<br />

Sachlage <strong>zur</strong> Verfügung gestellt.“ 20<br />

Die verhafteten „Putschisten“ kamen zumeist in Polizeigefängnisse. In<br />

Berlin, neben München das Zentrum <strong>de</strong>s „Röhm-Putsches“, wur<strong>de</strong>n sie<br />

vor allem in die Gestapo-Zentrale in <strong>de</strong>r Prinz-Albrecht-Straße eingeliefert.<br />

Da das Hausgefängnis schnell überfüllt war, nahm das KZ Columbia im<br />

Stadtteil Tempelhof viele Verhaftete auf. Aber auch das Columbia-Haus<br />

war auf Zugänge nicht eingestellt. Es verfügte über 156 Einzelzellen, die im<br />

Durchschnitt mit 450 Gefangenen belegt waren. 21 Nun kamen weitere 239<br />

Häftlinge hinzu. 22 War zuvor eine Zelle mit circa drei Personen belegt,<br />

drängten sich nun min<strong>de</strong>stens vier Häftlinge auf wenigen Quadratmetern.<br />

Um das überfüllte Columbia-Haus zu entlasten, wur<strong>de</strong>n am Mittwoch,<br />

<strong>de</strong>n 4. Juli 1934 viele Häftlinge zum Konzentrationslager Lichtenburg<br />

überführt. Die genaue Zahl <strong>de</strong>r Verlegten ist allerdings nicht bekannt. Ein<br />

undatiertes, von <strong>de</strong>r Gestapo erstelltes „Alphabet. Verzeichnis <strong>de</strong>r bei <strong>de</strong>r<br />

Röhm-Revolte Festgenommenen“ 23 gibt an, daß von <strong>de</strong>n 1.124 Verhafteten<br />

1.045 bereits entlassen waren, 79 Männer befan<strong>de</strong>n sich noch in Haft. Von<br />

ihnen waren 51 in <strong>de</strong>r Lichtenburg inhaftiert. Eine weitere Liste vom 4.<br />

August nennt die Namen von 17 Personen, die an diesem Tag dort noch<br />

18 BArch Berlin, NS 20, Nr. 130 n. fol., Bericht vom 22.9.1934.<br />

19 Vgl. GStAPK, HA I, Rep. 90 P, Nr. 114.<br />

20 Bun<strong>de</strong>sarchiv, Zentrale Stelle <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>sjustizverwaltungen Ludwigsburg (im<br />

folgen<strong>de</strong>n: BArch/ZSL), IV 429 AR-Z 134/73, Bl. 349.<br />

21 Vgl. Kurt Schil<strong>de</strong>, Johannes Tuchel: Columbia-Haus. Berliner Konzentrationslager<br />

1933-1936 (= Reihe <strong>de</strong>utsche Vergangenheit, Band 43), Berlin 1990, S. 26.<br />

22 Vgl. ebenda, S. 35.<br />

23 GStAPK, HA I, Rep. 90 P, Nr. 114, Geheime Staatspolizei, Alphabet. Verzeichnis <strong>de</strong>r<br />

bei <strong>de</strong>r Röhm-Revolte Festgenommenen 1934.<br />

16


festgehalten wur<strong>de</strong>n. 24 Neun Namen sind in <strong>de</strong>r ersten Aufstellung nicht<br />

genannt. Das heißt, daß zwischen 4. Juli und 3. August weitere Gefangene<br />

aufgenommen wur<strong>de</strong>n. Ein im Konzentrationslager beschäftigter Einwohner<br />

Prettins meinte, daß 73 SA-Führer eingeliefert wor<strong>de</strong>n wären 25 , und<br />

ein SA-Häftling gab zu Protokoll, daß er gemeinsam mit 60 Männern aus<br />

<strong>de</strong>m Columbia-Haus nach Prettin überstellt wor<strong>de</strong>n war. 26<br />

Am Morgen <strong>de</strong>s 5. Juli 1934 kamen die verhafteten SA-Männer in Prettin<br />

an. Auf <strong>de</strong>m Schloßhof wur<strong>de</strong>n sie von Theodor Eicke, <strong>de</strong>m Inspekteur<br />

<strong>de</strong>r Konzentrationslager und <strong>de</strong>ssen Adjutanten, Hans Weibrecht, sowie<br />

<strong>de</strong>m Lagerkommandanten, Bernhard Schmidt, und <strong>de</strong>m Führer <strong>de</strong>r Wachtruppe,<br />

Edgar Entsberger, in Empfang genommen. Entsberger brüllte die<br />

Häftlinge in zusammenhanglosen, aber so martialischen Sätzen an, daß<br />

diese mit <strong>de</strong>m Schlimmsten rechneten. Sie wur<strong>de</strong>n auch geschlagen. Im<br />

Vergleich <strong>zur</strong> „Begrüßungszeremonie“ bei politischen und kriminellen<br />

Häftlingen verlief die Aufnahme <strong>de</strong>r SA-Männer im KZ aber vergleichsweise<br />

harmlos. Von Prügelorgien und an<strong>de</strong>ren Exzessen ist nichts bekannt.<br />

So heterogen die Zusammensetzung <strong>de</strong>r SA-Häftlinge war, so unterschiedlich<br />

war <strong>de</strong>ren Behandlung. Lediglich das Aufnahmeproce<strong>de</strong>re war<br />

anscheinend für alle i<strong>de</strong>ntisch. Nach ihrer Ankunft wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>n SA-Häftlingen<br />

die Lagerordnung verkün<strong>de</strong>t. Danach wur<strong>de</strong>n sie in zwei Gruppen<br />

geteilt. Die Führerdienstgra<strong>de</strong>, das heißt alle Männer vom SA-Sturmführer<br />

an aufwärts, wur<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>n Männern mit nie<strong>de</strong>ren Dienstgra<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r<br />

ohne SA-Mitgliedschaft abgeson<strong>de</strong>rt. Wieviel Personen <strong>de</strong>n einzelnen<br />

Gruppen angehörten, läßt sich nicht rekonstruieren, da in <strong>de</strong>n Verhaftungslisten<br />

keine Dienstgra<strong>de</strong> angegeben sind. Nach einigen Tagen,<br />

möglicherweise aufgrund von Entlassungen, wur<strong>de</strong> die Teilung wie<strong>de</strong>r<br />

aufgehoben.<br />

Der Bericht eines namentlich nicht bekannten SA-Obertruppführers –<br />

also eines nie<strong>de</strong>ren Dienstgra<strong>de</strong>s – schil<strong>de</strong>rt anschaulich das weitere<br />

Geschehen nach <strong>de</strong>m Eintreffen. Der SA-Mann gab an, daß er und seine<br />

Mitgefangenen in einen großen Saal geführt wur<strong>de</strong>n. Sie mußten sich<br />

entklei<strong>de</strong>n und sämtliche Wertsachen abliefern. Anschließend wur<strong>de</strong>n<br />

ihnen Haare und Bart geschoren. Diese Aufgabe erledigte ein<br />

„Berufsverbrecher“, was <strong>de</strong>r Berichterstatter als beson<strong>de</strong>rs ehrabschnei<strong>de</strong>nd<br />

empfand. Dann erhielten alle Sträflingskleidung und wur<strong>de</strong>n in<br />

Gruppen zu je acht Mann auf Zellen gelegt. Die Zellen waren mit einer<br />

Pritsche und einer Bank, auf <strong>de</strong>r drei Personen Platz fan<strong>de</strong>n, ausgestattet.<br />

Die SA-Häftlinge wur<strong>de</strong>n auch zu leichteren Arbeiten herangezogen. Sie<br />

mußten Strohsäcke stopfen, ihre Zelle, aber auch die Latrinen reinigen.<br />

Ansonsten verbrachten sie, wie <strong>de</strong>r Zeuge berichtete, <strong>de</strong>n ganzen Tag mit<br />

24 Vgl. ebenda, Nr. 39/3, Geheime Staatspolizei, Politische Bewegungen, Parteien,<br />

Vereine (SA, SS, ST) 1934-1936 (Beiheft 1), Bl. 273ff.<br />

25 Vgl. ebenda, Bl. 233, Anlage 1.<br />

26 Vgl. BArch/ZSL, IV 429 AR-Z 134/73, Bl. 351.<br />

17


Nichtstun und Warten auf eventuelle Vernehmungen. Seit <strong>de</strong>m fünften Tag<br />

ihres Aufenthaltes im Konzentrationslager, <strong>de</strong>n 9. Juli 1934, konnten die<br />

SA-Häftlinge in <strong>de</strong>r Kantine zusätzlich Lebensmittel erwerben. 27<br />

Abgesehen von <strong>de</strong>n Schikanen bei <strong>de</strong>r Begrüßung und Schlägen, sofern<br />

sich ein Häftling partout nicht in sein Schicksal fügen wollte, scheint es nur<br />

sporadisch zu Gewaltanwendungen gekommen zu sein. Dem berichten<strong>de</strong>n<br />

SA-Obertruppführer ist nur ein Fall bekannt gewor<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>m ein Häftling<br />

mit Prügelstrafe und 14 Tagen Bunker bestraft wur<strong>de</strong>. 28<br />

Zu <strong>de</strong>n „Ehrenhäftlingen“ zählten sowohl die SA-Männer als auch die<br />

konservativen Kräfte aus <strong>de</strong>m Umfeld <strong>de</strong>s Vizekanzlers Franz v. Papen.<br />

Gleich drei seiner Mitarbeiter, Fritz Günther v. Tschirschky, Friedrich Karl<br />

v. Savigny und Walter Hummelsheim, waren in die Lichtenburg gebracht<br />

wor<strong>de</strong>n. 29 Prominentester „Ehrenhäftling“ war zweifellos Karl Léon Graf<br />

Du Moulin Eckart auf Bertholdsheim. Du Moulin Eckart, am 11. Januar<br />

1900 geboren, hatte an <strong>de</strong>n Universitäten München und Erlangen Rechts-,<br />

Staats- und Forstwissenschaften studiert. Im Jahr 1929 wur<strong>de</strong> er mit einer<br />

Arbeit über Spionage und ihre Behandlung im Straf- und im Völkerrecht<br />

zum Dr. iur. utr. promoviert. 30 Möglicherweise gab das Thema seiner<br />

Dissertation <strong>de</strong>n Ausschlag, daß er nach Röhms Ernennung zum SA-<br />

Stabschef mit <strong>de</strong>m Aufbau und <strong>de</strong>r Leitung eines SA-eigenen Nachrichtendienstes<br />

beauftragt wur<strong>de</strong>. Jedoch war er mit seiner Arbeit nur wenig<br />

erfolgreich und wur<strong>de</strong> schon bald abgelöst. Reinhard Heydrich und sein<br />

ungleich erfolgreicherer SS-Nachrichtendienst drängten Du Moulin Eckart<br />

vollkommen ins politische Abseits. 31 Trotz<strong>de</strong>m stellte er in <strong>de</strong>n Augen <strong>de</strong>r<br />

SS und <strong>de</strong>s Sicherheitsdienstes offenbar eine Gefahr dar. So wur<strong>de</strong> selbst in<br />

<strong>de</strong>r nationalsozialistischen Führungsriege angenommen, er sei liquidiert<br />

wor<strong>de</strong>n. Alfred Rosenberg, <strong>de</strong>r Chefi<strong>de</strong>ologe <strong>de</strong>r NSDAP, notierte in<br />

seinem Tagebuch, daß unter <strong>de</strong>n in München ermor<strong>de</strong>ten SA-Führern auch<br />

Du Moulin Eckart gewesen wäre. 32 Ein Gestapo-Mitarbeiter vermerkte in<br />

27 Vgl. ebenda, Bl. 349ff.<br />

28 Vgl. ebenda, Bl. 357.<br />

29 Vgl. Franz von Papen: Der Wahrheit eine Gasse, München 1952, S. 354; Fritz<br />

Günther von Tschirschky: Erinnerungen eines Hochverräters, Stuttgart 1972, S. 196.<br />

30 Vgl. Karl Léon Graf Du Moulin Eckart: Die Spionage und ihre Behandlung nach<br />

Völkerrecht und Reichs-Strafrecht unter beson<strong>de</strong>rer Berücksichtigung <strong>de</strong>s Entwurfes zu<br />

einem Allgemeinen <strong>de</strong>utschen Strafgesetzbuch von 1927, Coburg 1928.<br />

31 Vgl. Shlomo Aronson: Reinhard Heydrich und die Frühgeschichte von Gestapo und<br />

SD (= Studien <strong>zur</strong> <strong>Zeitgeschichte</strong>, herausgegeben vom Institut für <strong>Zeitgeschichte</strong>),<br />

Stuttgart 1971, S. 44, S. 193.<br />

32 Vgl. Hans Günther Seraphim: Das politische Tagebuch Alfred Rosenbergs aus <strong>de</strong>n<br />

Jahren 1934/35 und 1939/40, Göttingen 1956, S. 35. Zum angeblich homosexuellen<br />

Hintergrund, <strong>de</strong>r <strong>zur</strong> Verhaftung führte vgl. Lothar Machtan: Hitlers Geheimnis. Das<br />

Doppelleben eines Diktators, Frankfurt/Main 2003, S. 211ff., S. 247.<br />

18


<strong>de</strong>r Auflistung <strong>de</strong>r inhaftierten SA-Männer hinter <strong>de</strong>ssen Namen: „nicht<br />

<strong>zur</strong> Entlassung geeignet“ 33 .<br />

Die „Ehrenhäftlinge“ genossen bald Privilegien und wur<strong>de</strong>n von<br />

an<strong>de</strong>ren Häftlingen versorgt. Walter Kramer, wegen seiner Tätigkeit für die<br />

Schwarze Front 34 in <strong>de</strong>r Lichtenburg interniert, erinnerte sich nach <strong>de</strong>m<br />

Krieg: „[A]m Morgen <strong>de</strong>s 4. August kam <strong>de</strong>r Kompanieführer, SS-Scharführer<br />

Reinicke, in meine Zelle; ich durfte ‚rühren‘, und er erklärte mir sehr<br />

ruhig die Situation auf <strong>de</strong>r Belegschaft: außer uns wären auf <strong>de</strong>r Etage<br />

einige ‚hohe Tiere‘ inhaftiert, – ‚Ehrenhäftlinge‘. Sie wür<strong>de</strong>n keine Ordnung<br />

halten und könnten das anscheinend auch nicht. Es wür<strong>de</strong>n schlimme<br />

Zustän<strong>de</strong> herrschen. […] Zwar hätte er <strong>de</strong>n Auftrag, uns streng voneinan<strong>de</strong>r<br />

isoliert in Einzelhaft zu halten, er wür<strong>de</strong> uns aber aus unseren Zellen<br />

herauslassen, damit wir gründlich aufräumten und Ordnung schafften…“ 35<br />

Außer<strong>de</strong>m blieben die Zellen <strong>de</strong>r „Ehrenhäftlinge“ während <strong>de</strong>s Tages<br />

unverschlossen. Ein weiteres Privileg war, daß sie am Tage je<strong>de</strong>rzeit <strong>zur</strong><br />

Latrine gehen konnten. Sie mußten sich zuvor nur auf <strong>de</strong>r Wachstube<br />

mel<strong>de</strong>n, dann ging einer <strong>de</strong>r SS-Männer mit. 36<br />

Beson<strong>de</strong>rs prominente „Ehrenhäftlinge“, wie Du Moulin Eckart und<br />

Werner v. Alvensleben, ein Hitler-Vertrauter aus frühen Tagen, erhielten<br />

Einzelzellen. In <strong>de</strong>n ersten Tagen in <strong>de</strong>r Lichtenburg wur<strong>de</strong>n möglicherweise<br />

auch sie zu leichteren Arbeiten herangezogen. Von <strong>de</strong>n „Ehrenhäftlingen“<br />

erinnerte sich nur <strong>de</strong>r Papen-Mitarbeiter, Fritz Günther v.<br />

Tschirschky, an schwere körperliche Arbeit bei un<strong>zur</strong>eichen<strong>de</strong>r Ernährung.<br />

37 Der Gehalt seiner Erinnerung ist zumin<strong>de</strong>st fragwürdig, weil er<br />

bereits am 6. Juli 1934, nach zwei Tagen Haft in <strong>de</strong>r Lichtenburg, wie<strong>de</strong>r<br />

entlassen wur<strong>de</strong>.<br />

Das Schicksal <strong>de</strong>s oben zitierten Obergruppenführers Hermann<br />

Berchtold weicht <strong>de</strong>utlich vom Los <strong>de</strong>r übrigen „Ehrenhäftlinge“ ab. Am 2.<br />

Juli 1934 in Crailsheim verhaftet, wur<strong>de</strong> er zunächst ins<br />

Konzentrationslager Dachau überstellt. Von dort brachten ihn zwei SS-<br />

Bewacher am folgen<strong>de</strong>n Tag mit einem Flugzeug nach Berlin. In Berlin<br />

angekommen wur<strong>de</strong> er <strong>de</strong>m gera<strong>de</strong> abgehen<strong>de</strong>n Transport zum KZ<br />

Lichtenburg zugeteilt. Im Gegensatz zu <strong>de</strong>n Schil<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s unbe-<br />

33 GStAPK, HA I, Rep. 90 P, Nr. 114, Geheime Staatspolizei, Alphabet. Verzeichnis <strong>de</strong>r<br />

bei <strong>de</strong>r Röhm-Revolte Festgenommenen 1934. Du Moulin Eckart wur<strong>de</strong> erst im Jahr<br />

1936 im KZ Dachau aus <strong>de</strong>r Haft entlassen. Vgl. Aronson, Reinhard Heydrich, S. 301.<br />

34 Die Schwarze Front war ein loser Zusammenschluß politischer Splittergruppen<br />

nationalrevolutionärer Gesinnung. Zu ihr zählte die „Kampfgemeinschaft revolutionärer<br />

Nationalsozialisten“, die von Otto Strasser (NSDAP-Mitglied 1925-1930) gegrün<strong>de</strong>t<br />

wor<strong>de</strong>n war. Der Einfluß <strong>de</strong>r Schwarzen Front, die vor allem Anfang <strong>de</strong>r 30er Jahre<br />

aktiv war, blieb allerdings marginal. Die Gestapo widmete <strong>de</strong>n Aktivitäten <strong>de</strong>r<br />

Schwarzen Front jedoch stets einen eigenen Abschnitt <strong>de</strong>n monatlichen Lageberichten.<br />

35 AGL, 831G, Erinnerungsbericht Walter Kramer, Bl. 220.<br />

36 Vgl. ebenda, Bl. 224.<br />

37 Vgl. Tschirschky, Erinnerungen, S. 196.<br />

19


kannten SA-Obertruppführers konnte sich Berchtold an keine aggressive<br />

Begrüßungsansprache durch die versammelte Lagerführung erinnern. Es<br />

scheint, daß er sofort von <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Häftlingen separiert und in <strong>de</strong>n<br />

Zellenbau gebracht wur<strong>de</strong>. Dort blieb er für 41 Tage in Dunkelhaft<br />

gesperrt. Berchtold war <strong>de</strong>r einzige „Ehrenhäftling“, <strong>de</strong>r solche Behandlung<br />

erfuhr. Nach <strong>de</strong>m En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Dunkelhaft kam er <strong>zur</strong> 4. Kompanie, in <strong>de</strong>r<br />

sich auch die an<strong>de</strong>ren SA-Häftlinge befan<strong>de</strong>n. 38 Zwei Wochen darauf<br />

wur<strong>de</strong> er mit an<strong>de</strong>ren SA-Führern wie<strong>de</strong>r <strong>zur</strong>ück ins Columbia-Haus nach<br />

Berlin verlegt. Eine Erklärung, weshalb <strong>de</strong>r SA-Obergruppenführer sechs<br />

Wochen isoliert in Haft gehalten wur<strong>de</strong>, ist in <strong>de</strong>n Akten nicht überliefert.<br />

Eine Vernehmung fand im Konzentrationslager Lichtenburg nicht statt.<br />

Die Verhöre in Berlin drehten sich, Berchtolds eigenen Angaben zufolge,<br />

eher um Einzelheiten aus seinem Dienstalltag. 39<br />

Auf <strong>de</strong>r undatierten Gestapoaufstellung ist hinter 36 von 51 Namen<br />

vermerkt, daß die betreffen<strong>de</strong> Person im Zeitraum vom 2. Juli bis zum 11.<br />

August 1934 entlassen wur<strong>de</strong>. Zwei Häftlinge waren <strong>zur</strong> Entlassung<br />

vorgeschlagen. Dreizehnmal vermerkte ein Gestapomitarbeiter „eignet sich<br />

keinesfalls <strong>zur</strong> Entlassung“, unter an<strong>de</strong>rem bei Berchtold, Du Moulin<br />

Eckart und v. Alvensleben. 40<br />

IV.<br />

Die Ermordung <strong>de</strong>s SA-Obersturmbannführers Mosert<br />

Die zentral angeordnete und geplante Internierung von SA-Männern und<br />

konservativen Kräften im Konzentrationslager Lichtenburg ist vom<br />

eigenständigen Vorgehen regionaler Stellen gegen SA-Führer zu<br />

unterschei<strong>de</strong>n. Aus diesem Grund kann <strong>de</strong>r SA-Obersturmbannführer Kurt<br />

Mosert, obwohl er ungefähr einen Tag in <strong>de</strong>r Lichtenburg interniert war,<br />

nicht <strong>de</strong>n „Ehrenhäftlingen“ zugerechnet wer<strong>de</strong>n. Daß überhaupt Einzelheiten<br />

um Moserts Tod überliefert sind, verdankt sich <strong>de</strong>r Hartnäckigkeit<br />

seiner Eltern. Insbeson<strong>de</strong>re sein Vater wandte sich permanent mit „Hilferufen“<br />

an staatliche und Parteistellen. Ungeachtet <strong>de</strong>r braunen Phraseologie<br />

geben diese Eingaben einen <strong>de</strong>taillierten Überblick über <strong>de</strong>n Ablauf <strong>de</strong>s<br />

38 Walter Kramer erinnerte sich: „Etwa 8 Tage danach [nach <strong>de</strong>r Einteilung Kramers zu<br />

Reinigungsarbeiten im Aufenthaltsbereich <strong>de</strong>r ‚Ehrenhäftlinge‘ – D.S.] wur<strong>de</strong> er aus<br />

<strong>de</strong>m Bunker heraufgeholt; er hatte <strong>de</strong>mnach etwa 40 Tage dort gesessen und zwar in<br />

Dunkelhaft. Ich scheuerte die Treppe und er mußte an mir vorüber. Leichenblaß und<br />

ein wenig schwankend stieg er die Stufen hinauf.“ AGL, 831G, Erinnerungsbericht<br />

Walter Kramer, Bl. 229.<br />

39 Berchtold wur<strong>de</strong> u.a. gefragt, warum die SA einen Staatskredit <strong>de</strong>r württembergischen<br />

Regierung erhalten hatte und nicht die SS, die <strong>zur</strong> selben Zeit in Ellwangen eine Einheit<br />

aufstellte. Möglicherweise wur<strong>de</strong> Bestechung, Vorteilsnahme o<strong>de</strong>r Unterschlagung<br />

vermutet. Vgl. BArch Berlin, NS 20, Nr. 130 n. fol., Bericht vom 22.9.1934.<br />

40 Vgl. GStAPK, HA I, Rep. 90 P, Nr. 114, Geheime Staatspolizei, Alphabet.<br />

Verzeichnis <strong>de</strong>r bei <strong>de</strong>r Röhm-Revolte Festgenommenen 1934.<br />

20


Mordgeschehens. Auch wenn nicht mehr je<strong>de</strong> Einzelheit auf ihren<br />

Wahrheitsgehalt zu überprüfen ist, kann doch angenommen wer<strong>de</strong>n, daß<br />

die Angaben <strong>de</strong>n Tathergang im wesentlichen korrekt wie<strong>de</strong>rgeben.<br />

Kurt Mosert wur<strong>de</strong> am Sonntag, <strong>de</strong>n 1. Juli 1934, nachts gegen 3.00 Uhr<br />

vom Landrat <strong>de</strong>s Kreises Torgau, Dr. Wilhelm Jung, telephonisch zu einer<br />

Besprechung in die Husarenkaserne am Stadtrand von Torgau bestellt. Ein<br />

Anruf um diese Zeit ließ Mosert wahrscheinlich eine äußerst dringliche<br />

Angelegenheit vermuten, so daß er sich gemeinsam mit seinem Adjutanten<br />

Haferkorn unverzüglich zum angegebenen Ort begab. Seine Überraschung<br />

wird groß gewesen sein, als ihm dort <strong>de</strong>r SS-Obersturmbannführer Curt<br />

Brasack von <strong>de</strong>r 91. SS-Standarte seine Verhaftung verkün<strong>de</strong>te. Welche<br />

Grün<strong>de</strong> Brasack anführte und ob <strong>de</strong>r Adjutant Haferkorn auch verhaftet<br />

wur<strong>de</strong>, ist nicht bekannt. Mosert kam zunächst in das Torgauer Polizeigefängnis.<br />

41 Am folgen<strong>de</strong>n Tag, wie<strong>de</strong>rum nachts, ungefähr zwischen 2.00<br />

und 3.00 Uhr überführten bewaffnete SS-Männer <strong>de</strong>n SA-Führer in das<br />

Konzentrationslager Lichtenburg. Am 3. Juli 1934 wur<strong>de</strong> Kurt Mosert von<br />

<strong>de</strong>r Lagerwache, angeblich bei einem Fluchtversuch, erschossen. 42 Der<br />

Vater, Paul Mosert, wußte außer<strong>de</strong>m zu berichten, daß am 2. o<strong>de</strong>r 3. Juli<br />

ein SS-Briga<strong>de</strong>führer mit einem Flugzeug auf <strong>de</strong>n Elbwiesen gelan<strong>de</strong>t war<br />

und sofort mit einem Auto <strong>zur</strong> Lichtenburg gebracht wur<strong>de</strong>. 43 Dieser<br />

Briga<strong>de</strong>führer wird wahrscheinlich Theodor Eicke gewesen sein, <strong>de</strong>r zu<br />

diesem Zeitpunkt gera<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>r Reorganisation <strong>de</strong>s KZ Lichtenburg<br />

beauftragt war.<br />

Was waren die Grün<strong>de</strong>, die <strong>zur</strong> Verhaftung und Erschießung Moserts<br />

führten? Zur Beantwortung dieser Frage ist zunächst nötig, seine Person<br />

kurz zu charakterisieren. Kurt Mosert trat am 1. August 1927, gera<strong>de</strong> 20<br />

Jahre alt, in die NSDAP ein. Auch in <strong>de</strong>r SA wur<strong>de</strong> er Mitglied. In <strong>de</strong>r<br />

NSDAP fungierte Mosert als stellvertreten<strong>de</strong>r Propagandaleiter und als<br />

Kassenwart verschie<strong>de</strong>ner Ortsgruppen in Wittenberg 44 und Sangerhau-<br />

41<br />

Nach <strong>de</strong>r Verhaftung und Einweisung ins Polizeigefängnis und vor <strong>de</strong>r Überstellung<br />

nach Lichtenburg wur<strong>de</strong> Mosert noch in zwei an<strong>de</strong>re Gefängnisse gebracht. Vgl.<br />

ebenda, Nr. 39/3, Bl. 254. Einem Schreiben <strong>de</strong>s Führers <strong>de</strong>r SA-Gruppe Mitte vom<br />

25.7.1934 zufolge kam Mosert zunächst ins Untersuchungsgefängnis Torgau und wur<strong>de</strong><br />

von dort ins Polizeigefängnis überführt. Vgl. ebenda, Bl. 233. Als drittes Gefängnis<br />

käme noch das spätere Wehrmachtsgefängnis Fort Zinna in Frage.<br />

42 Einer Dokumentenabschrift im Archiv <strong>de</strong>r Ge<strong>de</strong>nkstätte Lichtenburg zufolge wur<strong>de</strong><br />

Mosert noch am 2.7.1934 um 23.00 Uhr ermor<strong>de</strong>t. Vgl. AGL, 809 G/2.<br />

43 Vgl. GStAPK. HA I, Rep. 90 P, Nr. 39/3, Bl. 240f.<br />

44 Im Adreßbuch <strong>de</strong>s Kreises Wittenberg wird Moserts Tätigkeit 1933 unter <strong>de</strong>r Rubrik<br />

„NSDAP Wittenberg“ und 1934 unter „SA-Dienststellen“ mit folgen<strong>de</strong>m Eintrag<br />

belegt: „SA.-Sturmbann I/20, Wittenberg,… Führer <strong>de</strong>s Sturmbannes: Sturmbannführer<br />

Kurt Mosert“. 1934 wird Kurt Mosert auch als Geschäftsführer <strong>de</strong>r Allgemeinen<br />

Ortskrankenkasse I genannt. Über Moserts NSDAP- und SA-Aktivitäten in Wittenberg<br />

existieren keine weiteren Dokumente. Auskunft <strong>de</strong>s Stadtgeschichtlichen Zentrums<br />

Wittenberg, Karin Bin<strong>de</strong>r, vom 18.11.2002.<br />

21


sen 45 . Die SA-Führung übertrug ihm 1932 die Leitung <strong>de</strong>s 35. Sturmes <strong>de</strong>r<br />

Standarte 72. Im Folgejahr führte er bereits einen Sturmbann (I/20). Im<br />

Jahr 1934 kehrte Mosert als <strong>de</strong>ren neuer Führer <strong>zur</strong> Standarte 72 <strong>zur</strong>ück.<br />

Diese Standarte hatte ihren Dienstsitz in Torgau, weshalb auch Mosert<br />

nach dort wechselte.<br />

Von Moserts Partei- und SA-Aktivitäten kün<strong>de</strong>n seine Teilnahme an<br />

vielen Propagandaveranstaltungen 46 und diverse Verletzungen. Im „Kampf<br />

für die Bewegung“ erlitt Mosert u.a. eine doppelseitige schwere Gehirnerschütterung<br />

sowie diverse Kopf- und Stichverletzungen. Er wur<strong>de</strong> auch<br />

gerichtsnotorisch und verbüßte in <strong>de</strong>r Weimarer Republik Haftstrafen<br />

wegen Landfrie<strong>de</strong>nsbruch, Bün<strong>de</strong>lei 47 und Vergehens gegen das Uniformverbot<br />

48 . Daß Mosert überzeugter Nationalsozialist war, wird auch daran<br />

erkennbar, daß ihm das gol<strong>de</strong>ne Ehrenzeichen <strong>de</strong>r NSDAP verliehen<br />

wur<strong>de</strong>. Diese Auszeichnung erhielten „Parteigenossen und -genossinnen<br />

mit <strong>de</strong>r Mitgliedsnummer unter 100.000“ o<strong>de</strong>r solche, die „sich um die<br />

nat.soz. Bewegung und um die Erreichung ihrer Ziele beson<strong>de</strong>rs verdient<br />

gemacht“ hatten. 49 Obertruppführer C. Hillebrandt 50 , Verwaltungsführer im<br />

Stab <strong>de</strong>r 72. Standarte, charakterisierte Mosert folgen<strong>de</strong>rmaßen: „fanatischer<br />

und glühen<strong>de</strong>r Freiheitskämpfer für das Dritte Reich und trotz seines<br />

jungen Alters ein grosses Vorbild an Tapferkeit“. 51 Das heißt, Mosert war<br />

ein überzeugter Nazi, ein Schläger, <strong>de</strong>r keinen Anlaß ausließ, Streit mit <strong>de</strong>m<br />

politischen Gegner zu suchen und mit handgreiflichen Mitteln auszutragen.<br />

Am 5. März 1934 beauftragte <strong>de</strong>r Stabsführer <strong>de</strong>r SA-Gruppe Mitte<br />

Mosert mit <strong>de</strong>r Führung <strong>de</strong>r Standarte 72 in Torgau. Da diese Standarte<br />

45 Im Stadtarchiv Sangerhausen gibt es keine Dokumente zu Mosert. Telephonische<br />

Auskunft <strong>de</strong>s Stadtarchivs Sangerhausen, Frau Hopfstock, vom 21.2.2005.<br />

46<br />

Mosert hatte sowohl an <strong>de</strong>n NSDAP-Parteitagen <strong>de</strong>r Jahre 1927, 1929 und 1933 als<br />

auch am SA-Aufmarsch in Braunschweig am 18.10.31 teilgenommen. In Braunschweig<br />

hatte Hitler mehr als 100.000 SA-Männer aufmarschieren lassen, um seinen<br />

rechtskonservativen Verbün<strong>de</strong>ten seine Macht zu ver<strong>de</strong>utlichen.<br />

47<br />

Gemeint ist hier Geheimbün<strong>de</strong>lei, die nach § 128 StGB an einfachen Mitglie<strong>de</strong>rn einer<br />

Verbindung mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft wur<strong>de</strong>. In <strong>de</strong>r Weimarer<br />

Republik wur<strong>de</strong>n § 128 und § 129 (Teilnahme an einer staatsfeindlichen Verschwörung)<br />

in Verbindung mit <strong>de</strong>m Republikschutzgesetz vom 25.3.1930 <strong>zur</strong> Bekämpfung<br />

republikfeindlicher Kräfte eingesetzt.<br />

48 „Das Tragen von Abzeichen o<strong>de</strong>r einheitlicher Kleidung, die die Zugehörigkeit zu<br />

einer politischen Organisation kennzeichnen, ist außerhalb <strong>de</strong>r eigenen Wohnung<br />

verboten.“ Vierte Verordnung <strong>de</strong>s Reichspräsi<strong>de</strong>nten <strong>zur</strong> Sicherung von Wirtschaft und<br />

Finanzen und zum Schutze <strong>de</strong>s inneren Frie<strong>de</strong>ns (8.12.1931). In: documentArchiv.<strong>de</strong><br />

(Hg.), URL: http://www.documentArchiv.<strong>de</strong>/wr/1931/wirtschaft-finanzenfrie<strong>de</strong>n_reichspraesi<strong>de</strong>nt-vo04.html,<br />

Stand: 11.4.2003.<br />

49 Meyers Lexikon. 8. Aufl., 8. Band, Leipzig 1940, Sp. 121.<br />

50 In <strong>de</strong>n Dokumentabschriften im GStAPK fin<strong>de</strong>n sich die Namensformen Hillebrandt<br />

und Hil<strong>de</strong>brandt. Vgl. GStAPK, HA I, Rep. 90 P, Nr. 39/3, Bl. 251, Bl. 256. Laut<br />

Adreßbuch lebte in Wittenberg nur ein Carl Hillebrand. Auskunft <strong>de</strong>s<br />

Stadtgeschichtlichen Zentrums Wittenberg, Karin Bin<strong>de</strong>r, vom 18.11.2002.<br />

51 GStAPK, HA I, Rep. 90 P, Nr. 39/3, Bl. 251.<br />

22


angeblich nicht zu <strong>de</strong>n besten gehörte, erhielt <strong>de</strong>r junge SA-Führer <strong>de</strong>n<br />

Auftrag, die Einheit innerhalb von vier Monaten zu reorganisieren. Ob und<br />

wie er seinen Auftrag erfüllte, läßt sich heute nicht mehr klären. Fest steht<br />

jedoch, daß Mosert in <strong>de</strong>n ersten Wochen nach <strong>de</strong>r Übernahme seines<br />

Amtes Initiative entfaltete. So richtete er mehrere Anträge an die<br />

Stadtverwaltung und bat um materielle Unterstützung für seine Standarte. 52<br />

Über seinen eigentlichen Auftrag hinaus nahm er auch als Gemein<strong>de</strong>rat <strong>de</strong>r<br />

Stadt Torgau an <strong>de</strong>ssen Sitzungen teil. Wahrscheinlich ist, daß er auch<br />

während dieser Sitzungen für seine SA-Männer und seine Standarte das<br />

Wort ergriff. 53<br />

Im Bereich <strong>de</strong>r Standarte 72 lag auch das Konzentrationslager<br />

Lichtenburg. Dort kam es immer wie<strong>de</strong>r zu Zusammenstößen von SS-<br />

Männern <strong>de</strong>r Lagerwache und von SA-Angehörigen aus Prettin und<br />

Umgebung. Der Anlaß für <strong>de</strong>n Streit lag wohl eher in <strong>de</strong>n Persönlichkeiten<br />

<strong>de</strong>r SS- o<strong>de</strong>r SA-Männer begrün<strong>de</strong>t und machte sich nicht an<br />

grundsätzlichen Dingen fest. Mehrmals wur<strong>de</strong>n SA-Leute, „darunter <strong>de</strong>r<br />

Bürgermeister Reichmann, Prettin, von <strong>de</strong>r Standarte 13, welche vom<br />

Dienst nach Hause gingen, auf einer, als Träger <strong>de</strong>r Bewegung<br />

ungebührlichen Art und Weise belästigt“ 54 , wußte Obertruppführer Hillebrandt<br />

zu berichten. Mosert suchte die Aussprache mit <strong>de</strong>n Verantwortlichen<br />

und rief im Konzentrationslager an. Einmal sprach er sogar mit SS-<br />

Briga<strong>de</strong>führer Theodor Eicke 55 , <strong>de</strong>r zu diesem Zeitpunkt gera<strong>de</strong> in Lichtenburg<br />

weilte. Angeblich versprach Eicke, Abhilfe zu schaffen. Nach einem<br />

erneuten Übergriff – Eicke war bereits wie<strong>de</strong>r in München – ereiferte sich<br />

Mosert gegenüber Lagerleiter Bernhard Schmidt: „Wer meine Männer<br />

anfasst, fasst mich an und wer mich anfasst und keine Berechtigung dazu<br />

hat, also nicht von <strong>de</strong>r or<strong>de</strong>ntlichen Polizei beauftragt ist, <strong>de</strong>m wer<strong>de</strong> ich<br />

mich mit <strong>de</strong>n mir <strong>zur</strong> Verfügung stehen<strong>de</strong>n Mitteln <strong>zur</strong> Wehr setzen, und<br />

wenn ich ihn erschlagen o<strong>de</strong>r erschiessen soll, da ich ja dann in berechtigter<br />

Notwehr han<strong>de</strong>le!“ 56 Welche Seite <strong>de</strong>n Anlaß für die häufigen Auseinan<strong>de</strong>r-<br />

52<br />

Vgl. Stadtarchiv Torgau (im folgen<strong>de</strong>n: StAT), 859, Tagebuch 1934. Hier Einträge Nr.<br />

521, 29.3.1934: Antrag auf Schaffung einer Ba<strong>de</strong>anstalt für die SA am 1. Buhnenfeld<br />

unter <strong>de</strong>r Eisenbahnbrücke; Nr. 522, 29.3.1934: Antrag auf Überlassung <strong>de</strong>s Gebäu<strong>de</strong>s<br />

um die Lünette Zwethau als Übungsplatz; Nr. 573, 10.4.1934: Beschaffung von<br />

Räumlichkeiten für <strong>de</strong>n Nachrichtensturmbann 72; Nr. 590, 22.3.1934: Überlassung von<br />

Räumlichkeiten und Büromöbeln.<br />

53 Mosert nahm am 29.3.1934 erstmals als Gemein<strong>de</strong>rat an einer Sitzung <strong>de</strong>r vorläufigen<br />

Gemein<strong>de</strong>räte teil. Er mel<strong>de</strong>te sich beim Thema Wohnungsbau zu Wort und for<strong>de</strong>rte<br />

eine verstärkte Siedlungstätigkeit am Stadtrand. Vgl. ebenda, Nr. 808, Nie<strong>de</strong>rschriften<br />

über Sitzungen <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong>räte, 29.1.1934-15.3.1937, Bl. 6ff.<br />

