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Schmelztiegel mit Ventilen - Berlin Music Commission

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dossier<br />

standort berlin<br />

<strong>Schmelztiegel</strong> <strong>mit</strong> <strong>Ventilen</strong><br />

Die einstige Mauerstadt gilt längst als kultureller und vor allem auch musikalischer<br />

Hotspot, der im Verbund <strong>mit</strong> Fördermaßnahmen des Senats eine starke Sogwirkung<br />

entfaltet. Woraus aber speist sich der besondere Charme der Spree-Metropole?<br />

Welche Vorzüge hat der Standort <strong>Berlin</strong>, wo liegen die etwaigen Nachteile?<br />

MusikWoche fragte bei den Akteuren vor Ort nach und erntete viele Antworten.<br />

Irgendwann galt Hamburg als Deutschlands alleinige<br />

Medienmetropole und Musikhauptstadt; die<br />

geteilte Stadt <strong>Berlin</strong> gefiel sich eher in provinzieller<br />

Kulturmuffigkeit und Notopfer-Diaspora. Doch<br />

diese Zeiten sind vorbei. Nichts gegen den speziellen<br />

und besonders sympathischen Flair der Hansestadt<br />

– aber: „<strong>Berlin</strong> ist die einzige wirkliche Metropole<br />

in Deutschland. Sie ist bunt, lebendig und<br />

immer in Bewegung.“ Das sagt Jörg Heidemann<br />

als stellver tretender Geschäftsführer des VUT<br />

nicht ohne Grund. „Das Leben hier ist nach wie vor<br />

vergleichsweise preiswert, das gesellschaftliche<br />

Klima liberal.“ Das ziehe Menschen aus der ganzen<br />

Welt an, darunter auch viele Kreative. „Das ist<br />

großartig, bringt für den einzelnen Künstler<br />

allerdings einen großen Nachteil <strong>mit</strong> sich: Es ist<br />

sehr schwer, in all der Vielfalt Aufmerksamkeit zu<br />

bekommen, wahrgenommen zu werden.“ Das treffe<br />

auf Verbände und Organisationen ebenso zu,<br />

findet Florian Drücke, Geschäftsführer des Bundesverbands<br />

Musikindustrie. Mit seiner großen<br />

Veranstaltungsdichte sei <strong>Berlin</strong> „ein hervorragen-<br />

12_MusikWoche_48_2013


dossier<br />

Foto: maps-for-free.com / fotolia.com<br />

des Pflaster für das politische Networking. Wer<br />

hier gehört werden will, muss sich aber auf eine<br />

große Konkurrenz einstellen.“ Trotzdem liege der<br />

Vorteil <strong>Berlin</strong>s für einen Wirtschaftsverband auf<br />

der Hand – „die räumliche Nähe zu den politischen<br />

Gremien und Institutionen sowie zu den benachbarten<br />

Branchenverbänden, <strong>mit</strong> denen ein schneller<br />

und effizienter Austausch möglich ist“. Auch<br />

die GVL-Geschäftsführer Guido Evers und Tilo Gerlach<br />

sehen <strong>Berlin</strong> als einen „der führenden Standorte<br />

für Kreativwirtschaft – nicht nur in Deutschland,<br />

sondern über unsere Grenzen hinaus in<br />

Europa“. Einige weltweit führende Unternehmen<br />

und Verwertungsgesellschaften seien hier vertreten.<br />

„<strong>Berlin</strong> ist das politische Entscheidungszentrum<br />

Deutschlands.“ Diese starke Präsenz relevanter<br />

Ansprechpartner sei ein großer Vorteil, im<br />

Wettbewerb um Aufmerksamkeit, aber auch eine<br />

