Aufrufen - Hippopotamus
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Reise<br />
Ostsee rund<br />
Naturtörn. Die Segler<br />
inmitten der Einsamkeit<br />
der finnischen Schären<br />
Land und Leute.<br />
Geselliger Rentnerinnen-<br />
Tanzabend in Leba,<br />
gewaltige Stille auf den<br />
Wanderdünen im Slowinzischen<br />
Nationalpark<br />
zu, und kurz darauf stehen die 60 Quadratmeter<br />
Tuch gut gefüllt über dem<br />
Vorschiff. Allerdings dreht der Wind wenig<br />
später etwas recht auf Ost und fällt<br />
nun vorlicher ein. Spi bergen? Kommt<br />
nicht in Frage! Das reizen wir jetzt aus.<br />
„<strong>Hippopotamus</strong>“ fängt an zu laufen. Erst<br />
vier, dann fünf und schließlich sogar fast<br />
sechs Knoten. Was für eine Genugtuung.<br />
Wir knüppeln das Schiff an seine Grenze<br />
und rauschen zeitweilig 60 Grad am<br />
scheinbaren Wind zwischen den roten und grünen Tonnen der<br />
engen Fahrwasser hinter Hiddensee durch. Am Ende setzen wir<br />
noch einen drauf und legen pünktlich zum Sonnenuntergang unter<br />
Segeln im Hafen von Kloster an. In den nächsten Tagen umrunden<br />
wir erst Rügen, anschließend Bornholm. Bekannte Orte<br />
zu einem unbekannten Zeitpunkt. Wir treffen nirgends auf ein<br />
anderes Schiff. Der Zentralfriedhof von Hamburg ist lebendiger<br />
als die Häfen, die wir anlaufen.<br />
Ende April liegt Polen vor uns. Wir sind gespannt, was uns<br />
erwartet. Der Versuch, ein passendes Adjektiv für das Land zu<br />
finden, fällt schwer. „Interessant“ wäre denkbar. Aber „interessant“<br />
wird oft benutzt, wenn das Essen nicht schmeckt und die<br />
Mittendrin statt nur dabei. Wer die Fremde kennen<br />
und verstehen lernen will, muss sich ihr ausliefern<br />
Antwort höflich ausfallen soll. Uns schmeckt Polen, obwohl einiges<br />
auf dem Teller überflüssig ist. Beispielsweise die Art, wie<br />
hier mit der Ostsee umgegangen wird. Sie schimmert braun. Zu<br />
viele Getränkedosen treiben auf dem Wasser. Muss das sein?<br />
Versuchen wir es mit „aufregend“. Passt auch nicht richtig. Der<br />
Zöllner ist sichtlich entspannt, die Grenzformalitäten sind rasch<br />
erledigt. „Noch fünf Tage, dann gehören wir zur EU“, sagt er.<br />
Das weckt unsere Neugierde. In der Nacht vom 30. April auf den<br />
1. Mai stehen wir pünktlich zum EU-Beitritt auf dem Rathausmarkt<br />
in Danzig und fragen eine junge Polin, wie sie das mit der<br />
EU findet. Die Antwort überrascht uns: „Was ändert sich schon?<br />
Aber das Feuerwerk ist schön.“<br />
Vielleicht ist „abwechslungsreich“ ein besseres Wort für Polen.<br />
In Leba erfahren wir von einem öffentlichen Abend, bei dem<br />
polnische Damen singen. „Das sollten wir uns ansehen – man<br />
muss sich auch mit der Kultur eines Landes auseinander setzen“,<br />
schlägt Helmut vor. „Mittendrin statt nur dabei“, antworte ich.<br />
Aber da gab es wohl ein Missverständnis. Tatsächlich geraten wir<br />
in eine Busladung 60- bis 80-jähriger Witwen, die froh sind, dass<br />
zwei junge Männer zum Tanzen vorbeikommen. Wir sitzen an<br />
einem der eckigen Tische mit weißer Stoffdecke, die entlang der<br />
Tanzfläche aufgereiht sind. Darauf rosa Plastikrosen in kleinen<br />
Vasen und je eine Kerze. An der Decke bunte Scheinwerfer, eine<br />
Diskokugel, Schwarzlicht und Luftballons. Die Damen rocken,<br />
was das Zeug hält, und sehen alle sehr glücklich aus. Foxtrott,<br />
Rumba, Walzer? Wie ging das noch? Egal, wir greifen auf<br />
die bewährte Methode des Klammertangos zurück. Musik verbindet.<br />
Die Zeit vergeht wie im Flug. Nur gut, dass mich meine<br />
ehemaligen Kollegen so nicht sehen. Falls es sich ergibt, werde<br />
ich ihnen erzählen, dass wir den ganzen Abend mit 60 attraktiven<br />
blonden jungen Mädels getanzt haben. U<br />
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YACHT 22/2004