KIRCHEN – HÄUSER GOTTES FÜR DIE MENSCHEN
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16 TRADITION UND GEGENWART 17<br />
Über das individuelle Erinnern hinaus sind Kirchen auch Orte des kollektiven Gedächtnisses.<br />
Sie konnten zum Schutzraum in Notzeiten werden und spielen daher<br />
in der Geschichte mancher Dörfer eine wichtige Rolle. In ihnen wird die Erinnerung<br />
an Kriege und die Leiden der Menschen bewahrt. Sie spiegeln in ihrer<br />
Architektur und Ausstattung die Veränderungen wider, denen ein Gemeinwesen<br />
im Laufe der Jahrhunderte unterworfen war.<br />
4. ÖFFENTLICHE BAUTEN <strong>–</strong> OFFENE RÄUME<br />
Revolution zeigte, wie gemeinwesenhafte Nutzung unter kirchlicher Trägerschaft<br />
in die Gesellschaft hinein strahlen kann. Dabei blieb die Kirche unverkennbar<br />
Raum der Verkündigung.<br />
Es ist bemerkenswert, dass zahlreiche Kirchengemeinden das Gemeinwesen ihrer<br />
Region dadurch zu stützen versuchen, dass sie Bürgerinitiativen, Vereine, Institutionen<br />
der Bildung und Fortbildung und die Vertreter des Gemeinwesens selbst<br />
in ihre Kirche einladen. Damit kann die Kirche ein Ort gesamtgesellschaftlichen,<br />
vor allem aber gemeinnützigen Engagements zum Wohle aller werden.<br />
Kirchen waren zu allen Zeiten Foren des Gemeinwesens. Allein dadurch, dass<br />
Kirchen alle Tage geöffnet waren, boten sie Zuflucht und Unterschlupf für Bedrängte<br />
und Hilfesuchende. Menschen kamen in ihnen zusammen, um Rat zu<br />
suchen oder um zu beraten, ohne dass der Anlass für diese Zusammenkünfte<br />
zwangsläufig mit dem Gottesdienst oder den Glaubensinhalten verknüpft war.<br />
Bürgerversammlungen, denen häufig keine eigenen Räume gewidmet waren,<br />
fanden selbstverständlich in den Kirchen statt. Die Patronatsherren der Dörfer<br />
und die Magistrate der Städte pflegten in der frühen Neuzeit vielfältige nichtgottesdienstliche<br />
Zusammenkünfte auf unterschiedlichen Ebenen in den <strong>–</strong> zumindest<br />
in Norddeutschland inzwischen zumeist evangelischen <strong>–</strong> Kirchen. Noch<br />
im 19. Jahrhundert fanden gelegentlich Rats- und Stadtverordnetenversammlungen<br />
in Berliner Innenstadtkirchen statt. In der Kaiserzeit wurden politische<br />
und militärische Veranstaltungen durch ihre Abhaltung in Kirchen bewusst überhöht.<br />
Diese Sakralisierung weltlicher Macht im Gefolge der engen Verbindung<br />
von Thron und Altar ist von heute aus gesehen ein Missbrauch der Kirchen. Die<br />
mit der Weimarer Reichsverfassung erfolgte Trennung von Staat und Kirche<br />
konnte nicht verhindern, dass in der Folgezeit, besonders ab 1933, Kirchen missbräuchlich<br />
genutzt wurden.<br />
In den evangelischen Kirchen in Deutschland gibt es angesichts dieser Geschichte<br />
nach wie vor eine große Zurückhaltung, wenn es um die Zulassung öffentlicher,<br />
gemeinwesenhafter Nutzungen geht, die außerhalb kirchlicher Inhalte liegen.<br />
Die Öffnung von Kirchen in Ostdeutschland im Zusammenhang mit der friedlichen<br />
5. KIRCHLICHE WIDMUNG <strong>–</strong> STAATLICHES RECHT<br />
Kirchen sind für den Gottesdienst und das Gebet gewidmet, sie sind sogenannte<br />
res sacrae, heilige Sachen im Sinne des kirchlichen Rechts. Auch nach dem<br />
evange lischen Kirchenrecht ist die Widmung ein Rechtsakt. Die Widmung ist unabhängig<br />
von den Eigentumsverhältnissen; sie bleibt auch nach einer Eigentumsübertragung<br />
grundsätzlich bestehen. In der Regel wird sie mit einem Gottesdienst<br />
vollzogen. Mit ihr wird die Kirche ein Ort, der dem Gottesdienst, der Spendung<br />
der Sakramente und dem Gebet dient. Diese Veranstaltungen sind auch kraft<br />
Widmung öffentlich. Jeder hat ein Anrecht, an der öffentlichen Veranstaltung<br />
des Gottesdienstes teilzunehmen; jedes Kirchenmitglied darf an dem im Gottesdienst<br />
gespendeten Abendmahl teilhaben. Der Gottesdienst ist eine öffentliche<br />
Angelegenheit; die Kirche ist ein öffentliches Gebäude.<br />
Auch das staatliche Recht schützt die Kirche als öffentlichen, dem Gottesdienst<br />
gewidmeten Raum. Der öffentliche Gottesdienst steht strafrechtlich unter einem<br />
besonderen Schutz. Nach § 167 Abs. 1 Nr. 1 des Strafgesetzbuchs macht sich<br />
strafbar, wer den Gottesdienst oder eine gottesdienstliche Handlung in einer im<br />
Inland bestehenden Kirche oder anderen Religionsgesellschaft absichtlich und in<br />
grober Weise stört. Nach dem Denkmalschutzrecht müssen die zuständigen<br />
staatlichen Behörden bei Entscheidungen über Denkmale, die der Religionsausübung<br />
dienen, die von den Kirchen und Religionsgemeinschaften festgestellten<br />
Belange der Religionsausübung beachten.