Der Schieferhof in Gorsleben
Der Schieferhof in Gorsleben
Der Schieferhof in Gorsleben
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<strong>Der</strong> <strong>Schieferhof</strong><br />
<strong>in</strong> <strong>Gorsleben</strong><br />
Clemens Bandur, IGB, 06636 Tröbsdorf<br />
Was <strong>in</strong> aller Welt br<strong>in</strong>gt uns<br />
bloß immer wieder dazu, unseren<br />
Weg zu unterbrechen,<br />
nur weil e<strong>in</strong> altes Gemäuer<br />
am Straßenrand steht?Fakt<br />
ist, daß ich das Ziel, den der<br />
Weg eigentlich hatte, oft<br />
schon bald nicht mehr weiß<br />
– aber die Er<strong>in</strong>nerung an jenes<br />
alte Gemäuer hat sich<br />
für lange Zeit tief <strong>in</strong>s Gedächtnis<br />
e<strong>in</strong>geprägt. E<strong>in</strong><br />
Beispiel dafür ist der Tag,<br />
den ich jetzt beschreiben<br />
will.<br />
Wieder e<strong>in</strong>mal fuhren wir durch<br />
den Ort <strong>Gorsleben</strong> <strong>in</strong> Thür<strong>in</strong>gen.<br />
Mehrfach schon war uns<br />
im Vorbeifahren e<strong>in</strong> ganz ungewöhnliches<br />
Haus aufgefallen.<br />
Diesmal beschlossen wir, anzuhalten.<br />
Vor der angrenzenden Kirchhofmauer<br />
fanden wir Platz<br />
zum Parken und hier erwartete<br />
uns bereits die erste Überraschung:<br />
Über der Friedhofpforte<br />
ist e<strong>in</strong>e ste<strong>in</strong>erne<br />
Sonnenuhr angebracht, die e<strong>in</strong>e<br />
Darstellung des Todes<br />
zeigt. Bei e<strong>in</strong>er Sonnenuhr ist man gewohnt,<br />
eher an heitere D<strong>in</strong>ge zu denken – und verb<strong>in</strong>det<br />
die Er<strong>in</strong>nerung an den Tod eher mit e<strong>in</strong>er<br />
Sanduhr. Aber hier ist beides vere<strong>in</strong>igt. <strong>Der</strong> Bildhauer<br />
hat dem Tod auf der Sonnenuhr auch e<strong>in</strong>e<br />
Sanduhr beigegeben, dazu folgender Vers:<br />
Uns’re Lebenszeit verfleucht<br />
wie e<strong>in</strong> schneller Schatten weicht.<br />
In se<strong>in</strong>en Händen hält der nach l<strong>in</strong>ks schreitende<br />
Knochenmann e<strong>in</strong>e Sense und e<strong>in</strong>e<br />
Gabel, deren Schatten uns auf 2 Flächen die<br />
Zeit anzeigen (für deren Genauigkeit ich <strong>in</strong>dessen<br />
ke<strong>in</strong>e Gewähr abgeben möchte). E<strong>in</strong>e<br />
weitere late<strong>in</strong>ische Inschrift ermahnt uns, das<br />
Ende des Lebens stets vor Augen zu halten.<br />
Datiert ist das ungewöhnliche Werk auf das<br />
Jahr 1696.<br />
Weiter g<strong>in</strong>g es jetzt und nach wenigen Schritten<br />
standen wir nun vor der mächtigen Fassade<br />
des <strong>Schieferhof</strong>s und staunten. Wir alle,<br />
auch unsere noch recht jungen K<strong>in</strong>der staunten,<br />
und das will was heißen. Diese Fassade<br />
ist e<strong>in</strong>fach gewaltig – und schön.<br />
Ich kam <strong>in</strong>s Nachdenken. Ist Schönheit e<strong>in</strong><br />
Zeichen dafür, daß das Glück h<strong>in</strong>ter der Fassade<br />
wohnt? Ich glaube, das größte Glück<br />
f<strong>in</strong>det der, bei dem e<strong>in</strong> tiefes Sehnen so beschaffen<br />
ist, daß es e<strong>in</strong>es Tages mit der Wirklichkeit<br />
übere<strong>in</strong>kommt. Die Erfüllung aller<br />
Wünsche ohne Sehnen br<strong>in</strong>gt ke<strong>in</strong> Glück. –<br />