Herausforderung: „Doch eben genau dies ist ein<br />

wichtiger Treiber für die Innovationskraft der <strong>Berlin</strong>er<br />

Kreativwirtschaft.“ Obwohl sie Künstler und<br />

Musikunternehmen aus ganz Deutschland fördert,<br />

MusikWoche_48_2013_13


dossier<br />

standort berlin<br />

Profitieren in <strong>Berlin</strong> von der<br />

Nähe zu den politischen<br />

Entscheidern (von links):<br />

Jörg Heidemann, Florian<br />

Drücke, Guido Evers, Horst<br />

Weidenmüller, Ina Keßler,<br />

Ronny Krieger, Patrick<br />

Strauch und Rolf Budde<br />

Foto: BVMI, Markus Nass<br />

Foto: GVL, Lotte Ostermann<br />

Finanzinvestoren<br />

setzten einen<br />

Verdrängungsprozess<br />

der Kreativen aus dem<br />

Zentrum in Gang;<br />

dadurch erhöhen sich<br />

die Mieten für Büros,<br />

Wohnungen und Clubs.<br />

hat auch die Initiative Musik ihren Sitz in <strong>Berlin</strong>.<br />

Geschäftsführerin Ina Keßler erkennt als größtes<br />

Plus den „Fühlungsvorteil“ zu den Auftraggebern,<br />

Gesellschaftern und den meisten Mitgliedern aus<br />

dem Aufsichtsrat der Initiative Musik: „Dabei spielt<br />

der Bund als Mittelgeber für unsere Projekte die<br />

Hauptrolle. Genau genommen sind es die kurzen<br />

Wege zum Beauftragten für Kultur und Medien im<br />

Bundeskanzleramt, aber auch zum Auswärtigen<br />

Amt und zum Ministerium für Wirtschaft und Technologie.“<br />

Für die Bewilligung der Förder<strong>mit</strong>tel seien<br />

zudem die Abgeordneten des Deutschen Bundestags<br />

und der Ausschuss für Kultur und Medien<br />

des Bundestags wichtig. Und als Gesellschafter<br />

der Initiative Musik sitzen auch die GVL und der<br />

Deutsche Musikrat in <strong>Berlin</strong>. „Trotz der überwiegend<br />

digitalen Kommunikation ist das persönliche<br />

Gespräch nach wie vor unabdingbar“, sagt Ina<br />

Keßler. „Das gilt auch für unsere Förderung, von<br />

der rund ein Drittel nach <strong>Berlin</strong> geht.“ <strong>Berlin</strong> sei<br />

„ein zentraler Ort in Deutschland für etablierte und<br />

Nachwuchskünstler, für unabhängige und große<br />

Unternehmen der Musikwirtschaft“, Hamburg,<br />

Köln, München, Düsseldorf und viele andere<br />

Städte seien jedoch ebenfalls „klasse“: „Der beste<br />

Kreativstandort heißt deshalb Germany.“<br />

Konstanter Wandel macht es spannend<br />

Ronny Krieger, Labelmanager Monkeytown <strong>Music</strong>,<br />

betont: „<strong>Berlin</strong> war, ist und wird immer ein kreativer<br />

<strong>Schmelztiegel</strong> <strong>mit</strong> einer – gerade auf Musik<br />

bezogen – einzigartigen Geschichte sein.“ Die<br />

Stadt sei einem konstanten Wandel unterworfen<br />

und bleibe deshalb nach wie vor einer der spannendsten<br />

Orte für alle kreativen Branchen. Das<br />

findet auch Patrick Strauch, Managing Director<br />

Sony/ATV <strong>Music</strong> Publishing: „<strong>Berlin</strong> ist und bleibt<br />

die Medienhauptstadt in Deutschland. Wir haben<br />

uns nach der Fusion <strong>mit</strong> EMI <strong>Music</strong> Publishing<br />