54 GStAPK, HA I, Rep. 90 P, Nr. 39/3, Bl. 252.<br />

55 Hillebrandt berichtet von einem „SS.-Briga<strong>de</strong>führer Eigh“, mit <strong>de</strong>m Mosert am<br />

29.5.1934 telephoniert hätte. Da Eicke am Tag zuvor im KZ Lichtenburg eingetroffen<br />

war, kann nur dieser gemeint sein.<br />

56 GStAPK, HA I, Rep. 90 P, Nr. 39/3, Bl. 253.<br />

23


setzung bot, läßt sich heute nicht mehr ermitteln, da nur Aussagen von SA-<br />

Leuten vorliegen, die die SS-Männer als Schuldige sahen. Einzig sichere<br />

Erkenntnis ist, daß keine Seite eine Entspannung <strong>de</strong>r Lage vorantrieb.<br />

Sowohl die Persönlichkeitsstruktur von Eicke, <strong>de</strong>ssen rabiate Art bekannt<br />

ist, als auch die von Mosert, <strong>de</strong>ssen Charakter durch das oben angeführte<br />

Zitat <strong>de</strong>utlich wird, ließen offenbar keinen Schritt <strong>zur</strong>ück zu. Unter diesen<br />

Verhältnissen baute sich Druck auf, <strong>de</strong>r nach Entspannung strebte. Daß<br />

gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>r „Röhm-Putsch“ diese Krise löste, ist Zufall.<br />

Die eingangs erwähnte Klage <strong>de</strong>s Ehepaars Mosert gegen <strong>de</strong>n<br />

preußischen Staat wur<strong>de</strong> zunächst verschleppt. Am 18. Oktober 1934<br />

schickte <strong>de</strong>r Torgauer Landgerichtspräsi<strong>de</strong>nt das Armenrechtsgesuch als<br />

Abschrift an <strong>de</strong>n Oberlan<strong>de</strong>sgerichtspräsi<strong>de</strong>nten in Naumburg mit <strong>de</strong>m<br />

Vermerk: „Ich habe die Urschrift absichtlich noch nicht in <strong>de</strong>n<br />

Geschäftsgang gegeben. Ich nehme an, dass im Staatsinteresse die Sache<br />

an<strong>de</strong>rweit, ohne Klage, erledigt wer<strong>de</strong>n kann.“ 57 Wie nicht an<strong>de</strong>rs zu<br />

erwarten, lehnte das Gericht <strong>de</strong>n Antrag <strong>de</strong>r Moserts ab. 58 Die Eingaben<br />

<strong>de</strong>s Vaters bescherten <strong>de</strong>r Berliner Ministerial- und Parteibürokratie einige<br />

Arbeit und Aufregung. Um endgültige Ruhigstellung in diesem und allen<br />

ähnlichen Fällen bemüht, schrieb Paul Körner, Staatssekretär im<br />

Preußischen Staatsministerium im November 1934 an <strong>de</strong>n „lieben<br />

Reichsführer“, Heinrich Himmler: „Es erscheint mir im allgemeinpolitischen<br />

und im Staatsinteresse unerlässlich, dass die Scha<strong>de</strong>nsersatzansprüche<br />

<strong>de</strong>s Vater Mosert im Wege <strong>de</strong>s Vergleichs befriedigt wer<strong>de</strong>n,<br />

damit ein gerichtliches Verfahren vermie<strong>de</strong>n wird. Ich bitte daher, mit<br />

Mosert unverzüglich in Vergleichsverhandlungen einzutreten und dabei<br />

sicherzustellen, dass Mosert in <strong>de</strong>m Vergleich darauf verzichtet, im<br />

Zusammenhange mit <strong>de</strong>m To<strong>de</strong> seines Sohnes sonst noch irgendwelche<br />

Ansprüche geltend zu machen. Um zu verhin<strong>de</strong>rn, dass die Ereignisse <strong>de</strong>s<br />

30.6. auf <strong>de</strong>m Wege über die Stellung von Scha<strong>de</strong>nsersatzansprüche später<br />

noch einmal aufgerollt wer<strong>de</strong>n können, erscheint es mir ferner geboten,<br />

einen Ueberblick darüber zu gewinnen, ob und welche Ansprüche von<br />

an<strong>de</strong>rer Seite noch gestellt wer<strong>de</strong>n könnten und wie in diesen Fällen zu<br />

verfahren sei.“ 59 Ob <strong>de</strong>r von Körner vorgeschlagene Weg beschritten<br />

wur<strong>de</strong>, ist nicht bekannt, <strong>de</strong>nn mit diesem Dokument en<strong>de</strong>t die schriftliche<br />

Überlieferung im Fall Mosert. Wichtige Einzelheiten, so die Frage, wer<br />

Moserts Verhaftung befahl, wer <strong>de</strong>n Mordbefehl gab und wer diesen<br />

ausführte, müssen unbeantwortet bleiben. Selbst was mit <strong>de</strong>m Leichnam<br />

geschah, ob er eventuell an die Eltern übergeben wur<strong>de</strong>, konnte nicht<br />

ermittelt wer<strong>de</strong>n. 60<br />

57 Ebenda, Bl. 258.<br />

58 Vgl. Müller, Zustimmung, S. 51.<br />

59 GStAPK, HA I, Rep. 90 P, Nr. 39/3, Bl. 266f.<br />

60 Im Vergleich mit an<strong>de</strong>ren Hinterbliebenen hatten die Moserts in relativ kurzer Zeit<br />

sogar viel Aufklärung erfahren. Walter Häbich, bis zu seiner Verhaftung im Oktober<br />

24


V. Weitere Mordopfer<br />

Über weitere To<strong>de</strong>sfälle im Konzentrationslager Lichtenburg existieren<br />

keine ein<strong>de</strong>utigen Angaben. Lediglich aus <strong>de</strong>n Aussagen von Häftlingen<br />

geht hervor, daß es mehr als ein Opfer gegeben haben muß. Tatzeugen<br />

waren aber auch sie nicht. Der Häftling Walter Müller konnte in einer<br />

Zeugenvernehmung nur angeben, daß „die Erschiessung eines SA-Sturmo<strong>de</strong>r<br />

Obersturmführers auf <strong>de</strong>r Lichtenburg“ Anlaß für die Absetzung <strong>de</strong>s<br />

Kommandanten <strong>de</strong>r Lagerwache, Edgar Entsberger, gewesen sein soll. 61<br />

Ähnlich unbestimmt sind die Informationen von Alfred Kühnel aus Halle.<br />

Kühnel wur<strong>de</strong> am erst 10. September 1934 im KZ eingeliefert und konnte<br />

sich aber 15 Jahre später noch lebhaft an eine seiner ersten Aufgaben<br />

erinnern: „Gleich zu Anfang war meine grösste Nervenprobe, als man die<br />

erschossenen Röhmanhänger…, die unter Pfer<strong>de</strong>mist vergraben waren und<br />

schon halb verwest zum Friedhof Prettin brachte und dort sang- und<br />

klanglos verscharrt wur<strong>de</strong>n.“ 62 Die <strong>de</strong>taillierteste Schil<strong>de</strong>rung stammt von<br />

Raimund Hirsch. Er war schon im Juli 1934 in <strong>de</strong>r Lichtenburg und schrieb<br />

seine Erinnerungen nach <strong>de</strong>r Haftentlassung im Jahr 1935 nie<strong>de</strong>r: „Nun<br />

kam das Ereignis: die Röhm-Revolte. Alles mußte auf <strong>de</strong>r Station bleiben.<br />

Die Posten waren aufgeregt, alles im Alarmzustand. Nachmittags hatten wir<br />

Freistun<strong>de</strong>. Da hieß es, zehn Mann aus <strong>de</strong>r Döpper-Kolonne, in <strong>de</strong>r auch<br />

mein Genosse Schönau war, mußten im Garten ein Loch graben: acht<br />

Meter lang, zwei Meter breit und an<strong>de</strong>rthalb Meter tief. Am an<strong>de</strong>ren<br />

Morgen war es halb gefüllt, und sie mußten es zuschaufeln, einen Komposthaufen<br />

darauf machen und alles sah wie<strong>de</strong>r ganz friedlich aus. Wie viele<br />

und wer darin war, wußte keiner, nur die SS.“ 63 Hirsch weiß auch von <strong>de</strong>r<br />

Exhumierung <strong>de</strong>r Leichen zu berichten. Er erinnerte sich, daß das Grab<br />

1933 Redakteur <strong>de</strong>r komm<strong>uni</strong>stischen „Neuen Zeitung“ in München und dann Häftling<br />

im KZ Dachau wur<strong>de</strong> am 1.7.1934 gleichfalls im Zuge <strong>de</strong>s „Röhm-Putsches“ ermor<strong>de</strong>t.<br />

Seine Mutter erhielt am 8.8.1934 eine To<strong>de</strong>snachricht. Weitere Auskünfte folgten aber<br />

erst im Januar 1935, nach<strong>de</strong>m sie sich mit einer Eingabe an Hitler gewandt hatte. Im<br />

Namen Himmlers wur<strong>de</strong> ihr daraufhin in lakonischer Kürze mitgeteilt, daß ihr Sohn „im<br />

Zuge <strong>de</strong>r Röhmrevolte standrechtlich erschossen wor<strong>de</strong>n ist“. Weitere Erklärungen<br />

müßten nicht gegeben wer<strong>de</strong>n, „[d]a es sich bei <strong>de</strong>r Erschiessung … um einen Akt <strong>de</strong>r<br />

Staatsnotwehr gehan<strong>de</strong>lt hat“. Vgl. Hans-Günter Ricardi: Schule <strong>de</strong>r Gewalt. Das<br />

Konzentrationslager Dachau. München/Zürich 1995, S. 238, S. 280, S. 314. Eine Kopie<br />

<strong>de</strong>s Briefes an die Mutter ist abgedruckt in: Reinhard Rürup (Hg.): Topographie <strong>de</strong>s<br />

Terrors. Gestapo, SS und Reichssicherheitshauptamt auf <strong>de</strong>m „Prinz-Albrecht-<br />

Gelän<strong>de</strong>“. Eine Dokumentation, 7. erweiterte Aufl., Berlin 1989, S. 53.<br />

61 BArch/ZSL, IV 429 AR-Z 134/73, Bl. 334, Aussage vom 19.10.1965. Entsberger<br />

wur<strong>de</strong> zwar wenige Monate später aus <strong>de</strong>r SS ausgeschlossen, verhaftet und zu einer<br />

Gefängnisstrafe verurteilt, ein Zusammenhang zum „Röhm-Putsch“ besteht allerdings<br />

nicht.<br />

62 BArch, Zwischenarchiv Dahlwitz-Hoppegarten, KZ und Hafta Lichtenburg, Nr. 3, Bl.<br />

36, Aussage vom 14.7.1949.<br />

63 Raimund Hirsch: Im KZ Lichtenburg, Cuxhaven 1989, S. 18.<br />

25


eines Morgens im Januar 1935 leer war und von Häftlingen verfüllt wer<strong>de</strong>n<br />

mußte sowie an Zinnflecken in <strong>de</strong>n Garagen. Offenbar waren Särge<br />

zugelötet wor<strong>de</strong>n. 64<br />

Auch wenn die Erinnerungen von Alfred Kühnel und Raimund Hirsch<br />

in Details voneinan<strong>de</strong>r abweichen, ist an <strong>de</strong>r Tatsache, daß neben Kurt<br />

Mosert weitere SA-Angehörige von <strong>de</strong>r Wachmannschaft <strong>de</strong>s KZ<br />

Lichtenburg ermor<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>n, nicht zu zweifeln. Über die I<strong>de</strong>ntität <strong>de</strong>r<br />

an<strong>de</strong>ren Opfer konnte nur wenig in Erfahrung gebracht wer<strong>de</strong>n. Der<br />

Hinweis <strong>de</strong>s Häftlings Hirsch auf eine Grube mit circa 16 m 2 Grundfläche<br />

läßt auf weitere Hinrichtungen schließen. Dafür gibt es jedoch keinerlei<br />

Beweise. Nur zwei Anhaltspunkte auf weitere Opfer sind überliefert. Im<br />

Archiv <strong>de</strong>r Ge<strong>de</strong>nkstätte Lichtenburg befin<strong>de</strong>n sich drei beglaubigte<br />

Abschriften aus <strong>de</strong>m Sterberegister <strong>de</strong>s Stan<strong>de</strong>samtes Prettin. Dem<br />

Sterberegister zufolge wur<strong>de</strong>n neben Mosert zwei weitere Personen in<br />

Lichtenburg ermor<strong>de</strong>t: <strong>de</strong>r SA-Mann Max Schulze aus Mag<strong>de</strong>burg und<br />

Adalbert Probst, Führer einer katholischen Jugendorganisation. Der<br />

Eintrag im Sterberegister erfolgte jedoch erst im November 1934, nach<strong>de</strong>m<br />

die Aufsichtsbehör<strong>de</strong> die Genehmigung erteilt wor<strong>de</strong>n war. 65 Im<br />

Bun<strong>de</strong>sarchiv Berlin ist eine Aufstellung mit <strong>de</strong>n Namen von 83 Personen<br />

überliefert, die während <strong>de</strong>s „Röhm-Putsches“ im Deutschen Reich<br />

erschossen wur<strong>de</strong>n. Als Opfer <strong>de</strong>s „Röhm-Putsches“ in <strong>de</strong>r Lichtenburg<br />

wer<strong>de</strong>n Adalbert Probst und Generalmajor a.D. Ferdinand v. Bredow<br />

genannt. 66<br />

a) Mordfall Probst – Auf <strong>de</strong>r Flucht erschossen?<br />

An Nummer 46 <strong>de</strong>r im Bun<strong>de</strong>sarchiv liegen<strong>de</strong>n Mordliste steht <strong>de</strong>r Name<br />

Adalbert Probst. Probst wur<strong>de</strong> am 26. Juli 1900 in Regensburg geboren. Als<br />

Beruf wird in <strong>de</strong>n Akten Kaufmann genannt. In <strong>de</strong>r Weimarer Zeit galt er<br />

als national gesinnter Mann. Er war Mitglied eines Freikorps und verfügte<br />

über Beziehungen zum Umfeld <strong>de</strong>s NS-Märtyrers Albert Leo Schlageter.<br />

Die Ziele <strong>de</strong>r nationalen Bewegungen kollidierten offenbar mit seinem<br />

christlichen Glauben, <strong>de</strong>nn er wandte sich von <strong>de</strong>n nationalen Verbän<strong>de</strong>n<br />

ab und engagierte sich statt <strong>de</strong>ssen in <strong>de</strong>r katholischen Jugendarbeit. Im<br />

Jahr 1932 trat Probst <strong>de</strong>r Katholischen Sportjugend bei und wur<strong>de</strong> noch im<br />

November <strong>de</strong>s selben Jahres Beauftragter für <strong>de</strong>n Wehrsport in <strong>de</strong>n<br />

katholischen Jugendverbän<strong>de</strong>n bei <strong>de</strong>r Reichsleitung <strong>de</strong>r Deutschen<br />

Jugendkraft (DJK). Ein Jahr später, auf <strong>de</strong>m Reichsverbandstag <strong>de</strong>r DJK,<br />

avancierte er zum Verbandsleiter. Als im Frühjahr 1934 konfessionellen<br />

Verbän<strong>de</strong>n per Verordnung sportliche Betätigung untersagt wur<strong>de</strong>, geriet<br />

64 Vgl. ebenda, S. 22.<br />

65 Vgl. AGL, 809 G/2. Die Aufsichtsbehör<strong>de</strong>, die die Genehmigung erteilt hatte, ist<br />

nicht näher <strong>de</strong>finiert. Es ist anzunehmen ist, daß es die Gestapo war.<br />

66 Vgl. BArch Berlin, NS 23, Nr. 475.<br />

26


Probst anscheinend in offenen Wi<strong>de</strong>rspruch zum NS-Regime und auf eine<br />

„schwarze Liste“. 67<br />

Hinter Probsts Namen ist „auf Transport n. Lichtenburg“ und als<br />

To<strong>de</strong>sdatum <strong>de</strong>r 2. Juli 1934 vermerkt. 68 Auch im Sterberegister <strong>de</strong>s<br />

Prettiner Stan<strong>de</strong>samtes ist dieser Tag als To<strong>de</strong>stag eingetragen. 69 Einem<br />

Vermerk im Geburtenbuch <strong>de</strong>s Stan<strong>de</strong>samtes Regensburg zufolge,<br />

beschloß das Amtsgericht Düsseldorf am 30. September 1950 Adalbert<br />

Probst mit Wirkung vom 10. Juli 1934 für tot zu erklären. 70 In diesem Fall<br />

kann davon ausgegangen wer<strong>de</strong>n, daß <strong>de</strong>r 2. Juli 1934 das tatsächliche<br />

To<strong>de</strong>sdatum markiert. Zum einen sind die Quellen, die dieses Datum<br />

nennen, zeitnaher entstan<strong>de</strong>n. Zum an<strong>de</strong>ren legte das Amtsgericht das<br />

Datum fest, das <strong>de</strong>n spätmöglichsten To<strong>de</strong>szeitpunkt benennt. 71 Problematischer<br />

ist die in <strong>de</strong>r Quelle genannte Ortsangabe. Probst, <strong>de</strong>r damals in<br />

Düsseldorf lebte, befand sich Anfang Juli gera<strong>de</strong> in Braunlage. Er besuchte<br />

dort <strong>de</strong>n Prälaten Ludwig Wolker, <strong>de</strong>r sich nach seiner Entlassung aus <strong>de</strong>r<br />

Gestapohaft im Harz erholte. Der DJK-Führer wur<strong>de</strong> in Braunlage im<br />

Beisein Wolkers von vier Gestapobeamten verhaftet. 72 Die Möglichkeit,<br />

daß er in das KZ Lichtenburg überführt wer<strong>de</strong>n sollte, ist zwar wenig<br />

glaubwürdig, aber nicht völlig auszuschließen. Eher wahrscheinlich ist, daß<br />

Probst <strong>de</strong>r Mordlust örtlicher Gestapo-Beamter o<strong>de</strong>r SS-Männer zum<br />

Opfer fiel und gar nicht bis nach Prettin gelangte. Um möglicherweise<br />

drohen<strong>de</strong>n unliebsamen Fragen aus <strong>de</strong>m Wege zu gehen, mel<strong>de</strong>ten die<br />

Mör<strong>de</strong>r „auf <strong>de</strong>r Flucht erschossen“ nach Berlin. Die nachträgliche<br />

Registrierung seines To<strong>de</strong>s im Stan<strong>de</strong>samt von Prettin geschah nur, um <strong>de</strong>n<br />

Schein <strong>de</strong>r Rechtmäßigkeit aufrecht zu erhalten.<br />

b) Mordfall Schulze – Tatort unbekannt<br />

Hinter <strong>de</strong>m Namen von Max Schulze, Nummer 65 <strong>de</strong>r Mordliste, ist nur<br />

das To<strong>de</strong>sdatum vermerkt: 1. Juli 1934. Über seine Person ist ungleich<br />

67<br />

Für die Informationen über Probst danke ich Karl-Günther Fischer,<br />

Kreisheimatpfleger <strong>de</strong>s Kreises Goslar.<br />

68 Vgl. BArch Berlin, NS 23, Nr. 475.<br />

69 Vgl. AGL, 809 G/2.<br />

70 Auskunft <strong>de</strong>s Stan<strong>de</strong>samtes Regensburg, Herr Weinmann, vom 07.05.02.<br />

71 Auf Nachfrage erhielt Prälat Ludwig Wolker am 10.7.1934 von <strong>de</strong>r Gestapo Berlin die<br />

Auskunft, daß Probst auf <strong>de</strong>r Flucht erschossen wor<strong>de</strong>n sei.<br />

72 Daß Probst in Braunlage verhaftet wur<strong>de</strong>, gibt bereits Drobisch an. Vgl. Drobisch,<br />

Lichtenburg, 1997, S. 28, allerdings ohne Quellennachweis. Unterlagen <strong>de</strong>r<br />

Ortspolizeibehör<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Stadt Braunlage, aus <strong>de</strong>nen näheres hervorgehen könnte, sind<br />

im Stadtarchiv Braunlage nicht überliefert. Telephonische Auskunft <strong>de</strong>s<br />

Stadtarchivs/Einwohnermel<strong>de</strong>amtes Braunlage, Frau Wolf, vom 27.1.2003. Auch im<br />

Nie<strong>de</strong>rsächsischen Hauptstaatsarchiv Hannover wer<strong>de</strong>n keine weiterführen<strong>de</strong>n<br />

Dokumente verwahrt. Auskunft <strong>de</strong>s Nie<strong>de</strong>rsächsischen Hauptstaatsarchivs Hannover,<br />

Dr. Thomas Bar<strong>de</strong>lle, vom 28.1.2003.<br />

27


weniger in Erfahrung zu bringen als über Probst. Schulze, am 21. Oktober<br />

1900 in Gaildorf (Württemberg) geboren, beklei<strong>de</strong>te <strong>de</strong>n Rang eines SA-<br />

Standartenführers 73 . Seit Februar 1934 war er stellvertreten<strong>de</strong>r<br />

Son<strong>de</strong>rbevollmächtigter <strong>de</strong>s Obersten SA-Führers für die Provinz Sachsen<br />

und außer<strong>de</strong>m Son<strong>de</strong>rbevollmächtigter beim Regierungspräsi<strong>de</strong>nten in<br />

Mag<strong>de</strong>burg. 74 Es gibt keinerlei Anhaltspunkte, warum und auf wessen<br />

Geheiß Schulze verhaftet und erschossen wur<strong>de</strong>. Neben Mosert und Probst<br />

ist sein Name <strong>de</strong>r dritte, <strong>de</strong>r nachträglich <strong>de</strong>m Stan<strong>de</strong>samt Prettin als<br />

To<strong>de</strong>sfall gemel<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>. 75 Als Zeitpunkt <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 1. Juli 1934<br />

23.00 Uhr angegeben. 76 Schulzes Ermordung im Konzentrationslager Lichtenburg<br />

ist wahrscheinlicher als die von Probst. Sofern er in Mag<strong>de</strong>burg<br />

verhaftet wur<strong>de</strong>n war, ist es vorstellbar, daß er <strong>zur</strong> Lichtenburg überstellt<br />

wer<strong>de</strong>n sollte. Ohne zusätzliche Quellen müssen die Einzelheiten seiner<br />

Ermordung jedoch weiterhin ungeklärt bleiben.<br />

c) Mordfall Bredow – Erschossen in Berlin<br />

Generalmajor Ferdinand v. Bredow, aus einem be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen<br />

A<strong>de</strong>lsgeschlecht stammend, wur<strong>de</strong> im Jahr 1884 in Neuruppin geboren.<br />

Während <strong>de</strong>r Weimarer Republik führte er die Abwehrabteilung im Reichswehrministerium.<br />

Nach<strong>de</strong>m aber General Kurt v. Schleicher im J<strong>uni</strong> 1932<br />

zum Wehrminister ernannt wor<strong>de</strong>n war, stieg v. Bredow zum Chef <strong>de</strong>s<br />

Ministeramts im Reichswehrministerium auf. Dieses Amt behielt er auch<br />

unter <strong>de</strong>r nur wenige Wochen währen<strong>de</strong>n Kanzlerschaft v. Schleichers<br />

(Dezember 1932 bis Januar 1933). Nach <strong>de</strong>r NS-Machtergreifung wur<strong>de</strong> v.<br />

Bredow durch Walter v. Reichenau ersetzt, <strong>de</strong>r maßgeblich an <strong>de</strong>r<br />

Inszenierung <strong>de</strong>s „Röhm-Putsches“ Anteil hatte. Auf die „schwarzen<br />

Listen“ von Göring o<strong>de</strong>r Himmler geriet <strong>de</strong>r ehemalige Chef <strong>de</strong>s<br />

Ministeramts wahrscheinlich wegen einer Exilschrift. In Paris kursierte das<br />

„Tagebuch eines Reichswehrgenerals“ 77 , von <strong>de</strong>m die Nationalsozialisten<br />

73<br />

Schulzes Dienstgrad wird in je<strong>de</strong>r Quelle an<strong>de</strong>rs angegeben. In <strong>de</strong>r Mitteilung über<br />

seine Berufung wird er als Standartenführer bezeichnet (vgl. LHA Sachsen-Anhalt, Abt.<br />

Mag<strong>de</strong>burg, Rep. C 20 Ib Nr. 358, Bl. 9ff.), in <strong>de</strong>r Opferliste im Bun<strong>de</strong>sarchiv mit SA-<br />

Oberführer (vgl. BArch Berlin, NS 23, Nr. 475) und bei <strong>de</strong>r Meldung im Stan<strong>de</strong>samt<br />

Prettin mit SA-Briga<strong>de</strong>führer (vgl. AGL, 809 G/2).<br />

74 Lan<strong>de</strong>shauptarchiv Sachsen-Anhalt, Mag<strong>de</strong>burg (LAMag), Rep. C 20 Ib, Nr. 358, Bl.<br />

9ff.<br />

75 Vgl. AGL, 809 G/2.<br />

76 Dies wur<strong>de</strong> auch an das Stan<strong>de</strong>samt seines Geburtsortes gemel<strong>de</strong>t: „Hinweis <strong>de</strong>s<br />

Stan<strong>de</strong>samts Prettin a. Elbe gestorben Nr. 45/1934“ und ergänzend mit Bleistift: „War<br />

SA-Briga<strong>de</strong>führer und Ratsherr <strong>de</strong>r Stadt Mag<strong>de</strong>burg; wur<strong>de</strong> am 1.7.1934 als Meuterer<br />

standrechtlich erschossen.“ Auskunft von Hans König, Bürgermeister i.R., Gaildorf,<br />

vom 22.2.2005.<br />

77 Tagebuch eines Reichswehrgenerals. Von Weimar über Potsdam nach… Bearbeitet<br />

von Helmut Klotz. Als wöchentliche Fortsetzung abgedruckt in: Die Wahrheit.<br />

28


annahmen, daß v. Bredow <strong>de</strong>r Verfasser gewesen wäre. 78 Auch Hitler selbst<br />

hätte ein Interesse am Tod v. Bredows haben können. So erinnerte sich<br />

Vincenz Müller, ein Adjutant Kurt v. Schleichers und nach 1945<br />

stellvertreten<strong>de</strong>r Verteidigungsminister <strong>de</strong>r DDR, daß v. Bredow die<br />

Behauptung aufgestellt hatte, Hitlers zeitweilige Erblindung im Ersten<br />

Weltkrieg sei ausschließlich hysterischer Art gewesen. 79<br />

Die Umstän<strong>de</strong>, die <strong>zur</strong> Ermordung <strong>de</strong>s Generalmajors v. Bredow<br />

führten, sind in privaten Papieren, die sich heute im Institut für <strong>Zeitgeschichte</strong><br />

München befin<strong>de</strong>n, geschil<strong>de</strong>rt. 80 Der Vorsitzen<strong>de</strong> <strong>de</strong>s<br />

Bredow’schen Familienverban<strong>de</strong>s Graf Arthur v. Bredow skizzierte am 3.<br />

August 1934 die vorangegangenen Ereignisse und fügte am folgen<strong>de</strong>n Tag<br />

noch eine Ergänzung an. Diesem Bericht zufolge wur<strong>de</strong> das Ehepaar v.<br />

Bredow in <strong>de</strong>r Nacht vom 30. J<strong>uni</strong> zum 1. Juli 1934 in seiner Wohnung in<br />

<strong>de</strong>r Berliner Spichernstraße aus <strong>de</strong>m Schlaf gerissen. Mehrere Polizeibeamte,<br />

die sich durch Polizeimarken als Angehörige <strong>de</strong>r Gestapo legitimiert<br />

hatten, verhafteten Ferdinand v. Bredow etwa um 2.00 Uhr morgens.<br />

Über die Haftgrün<strong>de</strong> verloren sie kein Wort, auch nicht, wohin sie <strong>de</strong>n<br />

Generalmajor a.D. bringen sollten. Seiner Ehefrau verboten sie noch, zu<br />

telephonieren und am folgen<strong>de</strong>n Tag das Haus zu verlassen. Über das<br />

weitere Schicksal v. Bredows können nur Vermutungen angestellt wer<strong>de</strong>n,<br />

da seiner Familie ebenso wie im Fall Mosert eine konkrete und vor allem<br />

korrekte Auskunft vorenthalten wur<strong>de</strong>.<br />

Ein Stützpunkt <strong>de</strong>r „Antiputschisten“ war die ehemalige preußische<br />

Hauptka<strong>de</strong>ttenanstalt in Berlin-Lichterfel<strong>de</strong>. Seit 1933 war in Lichterfel<strong>de</strong><br />

die Leibstandarte-SS Adolf Hitler (LAH) kaserniert. Bei <strong>de</strong>r Liquidierung<br />

<strong>de</strong>r SA-Führer am 1. Juli 1934 spielte die LAH eine herausragen<strong>de</strong> und<br />

unrühmliche Rolle. Wahrscheinlich ist, daß auch Ferdinand v. Bredow nach<br />

Lichterfel<strong>de</strong> gebracht wer<strong>de</strong>n sollte. In einer Passage <strong>de</strong>s Berichts heißt es:<br />

„Aus Privatquellen hat Frau v. Br. erfahren, daß ihr Mann <strong>de</strong>n Hof <strong>de</strong>r<br />

Ka<strong>de</strong>ttenanstalt Lichterfel<strong>de</strong>… nicht lebend, son<strong>de</strong>rn schon als Leiche<br />

erreicht hat. Er scheint also schon unterwegs, ohne Verhör, nie<strong>de</strong>rgeschossen<br />

zu sein.“ 81 Allerdings wur<strong>de</strong> dieser Absatz in <strong>de</strong>m Manuskript zu<br />

einem späteren Zeitpunkt wie<strong>de</strong>r gestrichen. Mitte Juli wur<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Familie<br />

eine Urne mit <strong>de</strong>r Asche <strong>de</strong>s Ermor<strong>de</strong>ten, sein Portemonnaie und seine<br />

Jahrgang XIII, Prag 1934, Nr. 7 (17.2.1934) bis Nr. 36 (8.8.1934). Eine englische<br />

Übersetzung erschien noch vor <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Ausgabe unter <strong>de</strong>m Titel „From Weimar<br />

To Chaos“.<br />

78 Vgl. Höhne, Or<strong>de</strong>n, S. 115.<br />

79 Vgl. Werner Maser: Adolf Hitler. Legen<strong>de</strong> – Mythos – Wirklichkeit. 12. Aufl.,<br />

München 1990, S. 148f. und S. 548 Anmerkung 91. Maser beruft sich auf eine<br />

persönliche Auskunft Müllers. Diesem hatte v. Bredow berichtet, im Auftrag v.<br />

Schleichers Nachforschungen angestellt zu haben. Vgl. dazu: Bernhard Horstmann:<br />

Hitler in Pasewalk. Die Hypnose und ihre Folgen, Düsseldorf 2004.<br />

80 Vgl. IfZ München – Archiv, ED 86, Band 7.<br />

81 Ebenda, Bl. 2 <strong>de</strong>s Berichts.<br />

29


lutbefleckte Uhr übergeben. Eine amtliche To<strong>de</strong>snachricht erhielten die<br />

Hinterbliebenen jedoch nicht. Diese Version <strong>de</strong>s Geschehens bestätigte<br />

auch <strong>de</strong>r Sohn <strong>de</strong>s Opfers, Carl-Hasso v. Bredow, in einem Gespräch. 82<br />

Auf <strong>de</strong>r Liste <strong>de</strong>r Opfer im Bun<strong>de</strong>sarchiv ist hinter v. Bredows Namen<br />

als To<strong>de</strong>sort „b. Lichtenburg“ angegeben. 83 Es gibt aber keine Anzeichen,<br />

daß vor <strong>de</strong>r Verlegung <strong>de</strong>r „Ehrenhäftlinge“ weitere Personen in das KZ<br />

Lichtenburg überführt wur<strong>de</strong>n. Der Häftlingstransport vom 4. Juli wur<strong>de</strong><br />

erst geplant, nach<strong>de</strong>m die Berliner Gestapo-Gefängnisse überfüllt waren.<br />

Eine Einzelverlegung ist äußerst unwahrscheinlich. Aus diesem und auf<br />

Grund <strong>de</strong>s oben geschil<strong>de</strong>rten Tatherganges schei<strong>de</strong>t das Konzentrationslager<br />

Lichtenburg als To<strong>de</strong>sort aus. Wie <strong>de</strong>r Eintrag zustan<strong>de</strong> kam,<br />

kann nicht nachvollzogen wer<strong>de</strong>n. 84<br />

Trotz <strong>de</strong>r Recherche in vielen Archiven und unter Einbeziehung bisher<br />

nicht beachteter Dokumente konnten nicht alle Punkte restlos geklärt<br />

wer<strong>de</strong>n. Es wur<strong>de</strong> nachgewiesen, daß die Lichtenburg Haftstätte für<br />

min<strong>de</strong>stens 61 SA-Männer war. Gesichert ist, daß Lichtenburger SS-<br />

Männer Kurt Mosert erschossen. Als sicher kann auch gelten, daß<br />

Ferdinand v. Bredow und Adalbert Probst nicht in Prettin o<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>m<br />

Weg dorthin starben, obwohl ein Dokument eben das behauptet. Unklar<br />

bleibt, wieviel „Putschisten“ in <strong>de</strong>r Lichtenburg ermor<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>n und wer<br />

die Mör<strong>de</strong>r waren.<br />

VI.<br />

Reaktion <strong>de</strong>r Bevölkerung auf die Nachricht vom „Röhm-Putsch“<br />

Alle Zeitungen im Deutschen Reich kannten am 2. Juli 1934 nur ein<br />

Thema: Die Nie<strong>de</strong>rschlagung <strong>de</strong>s „Röhm-Putsches“ durch einen entschlossen<br />

und zupackend han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n Adolf Hitler. Auf mehreren Seiten wur<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>r Leser über die Ereignisse in München und Berlin in Kenntnis gesetzt.<br />

Unter <strong>de</strong>r Überschrift „Geschlossen hinter <strong>de</strong>m Führer“ informierte die<br />

Torgauer Zeitung in einer kleinen einspaltigen Meldung über regionale<br />

82 Telephonische Auskunft von Carl-Hasso v. Bredow, Frankfurt/Main, vom 7.11.2002.<br />

83 Vgl. BArch Berlin, NS 23, Nr. 475.<br />

84 In <strong>de</strong>r Literatur kursieren weitere unterschiedliche Angaben. Otto Gritschne<strong>de</strong>r gibt<br />

als To<strong>de</strong>sort Lichtenberg an. Vgl. „Der Führer hat Sie zum To<strong>de</strong> verurteilt…“. Hitlers<br />

„Röhm-Putsch“-Mor<strong>de</strong> vor Gericht, München 1993, S. 60. Laut Longerich, Bataillone,<br />

S. 218 und Biographisches Lexikon zum Dritten Reich. Hrsg. von Hermann Weiß,<br />

Frankfurt/M. 2002, S. 59 wur<strong>de</strong> v. Bredow in seiner Wohnung erschossen. In diesem<br />

Fall liegt eine Verwechslung vor. Kurt v. Schleicher, v. Bredows langjähriger<br />

Vorgesetzter, wur<strong>de</strong> in seiner Wohnung erschossen. Machtan, a.a.O., S. 246 schreibt<br />

unter Bezug auf <strong>de</strong>n Schleicher-Biographen Friedrich-Karl v. Plehwe, v. Bredows<br />

Leiche wäre in einen Straßengraben geworfen wor<strong>de</strong>n. Bei v. Plehwe ist diese<br />

Information jedoch nicht zu fin<strong>de</strong>n. Ebenso wird v. Bredows Vorname gelegentlich mit<br />

Kurt o<strong>de</strong>r R.W. angegeben. Das zeigt, daß manche Recherche nur oberflächlich erfolgte<br />

und Angaben aus <strong>de</strong>r Literatur ungeprüft übernommen wur<strong>de</strong>n.<br />

30


Aspekte. Obwohl am Wochenen<strong>de</strong> eine große Sportveranstaltung in <strong>de</strong>r<br />

Kreisstadt stattgefun<strong>de</strong>n hatte, war <strong>de</strong>r „Röhm-Putsch“ das beherrschen<strong>de</strong><br />

Thema in <strong>de</strong>r Bevölkerung. Deren Informationsbedarf wur<strong>de</strong>, laut<br />

Torgauer Zeitung, „durch Funk und Anschlag“ gestillt. Der aufmerksame<br />

Zeitungsleser erfuhr aus <strong>de</strong>r Meldung aber auch, daß es im Kreisgebiet<br />

„Putschisten“ gegeben hatte. Die Maßnahmen zu ihrer Ausschaltung seien<br />

„in aller Ruhe und in mustergültigem Zusammenarbeiten <strong>de</strong>r damit<br />

betrauten Stellen“ erledigt wor<strong>de</strong>n. Nun herrsche wie<strong>de</strong>r „absolute Ruhe“.<br />

Der zuständige Redakteur versäumte nicht, eine Ergebenheitsadresse anzufügen:<br />

„Partei, SA, SS und die gesamte Bevölkerung stehen, wie nicht<br />

beson<strong>de</strong>rs betont wer<strong>de</strong>n braucht, hinter Adolf Hitler und seinen<br />

Getreuen“. 85<br />

Die kleine Meldung befriedigte die Neugier <strong>de</strong>r Bevölkerung wohl kaum.<br />

Wenn auch <strong>de</strong>r Tod Kurt Moserts noch nicht bekannt gewesen sein wird,<br />

so doch mit Sicherheit seine Verhaftung. Schließlich war die Sportveranstaltung<br />

am Wochenen<strong>de</strong> auch eine Bühne für die Selbstdarstellung <strong>de</strong>r SA<br />

gewesen. Bei einer Veranstaltung dieser Größenordnung mußte das Fehlen<br />

<strong>de</strong>s höchsten regionalen SA-Repräsentanten auffallen. Im Zuge <strong>de</strong>s<br />

„Röhm-Putsches“ waren zu<strong>de</strong>m weitere prominente SA-Führer und Konservative<br />

aus <strong>de</strong>r Region verhaftet wor<strong>de</strong>n, so <strong>de</strong>r SA-Son<strong>de</strong>rbeauftragte<br />

Hermann Genth 86 aus Wittenberg und <strong>de</strong>r Kreisleiter <strong>de</strong>s Nationalsozialistischen<br />

Deutschen Frontkämpferbun<strong>de</strong>s (NSDFB) 87 , Emil Scheurich 88 .<br />

Das plötzliche Verschwin<strong>de</strong>n einzelner Prominenter ließ sich nicht verheimlichen.<br />

Zeitungsmeldungen belegen, daß viele Gerüchte kursierten.<br />

Gleich zweimal, am 4. Juli und am 7. Juli 1934, sah sich die Presse veranlaßt,<br />

eine noch andauern<strong>de</strong> Schutzhaft bzw. <strong>de</strong>n Tod <strong>de</strong>s sächsischen Ministerpräsi<strong>de</strong>nten<br />

und Führers <strong>de</strong>r SA-Gruppe Mitte, Manfred von Killinger,<br />

zu <strong>de</strong>mentieren. 89 Selbst die Haftentlassung <strong>de</strong>r Papen-Mitarbeiter von<br />

Tschirschky und von Savigny mel<strong>de</strong>te die Torgauer Zeitung 90 , ohne jedoch<br />

85<br />

Torgauer Zeitung (im folgen<strong>de</strong>n: TZ), 2.7.1934, Nr. 151.<br />

86<br />

Vgl. Rupieper/Sperk, Lageberichte, Band 2, S. 93.<br />

87<br />

Als NSDFB wur<strong>de</strong>n die Reste <strong>de</strong>s einstmals rund 400.000 Mann zählen<strong>de</strong>n<br />

Soldatenbun<strong>de</strong>s „Stahlhelm“ bezeichnet. Die jüngeren Jahrgänge <strong>de</strong>s „Stahlhelms“<br />

waren seit April 1933 in die SA eingeglie<strong>de</strong>rt wor<strong>de</strong>n. En<strong>de</strong> 1935 wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r NSDFB<br />

aufgelöst.<br />

88 Vgl. Lan<strong>de</strong>shauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abt. Merseburg (LAMer), Rep. C 48 Ie, Nr.<br />