Selbst die Sehnsucht ohne Erfüllung kann<br />
noch mehr davon geben. Wie oft ist die<br />
Schönheit menschlicher Erzeugnisse e<strong>in</strong><br />
48 <strong>Der</strong> Holznagel 2/2007
K<strong>in</strong>d alle<strong>in</strong> dieser Sehnsucht. <strong>Der</strong> Dichter Rudolf<br />
Baumbach, der auch e<strong>in</strong> Thür<strong>in</strong>ger K<strong>in</strong>d<br />
war, schreibt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Buch „Lieder e<strong>in</strong>es<br />
fahrenden Gesellen” folgende Zeilen:<br />
Spielmann, wann hast du das Lied erdacht,<br />
das du uns nächtens gesungen?<br />
Sicherlich ist’s <strong>in</strong> der Frühl<strong>in</strong>gsnacht<br />
De<strong>in</strong>em Gemüthe entsprungen.<br />
Rhe<strong>in</strong>we<strong>in</strong>duft entquoll dem Portal,<br />
und von rosigem Munde<br />
Pflücktest du Küsse ohne Zahl –<br />
Dreimal selige Stunden!<br />
Spielmann spricht: „In der Schneew<strong>in</strong>ds Zug<br />
Die bee<strong>in</strong>druckende Fassade des <strong>Schieferhof</strong>es –<br />
und die Sonnenuhr, die auf 2 Flächen die Zeit anzeigt.<br />
klirrten die Fenster zersprungen,<br />
Und es gefror mir das Wasser im Krug,<br />
Als ich das Lied gesungen (…)<br />
Wir standen also vor dem <strong>Schieferhof</strong> und<br />
nachdem wir uns an dem alten Bauwerk satt<br />
<strong>Der</strong> Holznagel 2/2007<br />
gesehen hatten, suchte ich nach Spuren heutiger<br />
Bewohner. Da sich solche Spuren nicht<br />
sofort aufdrängten, hielt ich es für möglich,<br />
daß das Haus leersteht.<br />
Seit jenem Tag waren Monate vergangen. Es<br />
war <strong>in</strong> der Zeit der Heuernte, als e<strong>in</strong> Mann –<br />
etwa Mitte 50 – mit se<strong>in</strong>em Fahrrad <strong>in</strong> der Tore<strong>in</strong>fahrt<br />
unseres Hofes auftauchte. Er sehe<br />
sich – wie er mir erklärte – gerne schöne alte<br />
Häuser an. Bei unserem sei ihm – mit Verlaub<br />
– der Gedanke gekommen, es stehe leer. Ich<br />
erklärte ihm, dies sei nicht der Fall, vielmehr<br />
seien wir, die Bewohner, e<strong>in</strong>e Familie mit 6<br />
K<strong>in</strong>dern. Wir mußten beide<br />
lachen und <strong>in</strong> dem folgenden<br />
Gespräch ergab es sich – ich<br />
mußte dreimal fragen, ehe<br />
ich es wirklich glauben konnte<br />
– er ist der Besitzer und<br />
der Bewohner des <strong>Schieferhof</strong>es<br />
<strong>in</strong> <strong>Gorsleben</strong>.<br />
Schon wenig später nutzte ich<br />
die Gelegenheit zusammen<br />
mit Re<strong>in</strong>hard, so se<strong>in</strong> Name,<br />
das Haus auch von <strong>in</strong>nen ausführlich<br />
zu besichtigen.<br />
<strong>Der</strong> <strong>Schieferhof</strong> ist als Landsitz<br />
des Herrn He<strong>in</strong>rich von<br />
Germar und se<strong>in</strong>er Frau<br />
Martha von Bendeleben errichtet<br />
worden. Die Bau<strong>in</strong>schrift<br />
von 1620 am Treppenturm<br />
geht mit ihrer Offenherzigkeit<br />
über das übliche<br />
Maß h<strong>in</strong>aus:<br />
MIT MÜHE ARBEIT UND<br />
SORGEN<br />
DOCH GOT LOB UND<br />
DANCK ONE BORGEN<br />
IST GEBAUET WORDEN<br />
DIS HAUS<br />
HEIL SEY DEM SO GEHT<br />
EIN UND AUS<br />
…schließlich wird sogar der<br />
Leser auf humorvolle Weise direkt angesprochen:<br />