ganz bewusst für <strong>Berlin</strong> als Hauptstandort für das<br />

Unternehmen entschieden.“ Musikverleger Rolf<br />

Budde, dessen Vater einst in <strong>Berlin</strong> den Grundstein<br />

für die Budde-Verlage legte, meint, <strong>Berlin</strong> sei es<br />

gelungen, „innerhalb der letzten 20 Jahre wieder<br />

an die kreative Zeit der sogenannten ‚Goldenen<br />

20er‘ an zuschließen. Viele Kreative sind nach <strong>Berlin</strong><br />

gekommen, unter anderem auch viele Künstler<br />

aus dem Bereich der Musik“. Es sei „schick geworden<br />

und aufgrund der relativ niedrigen Wohnungspreise<br />

auch für europäische Künstler möglich,<br />

eine Wohnung in <strong>Berlin</strong> zu haben und von Zeit zu<br />

Zeit an der gestiegenen Kreativität innerhalb der<br />

Stadt teilzunehmen“.<br />

Das Lebensgefühl der Vernetzung<br />

Neben Künstlern haben aber auch internationale<br />

Firmen <strong>Berlin</strong> entdeckt. So berichtet ticketscript-<br />

CEO Frans Jonker: „Für mich als Eigentümer eines<br />

jungen, innovativen und dynamischen Unternehmens<br />

hat <strong>Berlin</strong> viele Vorteile.“ Nach ersten Anläufen<br />

in Düsseldorf sei es nur eine Frage der Zeit<br />

gewesen, den Schritt nach <strong>Berlin</strong> zu machen.<br />

„Natürlich spielen auch offensichtliche Gründe wie<br />

die niedrigen Mieten und Lebenskosten eine Rolle,<br />

aber durchaus wichtiger war der einzigartige<br />

Vibe“, sagt Jonker. „<strong>Berlin</strong> ist noch unfertig, ändert<br />

sich ständig und besitzt eine große kreative und<br />

internationale Gemeinde. Wir sind davon überzeugt,<br />

dass sich diese Atmosphäre auf unsere Mitarbeiter<br />

auswirkt und ihre Kreativität fördert.“ Dar -<br />

über hinaus habe sich die Arbeit der Veranstalter<br />

geändert: „Alte Strukturen werden aufgebrochen,<br />

und gerade junge Ver anstalter und Künstler nehmen<br />

neue Technologien und Trends schnell an. Sie<br />

vermarkten sich selbst über das Internet, vertreiben<br />

ihre Musik über Streaming services, gründen<br />

Labels und kreieren ihre eigene Fanbasis und ihr<br />

eigenes Publikum.“ Diese Art von Veranstalter und<br />

Künstler finde man eben in <strong>Berlin</strong>. „ticketscript ist<br />

ein Lebensgefühl, genau wie <strong>Berlin</strong> schon fast ein<br />

Lebensgefühl ist.“ Nic Jones, der als Senior Vice<br />

President International bei Vevo von London aus<br />

die Aktivitäten des Unternehmens außerhalb der<br />

USA verantwortet, findet: „Platziert im Herzen<br />

14_MusikWoche_48_2013


dossier<br />

Europas, ist <strong>Berlin</strong> das Epizentrum der deutschen<br />

Musikszene und liefert inspirierende Energie für<br />

die gesamte Musikwirtschaft. Die angesiedelte<br />

Kreativwirtschaft ist sehr international und gut<br />

vernetzt. Dies befördert das Bilden von Netzwerken<br />

und die Entwicklung von innovativen und vermarktbaren<br />

Ideen.“ Agenturchef Michael Frohoff<br />

von Kruger Media zitiert in diesem Kontext den<br />

Kunden Tommy Hilfiger: „<strong>Berlin</strong> ist das neue New<br />

York.“ Diese Attraktivität bringe spannende Leute<br />

in die Stadt – „vom Tech-Start-up bis zum innovativen<br />

Gastro-Konzept“. Das könne aber noch nicht<br />

alles sein: „Manchmal braucht es den realistischen<br />

Blick auf das, was zum Beispiel in Bottrop<br />

angesagt ist.“ Horst Weidenmüller, CEO von !K7,<br />

streicht die „hohe Internationalität“ ebenso her -<br />

aus wie „preisgün stige Mieten“ und eine „hohe<br />

Lebensqualität“, die <strong>Berlin</strong> zu „einer begehrten<br />

internationalen Stadt“ machen, und verweist auf<br />

das noch preisgünstige Lohnniveau.<br />

Prekariat ist besonders preiswert<br />

Ronny Krieger von Monkeytown <strong>Music</strong> erinnert<br />

dar an, dass <strong>Berlin</strong> in den Achtzigern und Neunzigern<br />

„selbstverständlich um einiges billiger und<br />

schon alleine daher für viele Künstler alternativlos“<br />

war. Aber auch heute sei <strong>Berlin</strong> „im Vergleich <strong>mit</strong><br />

den großen internationalen Metropolen zumindest<br />

noch preiswerter“. Die Lebenshaltungskosten<br />

sehen viele Kreativschaffende als Vorteil. Tim<br />

renenr zum Beispiel, Geschäftsführer Motor Entertainment:<br />

„<strong>Berlin</strong> ist eine der preiswertesten Millionenstädte<br />

der Welt und zieht deshalb Kreative<br />

und Geschäftspartner aus allen Länder an.“ Als die<br />

interna tionalste Stadt Deutschlands entwickle<br />

sich <strong>Berlin</strong> zudem dank der Arbeit vieler Start-ups<br />

an Zukunftstechnologien zum deutschen Silicon<br />

Valley. Dabei werde das Innovationsklima „schon<br />

lange nicht mehr von <strong>Berlin</strong>ern geprägt: Mehr als<br />

die Hälfte der Einwohner haben sich innerhalb der<br />

letzten 25 Jahre erst hier angesiedelt“. Björn<br />

Döring, der bei den Kulturprojekten <strong>Berlin</strong> die Leitung<br />

der <strong>Berlin</strong> <strong>Music</strong> Week inne hat, stößt ins<br />

selbe Horn: „<strong>Berlin</strong> ist die Stadt der kurzen Wege<br />

und des immer noch recht günstigen Lebens. In<br />

keiner anderen Hauptstadt Europas trifft man auf<br />

einem relativ kleinen Raum so viele andere Kreative.“<br />

Seit zehn Jahren denke man zwar, „dass der<br />

Hype um die Stadt doch irgendwann einmal vorbei<br />

sein muss“, aber es kämen immer noch mehr junge<br />

Kreative – „nicht nur zum Feiern für ein<br />

Wochenende, sondern um hier eine Band zu gründen,<br />

als DJ zu arbeiten oder eine Geschäftsidee zu<br />

verwirklichen“. Allerdings mahnt Björn Döring<br />

angesichts der „Start-up-Hysterie“ zur Vorsicht:<br />

„Denn hinter vielen coolen Ideen schlummern<br />

auch recht prekäre Arbeitsverhältnisse. Im besten<br />

Fall haben drei von zehn Start-ups das Potenzial<br />

einer erfolgreichen Geschäftsidee.“ Jenseits der<br />

Coolness brauche es auch Substanz: „Aber davon<br />

hat die Stadt bei allem Chi-Chi eine ganze Menge.“<br />

Doch Döring diagnostiziert einen fortschreitenden<br />

Verdrängungsprozess der Kreativwirtschaft aus<br />

dem Zentrum. Hierbei handle es sich jedoch aufgrund<br />

der Finanzlage der Stadt um ein fast unlösbares<br />

Problem: „Die großen Freiräume der Nachwendezeit<br />

existieren nicht mehr. Eine rein nach<br />

Investoreninteressen gesteuerte Vergabe politik<br />

von Immobilien wird Monokulturen produzieren.<br />

<strong>Berlin</strong> im Fokus<br />

Seit der Wende hat<br />

sich die deutsche<br />

Hauptstadt vor allem<br />

auf dem Kultursektor<br />

rasant entwickelt,<br />

und so gilt sie heute<br />

als kreativer <strong>Schmelztiegel</strong><br />

<strong>mit</strong> internationaler<br />

Strahlkraft. Mit Universal<br />

<strong>Music</strong> hat der Marktfüh -<br />

rer ebenso seinen Sitz in<br />

<strong>Berlin</strong> wie der Verband der<br />

unabhängigen Tonträger -<br />

unternehmen VUT; Musikverlage,<br />

Indielabels, Clubs<br />

und Spielstätten sowie<br />

unzählige Start-ups prägen<br />

die Kreativlandkarte der<br />

Stadt an der Spree. Und<br />

natürlich einmal im Jahr die<br />

<strong>Berlin</strong> <strong>Music</strong> Week. In diesem<br />

Heft gehen Macher und<br />

Kulturaktivisten der Frage<br />

nach, welche Vorteile der<br />

Kreativstandort <strong>Berlin</strong> bietet,<br />

aber auch welche Nachteile<br />

die Wirtschaftsstruktur<br />

<strong>mit</strong> sich bringt. Die kommenden<br />

Folgen des Standort-Specials<br />

beleuchten<br />

weitere Aspekte.<br />

Wir suchen eine(n) Rechtsanwalt/Rechtsanwältin<br />

<strong>mit</strong> Interessen‐ und Tätigkeitsschwerpunkt Medien‐ und<br />

Urheberrecht, 1–2 Jahre Berufserfahrung von Vorteil, unter ‐<br />

nehmerisch denkend, juristisch standfest, <strong>mit</strong> verhandlungs ‐<br />

