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Fortbildung<br />
Nils von Hentig, Frankfurt<br />
Pharmakologie der HAART im zentralen Nervensystem<br />
Der CNS-Penetration-Effectiveness (CPE-) Score ist ein Maß für die Wirksamkeit<br />
von antiretroviralen Substanzen im ZNS. Bei der Berechnung des Scores werden<br />
sowohl pharmakologische und pharmakokinetische Eigenschaften als auch klinische<br />
Studien zur ZNS-Wirksamkeit berücksichtigt. Angesichts der hohen Prävalenz<br />
von neurokognitiven Störungen und der steigenden Lebenserwartung gewinnt<br />
eine neuroprotektive HAART und damit der CPE-Score zunehmend an Bedeutung.<br />
Die Infektion des zentralen Nervensystems<br />
(ZNS) durch <strong>HIV</strong> ist häufig assoziiert mit<br />
kognitiven und motorischen Einschränkungen.<br />
Die <strong>HIV</strong>-assoziierte Demenz (HAD)<br />
findet sich in ca. 10-15% aller Menschen,<br />
die mit <strong>HIV</strong>/AIDS leben und ist entsprechend<br />
häufiger bei unbehandelten Patienten<br />
oder in einem späten Stadium der<br />
Erkrankung (Sacktor et al. Neurology 2001,<br />
56(2):257-260). Weniger schwere Formen,<br />
wie MND (mild neurocognitive disorder)<br />
oder subklinische Formen der neurokognitiven<br />
Störungen finden sich in annähernd<br />
30-60% aller <strong>HIV</strong>-positiven Menschen. Zusammengefasst<br />
werden diese Störungen<br />
unter dem Oberbegriff <strong>HIV</strong>-associated<br />
neurocognitive disorders (HAND). Grant I,<br />
Int Rev Psychiatry 2008, 20(1):33-47;<br />
Goodkin K, Focus 2009, 7(3): 303-310).<br />
Unabhängig von der Schwierigkeit, diese<br />
mithilfe von einheitlichen Testbatterien zu<br />
diagnostizieren, stellt sich bei der Behandlung<br />
von <strong>HIV</strong> im ZNS die Frage, welche Form<br />
der Pharmakotherapie gewählt werden sollte.<br />
Neuroinvasion und Psychosoziale<br />
Konsequenzen<br />
<strong>HIV</strong> gelangt mithilfe infizierter und aktivierter<br />
Monozyten bzw. CD4+ T-Zellen aus<br />
dem Blut ins ZNS und ist dort in der Lage<br />
sowohl in Mikroglia-Zellen als auch Astrozyten<br />
einzudringen. Diese Zellen bilden<br />
eines der langlebigen Reservoirs für die<br />
Vermehrung des <strong>HIV</strong> im Menschen (Abb 1).<br />
Die Konsequenz ist eine deutlich kürzere<br />
Überlebenszeit von Patienten mit neurokognitiven<br />
Störungen verglichen mit nicht<br />
Betroffenen. Allerdings stammen diese<br />
Zahlen noch aus der Prä-HAART-Ära. Vor<br />
der HAART-Ära entwickelten 20-30% aller<br />
<strong>HIV</strong>-1 infizierten Patienten eine Vielzahl<br />
kognitiver und motorischer Symptome,<br />
mit dokumentierter moderater bis<br />
schwerer Beeinträchtigung<br />
in zwei<br />
oder mehr kognitiven<br />
Bereichen bei<br />
deutlicher Verminderung<br />
alltäglicher<br />
Leistungen, inklusive<br />
beeinträchtigtem<br />
Kurzzeit-Gedächtnis,<br />
reduzierter Konzentration<br />
und motorischer<br />
Bein-<br />
Schwäche, benannt Abb. 1: <strong>HIV</strong> Neuroinvasion 1<br />
als <strong>HIV</strong>-assoziierte<br />
Demenz (HAD oder<br />
AIDS Demenz-Komplex.<br />
Dieser geht<br />
oftmals zusätzlich<br />
einher mit Verhaltensauffälligkeiten,<br />
wie z.B. Persönlichk<br />
e i t s v e r ä n d e -<br />
rungen, Apathie<br />
und sozialem Rückzug<br />
sowie fehlender<br />
Adhärenz zur Therapie.<br />
Viruslast in<br />
Blut und Liquor<br />
LeTendre et al.<br />
(CHARTER Studie)<br />
konnten zeigen,<br />