VOLGE MIR NACH HASTU IE LUST<br />
WIRST ERFAREN DAS BAUEN GELT KOST<br />
Das Haus ruht auf drei großen gewölbten<br />
Tonnenkellern deren größter <strong>in</strong>s Jahr 1618<br />
datiert und damit <strong>in</strong> zeitliche Nähe zur vorgenannten<br />
Inschrift rückt. E<strong>in</strong>er der kle<strong>in</strong>eren<br />
Keller datiert <strong>in</strong>dessen noch <strong>in</strong>s Ende des<br />
16. Jh. (1598). Vielleicht f<strong>in</strong>den wir hier<strong>in</strong> ei-<br />
49
nen H<strong>in</strong>weis auf e<strong>in</strong>e Bauverzögerung von 20<br />
Jahren, der uns e<strong>in</strong>en tieferen E<strong>in</strong>blick auf<br />
Mühe, Arbeit und Sorgen des Bauherrn erlaubt?<br />
Wir betreten das Haus durch e<strong>in</strong>e rundbogige,<br />
profilierte, etwas angewitterte Tür im<br />
Treppenturm. Die über Jahrhunderte ausgetretenen<br />
ste<strong>in</strong>ernen Treppenstufen s<strong>in</strong>d sauber<br />
gefegt.<br />
<strong>Der</strong> erste Raum des Hause verrät uns die traditionelle<br />
E<strong>in</strong>teilung des Gebäudes. Wie<br />
schon das Fachwerk des Giebels erahnen<br />
läßt: die Diele, e<strong>in</strong> großer Raum, mittig von e<strong>in</strong>em<br />
mit Schiffskehlen<br />
profilierten Unterzug<br />
getragen,<br />
nimmt die halbe<br />
Breite des Hauses<br />
e<strong>in</strong>. Dieser Raum,<br />
der <strong>in</strong> der oberen<br />
Etage e<strong>in</strong>e gleichartige<br />
Wiederholung<br />
f<strong>in</strong>det, sche<strong>in</strong>t für<br />
jedwede Geselligkeit<br />
geschaffen zu<br />
se<strong>in</strong>: Nicht nur für e<strong>in</strong>e<br />
große Tafel, sondern<br />
auch für Musik<br />
und Tanz.<br />
Hier aber, und nochmehr<br />
<strong>in</strong> der oberen<br />
Etage zeigt sich:<br />
dieses Haus ist e<strong>in</strong>e<br />
Baustelle. In jüngerer<br />
Zeit, als Wohnraum<br />
e<strong>in</strong> knappes<br />
Gut war, wurde versucht,<br />
selbst um<br />
den Preis völliger<br />
Dunkelheit, noch<br />
aus dem letzten<br />
W<strong>in</strong>kel e<strong>in</strong>en neuen<br />
Raum zu gew<strong>in</strong>nen.<br />
Hier ist vorsichtiges<br />
Beräumen vonnöten.<br />
Im Erdgeschoß entdecken<br />
wir auch<br />
noch e<strong>in</strong>en weiteren<br />
Glanzpunkt des<br />
Hauses. Im rückwärtigen<br />
Raum liegen 3<br />
Fenster nebene<strong>in</strong>ander.<br />
Die Bögen der<br />
Fensteröffnungen werden von Säulen getragen.<br />
Die Konsolen zeigen die Bildnisse e<strong>in</strong>er<br />
Frau und e<strong>in</strong>es Mannes. Wir können hier<strong>in</strong> ohne<br />
Bedenken die Bauherrschaft erblicken. Die<br />
Individualität der Darstellungen hält sich <strong>in</strong><br />
Grenzen, dennoch handelt es sich um e<strong>in</strong> gefälliges<br />
Werk, das familiäre Freundlichkeit und<br />
sogar e<strong>in</strong>e Prise Humor – auch durch die etwas<br />
übertriebene Haar- und Barttracht des<br />
Mannes – ausstrahlt. Es fällt nicht schwert,<br />
hier<strong>in</strong> den Verfasser der oben genannten Bau<strong>in</strong>schrift<br />
zu vermuten.<br />
Nach außen h<strong>in</strong> sche<strong>in</strong>t das Haus weitge-<br />
50 <strong>Der</strong> Holznagel 2/2007
mit e<strong>in</strong>em neuen Buch nach Hause kommt.<br />
Was mir Sorgen bereitet ist, daß ihm bisweilen<br />
durch se<strong>in</strong> Alle<strong>in</strong>se<strong>in</strong> die Energie abhanden<br />
kommt, die er dr<strong>in</strong>gend für das weitere<br />
Vorgehen an se<strong>in</strong>em Haus braucht. Und wir<br />
haben geme<strong>in</strong>sam überlegt: Was wäre denn<br />
nötig, e<strong>in</strong>en solchen Hof zu retten?<br />
E<strong>in</strong>e Zauberfee?<br />
E<strong>in</strong>e Familie, die mit Herz und Hand bereit<br />
wäre zu helfen, e<strong>in</strong>e Pionierfrau im Abendkleid,<br />
die Willens ist, sich auf e<strong>in</strong> <strong>in</strong>teressantes<br />
aber ke<strong>in</strong> leichtes Leben e<strong>in</strong>zustellen! Das<br />
wäre die Rettung!<br />
Die Bauherrschaft hat sich außen auf e<strong>in</strong>er bau<strong>in</strong>schrift<br />
und im Haus auf Konsolen abbilden lassen.<br />
hend die Gestalt des 17. Jh. bewahrt zu haben,<br />
abgesehen von dem E<strong>in</strong>bau zwischen<br />
Hausecke und Turm, der aber dem Gebäude<br />
ke<strong>in</strong>e Gewalt antut. Die Wirtschaftsgebäude<br />
des <strong>Schieferhof</strong>es sche<strong>in</strong>en durchweg dem<br />
19. Jh. zu entstammen.<br />
Daß zwischen mir und Re<strong>in</strong>hard mittlerweile<br />
e<strong>in</strong>e Freundschaft entstanden ist, erklärt sich<br />
schon alle<strong>in</strong>e aus unserer geme<strong>in</strong>samen Begeisterung<br />
für alte Häuser, aber damit hören<br />
die Geme<strong>in</strong>samkeiten nicht auf. <strong>Der</strong> größte<br />
Unterschied <strong>in</strong>dessen ist der, daß, während<br />
bei me<strong>in</strong>er 8-köpfigen Familie täglich die Wogen<br />
hochgehen, Re<strong>in</strong>hard <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Hof alle<strong>in</strong>e<br />
sitzt. Eigentlich kaum verständlich, der<br />
Mann ist vielseitig <strong>in</strong>teressiert, raucht nicht<br />
und tr<strong>in</strong>kt nicht, hat aber dennoch gute Zigarren<br />
abgebunkert, die vermutlich bis an se<strong>in</strong><br />
Lebensende reichen und ist auch e<strong>in</strong>em guten<br />
Tropfen nicht abgeneigt, wie er überhaupt<br />
die schönen D<strong>in</strong>ge des Lebens zu schätzen<br />
weiß. Selbst wenn er eigentlich gar ke<strong>in</strong> Geld<br />
mehr hat passiert es, daß er trotzdem noch<br />
<strong>Der</strong> Holznagel 2/2007<br />
Die Leser<strong>in</strong> dieser Zeilen wird sich spätestens<br />
jetzt fragen – nanu Heiratsanzeigen im<br />
Holznagel – ja doch, aber mehr als das, eher<br />
e<strong>in</strong> Hilferuf, denn ich denke Hof, Haus und<br />
Herr s<strong>in</strong>d des Rettens wert!<br />
Ste<strong>in</strong>e tragen und auf Dächern herumsteigen<br />
wird nicht gefordert, aber der Ruf „Re<strong>in</strong>hard<br />
komm bitte, Kaffee ist fertig” ist doch ke<strong>in</strong> zu<br />
großer Wunsch? oder? Geme<strong>in</strong>sam <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />
Richtung schauen, viel mite<strong>in</strong>ander reden,<br />
sich über geme<strong>in</strong>same Ziele e<strong>in</strong>ig se<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>fach<br />
wieder leben können! Zuviele Erwartungen?<br />
Helfen Sie, wenn Sie es vermögen, denn Sie<br />
wissen doch: Es gibt nichts Gutes, außer<br />
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