sicherem Englisch, selbständiges Arbeiten selbstverständlich.<br />

Wir bieten im Rahmen einer Festanstellung interessante<br />

Tätigkeitsfelder in einem jungen, dynamischen Team bei der<br />

Vertretung von Unternehmen und Künstlern aus der Musikund<br />

Filmbranche sowie angrenzenden Bereichen.<br />

Bewerbungen werden gerne hoch vertraulich behandelt,<br />

bitte bevorzugt per Email an: bewerbung@bm-law.de<br />

Beutler Meinking Brandt Rechtsanwälte,<br />

Magdalenenstr. 26, 20148 Hamburg<br />

MusikWoche_48_2013_15


dossier<br />

standort berlin<br />

Loben die guten Bedingungen<br />

für Kreative in <strong>Berlin</strong> (von<br />

links): Tim Renner, Peter<br />

Schwenkow, Walter Holzbaur<br />

und Sebastian Rüß<br />

Foto: Velomax<br />

Konkurrenz<br />

belebt das Geschäft:<br />

In <strong>Berlin</strong> stehen Events,<br />

sei es im Sport, bei<br />

Konzerten, Kunst oder<br />

Theater, untereinander<br />

in einer enormen<br />

Konkurrenz situation.<br />

Gerade die Clublandschaft, aber auch viele Kreative<br />

auf der Suche nach bezahlbaren Büro- und<br />

Wohnräumen leiden unter rasanten Teuerungs -<br />

raten.“ Walter Holzbaur, der als Inhaber und „versprengter<br />

Ableger aus Ostwestfalen-Lippe“ die<br />

<strong>Berlin</strong>er Aktivitäten des Wintrup Musikverlags leitet,<br />

nennt als Vorzüge der Hauptstadt „die nahen<br />

Wege und enge Kommunikation <strong>mit</strong> nahezu allen<br />

Playern vor Ort“. Das sorge indes auch dafür, dass<br />

„manchmal drei oder vier ‚To go‘-Veranstaltungen<br />

an einem Abend“ um die Aufmerksamkeit ringen.<br />

<strong>Music</strong>board als Meilenstein<br />

Ina Keßler von der Initiative Musik warnt: „Durch<br />

die niedrigen Lebenshaltungskosten und das kulturelle<br />

Überangebot kann man schnell seine<br />

ursprünglichen Ziele aus den Augen verlieren. Hier<br />

effektiv und effizient zu arbeiten, erfordert viel<br />

Selbstdisziplin. Und die Wege in <strong>Berlin</strong> von A nach<br />

B sind oft länger als von Köln nach Düsseldorf.“<br />

Sebastian Rüß, Geschäftsführer der Velomax<br />

<strong>Berlin</strong> Hallenbetriebsgesellschaft, verweist ebenfalls<br />

auf eine „enorme Konkurrenzsituation <strong>mit</strong><br />

zahlreichen anderen Events, sei es im Bereich<br />

Sport, bei Konzerten, Kunst oder Theater, die jeden<br />

Tag stattfinden“. Das könne man vorschnell als<br />

Nachteil bezeichnen. „Wir meinen aber: Konkurrenz<br />

belebt das Geschäft.“ Als Vorzüge des Standorts<br />

<strong>Berlin</strong> nennt Rüß die Internationalität und die<br />

junge Demografie: „Wie keine andere Stadt in<br />

Deutschland ist <strong>Berlin</strong> immer am Puls der Zeit. Die<br />

Hauptstadt wächst stetig in allen Tätigkeitsfeldern<br />

rund um die Musikwirtschaft, Kreativbranche,<br />

Kunstszene und Live Entertainment.“ <strong>Berlin</strong> habe<br />

eine große Anziehungskraft für junge und gut ausgebildete<br />

Menschen, Start-ups und Investoren.<br />

Olaf Kretschmar, Cluster Manager <strong>Berlin</strong> <strong>Music</strong><br />

<strong>Commission</strong>, setzt <strong>Berlin</strong>er Vorzüge wie „das kreative<br />