1189e, Bl. 37f. Nachweisung über die aus Anlaß <strong>de</strong>r Ereignisse <strong>de</strong>s 30. J<strong>uni</strong> 1934<br />

festgesetzten Schutzhäftlinge. Stand 8.8.1934.<br />

89 Vgl. TZ, 4.7.1934, Nr. 153, „Erklärung <strong>de</strong>s SS-Oberabschnitts Mitte“ und 7.7.1934,<br />

Nr. 156, „von Killinger unbeteiligt“. Da v. Killinger als sächsischer Ministerpräsi<strong>de</strong>nt<br />

weit bekannt war, wur<strong>de</strong> die Presseerklärung <strong>de</strong>s SS-Oberabschnitts Mitte in an<strong>de</strong>ren<br />

Zeitungen <strong>de</strong>s Reiches veröffentlicht, so zum Beispiel im Württembergischen<br />

Staatsanzeiger vom 5.7.1934, Nr. 153. Vgl. auch Andreas Wagner: Mutschmann gegen<br />

von Killinger. Konfliktlinien zwischen Gauleiter und SA-Führer während <strong>de</strong>s Aufstiegs<br />

<strong>de</strong>r NSDAP und <strong>de</strong>r „Machtergreifung“ im Freistaat Sachsen, Beucha 2001.<br />

90 Vgl. TZ, 7.7.1934, Nr. 156, „Auf freien Fuß gesetzt“.<br />

31


zu wissen, daß bei<strong>de</strong> im Konzentrationslager Lichtenburg inhaftiert gewesen<br />

waren. Trotz <strong>de</strong>r offenbar weiterhin umlaufen<strong>de</strong>n Gerüchte nahm sich<br />

die Torgauer Zeitung dieses Themas nicht noch einmal an.<br />

Vor allem die Ermordung Kurt Moserts sorgte im Sommer 1934 für<br />

Gesprächsstoff in <strong>de</strong>r Region. Als <strong>de</strong>r SA-Obersturmbannführer nach<br />

seiner Verhaftung verschwun<strong>de</strong>n blieb, kamen in <strong>de</strong>r Bevölkerung Gerüchte<br />

auf. Ob Paul Mosert, von diesem Gere<strong>de</strong> getrieben, privat Ermittlungen<br />

nach <strong>de</strong>m Aufenthalt seines Sohnes anstellte o<strong>de</strong>r eher <strong>de</strong>r Auslöser war,<br />

bleibt unklar. Drei im Geheimen Staatsarchiv in Berlin in Abschriften überlieferte<br />

Aussagen belegen, daß die Bevölkerung eine Verbindung zwischen<br />

<strong>de</strong>m Verschwin<strong>de</strong>n von mehreren SA-Führern und <strong>de</strong>m KZ Lichtenburg<br />

herstellte. Die Nie<strong>de</strong>rschriften entstan<strong>de</strong>n noch im Juli wahrscheinlich auf<br />

Anregung <strong>de</strong>r SA-Gruppe Mitte und wur<strong>de</strong>n an die Oberste SA-Führung in<br />

Berlin und an <strong>de</strong>n Oberpräsi<strong>de</strong>nten in Mag<strong>de</strong>burg geleitet. Daß Gerüchte<br />

und tatsächliches Geschehen nicht weit auseinan<strong>de</strong>r lagen, zeigt die<br />

Aussage zweier SA-Männer: „Am Sonnabend, <strong>de</strong>n 21. d. Mts. waren<br />

obengenannte in <strong>de</strong>m Lokal ‚Schwarzer Adler‘ – Prettin. Bei einer Unterredung<br />

mit <strong>de</strong>m Gastwirt, Pg. Graßhoff, erklärte dieser, daß Standartenführer<br />

Mosert am Dienstag, <strong>de</strong>n 3. Juli 1934 in <strong>de</strong>r Lichtenburg erschossen<br />

wor<strong>de</strong>n wäre. Nachbarn wollen gehört haben, daß zwei scharfe Schüsse<br />

gefallen sind. Aus Gesprächen, die in <strong>de</strong>r Gastwirtschaft geführt [wor<strong>de</strong>n]<br />

sind, will Graßhoff entnommen haben, daß es sich um Mosert und noch<br />

einen Standartenführer han<strong>de</strong>lte. Weiter sagte er‚ daß die Erschießung mit<br />

<strong>de</strong>r früheren Angelegenheit – Lichtenburg – zusammenhänge. Aus Gesprächen,<br />

die er gehört haben will und aus seiner eigenen Überzeugung [schloß<br />

er], daß Sta[ndarten]f[ührer] Mosert eventuell durch Mißhandlungen erschlagen<br />

wor<strong>de</strong>n sei.“ 91<br />

Bei <strong>de</strong>m zweiten SA-Führer, <strong>de</strong>r nur als Standartenführer bezeichnet<br />

wird, könnte es sich um Max Schulze han<strong>de</strong>ln. Da Standartenführer aber<br />

sowohl eine Dienststellung als auch einen Dienstrang darstellte, Schulzes<br />

Dienstgrad zu<strong>de</strong>m nicht sicher bekannt ist, muß die I<strong>de</strong>ntität <strong>de</strong>s zweiten<br />

Mannes ungeklärt bleiben. Bemerkenswert ist, daß sowohl <strong>de</strong>r oben zitierte<br />

Gastwirt als auch ein an<strong>de</strong>rer Berichterstatter, Angst vor möglichen Schikanen<br />

durch die Lager-SS hatten und baten, ihre Auskunft vertraulich zu<br />

behan<strong>de</strong>ln.<br />

Die Staatspolizei Halle bemerkte <strong>de</strong>m Lagebericht für <strong>de</strong>n Monat Juli<br />

1934 zufolge nichts Außergewöhnliches: „Im Vor<strong>de</strong>rgrund stan<strong>de</strong>n die<br />

Abwicklungsarbeiten in <strong>de</strong>r Röhmangelegenheit. Beson<strong>de</strong>re Ereignisse sind<br />

für <strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>r Staatspolizeistelle nicht zu mel<strong>de</strong>n. […] Die<br />

Entwaffnung <strong>de</strong>r SA ist überall in Ruhe vor sich gegangen; zu irgendwelchen<br />

Zwischenfällen ist es hierbei nicht gekommen.“ 92 Die Meldung <strong>de</strong>s<br />

Regierungspräsi<strong>de</strong>nten, daß alles „glatt und in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit fast unbe-<br />

91 GStAPK, HA I, Rep. 90 P, Nr. 39/3, Bl. 233, Anlage 3.<br />

92 Rupieper/Sperk, Lageberichte, Band 2, S. 93ff.<br />

32


merkt“ 93 verlaufen wäre, mag für die meisten Kreise <strong>de</strong>s Regierungsbezirkes<br />

zutreffend gewesen sein. In Torgau und Wittenberg sorgten <strong>de</strong>r 30. J<strong>uni</strong><br />

und die folgen<strong>de</strong>n Tage für erhebliche Aufregung, wie die Quellen belegen.<br />

Im September relativierte zumin<strong>de</strong>st die Stapostelle Halle ihre Einschätzung.<br />

Sie konstatierte „gewisse Differenzen“ als Folgeerscheinung <strong>de</strong>s 30.<br />

J<strong>uni</strong> zwischen <strong>de</strong>n „einzelnen Glie<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r SA und <strong>de</strong>r SS“. Aus<br />

diesem Grund wäre „[d]as Verhältnis noch nicht wie<strong>de</strong>r so ist, wie es früher<br />

gewesen ist“ und es wür<strong>de</strong> immer noch Feindseligkeiten kommen. Als<br />

problematisch wur<strong>de</strong> die Lage im Kreis Torgau gekennzeichnet. Dort registrierten<br />

die Informanten <strong>de</strong>r Gestapo „eine anscheinend beson<strong>de</strong>rs starke<br />

Spannung zwischen SA und SS wegen <strong>de</strong>r Erschiessung <strong>de</strong>s SA-Standartenführers<br />

Mosert.“ 94<br />

Die Verantwortlichen bei <strong>de</strong>r Gestapo und im Regierungspräsidium<br />

unternahmen nichts, um die Verbreitung <strong>de</strong>r Gerüchte um Moserts Tod in<br />

<strong>de</strong>r Öffentlichkeit einzudämmen. Je<strong>de</strong>s Dementi hätte unweigerlich einen<br />

Bumerangeffekt hervorgerufen. Der Gestapo-Lagebericht vom September<br />

belegt, daß nach<strong>de</strong>m Moserts Tod nicht wi<strong>de</strong>rsprochen wur<strong>de</strong>, noch<br />

Spannungen zwischen SS und SA bestan<strong>de</strong>n. Das Interesse <strong>de</strong>r Bevölkerung<br />

an <strong>de</strong>r Mordsache war jedoch <strong>zur</strong>ückgegangen.<br />

VII. Fazit<br />

Nach<strong>de</strong>m sich die Wogen <strong>de</strong>r allgemeine Aufregung geglättet hatten,<br />

konnte die SS <strong>de</strong>n Lohn für ihre Bluttaten einstreichen. Hitler entließ die SS<br />

aus <strong>de</strong>r Abhängigkeit <strong>de</strong>r SA und erhob sie in <strong>de</strong>n Rang einer<br />

eigenständigen Parteiglie<strong>de</strong>rung. Auch Theodor Eicke wur<strong>de</strong> für seine<br />

Dienste belohnt. Zunächst ernannte Himmler seinen getreuen Helfer<br />

offiziell zum „Inspekteur <strong>de</strong>r Konzentrationslager und Führer <strong>de</strong>r SS-<br />

Wachverbän<strong>de</strong>“. Nur wenig später folgte die Beför<strong>de</strong>rung zum SS-Gruppenführer<br />

– zum damaligen Zeitpunkt <strong>de</strong>r zweithöchste Dienstgrad <strong>de</strong>r SS.<br />

Für das KZ Lichtenburg ist <strong>de</strong>r „Röhm-Putsch“ keine tiefgreifen<strong>de</strong> Zäsur.<br />

Die gravieren<strong>de</strong>re Än<strong>de</strong>rung war die bereits einen Monat zuvor erfolgte<br />

Einglie<strong>de</strong>rung in Eickes Herrschaftsbereich. Trotz<strong>de</strong>m ist <strong>de</strong>r „Röhm-<br />

Putsch“ ein wichtiges Ereignis in <strong>de</strong>r Geschichte <strong>de</strong>s Lagers. Die SS-Wachmannschaft<br />

bewies, daß sie auf Befehl bereit war, gegen eigene Parteigenossen<br />

mit <strong>de</strong>r gleichen Verachtung und Brutalität vorzugehen wie gegen<br />

alle an<strong>de</strong>ren Häftlinge. In <strong>de</strong>n Augen von Himmler und Eicke hatten sich<br />

die Männer bewährt. Das Konzentrationslager Lichtenburg war nun ein<br />

fester Bestandteil <strong>de</strong>s SS-Machtzentrums.<br />

93 Ebenda, S. 107.<br />

94 Ebenda, S. 177.<br />

33


Die Integration von Vertriebenen in <strong>de</strong>n Arbeitsprozeß am<br />

Beispiel <strong>de</strong>s Mansfel<strong>de</strong>r Kupferschieferbergbaus (1945-1949)<br />

von Anja Edith Spuhn<br />

Mit <strong>de</strong>m Zerfall <strong>de</strong>s Komm<strong>uni</strong>smus bekamen die Debatte, die Erforschung<br />

und die Bewertungen <strong>de</strong>r massenhaften und erzwungenen Migration <strong>de</strong>r<br />

Deutschen nach <strong>de</strong>m Zweiten Weltkrieg sowie die damit verbun<strong>de</strong>ne<br />

Begriffsbestimmung nicht nur in Deutschland, son<strong>de</strong>rn auch in <strong>de</strong>n<br />

Nachbarlän<strong>de</strong>rn einen neuen Impuls, da alte i<strong>de</strong>ologische Beschränkungen<br />

wegfielen und neue Quellen <strong>zur</strong> Verfügung stan<strong>de</strong>n. Während Vertriebenenpolitik<br />

und -integration in <strong>de</strong>r Sowjetischen Besatzungszone (SBZ)<br />

auf Zonen- und Lan<strong>de</strong>sebene in jüngerer Zeit wie<strong>de</strong>rholt zum Gegenstand<br />

<strong>de</strong>r historischen Forschung wur<strong>de</strong>n, blieb die Betriebsebene bislang<br />

unberücksichtigt. Als wesentlicher Bestandteil <strong>de</strong>r wirtschaftlichen und<br />

sozialen Integration <strong>de</strong>r Vertriebenen gilt <strong>de</strong>ren Arbeitseinglie<strong>de</strong>rung. Die<br />

vorliegen<strong>de</strong> Fallstudie 1 untersucht die Arbeitsintegration su<strong>de</strong>ten<strong>de</strong>utscher<br />

Vertriebener am Beispiel <strong>de</strong>s Mansfel<strong>de</strong>r Kupferschieferbergbaus, <strong>de</strong>ssen<br />

Wie<strong>de</strong>rbelebung nach Kriegsen<strong>de</strong> für die Gesamtwirtschaft <strong>de</strong>r SBZ von<br />

großer Be<strong>de</strong>utung war. Per SMAD 2 -Produktionsbefehl Nr. 124 vom 29.<br />

April 1946 sollten <strong>de</strong>m Kupferschieferbergbau zusätzliche Arbeitskräfte<br />

zugewiesen wer<strong>de</strong>n. Im Zuge dieser Entwicklung wur<strong>de</strong>n im Einzugsgebiet<br />

<strong>de</strong>s Mansfel<strong>de</strong>r Kupferschieferbergbaus gezielt Vertriebene angesie<strong>de</strong>lt.<br />

Das Hauptaugenmerk <strong>de</strong>r Untersuchung liegt auf <strong>de</strong>r Umsetzung <strong>de</strong>s<br />

Befehls Nr. 124. Nach Ergründung <strong>de</strong>r Ursachen für <strong>de</strong>n Arbeitskräftebedarf<br />

wer<strong>de</strong>n die Art <strong>de</strong>r Gewinnung, die Unterbringung sowie die sich<br />

aus <strong>de</strong>r Ansiedlung von neuen Arbeitskräften entstehen<strong>de</strong>n Probleme<br />

sowie Lösungsvorschläge erörtert. Analog hierzu erfolgt die Auseinan<strong>de</strong>rsetzung<br />

mit <strong>de</strong>n Entwicklungen im Bereich <strong>de</strong>r Arbeitskräftegewinnung<br />

zwischen 1947 und 1949, um dann <strong>de</strong>n Erfolg <strong>de</strong>r Integration <strong>de</strong>r Vertriebenen<br />

in <strong>de</strong>n Arbeitsprozeß <strong>de</strong>s Mansfel<strong>de</strong>r Kupferschieferbergbaus zu<br />

hinterfragen. Dabei soll die Verknüpfung von wirtschafts- und gesellschaftspolitischen<br />

Aspekten bei <strong>de</strong>r Integration <strong>de</strong>r Vertriebenen sowie mit<br />

<strong>de</strong>n spezifischen Problemen bei <strong>de</strong>r Ansiedlung von Vertriebenen<br />

beschrieben wer<strong>de</strong>n. Die Untersuchung beschränkt sich auf <strong>de</strong>n Zeitraum<br />

von 1945 bis 1949, da die Vertriebenen ab 1949 nicht mehr geson<strong>de</strong>rt<br />

erfaßt wur<strong>de</strong>n.<br />

1 Dem folgen<strong>de</strong>n Aufsatz liegen Auszüge meiner im Wintersemester 2001/2002 an <strong>de</strong>r<br />

<strong>Martin</strong>-Luther-Universität Halle-Wittenberg eingereichten Magisterarbeit zugrun<strong>de</strong>.<br />

Anja Spuhn: Studien <strong>zur</strong> Aufnahme und Integration <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Vertriebenen auf<br />

<strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>s Regierungsbezirks Merseburg zwischen 1945 und 1949, Halle-<br />

Wittenberg 2001.<br />

2 SMAD: Sowjetische Militäradministration Deutschland.<br />

34


I. Die Einglie<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Vertriebenen in <strong>de</strong>n Arbeitsprozeß 1945-1946<br />

a) Der SMAD-Befehl Nr. 124<br />

Zur Erhöhung <strong>de</strong>r Produktion von Kupfer und an<strong>de</strong>ren anfallen<strong>de</strong>n<br />

Nebenprodukten in <strong>de</strong>n Bergwerken und metallurgischen Betrieben <strong>de</strong>r<br />

Unternehmen <strong>de</strong>r Mansfel<strong>de</strong>r Kupferschieferbergbau A.G. 3 erließ <strong>de</strong>r<br />

Oberste Chef <strong>de</strong>r SMAD, Armeegeneral W. Sokolowsky, am 29. April 1946<br />

<strong>de</strong>n (Produktions-)Befehl Nr. 124. Der Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r Provinz Sachsen<br />

wur<strong>de</strong> angewiesen, <strong>de</strong>n Betrieben 7.400 Arbeitskräfte <strong>zur</strong> Verfügung zu<br />

stellen. Darunter sollten sich 5.350 Schachtarbeiter sowie 2.050 Fabrikarbeiter<br />

befin<strong>de</strong>n. Zweitens oblag es ihm, die örtlichen Selbstverwaltungen<br />

zu verpflichten, die eintreffen<strong>de</strong>n Arbeitskräfte mit Wohnraum zu<br />

versorgen, sowie die Sicherung <strong>de</strong>r Transportmittel <strong>zur</strong> Beför<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r<br />

Arbeiter zu <strong>de</strong>n Arbeitsplätzen zu gewährleisten. Drittens hatte er dafür zu<br />

sorgen, daß für nicht qualifizierte Arbeitskräfte Schulungen organisiert<br />

wur<strong>de</strong>n. Mit <strong>de</strong>r Kontrolle über die Ausführungen <strong>de</strong>s Befehls wur<strong>de</strong> die<br />

Abteilung Arbeitskräfte <strong>de</strong>r Sowjetischen Militäradministration (SMA) <strong>de</strong>r<br />

Provinz Sachsen beauftragt. 4<br />

Auffallend ist, daß in <strong>de</strong>r Übersetzung, die direkt an <strong>de</strong>n Präsi<strong>de</strong>nten<br />

bzw. an die Provinzialverwaltung <strong>de</strong>r Provinz Sachsen gerichtet war, im<br />

Gegensatz zum Original nicht mehr allein die Re<strong>de</strong> vom Mansfel<strong>de</strong>r<br />

Seekreis, son<strong>de</strong>rn zusätzlich vom Mansfel<strong>de</strong>r Gebirgskreis war; <strong>de</strong>r Befehl<br />

wur<strong>de</strong> somit auf dieses Gebiet ausgeweitet. Demnach waren die oben<br />

erwähnten Arbeitskräfte in bei<strong>de</strong> Kreise zu sen<strong>de</strong>n sowie die Direktoren<br />

<strong>de</strong>r Unternehmen in <strong>de</strong>n betreffen<strong>de</strong>n Kreisen dazu verpflichtet, die nicht<br />

qualifizierten Arbeitskräfte zu schulen. Den Anlagen ist zu entnehmen, daß<br />

<strong>zur</strong> Unterstützung <strong>de</strong>r Betriebe nicht nur Rohstoffe, son<strong>de</strong>rn auch<br />

Textilien, Arbeitskleidung und Schuhe sowie Ersatzteile und Transportmittel<br />

geliefert wer<strong>de</strong>n sollten. Darüber hinaus legte <strong>de</strong>r Befehl fest, welche<br />

Arbeiter ein Anrecht auf zusätzliche Lebensmittelrationen hatten. 5 Bei <strong>de</strong>r<br />

Provinzialverwaltung ging <strong>de</strong>r Befehl beim zuständigen Dolmetscher am 4.<br />

Mai 1946 ein und wur<strong>de</strong> zwei Tage später an <strong>de</strong>n 1. Vizepräsi<strong>de</strong>nten Robert<br />

Siewert (KPD/SED) weitergeleitet. 6 Mit <strong>de</strong>r Umsetzung <strong>de</strong>s Befehls<br />

wer<strong>de</strong>n am 7. Mai 1946 die Abteilungen Wirtschaft, Finanzen, Arbeit und<br />

Sozialfürsorge, Verkehr sowie Han<strong>de</strong>l und Versorgung beauftragt. Des<br />

3 Das Unternehmen wur<strong>de</strong> während <strong>de</strong>s Untersuchungszeitraumes wie<strong>de</strong>rholt<br />

umbenannt und umgeglie<strong>de</strong>rt, im folgen<strong>de</strong>n wird daher die traditionelle und noch heute<br />

gebräuchliche Bezeichnung „Mansfeld A.G.“ verwen<strong>de</strong>t.<br />

4 Vgl. Bun<strong>de</strong>sarchiv (BArch), Rep. DX 1, 124/46, Bl. 1.<br />

5 Vgl. Lan<strong>de</strong>shauptarchiv Sachsen-Anhalt, Mag<strong>de</strong>burg (LAMag), Rep. K 2 Min. Präs.,<br />

Nr. 3911, Befehl 124, Bl. 2, Anlage 4a, 6.<br />

6 KPD: Komm<strong>uni</strong>stische Partei Deutschland, SED: Sozialistische Einheitspartei<br />

Deutschland<br />

35


weiteren wur<strong>de</strong>n am 7. Mai 1946 das Oberbergamt in Halle, <strong>de</strong>r<br />

Bezirkspräsi<strong>de</strong>nt in Merseburg, die Landräte <strong>de</strong>s Mansfel<strong>de</strong>r Gebirgskreises<br />

und <strong>de</strong>s Mansfel<strong>de</strong>r Seekreises sowie die Abteilungen Wirtschaft-Industrie<br />

und Wirtschaft-Brennstoffe schriftlich von <strong>de</strong>m Befehl in Kenntnis<br />

gesetzt. 7<br />

Zwei Grün<strong>de</strong> lassen sich für diesen Produktionsbefehl und seinen<br />

Abschnitt über die Gestellung von Arbeitskräften anführen. Zum einen<br />

han<strong>de</strong>lte es sich um die Erfüllung <strong>de</strong>r Produktionsauflagen und zum<br />

an<strong>de</strong>ren um die Einhaltung <strong>de</strong>r Reparationsverpflichtungen. 8 Einem<br />

Schreiben <strong>de</strong>r Mansfeld A.G. vom 4. April 1946 an das Amt für Arbeit und<br />

Sozialfürsorge in Eisleben ist zu entnehmen, daß wegen fehlen<strong>de</strong>r<br />

Arbeitskräfte die Inbetriebnahme <strong>de</strong>s zweiten Ofens auf <strong>de</strong>r Eislebener<br />

Krughütte in Frage gestellt sei. Hierdurch gerate das Unternehmen bei <strong>de</strong>r<br />

Durchführung <strong>de</strong>r Produktionsauflagen und <strong>de</strong>r Erfüllung <strong>de</strong>r<br />

Reparationen in einen Rückstand, <strong>de</strong>r nicht mehr einholbar wäre. 9<br />

Beson<strong>de</strong>rs die umfangreichen Reparationslieferungen aus <strong>de</strong>r laufen<strong>de</strong>n<br />

Produktion belasteten neben <strong>de</strong>n Demontagen die Wirtschaft <strong>de</strong>r Provinz<br />

schwer, zumal die Lieferungsanweisungen von Seiten <strong>de</strong>r sowjetischen<br />

Stellen unkoordiniert erfolgten. 10 Der Befehl läßt <strong>de</strong>utlich erkennen, daß die<br />

Arbeitskräfte <strong>zur</strong> Gewährleistung <strong>de</strong>r Produktion, und somit aus wirtschaftspolitischen<br />

Beweggrün<strong>de</strong>n heraus, gebraucht wur<strong>de</strong>n. Die Nutzung<br />

<strong>de</strong>r Arbeitskraft <strong>de</strong>r Vertriebenen wur<strong>de</strong> zumin<strong>de</strong>st zu diesem Zeitpunkt<br />

noch nicht offiziell gefor<strong>de</strong>rt.<br />

b) Die Ursachen <strong>de</strong>s Arbeitskräftebedarf<br />

In <strong>de</strong>r Provinz Sachsen wur<strong>de</strong>n im Mai 1946 63.000 11 fehlen<strong>de</strong><br />

Arbeitskräfte registriert, so daß <strong>de</strong>r Arbeitskräftemangel <strong>de</strong>r Mansfeld A.G.<br />

7<br />

Vgl. ebenda, Aktenvermerk zum Befehl Nr. 124; vgl. Dieter-Marc Schnei<strong>de</strong>r: Sachsen-<br />

Anhalt, in: SBZ-Handbuch. Staatliche Verwaltungen, Parteien, gesellschaftliche<br />

Organisationen und ihre Führungskräfte in <strong>de</strong>r Sowjetischen Besatzungszone<br />

Deutschlands 1945-1949, hrsg. von <strong>Martin</strong> Broszat, Hermann Weber, München 1990, S.<br />

147-166, hier S.162.<br />

8 Vgl. Mansfeld Museum Eisleben (MME), Rep. MAG/357/ H – 002758.<br />

9 Vgl. Lan<strong>de</strong>shauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abt. Merseburg (LAMer), Rep. KV Eisleben,<br />

Nr. 667, Bl. 2.<br />

10 Vgl. Manfred Wille: Die Industrie in Sachsen-Anhalt im Spannungsfeld zwischen<br />

Neuaufbau, Besatzungsregime und gesellschaftlichen Umbruch 1945-1947, in:<br />

Christoph Buchheim (Hg.): Wirtschaftliche Folgelasten <strong>de</strong>s Krieges in <strong>de</strong>r SBZ/DDR,<br />

Ba<strong>de</strong>n-Ba<strong>de</strong>n 1995, S. 141-168, hier S. 155.<br />

11 Statistische Angaben entnommen aus: Rechenschaftsbericht <strong>de</strong>r Provinzialverwaltung<br />

Sachsen <strong>zur</strong> Entwicklung <strong>de</strong>r Industrie in <strong>de</strong>r Provinz Sachsen seit <strong>de</strong>m Mai 1945, vom<br />

Juli 1946, abgedruckt in: Berichte <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>s- und Provinzialverwaltungen <strong>zur</strong><br />

antifaschistisch-<strong>de</strong>mokratischen Umwälzung 1945/46, hrsg. von <strong>de</strong>r Staatlichen<br />

36


keine Einzelerscheinung darstellte und vielmehr im Kontext <strong>de</strong>r<br />

allgemeinen Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage gesehen wer<strong>de</strong>n muß. Die<br />

Grün<strong>de</strong> für <strong>de</strong>n Arbeitskräftemangel <strong>de</strong>s Unternehmens reichen bis in das<br />

Jahr 1945 <strong>zur</strong>ück. Zum einen fiel nach Kriegsen<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Weggang <strong>de</strong>r<br />

ausländischen Zwangsarbeiter, die 1944 immerhin 25% <strong>de</strong>r Belegschaft<br />

stellten, zum an<strong>de</strong>ren die vorübergehen<strong>de</strong> Verwendung von Bergarbeitern<br />

in an<strong>de</strong>ren Wirtschaftszweigen ins Gewicht. Den Tätigkeitsberichten <strong>de</strong>s<br />

Arbeitsamtes Eisleben ist zu entnehmen, daß im April/Mai 1945<br />

Bergarbeiter in <strong>de</strong>r Landwirtschaft tätig waren und dort auch bis in die<br />

Erntezeit bleiben mußten. 12 Darüber hinaus ordnete das Arbeitsamt im Juli<br />

1945 die Gestellung von Bergarbeitern <strong>de</strong>r Mansfeld A.G. 13 für <strong>de</strong>n<br />

Braunkohlenbergbau <strong>de</strong>r A. Riebeck´schen Montanwerke und das Kaliwerk<br />

Krügershall in Teutschenthal an. 14 Aus einem Schreiben <strong>de</strong>r Mansfeld A.G.<br />

an die Provinzialverwaltung vom 16. August 1945 geht hervor, daß es auf<br />

Grund <strong>de</strong>r vorhan<strong>de</strong>nen Abneigung gegen <strong>de</strong>n schlecht bezahlten<br />

Bergarbeiterberuf im Mansfel<strong>de</strong>r Revier sehr schwierig sein dürfte, die<br />

benötigten Arbeitskräfte <strong>zur</strong> Erlangung <strong>de</strong>s Sollbestan<strong>de</strong>s von 10.000<br />

Arbeitern zu erhalten. 15 Der Kupferschieferbergbau hatte im Jahre 1945 mit<br />

mannigfaltigen Anlaufschwierigkeiten zu kämpfen, vor allem, weil <strong>de</strong>r<br />

Versorgung von Besatzungstruppen und Bevölkerung mit Lebensmitteln<br />

und Kohle zunächst eine höhere Priorität als <strong>de</strong>r För<strong>de</strong>rung und Verarbeitung<br />

von Kupfer beigemessen wur<strong>de</strong>.<br />

Dies än<strong>de</strong>rte sich erst, als auch die überwiegend stillgelegten Gruben und<br />

Betriebe <strong>de</strong>r Mansfeld A.G. in die sowjetischen Produktionspläne einbezogen<br />

wur<strong>de</strong>n. Als letzter Industriebetrieb im Mansfel<strong>de</strong>r Seekreis nahm am<br />

15. Februar 1946 die Mansfeld A.G. ihre Produktion wie<strong>de</strong>r auf. Um bis<br />

September 1946 alle Mansfeld-Betriebe in Betrieb nehmen zu können,<br />

benötigte das Unternehmen min<strong>de</strong>stens 9.000 Arbeitskräfte. 16 Die vollständige<br />

Aufnahme <strong>de</strong>r Produktion wur<strong>de</strong> zusätzlich durch <strong>de</strong>n Mangel an<br />

Koks beeinträchtigt, so daß das geför<strong>de</strong>rte Erz bis Mitte 1946 auf Hal<strong>de</strong><br />

kam. Jedoch han<strong>de</strong>lte es sich hierbei nicht um ein spezifisches Problem <strong>de</strong>r<br />

Archivverwaltung <strong>de</strong>s Ministeriums <strong>de</strong>s Innern <strong>de</strong>r DDR, Gesamtredaktion: Wolfgang<br />

Merker, Hans-Joachim Schreckenbach, Berlin (Ost) 1989, S. 299.<br />

12 Vgl. Mansfeld. Die Geschichte <strong>de</strong>s Berg- und Hüttenwesens, hrsg. vom Verein<br />

Mansfel<strong>de</strong>r Berg- und Hüttenbetriebe e.V. Lutherstadt Eisleben und vom <strong>de</strong>utschen<br />

Bergbau Museum Bochum, Eisleben/Bochum 1999, S. 183, S. 433ff.; vgl. LAMer, Rep.<br />

KV Eisleben, Nr. 85, Bl. 2.<br />

13 Da das Unternehmen zwischen 1945 und 1949 mehrmals seinen Namen än<strong>de</strong>rt, wird<br />

im Text für diesen Zeitraum <strong>zur</strong> Bezeichnung <strong>de</strong>s Unternehmens <strong>de</strong>r Name Mansfeld<br />

A.G. sowie <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n Quellen häufig zu lesen<strong>de</strong> Begriff Mansfeld-Betriebe verwen<strong>de</strong>t.<br />

Darüber hinaus beziehen sich die Ausführungen nicht auf das Kupfer- und<br />

Messingwerk in Hettstedt.<br />

14 Vgl. LAMer, Rep. KV Eisleben, Nr. 85, Bl. 50.<br />

15 Vgl. ebenda, Nr. 84, Bl. 37f.<br />

16 Vgl. ebenda, Nr. 472, Bl.192.<br />

37


Mansfeld A.G. In <strong>de</strong>r ganzen Provinz Sachsen stan<strong>de</strong>n bis En<strong>de</strong> 1945 auf<br />

Grund <strong>de</strong>r starken Kriegszerstörungen in <strong>de</strong>n Betrieben selbst und im<br />

Verkehrswesen, sowie durch <strong>de</strong>n Wegfall von Zulieferungen viele Betriebe<br />

still. 17 Dem Protokoll einer Besprechung bei <strong>de</strong>r SMA-Kommandantur<br />

Eisleben über die Beschaffung von Arbeitskräften für die Mansfeld A.G.<br />

<strong>zur</strong> Durchführung <strong>de</strong>r Produktionsauflagen vom 27. und 28. Februar 1946<br />

ist zu entnehmen, daß ein Teil <strong>de</strong>r Belegschaft noch immer in frem<strong>de</strong>n<br />

Betrieben eingesetzt war. Ein Teil <strong>de</strong>r Bergarbeiter hatte sich auch seit <strong>de</strong>m<br />

Frühjahr 1945 eine an<strong>de</strong>re Beschäftigung gesucht. Im Januar 1946 waren<br />

2.250 Werksangehörige aus <strong>de</strong>r Kriegsgefangenschaft noch nicht <strong>zur</strong>ückgekehrt,<br />

an<strong>de</strong>re für Demontagearbeiten verpflichtet wor<strong>de</strong>n. Erst nach <strong>de</strong>r<br />

Ernte im August 1946 sollten alle freigewor<strong>de</strong>nen Arbeitskräfte <strong>de</strong>m<br />

Bergbau <strong>zur</strong> Verfügung gestellt wer<strong>de</strong>n. Noch im Oktober 1946 arbeiteten<br />

frühere Mansfeld-Arbeitnehmer in <strong>de</strong>n Chemiegiganten Leuna und Buna.<br />

Aufgrund besserer Arbeitsbedingungen und höherer Löhne waren Viele<br />

nicht Willens, in <strong>de</strong>n Kupferschieferbergbau <strong>zur</strong>ückzukehren. Der Mangel<br />

an Facharbeitern war in fast allen wichtigen Berufen signifikant. Er war<br />

zum einen eine direkte Kriegsfolge (Gefallene, Gefangene und Kriegsversehrte).<br />

Zum an<strong>de</strong>ren wirkte sich indirekt die nicht abgeschlossene o<strong>de</strong>r<br />

aber auch gar nicht erst begonnene Berufsausbildung vieler Jugendlicher<br />

aus, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Berufsausbildung war während <strong>de</strong>s Krieges vernachlässigt<br />

wor<strong>de</strong>n. In <strong>de</strong>n Mansfeld-Schächten mangelte es vor allem an Häuern. 18<br />

II. Maßnahmen <strong>zur</strong> Gewinnung von Arbeitskräften und die Rolle <strong>de</strong>r<br />

Vertriebenen<br />

a) Arbeitskräftegewinnung<br />

Bereits En<strong>de</strong> Februar 1946 bemerkte Kapitän Potapenko von <strong>de</strong>r<br />

Wirtschaftsabteilung <strong>de</strong>r Kommandantur Eisleben im Rahmen einer<br />

Besprechung mit Vertretern <strong>de</strong>r Mansfeld A.G., <strong>de</strong>r Kreisverwaltung und<br />

<strong>de</strong>n Arbeitsämtern, daß die Beschaffung von Arbeitskräften eine <strong>de</strong>r<br />

wichtigsten Voraussetzungen für die maximale Auslastung <strong>de</strong>r Produktionskapazitäten<br />

in <strong>de</strong>n Bergbau- und Hüttenbetrieben sei. Zu diesem<br />

Zeitpunkt benötigte das Unternehmen 7.500 Arbeitskräfte, <strong>de</strong>ren<br />

Gestellung bis September <strong>de</strong>s Jahres zu erfolgen hatte. Den größten Teil<br />

17 Vgl. Horst Barthel: Der schwere Anfang. Aspekte <strong>de</strong>r Wirtschaftspolitik <strong>de</strong>r Partei <strong>de</strong>r<br />

Arbeiterklasse <strong>zur</strong> Überwindung <strong>de</strong>r Kriegsfolgen auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r DDR von 1945-<br />

1949/50, in: Jahrbuch für Geschichte, Heft 6 (1977), S. 253-282, hier S. 255-265; vgl.<br />

Wille, Industrie, S. 150.<br />

18 Vgl. LAMer, Rep. KV Eisleben, Nr. 667, Bl. 21; vgl. LAMag, Rep. K 6 MW Nr.<br />

10197, unpag.; vgl. Horst Barthel: Die wirtschaftlichen Ausgangsbedingungen <strong>de</strong>r DDR,<br />

Berlin (Ost) 1979, S. 57.<br />

38


hatten die Arbeitsämter <strong>de</strong>s Mansfel<strong>de</strong>r See- und Gebirgskreises sowie <strong>de</strong>s<br />

Stadtkreises Eisleben zu stellen, nur in beschränktem Umfang sollten<br />

Arbeitskräfte von außerhalb hinzugezogen wer<strong>de</strong>n. Der Vertreter <strong>de</strong>s<br />

Amtes für Arbeit in Eisleben, Detzel, machte jedoch geltend, daß voll<br />

einsatzfähige Männer im Arbeitsamtsbezirk nicht mehr <strong>zur</strong> Verfügung<br />

stün<strong>de</strong>n. Auch unter <strong>de</strong>n bis dahin eingetroffenen Vertriebenen befan<strong>de</strong>n<br />

sich überwiegend Frauen, Kin<strong>de</strong>r und alte Leute. Der stellvertreten<strong>de</strong><br />

Landrat Schnei<strong>de</strong>r wandte ein, daß 2.000 Personen aus <strong>de</strong>r Landwirtschaft<br />

sowie aus <strong>de</strong>m Kleinhan<strong>de</strong>l und Handwerk für die Arbeit in <strong>de</strong>r Mansfeld<br />

A.G. herangezogen wer<strong>de</strong>n könnten. Nach Meinung <strong>de</strong>r Vertreter <strong>de</strong>r<br />

Kupfergesellschaft wäre es notwendig, die <strong>zur</strong> Zeit immer noch in frem<strong>de</strong>n<br />

Betrieben umgesetzten Mitarbeiter <strong>de</strong>s Werkes wie<strong>de</strong>r <strong>zur</strong>ückzuholen.<br />

Darüber hinaus sollten die Arbeiter, die seit Frühjahr 1945 in an<strong>de</strong>re<br />

Beschäftigungszweige abgewan<strong>de</strong>rt waren, wie<strong>de</strong>r für die Arbeit bei <strong>de</strong>r<br />

Mansfeld A.G. gewonnen wer<strong>de</strong>n. Trotz<strong>de</strong>m, so die Vertreter <strong>de</strong>r Mansfeld<br />

A.G., müßte ein be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>r Teil <strong>de</strong>r Arbeitskräfte neu eingestellt<br />

wer<strong>de</strong>n. 19 In <strong>de</strong>r Besprechung wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>utlich, daß die Frage <strong>de</strong>r Rückkehr<br />

<strong>de</strong>r kriegsgefangenen Werksangehörigen und ihr Einsatz in <strong>de</strong>r Mansfeld<br />

A.G. höhere Instanzen entschei<strong>de</strong>n mußten. Firmen mit SMA-Produktions-<br />

o<strong>de</strong>r Reparationsauflagen durften hierdurch jedoch nicht benachteiligt<br />

wer<strong>de</strong>n. Die Rückkehr <strong>de</strong>r betriebsfremd umgesetzten Werksangehörigen<br />

sowie die in Folge <strong>de</strong>r Betriebsreduzierung im Jahr 1945 abgekehrten<br />

Mitarbeiter sollte unter <strong>de</strong>r Bedingung gewährleistet wer<strong>de</strong>n, daß ihre<br />

<strong>de</strong>rzeitigen Arbeitsplätze mit an<strong>de</strong>ren Kräften besetzt wer<strong>de</strong>n. Nach Ansicht<br />

<strong>de</strong>r SMA hatte eine Freisetzung von Arbeitskräften vor allem aus <strong>de</strong>n<br />

Bereichen Kleinhan<strong>de</strong>l und Handwerk sowie aus <strong>de</strong>r Landwirtschaft zu<br />

erfolgen. Auf einer am nächsten Tag stattfin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Besprechung, an <strong>de</strong>r<br />

diesmal nur Vertreter <strong>de</strong>s Amtes <strong>de</strong>r Arbeit Eisleben und <strong>de</strong>r Mansfeld<br />

A.G. sowie <strong>de</strong>r stellvertreten<strong>de</strong> Landrat teilnahmen, wur<strong>de</strong> noch einmal<br />

betont, daß <strong>zur</strong> Erfüllung <strong>de</strong>s Produktionsplans die für April 1946<br />

angefor<strong>de</strong>rten 1.071 Arbeitskräfte bereitgestellt wer<strong>de</strong>n müssen. Die<br />

Deckung <strong>de</strong>s Bedarfs sollte mittels <strong>de</strong>r schon erwähnten Möglichkeiten<br />

erfolgen. 20 Man kam endgültig zu <strong>de</strong>m Schluß, daß zum einen ein nicht<br />

unerheblicher Teil Personal neu eingestellt wer<strong>de</strong>n mußte und daß zwangsläufig<br />

Bergarbeiter bzw. einsatzfähige Arbeitskräfte aus an<strong>de</strong>ren Gebieten<br />

<strong>zur</strong> Arbeit im Kupferschieferbergbau gebracht wer<strong>de</strong>n mußten.<br />

Der Befehl Nr. 124 wur<strong>de</strong> zwar erst am 29. April 1946 unterzeichnet,<br />

aber schon früher inoffiziell erlassen, wie einem Schreiben über die<br />

Erfüllung <strong>de</strong>s Produktionsbefehls Nr. 124 in <strong>de</strong>n Monaten Januar bis<br />

August 1946 zu entnehmen ist. 21 Auch die erwähnte Besprechung vom<br />

19 Vgl. LAMer, Rep. KV Eisleben, Nr. 667, Bl. 21.<br />

20 Vgl. ebenda, Bl. 21f.<br />

21 Vgl. MME, Rep. MAG /357/ H – 002758, Bl. 28/25.<br />

39


Februar 1946 stützt diese Vermutung. Da <strong>de</strong>r Befehl erst so spät offiziell<br />

und auch erst am 10. Mai 1946 <strong>de</strong>m Werk bekannt gemacht wur<strong>de</strong>,<br />

verzögerte sich die Umsetzung <strong>de</strong>r im Februar beschlossenen Maßnahmen<br />

um min<strong>de</strong>stens zwei Monate. 22 Noch Mitte Mai 1946 hing die geplante<br />

vollständige Inbetriebnahme <strong>de</strong>r Bergbau- und Hüttenbetriebe hauptsächlich<br />

immer noch von <strong>de</strong>r Zuweisung von Arbeitskräften ab. 23<br />

Daher unterbreitete die Mansfeld A.G. <strong>de</strong>r Abteilung Arbeit und<br />

Sozialfürsorge <strong>de</strong>r Provinzialverwaltung Vorschläge <strong>zur</strong> Deckung <strong>de</strong>s<br />

Arbeitskräftebedarfs von 3.610 Personen für die Monate Mai und J<strong>uni</strong><br />

1946. Im wesentlichen han<strong>de</strong>lte es sich dabei um die Vorschläge vom<br />

Februar 1946. Es waren 1.950 frem<strong>de</strong> Arbeitskräfte eingeplant. Bei diesen<br />

han<strong>de</strong>lte es sich noch nicht um Vertriebene. Vielmehr war man immer<br />

noch bestrebt, unter <strong>de</strong>r im Einzugsgebiet <strong>de</strong>r Mansfeld-Betriebe seßhaften<br />

Bevölkerung fündig zu wer<strong>de</strong>n. Die Abteilung Arbeit und Sozialfürsorge<br />

versuchte, die Vorschläge bereitwillig umzusetzen. Es stellte sich allerdings<br />

heraus, daß diese von Seiten <strong>de</strong>s Bezirksarbeitsamts Merseburg als nicht<br />

durchführbar angesehen wur<strong>de</strong>n. Außer<strong>de</strong>m herrschte auf Grund von<br />

SMA-Befehlen auch in vielen an<strong>de</strong>ren Betrieben, wie beispielsweise im<br />

Braunkohlen- und Kalibergbau, ein vordringlicher o<strong>de</strong>r zumin<strong>de</strong>st gleichwertiger<br />

Arbeitskräftebedarf. Da keine Reserven <strong>zur</strong> Verfügung stan<strong>de</strong>n,<br />

konnte die Rückführung <strong>de</strong>r umgesetzten und abgekehrten Beschäftigten<br />

nicht vollzogen wer<strong>de</strong>n. Auch die in <strong>de</strong>r Landwirtschaft arbeiten<strong>de</strong>n Bergleute<br />

<strong>de</strong>r Mansfeld AG wur<strong>de</strong>n noch im Mai 1946 für die „Sicherung <strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>utschen Volksernährung“ als notwendig erachtet und infolge<strong>de</strong>ssen nicht<br />

freigegeben. 24 Der Bedarf <strong>de</strong>r Mansfeld-Betriebe an frem<strong>de</strong>n Arbeitskräften<br />

erhöhte sich zwangsläufig drastisch. Bis J<strong>uni</strong> 1946 vollzog sich die Gestellung<br />

nur schleppend. So wur<strong>de</strong>n <strong>de</strong>m Unternehmen im Mai 1946 nur 400<br />

von geplanten 1.990 Arbeitskräften zugeführt. 25<br />

Ab Mai 1946 geriet die Zuweisung Vertriebener als Arbeitskräfte stärker<br />

in das Blickfeld <strong>de</strong>r beteiligten Behör<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>r Mansfeld A.G. Mitte Mai<br />

1946 bat die Abteilung Arbeit und Sozialfürsorge <strong>de</strong>r Provinzialverwaltung<br />

das Bezirksarbeitsamt in Merseburg, daß in <strong>de</strong>n von <strong>de</strong>r Mansfeld A.G. und<br />

<strong>de</strong>n örtlichen Verwaltungsstellen noch zu schaffen<strong>de</strong>n Unterkünften eine<br />

bevorzugte Einsetzung von „Umsiedler“familien gemäß <strong>de</strong>m Kontrollratsgesetz<br />

Nr. 18 stattfin<strong>de</strong>n sollte. En<strong>de</strong> Mai 1946 gab die Abteilung bekannt,<br />

daß die Raten <strong>zur</strong> Arbeitskräftegestellung ab Juli 1946 nur noch durch Aufnahme<br />

von „Umsiedler“familien zu sichern sind. Es wur<strong>de</strong> empfohlen, die<br />

Landräte und Bürgermeister anzuweisen, alle Möglichkeiten <strong>de</strong>s Kontrollratsgesetzes<br />

Nr. 18 auszuschöpfen, um die Arbeitskräfte zu ihren<br />

22 Vgl. ebenda<br />

23 Vgl. LAMer, Rep. KV Eisleben, Nr. 236, Bl. 231.<br />

24 Vgl. MME, Rep. MAG /357/ H – 002758, Bl. 28/25; vgl. LAMer, Rep. Mansfeld<br />

Kupferbergbau und Hüttenwerke GmbH, Nr. 301003d, Bl. 37.<br />

25 Vgl. Mansfeld Museum, Rep. MAG /357/ H-002758, Bl. 28/25.<br />

40


Arbeitsplätzen bringen zu können. 26 Nach Artikel VIII war es <strong>de</strong>n Wohnungsbehör<strong>de</strong>n<br />

erlaubt, diese Arbeitskräfte nach Anweisung <strong>de</strong>r Militärregierung<br />

in Orten mit einem Mangel an Facharbeitern bei <strong>de</strong>r Verteilung<br />

von Wohnraum zu bevorzugen. Artikel XI sah vor, daß es <strong>de</strong>r Militärregierung<br />

gestattet war, bestimmte Gemein<strong>de</strong>n bzw. Gebiete zu Brennpunkten<br />

<strong>de</strong>s Wohnungsbedarfs zu erklären. Sollte diese Situation eintreten,<br />

waren die <strong>de</strong>utschen Wohnungsämter berechtigt, mittels <strong>de</strong>r erfor<strong>de</strong>rlichen<br />

Maßnahmen <strong>de</strong>n Zugang zu diesen Regionen zu stoppen. Außer<strong>de</strong>m waren<br />

sie dazu angehalten, die Abwan<strong>de</strong>rung von Einwohnern, die für die<br />

Aufrechterhaltung <strong>de</strong>s Wirtschaftslebens nicht notwendig sind, aus <strong>de</strong>r<br />

Gemein<strong>de</strong> bzw. <strong>de</strong>m Bezirk zu erleichtern. 27 Somit stand fest, daß unter<br />

Ausnutzung aller Mittel Wohnraum für die eintreffen<strong>de</strong>n Vertriebenen zu<br />

schaffen war und dies sogar zu Lasten <strong>de</strong>r eingesessenen Bevölkerung<br />

gehen konnte.<br />

Im Frühjahr 1946 war also abzusehen, daß die Gewährleistung <strong>de</strong>r<br />

Produktion nur noch durch die Gestellung von vertriebenen Arbeitskräften<br />

möglich war. Hier bot sich die Möglichkeit, wirtschaftliche und gesellschaftliche<br />

Notwendigkeiten miteinan<strong>de</strong>r zu verknüpfen. Denn es war <strong>de</strong>n<br />

Behör<strong>de</strong>n schon im August 1945 klar, daß die Flüchtlingsfrage und die<br />

Liquidierung <strong>de</strong>r Arbeitslosigkeit sich in Anbetracht <strong>de</strong>r stetig andauern<strong>de</strong>n<br />

von Flucht und Vertreibung zu Hauptproblemen entwickeln wür<strong>de</strong>n. 28 Es<br />

reichte nicht aus, <strong>de</strong>n Vertriebenen nur ein Dach über <strong>de</strong>n Kopf zu geben.<br />

Sie mußten auch mit Arbeit versorgt wer<strong>de</strong>n, damit sie sich selbst<br />

unterhalten konnten.<br />

Auf einer Besprechung <strong>zur</strong> Durchführung <strong>de</strong>s Befehls Nr. 124 am 29.<br />

Mai 1946, an <strong>de</strong>r unter an<strong>de</strong>ren die Vertreter <strong>de</strong>r Zentralverwaltung für<br />

Industrie, <strong>de</strong>r Zentralverwaltung für Arbeit und Sozialfürsorge, <strong>de</strong>s Freien<br />

Deutschen Gewerkschaftsbun<strong>de</strong>s (FDGB), <strong>de</strong>r Abteilung Arbeit und<br />

Sozialfürsorge <strong>de</strong>r Provinzialverwaltung, <strong>de</strong>r Direktor <strong>de</strong>r Mansfeld A.G.<br />

und <strong>de</strong>r Bürgermeister von Eisleben teilnahmen, wur<strong>de</strong> noch einmal darauf<br />

hingewiesen, daß die benötigten Arbeitskräfte nur gestellt wer<strong>de</strong>n könnten,<br />

wenn sich unter <strong>de</strong>n zu erwarten<strong>de</strong>n 200.000 su<strong>de</strong>ten<strong>de</strong>utschen Vertriebenen<br />

entsprechen<strong>de</strong> Arbeitskräfte fin<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>n. Der Direktor <strong>de</strong>r<br />

Mansfeld A.G. schlug vor, die Arbeitsämter bei <strong>de</strong>r Auswahl von Arbeitskräften<br />

in <strong>de</strong>n Quarantänelagern durch Abordnung von Werksangehörigen<br />

und vielleicht auch <strong>de</strong>n Knappschaftsarzt zu unterstützen. Nach Ansicht<br />

<strong>de</strong>s Vertreters <strong>de</strong>r Abteilung Arbeit und Sozialfürsorge <strong>de</strong>r Provinzialverwaltung<br />

war ein die Verteilung <strong>de</strong>r Arbeitskräfte stark verzögern<strong>de</strong>s<br />

Verfahren nicht möglich, weil die Quarantänelager nach Ablauf <strong>de</strong>r<br />

26 Vgl. LAMag, Rep. K 6 MW, 10197, unpag.<br />

27 Vgl. LAMag, Gesetze <strong>de</strong>s Kontrollrates, A XIII e 437/ 193/91, Gesetz Nr. 18.<br />

28 Vgl. Nie<strong>de</strong>rschrift über eine Beratung <strong>de</strong>r Provinzverwaltung Sachsen mit<br />

Generalmajor Alexan<strong>de</strong>r G. Kotikow über aktuelle Aufgaben und Probleme vom 18.<br />

August 1945, in: Berichte <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>s- und Provinzialverwaltungen, S. 83.<br />

41


14tägigen Quarantänezeit geräumt sein mußten. Damit die Mansfeld A.G.<br />

mit <strong>de</strong>n für die Arbeit im Bergbau einsatzfähigen Vertriebenen versorgt<br />

wer<strong>de</strong>n konnte, sicherte <strong>de</strong>r Vertreter <strong>de</strong>r Abteilung Arbeit und Sozialfürsorge<br />

<strong>de</strong>r Provinzialverwaltung <strong>de</strong>m Unternehmen zu, daß vom Bezirksarbeitsamt<br />

in Merseburg über die gemel<strong>de</strong>ten Transporte sowie die in Frage<br />

kommen<strong>de</strong>n Lager und Arbeiter informiert wird. Es wür<strong>de</strong> dann <strong>de</strong>r Mansfeld<br />

A.G. obliegen, einen Beauftragen in das betreffen<strong>de</strong> Lager zu schicken,<br />

um dort mit <strong>de</strong>n Mitarbeitern <strong>de</strong>s Amts zu entschei<strong>de</strong>n, welche Vertriebenen<br />

<strong>de</strong>m Unternehmen zugewiesen wer<strong>de</strong>n sollen. 29<br />

Seitens <strong>de</strong>r Mansfeld A.G. waren Überlegungen zum Einsatz von<br />

Vertriebenen als Arbeitskräfte nicht neu. Erstmals wur<strong>de</strong> auf diese Möglichkeit<br />

am 16. August 1945 in einem Schreiben <strong>de</strong>s Unternehmens an die<br />

Provinzialverwaltung hingewiesen: „Wir… glauben, daß uns nach Durchführung<br />

<strong>de</strong>s Potsdamer Programms und nach Rückkehr <strong>de</strong>r Kriegsgefangenen<br />

genügend zusätzliche Arbeitskräfte <strong>zur</strong> Verfügung stehen wer<strong>de</strong>n.“ 30<br />

Gemeint waren Vertriebene. Das in <strong>de</strong>n Besprechungen <strong>de</strong>r Einsatz von<br />

Vertriebenen verstärkt ab J<strong>uni</strong> 1946 diskutiert wur<strong>de</strong>, hat wohl seine<br />

Ursachen darin, daß wie bereits erwähnt <strong>de</strong>r Arbeitskräftebedarf innerbezirklich<br />

nicht ge<strong>de</strong>ckt wer<strong>de</strong>n konnte und daß unter <strong>de</strong>n bisher eingetroffenen<br />

Vertriebenen vornehmlich Frauen, Kin<strong>de</strong>r und Alte waren. Die<br />

Anfor<strong>de</strong>rung von Su<strong>de</strong>ten<strong>de</strong>utschen hing zusammen mit <strong>de</strong>n ab J<strong>uni</strong> 1946<br />

geplanten Zwangsumsiedlungen aus <strong>de</strong>r ČSR. Auf einer Konferenz in Halle<br />

wur<strong>de</strong> beschlossen, die 200.000 Su<strong>de</strong>ten<strong>de</strong>utschen 31 vorrangig nach <strong>de</strong>m<br />

Kriterium <strong>de</strong>r berufsgerechten Arbeitsvermittlung anzusie<strong>de</strong>ln. Man hoffte,<br />

daß sich unter diesen Vertriebenen 6.000 Bergarbeiter befin<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>n. 32<br />

Diese Auffor<strong>de</strong>rungen <strong>zur</strong> Arbeitskräftegestellung aus <strong>de</strong>n zu erwarten<strong>de</strong>n<br />

Transporten sowie <strong>de</strong>r Konferenzbeschluß machen <strong>de</strong>utlich, daß die<br />

Vertriebenen nicht mehr wie 1945 vorrangig nach <strong>de</strong>n Aspekten<br />

Unterbringung und Ernährung in die Gemein<strong>de</strong>n eingewiesen wur<strong>de</strong>n,<br />

son<strong>de</strong>rn jetzt gezielt unter arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitischen<br />

Gesichtspunkten angesie<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n sollten. Man ging davon aus, daß sich<br />

unter <strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>r ČSR ankommen<strong>de</strong>n arbeitsfähigen Vertriebenen auch<br />

Bergarbeiter befin<strong>de</strong>n müßten.<br />

Am 12. J<strong>uni</strong> 1946 fand in Halle eine weitere Sitzung <strong>de</strong>r Provinzialverwaltung<br />

und <strong>de</strong>r SMA unter Hinzuziehung aller beteiligten Dienststellen<br />

statt, auf <strong>de</strong>r die Mansfeld A.G. ihr Arbeitskräftebeschaffungsprogramm<br />

vorstellte, das zwei Tage später an alle beteiligten SMA-Stellen und<br />

29 Vgl. LAMag, Rep. K6, MW Nr. 10197, unpag.<br />

30 Vgl. LAMer, Rep. KV Eisleben, Nr. 84, Bl. 38.<br />

31 Für die Provinz waren 200.000 Su<strong>de</strong>ten<strong>de</strong>utsche aus <strong>de</strong>r „Aktion 600.000“<br />

vorgesehen. Vgl. Die Su<strong>de</strong>ten<strong>de</strong>utschen in <strong>de</strong>r sowjetischen Besatzungszone<br />

Deutschlands. Dokumente, Mag<strong>de</strong>burger Forschungen 11, Pädagogische Hochschule<br />

Mag<strong>de</strong>burg, Mag<strong>de</strong>burg 1993, S. 90.<br />

32 Vgl. Wille: Die Su<strong>de</strong>ten<strong>de</strong>utschen, S. 112.<br />

42


<strong>de</strong>utschen Behör<strong>de</strong>n geleitet wur<strong>de</strong>. Dieses beinhaltete im Grun<strong>de</strong><br />

genommen alle bisherigen Vorschläge, wie sie schon auf <strong>de</strong>r Besprechung<br />

En<strong>de</strong> Februar erörtert wor<strong>de</strong>n waren. 33 Bis dahin belief sich <strong>de</strong>r Anteil von<br />

Vertriebenen an <strong>de</strong>r 6.800 Beschäftigte umfassen<strong>de</strong>n Gesamtbelegschaft<br />

laut einer Meldung vom 29. Mai 1946 auf ca. 200. 34 Von <strong>de</strong>n 4.500<br />

Arbeitskräften, die laut <strong>de</strong>m Arbeitskräftebeschaffungsprogramm <strong>de</strong>r<br />

Mansfeld A.G. vorläufig zu stellen seien, sollten 1.000, also ungefähr 22,2<br />

%, durch die Einstellung von „Umsiedlern“ gewonnen wer<strong>de</strong>n. Dabei<br />

han<strong>de</strong>lte es sich konkret um die schon in <strong>de</strong>r Besprechung vom 29. Mai<br />

1946 erwähnten Su<strong>de</strong>ten<strong>de</strong>utschen. Auch in die Planung <strong>zur</strong> Deckung <strong>de</strong>s<br />

restlichen Fehlbetrages von 2.000 bis 3.000 Arbeitskräften gingen die<br />

Vertriebenen mit ein. 35 Allerdings war noch En<strong>de</strong> J<strong>uni</strong> 1946 unklar, wann<br />

und in welchem Umfang die für die Provinz Sachsen bestimmten<br />

Vertriebenentransporte aus <strong>de</strong>r ČSR eintreffen sollten. Der Mansfeld A.G.<br />

wur<strong>de</strong> mitgeteilt, daß es noch etwa vier bis sechs Wochen dauern könnte.<br />

Unter<strong>de</strong>ssen stellte das Unternehmen eine spezielle Fachkraft ein, die sich<br />

mit <strong>de</strong>r Weiterverfolgung <strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>m Einsatz <strong>de</strong>r Vertriebenen<br />

betreffen<strong>de</strong>n Fragen beschäftigte und mit <strong>de</strong>n zuständigen Dienststellen die<br />

notwendigen gemeinsamen Anstrengungen unternehmen sollte. 36 Von<br />

Seiten <strong>de</strong>s Betriebes erfolgten seit En<strong>de</strong> Juli beson<strong>de</strong>re Anstrengungen <strong>zur</strong><br />

Anwerbung von Arbeitskräften unter <strong>de</strong>n „Umsiedlern“ aus <strong>de</strong>r Tschechoslowakei.<br />

Dazu reiste mit Genehmigung <strong>de</strong>r Provinzialumsiedlerstelle eine<br />

Kommission aus Vertretern <strong>de</strong>s Provinzialarbeitsamtes und <strong>de</strong>r Mansfeld<br />

A.G. in die Quarantänelager, um dort geeignete Arbeitskräfte zu ermitteln.<br />

37 Damit die Einsatzfähigkeit <strong>de</strong>r Menschen in <strong>de</strong>n Vertriebenentransporten<br />

besser eingeschätzt wer<strong>de</strong>n könne, empfahl die Provinzialumsiedlerstelle<br />

<strong>de</strong>r Mansfeld A.G., einen ihr bekannten und im su<strong>de</strong>ten<strong>de</strong>utschen<br />

Bergbau tätig gewesenen Markschei<strong>de</strong>r <strong>zur</strong> Überprüfung mitzunehmen.<br />

Dieser war schon als Transportführer aktiv gewesen und wäre in <strong>de</strong>r Lage,<br />

die Einsatzfähigkeit <strong>de</strong>r Menschen unter bergbauspezifischen Gesichtspunkten<br />

zu berücksichtigen. Auf dieses Angebot griff das Unternehmen<br />

<strong>zur</strong>ück. 38<br />

Auf Grund <strong>de</strong>r nicht einheitlichen Organisation dieser Aktion traten<br />

Schwierigkeiten auf, die auf Veranlassung <strong>de</strong>r SMA durch die Abteilung<br />

33 Vgl. MME, Rep. MAG /357/ H – 002758, Bl. 28/25.<br />

34 Manfred Wille (Hg.): Die Vertriebenen in <strong>de</strong>r SBZ/DDR. Dokumente.<br />

Massentransfer, Wohnen und Arbeiten 1946-1949, Bd. II, Wiesba<strong>de</strong>n 1999, S. 470, Nr.<br />

513.<br />

35 Vgl. MME, Rep. MAG /357/ H – 002758, 28/22, 28/21.<br />

36 Vgl. LAMer, Rep. Mansfeld Kupferbergbau und Hüttenwerke GmbH, Nr. 301003d,<br />

Bl. 50.<br />

37 Vgl. MME, Rep. MAG /357/ H – 002758, 28/20, 28/19; vgl. LAMag, Rep. K 6 MW,<br />

Nr. 10197, unpag.<br />

38 Vgl. LAMer, Rep. Mansfeld Kupferbergbau und Hüttenwerke GmbH, Nr. 301003d,<br />

Bl. 47.<br />

43


Arbeit und Sozialfürsorge in einheitliche Bahnen gebracht wer<strong>de</strong>n sollte.<br />

Danach erstellte die Abteilung im August 1946 eine Liste <strong>de</strong>r<br />

Umsiedlerlager, in <strong>de</strong>r vermerkt war, in welchen Lagern die einzelnen<br />

Werke ihre Arbeitskräfte in Gegenwart eines Vertreters <strong>de</strong>s Provinzialarbeitsamts<br />

heraussuchen konnten. Im Falle <strong>de</strong>r Mansfeld A.G. betraf es<br />

Umsiedlerlager in Eisleben, Bernburg, Köthen, Oberröblingen, Burgörner<br />

und Aschersleben. Darüber hinaus auftauchen<strong>de</strong> Bergbaukräfte in an<strong>de</strong>ren<br />

Umsiedlerlagern sollten <strong>de</strong>m Unternehmen außer<strong>de</strong>m zugeführt wer<strong>de</strong>n.<br />

Der damaligen Situation entsprechend war es nur folgerichtig, daß Vertriebene<br />

mit einem qualifizierten Facharbeiterberuf o<strong>de</strong>r einem Mangelberuf<br />

schon in <strong>de</strong>n Quarantänelagern von <strong>de</strong>n Maßnahmen <strong>de</strong>r Arbeitskräftelenkung<br />

betroffen waren. Im Zuge gezielter Suchaktionen unter <strong>de</strong>n Vertriebenen<br />

in <strong>de</strong>n Quarantänelagern wur<strong>de</strong>n im September 1946 1.177<br />

Facharbeiter für die Mansfeld A.G. gewonnen. 39<br />

Nach <strong>de</strong>r Überprüfung in <strong>de</strong>n Quarantänelagern wur<strong>de</strong>n die bergbautauglichen<br />

Vertriebenen gemeinsam mit ihren Familienangehörigen sowie<br />

mit Hilfe <strong>de</strong>s Unternehmens in das Gebiet <strong>de</strong>r Mansfeld A.G. transportiert<br />

und dort unter Anrechnung auf das „Umsiedleraufnahmesoll“ angesie<strong>de</strong>lt.<br />

Für alle an<strong>de</strong>ren Vertriebenen wur<strong>de</strong> auf Grund einer Vereinbarung mit<br />

<strong>de</strong>n zuständigen Behör<strong>de</strong>n das Einzugsgebiet <strong>de</strong>s Unternehmens gesperrt. 40<br />

Schwierigkeiten ergaben sich, weil sich trotz <strong>de</strong>r Vorauswahl in <strong>de</strong>n Lagern<br />

bei <strong>de</strong>r Ankunft in Eisleben bzw. im Bestimmungsort unter <strong>de</strong>n<br />

Arbeitskräften viele nicht volleinsatzfähige Personen befan<strong>de</strong>n. Dies war<br />

unter an<strong>de</strong>rem darauf <strong>zur</strong>ückzuführen, daß sich die Beauftragten <strong>de</strong>r<br />

Mansfeld A.G. die Arbeitskräfte teilweise nicht richtig ansahen. Als<br />

Dilemma für die Verwaltungsbehör<strong>de</strong>n auf <strong>de</strong>r einen Seite und die<br />

Mansfeld A.G. auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite erwies sich, daß die Quarantänelager<br />

bestrebt waren, die Lager so schnell wie möglich freizumachen, die<br />

Mansfeld A.G. jedoch nur voll einsatzfähige Männer einstellen wollte; diese<br />

sollten zusätzlich noch jung sein, da ein Großteil <strong>de</strong>r eigenen Belegschaft<br />

überaltert war. Diese Auffassung von Seiten <strong>de</strong>s Unternehmens führte<br />

dazu, daß weniger Arbeitskräfte im mittleren Alter eingestellt wur<strong>de</strong>n und<br />

somit auch die Angehörigen dieser Altersgruppe schwieriger untergebracht<br />

wer<strong>de</strong>n konnten. 41<br />

Aus Berichten über die Umsiedlerlager im Mansfel<strong>de</strong>r Seekreis ist für die<br />

Zeit zwischen J<strong>uni</strong> und September 1946 zu entnehmen, daß diese auf die<br />

39 Vgl. LAMag, Rep. K 6, MW, Nr. 10197, unpag.; vgl. Peter Hübner: Umworben und<br />

bedrängt: Industriearbeiter in <strong>de</strong>r SBZ, in: Studien <strong>zur</strong> Geschichte <strong>de</strong>r SBZ/DDR,<br />

Schriftenreihe <strong>de</strong>r Gesellschaft für Deutschlandforschung, Bd. 38, hrsg. von Alexan<strong>de</strong>r<br />

Fischer, Berlin 1993, S. 200; vgl. Torsten Mehlhase: Flüchtlinge und Vertriebene nach<br />

<strong>de</strong>m Zweiten Weltkrieg in Sachsen-Anhalt, Ihre Aufnahme und Bestrebungen <strong>zur</strong><br />

Einglie<strong>de</strong>rung in die Gesellschaft, Münster 1999, S. 165.<br />

40 Vgl. MME, Rep. MAG /357/ H – 002758, 28/19.<br />

41 Vgl. LAMag, Rep. K 6 MW, Nr. 10197, unpag.<br />

44


Aufnahme <strong>de</strong>r 6.000 aus <strong>de</strong>r ČSR stammen<strong>de</strong>n Vertriebenen vorbereitet<br />

waren. Zur Aufnahme <strong>de</strong>r Vertriebenen in <strong>de</strong>n Quarantänelagern <strong>de</strong>s<br />

Kreises kam es im Juli und August 1946. 42 Sie sollten <strong>zur</strong> Arbeitsrekrutierung<br />

dienen, im I<strong>de</strong>alfall zu 100%: „Um <strong>de</strong>n Anfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s<br />

Bergbaus hinsichtlich <strong>de</strong>r Arbeitskräfte einigermaßen gerecht zu wer<strong>de</strong>n,<br />

müßten sich die zu erwarten<strong>de</strong>n 6.000 Umsiedler restlos aus Bergarbeiterfamilien<br />

zusammensetzen. Rechnet man durchschnittlich die Familie zu<br />

drei Köpfen, so ergeben sich etwa 2.000 Bergleute, was ungefähr <strong>de</strong>m<br />

Anteil <strong>de</strong>s Mansfel<strong>de</strong>r Seekreises für die Neuanlegung bei <strong>de</strong>r Mansfel<strong>de</strong>r<br />

Kupferschieferbergbau A.G. entsprechen wür<strong>de</strong>.“ 43<br />

Damit war schon ein Problem angesprochen. Es war nämlich nicht anzunehmen,<br />

daß sich ein ganzer Vertriebenentransport nur aus 100% einsatzfähigen<br />

Arbeitskräften zusammensetzte. Meist war <strong>de</strong>r Anteil <strong>de</strong>r Frauen,<br />

Kin<strong>de</strong>r und Alten wesentlich höher als <strong>de</strong>r volleinsatzfähiger Männer.<br />

Einen Monat später wur<strong>de</strong> auf ein weiteres Problem hingewiesen: „Die laut<br />

Produktionsbefehl <strong>de</strong>r SMA einzusetzen<strong>de</strong>n Bergleute, und zwar: 7.400 bei<br />

<strong>de</strong>r Mansfeld‘schen Kupferschieferbergbau A.G., 300 <strong>de</strong>n Riebeck‘schen<br />

Montanwerken, 340 <strong>de</strong>n Burbach-Kaliwerken, Krügershall können voraussichtlich<br />

nicht allein aus <strong>de</strong>m Umsiedlerreservoir aus <strong>de</strong>r ČSR ge<strong>de</strong>ckt<br />

wer<strong>de</strong>n. Insbeson<strong>de</strong>re sind die von <strong>de</strong>r Mansfeld‘schen Kupferschieferbergbau<br />

A.G. anzulegen<strong>de</strong>n Bergleute für eine Untertagebeschäftigung vorgesehen.<br />

Es kommen für diese Arbeit nur 100%ige einsatzfähige Arbeiter<br />

im Alter von 20 bis 45 Jahren in Betracht. Nach <strong>de</strong>n bisher gemachten<br />

Erfahrungen wur<strong>de</strong>n gera<strong>de</strong> diese Arbeitskräfte von <strong>de</strong>r ČSR <strong>zur</strong>ückgehalten“.<br />

44 Auch ein leiten<strong>de</strong>r Arzt <strong>de</strong>r Provinzialverwaltung äußerte<br />

Anfang Juli 1946 in einer Besprechung bei <strong>de</strong>r SMA die Meinung, daß mit<br />

einer Gewinnung von bergbautauglichen Kräften aus <strong>de</strong>n tschechoslowakischen<br />

Transporten nicht zu rechnen sei. 45 Obwohl die Herkunft <strong>de</strong>r<br />

Transporte nicht bekannt ist, kann die berufliche Aufglie<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r für die<br />

Mansfeld A.G. bestimmten Vertriebenen aus <strong>de</strong>m Umsiedlerlager Elsterwerda<br />

vom 10. und 15. September 1946 als exemplarisch für die Auswahl<br />

von Berufsfrem<strong>de</strong>n für die Arbeit im Bergbau angesehen wer<strong>de</strong>n. Unter<br />

<strong>de</strong>n ausgesuchten Arbeitern befan<strong>de</strong>n sich keine Bergarbeiter. Es han<strong>de</strong>lte<br />

sich bei ihnen beispielsweise um in ehemals in <strong>de</strong>r Landwirtschaft Tätige,<br />

Fleischer, Maurer, Angestellte sowie Schüler. 46<br />

Mit diesen zwei vorangegangenen Zitaten wird auf einen an<strong>de</strong>ren wichtigen<br />

Aspekt im Zusammenhang mit <strong>de</strong>r Ansiedlung von vertriebenen<br />

42 Vgl. LAMer, Rep. K, KV Eisleben, Nr. 451, Bl. 24, Bl. 38, Bl. 50, Bl. 60.<br />

43 Ebenda, Nr. 451, Bl. 24.<br />

44 Ebenda, Bl. 39.<br />

45 Vgl. ebenda, Rep. Mansfeld Kupferbergbau und Hüttenwerke GmbH, Nr. 301003d,<br />

Bl. 46/3.<br />

46 Vgl. ebenda, Rep. K, KV Liebenwerda, Nr. 63 Bl. 341ff., Bl. 457f.; vgl. ebenda, Nr.<br />

64, Bl. 10, Bl. 72f., Bl. 150, Bl. 586ff.<br />

45


Bergarbeitern aufmerksam gemacht; die Politik von Tschechen und Polen,<br />

Angehörige bestimmter Berufsgruppen vorerst <strong>zur</strong>ückzuhalten. Bereits im<br />

Januar 1946 war <strong>de</strong>n tschechischen Politikern klar, daß die Ausweisung <strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>utschen Bergarbeiter schwerwiegen<strong>de</strong> wirtschaftliche und soziale Folgen<br />

nach sich ziehen wür<strong>de</strong>. Deswegen wur<strong>de</strong>n Teile <strong>de</strong>r Bergarbeiterschaft<br />

von <strong>de</strong>n Transporten ausgenommen. Sie sollten solange wie möglich für<br />

<strong>de</strong>n Bergbau in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei <strong>zur</strong> Verfügung stehen und erst mit<br />

<strong>de</strong>n letzten Transporten nach Deutschland geschickt wer<strong>de</strong>n. Zum Teil<br />

gingen die Überlegungen <strong>de</strong>r tschechischen Politik Anfang 1946 soweit,<br />

daß über das Verbleiben von 17.000 <strong>de</strong>utschen Bergarbeitern und ihrer<br />

Familien, also insgesamt 33.000 Personen, 47 ernsthaft nachgedacht wur<strong>de</strong>.<br />

Wie be<strong>de</strong>utend die <strong>de</strong>utschen Bergarbeiter für <strong>de</strong>n tschechischen Bergbau<br />

noch im J<strong>uni</strong>/Juli 1946 waren, belegt die Tatsache, daß in <strong>de</strong>n wichtigsten<br />

Bergbaurevieren die Belegschaften zwischen 33% und 90% aus <strong>de</strong>utschen<br />

Bergarbeitern bestand. Die Gewinnung von 23.000 Tschechen als Ersatz<br />

für die <strong>de</strong>utschen Arbeitskräfte erwies sich als schwierig, so daß <strong>de</strong>r<br />

Regierungsbevollmächtigte für <strong>de</strong>n „odsun“ 48 Kučera hervorhob, daß die<br />

<strong>de</strong>utschen Bergarbeiter als Letzte aus <strong>de</strong>r Tschechoslowakei ausgesie<strong>de</strong>lt<br />

wer<strong>de</strong>n sollten. Es wur<strong>de</strong> angestrebt, die <strong>de</strong>utschen Arbeitskräfte bis zum<br />

Herbst 1946 festzuhalten. Am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Zwangsumsiedlungen verblieben<br />

in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei mit ihren Familien ungefähr 10.000 <strong>de</strong>utsche<br />

Bergarbeiter, die als unentbehrliche Arbeitskräfte eingestuft wur<strong>de</strong>n. 49<br />

Darum ist es auch nicht ungewöhnlich, wenn im Sommer und Herbst 1946<br />

<strong>de</strong>utsche Stellen <strong>de</strong>n Mangel an Bergarbeitern in <strong>de</strong>n Vertriebenentransporten<br />

aus <strong>de</strong>r ČSR beklagten. Auch in Polen wur<strong>de</strong>n <strong>de</strong>utsche<br />

Facharbeiter und Spezialisten wie beispielsweise Bergarbeiter <strong>zur</strong>ückgehalten,<br />

um die Erhaltung und Sicherung <strong>de</strong>r Betriebe zu gewährleisten.<br />

Noch im Mai 1946 waren <strong>de</strong>utsche Bergleute in <strong>de</strong>n Kohle-, Arsen- und<br />

Kupferwerken von <strong>de</strong>n Aussiedlungen ausgenommen. 50 Weitere Grün<strong>de</strong><br />

47<br />

Vgl. Tomáš Stanĕk: Odsun Nĕmců z Československa, Praha 1991, S. 295.<br />

48<br />

Mit <strong>de</strong>m Wort „odsun“ wird im Tschechischen <strong>de</strong>r Akt <strong>de</strong>r Vertreibung bezeichnet.<br />

Zur Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s Begriffes vgl. eingehen<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Aufsatz von Eva Schmidt-Hartmann:<br />

Menschen o<strong>de</strong>r Nationen? Die Vertreibung <strong>de</strong>r Deutschen aus tschechischer Sicht, in:<br />

Wolfgang Benz (Hg.): Die Vertreibung <strong>de</strong>r Deutschen aus <strong>de</strong>m Osten. Ursachen,<br />

Ergebnisse, Folgen, Frankfurt/M. 1985, S. 142-157.<br />

49 Vgl. Karel Kaplan: Pravda o Československu 1945-1948, Praha 1990, S. 150ff.; vgl.<br />

Stanĕk: Odsun Nĕmců z Československa, S. 295ff. Stanĕk führt in seinem Buch auch<br />

die Grün<strong>de</strong> an, warum <strong>de</strong>r Ersatz <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Bergarbeiter sich als schwieriger als<br />

gedacht herausstellte.<br />

50 Vgl. hierzu: Erlaß <strong>de</strong>s Oberkommandos <strong>de</strong>r Polnischen Armee in <strong>de</strong>r Angelegenheit<br />

<strong>de</strong>r Aussiedlungsaktion <strong>de</strong>r Deutschen hinter <strong>de</strong>r O<strong>de</strong>r und Neiße, Nr. 43, Nr. 121, in:<br />

Wĩodzimierz Borodziej, Hans Lemberg (Hg.): „Unsere Heimat ist ein frem<strong>de</strong>s Land<br />

gewor<strong>de</strong>n ...“. Die Deutschen östlich von O<strong>de</strong>r und Neiße 1945-1950. Dokumente in<br />

polnischen Archiven, Bd. 1, Zentrale Behör<strong>de</strong>n, Wojewodschaft Allenstein, S. 167f.,<br />

258f. Vgl. weiter dazu beispielsweise die Dokumente: Nr. 89, S. 216ff. sowie Nr. 219, S.<br />

46


lagen in <strong>de</strong>r durch Weisungen <strong>de</strong>r Zentralverwaltungen verursachten<br />

Fehlleitung von in <strong>de</strong>r Industrie benötigten vertriebenen Arbeitskräften vor<br />

allen in agrarische Regionen, sowie in <strong>de</strong>r Tatsache, daß die Transporte<br />

nicht nach Berufen zusammengestellt waren. Die Zeit an <strong>de</strong>n Schleusenpunkten<br />

reichte nicht aus, um eine zufrie<strong>de</strong>nstellen<strong>de</strong> berufliche Registrierung<br />

<strong>de</strong>r Vertriebenen vornehmen zu können. Darüber hinaus konnten<br />

sich die Facharbeiter und Spezialisten nur schwer von ihren Familien und<br />

Landsleuten trennen. Die Realisierung <strong>de</strong>r Pläne <strong>zur</strong> berufsgerechten Ansiedlung<br />

wur<strong>de</strong> unter an<strong>de</strong>ren Faktoren 1946 immer noch durch das<br />

Faktum <strong>de</strong>r vorhan<strong>de</strong>nen Unterbringungsmöglichkeiten bedingt. 51<br />

Es kann also davon ausgegangen wer<strong>de</strong>n, daß es zwar zu einer gezielten<br />

Ansiedlung von Vertriebenen kam, jedoch eine Ansiedlung von qualifizierten<br />

Arbeitskräften durch das Zurückhalten <strong>de</strong>r unentbehrlichen <strong>de</strong>utschen<br />

Arbeitskräfte in <strong>de</strong>n ausweisen<strong>de</strong>n Staaten nur erschwert möglich war.<br />

Somit mußten weitgehend unqualifizierte Arbeitskräfte eingestellt wer<strong>de</strong>n,<br />

die <strong>de</strong>n Mangel an Facharbeitern nicht ausgleichen konnten. Bis zum 20.<br />

September 1946 wur<strong>de</strong>n rund 1.500 „Umsiedler-Arbeitskräfte“ mit 5.500<br />

Familienangehörigen in das Einzugsgebiet <strong>de</strong>r Mansfeld A.G. überführt<br />

und angesie<strong>de</strong>lt. 52<br />

Interessant ist, daß sich unter <strong>de</strong>n Vertriebenen in <strong>de</strong>n Umsiedlerlagern<br />

<strong>de</strong>r Arbeitskräftebedarf <strong>de</strong>r Mansfeld A.G. herumgesprochen haben mußte,<br />

da En<strong>de</strong> J<strong>uni</strong> 1946 zwei Vertriebene aus <strong>de</strong>m Umsiedlerlager Schönebeck<br />

bei <strong>de</strong>r Mansfeld A.G. vorsprachen, um für sich und 67 weitere Bergarbeiter<br />

aus <strong>de</strong>m gleichen Lager Arbeit zu fin<strong>de</strong>n. Im Lager befän<strong>de</strong>n sich<br />

noch ca. 1.000 Vertriebene, von <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r größte Teil Arbeit suchen<br />

wür<strong>de</strong>. Daraufhin fragte <strong>de</strong>r Direktor <strong>de</strong>r Mansfeld A.G. bei <strong>de</strong>r Abteilung<br />

Arbeit und Sozialfürsorge an, weshalb die Bergarbeiter bis jetzt noch nicht<br />

untergebracht wor<strong>de</strong>n seien. Sein Unternehmen wäre bereit, sie aufzunehmen,<br />

und er bat darum, daß das Amt in Schönebeck über die Ankunft eines<br />

Vertreters <strong>de</strong>r Mansfeld A.G., <strong>de</strong>r die Arbeitskräfte begutachten sollte,<br />

benachrichtigt wird. Der Direktor ging davon aus, daß es Antifaschisten<br />

sind, weil sie angaben, daß sie bevorzugt zu behan<strong>de</strong>ln seien. 53 Den Quellen<br />

konnte nicht entnommen wer<strong>de</strong>n, ob diese Vertriebenen von <strong>de</strong>r Mansfeld<br />

A.G. eingestellt wur<strong>de</strong>n. Es gab also neben <strong>de</strong>r behördlichen Lenkung auch<br />

eine eigendynamische Binnenwan<strong>de</strong>rung von Vertriebenen, die nach<br />

Marktgesichtspunkten erfolgte. 54<br />

395f., in: Ebenda, sowie das Kapitel Arbeit in <strong>de</strong>r Einleitung <strong>de</strong>s vorangegangenen<br />

Buches, S. 82-85. Vgl. Michael Schwartz: Vertrieben in die Arbeiterschaft. „Umsiedler“<br />

als Arbeiter in <strong>de</strong>r SBZ/DDR 1945-52, in: Peter Hübner, Klaus Tenfel<strong>de</strong> (Hg.):<br />

Arbeiter in <strong>de</strong>r SBZ/DDR, Essen 1999, S. 93.<br />

51 Vgl. Wille: Die Su<strong>de</strong>ten<strong>de</strong>utschen, S. 113.<br />

52 Vgl. MME, Rep. MAG /357/ H – 002758, 28/19.<br />

53 Vgl. LAMag, Rep. K 6 MW, Nr. 10197, unpag.<br />

54 Vgl. Schwartz, Vertrieben, S. 106.<br />

47


Für die Arbeit im Bergbau wur<strong>de</strong>n aber nicht nur Vertriebene aus <strong>de</strong>r<br />

ČSR in das Mansfel<strong>de</strong>r Land gebracht. Im Juli 1946 berichtete das<br />

Arbeitsamt Eisleben, daß die ersten größeren Transporte aus <strong>de</strong>m Südosten<br />

im Arbeitsamtsbezirk eintrafen. Vorgesehen war, daß hinsichtlich <strong>de</strong>r Wirtschaftsstruktur<br />

nur bergbautaugliche Arbeitskräfte eingewiesen wer<strong>de</strong>n<br />

sollten. Wie schon in <strong>de</strong>n Berichten über die Umsiedlerlager anklang, berichtete<br />

auch das Arbeitsamt Eisleben, daß von <strong>de</strong>n 8.000 Vertriebenen nur<br />

ca. 400, also nicht einmal 5%, generell als einsatzfähig betrachtet wer<strong>de</strong>n<br />

können. Nach Meinung <strong>de</strong>s Arbeitsamtes war <strong>de</strong>r bisherige Erfolg beim<br />

Einsatz von Vertriebenen bei <strong>de</strong>r Mansfeld A.G. sehr gering, da unter<br />

an<strong>de</strong>rem das Unternehmen nur Arbeitskräfte einstellte, die vom Arzt als<br />

tauglich eingestuft wor<strong>de</strong>n sind. 55<br />

En<strong>de</strong> August wur<strong>de</strong> das Arbeitskräftesoll von 7.320 Arbeitskräften im<br />

Bergbau zu nur 53% erfüllt. Als Ursache dafür wird <strong>de</strong>r verspätete Eingang<br />

<strong>de</strong>s Produktionsbefehls Nr. 124 und die darausfolgen<strong>de</strong> Verschiebung <strong>de</strong>r<br />

Arbeiterzuweisungen um zwei Monate angesehen. 56 Der Mansfeld A.G.<br />

konnten vom 1. März bis 17. September 1946 3.166 Arbeitskräfte für die<br />

Berg- und Hüttenbetriebe zugeführt wer<strong>de</strong>n. Im selben Zeitraum mußte<br />

das Unternehmen aber <strong>de</strong>n Abgang von 714 Arbeitern verzeichnen, so daß<br />

sich <strong>de</strong>r Nettozuwachs auf 2.452 Arbeitskräfte belief. Dem gegenüber sah<br />

das Soll bis August <strong>de</strong>n Zugang von 6.290 Arbeitern vor. Unter <strong>de</strong>n 3.166<br />

Zugängen waren 785 Vertriebene (24,8%). Trotz aller Anstrengungen<br />

konnte das Soll von 7.400 Arbeitskräften bis En<strong>de</strong> Oktober nicht ge<strong>de</strong>ckt<br />

wer<strong>de</strong>n. Es verblieb nach Angaben <strong>de</strong>r SMA ein Rest von 2.225 woraufhin<br />

das En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Frist auf das Jahresen<strong>de</strong> verlegt wur<strong>de</strong>. 57 Dies unterstrich<br />

auch <strong>de</strong>r Ergänzungsbefehl zum Befehl Nr. 124 vom April 1946, in <strong>de</strong>m<br />

<strong>de</strong>r Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r Provinz Sachsen noch einmal dazu angehalten wur<strong>de</strong>, <strong>de</strong>r<br />

Mansfeld A.G. Arbeitskräfte zuzuführen und die örtlichen Selbstverwaltungsorgane<br />

zu verpflichten, die Arbeitskräfte mit Wohnraum zu versorgen.<br />

58 Der Bezirk Merseburg mußte ab Oktober 90.500 Vertriebene aus<br />

Polen aufnehmen, und es erging an die Kreisämter für Arbeit und Sozialfürsorge<br />

die Weisung, daß Bergarbeiter aus <strong>de</strong>n eintreffen<strong>de</strong>n<br />

Vertriebenentransporten <strong>de</strong>m Amt in Eisleben für die Mansfeld A.G. <strong>zur</strong><br />

Verfügung gestellt wer<strong>de</strong>n müssen. 59<br />

In <strong>de</strong>n einzelnen Län<strong>de</strong>rn und Provinzen <strong>de</strong>r SBZ herrschten zu diesem<br />

Zeitpunkt unterschiedliche Arbeitsmarktbedingungen, die wie<strong>de</strong>rum nach<br />

Ansicht <strong>de</strong>r Arbeitsverwaltung eine koordinierte Binnenwan<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r<br />

„Vertriebenen“ erfor<strong>de</strong>rte. Hierdurch sollte eine Integration <strong>de</strong>r<br />

55 Vgl. LAMer, Rep. K, KV Eisleben, Nr. 85, Bl. 91.<br />

56 Vgl. MME, Rep. MAG /357/ H – 002758, unpag.<br />

57 Vgl. LAMag, Rep. K 6 MW, Nr. 10400, Bl. 17.<br />

58 Vgl. MME, Rep. MAG /357/ H – 002758, Bl. 28/58.<br />

59 Vgl. LAMer, Rep. K, KV Herzberg, Nr. 89, Bl. 111.<br />

48


Vertriebenen entsprechend ihrer Qualifikation erfolgen. 60 Mecklenburg<br />

kam als Arbeitskräftereservoir von Vertriebenen <strong>de</strong>shalb in Betracht, da in<br />

das Land neben <strong>de</strong>r Provinz Bran<strong>de</strong>nburg ganze Transporte und Gruppen<br />

von Facharbeitern gebracht wor<strong>de</strong>n waren, <strong>de</strong>ren berufliche Unterbringung<br />

aufgrund <strong>de</strong>s nicht Vorhan<strong>de</strong>nseins <strong>de</strong>rartiger Industrien nicht gewährleistet<br />

wer<strong>de</strong>n konnte. Vor allem betraf dies Chemiearbeiter, Glasarbeiter,<br />

Bergleute und Textilarbeiter. 61<br />

Bereits am 28. Oktober 1946 telegrafierte das Umsiedleramt <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s<br />

Mecklenburg-Vorpommern, daß 1.000 Bergarbeiter mit ihren Familien<br />

schon am 2. November in <strong>de</strong>n Mansfel<strong>de</strong>r Seekreis und Mansfel<strong>de</strong>r Gebirgskreis<br />

transportiert wer<strong>de</strong>n können. 62 Am Tag darauf wur<strong>de</strong> beim<br />

Provinzialamt für Arbeit und Sozialfürsorge vermerkt, daß die Zustimmung<br />

<strong>zur</strong> Unterbringung <strong>de</strong>r in Schwerin bereitstehen<strong>de</strong>n 1.000 Bergarbeiterfamilien<br />

im Mansfel<strong>de</strong>r Seekreis durch die Umsiedlerbetreuungsstelle voraussichtlich<br />

gegeben wird. 63 Laut <strong>de</strong>m Monatsbericht <strong>de</strong>s Amtes für Arbeit<br />

und Sozialfürsorge Eisleben für November 1946 verblieb ein Soll von 1.377<br />

Arbeitskräften, daß unter an<strong>de</strong>rem durch 1.000 Vertriebene aus Mecklenburg<br />

ausgeglichen wer<strong>de</strong>n sollte. Dabei könnte es sich um die besagten<br />

1.000 Bergarbeiterfamilien aus Schwerin gehan<strong>de</strong>lt haben. Die restlichen<br />

377 Arbeitskräfte sollten entwe<strong>de</strong>r durch die vorhan<strong>de</strong>ne Bevölkerung o<strong>de</strong>r<br />

durch einen überbezirklichen Ausgleich gestellt wer<strong>de</strong>n. 64 Wie sich herausstellte,<br />

trafen von <strong>de</strong>n 1.000 erwarteten Vertriebenen aus <strong>de</strong>m Arbeitsamtsbezirk<br />

Schwerin bis zum 31. Dezember 1946 jedoch nur 215 in Eisleben<br />

ein. Nachforschungen über <strong>de</strong>n Verbleib <strong>de</strong>r restlichen Arbeitskräfte<br />

ergaben, daß auf Grund <strong>de</strong>s Befehls Nr. 323 ca. 400 dieser Bergleute zum<br />

Einsatz im Steinkohlenbergbau nach Aue und Oelsnitz in Sachsen überführt<br />

wor<strong>de</strong>n waren. Von <strong>de</strong>n für die Mansfeld A.G. vorgesehenen<br />

Vertriebenenarbeitskräften waren weitere 150 in Landgemein<strong>de</strong>n eingewiesen<br />

wor<strong>de</strong>n, weil keine Transportkapazitäten <strong>zur</strong> Verfügung stan<strong>de</strong>n. Für<br />

Anfang Januar 1947 war geplant, die Bergleute wie<strong>de</strong>r zusammenzuziehen<br />

und nach Eisleben zu transportieren. Unter <strong>de</strong>n gegebenen Umstän<strong>de</strong>n war<br />

damit zu rechnen, daß die Quote <strong>de</strong>r 1.000 Bergarbeiter nicht einmal<br />

60 Vgl. Dierk Hoffmann: Vertriebenenintegration durch Arbeitsmarktlenkung? Zur<br />

Beschäftigungspolitik <strong>de</strong>r SBZ/DDR (1945-1950), in: Geglückte Integration? Spezifika<br />

und Vergleichbarkeiten <strong>de</strong>r Vertriebenen-Einglie<strong>de</strong>rung in <strong>de</strong>r SBZ/DDR, München<br />

1999, S. 184: vgl. Wolfgang Zank: Wirtschaft und Arbeit in Ost<strong>de</strong>utschland 1945-1949.<br />

Probleme <strong>de</strong>s Wie<strong>de</strong>raufbaus in <strong>de</strong>r Sowjetischen Besatzungszone, München 1987, S.<br />

150f.<br />

61 Vgl. BArch, DO 2, Nr. 58, Bl. 27.<br />

62 Geplante Umsetzung von nach Mecklenburg-Vorpommern eingewiesenen<br />

Chemiearbeiter- und Bergarbeiterfamilien in <strong>de</strong>r Provinz Sachsen (Telegramm <strong>de</strong>s<br />

Umsiedleramtes <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s Mecklenburg-Vorpommern), Halle, 28.10.1946, in: Die<br />

Vertriebenen in <strong>de</strong>r SBZ/DDR, Bd. II (s. Anm. 43), S. 432, Nr. 452.<br />

63 Vgl. LAMag, Rep. K 6 MW, Nr. 10400, Bl. 17.<br />

64 Vgl. LAMer, Rep. K, KV Eisleben, Nr. 759, Bl. 291.<br />

49


annähernd erreicht wur<strong>de</strong>. 65 An <strong>de</strong>m Beispiel wird <strong>de</strong>utlich, daß <strong>de</strong>r<br />

Arbeitskräftebedarf <strong>de</strong>r Mansfeld A.G. <strong>de</strong>m Anliegen <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong>n, die<br />

Vertriebenen gemäß ihrer Qualifikation in <strong>de</strong>n Arbeitsprozeß zu integrieren,<br />

entgegenkam.<br />

Im Januar 1947 bil<strong>de</strong>ten die Vertriebenen aus <strong>de</strong>n angekommenen<br />

Vertriebenentransporten <strong>de</strong>n größten Teil <strong>de</strong>r vom Arbeitsamt zugewiesenen<br />

Arbeitskräfte. 66 Das Arbeitskräftesoll, welches gemäß <strong>de</strong>s Produktionsbefehls<br />

schon bis En<strong>de</strong> Oktober 1946 erfüllt seine sollte, konnte auch<br />

innerhalb <strong>de</strong>s Verlängerungszeitraumes bis En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Jahres 1946 nicht<br />

erfüllt wer<strong>de</strong>n. Erst En<strong>de</strong> März 1947 galt <strong>de</strong>r Produktionsbefehl Nr. 124 als<br />

abgeschlossen. Noch im Januar 1947 mel<strong>de</strong>te das Amt für Arbeit und<br />

Sozialfürsorge einen Restbedarf von 443 Arbeitskräften. Auffallend ist, daß<br />

in einer täglichen Berichterstattung über die Kräfteab<strong>de</strong>ckung bei <strong>de</strong>r<br />

Mansfeld A.G. am 3. März 1947 vermerkt wur<strong>de</strong>, daß bis zum 1. März 1947<br />

6.237 Arbeitskräfte gestellt wur<strong>de</strong>n und sich ein Restbedarf von 1.215<br />

Arbeitskräften ergab. 67 Im Gegensatz zu <strong>de</strong>n Behör<strong>de</strong>n registrierte die<br />

Mansfeld A.G. nur die tatsächlich erschienen Arbeitskräfte. Hinzu kam,<br />

daß von <strong>de</strong>n Zugängen beispielsweise die Alten und Invali<strong>de</strong>n von Seiten<br />

<strong>de</strong>s Unternehmens abgezogen wur<strong>de</strong>n, so daß durch die Neuzugänge<br />

gera<strong>de</strong> einmal ein Ausgleich für die Abgänge erreicht wur<strong>de</strong> und <strong>de</strong>r<br />

benötigte reale Zuwachs nur sehr langsam erfolgen konnte. 68<br />

b) Schwierigkeiten bei <strong>de</strong>r Arbeitskräftegewinnung<br />

Im folgen<strong>de</strong>n sollen zusammenfassend die wichtigsten Grün<strong>de</strong> für <strong>de</strong>n<br />

schwachen Erfolg <strong>de</strong>r Arbeitskräftegewinnung angeführt wer<strong>de</strong>n.<br />

1) Arbeitsmarktpolitisch waren die ersten Nachkriegsjahre gekennzeichnet<br />

durch ad-hoc Maßnahmen, die langfristige Planungen nicht möglich<br />

machten. Vor allem <strong>de</strong>r schleppen<strong>de</strong> Verwaltungsaufbau, die nicht berechenbaren<br />

Bevölkerungswan<strong>de</strong>rungen sowie die wirtschaftspolitischen<br />

Maßnahmen <strong>de</strong>r SMAD wirkten sich zwischen 1945 und 1947 negativ auf<br />

die Arbeitsmarktpolitik aus; ein Beispiel wäre die Arbeitslenkung, die hauptsächlich<br />

durch sowjetische Direktmaßnahmen, die keine Gesamtsteuerung<br />

<strong>de</strong>s Arbeitsmarktes hervorbrachten, erfolgte. 69<br />

65 Vgl. LAMag, Rep. K 6 MW, Nr. 10197, unpag. Bezüglich <strong>de</strong>r organisatorischen<br />

Schwierigkeiten bei <strong>de</strong>r Übersiedlung von arbeitsfähigen Vertriebenen vgl. Hoffmann:<br />

Vertriebenenintegration, S. 185ff.<br />

66 Vgl. LAMer., Rep. K, KV Eisleben, Nr. 472, Bl. 150.<br />

67 Vgl. LAMag, Rep. K 6 MW, Nr. 10243, Bl. unpag.<br />

68 Vgl. ebenda, Nr. 10197, Bl. unpag.<br />

69 Vgl. dazu Dierk Hoffmann: Die Lenkung <strong>de</strong>s Arbeitsmarktes in <strong>de</strong>r SBZ/DDR 1945-<br />

1961. Phasen, Konzepte und Instrumente, in: Peter Hübner, Klaus Tenfel<strong>de</strong> (Hg.):<br />

Arbeiter in <strong>de</strong>r SBZ-DDR, Essen 1999, S. 49; vgl. Schwartz, Vertrieben, S. 105.<br />

50


2) Erheblich wirkte sich beson<strong>de</strong>rs unter <strong>de</strong>n Facharbeitern <strong>de</strong>r Rückgang<br />

an arbeitsfähigen Männern aus. Von <strong>de</strong>n 980.000 Vertriebenen arbeiteten in<br />

Sachsen-Anhalt am 1. Juli 1947 im Bergbau und in <strong>de</strong>r Industrie (ohne<br />

Bauwirtschaft) 69.706 Männer und 34.546 Frauen. Die Kriegsverluste<br />

konnten hierdurch nicht ausgeglichen wer<strong>de</strong>n. Es kam zu einer weiteren<br />

Verschärfung <strong>de</strong>r Disproportionen zwischen <strong>de</strong>n Geschlechtern sowie <strong>de</strong>n<br />

Erwerbsunfähigen und <strong>de</strong>n Arbeiten<strong>de</strong>n. 70<br />

3) Die Versuche, <strong>de</strong>m Mangel an Arbeitskräften Abhilfe zu verschaffen,<br />

waren durch die katastrophale Verkehrslage nur beschränkt erfolgreich.<br />

Dadurch wur<strong>de</strong> ein Heranziehen von Arbeitskräften aus an<strong>de</strong>ren Kreisen<br />

erheblich erschwert. Unter dieser Situation hatten neben <strong>de</strong>r Mansfel<strong>de</strong>r<br />

Kupferschieferbergbau A.G. unter an<strong>de</strong>ren auch die Riebeck‘schen<br />

Montanwerke zu lei<strong>de</strong>n. 71<br />

4) Das Soll an Arbeitskräften konnte nicht planmäßig erfüllt wer<strong>de</strong>n, da <strong>de</strong>r<br />

Produktionsbefehl verspätet eintraf und damit eine Verschiebung <strong>de</strong>r<br />

Zuweisungen um zwei Monate erfolgte. Es trat somit die Situation ein, daß<br />

die Sollzahlen für <strong>de</strong>n Monat August ursprünglich für <strong>de</strong>n Monat J<strong>uni</strong><br />

angedacht waren. 72<br />

5) Unternehmen wie die Mansfel<strong>de</strong>r Kupferschieferbergbau A.G., Buna<br />

o<strong>de</strong>r auch Leuna stießen bei <strong>de</strong>r Anwerbung von Arbeitskräften in <strong>de</strong>n<br />

Umsiedlerlagern auf Probleme. Obwohl sich herausgestellt hatte, daß die<br />

Vertriebenen mit größerem Vertrauen ihrer zukünftigen Tätigkeit entgegenblickten,<br />

wenn sie direkt mit <strong>de</strong>n Betriebsvertretungen im Beisein eines<br />

Vertreters <strong>de</strong>s Arbeitsamtes ihren Arbeitsvertrag abschlossen. Dies hing<br />

nicht zuletzt damit zusammen, daß bei <strong>de</strong>r direkten Werbung die Unterstützungsmöglichkeiten<br />

bezüglich <strong>de</strong>r Gestellung von Kleidung und Haushaltsgeräten<br />

besser geregelt waren als bei <strong>de</strong>r alleinigen Werbung durch das<br />

Arbeitsamt. Trotz dieser Erfolge existierten aber Verfügungen, welche die<br />

Vermittlung von Arbeit auf diese Art und Weise erschwerten. 73 Dierk<br />

Hoffmann weist darauf hin, daß es sich um Verfügungen <strong>de</strong>r sowjetischen<br />

Besatzungsmacht han<strong>de</strong>lte, die allerdings nicht dazu geführt haben, daß die<br />

Unternehmen an <strong>de</strong>r direkten Anwerbung von Arbeitskräften in <strong>de</strong>n<br />

Quarantänelagern gehin<strong>de</strong>rt wur<strong>de</strong>n. 74 Wie aus einem Schreiben <strong>de</strong>r<br />

Zentralverwaltung für Umsiedler an <strong>de</strong>n Chef <strong>de</strong>r SMAD-Abteilung für<br />

Zivilangelegenheiten sowie Statistik und Verteilung <strong>de</strong>r Umsiedler von<br />

Anfang September 1946 hervorgeht, wur<strong>de</strong> vorgeschlagen, Betrieben mit<br />

einem permanenten Bedarf an Arbeitskräften Son<strong>de</strong>rvollmachten <strong>zur</strong><br />

Werbung von Arbeitskräften in <strong>de</strong>n Umsiedlerlagern zu erteilen. 75 Versuche<br />

70 Vgl. Wille, Industrie, S. 149.<br />

71 Vgl. LAMer, Rep. K, KV Eisleben, Nr. 472, Bl. 175.<br />

72 Vgl. MME, Rep. MAG /357/ H – 002758, Bl. 28/63.<br />

73 Vgl. BArch, DO 2, Nr. 58, Bl. 28.<br />

74 Vgl. Hoffmann, Vertriebenenintegration, S. 178; vgl. Schwartz, Vertrieben, S. 106.<br />

75 Vgl. BArch, DO 2, Nr. 58, Bl. 28.<br />

51


<strong>de</strong>r Mansfeld A.G., bei <strong>de</strong>r Auswahl <strong>de</strong>r Arbeitskräfte in <strong>de</strong>n<br />

Umsiedlerlagern behilflich zu sein, wur<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>r Abteilung Arbeit und<br />

Sozialfürsorge unter <strong>de</strong>m Hinweis, daß neben <strong>de</strong>r Mansfeld A.G. auch<br />

an<strong>de</strong>re Unternehmen wie Buna arbeitsfähige Personen bräuchten und die<br />

Quarantänelager nach Ablauf <strong>de</strong>r 14tägigen Quarantänefrist geräumt sein<br />

müßten, abgelehnt, da „ein die Verteilung <strong>de</strong>r Arbeitskräfte stark verzögern<strong>de</strong>s<br />

Verfahren“ 76 nicht realisierbar sei. Erst nach<strong>de</strong>m sich die Mansfeld<br />

A.G. auf Veranlassung <strong>de</strong>r SMA an die Provinzialumsiedlerstelle wandte,<br />

konnte eine Anwerbung auf Grund <strong>de</strong>r Genehmigung <strong>de</strong>r Provinzialumsiedlerstelle<br />

in <strong>de</strong>n Umsiedlerlagern erfolgen. Auch in einer Besprechung<br />

<strong>de</strong>r Mansfeld A.G. mit <strong>de</strong>m Amt für Arbeit und Sozialfürsorge in Eisleben<br />

wur<strong>de</strong> auf <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rstand <strong>de</strong>r örtlichen Arbeitsämter gegen eine Herausnahme<br />

<strong>de</strong>r Arbeitskräfte mit ihren Familienangehörigen aus <strong>de</strong>n Quarantänelagern<br />

verwiesen. 77<br />

Verzögerungen bei <strong>de</strong>r Vermittlung <strong>de</strong>r Vertriebenen in <strong>de</strong>n Bergbau<br />

traten <strong>de</strong>shalb ein, weil eine <strong>zur</strong> Zufrie<strong>de</strong>nheit <strong>de</strong>s Werkes, <strong>de</strong>r beteiligten<br />

<strong>de</strong>utschen und sowjetischen Behör<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>r Vertriebenen erfor<strong>de</strong>rliche<br />

reibungslose Zusammenarbeit nur schwer möglich war. Dabei ist zu<br />

berücksichtigen, daß eine Vermittlung von vertriebenen Arbeitskräften<br />

unter an<strong>de</strong>rem durch die mangeln<strong>de</strong>n Unterbringungsmöglichkeiten am<br />

Einsatzort scheitern konnte. 78<br />

6) Bei <strong>de</strong>r Anwerbung von Arbeitskräften wirkte sich das Fehlen von<br />

Schuhen und Arbeitskleidung auf die Vermittlung negativ aus.<br />

7) In <strong>de</strong>n Umsiedlerlagern befan<strong>de</strong>n sich oft nur wenig bergbautaugliche<br />

Personen. Nach Angaben eines Angestellten <strong>de</strong>r Mansfeld A.G., <strong>de</strong>r unter<br />

an<strong>de</strong>rem über die Bergbautauglichkeit von Vertriebenen aus <strong>de</strong>r ČSR<br />

urteilen sollte, befän<strong>de</strong>n sich in einem von ihm besuchten Umsiedlerlager<br />

unter 2.000 Vertriebenen nur 100 Personen, die für das Unternehmen von<br />

Interesse wären. 79 Aus einem Vermerk über eine Besprechung mit <strong>de</strong>m<br />

Amt für Arbeit und Sozialfürsorge in Eisleben am 5. Juli 1946 geht hervor,<br />

daß <strong>de</strong>r Anteil von arbeitsfähigen Männern in <strong>de</strong>n Vertriebenentransporten<br />

im Durchschnitt 6-8% betrug. Unter <strong>de</strong>n 650 Vertriebenen <strong>de</strong>s Quarantänelagers<br />

Volkstedt befan<strong>de</strong>n sich z.B. 50 arbeitsfähige Männer. 80 Des<br />

weiteren erwiesen sich die zugeteilten Arbeitskräfte oft als berufsfremd, so<br />

76 LAMag, Rep. K 6 MW, Nr. 10197, unpag.<br />

77 Vgl. LAMer, Rep. Mansfeld Kupferschieferbergbau und Hüttenwerke GmbH, Nr.<br />

301003d, Bl. 51/1.<br />

78 Auf die Schwierigkeiten, <strong>de</strong>nen die Arbeitsämter bei <strong>de</strong>r Arbeitsvermittlung<br />

begegneten, sowie auf die Rolle <strong>de</strong>r Arbeitsämter geht Hoffmann ein: Die Lenkung <strong>de</strong>s<br />

Arbeitsmarktes, S. 49ff. ein. Vgl. auch <strong>de</strong>rs.: Vertriebenenintegration, S. 177f., S. 183f.<br />

79 Vgl. LAMer, Rep. Mansfeld Kupferbergbau und Hüttenwerke GmbH, Nr. 301003d,<br />

Bl. 46/3.<br />

80 Vgl. ebenda, Bl. 52/2.<br />

52


daß die Ab<strong>de</strong>ckung <strong>de</strong>s Bedarfs an bestimmten Bergbauberufen, wie<br />

beispielsweise <strong>de</strong>r Häuer, nicht gewährleistet wer<strong>de</strong>n konnte. 81<br />

Es gab neben <strong>de</strong>n oben beschriebenen Problemen auch Schwierigkeiten,<br />

die alltäglich waren und sicher nicht nur auf das Mansfel<strong>de</strong>r zu beschränken<br />

wären. Zum einen stellte sich die Versorgung <strong>de</strong>r Vertriebenen mit<br />

Wohnraum als ein beson<strong>de</strong>rs schwerwiegen<strong>de</strong>s Problem heraus, da die<br />

betroffenen Stadt- und Landkreise nicht nur für die Unterbringung <strong>de</strong>r<br />

Bergarbeiterfamilien zuständig waren, son<strong>de</strong>rn auch für die übrigen<br />

Vertriebenen. Hinzu kam, daß bei <strong>de</strong>r Schaffung von Wohnraum auch<br />

bürokratische Hin<strong>de</strong>rnisse oftmals <strong>de</strong>n Weg säumten. 82 Zum an<strong>de</strong>ren war<br />

es ab September 1946 nicht mehr möglich, die Arbeitskräfte aus <strong>de</strong>n<br />

Vertriebentransporten in betriebsnahen Gemein<strong>de</strong>n unterzubringen.<br />

Daraus ergaben sich Fragen die <strong>de</strong>n alltäglichen Transport <strong>de</strong>r Arbeitskräfte<br />

zu ihren Arbeitsplätzen und die Lösung <strong>de</strong>r wirtschaftlichen und<br />

technischen Probleme betrafen. Die katastrophalen Zustän<strong>de</strong> <strong>de</strong>s<br />

Verkehrswesens waren aber nicht nur auf das Mansfel<strong>de</strong>r Land beschränkt,<br />

son<strong>de</strong>r symptomatisch für die ganze Situation <strong>de</strong>s Verkehrswesens <strong>de</strong>r<br />

SBZ. Im Vergleich zum Vorkriegsstand fehlten 60% <strong>de</strong>r Transportmittel. 83<br />

Des weiteren entstan<strong>de</strong>n Schwierigkeiten bei <strong>de</strong>r Lebensmittelversorgung<br />

sowie bei <strong>de</strong>r Versorgung mit Kleidung und industriellen Fertigprodukten.<br />

Die Folgen <strong>de</strong>s ganzen liegen klar auf <strong>de</strong>r Hand. Es konnte we<strong>de</strong>r mit<br />

einem 100%igen Arbeitseinsatz <strong>de</strong>r Arbeitskräfte, noch mit einer<br />

kontinuierlichen Produktion gerechnet wer<strong>de</strong>n.<br />

III. Der Arbeitskräftebedarf zwischen 1947 und 1949<br />

a) Arbeitskräftebedarf und Quellen <strong>de</strong>r Arbeitskräftegewinnung<br />

Im Gegensatz zu <strong>de</strong>n ersten bei<strong>de</strong>n Nachkriegsjahren fand ab 1947 ein<br />

qualitativer Wan<strong>de</strong>l in <strong>de</strong>r volkswirtschaftlichen Gesamtplanung und -<br />

lenkung statt. Dieser ging einher mit <strong>de</strong>m langsamen Übergang <strong>zur</strong><br />

Planwirtschaft, <strong>de</strong>r vor <strong>de</strong>m Hintergrund <strong>de</strong>r wachsen<strong>de</strong>n Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r<br />

zentralen Institutionen sowie <strong>de</strong>s steigen<strong>de</strong>n Einflusses <strong>de</strong>r SED hinsichtlich<br />

<strong>de</strong>r Gestaltung <strong>de</strong>r neuen Wirtschaftsordnung erfolgte. Damit gewann<br />

neben <strong>de</strong>r Erstellung eines Wirtschaftsplanes für die SBZ auch die Planung<br />

81 Vgl. LAMer, Rep. K, KV Eisleben, Nr. 759, Bl. 291.<br />

82 Insgesamt verringerte sich <strong>de</strong>r Wohnraum in Sachsen-Anhalt im Vergleich zu 1939<br />

um 8,9%. Diametral entgegengesetzt war die Zunahme <strong>de</strong>r Bevölkerung bis En<strong>de</strong> 1945<br />

um 26%. Die Folge war, daß sich die Wohnfläche von 14 qm (1939) auf 8,9 qm (1945)<br />

pro Person reduzierte. Vgl. Mehlhase, Flüchtlinge, S. 99.<br />

83 Vgl. Barthel, Anfang, S. 255.<br />

53


<strong>de</strong>s Arbeitskräftepotentials immer mehr an Be<strong>de</strong>utung. 84 Es wäre also<br />

anzunehmen, daß die Deckung <strong>de</strong>s Arbeitskräftebedarfs auch für die<br />

Mansfeld A.G. in <strong>de</strong>n darauffolgen<strong>de</strong>n Jahren wesentlich koordinierter und<br />

unproblematischer erfolgte. Der Bedarf an Arbeitskräften im Mansfel<strong>de</strong>r<br />

Kupferschieferbergbau hielt jedoch auch nach <strong>de</strong>r Erfüllung <strong>de</strong>s SMAD-<br />

Befehls Nr. 124 an. Auf Grund von Kräfteanfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s Unternehmens<br />

und Befehlen <strong>zur</strong> Arbeitskräftegestellung von Seiten <strong>de</strong>r SMA<br />

bzw. <strong>de</strong>r SMAD mußten auch zwischen 1947 und 1949 neue Arbeitskräfte<br />

gestellt wer<strong>de</strong>n. Von einer vorläufigen Deckung <strong>de</strong>s Arbeitskräftebedarfs<br />

wur<strong>de</strong> erstmals in <strong>de</strong>n wirtschaftlichen Lageberichten im J<strong>uni</strong> 1948<br />

gesprochen. 85<br />

Bereits vor <strong>de</strong>m offiziellem Abschluß <strong>de</strong>s Befehls Nr. 124 erhielt das<br />

Amt für Arbeit und Sozialfürsorge die Nachricht, daß mit einer weiteren<br />

Auffor<strong>de</strong>rung <strong>zur</strong> Gestellung von 2.000 Personen seitens <strong>de</strong>r Mansfeld<br />

A.G. zu rechnen sei. Als Ursachen für diesen noch nicht offiziellen<br />

Zusatzauftrag wur<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Abgang von Werksangehörigen in <strong>de</strong>n Westen<br />

sowie <strong>de</strong>r Ersatz altersbedingt ausschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r Mitarbeiter genannt. 86 Den<br />

gesichteten Quellen war nichts über einen endgültigen Erlaß o<strong>de</strong>r die<br />

Durchführung dieses Zusatzauftrages zu entnehmen.<br />

Besser belegt ist die Umsetzung <strong>de</strong>r Arbeitskräftegestellung zum<br />

Produktionsbefehl 313 <strong>de</strong>r SMAD vom 9. September 1947, auf Grund<br />

<strong>de</strong>ssen bis zum 20. September 1947 2.000 bergbautaugliche Untertagearbeiter<br />

eingestellt wer<strong>de</strong>n sollten. 87 Der Befehl wur<strong>de</strong> erlassen, um <strong>de</strong>n<br />

Bedarf <strong>de</strong>r Industrie in <strong>de</strong>r SBZ an Kupfer und seinen Legierungen zu<br />

sichern. 88 Für die Umsetzung <strong>de</strong>s Befehls wur<strong>de</strong> sogar die Auflage <strong>zur</strong><br />

Arbeitskräftegestellung für <strong>de</strong>n Uranbergbau <strong>de</strong>r SAG Wismut vorübergehend<br />

außer Kraft gesetzt. 89 Der Befehl konnte jedoch bis zum gesetzten<br />

Termin nicht erfüllt wer<strong>de</strong>n. Bis zum 31. Oktober 1947 waren gera<strong>de</strong><br />

einmal 730 Personen gemäß <strong>de</strong>m Befehl 313 gestellt wor<strong>de</strong>n. Zwischen<br />

<strong>de</strong>m 1. Oktober 1947 und <strong>de</strong>m 31. Oktober. 1948 wur<strong>de</strong>n 3.695<br />

Arbeitskräfte eingestellt. Gleichzeitig verlor <strong>de</strong>r Betrieb 2.651 Arbeiter, so<br />

84 Vgl. Hoffmann, Lenkung, S. 57; vgl. Michael Schwartz: Vom ‚Flüchtling‘ zum<br />

Neubürger. Vertriebenenintegration als gesellschaftspolitisches Problem <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen<br />

Nachkriegsgesellschaft, in: Dokumentation: Grenze und Grenzbewohner. Nachbarn<br />

und Frem<strong>de</strong>. Alte Heimat - Neue Heimat. Abschied und Ankunft, hrsg. von Deutsch-<br />

Polnische Gesellschaft Bran<strong>de</strong>nburg e.V./Deutsch-Polnischer Journalisten Club Pod<br />

Stero-Typami/Unter Stereo-Typen, Guben, 2.-3. Dezember, 1994, S. 26-39, hier S. 30f.<br />

85 Vgl. LAMer, Rep. K, KV Eisleben, Nr. 759, Bl. 29f. Zum Arbeitskräftebedarf bis J<strong>uni</strong><br />

1946 vgl. ebenda, Bl. 9-23.<br />

86 Vgl. ebenda, Nr. 472, Bl. 140f., Bl. 150.<br />

87 Vgl. LAMag, Rep. K 6 MW, Nr. 9873, unpag.<br />

88 Vgl. ebenda, Nr. 10243, unpag.<br />

89 SAG: Sowjetische Aktiengesellschaft<br />

54


daß <strong>de</strong>r effektive Zugang nur 1.042 Arbeitskräfte umfaßte. 90 Vor allem <strong>zur</strong><br />

Sicherung <strong>de</strong>r Durchführung <strong>de</strong>s Produktionsplanes wur<strong>de</strong>n Gestellungsbefehle<br />

durch die SMAD erlassen. Hier wäre <strong>de</strong>r Befehl Nr. 40 vom 11.<br />

April 1949 zu erwähnen, <strong>de</strong>r darüber hinaus Maßnahmen <strong>zur</strong> Steigerung<br />

<strong>de</strong>r Stu<strong>de</strong>ntenzahl an <strong>de</strong>n technischen Fachschulen sowie <strong>zur</strong> Nachwuchsbildung,<br />

speziell unter Häuern, in Bergbau-Betrieben vorsah. 91<br />

Die SMAD-Befehle machen <strong>de</strong>utlich, daß auf Grund <strong>de</strong>s Bedarfs an<br />

Kupfer und seinen Legierungen große Anstrengungen unternommen<br />

wur<strong>de</strong>n, um durch Gestellung zusätzlicher Arbeitskräfte die Produktion zu<br />

sichern. Teilweise han<strong>de</strong>lte sich auch weiterhin um Vertriebene. Für En<strong>de</strong><br />

Oktober 1947 wur<strong>de</strong>n 2.000 Bergleute aus Oberschlesien für die<br />

Ansiedlung im Mansfel<strong>de</strong>r See- und Gebirgskreis erwartet. Darüber hinaus<br />

wur<strong>de</strong>n auch noch im April 1948 die Quarantänelager nach<br />

bergbautauglichen Arbeitskräften für die Mansfeld A.G. abgesucht. 92 Und<br />

schließlich verwies <strong>de</strong>r Landrat <strong>de</strong>s Mansfel<strong>de</strong>r Seekreises in einem<br />

Schreiben an die Lan<strong>de</strong>sregierung Sachsen-Anhalt im Juli 1948 darauf, daß<br />

<strong>de</strong>r Mansfel<strong>de</strong>r Seekreis seit mehreren Jahren als Zuweisungsgebiet für<br />

Bergarbeiter vorgesehen ist. Mit dieser Begründung und mit <strong>de</strong>m Hinweis<br />

auf die Überfüllung <strong>de</strong>s Landkreises wollte er verhin<strong>de</strong>rn, daß <strong>de</strong>m<br />

Mansfel<strong>de</strong>r Seekreis noch weitere Vertriebene zugewiesen wer<strong>de</strong>n. 93 Als<br />

schwierig erwies sich, daß unter <strong>de</strong>n 1.000 Vertriebenen aus <strong>de</strong>n<br />

zugewiesenen Vertriebenentransporten zwischen Juli und September 1947<br />

nur 96 männliche Personen waren. Von diesen waren die meisten zwischen<br />

60 und 80 Jahren. Kein einziger erwies sich als arbeitsfähig. Auf Grund <strong>de</strong>r<br />

angespannten Wohnraumsituation setzte man bei <strong>de</strong>r SMA durch, daß die<br />

300 <strong>zur</strong> Produktionssteigerung gefor<strong>de</strong>rten Bergleute nur alleinstehen<strong>de</strong><br />

Männer sein dürften. 94 Das Ministerium für Arbeit und Sozialfürsorge<br />

plante Mitte Januar 1948, daß für die Mansfeld A.G. vorrangig Arbeitskräfte<br />

aus <strong>de</strong>r Landwirtschaft, aus <strong>de</strong>m kleingewerblichen Sektor und<br />

beson<strong>de</strong>rs aus <strong>de</strong>m Han<strong>de</strong>l, sowie in einem späteren Schritt aus <strong>de</strong>n<br />

weniger wirtschaftlich relevanten Sektoren, herangezogen wer<strong>de</strong>n sollten. 95<br />

Wie be<strong>de</strong>utend die Frage <strong>de</strong>r Arbeitskräftegestellung für <strong>de</strong>n Mansfel<strong>de</strong>r<br />

Kupferbergbau aus wirtschaftlicher Sicht war, belegt die Sitzung <strong>de</strong>s<br />

„Kleinen Sekretariats“ bzw. <strong>de</strong>s Sekretariats <strong>de</strong>s ZK <strong>de</strong>r SED vom 23. Mai<br />

90 Vgl. ebenda, Nr. 9873, unpag.; vgl. ebenda, Nr. 10243, unpag.; vgl. <strong>de</strong>n Bericht eines<br />

Mitarbeiters <strong>de</strong>r Freien Deutschen Gewerkschaftsbun<strong>de</strong>s über eine Besprechung bei <strong>de</strong>r<br />

Deutschen Verwaltung für Arbeit und Sozialfürsorge mit Vertretern <strong>de</strong>s Ministeriums<br />

für Han<strong>de</strong>l und Versorgung <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>sregierung Sachsen (Auszug), Berlin, 13. Oktober<br />

1947 in: Vertriebene in <strong>de</strong>r SBZ/DDR, Bd. II, S. 463f., Nr. 502.<br />

91 Vgl. BArch, DX 1, Nr. 40/49, Bl. 1.<br />

92 Vgl. LAMag, Rep. K 6 MW, Nr. 5393, unpag.; vgl. ebenda, Nr. 10243, unpag.<br />

93 Vgl. LAMer, Rep. K, KV Eisleben, Nr. 455, Bl. 99.<br />

94 Vgl. ebenda, Nr. 733, Bl. 26.<br />

95 Vgl. LAMag, Rep. K 6 MW, Nr. 10243, unpag.<br />

55


1949. Letzteres beriet über die Lenkung <strong>de</strong>r freiwer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Arbeitskräfte zu<br />

<strong>de</strong>n Industrieschwerpunkten. Priorität besaßen dabei aus Sicht <strong>de</strong>r SED die<br />

Werften Mecklenburgs und <strong>de</strong>r Mansfel<strong>de</strong>r Kupferbergbau. Vorgesehen<br />

war nicht nur die Lenkung, son<strong>de</strong>rn auch die Mobilisierung von<br />

zusätzlichen Arbeitskräften. Konkret betroffen, waren arbeitsfähige<br />

Vertriebene ohne Arbeitsplatz, aber auch Frauen, die durch Umschulungen<br />

in <strong>de</strong>n Arbeitsprozeß eingebun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n sollten, um so männliche<br />

Arbeitskräfte für die Produktionsschwerpunkte freizusetzen. Allerdings<br />

waren die Beschlüsse unverbindlich und ohne zeitliche Vorgabe. 96<br />

b) Arbeitsstimmung und Arbeitskräfteabgang<br />

Alle diese Faktoren hatten Einfluß auf die Angestellten <strong>de</strong>s Werkes und<br />

somit auch auf die dort beschäftigten Vertriebenen. Im August 1947<br />

berichtete <strong>de</strong>r FDGB-Lan<strong>de</strong>svorstand Sachsen-Anhalt <strong>de</strong>m Minister für<br />

Arbeit und Sozialfürsorge über Arbeitsbummelei und eine sinken<strong>de</strong><br />

Arbeitsmoral im Mansfel<strong>de</strong>r Bergbaugebiet. So arbeiteten auf <strong>de</strong>m<br />

Wolfschacht bei Eisleben schon wochen- bzw. monatelang ungefähr 217<br />

Belegschaftsmitglie<strong>de</strong>r nicht mehr. 97<br />

Weiterhin war das Unternehmen mit <strong>de</strong>m Problem <strong>de</strong>r Abwan<strong>de</strong>rung<br />

von Beschäftigten in die Westzonen konfrontiert. Von <strong>de</strong>n bis zum 30. J<strong>uni</strong><br />

1947 in Sachsen-Anhalt eingetroffenen rund 1.120.000 Vertriebenen waren<br />

nur 380.000 arbeitsfähig. Im Durchschnitt wan<strong>de</strong>rten 15% <strong>de</strong>r Vertriebenen<br />

in die Westzonen ab. Deren Summe belief sich bis dahin auf rund<br />

168.000. 98 Im Erzbergbau gingen zwischen <strong>de</strong>m 1. Januar 1947 bis zum 30.<br />

J<strong>uni</strong> 1947 5% <strong>de</strong>r Arbeitskräfte in die Westzonen. Inwieweit es sich dabei<br />

um Vertriebene han<strong>de</strong>lte, ist jedoch nicht nachvollziehbar. Der Anteil <strong>de</strong>r<br />

Vertriebenen an diesen dürfte doch sehr hoch gewesen sein, da diese nicht<br />

über familiäre Verbindungen in <strong>de</strong>r Region Eisleben verfügten und somit<br />

eher zu Abwan<strong>de</strong>rung bereit gewesen sein dürften. Des weiteren dürften<br />

vertriebene Bergarbeiter auch auf Grund von Familienzusammenführungen<br />

die Region wie<strong>de</strong>r verlassen haben.<br />

Bereits im Mai 1947 schrieb die Abteilung Arbeit und Sozialfürsorge <strong>de</strong>r<br />

Provinzialverwaltung <strong>de</strong>r SMA in Halle, daß von weiteren überbezirklichen<br />

Zuweisungen von Arbeitskräften abzusehen sei, da beim Bergmann für<br />

gute Leistungen sowie Lust und Liebe am Beruf die Bo<strong>de</strong>nständigkeit<br />

entschei<strong>de</strong>nd sei. 99 Diese Feststellung läßt <strong>de</strong>n Schluß zu, daß es sich bei<br />

<strong>de</strong>n bis Mai 1947 abgewan<strong>de</strong>rten Bergarbeitern, vornehmlich um jene<br />

Arbeitskräfte han<strong>de</strong>lte, die im Zuge <strong>de</strong>r Maßnahmen <strong>zur</strong> Arbeitskräfte-<br />

96 Vgl. Hoffmann, Vertriebenenintegration, S. 190.<br />

97 Vgl. LAMag, Rep. K 6 MW, Nr. 10243, unpag.<br />

98 Vgl. ebenda<br />

99 Vgl. ebenda.<br />

56


gestellung eingestellt wor<strong>de</strong>n waren. Darunter befan<strong>de</strong>n sich wie schon<br />

erwähnt auch Vertriebene.<br />

Der größte Teil <strong>de</strong>r 1947/48 eingestellten Arbeitskräfte war berufsfremd<br />

und entstammte meist <strong>de</strong>m Handwerk und <strong>de</strong>r Landwirtschaft; o<strong>de</strong>r es<br />

waren Ungelernte. Bei diesen stand schon von vornherein fest, daß sie<br />

nicht auf Dauer im Bergbau tätig sein wollten. Eine Stammbelegschaft hatte<br />

sich, wie in <strong>de</strong>n Quellen vermerkt, bis November 1948 nicht herausbil<strong>de</strong>n<br />

können. Von <strong>de</strong>n ca. 3.000 Vertriebenen, welche die Mansfeld A.G. in <strong>de</strong>n<br />

letzten zwei Jahren eingestellt hatte, fan<strong>de</strong>n die meisten ihre Familien<br />

wie<strong>de</strong>r und wechselten aus diesem Grund ihren Wohnort. Auf Grund <strong>de</strong>r<br />

Situation, daß die berufsfrem<strong>de</strong>n Arbeitnehmer eher <strong>de</strong>n Betrieb wie<strong>de</strong>r<br />

verließen, wur<strong>de</strong> über Maßnahmen <strong>zur</strong> Erhöhung <strong>de</strong>r Attraktivität <strong>de</strong>s<br />

Bergbaus nachgedacht. Diese sahen erstens vor, daß sich <strong>de</strong>r Einsatz von<br />

berufsfrem<strong>de</strong>n Arbeitskräften nur rentieren wür<strong>de</strong>, wenn es gelänge, die<br />

Beschäftigten seßhaft zu machen. Zweitens sollten sie durch Schulungen<br />

<strong>de</strong>s FDGB über die volkwirtschaftliche Wichtigkeit ihrer Tätigkeit<br />

informiert wer<strong>de</strong>n. Drittens war eine Erweiterung <strong>de</strong>r sozialpolitischen<br />

Werksfürsorge vorgesehen. Das bezog sich hauptsächlich auf die<br />

Gestellung von Bekleidung, Schuhwerk, Hausrat und Einrichtungsgegenstän<strong>de</strong>n.<br />

Schließlich sollte versucht wer<strong>de</strong>n, das Berufsethos zu erhöhen. 100<br />

Als Hauptursache für <strong>de</strong>n Weggang wur<strong>de</strong> meistens die nicht erfolgreiche<br />

Seßhaftmachung, die auf mangeln<strong>de</strong>n Wohnraum <strong>zur</strong>ückzuführen war,<br />

angegeben. Die Unterbringung <strong>de</strong>r Bergarbeiter in Einzelquartieren o<strong>de</strong>r in<br />

Barackenlagern war nur eine Notlösung, da es dadurch <strong>de</strong>n Bergarbeitern<br />

kaum möglich war, ihre Familien zu sich zu holen. Die Barackenlager<br />

begünstigten <strong>de</strong>n Weggang somit zusätzlich und die Schaffung <strong>de</strong>r Vorraussetzungen<br />

<strong>zur</strong> Seßhaftmachung <strong>de</strong>r Arbeitnehmer entwickelte sich <strong>zur</strong> zentralen<br />

Frage und Aufgabe. Denn eine Steigerung <strong>de</strong>r Arbeitsfreu<strong>de</strong> und <strong>de</strong>r<br />

Leistung war nur möglich, wenn die Arbeitskräfte von <strong>de</strong>n Sorgen um eine<br />

Wohnung und <strong>de</strong>r damit einhergehen<strong>de</strong>n getrennten Haushaltsführung<br />

befreit wur<strong>de</strong>n. 101<br />

IV. Erfolgreiche Integration? – Die Einglie<strong>de</strong>rung in <strong>de</strong>n Arbeitsprozeß<br />

und seine Bewertung<br />

Um die Integration bewerten zu können, stellt sich die Frage nach <strong>de</strong>m<br />

Integrationsmo<strong>de</strong>ll, anhand <strong>de</strong>ssen <strong>de</strong>r Erfolg <strong>de</strong>r Integration bewertet<br />

wer<strong>de</strong>n soll. Deutsche Studien räumen <strong>de</strong>n Theorien <strong>de</strong>r US-Amerikaner<br />

100 Vgl. ebenda, Nr. 9873, unpag.<br />

101 Vgl. ebenda<br />

57


Thurnwald, Gordon und Rose 102 einen wichtigen Platz bei <strong>de</strong>r Beurteilung<br />

allgemeiner Integrationsprozesse, speziell hinsichtlich <strong>de</strong>r Integration von<br />

Einwan<strong>de</strong>rern in <strong>de</strong>n USA, ein. Mit Blick auf die spezifischen Eigenheiten,<br />

die sich auf Grund <strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>ren Umstän<strong>de</strong>, welche die Integration von<br />

ca. 12 Millionen Deutschen nach <strong>de</strong>m En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Zweiten Weltkrieges<br />

bedingten, können diese amerikanischen Mo<strong>de</strong>lle <strong>zur</strong> Analyse <strong>de</strong>r<br />

Integration <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Vertriebenen sowohl in <strong>de</strong>n damaligen<br />

Westzonen als auch in <strong>de</strong>r SBZ nur eingeschränkt herangezogen wer<strong>de</strong>n. In<br />

<strong>de</strong>r wissenschaftlichen Diskussion um die Integration <strong>de</strong>r Vertriebenen und<br />

Flüchtlinge in die Gesellschaft <strong>de</strong>r Westzonen und späteren Bun<strong>de</strong>srepublik<br />

fin<strong>de</strong>t seit langem das von Marion Frantzioch entwickelte Integrationsmo<strong>de</strong>ll<br />

Anwendung; seit kurzem eingeschränkt auch bezüglich <strong>de</strong>r SBZ. 103<br />

Alle Integrationstheorien heben die wirtschaftlich-soziale Komponente,<br />

damit ist auch die berufliche Einglie<strong>de</strong>rung verbun<strong>de</strong>n, als Basisintegrationsstufe<br />

hervor. Auf die SBZ bezogen hieße das, daß eine Gleichstellung<br />

<strong>de</strong>r Vertriebenen mit <strong>de</strong>m wirtschaftlichen und sozialen Standard <strong>de</strong>r Kernbevölkerung<br />

erreicht wer<strong>de</strong>n sollte: konkret <strong>de</strong>ren schnelle berufliche<br />

Einglie<strong>de</strong>rung und Versorgung mit Wohnraum und Hausrat. 104<br />

Mit <strong>de</strong>r bewußten Lenkung von Vertriebenen aus <strong>de</strong>r ČSR, unter <strong>de</strong>nen<br />

vor allem su<strong>de</strong>ten<strong>de</strong>utsche Bergarbeiter vermutet wur<strong>de</strong>n, sollte eine<br />

berufsgerechte Ansiedlung <strong>de</strong>r Vertriebenen erfolgen. Es stellte sich jedoch<br />

heraus, daß die sich in <strong>de</strong>n tschechoslowakischen Transporten befindlichen<br />

<strong>de</strong>utschen Arbeitskräfte nur zu einem geringen Teil Bergarbeiter waren. Die<br />

gesichteten Quellen beweisen, daß gera<strong>de</strong> die berufsfremd eingesetzten<br />

Vertriebenen am wenigsten motiviert waren und oft sehr schnell <strong>de</strong>n<br />

Weggang aus <strong>de</strong>m Bergbau anstrebten. Somit spielt die Frage nach <strong>de</strong>r<br />

berufsgerechten Arbeitsvermittlung von Vertriebenen eine nicht unwichtige<br />

Rolle für die Bewertung <strong>de</strong>s Erfolgs o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Nichterfolgs bei <strong>de</strong>r<br />

Arbeitsintegration von Vertriebenen in <strong>de</strong>n Mansfel<strong>de</strong>r Kupferschieferbergbau.<br />

Zumal 1946 die berufsgerechte Einweisung und Verteilung innerhalb<br />

<strong>de</strong>r Provinz Sachsen das Hauptkriterium bei <strong>de</strong>r Ansiedlung <strong>de</strong>r<br />

200.000 Su<strong>de</strong>ten<strong>de</strong>utschen darstellte.<br />

102 Zu <strong>de</strong>n Theorien von Thurnwald, Gordon und Rose vgl. Marion Frantzioch:<br />

Theoretische Ansätze <strong>zur</strong> Integration <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Vertriebenen in die Gesellschaft<br />

<strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland, in: Manfred Wille (Hg.): 50 Jahre Flucht und<br />

Vertreibung. Gemeinsamkeiten und Unterschie<strong>de</strong> bei <strong>de</strong>r Aufnahme und Integration<br />

<strong>de</strong>r Vertriebenen in <strong>de</strong>n Gesellschaften <strong>de</strong>r Westzonen/BRD und <strong>de</strong>r SBZ/DDR,<br />

Mag<strong>de</strong>burg 1997, S. 17-22; vgl. Mehlhase, Flüchtlinge, S. 93f.<br />

103 Torsten Mehlhase diente dieses Mo<strong>de</strong>ll neben <strong>de</strong>n amerikanischen Mo<strong>de</strong>llen als<br />

Grundlage für die Analyse <strong>de</strong>r Integration <strong>de</strong>r Vertriebenen in Sachsen-Anhalt. Vgl.<br />

Mehlhase, Flüchtlinge, S. 93ff. Zum Integrationsmo<strong>de</strong>ll vgl. Frantzioch, Theoretische<br />

Ansätze, S. 22ff. Darüber hinaus vgl. Schwartz, Vom ‚Flüchtling‘, S. 27f.; vgl.<br />

Hoffmann, Vertriebenenintegration, S. 173.<br />

104 Vgl. hierzu Mehlhase, Flüchtlinge, S. 95ff.; Schwartz, Vom ‚Flüchtling‘, S. 32.<br />

58


Versuche, vertriebene Bergarbeiter aus Mecklenburg für <strong>de</strong>n Mansfel<strong>de</strong>r<br />

Kupferschieferbergbau zu gewinnen, blieben hinter <strong>de</strong>n Erwartungen<br />

<strong>zur</strong>ück. Darüber hinaus schienen qualifizierte vertriebene Bergarbeiter<br />

wegen mangeln<strong>de</strong>r Abschlußzeugnisse, wie das Beispiel <strong>de</strong>s schlesischen<br />

Häuers zeigte, nicht ihrer Qualifikation entsprechend beschäftigt wor<strong>de</strong>n zu<br />

sein. Die erfolgreiche berufliche Einglie<strong>de</strong>rung wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>s weiteren verhin<strong>de</strong>rt<br />

durch die Schwierigkeiten beim Transport <strong>de</strong>r vertriebenen Arbeitskräfte<br />

zu ihren Arbeitsplätzen.<br />

Ähnlich stellte sich die Situation bei <strong>de</strong>r Unterbringung und <strong>de</strong>r Versorgung<br />

mit Hausrat/Textilien dar. Wie die Quellen belegen, gelang es <strong>de</strong>n<br />

Behör<strong>de</strong>n nicht, die vertriebenen Arbeitskräfte für <strong>de</strong>n Bergbau zufrie<strong>de</strong>nstellend<br />

unterzubringen. 105 Bis 1949 hatte sich die von Beginn an kritische<br />

Versorgung <strong>de</strong>r Vertriebenen mit Hausrat und Textilien im Untersuchungsgebiet,<br />

hier vor allem mit winterfester Kleidung, nicht gebessert. Auf<br />

Grund mangeln<strong>de</strong>r Kleidung fielen vertriebene Arbeitskräfte wegen<br />

Krankheit aus und <strong>de</strong>r Mangel an festen Schuhen machte sich unter<br />

an<strong>de</strong>ren auch an <strong>de</strong>r hohen Anzahl von Fehlstun<strong>de</strong>n bemerkbar. Das<br />

Überleben <strong>de</strong>r Vertriebenen wur<strong>de</strong> durch <strong>de</strong>n sozialkaritativen Charakter<br />

<strong>de</strong>r Vertriebenenpolitik in <strong>de</strong>r SBZ auf beschei<strong>de</strong>nem Niveau gesichert.<br />

Eine Angleichung ihrer Lebensverhältnisse an die <strong>de</strong>r Kernbevölkerung<br />

wur<strong>de</strong> allerdings nicht erreicht. 106 Immer wie<strong>de</strong>r tauchen Klagen über <strong>de</strong>n<br />

Abzug von vertriebenen Arbeitskräften auf, die einerseits auf Familienzusammenführungen<br />

und an<strong>de</strong>rerseits auf die nicht zufrie<strong>de</strong>nstellen<strong>de</strong><br />

Unterbringung <strong>de</strong>r vertriebenen Arbeitskräfte und <strong>de</strong>rer Familien sowie auf<br />

die un<strong>zur</strong>eichen<strong>de</strong> Versorgung <strong>de</strong>r Vertriebenen mit Haushaltsgegenstän<strong>de</strong>n<br />

und Textilien <strong>zur</strong>ückzuführen sind. Darüber hinaus durfte <strong>de</strong>r<br />

nicht berufsgerechte Einsatz von Vertrieben zum Abgang vieler Arbeitnehmer<br />

beigetragen haben.<br />

Hinsichtlich <strong>de</strong>r eingangs formulierten These und <strong>de</strong>s Untersuchungsgegenstan<strong>de</strong>s<br />

kann abschließend konstatiert wer<strong>de</strong>n, daß zwischen 1945<br />

und 1949 versucht wur<strong>de</strong>, wirtschaftspolitische und gesellschaftspolitische<br />

Interessen miteinan<strong>de</strong>r zu verbin<strong>de</strong>n. Zur Erfüllung <strong>de</strong>r Produktionsnormen<br />

erfolgte die Deckung <strong>de</strong>s Arbeitskräftebedarfs durch die Gestellung<br />

von vertriebenen Arbeitskräften, da die erfor<strong>de</strong>rliche Anzahl an Arbeitskräften<br />

we<strong>de</strong>r durch die Rückkehr <strong>de</strong>r umgesetzten und abgekehrten<br />

Arbeiter o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Kriegsgefangenen, noch durch <strong>de</strong>n innerbezirklichen<br />

Ausgleich o<strong>de</strong>r die Mobilisierung bzw. Umsetzung <strong>de</strong>r im Einzugsgebiet<br />

<strong>de</strong>s Unternehmens seßhaften Arbeitskräfte gewährleistet wer<strong>de</strong>n konnte.<br />

Aus diesem Grund wur<strong>de</strong>n gezielt ab Frühjahr 1946 Versuche unternommen,<br />

Vertriebene zum Zwecke <strong>de</strong>r Arbeit im Mansfel<strong>de</strong>r Kupferschiefer-<br />

105 Vgl. Philipp Ther: Deutsche und Polnische Vertriebene. Gesellschaft und<br />

Vertriebenenpolitik in <strong>de</strong>r SBZ/DDR und in Polen 1945-1956, Göttingen 1998, S.<br />

330ff.<br />

106 Vgl. ebenda, S. 230, S. 250ff.<br />

59


ergbau anzusie<strong>de</strong>ln. Weil schon 1945 erkannt wor<strong>de</strong>n war, daß die Flüchtlingsfrage<br />

und die Liquidierung <strong>de</strong>r Arbeitslosigkeit für zu <strong>de</strong>n zukünftigen<br />

Hauptprobleme gehören wür<strong>de</strong>n und ab 1946 eine Wen<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Vertriebenenpolitik<br />

− weg von <strong>de</strong>m Prinzip <strong>de</strong>r Ansiedlung <strong>de</strong>r Vertriebenen unter<br />

ernährungs- und wohnungsspezifischen Gesichtspunkten hin <strong>zur</strong> Ansiedlung<br />

unter arbeitsmarktspezifischen Gesichtspunkten − eintrat, bot sich<br />

hier die Möglichkeit, wirtschaftspolitische Bedürfnisse mit gesellschaftspolitischen<br />

Bedürfnissen zu verknüpfen. Auf Grund <strong>de</strong>r Ansiedlung von<br />

Vertriebenen ergaben sich vor allem Unterbringungs-, Versorgungs- und<br />

Transportprobleme, die im Bereich <strong>de</strong>s Mansfel<strong>de</strong>r Kupferschieferbergbaus<br />

bis 1949 nicht zufrie<strong>de</strong>nstellend gelöst wer<strong>de</strong>n konnten. Ein nicht<br />

unerheblicher Anteil <strong>de</strong>r vertriebenen Arbeitskräfte war berufsfremd, und<br />

gera<strong>de</strong> unter jenen war <strong>de</strong>r Drang, das Unternehmen so schnell wie nur<br />

möglich wie<strong>de</strong>r zu verlassen, beson<strong>de</strong>rs groß. Die Frage nach <strong>de</strong>m Erfolg<br />

<strong>de</strong>r Integration läßt sich anhand <strong>de</strong>r Fragestellung <strong>de</strong>r Arbeit nur negativ<br />

beantworten, da we<strong>de</strong>r von einer erfolgreichen wirtschaftlichen und<br />

sozialen noch von einer erfolgreichen beruflichen Integration gesprochen<br />

wer<strong>de</strong>n kann.<br />

60


Essays und Berichte<br />

Foto- und Filmdokumente zum Kriegsen<strong>de</strong> 1944/45 und <strong>zur</strong><br />

Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands im Russischen<br />

Staatsarchiv für Film- und Fotodokumente (RGAKFD)<br />

von Daniel Bohse und Henrik Eberle<br />

Das En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Zweiten Weltkrieges war Untergang und Neubeginn<br />

zugleich. Das Jahr 1945 markiert die Befreiung von <strong>de</strong>r<br />

nationalsozialistischen Diktatur und <strong>de</strong>n Aufbau eines totalitären<br />

Besatzungsregimes in <strong>de</strong>r sowjetischen Besatzungszone. Nach wie vor ist<br />

das öffentliche und wissenschaftliche Interesse an <strong>de</strong>n Ereignissen<br />

ungebrochen. Es scheint daher geboten, neue visuelle Quellen <strong>zur</strong><br />

Nie<strong>de</strong>rlage <strong>de</strong>s Deutschen Reiches und <strong>zur</strong> sowjetischen Besatzungspolitik<br />

zu erschließen, sind doch Fotografien und Dokumentarfilme gera<strong>de</strong> bei <strong>de</strong>r<br />

Veranschaulichung wissenschaftlicher Forschungsergebnisse zu unentbehrlichen<br />

Hilfsmitteln gewor<strong>de</strong>n. Im Russischen Staatsarchiv für Film- und<br />

Fotodokumente befin<strong>de</strong>n sich zahlreiche Aufnahmen von Fotografen und<br />

Kameramännern <strong>de</strong>r sowjetischen Streitkräfte, die in Deutschland<br />

weitgehend unbekannt sind. Ihre Nutzung kann dazu beitragen, die breite<br />

Öffentlichkeit differenzierter über die historischen Abläufe zu informieren.<br />

In <strong>de</strong>r früheren Sowjet<strong>uni</strong>on unterlagen umfangreiche Archivbestän<strong>de</strong><br />

<strong>zur</strong> sowjetischen und internationalen <strong>Zeitgeschichte</strong> in <strong>de</strong>r Regel strengster<br />

Geheimhaltung. Erst Gorbatschows Politik <strong>de</strong>r Glasnost und Perestroika<br />

und <strong>de</strong>r Zusammenbruch <strong>de</strong>r Sowjet<strong>uni</strong>on ermöglichten eine umfassen<strong>de</strong><br />

Öffnung <strong>de</strong>r Archive für in- und ausländische Historiker. Seit<strong>de</strong>m<br />

verfolgen auch in Deutschland zahlreiche Historiker mit Spannung die<br />

Entwicklung <strong>de</strong>r Archivsituation in Rußland. Von <strong>de</strong>r Öffnung <strong>de</strong>r jetzt<br />

russischen Staatsarchive erhoffte man sich neue Erkenntnisse zu<br />

mannigfaltigen Themen <strong>de</strong>r Zeitgeschichtsforschung. Im Mittelpunkt <strong>de</strong>s<br />

wissenschaftlichen Interesses stan<strong>de</strong>n wie<strong>de</strong>rholt die sowjetische<br />

Besatzungspolitik in <strong>de</strong>r SBZ/DDR, Aspekte <strong>de</strong>r sowjetischen Außenpolitik<br />

während <strong>de</strong>s Kalten Krieges und in jüngerer Zeit auch die<br />

sowjetische Rüstungsindustrie. 1 In diesem Rahmen wur<strong>de</strong>n auch<br />

1 Vgl. Andrei V. Doronin: Die Realität <strong>de</strong>s Archivwesens in Rußland. Aktuelle<br />

Anmerkungen, in: Bildung und Erziehung, 1992/4, S. 449-452; Jan Foitzik: Zur<br />

Situation in Moskauer Archiven, in: Jahrbuch für historische Komm<strong>uni</strong>smusforschung,<br />

1993, S. 299-308; Die Notlage <strong>de</strong>r russischen Archive – eine Barriere für die<br />

internationale wissenschaftliche Forschung. Ein Appell <strong>de</strong>r Wissenschaft an Regierung<br />

61


forschungsrelevante Bestän<strong>de</strong> einiger russischer Archive, so z.B. <strong>de</strong>s<br />

Staatsarchivs <strong>de</strong>r Russischen Fö<strong>de</strong>ration, <strong>de</strong>s sogenannten „Son<strong>de</strong>rarchivs<br />

Moskau” und <strong>de</strong>s Russischen Archivs für Wirtschaft, vorgestellt. 2 Hingegen<br />

fand das Rossiisskij Gosudarstvenny Archiv Kinofotodokumentov, das<br />

Russische Staatsarchiv für Film- und Fotodokumente (RGAKFD), bislang<br />

wenig Beachtung. Bisherige Veröffentlichungen zu Bestän<strong>de</strong>n sowie <strong>zur</strong><br />

wissenschaftlichen und methodischen Arbeit <strong>de</strong>s Archivs gehen kaum über<br />

das amerikanisch-russische Internet-Portal Russian Archives Online 3 hinaus<br />

und beschränken sich auf einschlägige russische Archivzeitschriften. 4<br />

Vom 13. September 2004 bis zum 24. September 2004 sichteten wir,<br />

Daniel Bohse und Henrik Eberle (Historiker am Lehrstuhl für<br />

<strong>Zeitgeschichte</strong> an <strong>de</strong>r <strong>Martin</strong>-Luther-Universität Halle-Wittenberg) Dokumentarfilme<br />

und Fotografien im RGAKFD in Krasnogorsk bei Moskau.<br />

Ziel <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Berliner Gerda-und-Hermann-Weber-Stiftung in <strong>de</strong>r<br />

Stiftung Aufarbeitung und <strong>de</strong>r Hermann-Weber-Stiftung Mannheim<br />

geför<strong>de</strong>rten Reise war es, Bilddokumente für die unmittelbare Nachkriegszeit<br />

in <strong>de</strong>r sowjetischen Besatzungszone Deutschlands (SBZ) zu<br />

recherchieren. Während die Jahre ab 1947/48 von <strong>de</strong>r DEFA gut<br />

dokumentiert sind, kannte man bislang für die erste Phase sowjetischer<br />

Besatzung im Osten Deutschlands nur wenige, immer wie<strong>de</strong>r gezeigte<br />

Aufnahmen. Mit <strong>de</strong>m vorliegen<strong>de</strong>n Beitrag soll nicht nur ein erster,<br />

qualitativ wie quantitativ werten<strong>de</strong>r Überblick über forschungsrelevante<br />

Film- und Fotobestän<strong>de</strong> <strong>de</strong>s RGAKFD <strong>zur</strong> Thematik gegeben wer<strong>de</strong>n.<br />

Vielmehr gilt es auch, <strong>de</strong>utschen wie an<strong>de</strong>ren nichtrussischen Historikern<br />

die Beson<strong>de</strong>rheiten <strong>de</strong>r Bestän<strong>de</strong> sowie Möglichkeiten und Grenzen <strong>de</strong>r<br />

Arbeit im RGAKFD aufzuzeigen.<br />

und Parlament <strong>de</strong>r Russischen Fö<strong>de</strong>ration anläßlich <strong>de</strong>s Geschichtsforums 1949/89/99:<br />

„Getrennte Vergangenheit – Gemeinsame Geschichte?“, in: Deutschland Archiv 32<br />

(1999), S. 550f.; Stefan Creuzberger, Rainer Lindner (Hg.): Russische Archive und<br />

Geschichtswissenschaft. Rechtsgrundlagen, Arbeitsbedingungen,<br />

Forschungsperspektiven, Frankfurt/M. 2003<br />

2 Vgl. Oganes V. Marinin: Das Staatsarchiv <strong>de</strong>r Russischen Fö<strong>de</strong>ration (GARF).<br />

Freigabe und Nutzung neuer Bestän<strong>de</strong>, in: Creuzberger/Lindner, Russische Archive, S.<br />

101-106; Matthias Uhl: Zur Geschichte <strong>de</strong>r sowjetischen Rüstungswirtschaft von 1945-<br />

1965. Das Russische Archiv für Wirtschaft (RGA und seine Bestän<strong>de</strong>, in:, ebenda, S.<br />

263-280; Kai von Jena, Wilhelm Lenz: Die <strong>de</strong>utschen Bestän<strong>de</strong> im Son<strong>de</strong>rarchiv im<br />

Moskau, in: Der Archivar, 1992/4, S. 457-468; außer<strong>de</strong>m das Internetportal von<br />

Sebastian Panwitz http://www.son<strong>de</strong>rarchiv.<strong>de</strong>.<br />

3 Russian Archives Online: http://www.russian.archives.com/rao.<br />

4 Zum RGAKFD vgl. V.P. Kozlov, P.K. Grimsted (Red.): Archivy Rossii. Moskva i<br />

Sankt Peterburg. Spravočnik-obozrenie i bibliografičeskij ukazatel’. Russkoje izdanie,<br />

Moskau 1997, S. 190-193; Otečestvennye archivy, 2001/3, S. 78-80 u. 2001/5, S. 40-42.<br />

Eine erste Notiz zu <strong>de</strong>n Bestän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s RGAKFD in <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Fachliteratur fin<strong>de</strong>t<br />

sich in <strong>de</strong>r jüngst erschienenen Studie von Hermann Schreyer: Die Zentralen Archive<br />

Rußlands und <strong>de</strong>r Sowjet<strong>uni</strong>on von 1917 bis <strong>zur</strong> Gegenwart, Düsseldorf 2003, S. 279.<br />

62


I. Das RGAKFD – Profil und Zugangsmöglichkeiten<br />

Das RGAKFD, bis 1992 bekannt als Zentrales Film- und Fotoarchiv <strong>de</strong>r<br />

UdSSR, wur<strong>de</strong> 1928 gegrün<strong>de</strong>t und befin<strong>de</strong>t sich seit 1936 an seinem<br />

jetzigen Standort in Krasnogorsk bei Moskau. Vorgängereinrichtungen<br />

lassen sich bis in die vorrevolutionäre Zeit <strong>zur</strong>ückverfolgen, aus <strong>de</strong>r das<br />

Archiv mehr als 1.000 Filme verwahrt. Nach 1917 übernahm die<br />

verstaatlichte Sammlung alle die Oktoberrevolution dokumentieren<strong>de</strong>n<br />

Filme. Ab 1919 wur<strong>de</strong>n kontinuierlich fast alle sowjetischen Nachrichtensendungen<br />

und Filmaufnahmen dokumentarischer Art gesammelt. Ergänzt<br />

wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Bestand unter an<strong>de</strong>rem nach 1945 um Film- und Beutematerial<br />

<strong>de</strong>r Roten Armee. Im RGAKFD wer<strong>de</strong>n heute in erster Linie „die Zeit<br />

dokumentieren<strong>de</strong> Filme“, so zum Beispiel Wochenschauen und Kinojournale,<br />

sowie Dokumentarfilme und Fotos <strong>de</strong>r russischen und sowjetischen<br />

Informationsagenturen, <strong>de</strong>r größten Tageszeitungen und Zeitschriften –<br />

insgesamt über 175.000 Filmrollen – aufbewahrt. 5 Zweites Standbein <strong>de</strong>s<br />

RGAKFD ist die 692.000 Negative und über 10.000 Alben umfassen<strong>de</strong><br />

Fotosammlung. Bei<strong>de</strong> Bestän<strong>de</strong> sind – wie auch die hauseigene<br />

Fachbibliothek – in- und ausländischen Benutzern uneingeschränkt<br />

zugänglich.<br />

In jüngster Zeit präsentiert sich das Archiv, jedoch nur in einer<br />

russischsprachigen Version, mit <strong>de</strong>m hauseigenen Internetportal<br />

RGAKFD.RU. Dieses bietet nicht nur einen einführen<strong>de</strong>n Überblick über<br />

Geschichte, Bestän<strong>de</strong> und wissenschaftliche Ausrichtung, son<strong>de</strong>rn weist<br />

auch auf Umfang und Profil <strong>de</strong>r angeschlossenen Bibliothek sowie<br />

Veröffentlichungen <strong>de</strong>s Archivs hin. Zu<strong>de</strong>m informiert das Portal <strong>de</strong>tailliert<br />

und separat für russische und ausländische Nutzer über Kontaktmöglichkeiten,<br />

Erreichbarkeit, Zugangs- und Nutzungsbedingungen sowie<br />

Nutzungs- und Kopiergebühren. In englischer Sprache wird das<br />

RGAKFD, wenngleich in weitaus geringerem Umfang und ohne<br />

Kontaktadressen, über das Internetportal Russianarchives.com 6 präsentiert.<br />

Ebenfalls über das Portal RGAKFD.RU ist die Recherche im ca. 42.000<br />

Einträge umfassen<strong>de</strong>n Film-Katalog <strong>de</strong>s RGAKFD möglich. Dieser ist<br />

jedoch lediglich in einer russischen Version verfügbar. 7 Ein englischsprachiger<br />

Zugang <strong>de</strong>s Online-Filmkatalogs ist über das Internetportal<br />

Russianarchives.com 8 nur eingeschränkt möglich, da dieser lediglich 5.000<br />

Filme verzeichnet hat. Zur Vorrecherche sind daher russische Sprachkennt-<br />

5 Vgl. die aktuelle Internetpräsentation <strong>de</strong>r Staatlichen Russischen Archivverwaltung<br />

„Rosarchiv“: http://www.rusarchives.ru, speziell zum RGAKFD:<br />

http://www.rusarchives.ru/fe<strong>de</strong>ral/rgakfd; sowie das Internetportal <strong>de</strong>s RGAKFD:<br />

http://www.rgakfd.ru.<br />

6 http://www.russianarchives.com/rao/archives/rgakfd/in<strong>de</strong>x.html.<br />

7 http://www.rgakfd.ru.<br />

8 http://www.russianarchives.com/rao/cataloques/rgakfd_e/in<strong>de</strong>x.html.<br />

63


nisse und zum effizienten Nutzen <strong>de</strong>r Suchfunktion auch eine Tastatur mit<br />

kyrillischen Layout zwingend erfor<strong>de</strong>rlich.<br />

Eine umfassen<strong>de</strong> Nachrecherche im separaten Katalograum vor Ort<br />

bleibt auch <strong>de</strong>n aufgrund guter russischer Sprachkenntnisse Vorinformierten<br />

nicht erspart, da die rudimentäre Verschlagwortung <strong>de</strong>s Online-<br />

Kataloges keine zielgenaue Suche ermöglicht. Bei allgemein gehaltenen<br />

Suchbegriffen wie „Ost<strong>de</strong>utschland“ o<strong>de</strong>r „Sowjetische Besatzungszone“<br />

wird die Zahl <strong>de</strong>r maximal anzeigbaren Treffer überschritten, so daß je<strong>de</strong><br />

Vorrecherche <strong>zur</strong> Thematik unvollständig bleiben muß. Zu<strong>de</strong>m beschränkt<br />

sich die Möglichkeit <strong>de</strong>r Vorrecherche auf <strong>de</strong>n Filmbestand, im Fotobestand<br />

kann in einem separaten Katalograum nur vor Ort recherchiert<br />

wer<strong>de</strong>n.<br />

Erfahrungsgemäß empfiehlt sich eine russisch- o<strong>de</strong>r englischsprachige<br />

Anmeldung mit Nennung <strong>de</strong>s Forschungsthemas per Fax, da selbst ein<br />

Monate zuvor in Moskau eingeworfener Brief <strong>de</strong>r Archivadministration<br />

ebenso unbekannt war wie eine diesbezügliche E-mail. Die Betreuung vor<br />

Ort ist bei rechtzeitiger Information <strong>de</strong>s Archivs sehr gut, die für<br />

ausländische Nutzer zuständige „Hauptspezialistin” Elena K. Kolikowa<br />

spricht ein exzellentes Englisch. Mit <strong>de</strong>n restlichen Archivmitarbeitern ist<br />

jegliche Komm<strong>uni</strong>kation in <strong>de</strong>r Regel nur auf Russisch möglich.<br />

II.<br />

Bestän<strong>de</strong> zum Kriegsen<strong>de</strong> und <strong>de</strong>r SBZ<br />

Zum Rechercheschwerpunkt <strong>de</strong>r Verfasser, <strong>de</strong>m En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Zweiten<br />

Weltkrieges und <strong>de</strong>r unmittelbaren Nachkriegszeit in <strong>de</strong>n von <strong>de</strong>r Roten<br />

Armee eroberten Gebieten Deutschlands, besitzt das Archiv umfangreiche,<br />

wenn auch sehr disparate, Bestän<strong>de</strong> an historischem Foto- und<br />

Filmmaterial. Zu nennen sind zum Beispiel Berichte sowjetischer<br />

Frontberichterstatter <strong>de</strong>r 1. und 2. Belorussischen sowie <strong>de</strong>r 1. Ukrainischen<br />

Front, Aufnahmen aus zerstörten Städten wie Dres<strong>de</strong>n, Berlin,<br />

Breslau und Königsberg sowie von <strong>de</strong>r Tätigkeit <strong>de</strong>r örtlichen Besatzungsbehör<strong>de</strong>n.<br />

Die Verfasser haben diese vollständig gesichtet. Der im Internet<br />

abrufbare Filmkatalog („Kartothek“) <strong>de</strong>s RGAKFD verzeichnet nicht alle<br />

vorhan<strong>de</strong>nen Filme, darüber hinaus gibt er wenig Informationen zu <strong>de</strong>n<br />

abgebil<strong>de</strong>ten Ereignissen, gleiches gilt auch für <strong>de</strong>n Katalog im Archiv<br />

selbst. Die Verfasser stießen auf nicht wenige Filme, teilweise sogar ganze<br />

Filmbestän<strong>de</strong>, die im Zettelkatalog nicht o<strong>de</strong>r nur teilweise verzeichnet<br />

waren. Zusätzlich wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Bestand <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Filmen zugeordneten<br />

Annotationsbücher gegengeprüft und bei einigen Filmen auch ausgewertet.<br />

Hierdurch konnten wichtige Zusatzinformationen gewonnen wer<strong>de</strong>n. Wo<br />

die Verfasser auf auffällige Lücken in <strong>de</strong>r sonst fortlaufen<strong>de</strong>n Numerierung<br />

<strong>de</strong>r Filme und Annotationsbücher stießen, konnten durch Blindbestellungen<br />

die offiziell nicht vorhan<strong>de</strong>nen – da nicht verzeichneten – Filme in<br />

64


einigen Fällen <strong>de</strong>nnoch gesichtet und dokumentiert wer<strong>de</strong>n. Alle für die<br />

hiesige Forschung relevanten Bestän<strong>de</strong> und Informationen wur<strong>de</strong>n durch<br />

die Verfasser in einem über das Internetportal <strong>de</strong>r Stiftung Aufarbeitung<br />

<strong>de</strong>r Öffentlichkeit zugänglichen Archivbericht dokumentiert. 9<br />

a) Der Filmbestand<br />

Der für die Jahre 1944 bis 1949 relevante Filmbestand besteht überwiegend<br />

aus <strong>de</strong>m von Frontberichterstattern gedrehten Material. Die von <strong>de</strong>n<br />

Propaganda- bzw. Kulturabteilungen <strong>de</strong>r SMAD in Auftrag gegeben Filme<br />

lagern offenbar nicht in Krasnogorsk, so daß Aufnahmen zum<br />

„Innenleben“ <strong>de</strong>r Besatzungsbehör<strong>de</strong>n praktisch nicht vorhan<strong>de</strong>n sind. Die<br />

Besatzungstruppen hingegen sind etwas besser dokumentiert. So gibt es<br />

zwei Filme von <strong>de</strong>n Wahlkämpfen hoher sowjetischer Militärs sowie von<br />

einem sowjetischen Manöver in Thüringen im Jahre 1947. 10 Auch die<br />

Aufnahmen von Sportveranstaltungen in <strong>de</strong>r SBZ (Motorradrennen, erste<br />

Spartakia<strong>de</strong>) besitzen einen gewissen dokumentarischen Wert. 11 Zu <strong>de</strong>n<br />

Lebensbedingungen <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Bevölkerung bricht die ungeschminkte<br />

Überlieferung etwa En<strong>de</strong> 1946 ab. Die zahlreichen Filme über SBZ-<br />

Betriebe – so z. B. über die Chemnitzer Wan<strong>de</strong>rer-Werke, die Jenaer Zeiss-<br />

Werke o<strong>de</strong>r die Zwickauer Horch-Werke –, die sich laut Annotation u. a.<br />

sowjetische Neuerertechniken angeeignet hatten, zeigen kaum interessante<br />

Aufnahmen. 12 Für die Zeit nach 1947 bietet die DEFA zweifelsfrei das<br />

bessere Material. Ähnliches gilt für das politische Leben in <strong>de</strong>r SBZ. So sind<br />

zwar Aufnahmen von Kundgebungen vorhan<strong>de</strong>n, diese sind jedoch<br />

offenkundig durch <strong>de</strong>utsche Kameramänner gefilmt wor<strong>de</strong>n. 13 Möglicherweise<br />

fin<strong>de</strong>n sich in <strong>de</strong>m Rohmaterial jedoch einige Szenen, die in <strong>de</strong>r<br />

SBZ/DDR nicht <strong>de</strong>r Archivierung für würdig befun<strong>de</strong>n wor<strong>de</strong>n sind. So ist<br />

beim Vereinigungsparteitag von SPD und KPD nicht nur <strong>de</strong>r Hän<strong>de</strong>druck<br />

zu sehen, ein Schwenk zeigt auch Walter Ulbricht, <strong>de</strong>r sich in <strong>de</strong>r gera<strong>de</strong><br />

ausgefalteten Parteifahne verhed<strong>de</strong>rt. Weitere von uns geprüfte Themenkomplexe<br />

erwiesen sich als unergiebig. So ließen sich etwa für <strong>de</strong>n Bau <strong>de</strong>r<br />

Berliner Mauer nur die bereits bekannten Aufnahmen fin<strong>de</strong>n. Eine Parteitagsre<strong>de</strong><br />

Walter Ulbrichts in Moskau war uns ebenfalls bekannt, auch die<br />

Aufnahmen von hohen Funktionären bei Stalins Geburtstag o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />

Beerdigung Stalins sind wohl in <strong>de</strong>utschen Filmarchiven vorhan<strong>de</strong>n. Der<br />

9 Vgl. Daniel Bohse, Henrik Eberle: Foto- und Filmdokumente zum Kriegsen<strong>de</strong> und <strong>zur</strong><br />

Geschichte <strong>de</strong>r Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands im Russischen Staatsarchiv<br />

für Film- und Fotodokumente (RGAKFD), auf: www.stiftungaufarbeitung.<strong>de</strong>/pdf/ghw1.pdf<br />

(im folgen<strong>de</strong>n „Bohse/Eberle, Archivbericht“).<br />

10 Vgl. RGAKFD, Film 0-9264-XIII; Bohse/Eberle, Archivbericht, S. 12.<br />

11 Vgl. RGAKFD, Filme 0-11239-I, II, III.<br />

12 Vgl. RGAKFD, Filme 1-7843-V u. –VI, 1-7878-II, 1-8140, 1-9220.<br />

13 Exemplarisch vgl. RGAKFD, Filme 0-5300-II und 0-5515.<br />

65


einzig gangbare Weg <strong>zur</strong> Erschließung neuen Filmmaterials <strong>zur</strong> DDR-<br />

Geschichte wird daher nur von einer exzellenten Kenntnis <strong>de</strong>r in<br />

Deutschland vorhan<strong>de</strong>nen Bestän<strong>de</strong> möglich sein. Nur einem mit diesem<br />

Material gut vertrauten Rechercheur wird auffallen, ob es sich bei <strong>de</strong>m in<br />

Krasnogorsk archivierten Material tatsächlich um unbekannte Aufnahmen<br />

han<strong>de</strong>lt.<br />

Wirklich interessant sind daher für die Geschichte <strong>de</strong>r SBZ und für das<br />

unmittelbare Kriegsen<strong>de</strong> lediglich die Aufnahmen <strong>de</strong>r militärischen<br />

Bildberichterstatter.<br />

Die Qualität <strong>de</strong>r Aufnahmen ist dabei schwankend. Alle Filme sind<br />

schwarz/weiß, Schärfe und Belichtung meist akzeptabel, manchmal exzellent.<br />

Nur wenige Filme haben eine Tonspur, etwa das Verhör eines<br />

hohen Offiziers <strong>de</strong>r Kurlandarmee o<strong>de</strong>r Verhöre <strong>de</strong>s einstigen Stadtkommandanten<br />

von Berlin Helmut Weidling und <strong>de</strong>s Unterhändlers Theodor<br />

von Duvfing. Die meisten Filme sind von einem festen Standort aus<br />

gedreht, bestehen aus langsamen Schwenks über zerstörte Städte und<br />

militärische Anlagen. Eine Ausnahme fin<strong>de</strong>t sich unter <strong>de</strong>n zahlreichen<br />

Aufnahmen von Dres<strong>de</strong>n: Hier fährt <strong>de</strong>r Kameramann auf einem Lkw mit,<br />

entsprechend dynamisch wirken seine Aufnahmen <strong>de</strong>r zerstörten Stadt.<br />

Auch wenn <strong>de</strong>r Kameramann sich nicht scheut, Nahaufnahmen zu machen,<br />

wirken seine Aufnahmen sehr emotional. So gibt es eine Reihe von<br />

eindrucksvollen Filmen, die Repatriierte in Lagern und auf <strong>de</strong>m Weg nach<br />

Hause zeigen. 14 Ähnliches läßt sich über Aufnahmen aus von <strong>de</strong>r Roten<br />

Armee befreiten KZ und Kriegsgefangenlagern sagen. Diese dokumentieren<br />

nicht nur die Opfer, die teilweise unbeschreiblichen Lebensumstän<strong>de</strong><br />

und das Leid <strong>de</strong>r Überleben<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn auch die Erleichterung und<br />

Freu<strong>de</strong> Letzterer über das En<strong>de</strong> ihres Martyriums. 15<br />

Beson<strong>de</strong>rs wertvoll erschien uns <strong>de</strong>r Filmbestand 0/1-11180. 16 Er enthält<br />

Filme <strong>de</strong>r Frontberichterstatter aus <strong>de</strong>m Jahr 1945. Der Weg <strong>de</strong>r Truppen<br />

<strong>de</strong>r 1. Belorussischen Front von <strong>de</strong>r O<strong>de</strong>r nach Berlin ist sehr gut<br />

dokumentiert. In <strong>de</strong>m Bestand fin<strong>de</strong>n sich aber nicht nur Filme von<br />

Kampfhandlungen o<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>ren Vorbereitung, son<strong>de</strong>rn auch mehrere<br />

eindrucksvolle Aufnahmen vom Abtransport gefangener Deutscher, zum<br />

14 Z.B. über <strong>de</strong>n Austausch von befreiten Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern<br />

zwischen Sowjets und Amerikanern in Mag<strong>de</strong>burg o<strong>de</strong>r über ein Lager mit britischen<br />

und amerikanischen Repatriierten in Schubin bei Bromberg. Vgl. RGAKFD, Filme 1-<br />

11166, 1-11136.<br />

15 Es fan<strong>de</strong>n sich Aufnahmen aus <strong>de</strong>m KZ Stutthof bei Danzig, einem KZ-Außenlager<br />

bei Luckenwal<strong>de</strong>, <strong>de</strong>m Zuchthaus Sonnenburg bei Küstrin sowie<br />

Kriegsgefangenenlagern in Prenzlau und Neubran<strong>de</strong>nburg. Vgl. RGAKFD, Filme 1-<br />

10936, 1-10937, 0-11253-I und -III, 0-11256, 1-11182, 0-11016; Bohse/Eberle,<br />

Archivbericht, S. 25, S. 27.<br />

16 Der im Archiv nur teilweise verzeichnete Bestand 0/1-11180 wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>n<br />

Verfassern komplett gesichtet. Eine Auflistung aller Filme mit Inhaltsangaben fin<strong>de</strong>t<br />

sich in Bohse/Eberle, Archivbericht, S. 52ff. (Anlage 3).<br />

66


Beispiel aus Berlin, und von zerstörten <strong>de</strong>utschen Städten, etwa Bran<strong>de</strong>nburg.<br />

Zu sehen sind darüber hinaus die Treffen von amerikanischen und<br />

sowjetischen Befehlshabern, Siegespara<strong>de</strong>n und -feiern. Exemplarisch sei<br />

hier auf einige Filmsequenzen verwiesen: Die Leichen von Hitler-Doppelgängern,<br />

die Rotarmisten in <strong>de</strong>r Umgebung <strong>de</strong>r Reichskanzlei gefun<strong>de</strong>n<br />

hatten; Vizeadmiral Hans-Erich Voss, Hitlers Koch und sein Chef-Chauffeur<br />

i<strong>de</strong>ntifizieren <strong>de</strong>n Leichnam von Joseph Goebbels; Rotarmisten<br />

treiben gefangengenommene Wehrmachts- und Volkssturmangehörige aus<br />

Kellern und Hauseingängen, verhören Hitlerjungen und ältere Volksturmmänner;<br />

Berliner plün<strong>de</strong>rn Geschäfte und Güterwaggons, schnei<strong>de</strong>n sich<br />

Fleisch aus in <strong>de</strong>n Straßen liegen<strong>de</strong>n Pfer<strong>de</strong>kadavern heraus. 17<br />

Immer wie<strong>de</strong>r fin<strong>de</strong>n sich unter diesen Aufnahmen aber auch gestellte<br />

Szenen. So ist auf einem Film mehrfach <strong>de</strong>r selbe Offizier zu sehen, <strong>de</strong>r<br />

seinem Vorgesetzten Unterlagen bringt. Es brauchte fünf Anläufe, bis die<br />

Szene <strong>de</strong>n Reporter zufrie<strong>de</strong>n stellte. Ähnlich verhält es sich mit <strong>de</strong>m<br />

Hissen <strong>de</strong>s „Banners <strong>de</strong>s Sieges“ auf <strong>de</strong>m Reichstag: hierzu fin<strong>de</strong>n sich<br />

mehrere Szenen, die das Anbringen <strong>de</strong>r Fahne an verschie<strong>de</strong>nen Aufbauten<br />

<strong>de</strong>s Reichstages dokumentieren. Bezeichnend auch das die Entstehungsgeschichte<br />

einer Filmsequenz, in <strong>de</strong>r ein gefangengenommener hochrangiger<br />

<strong>de</strong>utscher Offizier während <strong>de</strong>s Verhörs erklären sollte, die Verteidigung<br />

Berlins sei ein Verbrechen an <strong>de</strong>r Zivilbevölkerung gewesen. 18<br />

Auch in <strong>de</strong>n Filmen an<strong>de</strong>rer Bestän<strong>de</strong> sind gestellte Szenen nicht selten.<br />

Nr. 1-11135 zeigt die Neißeüberquerung zwei Mal. In <strong>de</strong>r einen Aufnahme<br />

ist ein Soldat zu sehen, <strong>de</strong>r sich müht, eine typisch <strong>de</strong>utsche „Zinkba<strong>de</strong>wanne”<br />

zu Wasser zu lassen, dabei aber scheitert. Auf diesem Film sind<br />

auch Szenen von angeblich verwun<strong>de</strong>ten Soldaten zu sehen, die von ihren<br />

Kamera<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>m „Gefecht” getragen wer<strong>de</strong>n. Ein Soldat „stirbt“ für die<br />

Kamera mehrfach. Nicht an<strong>de</strong>rs verhält es sich mit Aufnahmen vom<br />

„Sturm“ <strong>de</strong>s Reichstages, die sich immer wie<strong>de</strong>r in Zusammenschnitten<br />

fin<strong>de</strong>n. Auch hiervon existieren mehrere Varianten, unlängst waren die<br />

gestellten Aufnahmen im Rahmen einer ARD-Dokumentation zu sehen.<br />

Dem geübten Rechercheur vor Ort wird es jedoch mühelos gelingen,<br />

<strong>de</strong>rartige „Fakes“ auszusortieren, <strong>de</strong>nn vorsätzlich gefälschte Aufnahmen<br />

scheinen in <strong>de</strong>n Filmen <strong>de</strong>r Frontberichterstatter nicht enthalten zu sein.<br />

Bei <strong>de</strong>m Film 1-11173 (Teil I+II „Verbrechen <strong>de</strong>utscher Ärzte in Danzig“)<br />

han<strong>de</strong>lt es sich aber vermutlich um eine Vortäuschung eines falschen<br />

Sachverhaltes. Hier wird mit Aufnahmen aus <strong>de</strong>m Laboratorium <strong>de</strong>s<br />

pharmakologischen Instituts <strong>de</strong>r Medizinischen Aka<strong>de</strong>mie Danzig suggeriert,<br />

<strong>de</strong>utsche Ärzte hätten Ju<strong>de</strong>n, Polen und Russen in <strong>de</strong>m Institut zu<br />

Seife verarbeitet. Der Leiter <strong>de</strong>s Instituts wur<strong>de</strong> nach 1945 nie beschuldigt,<br />

17 Vgl. RGAKFD, Filme 0-11180-XX, 0-11180-XXII, 0-11180-XXIX.<br />

18 Vgl. RGAKFD, 0-11180-XXXXXVII.<br />

67


an einem solchen Verbrechen beteiligt gewesen zu sein, auch die Forschung<br />

über die Medizin-Verbrechen im NS-Regime nennt <strong>de</strong>n Fall nicht. 19<br />

b) Der Fotobestand<br />

Der Fotobestand umfaßt allein über 80.000 Fotografien, die die<br />

Kampfhandlungen <strong>de</strong>s Zweiten Weltkrieges dokumentieren. Diese verteilen<br />

sich auf mehrere Bestän<strong>de</strong>, die sowohl nach thematischen (z.B. Großer<br />

Vaterländischer Krieg) als auch politisch-administrativen (z.B. Deutschland)<br />

Kriterien erstellt wur<strong>de</strong>n. Der Bestand „Großer Vaterländischer Krieg” ist<br />

nach Kriegsphasen und Operationen <strong>de</strong>r Roten Armee, wie zum Beispiel<br />

„Kursker Offensive“ o<strong>de</strong>r „Schlacht um Berlin“, recht grob geglie<strong>de</strong>rt. Für<br />

<strong>de</strong>n Einmarsch <strong>de</strong>r Roten Armee nach Deutschland und die unmittelbare<br />

Nachkriegszeit erwiesen sich mehrere Karteien als ergiebig, <strong>de</strong>ren Inhalt<br />

von uns im Archivbericht je nach Relevanz <strong>de</strong>r vorhan<strong>de</strong>nen Aufnahmen<br />

wie<strong>de</strong>rgegeben wird. Gleiches gilt für die sich nicht ein<strong>de</strong>utig voneinan<strong>de</strong>r<br />

abgrenzen<strong>de</strong>n Bestän<strong>de</strong> „Deutschland“ und „DDR“, die sowohl personenals<br />

auch ereignisbezogen strukturiert sind, sowie <strong>de</strong>n recht kleinen Bestand<br />

„Konzentrationslager“.<br />

Zu<strong>de</strong>m verfügt das RGAKFD über mehrere Tausend Fotografien über<br />

von <strong>de</strong>r Roten Armee und verbün<strong>de</strong>ten Partisaneneinheiten sichergestelltes<br />

Trophäengut. Der Zugang ist nur chronologisch möglich, da <strong>de</strong>r Bestand<br />

nicht verschlagwortet, son<strong>de</strong>rn lediglich nach <strong>de</strong>m jeweiligen Kriegsjahr<br />

strukturiert ist. Kategorisiert nach <strong>de</strong>n Waffengattungen <strong>de</strong>r Roten Armee<br />

sind außer<strong>de</strong>m mehrere Tausend Porträt-Fotografien von Rotarmisten<br />

vorhan<strong>de</strong>n, vom Marschall bis hinunter zum einfachen Soldaten. Sie sind,<br />

wie auch die vorgenannten Bestän<strong>de</strong>, uneingeschränkt <strong>de</strong>r Forschung<br />

zugänglich.<br />

Als am ergiebigsten erwiesen sich <strong>zur</strong> Thematik die Bestän<strong>de</strong> „Großer<br />

Vaterländischer Krieg”, „Deutschland” und „DDR”. Die Verfasser<br />

möchten insbeson<strong>de</strong>re auf bislang unbekannte und ihrer Auffassung nach<br />

nicht gestellte Aufnahmen hinweisen, die noch während <strong>de</strong>r Kampfhandlungen<br />

in Königsberg, in Pommern, im O<strong>de</strong>rgebiet o<strong>de</strong>r um und in<br />

Berlin entstan<strong>de</strong>n sind.<br />

Eine Vielzahl von Fotografien spiegelt <strong>de</strong>n Alltag <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen<br />

Bevölkerung in <strong>de</strong>n ersten Tagen unter sowjetischer Besatzung<br />

ungeschminkt wie<strong>de</strong>r: In Zoppot wer<strong>de</strong>n Frauen in Kolonnen von<br />

bewaffneten Rotarmisten durch die Straßen getrieben. Die mitgeführten<br />

Gerätschaften lassen <strong>de</strong>n Einsatz <strong>de</strong>r Frauen bei <strong>de</strong>r Beräumung von<br />

Straßen, wie ihn weitere Aufnahmen u. a. auch für Stralsund und Berlin<br />

dokumentieren, vermuten. 20 Bei einer Aufnahme aus Rostock erklären sich<br />

19 Vgl. Bohse/Eberle, Archivbericht, S. 38.<br />

20 Vgl. die Aufnahmen 0-82604; 0-166904; Bohse/Eberle, Archivbericht, S. 57.<br />

68


die erstaunlichen Menschenmengen im Straßenbild nur wenige Tage nach<br />

<strong>de</strong>r Besetzung <strong>de</strong>r Stadt ebenfalls mit einer Anordnung <strong>de</strong>r sowjetischen<br />

Besatzer. Wie <strong>de</strong>r Frontberichterstatter vermerkte, befand sich die<br />

Rostocker Bevölkerung auf <strong>de</strong>m Weg <strong>zur</strong> Registrierung auf <strong>de</strong>r sowjetischen<br />

Kommandantur. 21<br />

Zahlreiche Aufnahmen aus <strong>de</strong>n ersten Wochen nach Kriegsen<strong>de</strong> halten<br />

das Wirken <strong>de</strong>r sowjetischen Kommandanten fest. Der Ablichtung würdig<br />

befan<strong>de</strong>n die sowjetischen Frontberichterstatter u. a. Audienzen <strong>de</strong>utscher<br />

Bittsteller beim Kommandanten <strong>de</strong>s dritten Stadtbezirks von Berlin Mitte,<br />

Hauptmann W.M. Schorin: hierzu sind in <strong>de</strong>r Regel Namen und Beruf <strong>de</strong>r<br />

Bittsteller – Arbeiter<strong>de</strong>legationen, Behör<strong>de</strong>nvertreter, ein Rechtsanwalt<br />

nebst Gattin – überliefert, mitunter sogar <strong>de</strong>r Anlaß ihrer Vorsprache. Die<br />

Aufnahmen vermitteln sowohl einen recht plastischen Eindruck vom<br />

Selbstverständnis <strong>de</strong>r sowjetischen Kommandanten als auch von <strong>de</strong>n<br />

Machtverhältnissen und Lebensumstän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r unmittelbaren Nachkriegszeit.<br />

22 Zeugnisse <strong>de</strong>r recht kurzen Leine, an <strong>de</strong>r die Sowjets die von ihnen<br />

eingesetzten Kommunalpolitiker ab Mai 1945 hielten, sind Aufnahmen von<br />

gemeinsamen Beratungen von Bürgermeistern mit <strong>de</strong>n Stadtkommandanten<br />

23 o<strong>de</strong>r im Falle von Berlin sogar von Magistratssitzungen unter<br />

stetiger Anwesenheit sowjetischer „Gäste“. 24<br />

Von wissenschaftlichen Interesse dürften auch diverse Aufnahmen sein,<br />

die <strong>de</strong>n Alltag <strong>de</strong>r sowjetischen Besatzungstruppen in <strong>de</strong>n Jahren 1945 und<br />

1946 dokumentieren: Soldaten und Offiziere auf Sightseeing-Tour in<br />

Dres<strong>de</strong>n, Berlin, und Potsdam, beim Jagdausflug, die erste Spartakia<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />

Gruppe <strong>de</strong>r sowjetischen Streitkräfte in Deutschland, die ersten Militärmeisterschaften<br />

im Motocross, Wahlkampfauftritte sowjetischer Offiziere<br />

im Vorfeld <strong>de</strong>r Wahlen zum Obersten Sowjet <strong>de</strong>r UdSSR 1946.<br />

Die Ergebnisse <strong>de</strong>r Recherche gingen insoweit nicht mit <strong>de</strong>n Vorstellungen<br />

<strong>de</strong>r Verfasser konform, als daß sich <strong>zur</strong> SBZ nur wenig mehr als die<br />

aus DEFA-Bestän<strong>de</strong>n bereits bekannten Aufnahmen fan<strong>de</strong>n. Hingegen<br />

waren <strong>de</strong>r unmittelbare Kriegsverlauf in Ost<strong>de</strong>utschland und die Ersten<br />

Wochen nach Einstellung <strong>de</strong>r Kampfhandlungen gut dokumentiert.<br />

Erklärbar wird dieser Umstand dadurch, daß die vorhan<strong>de</strong>nen Bil<strong>de</strong>r<br />

Zeugnisse <strong>de</strong>s Wirkens <strong>de</strong>r Frontberichterstatter <strong>de</strong>r Roten Armee sind. In<br />

<strong>de</strong>m Maße, wie die einzelnen Fronten, die das Territorium <strong>de</strong>r SBZ besetzt<br />

hatten, mitsamt ihren Propagandakompanien und Frontberichterstattern<br />

<strong>de</strong>mobilisiert wur<strong>de</strong>n und sich die SMAD und die Gruppe <strong>de</strong>r sowjetischen<br />

Truppen in Deutschland herausbil<strong>de</strong>ten, nahm die Menge <strong>de</strong>r im<br />

21 Vgl. RGAKFD, Aufnahme 0-79305.<br />

22 Vgl. RGAKFD, Aufnahmen 0284849 und 0284852<br />

23 Exemplarisch für Dres<strong>de</strong>n RGAKFD, 0-104377: Stadtkommandant Gorochow<br />

bespricht sich mit einer Abordnung <strong>de</strong>s Dresdner Magistrats.<br />

24 Von <strong>de</strong>r ersten Sitzung <strong>de</strong>s Berliner Nachkriegsmagistrats existieren auch mehrere<br />

Filme.<br />

69


RGAKFD archivierten Aufnahmen ab. Da auf <strong>de</strong>n Karteikarten nur<br />

vereinzelt Angaben <strong>zur</strong> einbringen<strong>de</strong>n Institution verzeichnet waren, läßt<br />

sich nicht mit Sicherheit sagen, ob das Archiv überhaupt über Fotoaufnahmen<br />

von Propagandakompanien <strong>de</strong>r SMAD verfügt. Die Verfasser<br />

vermuten, daß dies nicht <strong>de</strong>r Fall ist. Die gesichteten Fotografien sind<br />

jedoch gera<strong>de</strong> für die ersten Nachkriegstage und Wochen von hohem<br />

Informationswert, auch wenn sich nicht wenige Aufnahmen aufgrund<br />

zahlreicher Varianten als gestellte Szenen entpuppten. Demgegenüber<br />

beschränkt sich die fotografische Überlieferung <strong>de</strong>r Jahre 1947-1949<br />

weitgehend auf Aufnahmen <strong>de</strong>r sowjetischen Nachrichtenagentur TASS<br />

und ist für die SBZ-Forschung nur von geringem Wert.<br />

Anhang:<br />

- Kontaktadresse:<br />

Российский государственный архив кинофотодокументов (РГАКФД)<br />

143400, Россия, Московская область, г. Красногорск, ул. Речная, д. 1<br />

(Rossiisskij Gosudarstvenny Archiv Kinofotodokumentov<br />

143400 Krasnogorsk (Moskowskaja Oblast), Ulitza Retschnaja 1,<br />

Rußland/Rossija)<br />

- Tel: (007 - 95) 563-39-37 Fax: (007 - 95) 562-14-64<br />

- Kontaktperson: Elena K. Kolikowa<br />

- Öffnungszeiten: Mo.-Do. 9.00-17.00, Fr. (inoffiziell und nur für<br />

ausländische Nutzer) 9.00-16.00 Uhr<br />

- Anfahrt: Ab Moskau, Metro-Station „Tuschinskaja”, mit <strong>de</strong>r Buslinie 542<br />

bis Pawschino, weiter mit Richtungstaxi bis zum Haltepunkt „Gosarchiv”;<br />

o<strong>de</strong>r ab Moskau, Rigaer Bahnhof, mit Nahverkehrszug („Elektritschka”) in<br />

Richtung Wolokolamsk, Nachabino o<strong>de</strong>r Schachowka bis <strong>zur</strong> Bahnstation<br />

Pawschino, dann weiter mit Richtungstaxi bis Haltepunkt „Gosarchiv”<br />

o<strong>de</strong>r zu Fuß (ca. 1.000 Meter).<br />

70


Die Aktionen „Potsdam“ und „112b“ im Rahmen <strong>de</strong>r<br />

Reparationsleistungen <strong>de</strong>r Provinz Sachsen 1945/46<br />

von Wilfried Lübeck<br />

Im Lan<strong>de</strong>shauptarchiv Mag<strong>de</strong>burg ist in <strong>de</strong>n Bestän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r ehemaligen<br />

Provinzialverwaltung Sachsen, <strong>de</strong>r späteren Lan<strong>de</strong>sregierung von Sachsen-<br />

Anhalt, sehr informatives Schriftgut zu <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen Reparationsleistungen<br />

nach En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s II. Weltkrieges gesammelt wor<strong>de</strong>n. Daraus geht<br />

hervor, daß die UdSSR nicht nur Spitzentechnologie <strong>de</strong>r mittel<strong>de</strong>utschen<br />

Region einschließlich Spezialisten „<strong>de</strong>montierte“, son<strong>de</strong>rn im Prinzip alle<br />

Güter ausführte, die Wirtschaft und Bevölkerung in irgend einer Art<br />

brauchen bzw. verbrauchen konnten. Der Abtransport <strong>de</strong>r Reparationsgüter<br />

ging gewöhnlich direkt vom Betrieb o<strong>de</strong>r von Beute- bzw. Trophäenlagern<br />

aus. Als Mitarbeiter <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>sregierung im März 1947 erstmals eine<br />

erste Bestandsaufnahme in solchen Lagern vornehmen durften, gab es<br />

<strong>de</strong>rer noch 58. 1<br />

Aus einer <strong>de</strong>r ersten kritischen Veröffentlichungen <strong>zur</strong> Problematik,<br />

einem Beitrag <strong>de</strong>s Westberliner „Telegraf“ vom 26. Januar 1947: „Danach<br />

wur<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>r Provinz an Industrieprodukten und Fabrikausrüstungen<br />

Werte von 334 Millionen RM geliefert. Dieselmaschinen und Traktoren,<br />

Kupfer und Zink, chemische Produkte und synthetischer Gummi, aber<br />

auch Pianos, Porzellan, Bekleidungsstücke. Allein im Oktober 1946 betrug<br />

<strong>de</strong>r Wert solcher Güter 18,2 Millionen RM. Den größten Einzelposten<br />

bil<strong>de</strong>te Zucker, von <strong>de</strong>m im Laufe von 14 Monaten für 140 Mio. RM<br />

entnommen wur<strong>de</strong>n ist.“ 2 Diese genannten Zahlen waren keineswegs aus<br />

<strong>de</strong>r Luft gegriffen, im Wirtschaftsministerium <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s Sachsen-Anhalt<br />

wur<strong>de</strong> eiligst eine Aussprache angesetzt. Aus einem Vermerk <strong>de</strong>s Ministeriums<br />

an <strong>de</strong>n Ministerpräsi<strong>de</strong>nten: „Ich habe daraufhin sämtliche Angehörige<br />

<strong>de</strong>r Abteilung Reparationen zu einer dienstlichen Äußerung veranlaßt,<br />

ob sie das Material dazu <strong>de</strong>r Zeitung o<strong>de</strong>r einer sonstigen Stelle mitgeteilt<br />

haben. Ich zeige dies an für <strong>de</strong>n Fall, daß die Angelegenheit von russischer<br />

Seite <strong>zur</strong> Sprache gebracht wer<strong>de</strong>n sollte“. 3<br />

An zwei Aktionen <strong>de</strong>r sowjetischen Militäradministration <strong>de</strong>r Provinz<br />

Sachsen (im folgen<strong>de</strong>n SMA) wird <strong>de</strong>utlich, mit unter welchen Bedingungen<br />

<strong>de</strong>utsche Behör<strong>de</strong>n und Unternehmen die sowjetischen Reparationsbefehle<br />

zu meistern versuchten, wobei hinsichtlich <strong>de</strong>r Logik und <strong>de</strong>s<br />

gesun<strong>de</strong>n Menschenverstan<strong>de</strong>s die Schmerzgrenze oft überschritten wur<strong>de</strong>.<br />

1 Vgl. Lan<strong>de</strong>shauptarchiv Sachsen-Anhalt, Mag<strong>de</strong>burg (LAMag), Rep. K 2, Min.Präs.,<br />

Nr. 2743.<br />

2 Ebenda, Film Nr. 34, Bl. 168. Die Geldsumme bezog sich bis 1948 auf <strong>de</strong>n Preisin<strong>de</strong>x<br />

von 1944. Zehn Reichsmark entsprachen einem Dollar.<br />

3 Ebenda, Bl. 167.<br />

71


Mit <strong>de</strong>r „Aktion Potsdam“ wur<strong>de</strong>n Industrieausrüstungen und mit <strong>de</strong>r<br />

„Aktion 112b“ Zucker in <strong>de</strong>n Stettiner Hafen zum Weitertransport in die<br />

UdSSR verbracht. 3.600 beschlagnahmte <strong>de</strong>utsche LKW und Zugmaschinen,<br />

die in privatem und staatlichem Besitz waren, wur<strong>de</strong>n dafür<br />

genutzt. Dies war aus Sicht <strong>de</strong>r SMA erfor<strong>de</strong>rlich, <strong>de</strong>nn zu dieser Zeit<br />

stauten sich am Grenzbahnhof in Brest-Litowsk, über <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Großteil<br />

aller Demontagetransporte abgewickelt wur<strong>de</strong>, die Beutezüge bis auf einer<br />

Länge von 100 km. 4<br />

Bei<strong>de</strong> Aktionen hatten unmittelbare Auswirkungen auf die <strong>de</strong>utsche<br />

Bevölkerung, da <strong>de</strong>r Verlust von LKW, Anhängern und Ersatzteilen nicht<br />

ersetzt wur<strong>de</strong> und die Kosten von 2,3 Mio. RM für die „Aktion Potsdam“,<br />

entgegen erster Versprechungen, von <strong>de</strong>r SMA nicht beglichen wur<strong>de</strong>n.<br />

Details in bei<strong>de</strong>n Aktionen veranschaulichen die harte Zeit sowjetischer<br />

Besatzungspolitik, auch hinsichtlich <strong>de</strong>r Zusammenarbeit <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen<br />

Dienststellen mit sowjetischen Behör<strong>de</strong>n.<br />

Für <strong>de</strong>n Chef <strong>de</strong>r zivilen Verwaltung <strong>de</strong>r SMA <strong>de</strong>r Provinz Sachsen,<br />

Generalmajor Alexan<strong>de</strong>r G. Kotikow, waren zwei geheime Befehle <strong>de</strong>s<br />

Obersten Chefs <strong>de</strong>r SMAD, Marschall Georgi K. Schukow, Nr. 0105 und<br />

0106 vom 7. Dezember 1945, die Befehlesgrundlage <strong>zur</strong> Auslösung <strong>de</strong>r<br />

bei<strong>de</strong>n Aktionen. 5 Die SMA-Befehle Nr. 66 vom 11. Dezember 1945 und<br />

Nr. 88 vom 25. Dezember 1945 sahen vor, in <strong>de</strong>r Provinz Sachsen 2.000<br />

LKW mit Anhängern für die Aktionen <strong>zur</strong> Verfügung zu stellen. Die Zahl<br />

erscheint völlig unrealistisch, <strong>de</strong>nn zum Zeitpunkt einer Zählung vom 25.<br />

März 1946 verfügte die Provinz Sachsen nur über 6.212 zugelassene LKW. 6<br />

Wie schwierig die Gestellung <strong>de</strong>r gefor<strong>de</strong>rten Transportkapazitäten war,<br />

offenbart allein schon die Existenz <strong>de</strong>s SMA-Befehls Nr. 88. Während <strong>de</strong>r<br />

SMA-Befehl Nr. 66 noch LKW über 3t Tragfähigkeit vorsah, setzte <strong>de</strong>r<br />

SMA-Befehl Nr. 88 die Anfor<strong>de</strong>rungen auf 2t herab und bezog schnell<br />

laufen<strong>de</strong> Zugmaschinen mit ein. Durch technische Ausmusterung seitens<br />

sowjetischer Offiziere kamen in bei<strong>de</strong>n Aktionen jedoch nur ca. 1.000<br />

beschlagnahmte Fahrzeuge zum Einsatz.<br />

Nach Zustellung <strong>de</strong>s SMA-Befehls Nr. 66 an <strong>de</strong>n Präsi<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>r<br />