dass eine statistisch signifikante Korrelation<br />
zwischen CD4-Zellzahl sowie der Viruslast<br />
in Blut und Liquor bestehen. Bei<br />
1.221 Querschnittpaaren korrelierte die<br />
Viruslast in Blut und Liquor deutlich (r² =<br />
0.70, p
Fortbildung<br />
weniger als 200 CD4+ T-Zellen/mL Blut ein<br />
deutlich höheres Risiko haben, an HAND<br />
zu erkranken (Abb 2).<br />
Adäquate HAART<br />
Unbehandelte Patienten mit HAND sollten<br />
rasch einer <strong>HIV</strong>-Therapie zugeführt werden.<br />
Bei bereits behandelten Patienten, die<br />
Symptome im Verlauf einer virologisch erfolgreichen<br />
Therapie entwickeln, muss<br />
über eine Veränderung der Therapie nachgedacht<br />
werden. Nicht alle verfügbaren<br />
antiretroviralen Substanzen sind hierfür<br />
geeignet.<br />
Die sogenannte Blut-Hirn-Schranke (BHS)<br />
stellt für viele Arzneimittel ein unüberwindbares<br />
Hindernis dar. Die BHS ist eine<br />
selektiv durchlässige, zusammenhängende<br />
Zellschicht, welche aus mikrovaskulären<br />
endothelialen Zellen besteht, die untereinander<br />
durch sog. tight junctions verbunden<br />
sind. In dieser Zellschicht finden<br />
sich eine Anzahl transmembranärer Transporter,<br />
welche bei Influx und Efflux von<br />
Substanzen eine wichtige Rolle spielen,<br />
z.B. ABCB1 (P-gp) und SLC (OATP). In dem<br />
die Kapillaren umgebenden Gewebe finden<br />
sich Astrozyten und perivaskuläre<br />
Makrophagen. Eine andere Barriere ist die<br />
Blut-Liquor-Schranke, welche sich an den<br />
Plexus choroidei befindet.<br />
Unter diesen Bedingungen werden die Verteilung<br />
und Wirksamkeit der HAART im<br />
ZNS durch verschiedene pharmakologische<br />
Faktoren beeinflusst. Eine hohe Plasmaeiweißbindung,<br />
hohes Molekülgewicht, niedrige<br />
Lipophilität, starke Ionisation/Ladung,<br />
Affinität zu transmembranären Effluxpumpen<br />
wie P-Glykoprotein vermindern die<br />
ZNS-Gängigkeit; Eine Substanz mit im Verhältnis<br />
hohen Plasmaspiegeln zu niedrigen<br />
Hemmkonzentrationen für Wildtyp <strong>HIV</strong><br />
kann jedoch auch bei schlechter ZNS-Gängigkeit<br />
noch ausreichend Wirkung zeigen.<br />
CNS-Penetration-Effectiveness-<br />
Score<br />
Aus allen diesen Faktoren entwickelte die<br />
Kalifornische Arbeitsgruppe um Scott Le<br />
Abb. 3: Faktoren für einen Algorithmus zur Bestimmung der Verteilung<br />
und Wirksamkeit der HAART im ZNS nach LeTendre 3<br />
Abb. 4: Zusammenhang zwischen CPE-Score und nachweisbarer Virus-<br />
Tendre einen „CNS-<br />
Penetration-Effectiveness“-(CPE-)<br />
Score für antiretrovirale<br />
Substanzen<br />
(Abb. 3). In diesen<br />
geht nicht nur die<br />
beste Evidenz für<br />
die pharmakologischen<br />
Eigenschaften<br />
einer<br />
Substanz an der<br />
Blut-Hirn-Schranke<br />
ein, sondern<br />
auch die in Blut<br />
und Liquor bisher<br />
gemessene Pharmakokinetik<br />
(in Tier<br />
und Mensch) sowie<br />
klinische Studien<br />
zur Wirksamkeit im<br />
ZNS (Senkung der<br />
Viruslast im Liquor,<br />
klinische Wirksamkeit<br />
bei HAND) mit<br />
ein. Eine Anzahl<br />
von Untersuchungen<br />
konnte<br />
last im ZNS 4<br />
beispielsweise einen Zusammenhang zwischen<br />
der Einnahme von Zidovudin oder<br />
Indinavir bzw. der Anzahl der ZNS-gängigen<br />
Substanzen einer HAART und entsprechend<br />
niedriger Viruslast im ZNS zeigen<br />
(z.B. Efficacy of cerebrospinal fluid<br />
(CSF)-penetrating antiretroviral drugs<br />