Potenzial, Genrevielfalt, die kompetente Aufstellung<br />

in der gesamten Wertschöpfungskette<br />

und ein positives Start-up-Klima“ als bekannt vor -<br />

aus: „Die Frage ist aber, an welchem Referenz -<br />

datum man die Entwicklung bemisst“, sagt er.<br />

„2007 haben sich <strong>Berlin</strong>er Musikunternehmen<br />

zusammengeschlossen und als übergreifendes<br />

Netzwerk der Wertschöpfungskette die <strong>Berlin</strong><br />

<strong>Music</strong> <strong>Commission</strong> (BMC) gegründet. Bezogen auf<br />

die damalige Situation wirkt der heutige Zustand<br />

wie ein nicht für möglich gehaltener gewaltiger<br />

Tigersprung.“ 2010 aber habe die BMC nicht nur<br />

„federführend die <strong>Berlin</strong> <strong>Music</strong> Week aufgebaut“,<br />

sondern „parallel <strong>mit</strong> der Clubcommission und<br />

dem VUT“ auch die Standortkampagne Musik<br />

2020 <strong>Berlin</strong> ins Leben gerufen. „Gemessen an den<br />

hier fixierten strategischen Zielen für das Jahr<br />

2020 erscheint der Status quo nur mehr wie erste<br />

Schritte in die richtige Richtung.“ Kretschmar<br />

stellt fest: „Unser kurzfristiges Anliegen – die Einrichtung<br />

des <strong>Music</strong>board – wurde 2013 vom <strong>Berlin</strong>er<br />

Senat umgesetzt. Künstlerförderung ist jetzt<br />

in <strong>Berlin</strong> exzellent und beispielhaft aufgestellt. Ich<br />

glaube, hier wurden unter der Leitung von Katja<br />

Lucker international neue Maßstäbe gesetzt.“ Mit<br />

dem <strong>Music</strong>board und der <strong>Berlin</strong> <strong>Music</strong> Week ver -<br />

füge der Standort „über zwei starke und etablierte<br />

Säulen“. In der Fläche dazwischen aber gebe es<br />

„gewaltigen Handlungsbedarf“. Kretschmar sagt:<br />

„Viele Akteure und Unternehmer beklagen, dass<br />

bei ihnen bislang nichts angekommen ist von diesen<br />

Standortaktivitäten. Effiziente Wirtschaftsförderung<br />

im Musikbusiness, die infrastrukturell handelt<br />

und den Unternehmen strategisch hilft – hier -<br />

in besteht die nächste große Herausforderung.“<br />

<strong>Berlin</strong>er Luftbrücke als Nadelöhr<br />

Anziehungskraft hat <strong>Berlin</strong> zudem als Liveschauplatz,<br />

wie Carlos Fleischmann als CEO von ct creative<br />

talent betont: „In der Regel kommen alle<br />

Bands, die wir betreuen, auch durch <strong>Berlin</strong>.“ Nachteile<br />

sehe er hingegen nicht. Auch Anne Haffmans,<br />

die als Labelmanager die internationalen Indieflaggschiffe<br />

Mute und Domino in Deutschland<br />

repräsentiert, bezeichnet <strong>Berlin</strong> „als größten deutschen<br />

Musikmarkt“, zudem herrsche hier „die<br />

16_MusikWoche_48_2013


dossier<br />

Nachgefragt bei Jens „Spaiche“ Ihlenfeldt<br />

Von 2001 bis 2009 war Jens „Spaiche“ Ihlenfeldt beim Label Aggro <strong>Berlin</strong> einer der<br />

Motoren für den Erfolg von Rappern wie Sido oder Bushido. Inzwischen bringt es<br />

Aggro TV als Internet-TV-Kanal <strong>mit</strong> „Halt die Fresse“ auf rund 210 Millionen Aufrufe.<br />

Was sind die Vorzüge des Standorts<br />

<strong>Berlin</strong>, wo liegen die etwaigen Nachteile?<br />

Es gibt reichlich gutes, bezahlbares Essen<br />

jedweder Cuisine und ein ausreichendes<br />

Angebot von Fitmachern und bewusstseinserweiternden<br />

Substanzen. Nachteil<br />

sind die steigenden Mieten durch zuziehende<br />

Schwaben.<br />

Welchen Stellenwert hat die Kreativ -<br />

wirtschaft für den Standort <strong>Berlin</strong>?<br />

Ohne die Kreativwirtschaft gäbe es in <strong>Berlin</strong><br />

nur noch Hartz IV und Regierungsbeamte.<br />

Wie sehen Sie die Rolle Ihres Unternehmens<br />

am Standort, und welchen Stellenwert<br />

hat Ihr Unternehmen für <strong>Berlin</strong>?<br />

Wegen uns sind Schwaben aufgeregt,<br />

wenn sie nach <strong>Berlin</strong> ziehen.<br />

Wie gut funktionieren die Wirtschaftsstrukturen?<br />

Gut, wenn man per Vorkasse liefert.<br />

Welches sind die wichtigsten Unternehmen<br />

aus der Kreativbranche,?<br />

Aggro <strong>Berlin</strong>, Aggro TV und Gold1Networks,<br />

weil wir immer unabhängig gemacht<br />

haben, was wir für richtig gehalten haben,<br />

und da<strong>mit</strong> erfolgreich sind.<br />

Wie sieht es <strong>mit</strong> deren Vernetzung aus?<br />

Gut!<br />

Besteht auf Vorkasse:<br />

Jens „Spaiche“ Ihlenfeldt<br />

Wie offen ist die Politik für neue Ideen und<br />

Konzepte? Wie gut klappt die Förderung?<br />

Frau Griefahn von der SPD hat uns mal<br />

gefördert, indem sie Texte <strong>mit</strong> explizitem<br />

Inhalt kreiert und uns öffentlich untergeschoben<br />

hat. Das war aber sogar unter<br />

unserem Niveau, wir haben kein Vertragsangebot<br />

gemacht.<br />

Was würden Sie sich wünschen, da<strong>mit</strong> es<br />

in <strong>Berlin</strong> noch besser voran geht?<br />

Dass viele Schwaben wieder zurück zu<br />

ihren Eltern ziehen, da<strong>mit</strong> die Mieten in<br />

<strong>Berlin</strong> wieder bezahlbar werden. Aggro TV<br />

ist auch dort verfügbar.<br />

dichteste Konzentration an Medien“. Deshalb sei<br />

die Hauptstadt „natürlich ein idealer Standort,<br />

weil auch alle unsere Bands gern in die Stadt kommen<br />

und hier spielen“. Das schlägt sich bei den<br />

Spielstätten nieder, wie der DEAG-Vorstandsvorsitzende<br />

Peter Schwenkow betont: „<strong>Berlin</strong> ist <strong>mit</strong><br />

Abstand die größte Stadt Deutschlands und verfügt<br />

über eine sehr aufgeschlossene und interessierte<br />

Bevölkerung.“ <strong>Berlin</strong> sei darüber hinaus ein<br />

„europäischer Topstandort für die Gründer szene<br />

und verfügt – für unsere Branche gesehen – <strong>mit</strong><br />

der O2 World, der Waldbühne, der Wuhlheide, der<br />

Max Schmeling Halle, dem Velodrom und vielen,<br />

vielen Clubs über die am besten ausgestattete<br />

Veranstaltungsstättenversorgung“. Unter logistischen<br />

Gesichtspunkten kann die Anbindung der<br />

Hauptstadt allerdings als Nadelöhr gelten. So<br />

meint zum Beispiel Monkeytown-Manager Ronny<br />

Krieger: „Der einzige mir ersichtliche Nachteil ist<br />

der fehlende internationale Flughafen. Aber auch<br />

dieser Punkt muss sich ja irgendwann einmal klären.“<br />

Und Tim Renner fasst zusammen: „<strong>Berlin</strong><br />

steht für ein neues, weltoffenes Deutschland,<br />

da<strong>mit</strong> aber auch nicht mehr zwingend für alte<br />

deutsche Tugenden wie Fleiß und Pünktlichkeit.<br />

<strong>Berlin</strong> ist nicht dafür bekannt, dass die Dinge klappen,<br />

sondern dass man etwas versucht. Scheitern<br />

ist hier erlaubt.“<br />

Knut Schlinger<br />

Dr. Bianca Müller<br />

Rechtsanwältin<br />

Fachanwältin für Urheber- und Medienrecht<br />

Potsdamer Platz 11 D-10785 <strong>Berlin</strong><br />

T. +49 (0)30 - 400 558 94 F. +49 (0)30 - 400 558 95<br />

dr.b.mueller@entertainmentlaw-berlin.com<br />

www.entertainmentlaw-berlin.com


dossier<br />

standort berlin<br />

»Leider findet man hier immer einen,<br />

der es billiger macht«<br />

Als Fachanwältin für Urheber- und Medienrecht vertritt Bianca Müller nationale<br />

und internationale Mandanten vor <strong>Berlin</strong>er Gerichten und auch gegen <strong>Berlin</strong>er<br />

