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Streitgespräch Schild/Stolz, FAZ vom 26.10.12 (PDF 28 KB) - IG-Metall

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Streitgespräch zu den Branchenzuschlägen ab 1. November 2012 in der <strong>Metall</strong>und<br />

Elektroindustrie zwischen <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> Bezirksleiter Armin <strong>Schild</strong> und igZ<br />

Hauptgeschäftsführer Werner <strong>Stolz</strong><br />

<strong>FAZ</strong> 26. Oktober 2012<br />

<strong>FAZ</strong>: In wenigen Tagen starten die Branchenzuschläge für Zeitarbeiter in der <strong>Metall</strong>- und<br />

Elektroindustrie. Hat die <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> damit ihren Frieden mit der Zeitarbeitsbranche gemacht, Herr<br />

<strong>Schild</strong>?<br />

SCHILD: Nein! Natürlich freuen sich die Leiharbeiter, wenn sie künftig mehr Geld bekommen. Aber<br />

der größte Wunsch bleibt eine Beschäftigung in der Stammbelegschaft und eine unbefristete<br />

Festanstellung. Gleich danach kommt der Wunsch, nach Gleichbehandlung mit den<br />

Stammbelegschaften, was die Bezahlung und auch was die soziale Absicherung angeht. Deshalb<br />

müssen wir weiter an der Regulierung der Leiharbeit arbeiten, damit sie zu echter Zeitarbeit wird.<br />

<strong>FAZ</strong>: Herr <strong>Stolz</strong>, ist das eine besondere Form der Anerkennung, wenn Herr <strong>Schild</strong> das Wort Zeitarbeit<br />

in den Mund nimmt?<br />

STOLZ: Das geht immer durcheinander. Wenn es Herrn <strong>Schild</strong> schlecht geht, redet er von Leiharbeit,<br />

wenn es ihm gut geht, von Zeitarbeit. Vielleicht auch je nach Wetterlage. In unseren<br />

Tarifabschlüssen, die bekanntlich alle Einzelgewerkschaften des Deutschen Gewerkschaftsbundes<br />

unterschrieben haben, ist von Zeitarbeit die Rede. Ich denke, die Gewerkschaften versuchen, mit den<br />

Begriffen gute und schlechte Zeitarbeit zu unterscheiden – oder was sie dafür halten.<br />

<strong>FAZ</strong>: Die <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> hat gerade mit einem Aktionstag gegen prekäre Beschäftigung auch in Form von<br />

Leiharbeit mobilisiert. Entspricht das Ihrer Vorstellung von Sozialpartnerschaft?<br />

STOLZ: Es ist ein Trauerspiel. Kaum ist die Tinte unter den Verträgen trocken, werden die Dinge<br />

wieder skandalisiert. Das ist auch in Richtung Politik und Gesellschaft ein falsches Signal. Vor zehn<br />

Jahren haben wir zusammengesessen, um aus einer tariffreien Zone eine ganz normale Branche zu<br />

machen. Natürlich mussten wir dazulernen und es gab auch schwarze Schafe. Aber jetzt haben wir<br />

an den richtigen Schrauben nachjustiert. Die schrittweise Angleichung der Tariflöhne an die in den<br />

Einsatzunternehmen entspricht dem Gerechtigkeitsgefühl vieler Menschen. Deshalb muss man auch<br />

endlich aufhören, von prekären Arbeitsverhältnissen zu sprechen.<br />

SCHILD: Die Unterscheidung zwischen Leih- und Zeitarbeit ist nicht willkürlich. Zeitarbeit ist für mich<br />

anständig entlohnte, sozial abgesicherte flexible Beschäftigung, die Menschen auf eigenen Wunsch<br />

wählen. Leiharbeiter müssen Flexibilität mitbringen, werden dafür schlechter bezahlt und tragen ein<br />

hohes Risiko. Zum Beispiel, weil es für sie faktisch keine Kurzarbeit gibt und sie bei<br />

Beschäftigungsproblemen oftmals sofort entlassen werden. In der Wirtschaftskrise 2008/2009 traf das<br />

eine Viertelmillion Leiharbeiter.<br />

<strong>FAZ</strong>: Herr <strong>Stolz</strong>, Sie behaupten doch, dass sie die Zeitarbeiter aus der Autoindustrie direkt irgendwo<br />

anders hin vermitteln können, damit eben niemand zur Arbeitsagentur gehen muss ...<br />

STOLZ: So ist es auch. Man darf nicht mit die große Krise 2008 als Maßstab nehmen, als es so war,<br />

wie Herr <strong>Schild</strong> sagte. Damals waren fast alle Branchen betroffen und es gab kaum<br />

Ausweichmöglichkeiten. Aber das ist doch nicht der Normalfall. Ein Zeitarbeiter hat drei bis vier<br />

Einsätze im Jahr. Derzeit geht der Trend zu längeren Einsatzzeiten. Die Beschäftigungsdauer<br />

insgesamt liegt zwischen 16 bis 18 Monaten. Die oft kolportierten Kurzarbeitsverhältnisse sind nicht<br />

die Regel.


SCHILD: Das ist doch weltfremd. Sicher gibt es die geschilderten Verhältnisse. Wirklichkeit ist aber<br />

auch, dass es keinen wirksamen Schutz für Leiharbeitnehmer gibt, weil das sogenannte<br />

Synchronisationsverbot abgeschafft wurde. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten fliegen Leiharbeiter<br />

häufig schlicht und einfach raus. Es ist unredlich, das nicht wahrnehmen zu wollen. Und weil das<br />

Einkommen niedrig ist und auch der neue Zuschlag nicht in allen Branchen gezahlt wird, fallen die<br />

meisten auch <strong>vom</strong> Arbeitslosengeld ganz schnell unter die Hartz-IV-Grenze. Wer in diese Branche<br />

gerät, der ist auf dem ungeordneten deutschen Arbeitsmarkt hochgradig armutsgefährdet. Ich<br />

appelliere an die Bundesregierung und an alle Parteien, endlich einen anderen angemessenen<br />

Ordnungsrahmen für diese extrem prekäre Form der Beschäftigung zu schaffen. Im übrigen frage ich<br />

mich, wozu wir in Deutschland rund 12 000 Zeitarbeitsfirmen brauchen, von denen eine Vielzahl aus<br />

schwarzen Schafen besteht, deren Geschäftsmodell nichts anderes ist als Lohndumping. Es ist die<br />

Folge des entfesselten Arbeitsmarktes, dass sich die Goldkettchenträger in dieser Branche breit<br />

gemacht haben.<br />

STOLZ: Das ist jetzt wieder der alte <strong>Schild</strong>. Als ich vor elf Jahren mit der Verbandsarbeit anfing, da<br />

habe ich den einen oder anderen Goldkettchenträger unter den Geschäftsführern gesehen – nebst<br />

Ferrari, wenn sie sich schon Klischees bedienen wollen. Aber die Branche hat sich gewandelt. Wir<br />

haben zusammen für Ordnung gesorgt mit einem Tarifvertrag, der erstmals auch Urlaubsgeld und<br />

Weihnachtsgeld regelt. Da gibt es Erfolge, die man nicht klein reden sollte, Herr <strong>Schild</strong>.<br />

<strong>FAZ</strong>: Woher kommt dann das schlechte Image der Branche?<br />

STOLZ: Was uns enorm geschadet hat waren die Konkurrenzverträge der sogenannten Christlichen<br />

Gewerkschaften. Mit denen kam wieder Wild-West in die Branche bei Haustarifverträgen von 3,50<br />

Euro die Stunde. Aber das hat das Bundesarbeitsgericht ja unterbunden, diese Tarifverträge haben<br />

keine Gültigkeit mehr.<br />

SCHILD: Trotzdem bleibt die Branche hochgradig anfällig für Unterlaufungstendenzen, das zeigt ja<br />

das Beispiel der so genannten „christlichen Tarifverträge“.<br />

<strong>FAZ</strong>: Von den Klischees zu den Fakten: Vom 1. November an erhalten ungelernte Zeitarbeiter im<br />

Westen 8,19 Euro in der Stunde. Da gibt es einige Tarifverträge von DGB-Gewerkschaften, die<br />

darunter liegen. Was ist dann prekär, Herr <strong>Schild</strong>?<br />

SCHILD: Abwarten. Der 1. November ist für mich der Nucleus-Punkt. Dann müssen die tariflichen<br />

Einkommen in Ostdeutschland auf einen Schlag um 22,5 Prozent und in Westdeutschland um 17,5<br />

Prozent steigen. Herr <strong>Stolz</strong>, ich sage ihnen voraus, dass weder Sie, noch der andere<br />

Arbeitgeberverband BAP in der Lage sein werden, diese Tarifsteigerung gegenüber ihren Mitgliedern<br />

durchzusetzen. Die <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> im Bezirk Mitte wird dies Betrieb für Betrieb nachprüfen. Ich fürchte,<br />

dass dies in einigen Fällen geschieht, in etlichen Unternehmen aber nur unzulängliches oder<br />

überhaupt nichts passieren wird.<br />

STOLZ: Das ist doch Kaffeesatzleserei. Natürlich sind die hohen Lohnzuschläge nicht für jeden<br />

einfach zu verkraften. Aber sowohl der BAP als auch der <strong>IG</strong>Z legt auf die Einhaltung der<br />

Vereinbarung größten Wert. Wir haben einen Ethikkodex verabschiedet und die unabhängige<br />

Beschwerdestelle KUS eingerichtet. Da kann jeder Zeitarbeiter hingehen, der meint, er bekomme<br />

weniger Geld als ihm zusteht. Unser Sanktionssystem sieht bei richtig schweren Verstößen letztlich<br />

auch den Ausschluss aus dem Verband vor. Und ohne Tarifvertrag muss das Unternehmen sofort die<br />

im Gesetz vorgesehene Gleichbezahlung und -behandlung von Zeitarbeitern umsetzen.<br />

SCHILD: Es ist taktisch geschickt, der Öffentlichkeit ihr Bemühen zu zeigen. Das nehmen wir auch<br />

positiv zur Kenntnis. Strategisch klug ist es nicht. Fakt ist: die Branche ist mit der Selbstregulierung


überfordert, wenn erst das Bundesarbeitsgericht entscheiden muss, dass Tarifverträge mit<br />

Gefälligkeitsgewerkschaften rechtswidrig sind ...<br />

STOLZ: ...was soll denn diese Sippenhaft? Wie habe eigene, mit Ihnen ausgehandelte Verträge.<br />

SCHILD: ... aber in vielen Leiharbeitsunternehmen ist das Geschäftsmodell unverändert geblieben.<br />

Es basiert auf immer weiter gehende Unterbietung am Arbeitsmarkt. Leiharbeit wird deshalb zu Recht<br />

in großen Teilen immer noch als Schmuddelarbeit wahrgenommen, und das hat nichts mit den<br />

Menschen zu tun, die dort arbeiten. Wir wissen von vielen Betriebsräten, dass die Tariferhöhungen<br />

gerade in Ostdeutschland nur teilweise oder nicht stattfinden werden. So viel zur Kaffeesatzleserei.<br />

Ich bin ja mal gespannt, wann sie das erste Mitglied aus dem Verband werfen, weil es sich nicht an<br />

die Tarifverträge hält. Das möchte ich sehen.<br />

STOLZ: Da brauchen sie gar nicht warten. Wir haben rund 15 Mitglieder ausgeschlossen, die<br />

meinten, sie müssten in Tochtergesellschaften die Christenverträge anwenden. Zuletzt haben wir<br />

Unternehmen ausgeschlossen, die versuchten, durch unechte Werkverträge die<br />

Branchenzuschlagsmodelle zu unterlaufen. Das ist nicht nur Schimäre, Herr <strong>Schild</strong>, sondern gelebte<br />

Realität.<br />

<strong>FAZ</strong>: Herr <strong>Schild</strong>, können Sie vielleicht nicht <strong>vom</strong> Feindbild Zeitarbeit lassen, weil es ihr<br />

erfolgreichstes Kampagnenthema zur Mitgliedergewinnung war?<br />

SCHILD: Nein, die <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> braucht keine Leiharbeit, um neue Mitglieder zu gewinnen. Aber wir<br />

werden alle unsere Mitglieder unter den Leiharbeitern anschreiben und ihnen die Möglichkeit geben,<br />

uns ihre Lohnabrechnungen <strong>vom</strong> Oktober und November zur Überprüfung vorzulegen. Und wenn da<br />

keine Erhöhungen drauf sind, dann werden wir ihnen anbieten, das für sie kollektiv einzuklagen. Wer<br />

nicht in der Gewerkschaft ist und an einer 20-prozentigen Lohnerhöhung interessiert ist, den kann ich<br />

nur zum Beitritt ermutigen.<br />

STOLZ: Ihre These ist doch Unfug. Das hieße, dass viele Zeitarbeitsunternehmen systematisch<br />

betrügen und damit ihre wirtschaftliche Existenz gefährden. Denn wenn das rauskäme, würden sie<br />

von der Bundesagentur <strong>vom</strong> Markt genommen.<br />

<strong>FAZ</strong>: Die Zeitarbeitgeber verhandeln derzeit mit Verdi über Zuschläge für die<br />

Dienstleistungsbranchen. Wenn die Gespräche scheitern, kommt dann doch ein Gesetz von<br />

Arbeitsministerin von der Leyen?<br />

STOLZ: Verdi hat einen gewerkschaftlichen Auftrag und ich kann mir nicht vorstellen, dass von uns<br />

angebotene Besserstellungsvereinbarungen nicht angenommen werden, um Gerechtigkeitslücken bei<br />

der Vergütung zu schließen.<br />

<strong>FAZ</strong>: Die gerade in Dienstleistungsbranchen gar nicht immer vorhanden sind ...<br />

STOLZ: Ebenso wie bei der <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong>, ich verweise nur auf die Grundtarife im Elektrohandwerk. Ich<br />

kann Verdi nur empfehlen, von der <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> zu lernen. Die hat nämlich ihre organisierten Zeitarbeiter<br />

befragt und 90 Prozent haben damals dafür gestimmt, mit uns zu verhandeln. Das ist besser als auf<br />

einen Gesetzgeber zu warten, der auch nicht der Erfüllungsgehilfe von Gewerkschaften ist.<br />

SCHILD: Wir befragen unsere Mitglieder regelmäßig und systematisch, Herr <strong>Stolz</strong>. Wir sind nämlich<br />

eine demokratische Organisation. Ansonsten wünsche ich mir ausdrücklich, dass Frau von der Leyen<br />

unsere Tarifverträge besser gesetzlich flankiert. Wenn Sie von uns eine Regelung fordert zur<br />

Gleichbezahlung, weil sie es selbst nicht hinbekommt, dann muss sie auch dafür sorgen, dass<br />

anschließend die Verbände ihre Mitglieder wirksam zwingen können, diese auch anzuwenden.<br />

Tarifautonomie in der Leiharbeitsbranche heißt auch, der Gesetzgeber muss die Schlupflöcher<br />

schließen.


<strong>FAZ</strong>: BMW will vor dem Hintergrund der Zuschläge 3000 Zeitarbeiter übernehmen, hat im Gegenzug<br />

jedoch der Stammbelegschaft Zugeständnisse bei der Arbeitszeit abgerungen. Werden Sie künftig<br />

häufiger externe gegen interne Flexibilität tauschen müssen, Herr <strong>Schild</strong>?<br />

SCHILD: Das entscheidende ist doch die Produktivität. Flexibilität und Produktivität sind Schwestern,<br />

aber keine siamesischen Zwillinge. Die entscheidende Frage bei BMW ist, was ist die eingesetzte<br />

Stunde am Ende des Tages für das Unternehmen wert. Das kriegen wir in den Griff, ob intern oder<br />

extern. Was wir nicht in den Griff kriegen ist der Dumpingwettbewerb bei den externen Löhnen. Das<br />

zerstört letztlich auch Produktivität. Was BMW gelernt hat, ist, dass es um nachhaltige Produktivität<br />

und nicht um billige Flexibilität geht.<br />

<strong>FAZ</strong>: Meine Herren, im kommenden Jahr läuft ihr Grundtarifvertrag aus. Mit welchen Worten werden<br />

Sie sich zu den Verhandlungen begrüßen?<br />

STOLZ: Das wird eine ganz normale Runde, da sehe ich keine Zäsur. Die steht jetzt am 1. November<br />

an. Ich bin zuversichtlich, dass die Zeitarbeitsbranche auch im kommenden Jahr gut dastehen wird.<br />

SCHILD: Wir werden Herrn <strong>Stolz</strong> und den Zeitarbeitsverbänden klarmachen, dass es falsch ist, die<br />

schwarzen Schafe in den Reihen zu decken. Außerdem werde wir darauf hinweisen, dass wir auch zu<br />

den Branchenzuschlägen noch eine betriebliche Einsatzzulage vereinbart haben. Ich hoffe, dass wir<br />

dann die letzte Lohnlücke zu den Stammbelegschaften schließen werden.<br />

Das Gespräch führte Sven Astheimer

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