against <strong>HIV</strong> in the neurological compartment:<br />
different patterns of phenotypic resistance<br />
in CSF and plasma. Antinori A,<br />
Perno CF, Giancola ML, Forbici F, Ippolito G,<br />
Hoetelmans RM, Piscitelli SC. Clin Infect<br />
Dis. 2005 Dec 15;41(12):1787-93. Epub<br />
2005 Nov 10; Changes in CSF and plasma<br />
<strong>HIV</strong>-1 RNA and cognition after starting<br />
potent antiretroviral therapy. Marra CM,<br />
Lockhart D, Zunt JR, Perrin M, Coombs RW,<br />
Collier AC. Neurology. 2003 Apr 2;<br />
60(8):1388-90.; Deutsch R, Ellis RJ, McCutchan<br />
JA, Marcotte TD, Letendre S, Grant I;<br />
HNRC Group. AIDS-associated mild neurocognitive<br />
impairment is delayed in the era<br />
of highly active antiretroviral therapy.<br />
AIDS. 2001 Sep 28;15(14):1898-9.)<br />
In eigenen Daten zeigte LeTendre vor<br />
allem einen Zusammenhang zwischen dem<br />
von ihm entwickelten Score und der gemessenen<br />
Liquor-Viruslast (Abb. 4). Ein<br />
höherer CPE-Score korrelierte in verschiedenen<br />
Untersuchungen mit (i) neuropsychologischer<br />
Verbesserung nach 12 bzw.<br />
24 Wochen ART (Letendre SL et al., CROI<br />
2008, Abstract #68), (ii) verbesserter neuropsychologischer<br />
Performance nach einer<br />
mittleren HAART von 1,5 Jahren (Tozzi et<br />
al., CROI 2008, Abstract #391), (iii) niedrigerer<br />
Prävalenz pathologischer <strong>HIV</strong>-assoziierter<br />
Befunde in ZNS-Gewebeproben<br />
von 392 Autopsien (Everall et al. CROI<br />
2008, Abstract #67), (iv) besserem Überleben<br />
in Patienten mit PML (Gasnault et al.<br />
CROI 2008, Abstract #386) sowie (v) nied-<br />
32 <strong>HIV</strong>&more 1/2010
Fortbildung<br />
rigerer Liquor-Viruslast und verbesserter<br />
kognitiver Funktion in der ACTG 736-Studie<br />
(Marra C. et al., CROI 2009, Poster<br />
#361).<br />
In einer Tabelle hat LeTendre 2008 die damals<br />
verfügbaren Antiretroviralen Substanzen<br />
zusammengefasst (Abb. 5a) und diese<br />
Tabelle 2010 um neue Substanzen und<br />
einen neuen Score erweitert (Abb. 5b).<br />
CPE-Score neuer Substanzen<br />
Die Differenzierung des CPE-Scores von<br />
0-1 auf 1-4 Punkte erlaubt prinzipiell eine<br />
bessere Unterscheidung zwischen einzelnen<br />
Substanzen. So wird jetzt Indinavir als<br />
der Proteaseinhibitor der ersten Generation<br />
mit sehr guter ZNS-Gängigkeit besser<br />
eingestuft als die weniger ZNS-gängigen,<br />
aber hochwirksamen Lopinavir und Darunavir.<br />
Nevirapin und Zidovudin erhalten<br />
ebenfalls den höchsten Score von 4. Neue<br />
Substanzen wie Raltegravir und Maraviroc<br />
werden zusammen mit Lopinavir, Darunavir,<br />
Abacavir unter 3 eingestuft. Am<br />
schlechtesten schneiden nach wie vor beispielsweise<br />
Enfuvirtid, Tenofovir und<br />
Amprenavir ab (Abb. 5b).<br />
Aus den Daten zur Anwendung des CPE-<br />
Score ergibt sich, dass nur bei 10% der<br />
Patienten mit einer HAART mit einem CPE-<br />
Score von 8, hin<br />
m CPE-Score von 4, die<br />
Viruslast im Liquor nachweisbar ist (Abb.<br />
6).<br />
Zur Bewertung neuer Substanzen führt<br />
LeTendre zusätzlich einen Schätzwert ein,<br />
welcher sich aus der minimalen Arzneimittelkonzentration<br />
im Dosisintervall,<br />
C min , und freiem Anteil im Plasma sowie<br />
der IC 50 für Wildtyp <strong>HIV</strong> errechnet<br />
(C min *freien Anteil im Plasma)/IC 50 ): Je<br />
höher dieser Wert, desto besser die Wirkung<br />