Unternehmen. Sie sieht die vielen Vorteile des Standorts und seine große<br />

Anziehungskraft, erkennt aber auch eine nicht durchweg gesunde Konkurrenz.<br />

Viele Kreative<br />

werden zwar lediglich<br />

als Praktikanten<br />

beschäftigt, müssen<br />

aber einen Fulltimejob<br />

machen. Davon können<br />

sie nicht wirklich ihre<br />

Existenz sichern.<br />

Lobt <strong>Berlin</strong>s<br />

einmalige<br />

Atmosphäre:<br />

Bianca Müller<br />

„<strong>Berlin</strong> ist seit jeher kulturell eine der aufregend -<br />

sten Städte der Welt.“ Darin sieht Rechtsanwältin<br />

Bianca Müller einen bedeutenden Vorteil ihrer<br />

Heimatstadt <strong>Berlin</strong>. Aufgrund der aus aller Welt<br />

stammenden Touristen und Zugezogenen sei<br />

<strong>Berlin</strong> aber auch die internationalste Stadt in<br />

Deutschland, „<strong>mit</strong> einer einmaligen Stimmung,<br />

die unter anderem darauf basiert, dass hier auch<br />

Jahre nach der Wende viele Gelände und Gebäude<br />

immer noch brach liegen oder aufzubauen sind<br />

beziehungsweise als spannende Veranstaltungsorte<br />

genutzt werden können“.<br />

<strong>Berlin</strong> zieht Kreative aus aller Welt an<br />

Als Hauptstadt diene <strong>Berlin</strong> zudem als Sitz vieler<br />

kreativer Unternehmen aus den Bereichen Musik,<br />

Film, Internet, bildende Kunst, Fernsehen, Mode,<br />

Print oder sonstigen Medien sowie Institutionen<br />

wie GEMA, GVL oder IFPI für den Sektor Musik.<br />

„Durch die im Verhältnis zum restlichen Deutschland<br />

und zu anderen Ländern niedrigen Mieten<br />

und sonstigen Kosten der Lebenshaltung werden<br />

Künstler aus der gesamten Welt angezogen, die<br />

hier einmalige inspirierende Orte für ihr kreatives<br />

Schaffen vorfinden, zum Beispiel in weltweit<br />

bekannten Clubs wie dem Berghain oder dem Tresor,<br />

aber auch in einer der drei Opern, der erstklassigen<br />

Philharmonie, dem Konzerthaus, dem<br />

Radial system, dem Haus der Kulturen der Welt<br />

und dem Hebbel am Ufer sowie der Volksbühne,<br />

die sich beide als Theater auch ein feines musikalisches<br />

Programm leisten – und an vielen großen<br />

und unzähligen kleinen Veranstaltungsorten.“ Diese<br />

„einmalige Atmosphäre“ ziehe Touristen aus<br />

aller Welt an und sorge für Einnahmen in allen<br />

Bereichen der Tourismusindustrie.<br />

Niedriges Preisniveau senkt die Qualität<br />

„Die zahlreich in <strong>Berlin</strong> ansässigen Tonträger -<br />

unternehmen, Verlage, Produzenten, Veranstalter,<br />

Managementfirmen, Booker oder Spielstätten bieten<br />

Beschäftigung“ – den eigenen Mitarbeitern<br />

wie auch den selbstständigen Zulieferern. Allerdings<br />

sieht die Fachanwältin für Urheber- und<br />

Medienrecht auch Nachteile: „Die Kehrseite der<br />

Medaille ist, dass dadurch zu viele Kreative angezogen<br />

werden, die sich gegenseitig Konkurrenz<br />

machen und das Preisniveau und teilweise auch<br />

die Qualität senken, so dass am Ende die dann<br />

marktüblichen Preise nicht zum Leben reichen.“<br />

Außerdem sorge die beliebte Beschäftigung von<br />

Praktikanten dafür, dass viele Kreative zwar einen<br />

Fulltimejob machen, davon aber nicht wirklich ihre<br />

Existenz sichern können. Bianca Müller stellt deshalb<br />

fest: „Leider findet man hier immer einen, der<br />

es billiger macht.“ Ein weiterer Nachteil sei, „dass<br />

das große Angebot an Unterhaltung leider oftmals<br />

dazu führt, dass nicht alle Hallen gut gefüllt oder<br />

sogar ausverkauft sind“. Knut Schlinger<br />

18_MusikWoche_48_2013

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