Provinz Sachsen, Dr. Erhard Hübener, fand bereits am 12. Dezember 1945<br />

im Hause <strong>de</strong>r Direktion für Straßenverkehr, einer <strong>de</strong>m Wirtschaftsministerium<br />

unterstellten Behör<strong>de</strong>, die erste Besprechung statt. Sowjetische<br />

SMA-Offiziere erklärten <strong>de</strong>n Befehl, die <strong>de</strong>utschen Vertreter legten ihre<br />

Maßnahmen <strong>zur</strong> Realisierung fest. Das Protokoll <strong>de</strong>r Beratung enthält<br />

4 Vgl. Rainer Karlsch: Allein bezahlt? – Die Reparationen <strong>de</strong>r SBZ/DDR, Berlin1993.<br />

5 Bei<strong>de</strong> Befehle befin<strong>de</strong>n sich nicht in <strong>de</strong>utschen Archiven. Nachfragen beim<br />

Staatsarchiv <strong>de</strong>r Russischen För<strong>de</strong>ration in Moskau und beim Archiv <strong>de</strong>s<br />

Außenministeriums <strong>de</strong>r Russischen För<strong>de</strong>ration, ebenfalls in Moskau, blieben<br />

unbeantwortet.<br />

6 Vgl. LAMag, Rep. K 6, MW, Nr. 1812.<br />

72


Einzelheiten <strong>de</strong>r Ausführungen <strong>de</strong>r sowjetischen Militärs, die im Folgen<strong>de</strong>n<br />

verkürzt wie<strong>de</strong>rgegeben wer<strong>de</strong>n:<br />

- Die Kraftfahrer und Beifahrer wer<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>r sowjetischen Armee<br />

bezahlt und beköstigt. Sie wer<strong>de</strong>n von ihr auch mit Winterkleidung<br />

versorgt.<br />

- Die Bezahlung soll das Doppelte <strong>de</strong>s <strong>de</strong>rzeitigen Lohnes betragen,<br />

während <strong>de</strong>r Festtage das Vierfache.<br />

- Fahrer und Fahrzeuge wer<strong>de</strong>n nach Beendigung <strong>de</strong>s Auftrages unversehrt<br />

in ihre Heimatorte <strong>zur</strong>ückkehren können.<br />

Wörtlich heißt es im Protokoll: „Die Versorgung <strong>de</strong>r Fahrzeuge mit<br />

Brennstoff, Montage und Reparatur übernimmt die SMA. Für diese Aktion<br />

sollen nur erprobte Wagen zum Einsatz kommen. Aus <strong>de</strong>r Reparatur<br />

kommen<strong>de</strong> Wagen sollten 8.000-10.000 km bereits gefahren sein.“ 7 Die<br />

Mitschrift vermerkt auch, daß die sowjetischen Offiziere zu verstehen<br />

gaben, daß bei Nichteinhaltung <strong>de</strong>s Termins die Fahrzeuge für immer<br />

beschlagnahmt wer<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>ren Besitzer keine Lebensmittelkarten<br />

mehr erhalten sollten. Außer<strong>de</strong>m seien diese Personen für einen<br />

an<strong>de</strong>rweitigen Arbeitseinsatz vorzusehen. Bis zum 18. Dezember 1945<br />

hätten die <strong>de</strong>utschen Behör<strong>de</strong>n die ersten 400 Kraftfahrer zu mel<strong>de</strong>n. Für<br />

die Fahrt vom Heimatort <strong>de</strong>s Fahrzeuges bis nach Potsdam seien die<br />

Deutschen für die Kraftstoffversorgung zuständig. Die Direktion für<br />

Straßenwesen wür<strong>de</strong> diesen verauslagten Kraftstoffbetrag dann nach Abschluß<br />

<strong>de</strong>r Aktion <strong>zur</strong>ück erhalten. Alle übrigen Angelegenheiten wür<strong>de</strong><br />

Herr Oberleutnant Schnai<strong>de</strong>rmann, <strong>de</strong>r verantwortliche sowjetische Offizier<br />

<strong>de</strong>r SMA Halle, mit General Kotikow klären.<br />

Daß es zu keiner befriedigen<strong>de</strong>n Klärung kam, ver<strong>de</strong>utlicht ein Untersuchungsbericht<br />

<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Provinzialverwaltung unterstellten Direktion für<br />

Kraftverkehr und Straßenwesen vom 23. Februar 1946: „Die am 17., 18.<br />

und 20. Dezember 1945 abgestellten 400 Fahrzeuge für obige Aktion sind<br />

z. Zt. in vier Bataillonen zusammengefaßt und teils in Berlin-Adlershof,<br />

teils in Bernau stationiert. In Adlershof befin<strong>de</strong>n sich im Wesentlichen die<br />

einsatzbereiten Fahrzeuge und wer<strong>de</strong>n auch von dort aus zu Transportfahrten<br />

zwischen Berlin bzw. Spandau und Stettin eingesetzt. In Bernau, d. h. in<br />

einem Waldgelän<strong>de</strong> außerhalb einer Kaserne, sind die reparaturbedürftigen<br />

Fahrzeuge abgestellt. Die Überführung dieser Fahrzeuge in einer hiesigen<br />

Werkstatt wur<strong>de</strong> abgelehnt, obschon die Reparaturen hier schneller und<br />

gründlicher durchgeführt wer<strong>de</strong>n können. Die Fahrer müssen dort die<br />

Reparaturarbeiten selbständig ausführen. Die sowjetische Truppe will sich<br />

hilfeleistend einschalten, sofern es sich um Beschaffung von Ersatzteilen<br />

han<strong>de</strong>lt. Die Beifahrer und auch die Fahrer, sofern sie wegen Mangel an<br />

Ersatzteilen an ihrem Fahrzeug nicht weiterarbeiten können, wer<strong>de</strong>n zu<br />

an<strong>de</strong>rweitigen Beschäftigungen herangezogen. Über die Behandlung und<br />

7 Ebenda, Nr. 9154, Bl. 35ff.<br />

73


Verpflegung durch die russische Truppe wird sehr geklagt. Die<br />

Unterbringung ist inzwischen in einer Baracke innerhalb <strong>de</strong>s Kasernengelän<strong>de</strong>s,<br />

das nicht verlassen wer<strong>de</strong>n darf, erfolgt. Dasselbe gilt für die in<br />

Adlershof stationierten Fahrer. Um ein unerlaubtes Entfernen – eventuell<br />

sogar mit Fahrzeug – zu unterbin<strong>de</strong>n, wur<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Fahrern die<br />

Ausweispapiere abverlangt.<br />

Herr Oberleutnant Nikiperlow vom Stab <strong>de</strong>r Truppe Bernau, <strong>de</strong>m die<br />

dortigen Fahrzeuge unterstellt sind, gab an, daß die Fahrer pro Tag RM 8,--<br />

Lohn bekämen. In Adlershof ist Herr Kapitän Fasfodinow zuständig für<br />

<strong>de</strong>n Fahrzeug-Park. Nach seinen Angaben haben die Fahrer und auch<br />

Beifahrer für je<strong>de</strong> Fahrt nach Stettin und <strong>zur</strong>ück ihr Geld bekommen. Es<br />

wur<strong>de</strong>n für einen LKW RM 35,-- und für je<strong>de</strong>n Anhänger RM 10,-- pro<br />

Fahrt bezahlt. Dieser Betrag soll aber nur als Prämie für <strong>de</strong>n Fahrer gedacht<br />

sein. Darüber hinaus soll die Festlegung eines bestimmten Tarifs geplant<br />

sein, wonach dann künftighin Fahrer, Beifahrer sowie auch die Fuhrunternehmen<br />

bzw. Fahrzeughalter entschädigt wer<strong>de</strong>n sollen. Über <strong>de</strong>n Termin<br />

<strong>de</strong>r Fertigstellung sowie über die Höhe dieses Tarifs konnte noch keine<br />

Auskunft gegeben wer<strong>de</strong>n.<br />

Der Transport <strong>de</strong>r <strong>de</strong>montierten Maschinen von Berlin bzw. Spandau<br />

nach Stettin ist ausschließlich Angelegenheit <strong>de</strong>r sowjetischen Truppe, nicht<br />

<strong>de</strong>r SMA. Der Truppenführer, Herr General Weißmann, ist jedoch – außer<br />

in Begleitung eines höheren russischen Offiziers nicht zu erreichen. Da<br />

Herr Oberstleutnant Schnai<strong>de</strong>rman von <strong>de</strong>r SMA Halle auch je<strong>de</strong> Verhandlung<br />

über die Aktion Potsdam ablehnt, wäre <strong>de</strong>r Weg über <strong>de</strong>n Herrn<br />

Präsi<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>r Provinz Sachsen zu General Kotikow, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Befehl Nr.<br />

66 erteilt hat, erfor<strong>de</strong>rlich.“ 8<br />

Das Schreiben ver<strong>de</strong>utlicht, daß die SMA und die Truppenführung völlig<br />

unkoordiniert han<strong>de</strong>lten, und dies zum Nachteil <strong>de</strong>r Deutschen.<br />

Fast zeitgleich mit <strong>de</strong>r „Aktion Potsdam“ war im Rahmen <strong>de</strong>r „Aktion<br />

112b“ Zucker aus <strong>de</strong>r Provinz Sachsen, ebenfalls über Stettin, in die UdSSR<br />

gelangt. Die Lieferungen von Lebensmitteln waren ein be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>r Posten<br />

in <strong>de</strong>n Reparationsleistungen <strong>de</strong>r Sowjetischen Besatzungszone. Vor<br />

Bekanntgabe <strong>de</strong>s entsprechen<strong>de</strong>n Befehls an Präsi<strong>de</strong>nt Hübener<br />

inspizierten SMA-Offiziere die Zuckerfabriken und Zuckerverarbeitungsbetriebe<br />

<strong>de</strong>r Provinz und stellten Fehlbestän<strong>de</strong> bis zu 16 % fest. Diese mag<br />

es gegeben haben, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Drang nach Eßbaren war in <strong>de</strong>r hungern<strong>de</strong>n<br />

Bevölkerung groß. Und wenn die sowjetischen Offiziere tausen<strong>de</strong> von<br />

Tonnen an Zucker vermißten, mußten Sün<strong>de</strong>nböcke schnell gefun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n.<br />

Per SMA-Befehl Nr. 93 vom 30. Dezember 1945 wur<strong>de</strong> Präsi<strong>de</strong>nt<br />

Hübener befohlen, über die Betriebsdirektoren <strong>de</strong>r Zuckerfabriken Tangermün<strong>de</strong><br />

und Genthin eine Strafen zu verhängen. Den Präsi<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>s<br />

8 Ebenda, Nr. 6208, Bl. 140f.<br />

74


Verwaltungsbezirkes Mag<strong>de</strong>burg und gleichzeitigen Oberbürgermeister <strong>de</strong>r<br />

Stadt Mag<strong>de</strong>burg, Otto Baer, übergab General Kotikow am 26. Januar 1946<br />

wegen „Untergrabung und Sabotage <strong>de</strong>r Wirtschaft“ einem sowjetischen<br />

Militärtribunal. Ferner erhob das KPD-Organ „Volkszeitung“ am 28.<br />

Januar 1946 weitere schwere Vorwürfe gegen Baer: „Herr Baer begünstigt<br />

als Oberbürgermeister <strong>de</strong>r Stadt Mag<strong>de</strong>burg Nazisten auf je<strong>de</strong> Art und<br />

Weise; wi<strong>de</strong>rsetze sich <strong>de</strong>r Entlassung <strong>de</strong>r aktiven Nazisten aus <strong>de</strong>n<br />

verantwortungsvollen Ämtern, hin<strong>de</strong>rte hartnäckig die Ausweisung <strong>de</strong>r<br />

eingefleischten Nazisten aus <strong>de</strong>n guten Wohnungen. Auf diese Weise betrat<br />

<strong>de</strong>r Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>s Bezirkes Mag<strong>de</strong>burg, Herr Baer, <strong>de</strong>n Weg <strong>de</strong>r absichtlichen<br />

Nichterfüllung <strong>de</strong>r Befehle <strong>de</strong>r Sowjetischen Militärischen Administration<br />

und <strong>de</strong>r verbrecherischen Einstellung <strong>zur</strong> Erfüllung seiner dienstlichen<br />

Pflichten.“ 9<br />

Zurück <strong>zur</strong> „Aktion 112b“: Am 25. Dezember 1945 erging an Präsi<strong>de</strong>nt<br />

Hübener <strong>de</strong>r SMA-Befehl Nr. 88. Bereits zwei Tage darauf fand dazu eine<br />

erste Dienstberatung statt, an <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Leiter <strong>de</strong>r Direktion für Straßenwesen<br />

sowie ein Präsidialdirektor <strong>de</strong>r Provinzialverwaltung teilnahmen. Im Protokoll<br />

<strong>de</strong>r Besprechung heißt es: „Grundsatz: die erfor<strong>de</strong>rlichen Fahrzeuge<br />

wer<strong>de</strong>n unter allen Umstän<strong>de</strong>n gestellt… Im Notfall wird mit Hilfe <strong>de</strong>r<br />

Polizei je<strong>de</strong>s Fahrzeug beschlagnahmt, gleichgültig zu welchem Zwecke es<br />

fährt. Ich lasse mir Vollmachten geben von Herrn Siewert 10 . Sobald<br />

Schwierigkeiten auftauchen, wird rücksichtslos durchgegriffen. 53 Offiziere<br />

und 265 Soldaten <strong>de</strong>r Roten Armee wer<strong>de</strong>n abkommandiert, die <strong>zur</strong><br />

Verfügung stehen. Fahrzeuge je<strong>de</strong>r Art verwen<strong>de</strong>n, und wenn es Omnibusse<br />

sind. Rücksichtslos die Polizei und die Soldaten <strong>de</strong>r Roten Armee <strong>zur</strong><br />

Hilfe nehmen. Die Fahrer müssen zwangsweise einberufen wer<strong>de</strong>n.<br />

Doppeltes Fahrpersonal. Je<strong>de</strong>r Teilnehmer muß seine Lebensmittelkarten<br />

mitbringen. Je<strong>de</strong>r Zuckersack muß kontrolliert wer<strong>de</strong>n. Die Aktion ist bis<br />

zum 20. <strong>de</strong>s folgen<strong>de</strong>n Monats zu been<strong>de</strong>n. Aus diesem Grun<strong>de</strong> sind<br />

sämtliche Lastwagen mit Benzin- und Dieselantrieb über 2t mit Anhänger,<br />

ebenfalls Möbelwagen mit Anhängern, sofort zu beor<strong>de</strong>rn. Sie sind zu<br />

beschlagnahmen und für diese Aktion einzusetzen. Weiterhin sämtliche<br />

Zugmaschinen, die irgendwie greifbar sind. Bei Nichterfüllung dieses Befehls<br />

müßten weitere 10.000t geliefert wer<strong>de</strong>n.“ 11<br />

An dieser Stelle sei ein Einschub gestattet. Die „Aktion 112b“ war<br />

spontan und in ihrer Art sicher einmalig. Aber bereits infolge <strong>de</strong>s SMA-<br />

Befehls Nr. 7 vom 3. Januar 1946 hatten 13 Zuckerfabriken <strong>de</strong>r Provinz in<br />

<strong>de</strong>n ersten drei Monaten <strong>de</strong>s Jahres 1946 weitere 109.000 Tonnen Zucker<br />

9 Ebenda, Rep. K 2, Min.Präs., Nr. 3941, Bl. 1.<br />

10 Dem Komm<strong>uni</strong>sten Robert Siewert unterstand als 1. Vizepräsi<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>r<br />

Provinzialverwaltung das Ressort Inneres, ab November 1946 amtierte Siewert als<br />

Innenminister <strong>de</strong>r Provinz, ab 1947 <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s Sachsen-Anhalt.<br />

11 LAMag, Rep. K 6, MW, Nr. 9154.<br />

75


in die UdSSR zu liefern. 12 Um eine Vorstellung von dieser Größenordnung<br />

zu erhalten, sei vermerkt, daß geschlossene Eisenbahnwaggons damals eine<br />

Tragfähigkeit von 25 Tonnen hatten. 100.000 Tonnen entsprachen also<br />

einem Fassungsvermögen von 4.000 Waggons.<br />

Am 5. Januar 1946 waren bereits 5.000 Tonnen nach Stettin gebracht<br />

wor<strong>de</strong>n. Die Aktion drohte jedoch am 7. Januar zusammenzubrechen, da<br />

die Transportkapazitäten erschöpft waren. Als letztes Aufgebot wur<strong>de</strong>n 83<br />

Traktoren und LKW mit Holzgenerator beschlagnahmt. Grundlage dafür<br />

war wie<strong>de</strong>rum ein Befehl Kotikows. Die „Aktion 112b“ wur<strong>de</strong> etwa Mitte<br />

Januar 1946 been<strong>de</strong>t, <strong>de</strong>r Befehl war ordnungsgemäß ausgeführt wor<strong>de</strong>n. 13<br />

Die auf Bezahlung und Entschädigung <strong>de</strong>r Fahrzeugbesitzer und<br />

Fahrzeugführer hinauslaufen<strong>de</strong>n Zusagen <strong>de</strong>r SMA wur<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Folgezeit<br />

fast gar nicht erfüllt. In bei<strong>de</strong>n Aktionen gingen <strong>de</strong>utschen Firmen 77<br />

Fahrzeuge einschließlich Anhänger verloren, für die sie keine Entschädigung<br />

erhielten. Auch die Bezahlung <strong>de</strong>r Fahrer und Beifahrer verlief<br />

sporadisch und unterschiedlich und lag unter <strong>de</strong>n genannten Zusagen.<br />

Letzteres beson<strong>de</strong>rs bei <strong>de</strong>r „Aktion Potsdam“, die vom 20. Dezember<br />

1945 bis zum 30. April 1946 lief. Die anfallen<strong>de</strong>n Unkosten <strong>de</strong>r Kfz-<br />

Besitzer, Tankstellen und Reparaturbetriebe beliefen sich auf 2,3 Mio. RM<br />

und wur<strong>de</strong>n nie beglichen. Die <strong>de</strong>utschen Dienststellen waren sogar bereit,<br />

diese Kosten in <strong>de</strong>n Lan<strong>de</strong>shaushalt einzustellen, erhielten aber von <strong>de</strong>r<br />

SMA in Halle und <strong>de</strong>r SMAD in Karlshorst keine Bestätigung. Bis zum<br />

Frühjahr 1949 fan<strong>de</strong>n zehn Verhandlungen <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>sregierung mit Vertretern<br />

<strong>de</strong>r SMA <strong>zur</strong> Begleichung <strong>de</strong>r fälligen Rechnungen statt. Die<br />

Sowjets erfan<strong>de</strong>n stets neue Abrechnungsmodalitäten, Anordnungen und<br />

Zuständigkeiten, so daß die <strong>de</strong>utschen Dienststellen in arge Bedrängnis<br />

gerieten.<br />

Der Direktion für Kraftverkehr gingen im zweiten Halbjahr 1946 die<br />

Rechnungen für die „Aktion Potsdam“ zu, da sie im Auftrag <strong>de</strong>r SMA als<br />

verantwortliche Behör<strong>de</strong> <strong>de</strong>r zuständige Ansprechpartner war. Doch wur<strong>de</strong>n<br />

nur die Belege gesammelt und die Antragsteller mit <strong>de</strong>m Argument<br />

vertröstet, die Unterlagen seien nicht vollständig o<strong>de</strong>r fehlerhaft.<br />

Im Jahre 1947 verschärfte sich die Situation, <strong>de</strong>nn die <strong>de</strong>utschen<br />

Behör<strong>de</strong>n und die politische Öffentlichkeit drängten auf Entscheidungen<br />

<strong>zur</strong> Bezahlung <strong>de</strong>r Kosten. In einem Bericht <strong>de</strong>s Ministeriums <strong>de</strong>r Finanzen<br />

an das Kabinett vom 30. Mai 1947 heißt es in diesem Zusammenhang: „Zu<br />

Beginn <strong>de</strong>r Aktion wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Fahrzeughaltern und Beifahrern Bezahlung<br />

zugesichert, sowie Verpflegung nach <strong>de</strong>n Sätzen <strong>de</strong>r Roten Armee… Den<br />

Fahrzeughaltern wur<strong>de</strong> für die Bereitstellung und Abnutzung <strong>de</strong>r<br />

eingesetzten Wagen eine Entschädigung zugesichert. Nach Feststellung <strong>de</strong>r<br />

12 Vgl. ebenda, Rep. K 2, Min.Präs. Nr. 3940, Bl. 2f.<br />

13 Vgl. ebenda, Rep. K 6, MW, Nr. 9154.<br />

76


Verantwortlichen sind jedoch bedingt an die Fahrer und Beifahrer im Stab<br />

bei Bernau Zahlungen und in beschränktem Umfang in Form von Leistungsprämien<br />

bezahlt wor<strong>de</strong>n. Den Fahrzeughaltern ist niemals eine<br />

Entschädigung ausgezahlt wor<strong>de</strong>n. Es muß darauf hingewiesen wer<strong>de</strong>n, daß<br />

ein wesentlicher Teil <strong>de</strong>r bereitgestellten Transportmittel Eigentum<br />

mittlerer und kleiner Betriebe darstellt, die nicht im Stan<strong>de</strong> sind, die<br />

entstan<strong>de</strong>nen Aufwendungen und Kosten zu bestreiten… und nunmehr die<br />

Absicht haben, die Angelegenheit über die antifaschistischen Blockparteien<br />

<strong>de</strong>m Provinziallandtag zuzuarbeiten.“ Das Schreiben schließt mit einer<br />

Empfehlung <strong>zur</strong> Heilung <strong>de</strong>s Scha<strong>de</strong>ns: „Da hierfür bereits ein Präze<strong>de</strong>nzfall<br />

vorliegt, wobei auf Grund <strong>de</strong>s Befehls Nr. 175 <strong>de</strong>r O[bersten]SMAD<br />

vom 18.12.1945 für <strong>de</strong>n Transport von Zucker aus <strong>de</strong>r Provinz Sachsen-<br />

Anhalt nach Stettin Fahrzeughalter in <strong>de</strong>r Provinz Lastkraftwagen <strong>zur</strong><br />

Verfügung stellten und die aufgewen<strong>de</strong>ten Kosten auch mit Zustimmung<br />

<strong>de</strong>r SMA aus Provinzmitteln erstattet erhielten, empfiehlt es sich, in gleicher<br />

Weise zu verfahren und die anerkannten Aufwendungen für die Aktion<br />

Potsdam zu Lasten <strong>de</strong>s Provinzialhaushaltes nunmehr nach Genehmigung<br />

durch die SMA schnellstens auszuzahlen.“ 14<br />

Zahlreiche Beschwer<strong>de</strong>briefe wur<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Angelegenheit verfaßt und<br />

gingen unter an<strong>de</strong>rem auch beim Sen<strong>de</strong>r Leipzig <strong>de</strong>s Mittel<strong>de</strong>utschen<br />

Rundfunks und beim Petitionsausschuß <strong>de</strong>s Landtages ein. 15 Sehr ernst<br />

nahm Ministerpräsi<strong>de</strong>nt Erhard Hübener einen Brief <strong>de</strong>r Landtagsfraktion<br />

<strong>de</strong>r CDU vom 25. November 1947. Daraus sei zitiert: „Die Verzögerung<br />

<strong>de</strong>r Bezahlung ist immer damit zu erklären versucht wor<strong>de</strong>n, daß zwischen<br />

<strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>sregierung und <strong>de</strong>r SMA bisher keine Übereinstimmung über die<br />

Verrechnung <strong>de</strong>r Transportkosten erzielt wor<strong>de</strong>n war. Wir halten eine<br />

solche Begründung für völlig abwegig. Die Fuhrunternehmer sind mit ihren<br />

Fahrzeugen von einer <strong>de</strong>utschen Behör<strong>de</strong> <strong>zur</strong> Arbeitsleistung aufgefor<strong>de</strong>rt<br />

und gezwungen wor<strong>de</strong>n… Es dürfte in <strong>de</strong>r Vergangenheit ohne Beispiel<br />

sein, daß sich eine zentrale <strong>de</strong>utsche Behör<strong>de</strong> viele Monate bitten läßt, ihre<br />

finanziellen Verpflichtungen zu erfüllen und zwar von Gewerbetreiben<strong>de</strong>n,<br />

<strong>de</strong>ren unpünktliche Steuerzahlung mit hohen Zuschlägen geahn<strong>de</strong>t wird.“ 16<br />

Hübener leitete das Schreiben an Wirtschaftsminister Willi Dieker mit <strong>de</strong>r<br />

Bemerkung weiter: „Wenn es nicht möglich ist, mit <strong>de</strong>r SMA zu einer<br />

Einigung zu kommen, müssen wir die Leute bezahlen und von <strong>de</strong>r SMA<br />

Einstellung <strong>de</strong>s Betrages in unserem Etat erlangen. Ich empfehle, die Sache<br />

im Kabinett zu erarbeiten.“ 17<br />

Im Laufe <strong>de</strong>s Jahres 1947 lehnten die Sowjets eine Bezahlung erneut ab.<br />

Deshalb schrieb Hübener am 29. Dezember 1947 persönlich an Kotikows<br />

Nachfolger, General Michail K. Schljachtjenko: „Die Aktion wur<strong>de</strong> am<br />

14 Ebenda, Rep. K 5, MdF, Nr. 1499.<br />

15 Vgl. ebenda, Rep K 6, MW, Nr. 6208.<br />

16 Ebenda, Bl. 129f.<br />

17 Ebenda.<br />

77


30.04.1946 been<strong>de</strong>t. Die von <strong>de</strong>m Leiter <strong>de</strong>r Aktion, Herrn General<br />

Waisman, Potsdam, in Aussicht gestellte Erstattung <strong>de</strong>r Kosten an die<br />

Fahrzeughalter ist bis heute mangels entsprechen<strong>de</strong>r Entscheidung <strong>de</strong>r<br />

OSMAD noch nicht vorgenommen wor<strong>de</strong>n.<br />

Das Wirtschaftsministerium hat anläßlich eines Besuchs von Herrn<br />

Ippolitow von <strong>de</strong>r Finanz-Abteilung in Berlin-Karlshorst am 30.05.1947<br />

einen eingehen<strong>de</strong>n Bericht gefertigt und Herrn Ippolitow <strong>zur</strong> weiteren<br />

Veranlassung übergeben. Auf Empfehlung <strong>de</strong>s Chefs <strong>de</strong>r Finanzabteilung<br />

bei <strong>de</strong>r SMA in Halle, Herrn Ptuchin, während einer Besprechung am<br />

20.10.1947, wur<strong>de</strong> alsdann nochmals <strong>de</strong>r OSMAD in Berlin Karlshorst das<br />

inzwischen mit RM 2 181 010,92 18 festgestellte Ergebnis <strong>de</strong>r entstan<strong>de</strong>nen<br />

Aufwendungen im Berichtswege gemel<strong>de</strong>t und um Bereitstellung <strong>de</strong>r<br />

erfor<strong>de</strong>rlichen Mittel dringend gebeten. Abschrift dieses Berichts, <strong>de</strong>n ich<br />

zu Ihrer Unterrichtung anliegend beifüge, wur<strong>de</strong> Ihrer Finanzabteilung am<br />

21.10.1947 zugestellt und gebeten, die dringlich gewor<strong>de</strong>ne Regelung <strong>de</strong>r<br />

Angelegenheit im Sinne <strong>de</strong>s Antrages befürwortend zu unterstützen.<br />

Im Hinblick darauf, daß eine Entscheidung nunmehr fast zwei Jahre<br />

verzögert und die Angelegenheit zum Gegenstand einer Beschwer<strong>de</strong> durch<br />

die betroffenen Kreise bei Landtagsfraktionen <strong>de</strong>r Blockparteien gemacht<br />

wur<strong>de</strong>, erscheint es dringend erfor<strong>de</strong>rlich, eine Entscheidung herbeizuführen.<br />

Ich darf Sie daher bitten, die OSMAD zu veranlassen, <strong>de</strong>n erfor<strong>de</strong>rlichen<br />

Betrag <strong>zur</strong> Verfügung zu stellen.“ 19<br />

Am 3. Februar 1948 schrieb Wirtschaftsminister Willi Dieker an die<br />

Finanzabteilung <strong>de</strong>r SMA in Halle. Dem Schreiben waren 36 Seiten<br />

Anlagen über die Abrechnungsmodalitäten beigefügt, wie sie die Finanzabteilung<br />

<strong>de</strong>r SMA in einer Unterredung am 27. Januar 1948 von <strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>utschen Behör<strong>de</strong>n gefor<strong>de</strong>rt hatte. Dieker wies in aller Dringlichkeit auf<br />

die Erledigung <strong>de</strong>r Angelegenheit hin: „Ich bin <strong>de</strong>r Auffassung, daß eine<br />

weitere Verzögerung <strong>de</strong>r Zahlungen <strong>de</strong>m Ansehen <strong>de</strong>r beteiligten<br />

Regierungsstellen bei <strong>de</strong>m betroffenen Transportgewerbe abträglich sein<br />

könnte und vermeidbare Wirkungen auf die intervenieren<strong>de</strong>n Landtagsvertreter<br />

hervorrufen müßte. Schließlich dürften auch keine Grün<strong>de</strong> vorliegen,<br />

die im Vergleich zu <strong>de</strong>r bereits seit längerer Zeit durch Kostenerstattung<br />

abgewickelten Aktion 112b (Zuckertransport) eine unterschiedliche Behandlung<br />

<strong>de</strong>r Aktion Potsdam rechtfertigen wür<strong>de</strong>n.“ 20<br />

Die SMA in Halle reagierte nicht auf Diekers Schreiben. Ministerpräsi<strong>de</strong>nt<br />

Hübener sah sich genötigt, am 27. Februar 1948 erneut beim<br />

General vorstellig zu wer<strong>de</strong>n und ihm das Schreiben persönlich zu übergeben.<br />

Danach teilte er seinem Wirtschaftsminister mit: „Ich habe erneut<br />

Herrn General darum gebeten, daß die Angelegenheit Aktion Potsdam<br />

18 Die von Hübener erwähnte Summe enthielt noch nicht die Erstattung <strong>de</strong>r verlustig<br />

gegangenen Kfz und Anhänger.<br />

19 LAMag, Rep. K 6, MW, Nr. 6208, Bl. 123.<br />

20 Ebenda, Bl. 118.<br />

78


sobald wie möglich abgewickelt wer<strong>de</strong>n möge. Der Herr General wird sich<br />

mit seiner Finanzierung in Verbindung setzen.“ 21 Darauf hin fand am 7./8.<br />

April 1948 eine Aussprache Diekers mit sowjetischen Offizieren aus<br />

Karlshorst und Halle statt. Sie en<strong>de</strong>te ergebnislos. In einer Mitteilung an<br />

Ministerpräsi<strong>de</strong>nt Hübener berichtete Dieker darüber, „daß eine neue<br />

Abrechnung nach <strong>de</strong>n Instruktionen zum Befehl Nr. 0105, die bis jetzt<br />

unbekannt waren, erstellt wer<strong>de</strong>n müsse.“ 22<br />

Das Wirtschaftsministerium lud in Auswertung dieser Zusammenkunft<br />

alle geschädigten Unternehmen am 26. April 1948 nach Halle ein und<br />

machte sie mit diesen neuen Abrechnungsverfügungen bekannt. Die neuen<br />

For<strong>de</strong>rungen gingen bis En<strong>de</strong> November im Finanzministerium ein. Voller<br />

Hoffnung auf eine Lösung <strong>de</strong>r Angelegenheit teilte Dieker am 9. Dezember<br />

1948 Finanzminister Werner Bruschke mit, daß sich das Kabinett am 15.<br />

Dezember 1948 erneut mit <strong>de</strong>r „Aktion Potsdam“ befasse. Der Leiter <strong>de</strong>r<br />

Abteilung Reparationen im Wirtschaftsministerium nahm daraufhin am 6.<br />

Januar 1949 wie<strong>de</strong>rum Kontakt <strong>zur</strong> SMA in Halle auf. In einem Aktenvermerk<br />

an Dieker übermittelte er diesem, die SMA „habe ihm die<br />

Genehmigung <strong>zur</strong> Bereitstellung dieses Betrages rundweg mit <strong>de</strong>n Bemerkungen,<br />

daß die For<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Fahrzeughalter notfalls als Besatzungskosten<br />

zu betrachten seien, abgelehnt.“ 23 Am folgen<strong>de</strong>n Tag mahnte Dieker<br />

gegenüber Finanzminister Bruschke an, es sei erfor<strong>de</strong>rlich, „daß <strong>de</strong>r Herr<br />

Ministerpräsi<strong>de</strong>nt in einer Besprechung mit <strong>de</strong>m General Michail K.<br />

Schlachtjenko diesen noch einmal auf dieses ungelöste Problem aufmerksam<br />

macht.“ 24<br />

Im Februar 1949 wollten die Sowjets dann jedoch nur noch ein Zehntel<br />

<strong>de</strong>r Kosten übernehmen und sahen keinen weiteren Handlungsbedarf. 25<br />

Die Situation spitzte sich im Frühjahr 1949 zu, als eine geschädigte Person<br />

ihre Unkosten von 2.985 DM vor <strong>de</strong>m Amtsgericht Merseburg einzuklagen<br />

suchte. Die Klage wur<strong>de</strong> jedoch abgewiesen. Zur Begründung hieß es: „Der<br />

Vergütungsanspruch, <strong>de</strong>n die Klägerin geltend macht, ist ein öffentlichrechtlicher.<br />

Er ist hervorgegangen aus <strong>de</strong>r durch die untere Verwaltungsbehör<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>r Beklagten erfolgten Inanspruchnahme <strong>de</strong>r Sachen und Dienste<br />

<strong>de</strong>r Klägerin. Ihren Rechtsgrund fin<strong>de</strong>t diese Beanspruchung in § 3 Abs. 3<br />

RLG 26 . Die Geltendmachung <strong>de</strong>r hierfür <strong>de</strong>r Klägerin nach § 26 Abs. 1<br />

RLG zu gewähren<strong>de</strong>n Vergütung ist aber allein im Verwaltungswege zu<br />

verfolgen, weil nach § 27 Abs. 3 S. 3 RLG <strong>de</strong>r Rechtsweg ausgeschlossen<br />

ist.“ 27<br />

21 Ebenda, Bl. 117.<br />

22 Ebenda, Bl. 103.<br />

23 Ebenda, Bl. 92.<br />

24 Ebenda.<br />

25 Vgl. ebenda, Bl. 88.<br />

26 Die Abkürzung steht für Reichsleistungsgesetz.<br />

27 LAMag, Rep. K 6, MW, Nr. 6208, Bl. 82f.<br />

79


Der Schriftverkehr <strong>zur</strong> Aktion „Potsdam“ verliert sich im Frühjahr 1949.<br />

Bislang ist ungeklärt, ob die geschädigten Fahrzeughalter jemals entschädigt<br />

wur<strong>de</strong>n. Nach <strong>de</strong>r Gründung <strong>de</strong>r DDR konnten noch bis zum 30. Juli 1950<br />

beim Amt für Reparationen <strong>de</strong>r Regierung <strong>de</strong>r DDR Ansprüche gestellt<br />

wer<strong>de</strong>n.<br />

Leidtragen<strong>de</strong> an bei<strong>de</strong>n Aktionen waren die Privatbesitzer von Fahrzeugen<br />

und meist <strong>de</strong>ren Angestellte, die als Kraftfahrer eine un<strong>zur</strong>eichen<strong>de</strong><br />

Bezahlung erhielten. Die starre Haltung <strong>de</strong>r sowjetischen Militärbehör<strong>de</strong>n<br />

läßt sich sicher nur politisch erklären, <strong>de</strong>n privaten Mittelstand wollte man<br />

ausbluten lassen. Denn die privaten Fuhrunternehmer o<strong>de</strong>r LKW-Besitzer<br />

stan<strong>de</strong>n <strong>de</strong>m immer stärker popularisierten „Traumziel Sozialismus“ im<br />

Wege. Treffend resümierte das SED-Politbüro das Jahr 1948: „Die Lage<br />

war dadurch gekennzeichnet, daß die Wi<strong>de</strong>rsprüche schroff zu Tage traten<br />

und die Klassenauseinan<strong>de</strong>rsetzung sich verstärkte. In diesen Schichten<br />

bestan<strong>de</strong>n starke Vorbehalte, teilweise offene Feindschaft gegen die<br />

führen<strong>de</strong> Rolle <strong>de</strong>r Arbeiterklasse... Verbreitet waren antikomm<strong>uni</strong>stische<br />

und antisowjetische Ansichten. Noch war die Gefahr nicht gebannt… zu<br />

einem Generalangriff auf die revolutionären Errungenschaften <strong>de</strong>r<br />

Werktätigen.“ 28 Mit <strong>de</strong>n Aktionen „Potsdam“ und „112b“ schlug die<br />

Besatzungsmacht zwei Fliegen mit einer Klappe. Sie verbesserte ihre eigene<br />

Wirtschaftslage und <strong>de</strong>montierte in ihrer Besatzungszone das private<br />

Unternehmertum.<br />

28 Gerhard Roßmann: Geschichte <strong>de</strong>r Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands,<br />

Berlin 1978, S. 178f.<br />

80


Autoren<br />

Dietmar Schulze<br />

Anja Edith Spuhn<br />

Daniel Bohse<br />

Henrik Eberle<br />

Dr. phil., Leipzig<br />

M.A., wissenschaftliche Mitarbeiterin an <strong>de</strong>r<br />

Technischen Universität Košice (Slowakei)<br />

Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für<br />

Geschichte an <strong>de</strong>r <strong>Martin</strong>-Luther-Universität<br />

Halle-Wittenberg<br />

Dr. phil., Wissenschaftlicher Mitarbeiter,<br />

Institut für Geschichte an <strong>de</strong>r <strong>Martin</strong>-Luther-<br />

Universität Halle-Wittenberg<br />

Wilfried Lübeck<br />

Dr. phil., Groß Ammensleben


<strong>Hallische</strong> Beiträge <strong>zur</strong> <strong>Zeitgeschichte</strong><br />

Herausgeber: Prof. Dr. Hermann-Josef Rupieper † (Heft 1-14)<br />

Dr. Jana Wüstenhagen, Daniel Bohse (ab Heft 15)<br />

Lehrstuhl für <strong>Zeitgeschichte</strong><br />

Institut für Geschichte<br />

<strong>Martin</strong>-Luther-Universität Halle-Wittenberg<br />

06099 Halle<br />

Heft 10 / 2001<br />

Mit Beiträgen von Jan Gerber, Christina Schrö<strong>de</strong>r, Jana Wüstenhagen/Karsten<br />

Rudolph und Georg Wagner-Kyora.<br />

Heft 11 / 2002<br />

Mit Beiträgen von Andreas Malycha, Anjana Buckow und Ulrich Pfeil.<br />

Zeitzeugen: Herbert Priew und Hans-Dieter Nover.<br />

Heft 12 / 2002<br />

Mit Beiträgen von Hagen Jahn, Frank Hirschinger und Daniel Bohse.<br />

Heft 13 / Son<strong>de</strong>rheft / 2003<br />

Mit Beiträgen von Kristiane Gerhard, Marianne Taatz, Christina Müller, Eckehard<br />

Pistrick und Ria Hänisch.<br />

Heft 14 / Son<strong>de</strong>rheft/ 2004<br />

Mit Beiträgen von Hans-Joachim Diesner, Hans-Dieter Zimmermann und weiteren<br />

Zeitzeugen.<br />

ISSN 1433-7886

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