im ZNS. Dieses gründet auf der Annahme,<br />
dass grundsätzlich nur die Plasma-<br />
Protein-ungebundenen Anteile der ARVs<br />
in der Lage sind, ins ZNS zu penetrieren.<br />
Hierbei kommt es jedoch, wie bereits erwähnt,<br />
auf die Molekülgröße, Ladung, Lipophilität<br />
sowie die Tatsache an, ob eine<br />
Substanz P-Glykoprotein-Substrat ist. Die<br />
o.g. Rechnung dieser Parameter führt<br />
Letendre zu der Annahme, dass insbesondere<br />
Darunavir bzw. Maraviroc diejenigen<br />
neuen Substanzen sind, deren Konzentrationen<br />
im Liquor die IC 50 für Wildtyp <strong>HIV</strong><br />
um das mehrfache übersteigen.<br />
Diskussion neuer Daten<br />
Preclinical assessment of the distribution<br />
of Maraviroc to potential human immunodefficiency<br />
virus (<strong>HIV</strong>) sanctuary sites in<br />
the central nervous system (CNS) and gutassociated<br />
lymphoid tissue (GALT). Xenobiotica.<br />
2008 Oct; 38(10):1330-9 Die zitierte<br />
Arbeit zeigt, dass ~10% des freien<br />
Anteils Maraviroc im Plasma ins ZNS gelangen,<br />
die minimale Liquorkonzentration<br />
im Dosisintervall folglich ~3ng/mL betragen<br />
würde, was die IC 50 von Maraviroc für<br />
<strong>HIV</strong>-Wildtyp um das 10-fache übersteigt.<br />
Diese Angabe bezieht sich auf die insgesamt<br />
im LC/MS-MS gemessenen Plasmakonzentrationen<br />
von Maraviroc (s. Spalte<br />
C min ).<br />
DARUNAVIR: Für Darunavir existieren<br />
Daten aus 14 Plasma/ZNS-Paaren aus insgesamt<br />
8 Patienten, veröffentlicht in AIDS<br />
Res Hum Retroviruses. 2009 Apr;25(4):457-<br />
61. Darunavir concentrations in cerebrospinal<br />
fluid and blood in <strong>HIV</strong>-1-infected<br />
individuals. Yilmaz A, Izakhashti A, Price<br />
RW, Mallon PW, De Meulder M, Timmermann<br />
P, Gisslen M. Die im Mittel gemes- chung 24 Plasma/ZNS-Paare aus 16 Pati- ><br />
RALTEGRAVIR: Eine neue Veröffentli-<br />
sene Liquor-Konzentration<br />
von<br />
Darunavir betrug<br />
34,2ng/mL, ca.<br />
1/100 der im Plasma<br />
gemessenen<br />
Konzentration,<br />
welche allerdings<br />
in allen gemessenen<br />
Werten die<br />
IC 50 für Wildtyp-<br />
<strong>HIV</strong> deutlich übersteigt.<br />
Insofern hat<br />
zu Recht Darunavir/Ritonavir,<br />
zumindest<br />
in PI-naiven<br />
Patienten<br />
Abb. 5a: CPE-Ranking der ARVs bis 2009 5<br />
denselben CPE-<br />
Score, wie z.B. Lopinavir/Ritonavir.<br />
MARAVIROC: Bei<br />
Maraviroc gründet<br />
diese Annahme<br />
bisher jedoch ausschließlich<br />
auf<br />
Tier-Daten, Liquorkonzentrationen<br />
von Maraviroc sind<br />
bisher nicht veröffentlicht.<br />
(Walker DK et al. Abb. 5b: CPE-Ranking der ARVs 2010 6 <strong>HIV</strong>&more 1/2010 33
Fortbildung<br />
Neurokognitive Störungen:<br />
Diagnose und Management<br />
Jeder <strong>HIV</strong>-Infizierte, der über Gedächtnisstörungen<br />
klagt (Verständnis, Klarheit oder Geschwindigkeit)<br />
sollte ausführlich untersucht werden<br />
inklusive neurologischer Evalutation, neuropsychologischer<br />
Beurteilung, Liquorpunktion und<br />
bildgebende Untersuchung des Gehirns.<br />
Abb. 6: Der neue CPE-Score und die Wirksamkeit der HAART im ZNS<br />
enten betreffend, zeigt, dass nur ca. 50%<br />
der im Liquor gemessenen Raltegravir-<br />
Konzentrationen die IC 50 für Wildtyp-<strong>HIV</strong><br />
überschreiten. Die durchschnittliche im<br />
Liquor gemessene Konzentration betrug<br />
18,4ng/mL bei einer großen interindividuellen<br />
Variabilität (Range: