Wie doch die Zeit verfliegt... Inhaltsverzeichnis - Infoladen.de
Wie doch die Zeit verfliegt... Inhaltsverzeichnis - Infoladen.de
Wie doch die Zeit verfliegt... Inhaltsverzeichnis - Infoladen.de
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
<strong>Wie</strong> <strong>doch</strong> <strong>die</strong> <strong>Zeit</strong> <strong>verfliegt</strong>...<br />
...schon ist wie<strong>de</strong>r ein Jahr herum und es ist wirklich an <strong>de</strong>r <strong>Zeit</strong>, eine neue Augabe <strong>de</strong>r<br />
FUTURE herauszugeben. <strong>Wie</strong><strong>de</strong>r eine Doppelausgabe, wie<strong>de</strong>r <strong>die</strong> umfangreichste aller<br />
bisherigen Nummern. Passiert ist ziemlich viel:<br />
Das Archiv für Soziale Bewegungen in Jena ist im Prinzip besuchsbereit (etliche Kisten<br />
warten noch auf Erfassung), Öffnungszeiten sind Dienstag 12-15 Uhr und Donnerstag 12-18<br />
Uhr o<strong>de</strong>r nach Absprache. Kontakt über aag-j@gmx.net.<br />
Das Grenzcamp 2002 fand in Jena statt, und zwar erfolgreich.<br />
Nazis <strong>de</strong>monstrierten für ein Nationales Zentrum und kauften sich anschließend gleich zwei<br />
Häuser. Aus <strong>die</strong>sem Anlaß fin<strong>de</strong>t auch am 01.02.2003 ab 11 Uhr eine Demonstration gegen<br />
braune Immobilien statt. Beginn 11 Uhr am Rathausplatz in Altlobeda. Gegen <strong>die</strong> rechte<br />
Zentren hat sich auch eine Kampagne aus verschie<strong>de</strong>nen Gruppen und Einzelpersonen<br />
gegrün<strong>de</strong>t: STORZ Jena – STOppt Rechte Zentren! Infos unter www.storz-jena.<strong>de</strong>.vu (lei<strong>de</strong>r<br />
nicht immer erreichbar) o<strong>de</strong>r storz@gmx.<strong>de</strong>. Am 08. und 22. März sollen übrigens im Wagner<br />
zwei Veranstaltungen/Soli-Partys durch STORZ organisiert wer<strong>de</strong>n. Also achtet bitte auf<br />
weitere Ankündigungen! Danke.<br />
Und: Jena hat sich auch im letzten Jahr einen Spitzenplatz im Verfassungsschutzbericht<br />
gesichert. Da fin<strong>de</strong>n sich Eintragungen wie „Autonome beteiligen sich Hausbesetzungen“,<br />
„Autonome initiieren >Schülerstreik>“ o<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Herausgabe <strong>die</strong>ser <strong>Zeit</strong>ung. Nun ja. Sehr<br />
schön zu wissen, dass unsere Steuern nicht für Schnickschnack wie Jugendclubs,<br />
Aufklärungsarbeit o<strong>de</strong>r Bildung investiert wird. Wenigstens ein paar wertvolle Arbeitsplätze,<br />
wenn auch für <strong>die</strong> neue STASI, können so gesichert wer<strong>de</strong>n. Da sind wir aber sehr beruhigt!<br />
Folgen<strong>de</strong> Dinge blieben unberücksichtigt: Ein Beitrag aus <strong>de</strong>r CILIP über Polizeirecht in<br />
Thüringen, Kürzungen in <strong>de</strong>r Jugendarbeit <strong>de</strong>r Stadt Jena und <strong>de</strong>ren Auswirkungen, Termine,<br />
Nachrichten undundund... Aber: the FUTURE is unwritten!<br />
Jetzt noch mal fix <strong>die</strong> Adresse:<br />
The FUTURE is unwritten...<br />
c/o Schwarzes Loch Jena<br />
PF 100841<br />
07708 Jena<br />
ODER the.future.is.unwritten@gmx.net<br />
Im Internet unter www.infola<strong>de</strong>n.<strong>de</strong>/sljena/future.htm<br />
<strong>Inhaltsverzeichnis</strong><br />
<strong>Wie</strong> <strong>doch</strong> <strong>die</strong> <strong>Zeit</strong> <strong>verfliegt</strong>.........................................................................................................2<br />
Grenzcamp ´02 ...........................................................................................................................3<br />
Ernst Haeckel und <strong>die</strong> Etablierung <strong>de</strong>s wissenschaftlichen Rassismus‘ in Deutschland ...........4<br />
"Sind wir also eure Nazis?"........................................................................................................9<br />
Laut ja, gegen – vielleicht!? .....................................................................................................12<br />
"Good Night, White Pri<strong>de</strong>!".....................................................................................................13<br />
Antifa heisst neuerdings erfolgreich sein .................................................................................17<br />
Zensurversuche von rechts.......................................................................................................20<br />
Überall Anarchisten..................................................................................................................25<br />
Stehen und nichts trinken .........................................................................................................33<br />
Notwendige Anmerkungen zu: „17. Juni 1953 – Arbeiteraufstand in <strong>de</strong>r DDR“....................34<br />
Nicht nur bloße Dummheit.......................................................................................................37<br />
Deutschland von <strong>de</strong>r Karte streichen........................................................................................38<br />
hallo liebes future-team, ...........................................................................................................39<br />
STOPPT RECHTE ZENTREN!...............................................................................................40<br />
2
Grenzcamp ´02<br />
Nun, nach<strong>de</strong>m es tatsächlich vorbei ist, können wir sagen: Es hat stattgefun<strong>de</strong>n. Trotz<br />
Wi<strong>de</strong>rstan<strong>de</strong>s seitens Stadt (mäßig), Bullen (stark) und Nazis (lächerlich) sowie <strong>de</strong>s Wetters<br />
(naß).<br />
Insgesamt, so schätzen es viele Menschen ein, kamen verteilt über <strong>die</strong> ganze Woche mehr als<br />
750 Menschen, davon auch weit mehr als <strong>die</strong> von <strong>de</strong>n Bullen angegebenen 30 Leute aus<br />
Thüringen: So viele waren min<strong>de</strong>stens aus <strong>de</strong>r Erstaufnahmeeinrichtung auf <strong>de</strong>m Forst da<br />
(o<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>r Straße in Jena, in <strong>de</strong>r ich wohne – d. T.). Lei<strong>de</strong>r blieben viele nicht <strong>die</strong> ganze<br />
<strong>Zeit</strong>, was zwei Dingen geschul<strong>de</strong>t war, nämlich <strong>de</strong>m Wetter, welches sich nach drei Tagen<br />
bestem Sommerwetter in eine „monsunale Wetterlage“ verwan<strong>de</strong>lte. Wenigstens<br />
versammelten sich so etliche Leute in <strong>de</strong>r Campbar und sorgten für nette Gespräche und<br />
finanzielle Unterstützung <strong>de</strong>r Campkasse. Natürlich liefen etliche nette Gespräche auch<br />
abseits <strong>de</strong>r Bar, zb. während <strong>de</strong>s leckeren Essens <strong>de</strong>r Vokü...<br />
Problemfrei war das Camp damit allerdings nicht. So kam es allein während <strong>de</strong>r<br />
Vorgespräche zu Reibereien mit <strong>de</strong>r Stadtverwaltung, <strong>die</strong> uns einen Teil <strong>de</strong>s<br />
Ostba<strong>de</strong>s/Schleichersees o<strong>de</strong>r ein ehemaliges Kasernengelän<strong>de</strong> auf <strong>de</strong>m Jägerberg anbot. Im<br />
Nachhinein bestätigte sich allerdings <strong>de</strong>r Eindruck, dass <strong>die</strong> Stadt wesentlich<br />
kompromissbereiter gewesen wäre, wenn <strong>die</strong> grünen Kriminalisierer nicht gewesen wären.<br />
Sprich: Das eigentlich anvisierte Gelän<strong>de</strong> Rasenmühleninsel gab es aufgrund <strong>de</strong>s Drucks<br />
seitens <strong>de</strong>r Bullen nicht, <strong>die</strong> <strong>de</strong>m Antirassistischen Grenzcamp „eine erhebliche Gefährdung<br />
<strong>de</strong>r öffentlichen Ordnung und Sicherheit“ attestierten. Aber selbst, als sich abzeichnete, dass<br />
auch <strong>die</strong> Cops uns das Gelän<strong>de</strong> am Jenzigweg geben wür<strong>de</strong>n, versuchten sie bei<br />
AnwohnerInnen durch ein Flugblatt <strong>de</strong>n Eindruck zu erwecken, wir wür<strong>de</strong>n ihnen <strong>die</strong><br />
Gasflaschen klauen, auf ihrem Rasen nächtigen und <strong>die</strong> Hun<strong>de</strong> fressen. Ein zweites Flugblatt<br />
allerdings, das ein hartes Eingreifen <strong>de</strong>r Bullen ankündigte, bezeichneten <strong>die</strong>se zwar als<br />
Fälschung, setzten es aber 1:1 in <strong>die</strong> Realität um. So kam es zu massenhaft rassistisch<br />
motivierten Personenkontrollen, in<strong>de</strong>m tatsächlich und fast ausschließlich Menschen mit<br />
nicht<strong>de</strong>utschem Äußeren (sowohl Hautfarbe als auch Klamotten) in Jena und Umgebung<br />
angehalten, kontrolliert und durchsucht wur<strong>de</strong>n. Das stand auch im Gegensatz zu <strong>de</strong>r eigenen<br />
Zusage, keine Kontrollen durchzuführen. Statt <strong>de</strong>ssen hieß es dann, es wäre zugesagt wor<strong>de</strong>n,<br />
zwar Kontrollen durchzuführen, aber alle am Camp teilnehmen zu lassen. Tatsächlich konnten<br />
<strong>die</strong> Kontrollierten am Camp teilnehmen – wenn <strong>die</strong> angebliche I<strong>de</strong>ntitätsfeststellung nicht<br />
gera<strong>de</strong> 3 Stun<strong>de</strong>n auf <strong>de</strong>r PI dauerte und <strong>die</strong> Leute dort an <strong>de</strong>n Stuhl gefesselt wur<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r<br />
dagegen Protestieren<strong>de</strong> erst <strong>die</strong> Zusage bekamen, innerhalb <strong>de</strong>r PI auf <strong>die</strong> Leute warten zu<br />
können 1 und anschließend hinausgeprügelt wer<strong>de</strong>n, um anschließend wenigstens noch eine<br />
Festnahme wegen angeblichem Wi<strong>de</strong>rstan<strong>de</strong>s machen zu können... Jaja, <strong>die</strong> Jenaer Polizei.<br />
Und weil <strong>die</strong> sich mit maximal 450 anwesen<strong>de</strong>n CamperInnen überfor<strong>de</strong>rt sahen, mussten<br />
insgesamt bis zu run<strong>de</strong> 1.000 Bullen auch bun<strong>de</strong>sweit angefor<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n. Das rü<strong>de</strong><br />
Verhalten <strong>die</strong>ser und ihres Chefs Schrehardt, <strong>de</strong>r eine Vergangenheit im Planungsstab für<br />
Polizeieinsätze in Wackersdorf aufweist - erschreckte nicht nur „normale“ PassantInnen in <strong>de</strong>r<br />
Innenstadt.<br />
Und auch sonst passt <strong>die</strong> Statistik <strong>de</strong>r Polizei nicht zu <strong>de</strong>n tatsächlichen „Vorfällen“. So<br />
wer<strong>de</strong>n harmlose Sprühereien zu schwerwiegen<strong>de</strong>n Straftaten, <strong>die</strong> zum einen nicht<br />
notwendigerweise mit <strong>de</strong>m Camp in Beziehung gestan<strong>de</strong>n haben müssen und zum an<strong>de</strong>ren<br />
einen Feuerwehreinsatz zur Folge hatte. Lei<strong>de</strong>r waren <strong>die</strong> sichtbar nicht mit Feuereifer o<strong>de</strong>r<br />
gar Begeisterung Putzen<strong>de</strong>n nicht bereit, für ein kurzes Interview Auskunft zu geben, zb.<br />
1 Davon gibt es eine Tonaufnahme, <strong>die</strong> auch im Campradio über <strong>de</strong>n Offenen Kanal lief.<br />
3
warum sie das machen o<strong>de</strong>r wer das angeordnet hat. Der erst vorgesehene kurze Einsatz zum<br />
Entfernen eines einzelnen Graffitis zu einem Großputz an einer Lärmschutzwand, <strong>die</strong> eh<br />
schon voller Graffitis war. Eine Mistaktion bei einem CDU-Abgeordneten (Fiedler), <strong>de</strong>r<br />
daneben einen Posten bei <strong>de</strong>r Betreiberfirma das Wohnheims auf <strong>de</strong>m Forst innehat, wird<br />
automatisch <strong>de</strong>m Camp zugeschrieben. Dieser Logik zufolge, wonach Kritik an bestimmten<br />
Personen o<strong>de</strong>r Positionen automatisch antirassistischen Gruppen zuerkannt wird, macht aus<br />
<strong>de</strong>n Presseberichten über das gleiche CDU-Mitglied Fiedler in TLZ und OTZ und seine<br />
Verbindungen lange VOR <strong>de</strong>m Camp offenbar von uns gesteuerte Aktionen. O<strong>de</strong>r was?<br />
Ein angeblicher Piratensen<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r mit Beiträgen aus <strong>de</strong>m offiziellen Campradio und auf <strong>de</strong>r<br />
Frequenz von Jump am Samstag gesen<strong>de</strong>t haben soll und <strong>de</strong>r einer Frau aus Berlin<br />
zugeschrieben wird, hat bisher keinerlei Reaktionen offenbart: Normalerweise wird bei<br />
solchen Aktionen Antirepressionsarbeit unsererseits geleistet. Eine gezielte Falschinformation<br />
dagegen macht aus harmlosen CamperInnen VerbrecherInnen. Und unsere grünen<br />
„FreundInnen“ rufen damit nicht nur <strong>de</strong>n spießigen Mob auf <strong>de</strong>n Plan, son<strong>de</strong>rn ihre<br />
KollegInnen mit <strong>de</strong>m braunen Haufen im Kopf. Diese übernahmen immer und sehr gerne<br />
Steilvorlagen uniformierter RassistInnen. So auch in Jena, <strong>de</strong>nn nach<strong>de</strong>m <strong>die</strong> NPD Jena als<br />
Reaktion auf das Grenzcamp ein eigenes Camp angemel<strong>de</strong>t, aber nicht genehmigt bekam,<br />
„revanchierte“ sie sich im Internet mit einem einerseits belustigen<strong>de</strong>n, weil erlogenem,<br />
an<strong>de</strong>rerseits aber zutiefst hetzerischem und rassistischem Beitrag. Nun ja, wer Scheiße in <strong>de</strong>r<br />
Birne hat, <strong>de</strong>r kann auch nur solche produzieren. Und es beweist mal wie<strong>de</strong>r, wie wichtig ein<br />
solches Camp in Jena war und ist.<br />
Ach ja: auch 2003 wird es wie<strong>de</strong>r ein Grenzcamp geben. Wann und wo genau ist allerdings<br />
noch nicht klar!<br />
Der Rassismus-Papst<br />
Ernst Haeckel und <strong>die</strong> Etablierung <strong>de</strong>s wissenschaftlichen<br />
Rassismus‘ in Deutschland<br />
Das 5. antirassistische Grenzcamp fin<strong>de</strong>t (Anmerkung: Der Artikel fand seine<br />
Erstveröffentlichung vor <strong>de</strong>m Grenzcamp. D. Red.) <strong>die</strong>ses Jahr in Jena statt. Die Ortswahl im<br />
Lan<strong>de</strong>sinneren – erstmals nicht an einer Lan<strong>de</strong>sgrenze, sei es im Osten o<strong>de</strong>r am Flughafen in<br />
Frankfurt/Main – wur<strong>de</strong> vor allem von Flüchtlingen und The Voice forciert, <strong>die</strong> nicht nur –<br />
wie <strong>die</strong> letzten Jahre – an <strong>de</strong>n Camps als Objekte <strong>de</strong>r antirassistischen Begier<strong>de</strong> teilnehmen,<br />
son<strong>de</strong>rn sich aktiv in <strong>die</strong> Vorbereitung einbringen, ihre eigenen „Begier<strong>de</strong>n“ formulieren,<br />
handlungsmächtige Subjekte wer<strong>de</strong>n und <strong>die</strong> Resi<strong>de</strong>nzpflichtkampagne fortsetzen wollen. Ob<br />
<strong>die</strong>s gelingt, ist offen – aus Kritik an <strong>de</strong>m generellen Camp-Konzept wer<strong>de</strong>n <strong>die</strong>ses Jahr neben<br />
<strong>de</strong>m in Jena zwei weitere Camps stattfin<strong>de</strong>n. Die Ortswahl erwies sich insofern aber als<br />
günstig, als dass Jena <strong>die</strong> Wirkungsstätte von Ernst Haeckel (1834-1919) war, <strong>de</strong>m Begrün<strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>s Sozialdarwinismus‘ in Deutschland, und heute noch viele Zeugnisse in <strong>de</strong>r Stadt davon<br />
kün<strong>de</strong>n.<br />
Eine Beschäftigung mit Haeckel mag auf <strong>de</strong>n ersten Blick altbacken wirken: Der<br />
biologistisch argumentieren<strong>de</strong> Rassismus eines Haeckel scheint wissenschaftlich überholt und<br />
politisch diskreditiert. Die Ehrschätzung, <strong>die</strong> ihm noch heute nicht nur in Jena<br />
entgegengebracht wird – etliche Haeckel-Museen, - Ausstellungen, -Symposien, -Preise, -<br />
Straßen und -Schulen sowie 22 nach ihm benannte Tierarten zeugen davon – und <strong>die</strong> schon<br />
immer vorhan<strong>de</strong>ne Vermischung von naturwissenschaftlichen mit kulturalistischen<br />
4
Argumentationsmustern zur Begründung <strong>de</strong>s Rassismus mögen einen ersten Ansatzpunkt<br />
ergeben. Viel interessanter ist allerdings <strong>die</strong> Tatsache, dass Haeckel eben nicht nur <strong>de</strong>r<br />
berühmte Biologe war, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Darwinismus in Deutschland mit messianischem Eifer<br />
popularisierte, son<strong>de</strong>rn aus <strong>de</strong>r Evolutionstheorie eine Weltanschauung formte, <strong>die</strong> als<br />
Monismus totalitäre Gültigkeit beanspruchte und beispielhaft für <strong>die</strong> Transformierung <strong>de</strong>r<br />
klerikalen und feudalen Gesellschaft hin zur kapitalistischen Mo<strong>de</strong>rne steht. Haeckel selbst<br />
vereint in sich <strong>die</strong> fortschrittlichen und zutiefst reaktionären Elemente, <strong>die</strong> das aufstreben<strong>de</strong><br />
Bürgertum zum En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts ausmachten. Er wur<strong>de</strong> sowohl von Sozialisten<br />
enthusiastisch gefeiert als auch von <strong>de</strong>n Konservativen positiv rezipiert. Insofern haben we<strong>de</strong>r<br />
<strong>die</strong> Biographen recht, <strong>die</strong> von Haeckel zu Hitler eine kausale Verbindung nachzuweisen<br />
versuchen, noch jene, <strong>die</strong> Haeckel beschönigend als „Kind seiner <strong>Zeit</strong>“ bezeichnen, um seinen<br />
vermeintlichen wissenschaftlichen Ruhm nicht durch <strong>de</strong>n ihm inhärenten Nationalismus und<br />
Rassismus befleckt zu sehen.<br />
So richtig <strong>die</strong> Kritik von Karl Marx an Charles Darwin ist, er wür<strong>de</strong> <strong>die</strong> menschlichen<br />
Begriffe von Konkurrenz, Kampf ums Dasein und um Lebensräume, erst auf <strong>die</strong> Biologie<br />
übertragen, damit sie von an<strong>de</strong>ren dann in <strong>de</strong>r Rückübertragung als quasi natürliche<br />
Legitimierung bestehen<strong>de</strong>r Gesellschaftsverhältnisse fungieren könnten, so richtig ist es<br />
gleichzeitig, dass Darwins Evolutionstheorie einen ungeheuren Fortschritt gegenüber <strong>de</strong>n<br />
religiösen Schöpfungsmythen darstellte – und Marx wusste <strong>die</strong>sen Fortschritt auch<br />
entsprechend zu würdigen. Genauso wie <strong>die</strong> ökonomischen Verhältnisse im Kapitalismus<br />
einen Fortschritt darstellten, <strong>de</strong>r ohne <strong>die</strong> Naturwissenschaft nicht möglich gewesen wäre. Im<br />
Gegenzug bewirkten <strong>die</strong> wissenschaftlichen Erkenntnisse <strong>de</strong>r damaligen <strong>Zeit</strong> <strong>die</strong><br />
Revolutionierung <strong>de</strong>r Produktionsverhältnisse und <strong>de</strong>r Gesellschaft.<br />
Darwin beschränkte sich allerdings darauf, Naturwissenschaftler zu sein: Nur zögerlich und<br />
beschei<strong>de</strong>n präsentierte er seine Evolutionstheorie, wagte anfänglich keine Aussagen über <strong>die</strong><br />
Entstehung <strong>de</strong>r Menschen und warnte ausdrücklich davor, bei <strong>de</strong>r Evolution von höher- und<br />
nie<strong>de</strong>rwertigen Arten zu sprechen.<br />
Im Gegensatz dazu ging Haeckel an vielen Punkten weiter. Ob <strong>die</strong> Spezifik <strong>de</strong>r Haeckelschen<br />
Fortentwicklung und Verallgemeinerung <strong>de</strong>r Darwinschen Theorie schon Ausdruck <strong>de</strong>s<br />
<strong>de</strong>utschen Son<strong>de</strong>rweges – <strong>de</strong>r sich z.B. als I<strong>de</strong>alismus, mystische Naturverklärung,<br />
Absolutheitsanspruch, Eifer und Nationalismus (alles Elemente, <strong>die</strong> sich auch bei Haeckel<br />
nachweisen lassen) in <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Geistesgeschichte nie<strong>de</strong>rschlug – o<strong>de</strong>r purer Zufall ist,<br />
kann hier lei<strong>de</strong>r nicht weiter untersucht wer<strong>de</strong>n.<br />
Haeckel, <strong>de</strong>r bis zu seiner Darwin-Lektüre ein frommer Protestant war – angewi<strong>de</strong>rt vom<br />
wissenschaftlichen Materialismus seiner Universitätsprofessoren und <strong>de</strong>n kranken Menschen,<br />
mit <strong>de</strong>nen er während seines Medizinstudiums konfrontiert wur<strong>de</strong>, und lange schwankend, ob<br />
er sich getreu seinem Arbeitsethos fleißig seiner wissenschaftlichen Karriere widmen sollte<br />
o<strong>de</strong>r besser <strong>doch</strong> <strong>de</strong>r Landschaftsmalerei –, vollzog danach scheinbar eine 180-Grad-<br />
Wendung, beschimpfte <strong>die</strong> Kirche ob ihrer Rückschrittlichkeit und wur<strong>de</strong> von ihr angefein<strong>de</strong>t,<br />
agitierte unermüdlich für <strong>die</strong> Evolutionstheorie und sah sich selbst als unerschrockener<br />
Kämpfer gegen <strong>die</strong> alten Mächte. Genaugenommen dreht er sich je<strong>doch</strong> spiralförmig um 360<br />
Grad und war somit ungefähr dort wie<strong>de</strong>r angelangt, von wo aus er seinen Ausgangspunkt<br />
nahm: Nicht von einer Revolution <strong>de</strong>r Wissenschaft o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Weltanschauung kann bei<br />
Haeckel <strong>die</strong> Re<strong>de</strong> sein, höchstens von einer Mo<strong>de</strong>rnisierung o<strong>de</strong>r Transformation <strong>de</strong>r alten<br />
Vorstellungen. Weniger <strong>die</strong> Tatsache, dass Haeckel sich zwar 1904 auf <strong>de</strong>m Frei<strong>de</strong>nker-<br />
Kongress zum Gegen-Papst küren ließ, je<strong>doch</strong> erst 1910, neun Jahre vor seinem Tod, aus <strong>de</strong>r<br />
Kirche austrat, mögen dafür als Beleg <strong>die</strong>nen. Vielmehr lesen sich seine philosophisch<br />
angehauchten Manifeste, <strong>die</strong> schon damals von <strong>de</strong>n Philosophen belächelt, hingegen vom<br />
5
normalen Publikum als handlungsanleiten<strong>de</strong> Sinnstiftung in <strong>de</strong>r Umbruchszeit verschlungen<br />
wur<strong>de</strong>n (400.000er Auflage seiner „Welträthsel“ aus <strong>de</strong>m Jahre 1899 sowie Übersetzung in<br />
mehr als 30 Sprachen), als Be<strong>die</strong>nungsanleitung für einen Kapitalismus <strong>de</strong>utscher, d.h.<br />
rückwärtsgewandter Prägung.<br />
Er propagiert mit seiner monistischen Religion, <strong>die</strong> ein Band zwischen alter christlicher<br />
Religion und mo<strong>de</strong>rner Naturwissenschaft knüpfen will, <strong>die</strong> Strebsamkeit (Arbeitsethos gegen<br />
<strong>die</strong> alte Selbstgenügsamkeit), <strong>de</strong>n Eigennutz (gegen <strong>de</strong>n christlichen Altruismus), das<br />
Diesseits (Konsumgüter als Ausdruck für das Para<strong>die</strong>s auf Er<strong>de</strong>n), gesun<strong>de</strong> Sexualität im<br />
Dienste <strong>de</strong>r Fortpflanzung und Veredlung <strong>de</strong>r Seele (im Gegensatz zur christlichen<br />
Enthaltsamkeit), bürgerliche Liebe (<strong>die</strong> Haeckel von <strong>de</strong>r „Zellenliebe (...) von Spermazelle<br />
und Eizelle“ ableitet), Sittlichkeit (im Gegensatz zu <strong>de</strong>n angeblichen sexuellen<br />
Ausschweifungen <strong>de</strong>s katholischen Klerus, <strong>die</strong> Haeckel getreu <strong>de</strong>m Motto „Wasser predigen,<br />
Wein saufen“ als beson<strong>de</strong>rs verabscheuungswürdig erscheinen), <strong>die</strong> Achtung <strong>de</strong>r Frau als<br />
gleichwertiges Wesen mit „eigenthümlichen Vorzügen und Mängeln“ und als notwendige<br />
Ergänzung <strong>de</strong>s Mannes, <strong>die</strong> heterosexuelle Kleinfamilie als Keimzelle <strong>de</strong>r Gesellschaft,<br />
Körperlichkeit (Körperpflege und - ertüchtigung), Euthanasie (Vernichtung von Kranken und<br />
Behin<strong>de</strong>rten), Natur- und Tierliebe (als Ausgleich zur Entfremdung von <strong>de</strong>r Natur und zur<br />
Reproduktion), <strong>die</strong> Trennung von Kirche und Staat, Nationalismus (Deutschland als zu kurz<br />
gekommene Kolonialmacht), Rassismus und <strong>die</strong> Natürlichkeit sozialer Ungerechtigkeiten, <strong>die</strong><br />
er aus <strong>de</strong>r Evolutionstheorie ableitet und <strong>de</strong>ren Abmil<strong>de</strong>rung durch Gesundheits-,<br />
Bevölkerungs- und Sozialpolitik er für schädlich für Rasse und Nation hält.<br />
Während Haeckels Vorstellungen heute in allen Punkten (bis auf <strong>de</strong>n Rassismus, auf <strong>de</strong>n wir<br />
später zu sprechen kommen) umgesetzt scheinen o<strong>de</strong>r zumin<strong>de</strong>st eine nicht unbe<strong>de</strong>uten<strong>de</strong><br />
Diskursmächtigkeit erlangt haben, ereilte seiner monistischen Religion im engeren Sinne das<br />
Schicksal, heute in einer kleinen rechten Sekte verkümmern zu müssen, <strong>die</strong> sich rühmt, im<br />
Dritten Reich verboten gewesen zu sein – ähnlich ging es auch <strong>de</strong>m All<strong>de</strong>utschen Verband<br />
(ADV), <strong>de</strong>m Haeckel ebenfalls angehörte, <strong>de</strong>r als „Vorläufer und Wegbereiter <strong>de</strong>r NS-<br />
Bewegung“ von <strong>de</strong>n Nazis aufgelöst wur<strong>de</strong>, weil alle Punkte <strong>de</strong>s Programms <strong>de</strong>s ADV im<br />
Nationalsozialismus erfüllt seien. Die Nazis be<strong>die</strong>nten sich fleißig bei Haeckel, <strong>de</strong>r mit seinen<br />
Büchern etliche Anschlußstellen für faschistische I<strong>de</strong>ologen bot, und es dürfte kein Zufall<br />
sein, dass <strong>die</strong> Universität Jena im Dritten Reich eine <strong>de</strong>r Hochburgen für Rassenpolitik und<br />
Eugenik war. Die in Jena tätigen Wissenschaftler stan<strong>de</strong>n noch unter <strong>de</strong>m Einfluss von<br />
Haeckels Lehrtätigkeit, widmeten ihre Bücher <strong>de</strong>n Männern an <strong>de</strong>r Front und konnten auch<br />
nach 1945 ihre Forschungen ohne nennenswerte Einschränkungen fortsetzen, weil ihre reine<br />
Lehre angeblich nur von <strong>de</strong>n Nazis diskreditiert wur<strong>de</strong>.<br />
Verwun<strong>de</strong>rlicher ist <strong>die</strong> Begeisterung <strong>de</strong>r Linken für <strong>de</strong>n „General-Feldmarschall <strong>de</strong>s<br />
Darwinismus“ (Haeckel über sich selbst). August Bebel, Carl v. Ossietzky, Kropotkin und<br />
W.I. Lenin waren nicht <strong>die</strong> einzigen, <strong>die</strong> Haeckels Thesen begierig aufgriffen und glaubten,<br />
mit ihnen eine Waffe für <strong>de</strong>n Klassenkampf in <strong>de</strong>r Hand zu halten. Dies gelang nur, in<strong>de</strong>m sie<br />
– im Gegensatz zu <strong>de</strong>n Nazis, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Selektionsaspekte und <strong>de</strong>n „Kampf ums Dasein“ <strong>de</strong>r<br />
Evolutionstheorie überbetonten – das Prinzip <strong>de</strong>r ständigen Fortentwicklung im Tier- und<br />
Pflanzenreich auf <strong>die</strong> Menschen übertrugen, und zwar zum einen auf <strong>die</strong> Menschen als<br />
biologische Wesen (<strong>die</strong> Eugenik als Verbesserung <strong>de</strong>s Menschen war auch unter Sozialisten<br />
vor 100 Jahren sehr beliebt und das nicht nur in <strong>de</strong>r politischen Polemik, wie bei Bebel, <strong>de</strong>r<br />
sich gegen <strong>de</strong>n Krieg mit <strong>de</strong>m Argument aussprach, dass dabei <strong>die</strong> stärksten, wehrtüchtigen<br />
Männer sterben wür<strong>de</strong>n und somit das eigene Volk <strong>de</strong>generieren), zum an<strong>de</strong>ren auf <strong>die</strong><br />
menschlichen Gesellschaftsformation: Es schien ein natürliches Gesetz <strong>de</strong>r Evolution zu sein,<br />
dass <strong>de</strong>r Kapitalismus quasi von alleine vom Kommunismus abgelöst wür<strong>de</strong>.<br />
6
Aus <strong>de</strong>m gleichen Grund freun<strong>de</strong>te sich auch das liberale Bürgertum schnell mit <strong>de</strong>m<br />
Sozialdarwinismus an. Er postulierte <strong>de</strong>n evolutionären Übergang vom Feudalismus zum<br />
Kapitalismus, das hieß Reformen statt Revolutionen. Ausser<strong>de</strong>m vermochte er gleichzeitig <strong>die</strong><br />
eigene Stellung gegen das aufbegehren<strong>de</strong> Proletariat abzusichern, <strong>de</strong>m erklärt wur<strong>de</strong>, es wäre<br />
eine unterlegene „Rasse“ o<strong>de</strong>r wür<strong>de</strong> sich aus Individuen zusammensetzen, <strong>die</strong> eben von<br />
Natur aus mit nicht so reichen Gaben ausgestattet wären.<br />
Kommen wir zum Rassismus von Haeckel, <strong>de</strong>r mit seinen <strong>die</strong>sbezüglichen Ausführungen im<br />
Gegensatz zu seiner sonstigen „Mo<strong>de</strong>rnität“ auffallend altmodisch und überholt klingt. Dies<br />
mag daran liegen, dass sich <strong>die</strong> Naturwissenschaften in <strong>de</strong>n letzten 100 Jahren so rasant<br />
entwickelt und sich somit selbst überholt haben, d.h. dass sein biologistisches<br />
Argumentationsschema nach wie vor Gültigkeit beanspruchen kann, allerdings <strong>die</strong> Inhalte<br />
hoffnungslos überholt sind. An<strong>de</strong>rerseits dürfte <strong>die</strong> kapitalistische Eigendynamik inzwischen<br />
viele <strong>de</strong>r scheinbar natürlichen Unterschie<strong>de</strong> <strong>de</strong>r „Völker“ ad absurdum geführt haben, in<strong>de</strong>m<br />
sie alle unter <strong>de</strong>n gleichen globalen Verhältnissen vergesellschaftet hat. Nicht zuletzt zwang<br />
<strong>die</strong> Erfahrung <strong>de</strong>s Nationalsozialismus zu einer kritischen Abkehr vom Sozialdarwinismus<br />
o<strong>de</strong>r zumin<strong>de</strong>st zu einer affirmativen Mo<strong>de</strong>rnisierung.<br />
Haeckel ist einer <strong>de</strong>r ersten, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Menschen vom Affen abstammen läßt und einen<br />
Stammbaum <strong>de</strong>r zehn verschie<strong>de</strong>nen „Menschenrassen“ aufstellt. Er nimmt <strong>die</strong><br />
Kategorisierung anhand <strong>de</strong>r Merkmale Haarbildung (Woll- und Schlichthaarige), Hautfarbe<br />
(schwarz, gelb, rot und weiß), Zahnstellung (Schief- und Gradzähnige) und Schä<strong>de</strong>lbildung<br />
(Lang-, Kurz- und Mittelköpfe) vor. Es fällt auf, dass er <strong>die</strong> niedrigen „Menschenrassen“<br />
(Papua-Mensch, Hottentotten) nach <strong>die</strong>sem System ein<strong>de</strong>utig klassifizieren kann: Sie<br />
vereinigen genau <strong>die</strong> „Affenmerkmale“ auf sich: starke Behaarung, dunkle Haut, lange Köpfe<br />
und vorspringen<strong>de</strong> Vor<strong>de</strong>rzähne. Bei <strong>de</strong>r „zehnten und letzte(n) Menschenart (...) an <strong>de</strong>r<br />
Spitze“, <strong>de</strong>m weißen Menschen, gelingt ihm <strong>die</strong>se genaue Zuordnung nach biologischen<br />
Kriterien nicht mehr: Die „Weißen“ sind nämlich nicht nur weiß, son<strong>de</strong>rn auch „dunkel<br />
braungelb“, welches gar in „schwärzliches Braun“ übergehen kann. Auch <strong>die</strong> Schä<strong>de</strong>lform<br />
variiert bei <strong>de</strong>n „hochentwickelten Arten“ beträchtlich, was nicht <strong>die</strong> Theorie zum Wanken<br />
bringt, son<strong>de</strong>rn nur noch <strong>die</strong> Höherwertigkeit durch Vielfalt untermauern soll: „Die<br />
Schä<strong>de</strong>lbildung ist mannichfaltiger als bei allen übrigen Arten.“ (Die höchste Menschenart<br />
wird <strong>de</strong>swegen auch „<strong>die</strong> meisten an<strong>de</strong>ren Species im Kampfe um das Dasein früher o<strong>de</strong>r<br />
später besiegen und verdrängen“. Die niedrigen gehen „mit raschen Schritten ihrem völligen<br />
Aussterben entgegen“, <strong>die</strong> mittleren wer<strong>de</strong>n „begünstigt durch <strong>die</strong> Natur ihrer Heimath, <strong>de</strong>r<br />
sie sich besser als <strong>die</strong> (weißen) Menschen anpassen können, <strong>de</strong>n Kampf um’s Dasein mit<br />
<strong>die</strong>sen noch auf lange <strong>Zeit</strong> hinaus glücklich bestehen“) Haeckel muss also auf kulturelle und<br />
soziale Zuschreibungen zurückgreifen, um überhaupt seine scheinbare naturwissenschaftliche<br />
Einteilung vornehmen zu können: „erhob sich nur wenig über <strong>die</strong> tiefe Stufe <strong>de</strong>r<br />
ursprünglichen Bildung“, „<strong>die</strong> affenartigen Ureinwohner Australiens“, „in vielen körperlichen<br />
und geistigen Beziehungen stehen <strong>die</strong>se (...) Stämme auf <strong>de</strong>r tiefsten Stufe menschlicher<br />
Bildung“, „<strong>Wie</strong> sich <strong>die</strong> weitere Verzweigung <strong>de</strong>s indogermanischen Zweiges, aus <strong>de</strong>m <strong>die</strong><br />
höchst entwickelten Kulturvölker hervorgingen, auf Grund <strong>de</strong>r vergleichen<strong>de</strong>n<br />
Sprachforschung im Einzelnen genau verfolgen läßt, hat August Schleicher in sehr<br />
anschaulicher Form genealogisch entwickelt.“ An <strong>die</strong>sem Punkt fliegt Haeckels Theorie<br />
endgültig auf. Er hat sich gar nicht <strong>die</strong> Mühe gemacht, akribisch körperliche Merkmale zu<br />
vergleichen (eine Arbeit, zu <strong>de</strong>r seine Jünger im Dritten Reich noch genügend Gelegenheit<br />
haben sollten), son<strong>de</strong>rn lediglich einer schon bestehen<strong>de</strong>n rassistischen Sprachtheorie einen<br />
biologistischen Anstrich gegeben. Kein Wun<strong>de</strong>r also, dass er Chinesen, Japaner, Tartaren,<br />
7
Türken, Finnen und Ungarn aufgrund <strong>de</strong>r gleichen Sprachfamilie <strong>de</strong>r achten Menschenart<br />
(„Homo mongolicus“) zuordnet.<br />
Im „Phyletischen Museum“ zu Jena, welches von Haeckel gegrün<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong> und heute „<strong>die</strong><br />
stammesgeschichtliche Entwicklung <strong>de</strong>r Organismen, einschließlich <strong>de</strong>s Menschen“<br />
ver<strong>de</strong>utlichen will, wird genau an <strong>die</strong>se Sprachfamilien-Theorie angeknüpft. Neben <strong>de</strong>r<br />
entsprechen<strong>de</strong>n Schautaufel mit <strong>de</strong>m Stammbaum <strong>de</strong>r „Menschenrassen“ – ein Begriff <strong>de</strong>r<br />
laut Erklärung <strong>de</strong>s Museums, als „nicht mehr legitim“ gilt (und nicht etwa als falsch!), „da <strong>de</strong>r<br />
biologisch verbrämte Rassenbegriff ‚negri<strong>de</strong> Rasse‘ o<strong>de</strong>r ausschließlich politisch motivierte<br />
Rassenbegriffe wie ‚Ju<strong>de</strong>‘ verhängnisvolle Folgen hatten und haben.“; empfohlen wird als<br />
Ersatz <strong>de</strong>r Begriff „Ethnie“ – heißt es: „Die Sprachfamilien, von <strong>de</strong>nen es heute etwa 12 gibt,<br />
entstehen parallel mit <strong>de</strong>n weltweiten Wan<strong>de</strong>rungen von Bevölkerungsgruppen. (...) Die<br />
verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen <strong>de</strong>n Völkern erlauben es <strong>de</strong>mnach, einen<br />
linguistischen Stammbaum zu erstellen. Dieser stimmt mit <strong>de</strong>n genetischen Befun<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r<br />
jeweils zusammengehörigen Bevölkerungsgruppe weitgehend überein. Biologisch verwandte<br />
ethnische Gruppen sprechen auch verwandte Sprachen.“ Besser hätte das Haeckel sicher nicht<br />
sagen können! Weil nun allerdings <strong>de</strong>r dumpfe Antisemitismus in Jena, unweit von<br />
Buchenwald, als nicht mehr legitim gilt, wur<strong>de</strong> zur Aufrechterhaltung <strong>de</strong>r Theorie <strong>die</strong><br />
semitische Sprachfamilie einfach aus <strong>de</strong>m linguistischen Stammbaum gekürzt – bei Haeckel<br />
kam sie noch vor. Ob er <strong>die</strong>se kleine Korrektur an seinem Original bedauert, sei dahingestellt.<br />
Ein bekennen<strong>de</strong>r Antisemit war er schon <strong>de</strong>shalb nicht, weil zu seiner <strong>Zeit</strong> <strong>die</strong> Antisemiten<br />
noch traditionell religiös argumentierten und in Haeckel einen gefährlichen Protagonisten <strong>de</strong>s<br />
Werteverfalls sahen. Erst später griffen <strong>die</strong> Antisemiten Haeckels wissenschaftliches<br />
Instrumentarium begierig auf.<br />
Erschreckend mo<strong>de</strong>rn erscheint Haeckel allerdings auf einem an<strong>de</strong>ren Gebiet: <strong>de</strong>r Ökologie.<br />
Er erfand nicht nur <strong>die</strong>sen Begriff für <strong>die</strong> Interaktion <strong>de</strong>r einzelnen Lebewesen mit ihrer<br />
Umwelt, son<strong>de</strong>rn füllte ihn mit einer Naturmystik, <strong>die</strong> in <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Innerlichkeit,<br />
inzwischen im Gewand <strong>de</strong>r Esoterik, bis heute Bestand hat. Haeckel rückt <strong>de</strong>r Natur zum<br />
einem mit seinem kalten wissenschaftlichen Instrumentarium zu Leibe und klassifiziert alles,<br />
was ihm begegnet – neben über 4.000 Einzellern z.B. auch das Schönheitsempfin<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s<br />
Menschen in 8 Stufen: Ganz unten <strong>die</strong> einfache und <strong>die</strong> „rhythmische Schönheit“, ganz oben,<br />
noch vor <strong>de</strong>r sexuellen, <strong>die</strong> „landschaftliche Schönheit“. An<strong>de</strong>rseits ergötzt er sich an <strong>de</strong>r<br />
Natur, hält alle Materie, auch <strong>die</strong> anorganische, für beseelt, frönt <strong>de</strong>r Landschaftsmalerei und<br />
verkauft <strong>die</strong> Bil<strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>n von ihm ent<strong>de</strong>ckten Einzellern, <strong>die</strong> er liebevoll nach seiner ersten<br />
Frau o<strong>de</strong>r Fürst Otto von Bismarck benennt, als Kunst und setzt <strong>die</strong>se bloßen Abbil<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />
Natur mit Naturerkenntnis in eins.<br />
Auf <strong>de</strong>m <strong>die</strong>sjährigen Grenzcamp in Jena wird es – natürlich in landschaftlich reizvoller<br />
Umgebung – eine Veranstaltung zu Haeckel geben. Aber auch aus an<strong>de</strong>ren Grün<strong>de</strong>n lohnt<br />
sich ein Besuch...<br />
M. V., Antirassistische Gruppe Leipzig (antira-leipzig@nadir.org)<br />
Literatur und Zitatnachweis:<br />
Welträtsel und Lebenswun<strong>de</strong>r. Ernst Haeckel – Werk, Wirkung und Folgen,<br />
Ausstellungskatalog <strong>de</strong>s Oberösterreichischen Lan<strong>de</strong>smuseums (1998)<br />
Ernst Haeckel: Die Welträthsel, Natürliche Schöpfungsgeschichte (im Volltext unter:<br />
caliban.mpiz-koeln.mpg.<strong>de</strong>/~stueber/haeckel)<br />
8
Fussnoten<br />
1 Weitere Informationen über <strong>die</strong> geplanten Schill-Y-Out-Days in Hamburg, das<br />
Summercamp als Fortsetzung <strong>de</strong>r Cross Over-Konferenz in Bremen und <strong>de</strong>m europaweiten<br />
antirassistischen und antikapitalistischen Camp in Strasbourg entnehmen sie bitte <strong>de</strong>r<br />
Tagespresse bzw. folgen<strong>de</strong>n Internetseiten: www.nobor<strong>de</strong>r.org, www.summercamp.squat.net,<br />
www.bor<strong>de</strong>rs.org/bor<strong>de</strong>rs/kein, www.nadir.org/nadir/kampagnen/landinsicht<br />
2 Freigeistige Aktion/Deutscher Monistenbund, www.freigeistige-aktion.<strong>de</strong><br />
3 konkret 03/1999<br />
4 siehe dazu auch: Susanne Zimmermann: Die Medizinische Fakultät <strong>de</strong>r Universität Jena<br />
während <strong>de</strong>r <strong>Zeit</strong> <strong>de</strong>s Nationalsozialismus, Ernst-Haeckel-Haus- Stu<strong>die</strong>n, Band 2 (2000)<br />
5 Um <strong>die</strong> Abstammung plausibel zu machen, macht er <strong>die</strong> Affen „schlauer“ als sie sind und<br />
gleichzeitig differenziert er <strong>die</strong> Menschen extrem aus, um <strong>die</strong> Grenze zwischen Affe und<br />
„Wildvölkern“ zu minimieren. Später versteigt sich Haeckel gar zu <strong>de</strong>r These, dass <strong>die</strong><br />
Haustiere, u.a. weil sie weiter zählen könnten, zivilisierter und fortgeschrittener seien als <strong>die</strong><br />
„Wildvölker“. So erscheint es nur folgerichtig, dass <strong>de</strong>r Euthanasie-Propagandist <strong>de</strong>r Neuzeit,<br />
Peter Singer, gleichzeitig großer Affenliebhaber ist und sich für ihre Erhaltung einsetzt.<br />
6 www.zoo.uni-jena.<strong>de</strong><br />
Zur Dokumentation:<br />
"Sind wir also eure Nazis?"<br />
Solange <strong>die</strong> Palästinenser sich selber nur als Opfer und <strong>die</strong> Israelis nur als<br />
Täter sehen, kann es keine Verständigung <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n geben<br />
von Yossi Klein Halevi<br />
Jeruslaem<br />
Mein aufschlussreichstes Gespräch über <strong>de</strong>n Nahost-Konflikt habe ich nicht mit einem<br />
Politiker o<strong>de</strong>r mit einem Journalisten geführt, son<strong>de</strong>rn mit einem liebenswürdigen<br />
palästinensischen Pfarrer <strong>de</strong>r anglikanischen Kirche. Naim Ateek gehört <strong>de</strong>r Gruppe Sabeel<br />
an, <strong>die</strong> eine palästinensische Version <strong>de</strong>r Befreiungstheologie propagiert. Im Laufe einer<br />
langen freundlichen Unterhaltung vor etwa zwei Jahren einigten wir uns darauf, dass ein rein<br />
politisch-pragmatischer Umgang miteinan<strong>de</strong>r unseren bei<strong>de</strong>n Völkern nicht weiterhelfen<br />
kann. Damit Frie<strong>de</strong>n möglich wer<strong>de</strong>, meinten wir bei<strong>de</strong>, sei vielmehr etwas nötig wie ein<br />
"Dialog <strong>de</strong>r Herzen". In <strong>die</strong>sem Geiste räumte ich ein, dass wir Israelis unsere Verfehlungen<br />
gegenüber <strong>de</strong>n Palästinensern öffentlich eingestehen sollten. Was, fragte ich, könne Pfarrer<br />
Ateek seinerseits anbieten, um meinem Volk <strong>die</strong> Gewissheit zu geben, dass wir uns gefahrlos<br />
auf <strong>die</strong> engen Grenzen Israels von 1967 zurückziehen können – ein Schritt, mit <strong>de</strong>m wir uns<br />
angreifbar und verletzlich machen wür<strong>de</strong>n. "Es gibt überhaupt nichts, womit wir euch<br />
Gewissheit geben könnten", sagte er darauf - und führte zur Begründung folgen<strong>de</strong> historische<br />
Analogie an: Als David Ben Gurion und Konrad A<strong>de</strong>nauer in <strong>de</strong>n frühen fünfziger Jahren<br />
über das <strong>de</strong>utsch-israelische Entschädigungsabkommen verhan<strong>de</strong>lten, habe niemand vom<br />
Premierminister Israels erwartet, dass er <strong>de</strong>m <strong>de</strong>utschen Bun<strong>de</strong>skanzler irgendwelche<br />
Zugeständnisse mache. Die Deutschen waren <strong>die</strong> Mör<strong>de</strong>r gewesen und <strong>die</strong> Ju<strong>de</strong>n <strong>die</strong> Opfer.<br />
Das Einzige, worüber verhan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n konnte, war folglich <strong>de</strong>r Umfang <strong>de</strong>r Entschädigung.<br />
"Sind wir also eure Nazis?", fragte ich.<br />
"Jetzt haben Sie mich verstan<strong>de</strong>n", antwortete er lächelnd.<br />
9
Von Anfang an sind <strong>die</strong> palästinensisch-israelischen Frie<strong>de</strong>nsbemühungen von ihrer<br />
Asymmetrie belastet gewesen. Zwischen <strong>de</strong>r Macht Israels und <strong>de</strong>r Ohnmacht <strong>de</strong>r<br />
Palästinenser liegt eine Kluft, <strong>die</strong> nur durch handfeste israelische Zugeständnisse und - im<br />
Gegenzug – palästinensische Frie<strong>de</strong>nsversprechen geschlossen wer<strong>de</strong>n kann. Kurz gesagt:<br />
Land für Worte.<br />
Doch <strong>die</strong> tiefste und unauflösbarste Asymmetrie von allen ist eine psychologische: Es ist <strong>die</strong><br />
Asymmetrie <strong>de</strong>s Selbstmitleids. Die Palästinenser nehmen sich noch immer ausschließlich als<br />
Opfer wahr - unschuldig daran, dass <strong>de</strong>r Konflikt bis heute andauert, und ohne eigene<br />
Verantwortung dafür, <strong>de</strong>n Streit endlich zu been<strong>de</strong>n. Weil es <strong>die</strong> Geschichte mit <strong>de</strong>n Israelis<br />
besser gemeint hat, sehen sie, dass <strong>die</strong> Wirklichkeit weit komplexer ist. Bis auf eine<br />
Min<strong>de</strong>rheit ganz rechts im politischen Spektrum sind <strong>die</strong> meisten Israelis <strong>de</strong>r Ansicht, dass<br />
Recht und Unrecht in <strong>die</strong>sem Konflikt auf bei<strong>de</strong> Seiten verteilt ist.<br />
Abschied von "Großisrael"<br />
Die erste Generation <strong>de</strong>r Israelis nach <strong>de</strong>r Staatsgründung ähnelte <strong>de</strong>n heutigen<br />
Palästinensern. <strong>Wie</strong> <strong>die</strong>se <strong>de</strong>uteten sie <strong>de</strong>n Kampf um das Land als Streit für absolute<br />
moralische Werte. Erst nach und nach erkannten <strong>die</strong> Israelis, dass <strong>die</strong>ser Kampf in<br />
Wirklichkeit einen fundamentalen Bruch mit <strong>de</strong>r jüdischen Geschichte be<strong>de</strong>utete. Das<br />
schwierige Geschenk <strong>de</strong>s Zionismus an <strong>die</strong> Ju<strong>de</strong>n bestand darin, dass er uns unseren freien<br />
kollektiven Willen zurückgab, dass er uns also aus passiven Opfern in aktive Gestalter<br />
unseres eigenen Schicksals verwan<strong>de</strong>lte. Mit <strong>de</strong>m Besuch <strong>de</strong>s ägyptischen Präsi<strong>de</strong>nten Anwar<br />
as-Sadat in Jerusalem im Jahr 1977 begann sich <strong>die</strong> israelische Wahrnehmung <strong>de</strong>r arabischen<br />
Welt als einer geschlossenen feindseligen Front zu wan<strong>de</strong>ln. Der Zusammenbruch <strong>de</strong>r<br />
Sowjetunion, <strong>de</strong>r Optimismus im Nahen Osten nach <strong>de</strong>m Golfkrieg, <strong>die</strong> massenhafte<br />
Immigration russischer Ju<strong>de</strong>n nach Israel und <strong>de</strong>r allgemeine israelische Wohlstand - das alles<br />
vermittelte und verstärkte <strong>die</strong> Botschaft: Israel war drauf und dran, das immer wie<strong>de</strong>r in <strong>die</strong><br />
Zukunft verschobene zionistische Versprechen jüdischer Normalisierung wahr zu machen.<br />
Dabei verlor <strong>de</strong>r Holocaust seine Be<strong>de</strong>utung als entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Quelle jüdischer I<strong>de</strong>ntität.<br />
Allein <strong>die</strong> äußerste Rechte fuhr fort, <strong>de</strong>n Völkermord an <strong>de</strong>n europäischen Ju<strong>de</strong>n als<br />
womöglich wie<strong>de</strong>rkehren<strong>de</strong> Bedrohung an <strong>die</strong> Wand zu malen. Für <strong>die</strong> Mehrheit hatte <strong>die</strong><br />
Souveränität Israels einen günstigen Einfluss auf <strong>die</strong> jüdische Psyche. Als das Abkommen<br />
von Oslo geschlossen wur<strong>de</strong>, hatten sich <strong>die</strong> meisten Israelis <strong>de</strong>n <strong>de</strong>fensiven Habitus von<br />
Opfern bereits abgewöhnt. Statt<strong>de</strong>ssen waren sie sich <strong>de</strong>r moralischen Nöte bewusst<br />
gewor<strong>de</strong>n, <strong>die</strong> ihr neuer Status als Eroberer mit sich brachte.<br />
Es wäre unrealistisch, eine ähnliche Entwicklung auf palästinensischer Seite zu erwarten.<br />
Schließlich fehlt <strong>de</strong>n Palästinensern <strong>die</strong> Erfahrung fünfzigjähriger nationaler Souveränität, <strong>die</strong><br />
ihr historisches Trauma hätte lösen können. Dieser psychologische Unterschied zwischen<br />
Israelis und Palästinensern ist <strong>de</strong>r Kern <strong>de</strong>s Problems, sozusagen <strong>de</strong>r strukturelle Defekt <strong>de</strong>s<br />
Osloer Abkommens. Mit "Oslo" war <strong>die</strong> Erwartung verbun<strong>de</strong>n, dass sich Israel nach nur<br />
sieben Jahren jüdisch-palästinensischen Dialogs fast vollständig auf <strong>die</strong> Grenzen von 1967<br />
zurückziehen wer<strong>de</strong>. Israel sollte <strong>de</strong>n Palästinensern vertrauen, lange <strong>Zeit</strong> bevor <strong>die</strong>se<br />
überhaupt emotional imstan<strong>de</strong> waren, <strong>de</strong>n Israelis das Gefühl zu geben, ihre Sicherheit sei nun<br />
nicht mehr gefähr<strong>de</strong>t. Auf <strong>de</strong>r israelischen Seite gelang es Jitzhak Rabin und Schimon Peres,<br />
<strong>de</strong>n Bürgern <strong>die</strong> I<strong>de</strong>e eines "Großisrael" auszure<strong>de</strong>n. Derweil machten aber <strong>die</strong><br />
palästinensischen Anführer keinerlei Anstalten, ihrem Volk nahe zu bringen, weshalb es Israel<br />
als bleiben<strong>de</strong>n Bestandteil <strong>de</strong>s Nahen Ostens für alle Zukunft akzeptieren solle. Die<br />
internationale Gemeinschaft hat <strong>die</strong> Anmaßung <strong>de</strong>r Palästinenser, im alleinigen Besitz von<br />
Recht und Gerechtigkeit zu sein, nicht zurückgewiesen. Statt<strong>de</strong>ssen hat <strong>die</strong> Welt sie in ihrer<br />
Selbstwahrnehmung als unschuldige Opfer nur bestärkt. Dabei war das arabische<br />
10
Grundprinzip <strong>de</strong>r Ablehnung aller Kompromisse auch ein Grund für <strong>die</strong> Entwurzelung <strong>de</strong>r<br />
Palästinenser im Jahr 1948 und für <strong>die</strong> Besetzung ihrer Territorien im Jahr 1967.<br />
Innerhalb <strong>de</strong>r internationalen Gemeinschaft sind vielfältige Entschuldigungen und<br />
Erklärungen für Arafats gewaltsame Ablehnung <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>nsangebots von Ehud Barak<br />
vorgebracht wor<strong>de</strong>n. Das hat <strong>die</strong> pathologischen Ten<strong>de</strong>nzen <strong>de</strong>s palästinensischen<br />
Selbstmitleids weiter verstärkt. Beson<strong>de</strong>rs absurd ist dabei <strong>die</strong> Behauptung, <strong>de</strong>r von Barak<br />
betriebene Siedlungsbau habe Arafats Vertrauen in <strong>de</strong>n Frie<strong>de</strong>nsprozess geschwächt. Denn<br />
gebaut wur<strong>de</strong> fast nur in Siedlungsgebieten, <strong>de</strong>ren Bestand <strong>die</strong> Palästinenser akzeptiert hatten.<br />
Dementsprechend entstan<strong>de</strong>n <strong>die</strong> größten Unstimmigkeiten während <strong>de</strong>r Verhandlungen von<br />
Camp David keineswegs aus <strong>de</strong>r israelischen Siedlungspolitik. Vielmehr drehte sich <strong>de</strong>r Streit<br />
vor allem um <strong>die</strong> palästinensische For<strong>de</strong>rung, Israel müsse seine Alleinschuld an <strong>de</strong>r Flucht<br />
<strong>de</strong>r Palästinenser im Jahr 1948 anerkennen. Im Übrigen lehnten es <strong>die</strong> Palästinenser ab,<br />
irgen<strong>de</strong>ine jüdische Verbindung zum Jerusalemer Tempelberg anzuerkennen, <strong>de</strong>r heiligsten<br />
Stätte <strong>de</strong>s Judaismus.<br />
Heute steht fest, was <strong>die</strong> palästinensische Führung meint, wenn sie von einem "gerechten und<br />
dauerhaften Frie<strong>de</strong>n" spricht: Sie meint einen Frie<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>m ein jüdischer Staat nicht mehr<br />
vorkommt.<br />
Keine Lösung mit Arafat<br />
Die Vertreter <strong>de</strong>r palästinensischen Mehrheit greifen heute nicht mehr auf so grobschlächtige<br />
Parolen zurück wie jene, <strong>die</strong> Israelis müssten ins Meer getrieben wer<strong>de</strong>n. Das Szenario ist<br />
komplexer gewor<strong>de</strong>n. Das Ziel <strong>de</strong>r Palästinenser ist heute <strong>die</strong> graduelle Zersetzung Israels.<br />
Israels Kampfwille soll untergraben, sein Glauben an sich selbst erschüttert wer<strong>de</strong>n. Es geht<br />
<strong>de</strong>n Palästinensern darum, <strong>die</strong> territoriale Integrität <strong>de</strong>s israelischen Staates zu durchlöchern<br />
und <strong>die</strong> Israelis arabischer Herkunft aufzuwiegeln. Sie sollen For<strong>de</strong>rungen nach "Autonomie"<br />
erheben o<strong>de</strong>r sogar - in jenen Teilen von Galilea und Negev, wo Araber bald schon <strong>die</strong><br />
Mehrheit bil<strong>de</strong>n könnten - <strong>die</strong> Abspaltung von Israel betreiben.<br />
Dieser "Stufenplan" hat ein Kernelement. Es besteht darin, massenhaft verbitterte<br />
palästinensische Flüchtlinge in jene Gebiete zurückzubringen, <strong>die</strong> schon vor 1967 zu Israel<br />
gehörten. Die unverän<strong>de</strong>rte For<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r palästinensischen Führung nach einem "Recht auf<br />
Rückkehr" zeigt, dass <strong>die</strong> angebliche Anerkennung <strong>de</strong>s Staates Israel in seinen bis 1967<br />
bestehen<strong>de</strong>n Grenzen nicht ernst gemeint ist.<br />
Aus Sicht <strong>de</strong>r Palästinenser besteht das große Verbrechen <strong>de</strong>s Zionismus darin, dass er Ju<strong>de</strong>n<br />
in Teilen von Israel beziehungsweise von Palästina zur künstlichen Mehrheit gemacht hat -<br />
durch jüdische Einwan<strong>de</strong>rung ("Kolonisierung") und durch Vertreibung <strong>de</strong>r Araber wie durch<br />
<strong>de</strong>ren Flucht.<br />
In einer beeindrucken<strong>de</strong>n Re<strong>de</strong> vor arabischen Diplomaten legte Jassir Arafat 1996 in<br />
Stockholm seine Vision darüber dar, wie <strong>die</strong> jüdische Mehrheit sogar in <strong>de</strong>n bereits vor 1967<br />
israelischen Gebieten zukünftig wie<strong>de</strong>r zur Min<strong>de</strong>rheit gemacht wer<strong>de</strong>n könnte. Jassir Arafat<br />
zufolge sollen zunächst Flüchtlinge das Land überschwemmen und <strong>de</strong>n Ju<strong>de</strong>n das Wasser und<br />
an<strong>de</strong>re Ressourcen wegnehmen. Dadurch und durch <strong>die</strong> stillschweigen<strong>de</strong> Billigung <strong>de</strong>s<br />
palästinensischen Terrorismus wür<strong>de</strong>n große Teile <strong>de</strong>r israelischen Mittelschichten in <strong>die</strong><br />
Verzweiflung getrieben – und schließlich in <strong>die</strong> Emigration. Die Auswan<strong>de</strong>rung gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />
begabtesten Israelis wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Rest schon bald so sehr <strong>de</strong>moralisieren, dass <strong>de</strong>r Staat0<br />
aufgrund innerer Erschöpfung zusammenbräche.<br />
Aus Sicht <strong>de</strong>r Mehrheit <strong>de</strong>r Israelis hat sich Arafat durch seine Rückkehr zum Terrorismus als<br />
Partner im Frie<strong>de</strong>nsprozess auf Dauer diskreditiert. In <strong>de</strong>r Tat ist jegliche Verhandlungslösung<br />
ausgeschlossen, solange Arafat an <strong>de</strong>r Spitze <strong>de</strong>r palästinensischen Autonomiebehör<strong>de</strong> steht.<br />
Selbst wenn Arafat heute das Angebot annehmen wür<strong>de</strong>, das er im vergangenen Januar in<br />
Taba noch ablehnte - Herrschaft über nahezu <strong>die</strong> gesamten besetzten Gebiete und einen Teil<br />
11
von Jerusalem -, wür<strong>de</strong> <strong>die</strong> Mehrheit <strong>de</strong>r Israelis <strong>die</strong>sen Weg inzwischen nicht mehr<br />
mitgehen. Die Vorstellung, Jerusalem mit Arafat zu teilen, gilt ihnen mittlerweile als<br />
Zustimmung zur Zerstörung <strong>de</strong>r Heiligen Stadt. Die Tragö<strong>die</strong> <strong>de</strong>r Vereinbarungen von Oslo<br />
bestand darin, dass sie <strong>die</strong> Palästinenser im Westjordanland, mit <strong>de</strong>nen wir uns eigentlich nur<br />
über territoriale Fragen streiten, nicht über existenzielle, <strong>de</strong>r revolutionären Führung <strong>de</strong>r<br />
palästinensischen Diaspora unterworfen hat. Diese aber steht noch immer für <strong>de</strong>n tiefen Groll<br />
<strong>de</strong>r Palästinenser aus <strong>de</strong>m Jahr 1948 – also für <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rstand gegen <strong>die</strong> bloße Existenz eine<br />
jüdischen Staates. Oslo hat genau <strong>die</strong>jenige Führungsgruppe als Vertretung <strong>de</strong>r Palästinenser<br />
bestätigt, <strong>die</strong> am wenigsten zu Kompromissen bereit ist. Das ist <strong>die</strong> Ursache für <strong>de</strong>n<br />
eskalieren<strong>de</strong>n Konflikt zwischen Israel und Arafats Regime. Es ist ein Konflikt, in <strong>de</strong>m noch<br />
immer auf eine weniger von Selbstmitleid bestimmte palästinensische Führung gewartet wird.<br />
DIE ZEIT, Politik 48/2001<br />
Laut ja, gegen – vielleicht!?<br />
Am 07.02.02 fand in Jena ein Konzert im Rahmen <strong>de</strong>r Tour "Laut gegen rechte Gewalt" statt.<br />
Ziel <strong>de</strong>r Tour ist, ausgewählte Anti-Rechts-Initiativen mit einer bun<strong>de</strong>sweiten "Alternativ"-<br />
Tour zu unterstützen. Bisher wird <strong>die</strong> Tour nur als Erfolg gefeiert. Legt mensch <strong>die</strong><br />
Besucherzahlen als Gradmesser an, wird <strong>de</strong>m zuzustimmen sein. Neben <strong>de</strong>r Frage, was sich<br />
tatsächlich im Kopf <strong>de</strong>r Leute mit so einem Konzert bewegen lässt, trübt Nachfolgen<strong>de</strong>s <strong>de</strong>n<br />
Glanz (zumin<strong>de</strong>st im Bezug auf das Jenaer Konzert):<br />
- Die eingesetzte Security trug Bomberjacken mit <strong>de</strong>m Schriftzug "Madley, Wagnergasse 9,<br />
Jena". Das "Madley" ist ein La<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>m es alles zu kaufen gibt, was das rechte Herz<br />
begehrt: szenetypische Klamotten und indizierte CDs. Das "Madley" pflegt auch Kontakte zu<br />
B&H Strukturen. So verkehren/verkehrten <strong>die</strong> "Hate Brothers 88 Kahla" 2 hier. Sie nahmen<br />
1998 an einer B&H Demonstration in Ungarn teil.<br />
- Unter <strong>de</strong>n Security-Leuten wur<strong>de</strong>n wenigstens zwei Nazis erkannt: einer soll an einem<br />
Übergriff beteiligt gewesen sein, bei <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren han<strong>de</strong>lt es sich um Nicky Seid. Seid ist<br />
führen<strong>de</strong>r Kopf <strong>de</strong>r Naziszene in Neustadt/Orla. Er hat direkt neben <strong>de</strong>m alternativen Club<br />
Trail einen Raum angemietet. Hier proben Nazibands und wur<strong>de</strong>n schon mehrfach Konzerte<br />
durchgeführt. Das Trail war im Laufe <strong>de</strong>r Konzerte immer wie<strong>de</strong>r Naziangriffen ausgesetzt.<br />
- auf <strong>de</strong>m Konzert in Jena befand sich ein Typ, <strong>de</strong>r eine Weste mit <strong>de</strong>m Schriftzug "Crazy<br />
Boys Jena" trug und sich mit <strong>de</strong>r Security gut unterhalten hat. Bei <strong>de</strong>n "Crazy Boys Jena"<br />
han<strong>de</strong>lt es sich um eine Hooligan-Combo mit Verbindungen in <strong>die</strong> Fascho-Szene hinein.<br />
- ebenfalls auf <strong>de</strong>m Konzert waren zwei Typen, von <strong>de</strong>nen einer ein Basecap mit <strong>de</strong>r "White-<br />
Power"-Faust und <strong>de</strong>m Schriftzug "Volksdoitsche Troie" trug. Die von mir daraufhin<br />
angesprochene Security sah keinen Handlungsbedarf, drohte mir vielmehr mit <strong>de</strong>m<br />
Rausschmiss, sollte ich weiter Stress machen.<br />
- Als <strong>die</strong> Mo<strong>de</strong>ratorin auf <strong>die</strong> Bühne kam, um <strong>die</strong> letzte Band anzukündigen, wur<strong>de</strong> lautstark<br />
"Ausziehen" gerufen.<br />
- Auf <strong>de</strong>m Konzert konnten sich Polizisten in Zivil ungestört aufhalten.<br />
G., per e-mail<br />
2 Anmerkung d. FUTURE: Die „Macher“ <strong>de</strong>s La<strong>de</strong>ns sind i<strong>de</strong>ntisch mit <strong>de</strong>n „Hate Brothers<br />
88 Kahla“<br />
12
"Good Night, White Pri<strong>de</strong>!"<br />
Seit geraumer <strong>Zeit</strong> gibt es verstärkte Anzeichen dafür, daß Nazis und an<strong>de</strong>re Rassisten<br />
Hardcore als Musik für sich ent<strong>de</strong>ckt haben. Nach<strong>de</strong>m sie es nicht schaffen konnten, das Oi!<br />
Movement <strong>de</strong>r Skinheads für sich zu vereinnahmen o<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Definitionsmacht über <strong>die</strong>sen<br />
Begriff zu erlangen, ist nicht mehr zu übersehen, daß in zunehmen<strong>de</strong>r Ten<strong>de</strong>nz - insbeson<strong>de</strong>re<br />
in Deutschland - Nazis auf Hardore-Konzerten auftauchen, in ihren Fanzines wohlwollend<br />
über Hardcore berichten und Bands <strong>de</strong>n HC-Stil imitieren. Dagegen richtet sich <strong>die</strong><br />
Kampagne "Good Night, 'WhitePri<strong>de</strong>'!".<br />
Was ist Hardcore?<br />
Hardcore (HC) mit seiner Musik war schon immer more than Music. Entstan<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>m<br />
Punk, sind <strong>die</strong> I<strong>de</strong>ale seither <strong>de</strong>m Aufbau eigener Strukturen, <strong>de</strong>m D.I.Y.-Prinzip (Do It<br />
Yourself) verpflichtet. Seit En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 80er, als HC aus <strong>de</strong>n Staaten nach Europa kam, haben<br />
sich <strong>die</strong> <strong>Zeit</strong>en selbstre<strong>de</strong>nd geän<strong>de</strong>rt. Die Hardcore-Bewegung von einst hat sich<br />
ausdifferenziert, kennt mehrere Strömungen. Geblieben ist <strong>de</strong>r gemeinsame Anspruch, nicht<br />
in <strong>de</strong>r Belanglosigkeit zu lan<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r einen sinnlosen Lifestyle als <strong>Zeit</strong>geist-Kultur zu<br />
repräsentieren. Hardcore als Straßenkultur ver<strong>die</strong>nt seine Credits dadurch, dagegen zu<br />
kämpfen, daß '<strong>die</strong> Straße' als symbolischer und konkreter Ort <strong>de</strong>nen gehört, <strong>die</strong> Rassismus,<br />
Unterdrückung o<strong>de</strong>r Faschismus predigen. HC ist eine kämpferische I<strong>de</strong>e, <strong>die</strong> unter <strong>de</strong>m<br />
Begriff Unity Toleranz versteht. Sie steht für <strong>die</strong> Bereitschaft, allzeit in direkter Aktion gegen<br />
<strong>die</strong> vorzugehen, <strong>die</strong> <strong>de</strong>n Unity-Begriff zerstören wollen, in <strong>de</strong>m sie ihn für Intoleranz und<br />
Herrschafts<strong>de</strong>nken reklamieren. Wir sagen ganz <strong>de</strong>utlich: Hardcore be<strong>de</strong>utet <strong>de</strong>n Kampf<br />
gegen je<strong>de</strong> Form von Herrschaft! Hardcore ist <strong>die</strong> offene Kampfansage an alle, <strong>die</strong> <strong>die</strong>se<br />
Grundwerte mißachten!<br />
Was will "Good Night, 'White Pri<strong>de</strong>'!"?<br />
Die I<strong>de</strong>e, <strong>die</strong> hinter <strong>de</strong>r Kampagne steckt, ist simpel und straight: Da we<strong>de</strong>r Rasssisten noch<br />
Faschisten etwas übernatürliches sind, kann man sie ohne weiteres bekämpfen. Dazu muß<br />
<strong>de</strong>utlich wer<strong>de</strong>n, daß <strong>die</strong> Hardcore-Szene ihnen keinen Millimeter Platz zugesteht. Die Stärke<br />
<strong>de</strong>s Faschismus wie <strong>de</strong>s Rassismus rührt aus <strong>de</strong>r Vereinzelung seiner verschie<strong>de</strong>nsten Gegner<br />
her. Hardcore ist keine Bewegung von und für Sozialarbeiter!<br />
Wenn bei HC von Straßenkultur <strong>die</strong> Re<strong>de</strong> ist, so ist das<br />
nicht etwa als kulturelles Rahmenprogramm für<br />
Streetworker zu verstehen, son<strong>de</strong>rn als offensive<br />
Verteidigung unanfechtbarer Grundwerte <strong>de</strong>s HC!<br />
Deshalb ist <strong>die</strong> Kampagne als Plädoyer für<br />
aktiven und direkten Aktionismus zu verstehen,<br />
<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Rassisten und Faschisten z.B. bei<br />
Konzerten <strong>de</strong>utlich macht, daß sie von <strong>de</strong>n<br />
I<strong>de</strong>en <strong>de</strong>s Hardcore nicht toleriert wer<strong>de</strong>n!<br />
Toleranz wird erkämpft und nicht erbettelt!<br />
Fight the "White Power Movement"!<br />
http://www.good-night.<strong>de</strong>.lv<br />
13
Die Irak-Connection<br />
<strong>Wie</strong> europäische Rechtsextremisten sich mit Saddam Hussein solidarisieren<br />
Brü<strong>de</strong>r im Ungeist: Deutsche Neonazis gehören inzwischen zu <strong>de</strong>n regelmäßigen Besuchern<br />
<strong>de</strong>r irakischen Botschaft in Deutschland.<br />
Anläßlich <strong>de</strong>s Geburtstages von Saddam Hussein etwa wur<strong>de</strong> dort am 27. April eine<br />
Abordnung <strong>de</strong>s Kampfbunds Deutscher Sozialisten (KDS) empfangen, <strong>de</strong>r vom<br />
Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuft wird. Der Irak, so KDS-<br />
Vorstandsmitglied Thomas Brehl, sei "für uns von beson<strong>de</strong>rer Be<strong>de</strong>utung, weil mit Saddam<br />
Hussein an <strong>de</strong>r Spitze <strong>de</strong>s Irak ein Mensch steht, <strong>de</strong>r uns schon in einigem an unseren Führer<br />
Adolf Hitler erinnert, <strong>de</strong>r <strong>die</strong>ser gewaltigen Übermacht Amerika trotzt, <strong>de</strong>r nicht bereit ist, in<br />
<strong>die</strong> Knie zu gehen." Axel Reitz (KDS) fin<strong>de</strong>t Saddam Hussein "groß und bewun<strong>de</strong>rnswert,<br />
weil er es geschafft hat, wie unser Führer Adolf Hitler, sein Volk hinter sich zu bringen, und<br />
sein Volk steht hinter ihm" und weil er "<strong>de</strong>n Irak zu einer <strong>de</strong>r orientalischen Art und<br />
Mentalität entsprechen<strong>de</strong>n orientalischen Variante <strong>de</strong>s nationalsozialistischen Volksstaates<br />
gemacht hat".<br />
Die Sympathien beruhen auf Gegenseitigkeit, was viele Beobachter in Anbetracht <strong>de</strong>r<br />
politischen Be<strong>de</strong>utungslosigkeit <strong>de</strong>r Neonazis verwun<strong>de</strong>rn mag. In einem Dankesschreiben<br />
vom 3. Juni, ausgefertigt vom Chef <strong>de</strong>s irakischen Präsidiums Office, Ahmad H. Khudair, läßt<br />
Saddam Hussein <strong>de</strong>r neonazistischen Organisation Wünsche für "beste Gesundheit und<br />
Erfolg" übermitteln. Mitte Juli, zum Jahrestag <strong>de</strong>r irakischen "Revolution", kommt erneut eine<br />
KDS-Delegation in <strong>die</strong> irakische Botschaft. Die Stimmung bei <strong>de</strong>n Empfängen bezeichnen <strong>die</strong><br />
Neonazis als "absolut herzlich". Ein Foto zeigt <strong>de</strong>n Geschäftsträger <strong>de</strong>r irakischen Botschaft,<br />
Shamil Mohammed, mit <strong>de</strong>n Besuchern. Er habe sogar <strong>die</strong> Ehrenna<strong>de</strong>l <strong>de</strong>s KDS<br />
entgegengenommen, berichtet KDS-Vorstand Peter Habermann stolz.<br />
Inzwischen gehören <strong>die</strong> Neonazis zu <strong>de</strong>n persönlich gela<strong>de</strong>nen Gästen <strong>de</strong>r Iraker. In einem<br />
Anschreiben an Deutschlands Neonazi-Kopf Thomas Brehl anläßlich <strong>de</strong>s vierunddreißigsten<br />
Jahrestages <strong>de</strong>r irakischen "Revolution" ist nachzulesen: "Der Geschäftsträger <strong>de</strong>r Botschaft<br />
Irak Shamil A. Mohammed und seine Frau Maisoun Mohammed geben sich <strong>die</strong> Ehre." Die<br />
Verbrü<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r totalitaristischen Glaubenssysteme zeigt offene Konturen. Führerkult,<br />
Antiamerikanismus und Antisemitismus dürften <strong>de</strong>r Kitt <strong>de</strong>r unheiligen Allianz sein. Hartwig<br />
Moeller, Leiter <strong>de</strong>s Verfassungsschutzes NRW, bestätigt <strong>die</strong> Kontakte: "Wir haben<br />
beobachtet, daß Vertreter <strong>de</strong>s KDS in <strong>de</strong>r irakischen Botschaft Besuche abgestattet und<br />
Gespräche dort geführt haben. Das gilt sowohl für <strong>die</strong> Botschaft als sie noch in Bonn war wie<br />
auch jetzt in Berlin."<br />
Der Kampfbund Deutscher Sozialisten existiert seit 1999, einige seiner Mitglie<strong>de</strong>r waren<br />
zuvor über Jahre hinweg einschlägig in NS-Organisationen aktiv, <strong>die</strong> i<strong>de</strong>ologische<br />
Positionierung <strong>de</strong>r Gruppe ist ein<strong>de</strong>utig. KDS-Vorstandsmitglied Axel Reitz legte bei einer<br />
Hitler-Geburtstagsfeier im April 1999 in <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n ein weltanschauliches<br />
Glaubensbekenntnis ab und sagte über <strong>de</strong>n "geliebten Führer", <strong>die</strong> glänzen<strong>de</strong> Lichtgestalt <strong>de</strong>r<br />
arischen Rasse: "Wir glauben auf <strong>die</strong>ser Er<strong>de</strong> alleine Adolf Hitler. Wir glauben, daß <strong>de</strong>r<br />
Nationalsozialismus <strong>de</strong>r allein seligmachen<strong>de</strong> Glaube ist für unser Volk."<br />
Produkt <strong>de</strong>r Botschaftskontakte <strong>de</strong>r Neonazis sind mittlerweile Pro-Hussein-Publikationen, in<br />
<strong>de</strong>nen <strong>de</strong>m Diktator "Solidarität" bekun<strong>de</strong>t wird. "Gegen <strong>die</strong> Kriegspolitik <strong>de</strong>r USA! Hän<strong>de</strong><br />
weg vom Irak!" for<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>r Kampfbund Deutscher Sozialisten in einem aktuellen Flugblatt. In<br />
Pamphleten wird Hussein als "völkischer, revolutionärer Sozialist" bejubelt, <strong>de</strong>r "Wi<strong>de</strong>rstand<br />
14
gegen US-Imperialismus, Zionismus und Arabische Reaktion" leiste (Der Gegenangriff, Juni<br />
2002). Laut Einschätzung <strong>de</strong>s Direktors <strong>de</strong>s hessischen Verfassungsschutzes, Lutz Irrgang,<br />
steht Thomas Brehl "<strong>de</strong>r linken Seite" <strong>de</strong>r NSDAP nahe. Das könnte eine Affinität zur Baath-<br />
Partei Saddam Husseins sein. "Vielleicht", merkt Brehl an, "geht es aber auch nur darum,<br />
jeman<strong>de</strong>n anzupumpen." "Die Initiative zum Kontaktaufbau mit irakischen Stellen" geht, so<br />
Robert Bihler vom bayerischen Verfassungsschutz, "regelmäßig von <strong>de</strong>utschen<br />
Rechtsextremisten aus." Zum Teil wer<strong>de</strong> dabei "<strong>die</strong> internationalistische Tradition <strong>de</strong>r DDR<br />
aufgegriffen und <strong>de</strong>r Gedanke weltweit vernetzter ‘sozialistischer Bewegungen’ beschworen",<br />
wie etwa im Fall <strong>de</strong>s KDS-Aktivisten Michael Koth.<br />
Nach Erkenntnissen von Bihler greifen islamistische Gruppen, "so etwa auch in Deutschland<br />
herausgegebenen Publikationen, rechtsextremistisches beziehungsweise esoterisches<br />
Gedankengut für eigene ‘Argumentations-’ beziehungsweise ‘Beweiszwecke’ auf. Eine<br />
nachweisliche Kooperation geht von islamistischen Organisationen bisher nicht aus." Der<br />
Vizepräsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>s Hamburger Verfassungsschutzes, Manfred Murck, sagt, bereits im Mai<br />
1999 habe das von nord<strong>de</strong>utschen Neonazis herausgegebene Zentralorgan über <strong>die</strong> Festnahme<br />
<strong>de</strong>s PKK-Führers Abdullah Öcalan berichtet und in <strong>die</strong>sem Zusammenhang von einer<br />
Verschleppung gesprochen, an <strong>de</strong>r zweifellos <strong>de</strong>r amerikanische und <strong>de</strong>r israelische<br />
Geheim<strong>die</strong>nst mitgewirkt hätten, <strong>de</strong>nn es "dürfte <strong>de</strong>n USA und Israel daran gelegen sein, ein<br />
freundschaftliches Verhältnis zur Türkei zu pflegen, um auch weiterhin von türkischem<br />
Territorium aus <strong>de</strong>n Irak und seine Staatsführung kontrollieren und einschüchtern zu können."<br />
Weiter heißt es, mit Öcalan sei ein politischer Führer kalt gestellt wor<strong>de</strong>n, "<strong>de</strong>ssen Einsatz für<br />
<strong>die</strong> Freiheit seines kurdischen Volkes ebenso wenig in das Konzept einer ‘Neuen<br />
Weltordnung’ paßt, wie etwa <strong>die</strong> Freiheitsbestrebungen eines Milosevic in Serbien o<strong>de</strong>r eines<br />
Saddam Hussein im Irak." Aktuell ruft das Aktionsbündnis Nord<strong>de</strong>utschland im Internet im<br />
Falle eines Angriffs auf <strong>de</strong>n Irak zu Aktionen gegen <strong>die</strong> USA auf. Am 14. April marschierten<br />
Rechtsextremisten unter <strong>de</strong>m Motto: "Für eine Welt freier Völker - Solidarität mit Irak und<br />
Palästina" durch Jena. Zu <strong>de</strong>n Unterstützern <strong>de</strong>r Veranstaltung gehörte <strong>die</strong><br />
Neonaziorganisation Thüringer Heimatschutz und <strong>die</strong> NPD.<br />
Sympathiebekundungen für <strong>de</strong>n Irak sind auf europäischer Ebene unter rechtsradikalen und<br />
rechtspopulistischen Politikern keine Seltenheit mehr. Den Anfang setzte 1990<br />
öffentlichkeitswirksam <strong>de</strong>r Chef <strong>de</strong>s französischen Front National, Jean-Marie Le Pen, <strong>de</strong>r<br />
sich während <strong>de</strong>s Golfkriegs auf <strong>die</strong> Seite <strong>de</strong>s Irak schlug. Im November 1990 reiste er zum<br />
irakischen Diktator nach Bagdad und zelebrierte vor <strong>de</strong>n Augen <strong>de</strong>r Weltöffentlichkeit "Shake<br />
Hands". Als Dankeschön für <strong>die</strong> Solidarität aus einem NATO-Staat durften <strong>die</strong> letzten<br />
französischen Geiseln Le Pen nach Hause begleiten: <strong>de</strong>r Beginn einer intensiveren<br />
Kooperation. Im Mai 1996 kam es zu einem weiteren Treffen zwischen Le Pen und Hussein.<br />
Dank <strong>de</strong>r Front-National-nahen Organisation SOS Enfants d’Irak, <strong>die</strong> von Le Pens Frau Jany<br />
gegrün<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>, kam es zu regelmäßigen Irakbesuchen französischer Nationalisten aus <strong>de</strong>m<br />
FN-Spektrum. Während <strong>die</strong> Gruppe mit <strong>de</strong>m humanitären Namen nimmermü<strong>de</strong> ihren<br />
karitativen Charakter für <strong>die</strong> Opfer <strong>de</strong>s Embargos beteuerte, kritisierten vor allem<br />
antifaschistische Gruppen, <strong>de</strong>r Hintergrund sei das Knüpfen wirtschaftlicher Kontakte.<br />
Weitere Freun<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Irak sind Österreichs Rechtspopulisten. Im Februar 2002 besuchte Jörg<br />
Hai<strong>de</strong>r Hussein in Bagdad und "überbrachte <strong>de</strong>m Präsi<strong>de</strong>nten" laut einer Meldung <strong>de</strong>r<br />
staatlichen irakischen Nachrichtenagentur INA "<strong>die</strong> Grüße <strong>de</strong>s österreichischen Volkes und<br />
<strong>de</strong>r Freiheitlichen Partei wie auch <strong>de</strong>ren Solidarität mit <strong>de</strong>m Volk vom Irak und seiner weisen<br />
Führung". Der FPÖ-Politiker äußerte <strong>de</strong>n Wunsch, "<strong>die</strong> Beziehungen zwischen <strong>de</strong>m Irak und<br />
Österreich sowie zwischen <strong>de</strong>n Freiheitlichen und <strong>de</strong>r Baath-Partei zu vertiefen".<br />
15
Doch <strong>die</strong> Nähe zu orientalischen Despoten beschränkt sich bei Hai<strong>de</strong>r nicht auf Hussein. Gute<br />
Verbindungen pflegt er auch zu Libyens Staatschef Muammar el-Gaddafi. Er reiste<br />
verschie<strong>de</strong>ntlich nach Tripolis, im Mai 2000, im Juni 2000 und im Oktober 2001, wo er am<br />
31. Oktober 2001 in Begleitung von Verteidigungsminister Herbert Scheibner (FPÖ) zu Gast<br />
war. Im April 2002 wur<strong>de</strong> Hai<strong>de</strong>r Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r Österreichisch-Libyschen Gesellschaft. Die<br />
Patronanz über <strong>die</strong> konstituieren<strong>de</strong> Sitzung am 25. April hatte Saif Alislam Al-Gaddafi, ein<br />
Sohn <strong>de</strong>s libyschen Diktators, übernommen.<br />
Der renommierte Extremismusforscher Patrick Moreau erkennt bei Hai<strong>de</strong>r "seit zwei Jahren<br />
eine klare antiamerikanische Politik", <strong>die</strong> sich mit seiner Nähe zu Rechtsradikalen aus <strong>de</strong>r<br />
"Neuen Rechten" erklären lasse. "Diese Leute sind immer antiimperialistisch,<br />
antiamerikanisch und antiisraelisch eingestellt gewesen. Das ist eine Möglichkeit für <strong>die</strong>se<br />
Leute, endlich wie<strong>de</strong>r Krieg gegen <strong>de</strong>n zweiten Hauptfeind führen zu können, Israel."<br />
Die FPÖ-nahe Wochenzeitung Zur <strong>Zeit</strong> ist ein Dokument für <strong>die</strong> Verbrü<strong>de</strong>rung mit<br />
anti<strong>de</strong>mokratischen Kreisen im Orient. Einer <strong>de</strong>r Herausgeber ist Andreas Mölzer, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r<br />
Vergangenheit als kulturpolitischer Berater Hai<strong>de</strong>rs fungierte und für seine Nähe zur<br />
rechtsextremistischen Szene in Deutschland bekannt ist. Sein Blatt fällt heute durch eine<br />
beinahe völlig undifferenzierte Berichterstattung über islamische Terrorgruppen wie Hamas<br />
o<strong>de</strong>r Hisbollah auf, <strong>die</strong> als "Wi<strong>de</strong>rstandskämpfer" eingeordnet wer<strong>de</strong>n: "Hisbollah<br />
konzentriert sich fern <strong>de</strong>r parlamentarischen Politik lieber auf volksnahe Aktivitäten. Das<br />
allerdings mit einem politischen Weitblick, <strong>de</strong>ssen Früchte man heute nur erahnen kann." (Zur<br />
<strong>Zeit</strong> 24/02) Doch das größte Faible hat <strong>die</strong> Publikation, <strong>die</strong> pikanterweise im Jahre 2001 im<br />
Rahmen <strong>de</strong>r Presseför<strong>de</strong>rung mehr als achthun<strong>de</strong>rttausend Schilling von <strong>de</strong>r österreichischen<br />
Regierung erhielt, für Hussein. Seine Agitation wird immer wie<strong>de</strong>r verbreitet. Ranghohe<br />
FPÖ-Politiker wie <strong>de</strong>r Volksanwalt Ewald Stadler, gleichzeitig Vizepräsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r<br />
Österreichisch-Irakischen Gesellschaft, loben <strong>de</strong>n Irak vor <strong>de</strong>n Sanktionen als "wichtigsten<br />
Han<strong>de</strong>lspartner Österreichs außerhalb Europas". Bush dagegen entwickele sich zum "Rang<br />
eines Propheten", <strong>de</strong>ssen Verhalten "schon fast an Cäsarenwahn grenze" (Zur <strong>Zeit</strong> 8/02).<br />
Der Journalist und Extremismusforscher Samuel Laster bilanziert <strong>die</strong> Stimmung in <strong>de</strong>r<br />
rechtsradikalen Szene: "Die Ju<strong>de</strong>nfeindschaft scheint inzwischen höher bewertet zu wer<strong>de</strong>n<br />
als <strong>die</strong> Feindschaft zum Islam. Es gibt zwar innerhalb <strong>de</strong>r Rechten Diskussionen darüber, aber<br />
grundsätzlich ist <strong>die</strong> Mehrheit auf <strong>de</strong>r Seite <strong>de</strong>s Irak, auf <strong>de</strong>r Seite <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>nfein<strong>de</strong>, auf <strong>de</strong>r<br />
Seite <strong>de</strong>rer, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Ju<strong>de</strong>n vernichten wollen."<br />
Im Kriegsfall sieht <strong>de</strong>r Extremismusexperte Moreau konkrete Bedrohungen: "Das ist ein<br />
Problem <strong>de</strong>r Sicherheit <strong>de</strong>r NATO. Wir haben das Problem in Serbien gehabt, wo<br />
französische Soldaten und Offiziere auf <strong>de</strong>r Seite von Serbien gekämpft haben. Es könnte<br />
natürlich im Irak noch einmal passieren, daß sie auf <strong>die</strong> Seite von Saddam Hussein gehen, um<br />
<strong>die</strong> I<strong>de</strong>ale <strong>de</strong>s Kampfes gegen <strong>de</strong>n Imperialismus voll erleben zu wollen."<br />
von Rainer Fromm und Barbara Kernbach , 23. Oktober 2002<br />
16
Antifa heisst neuerdings erfolgreich sein<br />
"Mit <strong>de</strong>r Eroeffnungsparty im so genannten "Klub Thor" En<strong>de</strong> Mai 2002 ist es fuer alle<br />
sichtbar gewor<strong>de</strong>n: Die Dresdner Neonazis haben wie<strong>de</strong>r einen selbstverwalteten Treffpunkt.<br />
Erstmals seit <strong>de</strong>m konzeptionellen und finanziellen Scheitern <strong>de</strong>s "Café Germania" auf <strong>de</strong>r<br />
Waldschloesschenstrasse, ist es ihnen damit gelungen, ein wichtiges Stueck Infrastruktur<br />
fuer <strong>die</strong> neonazistische Szene auf zu bauen."<br />
Ziel <strong>de</strong>r Kampagne "Thor muss weg" ist es, das Haus zu schliessen. Mit <strong>de</strong>r<br />
ausseror<strong>de</strong>ntlichen Kuendigung durch <strong>de</strong>n Vermieter am 10. Dezember zum Jahresen<strong>de</strong><br />
2002, ist ein erfreuliches Zwischenergebnis <strong>de</strong>r Kampagne erreicht. Tatsache ist, dass <strong>die</strong><br />
Nazis zum gegenwaertigen <strong>Zeit</strong>punkt noch drin sind. Wir gehen davon aus, dass sich daran<br />
bis zum regulaeren En<strong>de</strong> ihres Mietvertrages En<strong>de</strong> April 2003 nichts aen<strong>de</strong>rt. Denn ein<br />
eventueller juristischer Streit um <strong>die</strong> ausseror<strong>de</strong>ntliche Kuendigung wuer<strong>de</strong> laenger<br />
andauern, als bis Mai. Nach <strong>de</strong>n gelungenen Aktionen <strong>de</strong>r Kampagne und <strong>de</strong>r<br />
darauffolgen<strong>de</strong>n Kuendigung ist etwas Ruhe in <strong>de</strong>r Auseinan<strong>de</strong>rsetzung um <strong>de</strong>n " Klub Thor"<br />
eingekehrt. Je<strong>doch</strong> nur vorlaeufig, <strong>de</strong>nn <strong>die</strong> naechsten grossen Ereignisse (z.B. <strong>die</strong><br />
antifaschistische Demonstration am 15.02.) werfen ihre Schatten voraus. [. Aufruf zur Demo<br />
am 15. 02. - http://www.thormussweg.<strong>de</strong> .]<br />
Die Kampagne "Thor muss weg" wur<strong>de</strong> von einem, fuer Dres<strong>de</strong>n ungewoehnlich grossen<br />
oeffentlichen Interesse und von diversen Reaktionen <strong>de</strong>r Nazis begleitet. Die Aktionen <strong>de</strong>r<br />
Nazis hatten einen ungewohnt <strong>de</strong>fensiven Charakter. Ihr Han<strong>de</strong>ln bestand ausschliesslich im<br />
Abarbeiten an Veroeffentlichungen und Aktivitaeten <strong>de</strong>r Kampagne. Dabei "zeigte sich ein<br />
<strong>de</strong>utlicher Paradigmenwechsel in <strong>de</strong>r politischen Ausrichtung in <strong>de</strong>r Anti-Antifa-Arbeit.", <strong>de</strong>n<br />
das Antifaschistische Infoblatt in seiner Herbstausgabe schon bun<strong>de</strong>sweit festgestellt hat.<br />
Die bisher vorherrschen<strong>de</strong> Gestalt <strong>de</strong>r militanten Anti-Antifa-Arbeit waren entwe<strong>de</strong>r<br />
Namenpreisgaben, Drohungen o<strong>de</strong>r gewalttaetige Uebergriffe, aber auch versuchte<br />
Stoerungen von Veranstaltungen, wie beispielweise zuletzt bei <strong>de</strong>r Infoveranstaltung <strong>de</strong>r<br />
Kampagne am 20.11.02 geschehen. Neben <strong>die</strong>sem militanten Auftreten, forcieren sie ihre<br />
Oeffentlichkeitsarbeit, <strong>die</strong> hauptsaechlich auf <strong>de</strong>r klubeigenen Internetseite stattfin<strong>de</strong>t.<br />
Bei<strong>de</strong>s soll <strong>die</strong> Mitwirken<strong>de</strong>n rund um <strong>die</strong> Kampagne einschuechtern.<br />
Betrachtet man <strong>die</strong> veroeffentlichten Fakten zu einzelnen Personen und Organisationen<br />
naeher, laesst sich feststellen, dass <strong>de</strong>n Nazis <strong>die</strong> Suchmaschine Google ein Begriff ist und<br />
sie <strong>Zeit</strong>ung lesen koennen. Das war es aber auch schon. Denn beim Abschreiben hoert es<br />
wie<strong>de</strong>r auf. Dass z.B. im Mai`01 in Bernsdorf eine Demonstration gewesen ist, duerfte auch<br />
<strong>de</strong>n Einheimischen neu sein. Den Gehalt ihrer weiteren Recherche macht eine Meldung vom<br />
8.12.02 auf einer Naziseite aus <strong>de</strong>r saechsischen Schweiz <strong>de</strong>utlich. "Die aad wies uns<br />
letztens auf eine relativ uninteressante Netzseite hin, welche von Antifaschisten als "antifa<br />
vernetzung oberelbe" bezeichnet wird." Dass <strong>die</strong> Anti-Antifa-Initiative, <strong>de</strong>r sogenannte<br />
"Arbeitskreis Antifa Dres<strong>de</strong>n" (aad) nach einem halben Jahr <strong>die</strong>se Seite fin<strong>de</strong>t, ist schon eine<br />
tolle Leistung. (Die Seite <strong>die</strong>nte zu Ostern'02 zur Mobilisierung nach Sebnitz und wird<br />
seit<strong>de</strong>m nicht mehr genutzt) Vieles von <strong>de</strong>n Veroeffentlichungen <strong>de</strong>r Nazis ist zwar heisse<br />
Luft, gefaehr<strong>de</strong>t aber durch Ungenauigkeiten und Falschinformationen auch voellig<br />
unbeteiligte Personen.<br />
"Eine an<strong>de</strong>re Form <strong>de</strong>r Anti-Antifa besteht in politischen Handlungen, <strong>die</strong> sich eher an <strong>die</strong><br />
allgemeine Oeffentlichkeit richten, um sie zur Positionierung gegen Antifaschisten zu<br />
bewegen...." Dies tritt bei <strong>de</strong>n Dresdner Nazis in <strong>de</strong>n letzten Monaten zunehmend in <strong>de</strong>n<br />
Vor<strong>de</strong>rgrund. Angefangen hatte alles mit ihrer Demonstration im Juli letzten Jahres, <strong>die</strong> unter<br />
<strong>de</strong>m Motto: "Den antifaschistischen Konsens durchbrechen" stand. Dort praesentierten sie<br />
sich als <strong>die</strong> von allen verfolgte Unschuld und wollten "auf <strong>die</strong> skandaloesen Verflechtungen<br />
17
zwischen kriminellen und gewalttaetigen Antifaban<strong>de</strong>n und staedtischen Behoer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s<br />
Ordnungsamtes, sowie <strong>de</strong>n <strong>die</strong>sen Staat sichern<strong>de</strong>n Organen <strong>de</strong>s Staatsschutzes (politische<br />
Polizei) bis hin zu Fraktionsmitglie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s Dresdner Stadtrates und <strong>de</strong>s Saechsischen<br />
Landtages" hinweisen. Diese obskuren Behauptungen waren we<strong>de</strong>r neu, noch beson<strong>de</strong>rs<br />
originell, erfreuten sich aber zu <strong>de</strong>r <strong>Zeit</strong> gera<strong>de</strong> in Sachsen-Anhalt grosser Beliebtheit. Mit<br />
<strong>die</strong>ser Demo auf <strong>de</strong>n Zug <strong>de</strong>r Anhaltiner aufgesprungen, fehlte <strong>de</strong>n Dresdner Nazis nur noch<br />
ein Ereignis, womit sie ihre Behauptungen belegen konnten. Dazu nahmen sie ausgerechnet<br />
<strong>de</strong>n 1.Mai. Und fuer wahr, es passte ja alles so schoen zusammen: 'Waehrend sich<br />
"gewalttaetige Antifaban<strong>de</strong>n" <strong>de</strong>m NPD-Aufmarsch in <strong>de</strong>n Weg stellten, ging das Buendnis<br />
"Dres<strong>de</strong>n gegen rechts- jetzt Gesicht zeigen" <strong>de</strong>monstrativ in <strong>die</strong> entgegengesetzte falsche<br />
Richtung und lenkte dadurch <strong>die</strong> Vertreter <strong>de</strong>r "buergerlichen Schmutzpresse" von <strong>de</strong>n<br />
kriminellen Handlungen <strong>de</strong>r "Antifaban<strong>de</strong>n" ab. Um <strong>de</strong>n Schein zu wahren und <strong>die</strong><br />
"Kumpanei zwischen Staat und Antifa" nicht zu offensichtlich wer<strong>de</strong>n zu lassen, bekamen<br />
einige Vertreter <strong>de</strong>r "Antifaban<strong>de</strong>n" dann <strong>doch</strong> noch von Zivibullen eins auf <strong>die</strong> Nase.'<br />
Spass beiseite, in <strong>de</strong>n Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen um ihren "Klub Thor" verfahren sie auf <strong>die</strong><br />
gleiche Weise. Zum Beispiel <strong>de</strong>r Ueberfall auf einen Jaguarfahrer am 28.07.2002, <strong>de</strong>r von<br />
<strong>de</strong>n Nazis zwar nie geleugnet wur<strong>de</strong>, aber <strong>de</strong>n sie in ihrer Oeffentlichkeitsarbeit dazu<br />
benutzten, sich selbst zum Opfer <strong>de</strong>r Antifa zu <strong>de</strong>klarieren. In <strong>de</strong>m Aufruf zu ihrer geplanten<br />
Demo "Gegen <strong>die</strong> Kriminalisierung nationaler Jugendarbeit - Fuer Freiraeume und<br />
Selbstbestimmung" am 15.02.2003 bleiben sie ihrem Verschwoerungsszenario treu: "(...) in<br />
Dres<strong>de</strong>n funktioniert das Zusammenspiel: Kriminelle Linke machen Anschlaege auf <strong>de</strong>n Klub<br />
Thor - Behoer<strong>de</strong>n loesen gewaltsam nationale Feiern und Veranstaltungen...auf... Das alles<br />
fuehrt zu einer gewollten Polarisierung, <strong>die</strong> sich in <strong>de</strong>n Me<strong>die</strong>n wi<strong>de</strong>rspiegelt und Druck auf<br />
<strong>die</strong> politischen Verantwortlichen in <strong>de</strong>r saechsischen Lan<strong>de</strong>shauptstadt ausuebt (sofern<br />
<strong>die</strong>se nicht selbst zu <strong>de</strong>n Drahtziehern <strong>de</strong>r Hetzkampagne gehoeren)." Das allein zeigt<br />
schon, dass <strong>die</strong> Nazis wenig Plan von politischen Verhaeltnissen haben. Ausgerechnet <strong>de</strong>n<br />
DGB-Bezirksvorsitzen<strong>de</strong>n als "sattsam bekannten Linksextremisten" zu bezeichnen und<br />
ausgerechnet <strong>de</strong>r PDS in Dres<strong>de</strong>n auch noch eine enge Kooperation mit <strong>de</strong>r Antifaszene zu<br />
unterstellen, schiesst <strong>de</strong>n Vogel endgueltig ab.<br />
Der Erlanger Politologe Prof. Kurt Lenk bezeichnet <strong>die</strong>se Form <strong>de</strong>r Argumentation in einem<br />
Gespraech mit <strong>de</strong>n Frankfurter Heften (11/00) als "<strong>die</strong> Pose <strong>de</strong>s Maertyrers (...) Das Pendant<br />
zu <strong>die</strong>sem Maertyrer-Syndrom ist <strong>die</strong> Erzeugung eines kollektiven Boesen." Aus <strong>die</strong>ser<br />
Abgrenzung von allen an<strong>de</strong>ren, speist sich ihr Selbstverstaendnis als sogenannte<br />
"Systemopposition", streng nach <strong>de</strong>r Devise: Alle doof, ausser uns. Dabei wird <strong>die</strong><br />
vermeintliche Repression zu ihrem alleinigen Gradmesser und ein Polizeieinsatz wegen<br />
Ruhestoerung, <strong>de</strong>n je<strong>de</strong>r Partyveranstalter schon mal erlebt hat, zum Politikum umge<strong>de</strong>utet.<br />
Dadurch gelingt eine Abgrenzung vom sogenannten "Rest" relativ einfach. Weitaus schwerer<br />
faellt es <strong>de</strong>n Nazis, innerhalb verschie<strong>de</strong>nster gesellschaftlicher Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen, sei<br />
es Sozialpolitik, Umweltschutz o<strong>de</strong>r <strong>die</strong> <strong>de</strong>rzeitige Frie<strong>de</strong>nspolitik eigene Akzente zu setzen.<br />
Ihre For<strong>de</strong>rungen sind oftmals <strong>de</strong>ckungsgleich mit <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>s konservativen Lagers und<br />
wur<strong>de</strong>n teilweise von <strong>de</strong>n Bun<strong>de</strong>sregierungen schon laengst verwirklicht und manchmal<br />
uebertroffen. Eine rassistische Einstellung ist eben keine oppositionelle Haltung in <strong>die</strong>ser<br />
Gesellschaft. Die Nazis helfen sich auch hier wie<strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>m Mittel <strong>de</strong>r Zuspitzung und<br />
konstruieren darueber eine Abgrenzung. Dabei setzen sie auf "ein apokalyptisches Moment,<br />
wonach entwe<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Entwicklung nach rechtsextremer Programmatik zu verlaufen hat o<strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>r Untergang Deutschlands bevorsteht. (...) Hier wird permanent ein Bedrohungsgefuehl<br />
erzeugt, um <strong>die</strong> Adressaten mobil zu machen." Diese Mobilisierung zeigt sich in einer<br />
Fuelle von Demonstrationen zu <strong>de</strong>n immer gleichen Themen, sei es zum To<strong>de</strong>stag von<br />
Rudolf Hess, <strong>de</strong>m 1.Mai, gegen <strong>die</strong> Ausstellung "Verbrechen <strong>de</strong>r Wehrmacht. Dimensionen<br />
<strong>de</strong>s Vernichtungskrieges 1941-1944" und Repression. Auf <strong>die</strong>sen Demos sind immer wie<strong>de</strong>r<br />
<strong>die</strong> gleichen Leute anzutreffen, da <strong>die</strong> Nazis es nicht schaffen, ihren "Szenekreis" zu<br />
verlassen. Erst wenn buergerliche Kreise solche apokalyptischen Momente aufgreifen,<br />
koennen <strong>die</strong> Argumentationen <strong>de</strong>r Nazis ausserhalb <strong>de</strong>s Szenekreises ihre Wirkung<br />
entfalten. Dieses Wechselspiel konnte man sowohl bei <strong>de</strong>r Debatte um <strong>die</strong> faktische<br />
18
Abschaffung <strong>de</strong>s Asylrechts 1992/93, als auch bei <strong>de</strong>n Diskussionen um <strong>die</strong> urspruengliche<br />
Ausstellung "Vernichtungskrieg.<br />
Verbrechen <strong>de</strong>r Wehrmacht 1941-1944" beobachten. Aehnliches zeigte sich auch in Dres<strong>de</strong>n<br />
im Zusammenhang mit <strong>de</strong>r Kampagne "Thor muss weg". Der Luegensalat <strong>de</strong>r Nazis erlangte<br />
eine ganz an<strong>de</strong>re Wirkung, nach<strong>de</strong>m er durch <strong>die</strong> "Saechsische <strong>Zeit</strong>ung" (SZ) transportiert<br />
wur<strong>de</strong>. War <strong>die</strong> Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit <strong>de</strong>r Nazi-Szene in Dres<strong>de</strong>n bisher von relativ<br />
geringen oeffentlichen Interesse gekennzeichnet, (Beispiele dafuer sind <strong>die</strong> zahllosen<br />
Nazi<strong>de</strong>mos, <strong>die</strong> in <strong>de</strong>r buergerlichen Presse allenfalls in Randnotizen ihren Nie<strong>de</strong>rschlag<br />
fan<strong>de</strong>n) ist es umso erstaunlicher, dass es im Zusammenhang mit <strong>de</strong>m "Thor" selbst und <strong>de</strong>r<br />
Kampagne zu einer vergleichsweise kontinuierlichen Berichterstattung gekommen ist.<br />
Hervorgetan hat sich damit <strong>die</strong> "Saechsische <strong>Zeit</strong>ung" , in Person von Alexan<strong>de</strong>r Schnei<strong>de</strong>r.<br />
Allerdings waren <strong>die</strong> Artikel <strong>de</strong>r SZ <strong>de</strong>n Bemuehungen um ein breites Buendnis alles an<strong>de</strong>re<br />
als foer<strong>de</strong>rlich. Mit <strong>de</strong>m Totalitarismustenor <strong>de</strong>s Duos Backes/ Jesse hat <strong>die</strong> SZ das<br />
Buendnis mehr in Bedraengnis gebracht, als es <strong>die</strong> Nazis haetten jemals schaffen koennen.<br />
Um eine in ihren Augen "neutrale" Berichterstattung bemueht, kamen <strong>die</strong> Betreiber <strong>de</strong>s<br />
"Klub Thor" <strong>de</strong>s oefteren zu Wort, sowie auch das LfV, das bei <strong>de</strong>r SZ ueber je<strong>de</strong>n Zweifel<br />
erhaben ist. Dies gipfelte unter an<strong>de</strong>rem in <strong>de</strong>r Ausgabe vom 28.11.2002, in <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Autor<br />
Schnei<strong>de</strong>r vier Artikel zum Thema schrieb. Dort zeigte sich <strong>de</strong>r dilettantische "Patchwork-<br />
Journalismus" am <strong>de</strong>utlichsten. Anscheinend ohne jegliche Hintergrundwissen publizierte <strong>die</strong><br />
SZ alles, was ihr in <strong>de</strong>n Pinsel diktiert wur<strong>de</strong>. We<strong>de</strong>r <strong>die</strong> sich daraus ergeben<strong>de</strong>n<br />
Wi<strong>de</strong>rsprueche, noch <strong>die</strong> falschen Zitate fuehrten dazu, dass jemand in <strong>de</strong>r Redaktion stutzig<br />
wur<strong>de</strong>. Damit trug <strong>die</strong> Tageszeitung mehr zur Verklaerung <strong>de</strong>nn zur Aufklaerung <strong>de</strong>r<br />
Geschehnisse bei. Aufbauend auf <strong>de</strong>m Extremismusverstaendnis <strong>de</strong>s Autors, <strong>de</strong>r sich von<br />
rechts wie links in seiner Sonntagsruhe gestoert sieht, entpolitisierte er <strong>die</strong><br />
Auseinan<strong>de</strong>rsetzung und reduzierte <strong>die</strong> Kampagne auf ein "Gewaltproblem". Er berichtete in<br />
Zusammenhang mit <strong>de</strong>r Kampagne nur von Farbbeuteln, Sachbeschaedigungen und<br />
Drohungen gegen Mieter und Vermieter <strong>de</strong>s "Klub Thor" und zitierte gleichzeitig <strong>die</strong> armen<br />
Nazis als Sozialarbeiter, <strong>die</strong> dort "nationale Jugendarbeit" betreiben und "Jugendlichen<br />
helfen, sich zu entfalten." Schnei<strong>de</strong>r laesst sie voellig distanzlos zu Wort kommen und<br />
kolportiert ihre Propaganda. Damit uebersetzte er <strong>die</strong> Anti-Antifa-Thesen <strong>de</strong>r Nazis, <strong>die</strong> sich<br />
selbst als unschuldige Opfer "von Kumpanei zwischen Staat und kriminellen Antifaban<strong>de</strong>n"<br />
sehen, ins Buergerliche und machte sie einem breiteren Publikum zugaenglich. Daher<br />
ueberrascht es nicht, wenn <strong>die</strong> Nazis auf ihrer Homepage Schnei<strong>de</strong>r genuesslich zitierten<br />
und zum Kronzeugen machen. Auch wenn Herr Schnei<strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>n Protesten <strong>de</strong>r<br />
Zivilgesellschaft auf <strong>de</strong>n ersten Blick ruhiger ueber <strong>die</strong> Kampagne schrieb, sollte sich<br />
niemand darueber hinwegtaeuschen lassen, dass fuer ihn nach wie vor <strong>die</strong> Beteiligung von<br />
unabhaengigen Antifas ein Graeuel ist. Trotz<strong>de</strong>m sich Schnei<strong>de</strong>r seinen Ansichten treu<br />
bleibt, sehen <strong>die</strong> Nazis (in ihrem einfach gestrickten Weltverstaendnis) eine "Kehrtwendung"<br />
in <strong>de</strong>r Berichterstattung und <strong>de</strong>gra<strong>die</strong>rten nun auch ihn zu einem <strong>de</strong>r "Schmier-Kulis <strong>de</strong>r<br />
Schmutzpresse", <strong>de</strong>r "aufhetzen moechte."<br />
Neben <strong>de</strong>r Kuendigung durch <strong>de</strong>n Vermieter ist es <strong>de</strong>r Kampagne bisher gelungen, ueber<br />
<strong>de</strong>n ueblichen Personenkreis hinaus <strong>die</strong> Oeffentlichkeit dafuer zu sensibilisieren, dass Nazis<br />
auch jenseits von Demonstrationen und Uebergriffen ein Problem darstellen. Wir halten es<br />
fuer wichtig, dass <strong>die</strong> Kampagne wie bisher Wert darauf legt, dass das Problem <strong>de</strong>r<br />
Organisierung von Nazis politisch diskutiert wird und <strong>die</strong> zu befuerchten<strong>de</strong> Reduzierung auf<br />
ein Problem <strong>de</strong>r Hygiene und mietrechtlicher Bestimmungen verhin<strong>de</strong>rt. Wir gehen davon<br />
aus, dass <strong>die</strong> Nazis so schnell nicht ausziehen wer<strong>de</strong>n und bereits heute ein neues Objekt<br />
suchen. Die weiteren Aktivitaeten <strong>de</strong>r Kampagne sollten daher auch auf potenzielle neue<br />
Vermieter ausgerichtet wer<strong>de</strong>n. In <strong>die</strong>sem Zusammenhang kommt <strong>de</strong>r geplanten<br />
Demonstration am 15.02.2003 beson<strong>de</strong>re Be<strong>de</strong>utung zu. Mit ihr kann es gelingen, das<br />
Thema weiter in <strong>die</strong> Oeffentlichkeit zu tragen und gleichzeitig <strong>die</strong> bisher erreichte<br />
Mobilisierung innerhalb <strong>de</strong>r Antifaszene weiter zu forcieren.<br />
Antifa Rechercheteam Dres<strong>de</strong>n, Januar 2003<br />
19
Zensurversuche von rechts<br />
These 1: Niemand wür<strong>de</strong> bestimmte Personen und ihr Treiben<br />
bemerken, wenn sie nicht permanent versuchten, <strong>die</strong> Berichte über<br />
sich selbst zu korrigieren.<br />
Einige <strong>Zeit</strong> ist es her, dass wir in <strong>de</strong>r „FUTURE“ Nr. 10 über neuheidnische Gruppen<br />
schrieben. Unter an<strong>de</strong>rem wur<strong>de</strong> dabei folgen<strong>de</strong>s über <strong>die</strong> „Germanische<br />
Glaubensgemeinschaft“ berichtet:<br />
>> „Germanische Glaubens-Gemeinschaft“ (GGG) und <strong>die</strong> „Heidnische Gemeinschaft“<br />
(HG)<br />
Der gebürtige Ungar Geza von Nemenyi, einst Mitglied <strong>de</strong>s „Armanen-Or<strong>de</strong>ns“ und<br />
zeitweilig Vorstandsmitglied im Berliner Lan<strong>de</strong>sverband <strong>de</strong>r Grünen, führt seit 1991 <strong>die</strong> von<br />
ihm wie<strong>de</strong>rbelebte „Germanische Glaubens-Gemeinschaft“ (GGG), <strong>die</strong> zeitweilig eng mit <strong>de</strong>r<br />
völkisch ausgerichteten „Heidnischen Gemeinschaft“ (HG) verbun<strong>de</strong>n war. Die HG <strong>de</strong>finiert<br />
sich als „eine Vereinigung, <strong>de</strong>ren Mitglie<strong>de</strong>r sich zu <strong>de</strong>n heidnischen Naturgöttern und zur<br />
germanisch-slawisch-keltischen Naturreligion bekennen.“ Für <strong>die</strong> „Germanische Reihe“<br />
(Broschüre zu Themen wie Runen, Germanische Feste, Thule, Atlantis, Kultstätten,<br />
<strong>Wie</strong><strong>de</strong>rgeburtsglaube und Hel<strong>de</strong>nmythen) <strong>de</strong>r HG wur<strong>de</strong> u.a. in „Huginn+Muninn“<br />
geworben. HG und GGG grenzen sich zwar vom braunen heidnischen Spektrum ab; auf<br />
Veranstaltungen <strong>de</strong>r ANSE, <strong>de</strong>s AO und <strong>de</strong>s „Bun<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r Go<strong>de</strong>n“ wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>nnoch<br />
aufmerksam gemacht.>Geza von Nemenyi...meinte am<br />
Telefon, dass er we<strong>de</strong>r gebuertiger Ungar sei und auch nie Mitglied vom Armanen-Or<strong>de</strong>n<br />
gewesen sei. "<strong>die</strong>se Behauptungen sollten <strong>doch</strong> von <strong>de</strong>r Website verschwin<strong>de</strong>n" ... seinen<br />
Angaben entsprechend [sei er] nie im Armanen-Or<strong>de</strong>n gewesen (er sagte am Telefon, er sei<br />
lediglich 2x bei einer Veranstaltung von <strong>de</strong>nen gewesen)(In <strong>de</strong>m folgen<strong>de</strong>n Absatz wur<strong>de</strong>n auf Verlangen von Geza von Nemenyi Passagen<br />
entfernt!) ... ist <strong>de</strong>r ebenfalls zur Sonnenwen<strong>de</strong> anwesen<strong>de</strong> Geza von Nemenyi von <strong>de</strong>r<br />
Germanischen GlaubensGemeinschaft (GGG). ... ...
Aber was genau fehlt, lässt sich lei<strong>de</strong>r nur erahnen...<br />
Auf einer an<strong>de</strong>ren Internetseite wie<strong>de</strong>r eine Spur <strong>de</strong>r Bemühungen Nemenyis, seine Spuren zu<br />
verwischen:<br />
>>...Zur Quellen- und Beweislage: Ich wer<strong>de</strong> mich hier ausschließlich auf Schnurbein,<br />
„Religion als Kulturkritik“, Hei<strong>de</strong>lberg 1992, zitiert als RAK, stützen. Aus persönlichen<br />
Gesprächen, vereinzelt vorliegen<strong>de</strong>m Material und im Gange befindlichen Ermittlungen nicht<br />
nur von meiner Seite liegt wesentlich mehr Information vor, <strong>die</strong> hier aber nur in sehr<br />
allgemeiner Weise zur Sprache kommen wird.<br />
...<br />
Zentrum <strong>de</strong>s hier erörterten Machtblocks ist <strong>de</strong>r "Armanenor<strong>de</strong>n".<br />
Selbst bei oberflächlicher Betrachtung fällt auf, daß <strong>die</strong> Angehörigen an<strong>de</strong>rer heidnischer<br />
Gruppen sich weigern, klar und <strong>de</strong>utlich Stellung gegenüber <strong>de</strong>m "Armanenor<strong>de</strong>n" und <strong>de</strong>r<br />
"ANSE" (RAK 30, 38 - 41), <strong>die</strong> vom "Armanenor<strong>de</strong>n" aus "werbend nach außen wirken und<br />
<strong>de</strong>n Kontakt mit an<strong>de</strong>ren heidnischen Gruppen verstärken (soll)", (RAK 40) zu beziehen.<br />
Dieses Verhalten ist leicht erklärlich, weiß man, daß sowohl Volkert Volkmann vom<br />
"Yggdrasil-Kreis" (RAK 166) als auch Geza von Nemenyi, <strong>de</strong>r Leiter <strong>de</strong>r "Germanischen<br />
Glaubensgemeinschaft" (RAK 154) Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s "Armanenor<strong>de</strong>ns" sind.<br />
[Nachtrag 06.2002: Frau Schnurbein scheint hier wohl aus <strong>de</strong>m Umstand <strong>de</strong>r Auftritte und<br />
Kontakte Gezas beim und zum AO auf eine Mitgliedschaft Gezas in <strong>die</strong>ser Organisation<br />
geschlossen zu haben. Geza von Nemenyi unterrichtete uns nun, dass <strong>die</strong>s nie <strong>de</strong>r Fall<br />
gewesen sei.]<br />
Ich vertraue hier eher Schnurbein (ebenda) als <strong>de</strong>n vagen und wi<strong>de</strong>rsprüchlichen<br />
Versicherungen eines mir bekannten Mitglie<strong>de</strong>s <strong>de</strong>s "Yggdrasil-Kreises" o<strong>de</strong>r ähnlichem<br />
Hei<strong>de</strong>nszenen-Gemauschel. Es ist, wie ich gern einräume, möglich, daß <strong>die</strong>se<br />
Mitgliedschaften nicht mehr bestehen, dann aber liegt <strong>die</strong> Beweislast bei <strong>de</strong>n Beteiligten.>„Armanenor<strong>de</strong>n“ (AO)<br />
Für <strong>die</strong> „harten Hel<strong>de</strong>n“ wird im Thule-Netz <strong>de</strong>r in Köln ansässige „Armanen-Or<strong>de</strong>n“ (AO),<br />
<strong>de</strong>r 1976 aus <strong>de</strong>r neugermanisch-rassistischen „Guido von List Gesellschaft“ heraus gebil<strong>de</strong>t<br />
wur<strong>de</strong>, empfohlen. Nach Lists (1919) Auffassung waren <strong>die</strong> Armanen <strong>die</strong> Führer und Lenker<br />
<strong>de</strong>r Germanen (4. AO-Grundsatz: „Die Erweckung <strong>de</strong>s Armanen-Or<strong>de</strong>ns ist für das<br />
Germanentum <strong>die</strong> <strong>Wie</strong><strong>de</strong>rgeburt einer Lebensgestaltung auf <strong>de</strong>r Grundlage <strong>de</strong>r<br />
naturgesetzlichen Weltordnung.“). Im Mittelpunkt seiner Lehre steht <strong>die</strong> mystische<br />
Überhöhung <strong>de</strong>r arischen Rasse. Zentrale These von List, vor 1914 einer <strong>de</strong>r herausragen<strong>de</strong>n<br />
völkischen Schriftsteller, Begrün<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Runen-Esoterik und <strong>de</strong>r Ariosophie, ist, daß es in <strong>de</strong>r<br />
Vorzeit einen Priesteror<strong>de</strong>n, <strong>die</strong> sogenannte Armanenschaft mit überragen<strong>de</strong>n Kenntnissen (=<br />
Geheimwissen) gegeben habe. Nach <strong>de</strong>r Christianisierung soll <strong>die</strong>ses Wissen mittels <strong>de</strong>r<br />
Runen, <strong>die</strong> für Eingeweihte Heilszeichen sind, verschlüsselt wor<strong>de</strong>n sein. Der „Armanen-<br />
Or<strong>de</strong>n“ wen<strong>de</strong>t sich gegen <strong>die</strong> biblische Lehre vom Wert je<strong>de</strong>s Menschen und <strong>de</strong>r Gleichheit<br />
aller. An <strong>de</strong>r Spitze <strong>de</strong>r hierarchisch geglie<strong>de</strong>rten Organisation, <strong>de</strong>ren Glaubensinhalte durch<br />
4 Über <strong>die</strong> Verschleierung rassistischer Elemente in Naturreligionen und <strong>de</strong>r daraus resultieren<strong>de</strong>n Machtstruktur<br />
von Hans Schuhmacher, im Namen und Auftrag <strong>de</strong>s Rabenclan - Arbeitskreis <strong>de</strong>r Hei<strong>de</strong>n in Deutschland e.V.<br />
20.04.1996 - http://www.rabenclan.<strong>de</strong>/szene.htm<br />
21
einen extrem primitiven Rassen-Okkultismus mit theosophischem Einschlag geprägt sind,<br />
steht <strong>de</strong>r Großmeister Adolf Schleipfer. „Stimme“ <strong>de</strong>r „Armanenschaft“ ist <strong>die</strong> im 29.<br />
Jahrgang erscheinen<strong>de</strong> <strong>Zeit</strong>schrift „Irminsul“. AO-Werbeanzeigen („Die Kraft zum Sieg über<br />
alle Probleme, liegt für uns Europäer allein in unserer abendländisch-keltisch-germanischen<br />
Religion“) veröffentlichte u.a. <strong>die</strong> „Junge Freiheit“; regelmäßige Anzeigen fin<strong>de</strong>n sich in<br />
„Huginn und Muninn“, <strong>de</strong>m Organ <strong>de</strong>r „Arbeitsgemeinschaft naturreligiöser<br />
Stammesverbän<strong>de</strong> Europas“ (ANSE).>Hier je<strong>de</strong>nfalls setze ich <strong>die</strong>se Mitgliedschaften unter Berufung auf Schnurbeins Arbeit<br />
voraus. Die oben genannten Herren sind also in folgen<strong>de</strong>r Situation: einerseits haben sie<br />
Nachteile insbeson<strong>de</strong>re in ihrer Werbetätigkeit für ihre Organisationen (und womöglich<br />
Opposition seitens ihrer im Dunklen gehaltenen Mitglie<strong>de</strong>r) zu befürchten, wenn <strong>die</strong>se<br />
Mitgliedschaft offengelegt wird, an<strong>de</strong>rerseits sind sie aufgrund <strong>de</strong>r Struktur <strong>de</strong>s<br />
"Armanenor<strong>de</strong>ns" (RAK 33) Untergebene <strong>de</strong>r Or<strong>de</strong>nsleitung und auf je<strong>de</strong>n Fall zur Wahrung<br />
<strong>de</strong>r Interessen und <strong>de</strong>s Ansehens <strong>de</strong>s "Armanenor<strong>de</strong>ns" verpflichtet.<br />
Inwieweit <strong>die</strong> Or<strong>de</strong>nsleitung berechtigt ist, Weisungen und Befehle ihren untergeordneten<br />
Mitglie<strong>de</strong>rn zu erteilen, und über welche Machtmittel sie verfügt, <strong>die</strong>se durchzusetzen, ist mir<br />
beim <strong>de</strong>rzeitigen Stand <strong>de</strong>r Untersuchung noch nicht bekannt. Es bietet sich je<strong>doch</strong> das Bild<br />
einer Reihe von "heidnischen" Organisationen, <strong>die</strong> zentral vom "Armanenor<strong>de</strong>n" gelenkt<br />
wer<strong>de</strong>n. Selbst wenn <strong>de</strong>r Or<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Leitern freie Hand läßt, und sei es nur, um <strong>die</strong>se<br />
Zusammenhänge zu vertuschen, besteht auf je<strong>de</strong>n Fall eine Hierarchie.<br />
So kommt es, daß <strong>die</strong> Mitglie<strong>de</strong>r erstgenannter Organisationen indirekt Mitglie<strong>de</strong>r im<br />
"Armanenor<strong>de</strong>n" sind, was <strong>de</strong>m Anspruch <strong>de</strong>s Or<strong>de</strong>ns auch entspricht (RAK 21), aber vielen<br />
nicht gefallen wird, wenn sie es erfahren.<br />
Es sei hier aber gleich dazu gesagt, daß in <strong>de</strong>r "Hei<strong>de</strong>nszene" alles um maximal zwei Dutzend<br />
Individuen kreist, <strong>die</strong> alle mit <strong>de</strong>m Dunstkreis <strong>de</strong>s "Armanenor<strong>de</strong>ns" zu tun haben.<br />
"Allgemein läßt sich feststellen, daß <strong>de</strong>r "Armanenor<strong>de</strong>n" zumin<strong>de</strong>st innerhalb <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen<br />
Szene mittlerweile eine Art Zentrum, einen Knotenpunkt, darstellt, von <strong>de</strong>m viele Aktivitäten<br />
<strong>de</strong>r neugermanischen religiösen Bewegungen ausgehen. Viele Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Or<strong>de</strong>ns haben<br />
inzwischen eigene Gruppen gegrün<strong>de</strong>t, stehen aber weiter mit ihm in Verbindung. Der<br />
Kontakt <strong>die</strong>ser Gruppen untereinan<strong>de</strong>r wie<strong>de</strong>rum ist allein schon durch gemeinsame Besuche<br />
<strong>de</strong>r Veranstaltungen <strong>de</strong>r Armanen gewährleistet. Dies betrifft im übrigen nicht nur<br />
germanisch ausgerichtete Gemeinschaften, son<strong>de</strong>rn reicht auch weiter ins Neuhei<strong>de</strong>ntum<br />
hinein...." (RAK 213)<br />
Abgesehen von seinen ausländischen Verbün<strong>de</strong>ten hat <strong>de</strong>r Or<strong>de</strong>n also in Deutschland <strong>die</strong><br />
Hegemonieposition innerhalb <strong>de</strong>r alten Hei<strong>de</strong>nszene inne, was, wie gesagt, seinem Anspruch<br />
entspricht (RAK 21).<br />
... Dieser Machtblock, getreu <strong>de</strong>m Anspruch <strong>de</strong>s "Armanenor<strong>de</strong>ns" ("1. Der "Armanenor<strong>de</strong>n"<br />
ist das gesamte Germanen- und Keltentum in seiner geistigen, seelischen und körperlichen<br />
Eigenart", RAK 21, nach: Leitbild und Aufbau <strong>de</strong>s Armanen-Or<strong>de</strong>ns, Ammerland o.J.) mit<br />
quasi totaler Macht in <strong>de</strong>r "Hei<strong>de</strong>nszene" ausgestattet, je<strong>doch</strong> aus Opportunitätsgrün<strong>de</strong>n<br />
verschleiert, hatte vor Gründung <strong>de</strong>s Rabenclans <strong>die</strong> Möglichkeit, fast alle naturreligiöse<br />
Aktivität in Deutschland zu beherrschen.<br />
... Der Verdacht liegt nahe, daß alle Oberhäupter <strong>de</strong>r "Hei<strong>de</strong>nszene" vor Gründung <strong>de</strong>s<br />
Rabenclans in Deutschland in irgend einer Weise ihren Kniefall vor <strong>de</strong>m "Armanenor<strong>de</strong>n"<br />
vollzogen.<br />
5 FUTURE Nr. 10<br />
22
...<br />
Die Freundlichkeit, <strong>die</strong> Angehörige <strong>de</strong>s Blocks an<strong>de</strong>ren Hei<strong>de</strong>n erweisen, solange <strong>die</strong>se nur<br />
nicht eine zu konsequent antifaschistische Haltung vertreten, ist ... Metho<strong>de</strong>.<br />
[Die] Standpunkte <strong>de</strong>s "Yggdrasil-Kreises" entsprechen ... zynischerweise genau <strong>de</strong>m status<br />
quo <strong>de</strong>r "Hei<strong>de</strong>nszene". All <strong>die</strong>s wur<strong>de</strong> nämlich vorher allgemeingültig vom "Armanenor<strong>de</strong>n"<br />
<strong>de</strong>finiert.<br />
...<br />
Wir haben gesehen, daß selbst Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s "Armanenor<strong>de</strong>ns" sich davor hüten, mit <strong>die</strong>sem<br />
in Verbindung gebracht zu wer<strong>de</strong>n, <strong>die</strong> institutionelle Macht, <strong>die</strong> ihnen ihre Verbindungen<br />
verschaffen, aber in vollen Zügen nutzen. Der schlechte Ruf <strong>de</strong>s "Armanenor<strong>de</strong>ns", <strong>de</strong>r <strong>die</strong>ses<br />
opportunistische Verhalten verursacht, ist aber harmlos im Vergleich zur Realität.<br />
"Man behauptet, <strong>die</strong> weiße Rasse sei <strong>die</strong> Älteste und stehe daher an <strong>de</strong>r Spitze <strong>de</strong>r<br />
Entwicklung. Dies be<strong>de</strong>utet auch, daß sie als erste <strong>die</strong> Aufgabe gehabt habe, <strong>de</strong>n Intellekt zu<br />
entwickeln, auf <strong>die</strong>sem Gebiet sei sie <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren überlegen..." (RAK 51);<br />
"Als naturgegebenen Einheiten gebühre <strong>de</strong>n Rassen daher ein ähnlicher Schutz wie <strong>de</strong>r<br />
Natur, ökologische und rassistische For<strong>de</strong>rungen wer<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>nselben Argumenten<br />
begrün<strong>de</strong>t: Gleichheit, Nivellierung und Vermischung in <strong>de</strong>r Natur und bei Menschen führten<br />
zum Verfall, weil das geistige Prinzip gestört wer<strong>de</strong>, heißt es in einem Leitbrief..." (RAK 51);<br />
"So vertritt Adolf Schleipfer unter an<strong>de</strong>rem <strong>die</strong> Theorie, daß <strong>die</strong> "nicht-arischen" Rassen - im<br />
Gegensatz zur "reinen arischen" - aus Kreuzungen von Gott-Menschen mit Tieren enstan<strong>de</strong>n<br />
seien..." (RAK 52);<br />
"Sie (<strong>die</strong> Hochschätzung <strong>de</strong>r Sexualität, Anm.d.Verf.) soll für rassereinen Nachwuchs sorgen,<br />
um wie<strong>de</strong>r "blutsverwandte Sippen im gleichrassigen Sinne" zu schaffen, <strong>die</strong> durch<br />
Rassenmischung und <strong>de</strong>n Einfluß frem<strong>de</strong>r Religion zerstört wor<strong>de</strong>n seien. Zu<strong>de</strong>m könne es<br />
<strong>de</strong>n Höhepunkt menschlichen Daseins, <strong>die</strong> "wuotanistische Schöpfungswonne" nur zwischen<br />
Partnern <strong>de</strong>r weißen Rasse geben, da Nächstenliebe, Harmonie und gleiche Schwingung nur<br />
unter Artgleichen möglich sei. Weiterhin wer<strong>de</strong>n <strong>die</strong> "Dunkelhaarigen unseres<br />
Volkes"beruhigt, sie brauchten sich nicht min<strong>de</strong>rwertig fühlen. Auch sie hätten helle Anteile,<br />
<strong>die</strong> "hochgezüchtet" wer<strong>de</strong>n könnten. Sie müßten nur untereinan<strong>de</strong>r heiraten und möglichst<br />
viele Kin<strong>de</strong>r bekommen. Unter <strong>die</strong>sen wären dann sicher einige helle. Nur dürfe ein dunkler<br />
Mann nicht seinem Drang nach einer blon<strong>de</strong>n Frau nachgeben. Sein Lohn sei eine hellere<br />
Inkarnation im nächsten Leben. Daß für <strong>die</strong> Aufnahme in <strong>de</strong>n Meistergrad ein Ahnennachweis<br />
erfor<strong>de</strong>rlich ist, wie er für <strong>die</strong> Mitgliedschaft in <strong>de</strong>r Guido-von List-Gesellschaft verlangt<br />
wird, folgt für <strong>die</strong> Armanen ebenfalls aus <strong>die</strong>sen I<strong>de</strong>en." (RAK 52).<br />
...<br />
Dies ist nur eine kleine, aber charakteristische Auswahl. Die Armanen<strong>de</strong>finition macht klar,<br />
wer, mit welcher I<strong>de</strong>ologie, welcher Zielsetzung und welchem Anspruch <strong>die</strong> <strong>de</strong>utsche<br />
Hei<strong>de</strong>nszene bislang dominiert hat.<br />
Daß <strong>die</strong>s nicht bekannt wer<strong>de</strong>n darf, versteht sich von selbst. Aus <strong>die</strong>sem Selbstverständnis<br />
heraus erklären sich aber nicht nur <strong>die</strong> Allmachtsansprüche in <strong>de</strong>r Hei<strong>de</strong>nszene, son<strong>de</strong>rn<br />
auch Strategien und Taktiken <strong>de</strong>s Armanenblocks. Hierzu gehören z.B.<br />
Unterwan<strong>de</strong>rungsversuche ... .<br />
So versuchte man Anfang <strong>de</strong>r 80er Jahre, <strong>de</strong>n Berliner Lan<strong>de</strong>sverband <strong>de</strong>r Grünen zu<br />
unterwan<strong>de</strong>rn, eine Aktion, an <strong>de</strong>r auch Geza von Nemenyi beteiligt war [...] sowie Mitglie<strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>s "Bun<strong>de</strong>s Heimattreuer Jugend" und an<strong>de</strong>rer ähnlich gesinnter Gruppen. Hierüber<br />
berichtete Der Spiegel Nr.2, 7.1.1985 (RAK 153).<br />
[Nachtrag 06.2002: <strong>de</strong>r Berichterstattung <strong>de</strong>s Spiegel, <strong>die</strong> von einem<br />
Unterwan<strong>de</strong>rungsversuch bei <strong>de</strong>n Grünen berichtete wird von Geza von Nehemyi vehement<br />
wi<strong>de</strong>rsprochen.]
Und, wie schon bekannt, erneut ein Hinweis auf <strong>die</strong> Bemühungen Nemenyis... Doch,<br />
unterstellte mensch Nemenyi keine unwahren Behauptungen, wie sieht es <strong>de</strong>nn in <strong>de</strong>r<br />
Germanischen Glaubensgemeinschaft aus, <strong>die</strong> von ihm gegrün<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>?<br />
>>"Man fragt sich dabei allerdings, was von Frem<strong>de</strong>n zu halten ist, <strong>die</strong> unseren Behör<strong>de</strong>n<br />
vorlügen, in ihrer Heimat verfolgt zu wer<strong>de</strong>n, und <strong>die</strong> dann <strong>die</strong> Entscheidung unseres Staates<br />
gesetzwidrig nicht befolgen. Wer so gegen unser Gemeinwesen han<strong>de</strong>lt, hat das moralische<br />
Recht verloren, von <strong>de</strong>r Gesellschaft Menschenrecht und Menschenwür<strong>de</strong> einfor<strong>de</strong>rn." 6<br />
"Bei <strong>de</strong>n Germanen war es erlaubt, ein neugeborenes Kind auszusetzen, wenn es z. B.<br />
verkrüppelt war o<strong>de</strong>r wenn <strong>die</strong> Familie keine Möglichkeit hatte, es aufzuziehen. Auch hier<br />
waren also menschliche Regeln im Einklang mit <strong>de</strong>m Instinkt. In <strong>de</strong>r Natur ist es so geregelt,<br />
daß das Kranke und Schwache untergeht. Das mag für <strong>de</strong>n christlich beeinflußten Menschen<br />
grausam klingen, aber es ist im Interesse <strong>de</strong>r Arterhaltung dringend notwendig. Wür<strong>de</strong> sich<br />
das Schwache weiter fortpflanzen, wür<strong>de</strong> <strong>die</strong> ganze Art immer schwächer und <strong>de</strong>ka<strong>de</strong>nter.<br />
Nur in einem gesun<strong>de</strong>n Körper kann auch ein gesun<strong>de</strong>r Geist sein. Lei<strong>de</strong>r wird <strong>die</strong>ses<br />
Naturgesetz heute ad absurdum geführt,(...)“ 7<br />
“ Sterbehilfe bzw. Euthanasie gelten als barbarisch. Schlimmer ist allerdings, daß auch<br />
<strong>de</strong>rart Kranken <strong>die</strong> Möglichkeit <strong>de</strong>r Fortpflanzung gegeben wird. Die zukünftigen<br />
Generationen wer<strong>de</strong>n sich über <strong>die</strong> vielen Erbkrankheiten bei uns bedanken. (...) Wenn wir<br />
also heutzutage von instinktlosen Neidigen umgeben sind, dann können wir vielfach gar nicht<br />
instinktiv han<strong>de</strong>ln. Wir machen uns strafbar, wenn wir z. B. ein krankes Neugeborenes<br />
aussetzen (...), weil <strong>die</strong> christliche Gesellschaft unsere natürlichen Instinkte bekämpft.“ 8<br />
“Statt instinktiv einen bewährten, starken Freier zu wählen, wählt heute manche Frau <strong>de</strong>n<br />
kranken, schwachen, und - noch schlimmer - setzt auch noch Kin<strong>de</strong>r von ihm in <strong>die</strong> Welt." 9<br />
"Um <strong>die</strong> fehlen<strong>de</strong>n Instinktmuster wie<strong>de</strong>rzufin<strong>de</strong>n, müssen wir dort suchen, wo Instinkt im<br />
großen Maße vorhan<strong>de</strong>n ist: Bei <strong>de</strong>n Tieren. Menschliches Verhalten ist also mit tierischem<br />
zu vergleichen und darauf abzustellen.“ 10
Geklaut aus: JUNGLE WORLD Nr. 25/2002 - 12. Juni 2002<br />
Ordnung, Sauberkeit, Disziplin<br />
Überall Anarchisten<br />
Die kommunistische Literatur über <strong>de</strong>n Spanischen Bürgerkrieg wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r Volksfronti<strong>de</strong>ologie<br />
verdorben. Es wimmelt nur so von <strong>de</strong>utsch-völkischen Stereotypen. Von Birgit Schmidt<br />
Anhand <strong>de</strong>r kommunistischen Spanienliteratur ist es leicht aufzuzeigen, wie schnell und nachhaltig <strong>de</strong>r<br />
als Feind in <strong>de</strong>n Mittelpunkt gerückte »Anarchist«, »Trotzkist«, »Defätist«, »Spion«, »Schädling«,<br />
»Provokateur«, und »Deserteur« mit <strong>de</strong>m Bild <strong>de</strong>s »Spaniers an sich« verschwamm, <strong>de</strong>ssen<br />
Darstellung zusehends <strong>de</strong>m Repertoire völkisch-rassistischer Stereotype entstammt.<br />
So war eine <strong>de</strong>r ersten Erfahrungen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> <strong>de</strong>utschen KPD-Intellektuellen in Spanien machten, <strong>die</strong><br />
Tatsache, dass man hier unter Disziplin etwas an<strong>de</strong>res verstand als <strong>de</strong>r preußisch sozialisierte,<br />
soldatische Deutsche. Militärische Disziplin wur<strong>de</strong> von vielen Spaniern als unvereinbar mit <strong>de</strong>n<br />
<strong>de</strong>mokratischen und emanzipatorischen Zielsetzungen <strong>de</strong>r Republik und als entwürdigend abgelehnt.<br />
An <strong>de</strong>r Frage <strong>de</strong>r militärischen und politischen Disziplin entzün<strong>de</strong>ten sich <strong>die</strong> Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen<br />
zwischen <strong>de</strong>r traditionell starken anarchistischen und syndikalistischen Bewegung und <strong>de</strong>n<br />
organisierten Kommunisten. Und nicht alle Spanier kämpften freiwillig; nicht alle waren bereit, unter<br />
allen Umstän<strong>de</strong>n ihr Leben zu opfern.<br />
Walter Janka berichtet von <strong>de</strong>n Problemen, <strong>die</strong> er als Kommandant einer spanischen Einheit mit <strong>de</strong>r<br />
Bevölkerung hatte, <strong>de</strong>r er ja vorgeblich zu Hilfe geeilt war: »Mit welchen Konflikten ich fertig wer<strong>de</strong>n<br />
musste, <strong>de</strong>monstriert ein Beispiel aus <strong>de</strong>m Frühjahr 1938. Zur Auffüllung <strong>de</strong>r Verluste bei Teruel<br />
sollte ich in Barcelona eine Kompanie Anarchisten übernehmen. Die jungen Soldaten weigerten sich,<br />
in <strong>die</strong> 27. Division einzutreten. Unter einem ausländischen Kommunisten wollten sie schon gar nicht<br />
in <strong>de</strong>n Krieg ziehen. Sie seien keine Kommunisten. Und sie wüssten, was ihnen in <strong>de</strong>r 27.<br />
bevorstün<strong>de</strong>. Nach ein paar Wochen wären <strong>die</strong> meisten von ihnen nicht mehr am Leben.« (1)<br />
Ihre Einschätzung <strong>de</strong>r Lage war durchaus richtig; <strong>doch</strong> nicht Janka muss von jenen lernen, <strong>de</strong>nen er<br />
sich angeblich zur Verfügung gestellt hatte, seine Perspektive war <strong>die</strong> gegenteilige. Er verlangte, dass<br />
»sie« (<strong>die</strong> Spanier) »mit uns« (also <strong>de</strong>n Deutschen) auch ausweglose Schlachten führen, und griff<br />
zu<strong>de</strong>m auf eine wenig fortschrittliche Argumentation zurück: »Wir erwarten, dass ihr mit uns gegen<br />
<strong>die</strong> Faschisten kämpft. Nicht wartet, bis <strong>die</strong> Legionäre nach Barcelona kommen, über eure Mädchen<br />
herfallen. Den Streit, wie es nach Franco weitergehen soll, müssen wir zurückstellen. Bis das Volk in<br />
freier Wahl über sein Schicksal entschei<strong>de</strong>n kann.« (2)<br />
Janka, <strong>de</strong>r hier von einer »Kompanie Anarchisten« spricht, relativiert <strong>die</strong>se Bezeichnung gleich wie<strong>de</strong>r<br />
selbst: »Die Hitzköpfe, <strong>die</strong> sich als Anarchisten verstan<strong>de</strong>n, in Wahrheit eigentlich ke ine waren, nur<br />
nicht wussten, wie sie mit <strong>de</strong>n Theorien ihrer Führer fertig wer<strong>de</strong>n sollten, schwiegen sich plötzlich<br />
aus.« (3)<br />
Walter Janka selbst macht hier <strong>de</strong>utlich, wie schnell <strong>die</strong> politische Bezeichnung Anarchist von<br />
Kommunisten für jene herangezogen wur<strong>de</strong>, <strong>die</strong> sich nicht leicht disziplinieren und zu aussichtslosen<br />
Schlachten motivieren ließen.<br />
Die politische Bezeichnung Anarchist wur<strong>de</strong> auf alle übertragen, <strong>die</strong> sich nicht ohne Weiteres <strong>de</strong>m<br />
Befehl <strong>de</strong>r KPD unterordnen wollten, nicht in auswegloser militärischer Lage zu einem Kampf auf<br />
Leben o<strong>de</strong>r Tod bereit waren.<br />
Preußen an <strong>die</strong> Front<br />
Die spanische Art <strong>de</strong>r Kriegsführung war eine an<strong>de</strong>re als <strong>die</strong> preußisch-<strong>de</strong>utsche. Freiwillige<br />
Milizionäre verstan<strong>de</strong>n unter Freiwilligkeit, hin und wie<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Front zu verlassen, um ihre Familien<br />
zu besuchen; Frauen - sofern sie nicht selbst kämpften - kamen in <strong>die</strong> Schützengräben und brachten<br />
ihren Männern das Essen. Der <strong>de</strong>utsche disziplinierte Kommunist war entsetzt: »Ich erregte mich<br />
immer mehr. Es ist für mich fast unerträglich, <strong>die</strong>se Kriegsführung hier zu sehen und nichts tun zu<br />
können.« (4) So wirkte <strong>de</strong>r Spanische Bürgerkrieg auf <strong>de</strong>n ehemaligen Offizier und<br />
Sicherheitspolizisten Ludwig Renn. Zu <strong>die</strong>sem <strong>Zeit</strong>punkt hatte er noch keine Befehlsgewalt, <strong>die</strong> es<br />
ihm erlaubt hätte, einzugreifen und spanische Truppen nach seinen Vorstellungen zu formieren.<br />
Die Veröffentlichung seines autobiografischen Berichts »Im Spanischen Krieg« wur<strong>de</strong> vom<br />
Aufbau Verlag immer wie<strong>de</strong>r verzögert, wie <strong>de</strong>r damalige Verlagsleiter Janka in seinen<br />
25
Memoiren bestätigt. Bei <strong>de</strong>r letztlich veröffentlichten, überarbeiteten Fassung han<strong>de</strong>lt es sich<br />
um eine extrem zensierte Version. (5) In <strong>de</strong>r Grundstruktur, das heißt in <strong>de</strong>r Sicht <strong>de</strong>s<br />
preußisch sozialisierten sächsischen A<strong>de</strong>ligen auf <strong>die</strong> spanische »Art <strong>de</strong>r Kriegsführung«<br />
stimmt »Im Spanischen Krieg« je<strong>doch</strong> auch mit <strong>de</strong>r übrigen Spanienliteratur überein, <strong>de</strong>ren<br />
Produzenten sich in <strong>de</strong>r DDR weniger Wi<strong>de</strong>rstän<strong>de</strong>n ausgesetzt sahen als Renn. Denn alle<br />
KPD-Schriftsteller folgten beim Schreiben ihres »autobiografischen Romans« <strong>de</strong>mselben<br />
Grundschema.<br />
Zuallererst wird <strong>die</strong> Min<strong>de</strong>rwertigkeit <strong>de</strong>r spanischen Bevölkerung in Disziplin- und/o<strong>de</strong>r<br />
Hygienefragen konstatiert. Walter Janka beginnt das Spanienkapitel seiner Autobiografie sogar mit <strong>de</strong>r<br />
eingehen<strong>de</strong>n Darstellung verschmutzter Toile tten und Ba<strong>de</strong>zimmer, <strong>de</strong>ren er sich sofort angenommen<br />
haben will: »Gegen Mitternacht waren <strong>die</strong> Latrinen ausgehoben. Zum Morgenappell lautete <strong>de</strong>r erste<br />
Befehl: 'Stillgestan<strong>de</strong>n! Ab sofort wird je<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Latrinen benutzen. Verstan<strong>de</strong>n! Das Gewehr über!<br />
Rechts um! Im Gleichschritt marsch!' Mir waren Befehle, Kommandos und Gleichschritt recht. Der<br />
energische Unteroffizier gefiel mir. Ohne Ordnung geht nichts. Schon gar nicht, wenn es ernst wird.«<br />
(6)<br />
Janka kommt übergangslos von verschmutzten Toiletten und Latrinen zu Ordnung, Kommando und<br />
Gleichschritt; Ludwig Renn wur<strong>de</strong> angeblich noch in <strong>de</strong>r Schweiz - von einem jungen Schweizer - um<br />
<strong>die</strong> Disziplinierung <strong>de</strong>r spanischen Bevölkerung ersucht, und das ist <strong>de</strong>r zweite Schritt <strong>de</strong>s<br />
Grundmusters: »Wir haben natürlich Disziplin. Aber wir, und noch mehr das spanische Volk, müssen<br />
<strong>de</strong>n mo<strong>de</strong>rnen Krieg erst lernen.« (7)<br />
In Spanien schicken <strong>die</strong> <strong>die</strong>sbezüglich Unterentwickelten angeblich selbst eine Abordnung zu Renn,<br />
<strong>de</strong>r mittlerweile Kommandant <strong>de</strong>s Thälmann-Bataillons ist, um <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen Offizier um richtigen<br />
militärischen Schliff nach preußischem Vorbild zu bitten: »'Ihr habt also', fragte ich belustigt, 'eine Art<br />
Meuterei gemacht, um endlich mal nach preußischem Muster geschliffen zu wer<strong>de</strong>n? Das ist<br />
allerdings das Son<strong>de</strong>rbarste, was ich je gehört habe. Aber es ist gut! ...'« (8)<br />
Doch <strong>die</strong> Anzahl <strong>de</strong>rer, <strong>die</strong> uneinsichtig waren und nicht um Subordination baten, war offensichtlich<br />
größer. Renn reiste nur unter Ängsten; hier gab es Straßenkontrollen: »Auf <strong>de</strong>n Vor<strong>de</strong>rsitzen war es<br />
besser, aber neben <strong>de</strong>m Fahrer saß ein Begleitmann mit Gewehr, <strong>de</strong>nn <strong>die</strong> Straße nach Madrid galt für<br />
unsicher. An manchen Stellen geschah <strong>die</strong> Kontrolle <strong>de</strong>r Wagen durch Anarchisten, bei <strong>de</strong>nen sich<br />
allerhand unsauberes Volk eingeschlichen hatte, zum Teil sogar angeblich Faschisten.« (9)<br />
Renn sah sich, will man seinem Bericht bzw. <strong>de</strong>m, was von ihm übrig blieb, Glauben schenken,<br />
allerorten umzingelt von »allerhand unsauberem Volk«, »Schädlingen«, »Spionagenestern«,<br />
»Agenten«, »Mitglie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Fünften Kolonne«, »suspekten o<strong>de</strong>r verdächtigen Elementen«,<br />
»Anarchisten« und eben »Trotzkisten«: »Diese Leute konnten Trotzkisten und an<strong>de</strong>re verdächtige<br />
Elemente in <strong>die</strong> Briga<strong>de</strong> schicken, um unsere Kampfkraft zu schwächen ...« (10)<br />
Reale Schlachtbeschreibungen sind in »Im Spanischen Krieg« eher selten. Das ist untypisch für Renn,<br />
vergleicht man seinen Spanienbericht mit <strong>de</strong>n Schil<strong>de</strong>rungen über seine Erlebnisse im Ersten<br />
Weltkrieg.<br />
Er konzentriert sich hingegen auf <strong>die</strong> Darstellung von Ansprachen und <strong>die</strong> Erziehung »seiner<br />
Milizionäre«. Renn beschreibt wie<strong>de</strong>r einmal vor allem sich selbst und wie er erziehend,<br />
disziplinierend und formierend auf eine spanisch-unterentwickelte Masse einwirkt. Und bald entzog<br />
sich <strong>de</strong>r Komman<strong>de</strong>ur <strong>de</strong>s Thälmann-Bataillons und <strong>de</strong>s Stabes <strong>de</strong>r 11. Internationalen Briga<strong>de</strong> <strong>de</strong>m<br />
Kriegsgeschehen, in<strong>de</strong>m er sich 1937 auf eine monatelange Vortragsreise durch <strong>die</strong> USA, Kanada und<br />
Kuba begab, um für <strong>de</strong>n antifaschistischen Kampf in Spanien zu werben. Nach seiner Rückkehr nahm<br />
er seinen militärischen Posten nicht wie<strong>de</strong>r ein, son<strong>de</strong>rn widmete sich in einer Offiziersschule <strong>de</strong>r<br />
Erziehung »junger, frischer und einfacher Menschen«, (11) bis auch er nach <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rlage <strong>de</strong>r<br />
Republik <strong>de</strong>n Rückzug über <strong>die</strong> Pyrenäen antreten musste.<br />
Ein noch hässlicheres Bild <strong>de</strong>r spanische Masse zeichnete Eduard Schmidt unter seinem<br />
Künstlernamen Eduard Claudius in seinem Roman »Grüne Oliven und nackte Berge«.<br />
Claudius, 1911 in Gelsenkirchen geboren, war <strong>de</strong>r KPD 1932 beigetreten und nach seiner Ankunft in<br />
Spanien Kriegskommissar <strong>de</strong>s Edgar-André-Bataillons gewor<strong>de</strong>n, er hatte also alle Befugnisse. Er<br />
kämpfte bis zur Kriegsuntauglichkeit und musste nach Frankreich zurück, von dort überschritt er <strong>die</strong><br />
Grenze zur Schweiz, wur<strong>de</strong> verhaftet, je<strong>doch</strong> auf Intervention von Hermann Hesse nicht an Nazi-<br />
Deutschland ausgeliefert. Während seiner Internierung schrieb er »Grüne Oliven und Nackte Berge«.<br />
Der autobiografische Roman erschien bereits 1945 im Steinberg Verlag Zürich. (12)<br />
26
Rumlungern am Kai<br />
Aus <strong>de</strong>m Blickwinkel <strong>de</strong>s 25jährigen Jak Roh<strong>de</strong> beschreibt Claudius darin <strong>die</strong> Ankunft einer Gruppe<br />
von Interbrigadisten, <strong>die</strong> von einer jubeln<strong>de</strong>n Menschenmenge im Hafen von Valencia begrüßt wird.<br />
Alter ego ist sein enger Freund Albert Kühne, hinter <strong>de</strong>n Jak Roh<strong>de</strong> immer wie<strong>de</strong>r bewun<strong>de</strong>rnd<br />
zurücktritt: »'Mer<strong>de</strong> verfluchte!' schrie Albert erbost, aber seine Lippen waren weiß; er grub seine<br />
Zähne hinein, als müsse er das Zittern verhin<strong>de</strong>rn, 'sie sollen arbeiten, zehn Stun<strong>de</strong>n am Tag, und<br />
wenn es nicht an<strong>de</strong>rs geht, zwölf, <strong>de</strong>nn wir wer<strong>de</strong>n jetzt Munition und zu fressen brauchen, aber nicht<br />
hier herumlungern.'« (13)<br />
Bereits an <strong>de</strong>n Kaimauern von Valencia macht <strong>die</strong> spanische Bevölkerung also einen schlechten<br />
Eindruck; sie lungert hier herum statt zu arbeiten und sie wun<strong>de</strong>rt sich darüber, dass unter <strong>de</strong>n<br />
Deutschen keine Frauen sind. Jak Roh<strong>de</strong> hat bereits davon gehört, dass spanische Soldaten <strong>die</strong> Front<br />
verlassen, um <strong>die</strong> Nacht bei ihren Familien zu verbringen. Bis jetzt hat er <strong>die</strong>s für eine böswillige<br />
Verleumdung gehalten. Doch nach einem zweiten Blick auf <strong>die</strong> Gastgeber kommt auch er zu <strong>de</strong>m<br />
Schluss: Die Spanier sind undiszipliniert und unsauber. »Die drei Sektionsführer sind Spanier. Chato,<br />
ein Andalusier mit <strong>de</strong>m heftigen Gebaren und <strong>de</strong>m undisziplinierten Wesen eines Zigeuners, ein<br />
schwarzer Wuschelkopf, ewig ungekämmt, führt <strong>die</strong> erste Sektion. José Fernan<strong>de</strong>z, ein<br />
breitgesichtiger, andalusischer Landarbeiter, <strong>de</strong>r nur sein Gewehr und sonst nichts sauber hält, <strong>die</strong><br />
zweite Sektion.« (14)<br />
Zum üblichen Vorwurf <strong>de</strong>r Unhygiene und <strong>de</strong>r Undiszipliniertheit, gesellt sich <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Feigheit -<br />
gegenüber <strong>de</strong>n Anarchisten: »'Warum rennen <strong>die</strong> wie <strong>die</strong> Hasen?' schreit Albert und fuchtelt böse mit<br />
<strong>de</strong>m Gewehr in <strong>de</strong>r Luft. 'Natürlich, es sind <strong>die</strong>se verfluchten, dreimal beschissenen Anarchisten aus<br />
<strong>de</strong>r FAI.'« (15)<br />
Doch wie bei <strong>de</strong>n Schil<strong>de</strong>rungen von Renn und Janka stellt sich auch hier <strong>die</strong> Frage: Wo hört <strong>de</strong>r<br />
ungekämmte Andalusier auf, und wo beginnt <strong>de</strong>r verfluchte Anarchist? Auch für Claudius, <strong>de</strong>r irritiert<br />
und voller Ablehnung auf <strong>die</strong> frem<strong>de</strong> Umgebung reagiert, kann keine klare Trennungslinie existieren.<br />
Auch er führt einen jungen Spanier, Juan, in <strong>die</strong> Handlung ein, <strong>de</strong>r <strong>die</strong> <strong>de</strong>utsche Art <strong>de</strong>r Kriegsführung<br />
- frauenlos, diszipliniert und formiert - von <strong>de</strong>n Deutschen lernen möchte. <strong>Wie</strong> spanische Milizionäre<br />
angeblich eine Abordnung zu Ludwig Renn schickten, weil sie nach preußischem Muster diszipliniert<br />
wer<strong>de</strong>n wollten, unterwirft sich Juan <strong>de</strong>n Deutschen und distanziert sich von seinen Landsleuten.<br />
Angeblich stört ihn an <strong>de</strong>n Seinigen: »(...) das Zerfahrene und Unorganisierte, man kann sogar sagen,<br />
das Zivile unserer Kriegsführung«. (16)<br />
Juan erklärt sich <strong>de</strong>m Politkommissar näher: »Disziplin ist für manche Teile unseres Volkes etwas<br />
Beleidigen<strong>de</strong>s, etwas, das sie bedrückt. Man weiß von euch Deutschen, dass ihr sie habt. Man hasst<br />
euch dafür, und man nei<strong>de</strong>t sie euch.« (17) Nach <strong>die</strong>ser Erklärung wird Juan akzeptiert und in <strong>die</strong><br />
Reihen <strong>de</strong>r Deutschen aufgenommen.<br />
In Walter Gorrishs (das ist Walter Kaiser) Roman »Um Spaniens Freiheit« gibt es ebenfalls einen<br />
jungen Spanier, Pablo, <strong>de</strong>r sich freudig <strong>de</strong>r Disziplinierung durch <strong>die</strong> Internationalen Briga<strong>de</strong>n und <strong>die</strong><br />
UdSSR unterwirft. Am Anfang - Gorrish schil<strong>de</strong>rt <strong>die</strong> Erziehung <strong>de</strong>s gesamten spanischen Volkes<br />
anhand <strong>de</strong>r Entwicklung Pablos - steht <strong>die</strong> anarchistische, individuelle Aktion. Pablo hat einen vom<br />
Gran<strong>de</strong>n gedungenen Söldner erschossen, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Bauern das Wasser stahl. Auch Pablos Bewusstsein<br />
ist auf <strong>die</strong>ser Stufe noch unterentwickelt: »Pablo schwieg. Er hatte seine eigenen Gedanken über<br />
Disziplin. Sie erschien ihm entwürdigend und gut für Schwächlinge, <strong>die</strong> nicht wussten, was sie<br />
wollten.« (18)<br />
Die soziale Revolution <strong>de</strong>r Bauern - <strong>de</strong>r Schuss Pablos auf <strong>de</strong>n Söldner hatte das Startsignal zur<br />
Vertreibung <strong>de</strong>s Gran<strong>de</strong>n gegeben - bedarf nach Gorrish ihrer Organisierung und Soldatwerdung,<br />
<strong>de</strong>ren erste Stufe von Arbeitern vorangetrieben wird, <strong>die</strong> aus <strong>de</strong>r Stadt angereist sind. Das Proletariat<br />
muss in einem kommunistischen Roman als Avantgar<strong>de</strong> fungieren. Die bewussten Arbeiter stoßen auf<br />
<strong>die</strong> Anarchie <strong>de</strong>r rückständigen Landbevölkerung. Während <strong>die</strong> Erwachsenen vom Kommunisten Taga<br />
angeleitet wer<strong>de</strong>n, wird Pablos politische Entwicklung durch <strong>die</strong> Jungkommunistin Magdalena in<br />
Gang gesetzt. Auf <strong>de</strong>n ersten Blick sieht es so aus, als habe Gorrish ein weiteres Schema <strong>de</strong>s<br />
kommunistischen Spanienromans, das <strong>die</strong> Frau auf <strong>die</strong> Rolle <strong>de</strong>r mütterlichen Krankenschwester und<br />
<strong>de</strong>s Opfers o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Verräterin reduziert, bewusst durchbrochen. Aber auch Magdalena, in <strong>die</strong> Pablo<br />
sich verliebt, wird bald von <strong>de</strong>r Instrukteurin zur Krankenschwester herabgestuft, dann von <strong>de</strong>utschen<br />
Bomben zerfetzt. Pablo wird sich daraufhin unbelastet von emotionalen Bindungen <strong>de</strong>m Krieg<br />
widmen können: Magdalena vermittelt <strong>de</strong>n Jugendlichen <strong>de</strong>s Dorfes zuallererst einen<br />
27
Vaterlandsbegriff, <strong>de</strong>r in ihren bisherigen Diskussionen keine Rolle gespielt hat. Die Bauern<br />
überwin<strong>de</strong>n <strong>die</strong> Anarchie, nach<strong>de</strong>m Magdalena ihnen erklärt hat: »Ihr seht, dass Franco ein Volksfeind<br />
ist, ein Feind unseres Vaterlan<strong>de</strong>s.« (19)<br />
Schädlinge am Volkskörper<br />
Die Nation wird von Gorrish mit einem Körper verglichen, <strong>de</strong>n <strong>die</strong> »fünfte Kolonne« (20),<br />
Anarchisten, Deserteure und Feiglinge schädigen, <strong>die</strong> wie<strong>de</strong>rum Krankheitserregern gleichgesetzt<br />
wer<strong>de</strong>n, und <strong>die</strong> <strong>die</strong> Bauern bisher als Fein<strong>de</strong> nicht wahrgenommen haben. Zu Beginn <strong>de</strong>r Handlung<br />
dürfen <strong>die</strong> »Schädlinge« noch einfach davongehen, wenn man sie enttarnt hat: »Zu Pablos<br />
Enttäuschung war Jugo darüber gut aufgelegt. Er lachte sogar und sagte, <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n nachblickend:<br />
'Die Fronten klären sich.' Pablo war verwirrt. <strong>Wie</strong> konnte es weitergehen, wenn jetzt schon zwei Mann<br />
<strong>die</strong> Hun<strong>de</strong>rtschaft verließen? 'Mach nicht so ein tristes Gesicht', wandte sich Jugo an <strong>de</strong>n Jungen. 'Man<br />
soll einer Krankheit, <strong>die</strong> <strong>de</strong>n Körper verlässt, nicht nachtrauern.'« (21)<br />
Nach Magdalenas Tod ist Pablos Glauben an <strong>die</strong> <strong>de</strong>utsche Kulturnation erschüttert, <strong>doch</strong> schon trifft er<br />
auf <strong>de</strong>n Interbrigadisten Edgar Lange: »Auch er war geschickt von <strong>de</strong>m Rest jener, <strong>die</strong> geschworen<br />
hatten, Deutschland vor <strong>de</strong>r endgültigen Verachtung <strong>de</strong>r Völker zu retten.« (22)<br />
Edgar, <strong>de</strong>r als Philosophiestu<strong>de</strong>nt seinerseits das Marschieren erst hatte lernen müssen, repräsentiert<br />
das Deutschland <strong>de</strong>r Dichter und Denker, daher schil<strong>de</strong>rt ihn Gorrish nicht mit <strong>de</strong>m im Spanienroman<br />
so häufigen Intellektuellenhass. Der »begeisterte Deutsche« (23) zieht Pablo in seinen Bann, und <strong>de</strong>r<br />
junge Spanier, <strong>de</strong>r <strong>die</strong> Deutschen wegen <strong>de</strong>r Ermordung Magdalenas bisher gehasst hat, gibt seine<br />
Feindschaft nicht nur auf, er ist bald von <strong>de</strong>n Deutschen begeistert.<br />
Edgar opfert sich für eine strategisch wichtige Brücke, nach<strong>de</strong>m er seine Mission erfüllt hat, <strong>de</strong>n<br />
ehemaligen Anarchisten für das Deutschtum zu begeistern und <strong>de</strong>n anarchistischen Bauernjungen<br />
somit zu einem disziplinierten Kommunisten gemacht hat. Für Pablo selbst folgt bald <strong>de</strong>r letzte<br />
Schritt, er wird zu einer Ingenieursausbildung nach Moskau berufen.<br />
Gorrish kann in <strong>de</strong>r Handlung seines Romans nicht erwähnen, dass <strong>de</strong>r Krieg verloren ist. Da er <strong>de</strong>n<br />
Prozess <strong>de</strong>r Disziplinierung <strong>de</strong>s spanischen Volkes durch Deutsche als erfolgreichen und in sich<br />
geschlossenen Prozess dargestellt hat, bleibt ihm für <strong>die</strong> in <strong>de</strong>r Spanienliteratur ansonsten aufgestellte<br />
Behauptung eines Dolchstoßes durch Anarchisten nie mand, <strong>de</strong>n er <strong>de</strong>s Verrats bezichtigen könnte.<br />
Nur Willi Bre<strong>de</strong>ls autobiografischer Roman »Begegnung am Ebro« weicht geringfügig vom<br />
vorgegebenen Muster ab. Man merkt, dass Bre<strong>de</strong>l <strong>de</strong>r spanischen Bevölkerung mit mehr Sympathie<br />
gegenüberstand, sie aber auch fürchtete, und sich selbst streckenweise als Eindringling empfand. Nicht<br />
alle <strong>de</strong>utschen Genossen beobachtete er wohlwollend. Nichts<strong>de</strong>stotrotz hat er mit »Begegnung am<br />
Ebro« <strong>die</strong> gefor<strong>de</strong>rte Anpassungsleistung erbracht. Sein spanischer Protagonist, <strong>de</strong>r Andalusier und<br />
ehemalige Anarchist Pedro, <strong>de</strong>m man lange voller Misstrauen gegenübersteht, bittet nicht explizit um<br />
Disziplinierung durch <strong>die</strong> Deutschen. Aber Pedro nimmt durch <strong>de</strong>n Umgang mit <strong>de</strong>n Deutschen ihr<br />
Wesen an. Aus <strong>de</strong>m »hitzköpfigen Andalusier«, <strong>de</strong>r sich zu <strong>de</strong>n Anarchisten bekannte, wird unter <strong>de</strong>m<br />
Einfluss <strong>de</strong>s erzählen<strong>de</strong>n Politkommissars Bre<strong>de</strong>l gar eine an<strong>de</strong>re Persönlichkeit: »Merkwürdig<br />
verän<strong>de</strong>rt hatte sich <strong>de</strong>r hitzige Andalusier; Ruhe und Sicherheit gingen von ihm aus.« (24)<br />
Als Verräter entpuppt sich hingegen ein <strong>de</strong>utscher Brigadist, Herbert Tissen; er bezeichnete <strong>die</strong><br />
Spanier als naiv, da sie gemeinsam mit <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen Kommunisten kämpfen, statt sich <strong>de</strong>r Gefahr<br />
bewusst zu sein, <strong>die</strong> von ihnen für sie ausgeht. Damit weicht Bre<strong>de</strong>l vom Grundschema ab.<br />
Bre<strong>de</strong>l war 1937 direkt aus Moskau an <strong>die</strong> Front in Spanien geeilt; sein jüngster<br />
Erfahrungshintergrund war somit ein an<strong>de</strong>rer als <strong>de</strong>r von Renn, Janka, Claudius o<strong>de</strong>r Uhse, <strong>die</strong> sich in<br />
westlichen Exillän<strong>de</strong>rn aufgehalten hatten und <strong>de</strong>nen <strong>die</strong> »Säuberungen« wenig mehr als ein kaum<br />
glaubliches Gerücht waren, mit <strong>de</strong>m sie sich nicht auseinan<strong>de</strong>r setzten. Bre<strong>de</strong>l hatte sich <strong>de</strong>n in<br />
Moskau gefor<strong>de</strong>rten Unterwerfungsritualen gebeugt; er glaubte daran, dass es »Schädlinge« und<br />
»Spione« in <strong>de</strong>n eigenen Reihen gebe (25), aber er hatte auf Verhaftungen ihm persönlich Bekannter<br />
auch irritiert bis bestürzt reagiert, teilweise zu helfen versucht. Ich erkläre mir <strong>die</strong> »überhöhte<br />
Wachsamkeit«, <strong>die</strong> Bre<strong>de</strong>l in »Begegnung am Ebro« insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>n eigenen Reihen gegenüber<br />
einfor<strong>de</strong>rt, als literarisch umgesetzte »Erfahrung« seines Aufenthaltes in Moskau. Eine vorschnelle<br />
Verurteilung <strong>de</strong>r Spanier hielt er offensichtlich für einen Fehler, und so beweist Pedro im Roman seine<br />
Loyalität, in<strong>de</strong>m er Tissen bei <strong>de</strong>r Briga<strong>de</strong>leitung <strong>de</strong>nunziert. Ausnahmsweise muss ein <strong>de</strong>utsches<br />
schädliches Element liqui<strong>die</strong>rt wer<strong>de</strong>n.<br />
Doch ansonsten zieht sich <strong>de</strong>r Gegensatz zwischen <strong>de</strong>utschen Brigadisten und spanischer Bevölkerung<br />
- auch hier existiert keine Trennungslinie zum Anarchismus - gleichermaßen durch »Begegnung am<br />
28
Ebro«. Er wird bereits auf <strong>de</strong>n ersten Seiten entwickelt. Während <strong>die</strong> Deutschen auf ihr<br />
Erscheinungsbild und feste Formationen achten (»Wir können <strong>doch</strong> nicht wie Zigeuner durch <strong>die</strong> Stadt<br />
latschen!« (26)) sind <strong>die</strong> Spanier ungeübt im Marschieren und »kriechen dahin wie Lahme«. Alles<br />
müssen sie erst lernen. Der <strong>de</strong>utsche Kommandant war kurz zuvor noch in Madrid; dort sah er überall<br />
Verletzte, Männer mit Armschlingen, bei <strong>de</strong>nen es sich aus <strong>de</strong>utscher Sicht nur um Anarchisten<br />
han<strong>de</strong>ln konnte: »'Ich hab Dutzen<strong>de</strong> mit Armverletzungen gesehen. <strong>Wie</strong>so hatten alle<br />
Armverletzungen? Je<strong>de</strong>nfalls ist es <strong>die</strong> bequemste von allen Verwundungen, man kann sie<br />
spazierenführen.' 'Die Durrutileute sollen <strong>doch</strong> tapfer gekämpft haben?' 'Sicherlich. Nur unausstehlich<br />
eitel und theatralisch sind sie. Mir kommt manchmal ganz Spanien wie eine riesige Stierkampfarena<br />
vor; alle spielen mit bei <strong>de</strong>r Hetz, sowohl <strong>die</strong> auf <strong>de</strong>r Schattenseite wie <strong>die</strong> auf <strong>de</strong>r Sonnenseite.'« (27)<br />
Es wäre müßig, weitere Beispiele aufzuführen. Das Schema <strong>de</strong>s kommunistischen Spanienromans mit<br />
autobiografischem Hintergrund, <strong>de</strong>r persönliche Erlebnisse nationalen Interessen entsprechend<br />
kanalisiert, ist <strong>de</strong>utlich.<br />
Diversanten und Agenten<br />
Über einen weiteren Spanienroman, »Die Söhne <strong>de</strong>s Tschapajew« von Hanns Maaßen, <strong>de</strong>r in <strong>die</strong>se<br />
Auflistung gehört, schrieb Alfred Kantorowicz nach seiner Übersiedlung in <strong>die</strong> BRD 1957: »Der<br />
Autor tat alles, was höheren Ortes von ihm erwartet wur<strong>de</strong>, vielleicht sogar ein wenig mehr. <strong>Wie</strong> das<br />
vorgeschnittene Klischee von <strong>de</strong>r revolutionären Wachsamkeit gebie tet, ist seine Kolportage von<br />
'Verrätern', 'Spionen', 'Diversanten', 'Agenten' übervölkert. Spanische Soldaten, <strong>die</strong> <strong>de</strong>r in Spanien<br />
traditionsreichen anarchistischen Bewegung angehörten, wer<strong>de</strong>n im Jargon <strong>de</strong>r Nationalsozialisten als<br />
'lausiges Pack' und 'Sauhaufen' gekennzeichnet; auch gelten sie - wahrheitswidrig! - als 'unzuverlässig,<br />
feige und hinterhältig'. In <strong>die</strong> gleiche Kategorie verweist unser 'positiver Held' <strong>die</strong> Intellektuellen, <strong>die</strong><br />
als Freiwillige in Spanien gekämpft haben.« (28)<br />
Alfred Kantorowicz vermutet <strong>die</strong> Ursachen für <strong>die</strong> geschichtsfälschen<strong>de</strong>n politischen und/o<strong>de</strong>r<br />
literarischen Aussagen <strong>de</strong>r ehemaligen Spanienkämpfer in »Gleichschaltung« und »pervertierter<br />
revolutionärer Wachsamkeit«. Er suchte <strong>die</strong> Grün<strong>de</strong> in einer möglichen sozialistischen<br />
Fehlentwicklung und muss so übersehen, dass <strong>die</strong> erbitterte Ablehnung <strong>de</strong>s spanischen Anarchisten<br />
weniger auf politischen Divergenzen, son<strong>de</strong>rn auf emotionalen bzw. nationalistischen beruhte.<br />
Er übersieht auch, dass <strong>die</strong> spanische Bevölkerung von <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen Kommunisten generell mit<br />
Attributen belegt wird, <strong>die</strong> man unter <strong>de</strong>m Oberbegriff »anarchistisch« subsumierte.<br />
Deutsche Interbrigadisten schlossen sich <strong>de</strong>r spanischen Bevölkerung in ihrem Kampf gegen <strong>die</strong><br />
Generäle nicht auf einer Ebene von Solidarität und Akzeptanz an. Sie traten ihr aus einer vermeintlich<br />
überlegenen Position gegenüber. Deutsche empfan<strong>de</strong>n sich als disziplinierter, hygienischer, mutiger<br />
und männlicher. Daraus leiteten sie das Recht ab, <strong>die</strong> abzustrafen, <strong>die</strong> mit ihren preußisch-soldatischen<br />
Werten kolli<strong>die</strong>rten. Diese Auffassung wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r Germanistik und Geschichtsschreibung <strong>de</strong>r<br />
DDR aufrechterhalten: »Auch Erfahrung fehlt, militärische Disziplin kennt man nicht, weil sie <strong>de</strong>m<br />
spanischen Volk seit altersher als etwas Bedrücken<strong>de</strong>s, ja Beleidigen<strong>de</strong>s gilt. (...) Es kommt vereinzelt<br />
zu Fällen von Feigheit vor <strong>de</strong>m Feind. Anarchistische Aufwiegler, Legionäre, Landsknechte sind unter<br />
<strong>de</strong>nen, <strong>die</strong> mutig <strong>die</strong> Republik verteidigen wollen. Mit ihnen muss abgerechnet wer<strong>de</strong>n.« (29)<br />
So rechtfertigt <strong>de</strong>r DDR-Verlag Volk und Wissen noch 1961 <strong>de</strong>utsch-militärisches Vorgehen in einem<br />
Land, das kriegsbedingt auf nationale Souveränität und eigene Gerichtsbarkeit verzichtet hatte. Dass<br />
nicht nur mit <strong>de</strong>nen »abgerechnet« wur<strong>de</strong>, <strong>die</strong> hier unter <strong>de</strong>n Begriffen »Legionäre«, »Landsknechte«<br />
und »anarchistische Aufwiegler« qualifiziert wer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn dass das Bild <strong>de</strong>r Bevölkerung mit <strong>de</strong>m<br />
<strong>de</strong>s »anarchistischen Aufwieglers« verschwimmt, habe ich an <strong>de</strong>n Denkmustern <strong>de</strong>r Schriftsteller<br />
aufgezeigt. Die <strong>de</strong>utsche Überheblichkeit wird vor allem dann offensichtlich, wenn es um <strong>die</strong><br />
Nie<strong>de</strong>rlage im Spanischen Bürgerkrieg geht, <strong>die</strong> nach öffentlich formulierter Meinung <strong>de</strong>r<br />
Kommunisten nur durch »Verrat« zu erklären ist.<br />
Franco und seine verbün<strong>de</strong>ten Generäle konnten auf <strong>die</strong> Unterstützung von insgesamt 67 000<br />
italienischen, 16 000 <strong>de</strong>utschen und 20 000 portugiesischen Soldaten zurückgreifen; dazu kamen <strong>die</strong> in<br />
Marokko rekrutierten Soldaten und <strong>die</strong> spanischen Frem<strong>de</strong>nlegionen. Die <strong>de</strong>utsche Legion Kondor<br />
sicherte zu<strong>de</strong>m <strong>die</strong> faschistische Luftüberlegenheit. (30) Die so genannte Nichteinmischungspolitik<br />
<strong>de</strong>r nicht faschistischen europäischen Staaten verhin<strong>de</strong>rte Lebensmittel- und Waffentransporte; <strong>die</strong><br />
spanischen Goldreserven hatte <strong>die</strong> Sowjetunion bereits im Oktober 1936 an sich gebracht, damit<br />
entfiel <strong>die</strong> Möglichkeit, sich an<strong>de</strong>rweitig nach Waffen umzusehen.<br />
29
Auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite stan<strong>de</strong>n nur 40 000 bis 50 000 Interbrigadisten (rund 5 000 davon waren<br />
Deutsche). Der durchgängig beklagte Mangel an Waffen hatte einen militärischen Sieg <strong>de</strong>r<br />
republikanischen Kräfte von Anfang an unwahrscheinlich gemacht.<br />
Während spanische Milizionäre für <strong>die</strong> Erwähnung ihrer Zweifel an einem militärischen Sieg<br />
(Defätismus) erschossen wur<strong>de</strong>n, gibt es zahlreiche Hinweise, dass militärisch versierten<br />
Interbrigadisten <strong>die</strong> Hoffnungslosigkeit <strong>de</strong>r Lage recht früh klar war. So schrieb Werner Neubert in<br />
einem Artikel über Ludwig Renn: »In einem Gespräch äußerte Hanns Maaßen 1983, er habe um <strong>die</strong><br />
Mitte <strong>de</strong>r fünfziger Jahre noch einmal mit Ludwig Renn über <strong>de</strong>n Verlauf <strong>de</strong>r spanischen Geschichte<br />
von 1936 bis 1939 sprechen können. Renn habe <strong>die</strong> Auffassung vertreten, dass <strong>die</strong> Hoffnung auf einen<br />
Sieg <strong>de</strong>r republikanischen Seite sich trotz aller Tapferkeit <strong>de</strong>r antifaschistischen Kräfte - <strong>de</strong>r<br />
spanischen wie <strong>de</strong>r ausländischen - und auch trotz <strong>de</strong>r Solidarität <strong>de</strong>r Sowjetunion mit <strong>de</strong>m spanischen<br />
Volk rasch verschlechtert habe. Er habe <strong>die</strong>s gesehen und gewusst - <strong>de</strong>nnoch sei <strong>de</strong>r Kampf im<br />
historischen Sinne erfolgreich gewesen, weil gegenüber <strong>de</strong>m Faschismus nicht kapituliert, son<strong>de</strong>rn<br />
gekämpft wor<strong>de</strong>n sei.« (31)<br />
Trotz <strong>die</strong>ser und ähnlicher Einschätzungen, trotz <strong>de</strong>s militärischen Ungleichgewichts und weiterer<br />
Faktoren wie einer zunehmen<strong>de</strong>n Kriegsmüdigkeit <strong>de</strong>r Bevölkerung fin<strong>de</strong>t sich überall in <strong>de</strong>r KPD-<br />
Literatur über <strong>de</strong>n spanischen Bürgerkrieg - von <strong>de</strong>r An<strong>de</strong>utung bis zur offenen Behauptung - <strong>de</strong>r<br />
Vorwurf, Anarchisten und all jene, <strong>die</strong> man unter <strong>die</strong>sem Begriff zusammenfasste, hätten Verrat<br />
begangen.<br />
Die Tatsachen je<strong>doch</strong> sahen an<strong>de</strong>rs aus: Im Dezember 1938 - nach <strong>de</strong>r verlorenen »Ebroschlacht« -<br />
schlug <strong>die</strong> FAI <strong>de</strong>r Regierung Negrín <strong>die</strong> Verlagerung <strong>de</strong>s Kampfes auf <strong>die</strong> Guerilla -Ebene vor. Man<br />
wollte hinter <strong>de</strong>n faschistischen Linien mit Sabotageakten und <strong>de</strong>r Agitation <strong>de</strong>r Bevölkerung <strong>die</strong>se<br />
einheitlich gegen <strong>de</strong>n Faschismus zusammenführen. Die Regierung lehnte ab. So kam es gegen En<strong>de</strong><br />
<strong>de</strong>r Republik zu einem letzten großen Kräftemessen zwischen Anarchisten und <strong>de</strong>r kommunistisch<br />
beeinflussten Negrín-Regierung, <strong>die</strong> sich wegen <strong>de</strong>r faschistischen Offensive am 25. Januar 1939 nach<br />
Gerona zurückgezogen hatte.<br />
Mitte Februar fand in Madrid ein anarchosyndikalistischer Kongress statt, <strong>de</strong>r ein<br />
Verteidigungskomitee einberief. Man konstatierte: <strong>de</strong>r Krieg war verloren, <strong>die</strong> Regierung Negrín<br />
gescheitert. Am 5. und 6. März erhoben sich anarchistisch-libertäre Kräfte in Madrid gegen staatliche<br />
und kommunistisch-kontrollierte Instanzen. Während sich Anhänger bei<strong>de</strong>r Fraktionen vom 6. bis 13.<br />
März noch blutige Kämpfe lieferten, kam es zwischen republikanischen und faschistischen Kräften,<br />
<strong>die</strong> vor <strong>de</strong>n Toren <strong>de</strong>r Stadt lagen, zu Verbrü<strong>de</strong>rungsszenen. Selbst Augustin Souchy musste<br />
feststellen, dass <strong>die</strong> Bevölkerung Madrids <strong>de</strong>r Kämpfe überdrüssig war. Am 20. März versuchte das<br />
Verteidigungskomitee mittels eines Frie<strong>de</strong>nsangebotes an General Franco günstige<br />
Kapitulationsbedingungen zu erwirken. Doch wie nicht an<strong>de</strong>rs zu erwarten war, bestand er auf<br />
bedingungsloser Unterwerfung. Am 29. März flohen <strong>die</strong> Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Verteidigungskomitees, <strong>die</strong><br />
noch fliehen konnten und auch fliehen wollten - auch eine ihrer profiliertesten Figuren, Oberst Casado.<br />
Am 30. März marschierten <strong>die</strong> faschistischen Truppen ein. Zu <strong>die</strong>sem <strong>Zeit</strong>punkt befand sich auch <strong>die</strong><br />
Regierung Negrín nicht mehr im Land; <strong>doch</strong> das än<strong>de</strong>rt nichts daran, dass <strong>die</strong> Kommunisten <strong>de</strong>m<br />
Anarchisten Casado Verrat und Feigheit vorwarfen.<br />
So behauptet <strong>die</strong> spanische Kommunistin Constancia <strong>de</strong> la Mora: »Die Wühlarbeit mit <strong>de</strong>m Ziele, eine<br />
Kapitulation vor Franco und <strong>de</strong>n Invasoren herbeizuführen, <strong>die</strong> von außen in Gang gebracht und im<br />
Innern von ihren Helfershelfern wütend betrieben wur<strong>de</strong>, erwies ihre Existenz bereits in <strong>de</strong>n Julitagen<br />
<strong>de</strong>s Jahres 1936, als <strong>die</strong> Absicht laut wur<strong>de</strong>, eine Regierung mit Martinez Barrio als Präsi<strong>de</strong>nt zu<br />
bil<strong>de</strong>n. Damals scheiterte <strong>de</strong>r Versuch am Willen <strong>de</strong>s Volkes, aber immer wie<strong>de</strong>r erhoben <strong>die</strong> Verräter<br />
ihr Haupt, und immer wie<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n schwierigsten Augenblicken <strong>de</strong>s Kampfes - bis sie schließlich<br />
durch Casado und seine Komplizen mit <strong>de</strong>r Übergabe von Madrid und Millionen Spaniern ihr Ziel<br />
erreichten.« (32)<br />
Literarisch be<strong>die</strong>nte vor allem Hanns Maaßen in seinem Roman »Die Messe <strong>de</strong>s Barcelo« <strong>die</strong><br />
kommunistische These <strong>de</strong>r Wühlarbeit von innen und außen, <strong>de</strong>s Verrats <strong>de</strong>r Republik durch eine<br />
Fünfte Kolonne <strong>de</strong>r Obersten Casado, Mera und ihrer »Helfershelfer«. In Maaßens Roman ist <strong>de</strong>r<br />
angebliche Dolchstoß von links Ausgangsbasis wie literarisches Leitmotiv <strong>de</strong>r Handlung. Maaßens<br />
Ängste offenbaren sich an Sätzen wie <strong>die</strong>sem: »Der Zusammenbruch war allgemein und unaufhaltsam.<br />
Im Zusammenbruch triumphiert <strong>die</strong> Anarchie.« (33)<br />
»Die Messe <strong>de</strong>s Barcelo« unterschei<strong>de</strong>t sich insofern vom Rest <strong>de</strong>r Spanienliteratur, als <strong>die</strong> Handlung<br />
1939 einsetzt - nach<strong>de</strong>m <strong>die</strong> <strong>de</strong>utschen Brigadisten bereits abgezogen sind - und nur noch unter<br />
30
Spaniern spielt. Der Roman <strong>die</strong>nt ausschließlich <strong>de</strong>r Kolportage <strong>de</strong>r Verratsthese und <strong>de</strong>r<br />
Beschwörung eines angeblichen »Durchhaltewillens <strong>de</strong>s spanischen Volkes« auch unter <strong>de</strong>m<br />
Faschismus.<br />
Der Glaube an einen Verrat von links, <strong>die</strong> Vorstellung von einem unsichtbaren Feind, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n<br />
eigenen Reihen auf einen Sieg <strong>de</strong>s Faschismus hinarbeitete, hing mit <strong>de</strong>r Entwicklung in <strong>de</strong>r UdSSR<br />
zusammen. 1934 nahm Stalin <strong>de</strong>n Mord an <strong>de</strong>m Parteifunktionär Kirow zum Vorwand, gegen<br />
bolschewistische Partei-, Militär-, und Wirtschaftska<strong>de</strong>r vorzugehen. Ab 1936 setzten <strong>die</strong> so<br />
genannten Säuberungen ein, das heißt Prozesse mit vernichten<strong>de</strong>n Urteilen, Verhaftungen,<br />
Deportationen und Erschießungen auch unter <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen Exilierten. In <strong>de</strong>r Regel wur<strong>de</strong>n <strong>die</strong><br />
Betroffenen mit <strong>de</strong>m Vorwurf <strong>de</strong>s Trotzkismus belegt. Leo Trotzki befand sich seit 1924 in ständigem<br />
politischen Streit mit Stalin und war seit 1929 im Exil. Während <strong>de</strong>r Repression in <strong>de</strong>n dreißiger<br />
Jahren wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Begriff Trotzkismus weitgehend mit Faschismus gleichgesetzt. Zum einen, weil<br />
Stalin und <strong>die</strong> Komintern eine Zusammenarbeit von Trotzki mit faschistischen Mächten behaupteten,<br />
zum an<strong>de</strong>ren gingen <strong>die</strong> Kommunisten davon aus, dass eine Schwächung ihrer Reihen durch<br />
linksradikale und/o<strong>de</strong>r trotzkistische Gruppierungen eine objektive Stärkung <strong>de</strong>s Faschismus be<strong>de</strong>ute.<br />
In Spanien war insbeson<strong>de</strong>re <strong>die</strong> Poum als trotzkistisch verfolgt wor<strong>de</strong>n. Erich Weinert rechtfertigte<br />
<strong>die</strong>s noch in seinem Spanienbericht »Camaradas. Ein Spanienbuch«: »Unter uns waren auch Fein<strong>de</strong>.<br />
Wir spürten ihr Wirken, ohne sie belangen zu können. Das Auftauchen pessimistischer Parolen und<br />
ultralinker Phrasen war ihr Werk. Die Klaue <strong>de</strong>r Trotzkisten war unverkennbar. Sie bezogen ihre<br />
Nahrung aus <strong>de</strong>n Gift<strong>de</strong>pots <strong>de</strong>r Poum, <strong>de</strong>r spanischen Trotzkistenpartei. Heute liegen <strong>die</strong> Beweise<br />
vor, dass sie <strong>die</strong> Nie<strong>de</strong>rlage <strong>de</strong>r Republik mit herbeiführen halfen, weil, wie sie selbst gestehen, <strong>de</strong>ren<br />
Sieg eine Stärkung <strong>de</strong>s Prestiges <strong>de</strong>r Sowjetunion be<strong>de</strong>utet hätte. Diese Kreaturen tarnten sich gut. Es<br />
war ihnen schwer, etwas zu beweisen.« (34)<br />
Zersetzungskeime<br />
Wenn sich »<strong>die</strong>se Kreaturen« gut tarnen, ist es entsprechend schwierig, sie von ihrer Umgebung zu<br />
unterschei<strong>de</strong>n. Auch in <strong>de</strong>r kommunistischen Verratsthese verschwimmen <strong>die</strong> Fein<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>r<br />
Bevölkerung - zumal dann, wenn sie in wohlwollen<strong>de</strong>r Absicht »Zersetzungskeime« in <strong>die</strong><br />
Formationen tragen. Weinert fährt fort: »Es war für <strong>die</strong> Republik überhaupt nicht leicht, sich all <strong>de</strong>r<br />
chaotischen Kräfte zu erwehren, <strong>die</strong> in ihrem Rücken wirkten. Es gab aber nicht nur feindliche, es gab<br />
auch wohlmeinen<strong>de</strong>, <strong>de</strong>ren sie sich erwehren musste. Das waren <strong>die</strong> vielen politischen Analphabeten,<br />
<strong>de</strong>ren ehrliches proletarisches Wollen nicht angezweifelt wer<strong>de</strong>n soll, <strong>die</strong> aber, im guten Glauben, das<br />
Rechte zu tun, Zersetzungskeime in <strong>die</strong> Armee trugen.« (35)<br />
Ludwig Renn allerdings hat im Alter <strong>die</strong> Verratsthese nicht aufrechterhalten. In seinem Bericht »In<br />
Mexiko« heißt es nur nüchtern: »Als <strong>die</strong> spanische Republik 1939 nach fast dreijährigem Kampf von<br />
<strong>de</strong>n spanischen Faschisten mit Hilfe nazistischer und mussolini-italienischer Truppen besiegt wor<strong>de</strong>n<br />
war, ergoss sich ein Strom von spanischen Flüchtlingen nach Frankreich.« (36)<br />
Renn konstatiert schlicht eine militärische Nie<strong>de</strong>rlage; hätte er jeman<strong>de</strong>n dafür verantwortlich machen<br />
können, er hätte es sicher getan.<br />
Dass <strong>die</strong> KPD-Schriftsteller, <strong>die</strong> am Spanischen Bürgerkrieg teilnahmen und/o<strong>de</strong>r darüber schrieben,<br />
<strong>die</strong> spanischen Ereignisse und <strong>die</strong> Eigenarten <strong>de</strong>r spanischen Bevölkerung an <strong>de</strong>n Wertvorstellungen<br />
ihrer <strong>de</strong>utschen Sozialisation maßen und ihr bereits mit einer Pose nationaler Arroganz<br />
gegenübertraten, spiegelt sich in ihren autobiografischen Romanen wi<strong>de</strong>r. Durchgängig beschwören<br />
sie in ihren Berichten <strong>die</strong> Unterlegenheit <strong>de</strong>r spanischen Bevölkerung in Disziplin- und Hygienefragen<br />
sowie <strong>de</strong>ren Mangel an Mut.<br />
Nicht <strong>die</strong>, <strong>die</strong> da vor<strong>de</strong>rgründig zu Hilfe geeilt waren, passten sich <strong>de</strong>n frem<strong>de</strong>n Gegebenheiten an,<br />
son<strong>de</strong>rn man suchte ein »unterentwickeltes Volk« in seinem Sinne zu disziplinieren und zu<br />
unterwerfen. Fast alle in Spanien kämpfen<strong>de</strong>n Schriftsteller hatten Posten mit Befehlsgewalt inne o<strong>de</strong>r<br />
waren gar - wie Willi Bre<strong>de</strong>l - Politkommissare mit allen Befugnissen. Das be<strong>de</strong>utete, sie hatten das<br />
Recht, Erschießungen vorzunehmen.<br />
Die literarische Überhöhung preußischer »Tugen<strong>de</strong>n« wie Disziplin und Kampfeswille <strong>die</strong>nte nicht<br />
dazu, <strong>die</strong> realen Vorkommnisse <strong>die</strong>ses Krieges wi<strong>de</strong>rzuspiegeln, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Konstituierung eines<br />
siegessicheren Deutschenbil<strong>de</strong>s. Entsprechend schwer musste es <strong>de</strong>n Schriftstellern dann falle n, <strong>die</strong><br />
Nie<strong>de</strong>rlage zu verarbeiten. Das Ausmalen <strong>de</strong>s Wühlens einer »Fünften Kolonne« - ein Begriff, <strong>de</strong>r im<br />
Spanischen Bürgerkrieg entstan<strong>de</strong>n ist -, <strong>die</strong> Propagierung <strong>de</strong>r Verratsthese, gar eines Dolchstoßes von<br />
31
links, wie<strong>de</strong>rholte <strong>de</strong>n Fehler <strong>de</strong>r KPD von 1933 und musste Autoren wie Leser von <strong>de</strong>r Realität<br />
weiter entfernen.<br />
Das positive Menschenbild <strong>de</strong>r Spanienromane orientierte sich am soldatischen Deutschen, <strong>de</strong>r<br />
begeistert sein Leben zu opfern bereit ist; und es konnte so auf eine Behauptung nicht verzichten, <strong>die</strong><br />
je<strong>de</strong>r Kriegspropaganda inhärent ist: Jungen Männern, <strong>die</strong> von ihrer bürgerlichen Existenz gelangweilt<br />
sind, stellt man <strong>de</strong>n Krieg als verführerisches Abenteuer und großartiges Erlebnis dar. Dass man das<br />
Leben erst dann richtig spüre, wenn man es aufs Spiel setzt, das behauptete auch <strong>die</strong> kommunistische<br />
Spanienliteratur.<br />
Das Leben beginnt in <strong>de</strong>r Nähe <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s, so lautet eine <strong>de</strong>r Grundaussagen <strong>de</strong>r Romane von Eduard<br />
Claudius und Walter Gorrish. Und Bodo Uhse lässt seinen Hel<strong>de</strong>n in »Leutnant Bertram« sich aus<br />
<strong>die</strong>ser Erwägung <strong>de</strong>r Fliegerstaffel anschließen, aus <strong>de</strong>r im Verlauf <strong>de</strong>s Romans <strong>die</strong> Legion Kondor<br />
hervorgehen wird.<br />
Vorabdruck aus <strong>de</strong>m im Juli 2002 im Unrast-Verlag erschienen Buch »Wenn <strong>die</strong> Partei das Volk<br />
ent<strong>de</strong>ckt - Ein kritischer Beitrag zur Volksfronti<strong>de</strong>ologie und ihrer Literatur«. Der Text ist ein<br />
Ausschnitt aus <strong>de</strong>m Kapitel über Kommunisten und kommunistische Schriftsteller im Spanischen<br />
Bürgerkrieg <strong>de</strong>r Jahre 1936 bis 1939.<br />
Anmerkungen:<br />
(1) Walter Janka: »Spuren eines Lebens«, S. 123<br />
(2) ebda. S. 124<br />
(3) ebda. S. 124<br />
(4) Ludwig Renn: »Im Spanischen Krieg«, S. 44<br />
(5) Jürgen Pump, Erbe Ludwig Renns, erinnerte sich in einem Gespräch mit mir daran, dass selbst <strong>die</strong><br />
veröffentlichte Fassung wie<strong>de</strong>r eingestampft wer<strong>de</strong>n sollte, da »<strong>die</strong> Russen nicht gut genug darin<br />
wegkommen«. Ein Vergleich mit <strong>de</strong>m Originalmanuskript ist zurzeit nicht möglich, da <strong>de</strong>r Aufbau<br />
Verlag sein Archiv <strong>de</strong>r Berliner Staatsbibliothek übereignet hat, wo es noch nicht zugänglich ist.<br />
(6) Walter Janka: »Spuren eines Lebens«, S. 90<br />
(7) Ludwig Renn: »Im Spanischen Krieg«, S. 33<br />
(8) ebda. S. 54<br />
(9) ebda. S. 76<br />
(10) ebda. S. 158f<br />
(11) vgl. ebda. z.B. S. 55<br />
(12) Claudius hatte sich 1945 italienischen Partisanenverbän<strong>de</strong>n angeschlossen und gehörte zu <strong>de</strong>nen,<br />
<strong>die</strong> Mussolini stellen konnten. 1947 sie<strong>de</strong>lte er in <strong>die</strong> SBZ über und war in <strong>de</strong>r DDR weiterhin<br />
schriftstellerisch tätig. 1956 wur<strong>de</strong> er Generalkonsul <strong>de</strong>r DDR in Syrien und 1959 in Vietnam.<br />
(13) Eduard Claudius: »Grüne Oliven und Nackte Berge«, S. 43<br />
(14) ebda. S. 172<br />
(15) ebda. S. 91<br />
(16) ebda. S. 58<br />
(17) ebda. S. 76<br />
(18) Walter Gorrish: »Um Spaniens Freiheit«, S. 44<br />
(19) ebda. S. 74<br />
(20) Der Begriff <strong>de</strong>r »fünften Kolonne« geht - nach kommunistischer Aussage - angeblich auf eine<br />
Radioansprache Francos zurück, in <strong>de</strong>r er mit <strong>de</strong>r Existenz einer fünften Kolonne prahlte, <strong>die</strong> in <strong>de</strong>n<br />
Reihen <strong>de</strong>r Republikaner auf seinen Sieg hinarbeite. Dass Franco <strong>die</strong>se Aussage tatsächlich gemacht<br />
hat, konnte je<strong>doch</strong> nie verifiziert wer<strong>de</strong>n.<br />
(21) ebda. S. 116<br />
(22) ebda. S. 150<br />
(23) ebda. S. 159<br />
(24) Willi Bre<strong>de</strong>l: »Begegnung am Ebro«, S. 164<br />
(25) Vgl. »Moskau 1936: Stenogramm einer geschlossenen Parteiversammlung. Die Säuberung«, hrsg.<br />
von Reinhard Müller<br />
(26) Willi Bre<strong>de</strong>l: »Begegnung am Ebro«, S. 8<br />
(27) ebda. S. 14<br />
(28) Alfred Kantorowicz: »Politik und Literatur im Exil«, S. 192<br />
32
(29) Autorenkollektiv <strong>de</strong>s Verlags Volk und Wissen: »Schriftsteller <strong>de</strong>r Gegenwart. Bodo Uhse und<br />
Eduard Claudius«, S. 92<br />
(30) Zahlenangaben nach Patrik von zur Mühlen: »Fluchtweg Spanien - Portugal. Die <strong>de</strong>utsche<br />
Emigration und <strong>de</strong>r Exodus aus Europa 1933 - 1945«<br />
(31) Werner Neubert: »Ludwig Renn und <strong>de</strong>r Spanische Krieg«, in »Neue Deutsche Literatur«, 34.<br />
Jahrgang, Heft 7, 1986<br />
(32) Constancia <strong>de</strong> la Mora: »Doppelter Glanz«, S. 663. Die auf Verschwörungstheorien beruhen<strong>de</strong><br />
»Analyse« von Mora, <strong>die</strong> im mexikanischen Exil eine enge Freundin <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen KP-Gruppe wur<strong>de</strong>,<br />
unterschei<strong>de</strong>t sich nicht von <strong>de</strong>r Aussage ihres Ehemannes Hidalgo Cisneros, <strong>de</strong>r mit »Kurswechsel«<br />
seinerseits eine Biografie vorgelegt hat.<br />
(33) Hanns Maaßen: »Die Messe <strong>de</strong>s Barcelo«, S. 30<br />
(34) Erich Weinert: »Camaradas. Ein Spanienbuch«, S. 227<br />
(35) ebda. S. 277<br />
(36) Ludwig Renn: »In Mexiko«, S. 12<br />
Stehen und nichts trinken<br />
Stehen bleiben und nichts trinken. Das war <strong>die</strong> Abmachung, welche wir uns auferlegten. Doch<br />
wußten wir nicht, ob wir sie erfüllen wür<strong>de</strong>n. Wir wußten nicht, wie es gehen sollte in <strong>de</strong>r<br />
Stadt. Die Tageshitze brannte sich in uns ein, erweiterte unsere Gefäße. Wir schwitzten, wir<br />
liefen umher. Fünf Stun<strong>de</strong>n, acht Stun<strong>de</strong>n und nicht stehen bleiben, hieß es. Wir wollten uns<br />
daran halten. Denn wenn wir stehen bleiben, so wür<strong>de</strong>n wir unsere Köpfe drehen nach <strong>de</strong>m<br />
nächsten Supermarkt, <strong>de</strong>r uns Flüssigkeit garantieren wür<strong>de</strong>. Wir wür<strong>de</strong>n schauen nach<br />
Stän<strong>de</strong>n, <strong>die</strong> gefüllte Büchsen in ihren Programm hätten. Wir blieben nicht stehen, wir liefen.<br />
Wir überlegten, wann ist <strong>de</strong>r Tag rum. Es hatte uns niemand gesagt. Der Tag, <strong>de</strong>r beginnt in<br />
<strong>de</strong>r Früh. Soll er en<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n Abendstun<strong>de</strong>n? Doch wann sind <strong>die</strong> Abendstun<strong>de</strong>n? Sind es <strong>die</strong><br />
Stun<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>nen <strong>die</strong> Sonne sich verneigt in <strong>de</strong>n Schatten <strong>de</strong>r Häuser? Wir blickten uns an,<br />
als wir <strong>die</strong>ses dachten. Später dachten wir nicht mehr daran, da es hieß, <strong>de</strong>r Tag en<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>m<br />
Schlag <strong>de</strong>r Uhr im Kirchturm. Mit <strong>de</strong>m Schlag für um zwölf. Zwölf in <strong>de</strong>r Nacht. Wer hatte<br />
<strong>die</strong>s gesagt? Es ist jetzt vier Uhr Nachmittag. Wir dürfen nicht stehen bleiben und trinken.<br />
Wir liefen weiter. Einer von uns hatte eine Wasserflasche dabei. Sie war gefüllt, <strong>doch</strong> er<br />
öffnete sie und ließ <strong>de</strong>n Inhalt auf <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n plätschern. <strong>Wie</strong> sollte er auch trinken,<br />
gleichzeitig schlucken und gehen? Es ging nicht. Auch erzählte ein an<strong>de</strong>rer von uns, das<br />
Wasser wäre alt gewesen. Vier Tage sei es dort in <strong>de</strong>r Flasche gewesen. Noch einen Tag und<br />
er hätte <strong>die</strong> Flasche wegschmeißen müssen. Hätte er? Wir runzelten <strong>die</strong> Stirn. Fünfhun<strong>de</strong>rt<br />
Milliliter Wasser. Für je<strong>de</strong>n von uns ein Schluck. Doch es blieb <strong>die</strong> Frage, ob wir beim<br />
Ansetzen <strong>de</strong>s Gefäßes stehen blieben, unsere Knochen <strong>die</strong> Ruhe fan<strong>de</strong>n. Wir schauten uns<br />
gegenseitig an, kniffen <strong>die</strong> Augen zusammen, krampften <strong>die</strong> Hän<strong>de</strong> zu Fäuste und stürmten<br />
auf <strong>de</strong>n ein, <strong>de</strong>r das Wasser wegschüttete, schleiften ihn <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n entlang und ließen ihn an<br />
einer Treppe liegen. Wir zogen weiter und lächelten. Der Kampf mit ihm war leicht und es<br />
ließ sich alles unter <strong>de</strong>r gefor<strong>de</strong>rten Bedingung lösen. Wir blieben nicht stehen. Wir liefen,<br />
mal trabten dabei unsere Beine schneller, mal versuchten sie möglichst lange auf einen Punkt<br />
stehen zu bleiben. Doch es machte nichts, beschlossen wir, solange unser an<strong>de</strong>res Bein sich in<br />
<strong>de</strong>r Luft nach vorne bewegte und es für <strong>die</strong> Menschen um uns herum ersichtlich war, dass wir<br />
liefen.<br />
Einer von uns schaute auf seine Hand. Er sah auf Blut, welches durch <strong>die</strong> Finger floß. Er<br />
nahm sie in <strong>de</strong>n Mund und saugte sie ab. Unsere Blicke wan<strong>de</strong>rten weg von ihm und wir<br />
schauten auf <strong>de</strong>n, welcher uns darauf hinwies, wie alt das Wasser gewesen war. Er sah uns<br />
mit starren, großen Augen und drehte sich um. rannte los. Doch wir fassten ihn, wir jagten<br />
33
ihm eine Gehstock zwischen <strong>die</strong> Beine, <strong>de</strong>n wir im Vorbeigehen einer Frau abnahmen. Wir<br />
schliffen seine Gestalt weiter über <strong>de</strong>n Weg, schlugen auf ihn ein, dass seine Haut sich brach<br />
zu bluten<strong>de</strong>n Wun<strong>de</strong>n. Wir schnitten in seinen Panzer und hielten unter das hervorstoßen<strong>de</strong>n<br />
Blut unsere Hän<strong>de</strong>. Wir blieben nicht stehen und saugten von unseren Hän<strong>de</strong>n, schleckten sie<br />
ab. Er, <strong>de</strong>r ehemals Sagen<strong>de</strong> blieb still, keinen Ton verloren seine Lippen. Als Sirenen in <strong>de</strong>r<br />
Ferne erklangen, ließen wir ab von ihn. Wir rannten. Vor uns hielt ein Wagen von ihnen. Sie<br />
sprangen heraus. Sie waren grün-schwarz geklei<strong>de</strong>t und hatten Helme. Wir dürfen nicht<br />
stehen bleiben. Sie schwangen <strong>die</strong> Knüppeln, sie kamen auf uns zu. Wir rannten ihn entgegen.<br />
Hinter uns hörten wir einen Gleichschritt von schweren Sohlen. Ein dumpfer Klang drang auf<br />
uns ein, Schläge trafen uns ins Gesicht. Stöcke fan<strong>de</strong>n sich in unseren Bauch wie<strong>de</strong>r und<br />
trafen sich dann auf unseren Rücken wie<strong>de</strong>r. Wir klappten zusammen, fielen und mühten uns<br />
wie<strong>de</strong>r auf. Wir dürfen nicht stehen bleiben. Der Minister klatschte am Wegesrand, als wir<br />
uns hoch zogen und weiter liefen hinter <strong>de</strong>r Sperre. Der nächste Einsatz ist uns sicher.<br />
August 2002 Petra-Petrus Pitch<br />
Notwendige Anmerkungen zu: „17. Juni 1953 –<br />
Arbeiteraufstand in <strong>de</strong>r DDR“<br />
Als Einleitung ein Hinweis auf <strong>die</strong> Einschätzung „schlecht“ für das von Jugendlichen<br />
innerhalb von zwei Stun<strong>de</strong>n erstellte Blatt, welches am Dienstag vor <strong>de</strong>m 17. Juni 2002 in <strong>de</strong>r<br />
Inforun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r JG verteilt wur<strong>de</strong>: „Schlecht“ <strong>de</strong>shalb, weil es unvollständig und einseitig ist<br />
und somit zu einem verzerrten Bild beiträgt. Selbst wenn o<strong>de</strong>r gera<strong>de</strong> weil <strong>die</strong> <strong>Zeit</strong> dafür nur<br />
run<strong>de</strong> zwei Stun<strong>de</strong>n betrug – in einer solch kurzen <strong>Zeit</strong> ist es auch nicht mit Hilfe <strong>de</strong>s<br />
Internets möglich, ein halbwegs korrektes Bild von <strong>de</strong>n Geschehnissen rund um <strong>die</strong>sen Tag<br />
nachzuzeichnen. Dazu kommt, dass, ich habe mir selbst ein Bild von Informationen dazu im<br />
Internet verschafft, es sich fast ausschließlich um konservative bis rechte Gruppen han<strong>de</strong>lt,<br />
<strong>die</strong> Informationen dazu anbieten. So kommt es dann auch, dass Opferzahlen verfälscht<br />
wer<strong>de</strong>n: bei <strong>de</strong>n Aufständischen ein paar mehr, bei <strong>de</strong>r Staatsmacht eben keine. L. Aussage,<br />
es seien an jenem Tag keine Menschen durch <strong>die</strong> Aufständischen gelyncht wor<strong>de</strong>n, ist<br />
schlichtweg falsch; zumin<strong>de</strong>st er müsste es besser wissen. Dazu aber später mehr.<br />
Es geht mir nicht um eine Bewertung o<strong>de</strong>r gar eine Verurteilung <strong>de</strong>r Geschehnisse. Ich<br />
möchte aber verhin<strong>de</strong>rn, dass in „unseren Kreisen“ verfälschte Geschichtsbil<strong>de</strong>r kursieren, <strong>die</strong><br />
ich sonst nur aus rechten Kreisen, so aus <strong>de</strong>r NPD z.B., kenne. Das in Jena ansässige<br />
Thüringer Archiv für <strong>Zeit</strong>geschichte bietet sehr ausführliche Informationen generell rund um<br />
<strong>die</strong> DDR. Die Adresse lautet Am Rähmen 3, Öffnungszeiten sind Dienstag 10-15 Uhr und<br />
Donnerstag 10-18 Uhr, bei Bedarf auch nach Absprache. Eine Archivarbeit ist immer<br />
unerlässlich neben Recherchen im Internet. Für eventuelle persönliche, nicht inhaltliche,<br />
Kritik möchte ich mich <strong>de</strong>nnoch bei <strong>de</strong>n betreffen<strong>de</strong>n Jugendlichen teilweise entschuldigen<br />
(soweit <strong>die</strong> Kritik nicht gegenseitig und pauschal vorgetragen wur<strong>de</strong> ?).<br />
Die Ursachen für <strong>de</strong>n 17. Juni sind nicht einseitig in <strong>de</strong>n wirtschaftlichen Bedingungen zu<br />
suchen. Es ist zwar von <strong>de</strong>r DDR behauptet, aber so nicht bewiesen wur<strong>de</strong>n, dass es<br />
rechte/rechtsextreme Kreise gab, <strong>die</strong> auf einen solchen Ablauf <strong>de</strong>r Dinge hingearbeitet hätten.<br />
Im Gespräch mit <strong>de</strong>m Leiter <strong>de</strong>s oben erwähnten Archives gab <strong>die</strong>ser mir zu verstehen, dass<br />
es gleichwohl solche Aktivitäten postfaschistischer Strukturen gab: Flugblätter, <strong>Zeit</strong>ungen<br />
usw.. Allein hätten <strong>die</strong>se je<strong>doch</strong> nicht zu einem solchen Ergebnis geführt. Da kommt dann <strong>die</strong><br />
wirtschaftliche Situation und <strong>die</strong> persönliche Unzufrie<strong>de</strong>nheit <strong>de</strong>r Menschen ins Spiel. Eine<br />
34
solche Situation aber ist zu komplex, um es mit einer billigen und pauschalen Antwort zu<br />
probieren, wie sie z.B. seitens <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sregierung, <strong>de</strong>r (konservativen) Opferverbän<strong>de</strong> usw.<br />
und auch lei<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r verfassen<strong>de</strong>n Gruppe <strong>de</strong>s Flyers geschah.<br />
Was zum Beispiel <strong>die</strong> For<strong>de</strong>rungen nach <strong>de</strong>r <strong>Wie</strong><strong>de</strong>rvereinigung betrifft, so muß gesagt<br />
wer<strong>de</strong>n, dass zum damaligen <strong>Zeit</strong>punkt <strong>die</strong>se For<strong>de</strong>rungen insbeson<strong>de</strong>re seitens <strong>de</strong>r DDR und<br />
<strong>de</strong>r UdSSR vertreten wur<strong>de</strong>n; <strong>die</strong> BRD und <strong>de</strong>ren Alliierte stan<strong>de</strong>n <strong>de</strong>m ablehnend<br />
gegenüber! Denn das hätte unter an<strong>de</strong>rem be<strong>de</strong>utet, dass <strong>de</strong>r UdSSR <strong>die</strong><br />
Reparationsleistungen Gesamt<strong>de</strong>utschlands zugestan<strong>de</strong>n hätten: <strong>de</strong>n Anteil <strong>de</strong>r BRD<br />
verweigerte aber selbige bis zuletzt, so dass <strong>die</strong>se von <strong>de</strong>r DDR alleine getragen wer<strong>de</strong>n<br />
mussten. Das trug dann erst recht zu <strong>de</strong>n wirtschaftlichen Schwierigkeiten <strong>de</strong>r DDR bei. Und<br />
<strong>die</strong> rote Fahne auf <strong>de</strong>m Bran<strong>de</strong>nburger Tor wur<strong>de</strong> zwar unter <strong>de</strong>n Augen <strong>de</strong>r Roten Armee,<br />
nicht aber unter Beschuss herunter geholt; letzteres ist ein Mythos. Übrigens wur<strong>de</strong> <strong>die</strong> rote<br />
Fahne durch eine schwarz-rot-gol<strong>de</strong>ne ersetzt: zu <strong>de</strong>m <strong>Zeit</strong>punkt auch <strong>die</strong> Staatsfahne <strong>de</strong>r<br />
DDR...<br />
Als <strong>die</strong> Gefängnisse, u.a. auch in Jena <strong>die</strong> Untersuchungshaftanstalt am Steiger, gestürmt<br />
wur<strong>de</strong>n und <strong>die</strong> Insassen herausgelassen wur<strong>de</strong>n, so befan<strong>de</strong>n sich neben tatsächlichen<br />
politischen Gefangenen reihenweise auch verurteilte NS-Kriegsverbrecher darunter. Allein<br />
<strong>die</strong> zeitliche Nähe zum En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Zweiten Weltkrieges legt das mehr als nahe, es ist eine durch<br />
und durch logische Schlussfolgerung und bedarf hier keiner weiteren Ausführungen außer<br />
<strong>de</strong>m Zusatz, dass überzeugte Nazis sehr wohl an Rache mit allen dazugehören<strong>de</strong>n Folgen<br />
gedacht haben.<br />
Warum Volkspolizisten in solche mit Gänsefüßchen („Volkspolizisten“) verwan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n,<br />
kann wohl mit Hinweis auf <strong>de</strong>n rechten Hintergrund <strong>de</strong>r informationsgeben<strong>de</strong>n Internetseite<br />
ge<strong>de</strong>utet wer<strong>de</strong>n, <strong>die</strong> alles <strong>die</strong> DDR betreffen<strong>de</strong> so verzierten („DDR“, <strong>die</strong> sogenannte „DDR“<br />
usw.) und ist Ausdruck einer gewissen Naivität, <strong>die</strong> auch durch <strong>de</strong>n eigenen zeitlichen<br />
Abstand bedingt ist: Schreibt Ihr auch „BFE“ o<strong>de</strong>r „Bun<strong>de</strong>sgrenzschützer“? Wohl eher nicht.<br />
Aber dass <strong>die</strong>se ihre Uniformen wegwarfen, hatte in <strong>de</strong>n allermeisten Fällen mit Selbstschutz<br />
und Angst vor <strong>de</strong>n nicht mehr kontrollierbaren Massen zu tun. So begaben sich<br />
Volkspolizisten lieber freiwillig in Gewahrsam <strong>de</strong>r Westberliner Polizei, aus Angst gelyncht<br />
zu wer<strong>de</strong>n. Und tatsächlich war <strong>die</strong> Situation an <strong>die</strong>sen Tagen so, dass persönliche<br />
Abrechnungen eine wichtige Rolle spielten (nachzulesen in zahlreichen Berichten persönlich<br />
Betroffener/Teilnehmen<strong>de</strong>r), <strong>die</strong> in Aussagen wie „...alle totschlagen...“ u.ä. gipfelten.<br />
Den Worten folgten Taten.<br />
Während mitten in Westberlin, am Potsdamer Platz, eine Wache <strong>de</strong>r Volkspolizei mit<br />
Brandsätzen angegriffen wur<strong>de</strong>, bis <strong>die</strong> DDR-Bullen dann tatsächlich ihre Uniformen<br />
wegwarfen und das gesamte Haus dann in Brand gesteckt wur<strong>de</strong>, wur<strong>de</strong> in Rathenow <strong>de</strong>r<br />
Chef <strong>de</strong>s Staatssicherheits<strong>die</strong>nstes gelyncht; verharmlosend wird auch teilweise von einer<br />
Hinrichtung gesprochen. Die Zahlen für To<strong>de</strong>sopfer unter <strong>de</strong>n Sicherheitskräften reichen nach<br />
Angaben <strong>de</strong>r DDR von vier Volkspolizisten bis zu 116 Toten, <strong>die</strong> aber ebenso wie <strong>die</strong><br />
Opferzahl von 267 toten Aufständischen z.B. nach Einschätzung <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>sministerium für<br />
inner<strong>de</strong>utsche Beziehungen bei<strong>de</strong> für zu hoch gehalten wer<strong>de</strong>n (<strong>die</strong> DDR gab übrigens<br />
offizielle 19 tote Aufständische zu). Gleichwohl betont das Ministerium, dass sich das<br />
sowjetische Militär auffallend zurückhaltend beim Waffeneinsatz gab: so muss <strong>die</strong><br />
Einschätzung <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rschlagung als „blutig“ ebenso hinterfragt wer<strong>de</strong>n, wie auch weitere<br />
Angaben. Da wären zum Beispiel <strong>die</strong> Zahlen <strong>de</strong>r standrechtlich erschossenen Volkspolizisten<br />
und Rotarmisten: Im Buch <strong>de</strong>s extrem konservativen, um es vorsichtig auszudrücken, DDR-<br />
35
„Forschers“ Rainer Hil<strong>de</strong>brandt gibt <strong>die</strong>ser selbst <strong>die</strong> Zahl 18 für hingerichtete Rotarmisten<br />
ganz pauschal und wissenschaftlich völlig unkorrekt, weil beleglos, <strong>die</strong> Angabe „ferner 3<br />
Volkspolizisten“ an. Das Buch ist nach 1982 erschienen; nur wenige Jahre später berichtet <strong>die</strong><br />
TAZ unter Bezugnahme auf eben jenen Rainer Hil<strong>de</strong>brandt, es han<strong>de</strong>le sich um insgesamt 41<br />
sowjetische Soldaten. Und, oh Wun<strong>de</strong>r, wie schon von Hil<strong>de</strong>brandt gewohnt, wer<strong>de</strong>n keine<br />
Quellen angegeben...<br />
Von <strong>de</strong>n Verhafteten, <strong>de</strong>ren Gesamtzahl sich zwischen 20-25.000 bewegen, wer<strong>de</strong>n nach eben<br />
jenem Hil<strong>de</strong>brandt „ca. 3.000 verurteilt“; belegbar sind etwa 1.400 – wie kommt es also zu<br />
<strong>de</strong>r Bemerkung „Tausen<strong>de</strong>“ im Flyer? Die überwiegen<strong>de</strong> Mehrzahl <strong>de</strong>r festgenommenen<br />
Menschen wird wegen Verstößen gegen <strong>die</strong> Ausgangssperre verhaftet, nicht wegen<br />
„Rä<strong>de</strong>lsführerschaft“ o.ä., <strong>die</strong> Freilassungen beginnen schon nach wenigen Tagen und<br />
unüblicherweise wer<strong>de</strong>n <strong>die</strong> Betroffenen sogar noch nach Hause bzw. in <strong>die</strong> Nähe gefahren.<br />
Möglich, dass hier <strong>die</strong> Angst <strong>de</strong>r Regieren<strong>de</strong>n eine Rolle gespielt hat.<br />
Spätestens im September <strong>de</strong>s gleichen Jahres ist <strong>die</strong> Angst vorbei: <strong>die</strong> Regierung <strong>de</strong>r DDR<br />
kann <strong>die</strong> Normen folgenlos wie<strong>de</strong>r heraufsetzen.<br />
Im Prinzip bin ich mit meinen Ausführungen am En<strong>de</strong>. Ich möchte aber nochmals <strong>die</strong> Art und<br />
Weise <strong>de</strong>r Entstehung sowie <strong>de</strong>n Inhalt <strong>de</strong>s Flyers kritisieren; ich behalte sehr wohl meine<br />
Einschätzung als „schlecht“ bei, weil er durch <strong>die</strong> Einseitigkeit, Unvollständigkeit und<br />
teilweise Falschangaben ein nicht-objektives Geschichtsbild vermittelt. Solche Dinge können<br />
wir getrost <strong>de</strong>n Nazis und an<strong>de</strong>ren Rechten überlassen, auch wenn <strong>die</strong> DDR Müll war, so wie<br />
es <strong>die</strong> BRD immer noch ist.<br />
[Im Anhang fan<strong>de</strong>n sich einige Kopien mit Belegen für meine Angaben, <strong>die</strong> zeigen, dass ich<br />
mit <strong>de</strong>r inhaltlichen Kritik mich im Recht befin<strong>de</strong>. Originalflugblatt und Anhang fin<strong>de</strong>n sich<br />
im Archiv für Soziale Bewegungen Jena – c/o Thüringer Archiv für <strong>Zeit</strong>geschichte, Am<br />
Rähmen 3 – Öffnungszeiten für <strong>die</strong>ses Di 12-15 Uhr und Do 12-18 Uhr. Der 17. Juni 2003<br />
sollte und wird besser vorbereitet; InteressentInnen an einer Mitarbeit mel<strong>de</strong>n sich bitte unter<br />
aag-j@gmx.net o<strong>de</strong>r in einem <strong>de</strong>r im Text angesprochenen Archive!]<br />
36
Ein Leserbrief<br />
Nicht nur bloße Dummheit...<br />
Eine kurze Antwort auf <strong>die</strong> Kritik <strong>de</strong>s Re<strong>de</strong>beitrages von „Frau A.“, FUTURE Nr. 21/22<br />
Trotz ein paar falscher Bestimmungen 12 in <strong>de</strong>r Kritik von Frau A.s Re<strong>de</strong>beitrag sind<br />
wesentliche Punkte in polemischer Weise wi<strong>de</strong>rlegt wor<strong>de</strong>n. Ein Sache, <strong>die</strong> durchaus etwas<br />
genauere Beachtung ver<strong>die</strong>nt, fand allerdings nicht <strong>die</strong> ihr zustehen<strong>de</strong> Beachtung. Es ist Frau<br />
A.s Referat über das Tun und Treiber <strong>de</strong>r Vereinigten Staaten von Amerika - und <strong>die</strong><br />
präfaschistische Rethorik einer Frau A. Auch wenn Leidgeprüfte schreien und in Tränen<br />
ausbrechen wer<strong>de</strong>n, noch einmal ein Auszug aus <strong>de</strong>m Re<strong>de</strong>beitrag:<br />
„Mittels Militärbasen wird ja nicht nur Krieg in an<strong>de</strong>re Län<strong>de</strong>r hinein getragen, son<strong>de</strong>rn<br />
auch <strong>de</strong>ren gesamtes Umfeld wird an <strong>die</strong> Bedürfnisse <strong>de</strong>r Yankees angepaßt. Ja, es erfolgt<br />
gera<strong>de</strong>zu ein Kulturexport. Bekanntlich ziehen <strong>die</strong>se Militärstützpunkte Prostituierte und<br />
Drogenhändler magisch an. Auch AIDS ist insbeson<strong>de</strong>re für Afrikaner und Südostasiaten eine<br />
Begleiterscheinung <strong>de</strong>r US- Herrschaft, nachvollziehbar anhand <strong>de</strong>r an <strong>de</strong>n Militärbasen<br />
beginnen<strong>de</strong>n epi<strong>de</strong>mischen Entwicklungsquote.“<br />
<strong>Wie</strong> ist <strong>die</strong>s nun zu verstehen? Nun, ich wür<strong>de</strong> dazu „1a faschistische Rethorik“ sagen. Der<br />
Vorwurf an <strong>die</strong> USA ist <strong>die</strong> kulturelle („Kulturexport“), sittlich- moralische („Prostituierte<br />
und Drogenhändler“) und - als Karamellbonbon sozusagen - <strong>die</strong> biologische Zersetzung<br />
(„epi<strong>de</strong>mische Ausbreitung von AIDS“, Zerstörung <strong>de</strong>r Lebensgrundlage durch Militär)<br />
irgendwelcher „Völker“. Der Unterschied zum offen Faschistischen besteht einzig noch in <strong>de</strong>r<br />
Begründung, warum <strong>die</strong>s alles im Verantwortungsbereich <strong>de</strong>r USA liegt. Bei Frau A. ist es<br />
noch im Stadium <strong>de</strong>s „bereitwillig in Kauf Genommenen“ und nicht, wie <strong>die</strong> Herren<br />
Faschisten sagen, bereits Zweck <strong>de</strong>r US-amerikanischen Politik. Weiterhin läßt sich nur<br />
unschwer erraten, daß auch „das <strong>de</strong>utsche Volk“ zu <strong>de</strong>n von US- Militärbasen geplagten<br />
Völkern gehört. Nicht zufällig <strong>de</strong>r Hinweis, daß <strong>die</strong> größte Militärbasis sich in Rammstein<br />
befin<strong>de</strong>t.<br />
Tatsächlich läßt sich eine Zunahme völkisch-nationaler Argumentationen innerhalb <strong>de</strong>r K-<br />
Kreise Jenas feststellen. Beginnend mit Plädoyers für ein „gesun<strong>de</strong>s Nationalgefühl“ 13 über<br />
<strong>die</strong> For<strong>de</strong>rung nach einer „Volksarmee auf <strong>de</strong>utschem Bo<strong>de</strong>n“ 14 bis zum bisherigen<br />
Höhepunkt <strong>die</strong>ser Rhetorik, Frau A.s Re<strong>de</strong>beitrag. Die Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit <strong>de</strong>rartigen<br />
„Theorien“ verläuft gleichzeitig in recht merkwürdigen Bahnen 15 . Entwe<strong>de</strong>r verfällt sie selbst<br />
in autoritäre Ausschlußfor<strong>de</strong>rungen o<strong>de</strong>r zeichnet sich durch erstaunliche Kritiklosigkeit<br />
gegenüber nationalistischen Parolen aus, son<strong>de</strong>rn wird nun in jeglicher Hinsicht bejaht. Nur<br />
heißt <strong>de</strong>r Bürger jetzt „Proletarier“. Diese Entwicklung zeichnete sich bereits zu <strong>Zeit</strong>en <strong>de</strong>r<br />
Trennung <strong>de</strong>r Infolä<strong>de</strong>n ab, folgte aber nicht - wie <strong>die</strong> Herausgeber <strong>die</strong>se Blattes behaupten -<br />
notwendigerweise. Vielmehr wur<strong>de</strong> das dumpfe Antibürgerliche <strong>de</strong>r Autonomen nicht<br />
überwun<strong>de</strong>n son<strong>de</strong>rn bloß in das Gegenteil verkehrt. Das Bild <strong>de</strong>s Bürgers, <strong>de</strong>ssen<br />
Lebensinhalt aus „Fressen, Ficken, Fernsehen“ besteht ist nicht <strong>de</strong>r Erkenntnis gewichen, daß<br />
auch „<strong>de</strong>r Bürger“ ein vernunftbegabtes Lebewesen ist, <strong>de</strong>r falsche Theorien über das Wesen<br />
<strong>de</strong>r Gesellschaft im Kopf hat.<br />
Tillmann Klein, Jena<br />
1<br />
So zum Beispiel Militärbasen als Grundlage für Prostitution und Drogenhan<strong>de</strong>l<br />
13 Fischer, Witold: Die Sackgasse <strong>de</strong>s antinationalen Antifaschismus. Klassenkampf Nr. 74<br />
14 RKL Thüringen<br />
4 Die dumpfe antikommunistische (hä? Ist Anarchismus notwendigerweise „antikommunistisch? – d. Red.)<br />
Hetze in <strong>de</strong>n '99er und '00er Ausgaben <strong>de</strong>r FUTURE hat dankenswerterweise nachgelassen.<br />
37
Deutschland von <strong>de</strong>r Karte streichen<br />
Polen muß bis Frankreich reichen<br />
Zur <strong>Wie</strong><strong>de</strong>rkehr <strong>de</strong>s Jahrestages <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Überfalls auf Polen am 1. September 1939<br />
wird hiermit Deutschland als aufgelöst erklärt und seine ehemaligen Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>r als<br />
Wojwodschaften nach Polen eingeglie<strong>de</strong>rt.<br />
Dieser Schritt ist <strong>die</strong> logische Konsequenz aus <strong>de</strong>m Verhältnis <strong>de</strong>utscher Staaten zu Polen.<br />
Nicht nur wur<strong>de</strong> im Bündnis mit Österreich und Russland Polen dreimal geteilt, <strong>die</strong> Sprache<br />
unterdrückt, revolutionäre und <strong>de</strong>mokratische Bemühungen brutalst nie<strong>de</strong>rgeschlagen; am<br />
01.09.1939 begann Deutschland mit <strong>de</strong>m Überfall auf Polen <strong>de</strong>n 2. Weltkrieg und einen<br />
Vernichtungskrieg gegen alles Nicht<strong>de</strong>utsche/-germanische. Weit mehr als 50 Millionen<br />
Menschen mussten dafür ihr Leben lassen.<br />
<strong>Wie</strong> schon nach <strong>de</strong>m für Deutschland verlorenen 1. Weltkrieg musste <strong>die</strong>ses auf Beschluß <strong>de</strong>r<br />
Alliierten Gebiete, u.a. an Polen, abtreten. Doch heute, 57 Jahre nach <strong>de</strong>r totalen Nie<strong>de</strong>rlage,<br />
erdreistet sich Deutschland, For<strong>de</strong>rungen an seine östlichen Nachbarn zu stellen. Dazu zählen<br />
insbeson<strong>de</strong>re:<br />
- Aufhebung <strong>de</strong>r Beneš-Dekrete (Tschechien)<br />
- Aufhebung <strong>de</strong>r Bierut-Dekrete (Polen) sowie<br />
- Teils versteckt, teils offen – Gebietsfor<strong>de</strong>rungen, insbeson<strong>de</strong>re an Polen.<br />
Ähnlich wie in <strong>de</strong>n30er Jahren <strong>de</strong>s 20. Jahrhun<strong>de</strong>rts <strong>die</strong> sogenannten „Su<strong>de</strong>ten<strong>de</strong>utschen“,<br />
argumentieren VertreterInnen „groß<strong>de</strong>utscher“ Gedanken mit <strong>de</strong>m „Selbstbestimungsrecht <strong>de</strong>r<br />
Völker“; ihre Organisationen setzen sich hauptsächlich aus <strong>de</strong>n „Vertriebenen“-Verbän<strong>de</strong>n<br />
zusammen. Doch während z.B. in Polen Schulen mit <strong>de</strong>utschsprachigem Unterricht existieren,<br />
setzt Deutschland auf <strong>de</strong>n Zwang zur Anpassung: Unterschie<strong>de</strong> sind nicht erwünscht.<br />
Die <strong>de</strong>utschen „Ansprüche“ gegen Polen und auch Tschechien basieren im Prinzip neben <strong>de</strong>r<br />
„Selbstbestimmungs“-Theorie auf folgen<strong>de</strong>n Überlegungen: Wenn nach einem Krieg ein<br />
Frie<strong>de</strong>n erreicht wird, könne <strong>de</strong>r status quo (Zustand vor <strong>de</strong>m Krieg) eintreten, d.h. als<br />
<strong>Wie</strong><strong>de</strong>rgutmachung abgetretene „<strong>de</strong>utsche“ Gebiete sollten wie<strong>de</strong>r „<strong>de</strong>utsch“ wer<strong>de</strong>n. Und: Es<br />
habe in abgetretenen Gebieten wie auch in <strong>de</strong>n Gesamtstaaten Polen und damalige<br />
Tschechoslowakei Vertreibungen und Enteignungen sog. „Deutscher“ gegeben, <strong>die</strong> ebenfalls<br />
<strong>Wie</strong><strong>de</strong>rgutmachungen erfor<strong>de</strong>rten.<br />
Erstes Argument entkräftet sich von alleine: Deutsche haben nie Krieg geführt, um <strong>de</strong>n status<br />
quo beizubehalten – warum sollten also ausgerechnet <strong>die</strong> Opfer <strong>de</strong>n unsinnigen For<strong>de</strong>rungen<br />
<strong>de</strong>r TäterInnen zustimmen?<br />
Der zweite Punkt macht es notwendig, auf <strong>die</strong> Beneš-/Bierut-Dekrete einzugehen. Da <strong>die</strong><br />
Beneš-Dekrete <strong>die</strong> weitaus bekannteren sind und übereinstimmen<strong>de</strong>n Angaben sog.<br />
„Opferverbän<strong>de</strong>“ wie <strong>de</strong>m „Bund <strong>de</strong>r Vertriebenen“ als auch seitens <strong>de</strong>r REPublikaner<br />
zufolge i<strong>de</strong>ntisch mit <strong>de</strong>n Bierut-Dekreten sind, reicht es, auf <strong>die</strong> Beneš-Dekrete hinzuweisen,<br />
<strong>de</strong>ren Inhalt hinreichend bekannt sein sollte. Die Ausweisung sog. „Deutscher“ aus <strong>de</strong>r<br />
Tschechoslowakei und auch aus Polen wur<strong>de</strong> nicht von <strong>die</strong>sen Staaten, son<strong>de</strong>rn im Potsdamer<br />
Abkommen vom 2. August 1945 beschlossen! Daraufhin wur<strong>de</strong>n <strong>die</strong>jenigen, <strong>die</strong> nicht schon<br />
vorher geflohen waren, offiziell ausgesie<strong>de</strong>lt. Naturgemäß, nach fast sieben Jahren <strong>de</strong>utschen<br />
Terrors und Mor<strong>de</strong>ns in Osteuropa, kam es dabei auch zu Übergriffen bis hin zur Tötunge<br />
einzelner „Deutscher“. Auch wenn das für <strong>die</strong> Betroffenen extreme Nachteile hatte, so darf<br />
darüber nicht vergessen wer<strong>de</strong>n, welche Gräueltaten gera<strong>de</strong> <strong>die</strong> ansässige „<strong>de</strong>utsche“<br />
Bevölkerung, nicht nur im Su<strong>de</strong>tenland, begangen hat: Nach damaligen Strafrecht stand für<br />
38
<strong>de</strong>n Lan<strong>de</strong>sverrat, <strong>de</strong>n „<strong>de</strong>utsche“ Min<strong>de</strong>rheiten in Polen und <strong>de</strong>r Tschechoslowakei<br />
vieltausendfach begangen hat, regelmäßig <strong>die</strong> To<strong>de</strong>sstrafe! Die vermögensrechtliche<br />
Bestrafung ist somit auch nur <strong>die</strong> logische Fortsetzung <strong>de</strong>r Ausweisungsbestimmungen durch<br />
<strong>die</strong> Alliierten. Ihr Äquivalent fin<strong>de</strong>t sich Deutschland übrigens in <strong>de</strong>r Einziehung sämtlicher<br />
Vermögen von Kriegsverbrechern durch <strong>die</strong> Alliierten, <strong>die</strong> je<strong>doch</strong> zumin<strong>de</strong>st in <strong>de</strong>n<br />
Westzonen nach wenigen Jahren durch <strong>die</strong> bun<strong>de</strong>s<strong>de</strong>utsche Regierung rückgängig gemacht<br />
wur<strong>de</strong>.<br />
Die Empörung seitens Deutschlands über <strong>die</strong> Dekrete von Beneš und Bierut ist dabei nur als<br />
scheinheilig zu bezeichnen: We<strong>de</strong>r wer<strong>de</strong>n alle ZwangsarbeiterInnen ausreichend entschädigt,<br />
noch alle Kriegsverbrecher bestraft; <strong>Wie</strong><strong>de</strong>rgutmachungen an <strong>die</strong> Sowjetunion seitens <strong>de</strong>r<br />
BRD und an Israel seitens <strong>de</strong>r DDR wur<strong>de</strong>n verweigert.<br />
Die neuerlichen Ansprüche Deutschlands an seine osteuropäischen Nachbarn Polen und<br />
Tschechien wer<strong>de</strong>n <strong>die</strong>smal nicht militärisch vorgetragen, wohl aber mit <strong>de</strong>m<br />
„Selbstbestimmungsrecht <strong>de</strong>r Völker“, für das Deutschland in indirekter Form in <strong>de</strong>n<br />
Jugoslawienkrieg zog bzw. Hitler 1938 <strong>die</strong> damalige CSR erpresste. Nach <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n<br />
Weltkriegen, <strong>de</strong>m eben erwähnten Jugoslawienkrieg und diversen militärischen Operationen<br />
in <strong>de</strong>r „<strong>de</strong>utschen“ Geschichte stellt sich <strong>die</strong> Frage: „<strong>Wie</strong> weiter mit Deutschland?“<br />
Konsequent ist <strong>die</strong> Zerschlagung; <strong>die</strong> Agrarisierung o<strong>de</strong>r Kleinstaaterei analog <strong>de</strong>m 17. Jh.<br />
Erscheint da nicht konsequent genug. Insbeson<strong>de</strong>re <strong>die</strong> Agrarisierung bietet keinen Schutz vor<br />
kriegerischen Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen („Raumfrage“, Bauernkriege). Somit erscheint es logisch<br />
und konsequent, Deutschland aufzulösen und in <strong>de</strong>n von <strong>de</strong>r überwiegen<strong>de</strong>n Mehrzahl <strong>de</strong>r<br />
Deutschen meistgehassten Nachbarschaft einzuglie<strong>de</strong>rn:<br />
WILLKOMMEN IN POLEN!<br />
Noch ein kurzer Brief, <strong>de</strong>r uns per e-mail erreichte:<br />
hallo liebes future-team,<br />
ich bin heut aus lauter zufall auf eure ausgabe von sonst wann 1999??? gestossen und zwar<br />
weil ich informationen zur gemanischen-nordischen mythologie suchte.<br />
tja, was soll ich sagen, mittlerweile kann ich es schon nicht mehr hören wenn ich mal wie<strong>de</strong>r<br />
gefragt wer<strong>de</strong> "du surfst <strong>doch</strong> unter frigg, dann bist du bestimmt ein nazi ...." macht meine<br />
speiseröhre perestaltische rückwärtsbewegungen. auch euer artikel weckt wohl beim leser <strong>de</strong>n<br />
eindruck, das je<strong>de</strong>r interessent an vergangenen germ. kulturen in <strong>die</strong> rechte richtung schlägt.<br />
dafür hasse ich <strong>die</strong> nazi gleich um so mehr und ich fin<strong>de</strong> es furchtbar, wie oberflächlich viele<br />
leute damit umgehen. ich fin<strong>de</strong> es doof immer wie<strong>de</strong>r zu hören müssen, dass bestimmte runen<br />
verboten sind wegen <strong>de</strong>n nazis und so weiter und so fort. immerhin hat es <strong>die</strong> runen ja nun<br />
2000 jahre vor <strong>die</strong>sen psychopatischen idioten gegeben.<br />
also wer<strong>de</strong> ich mich weiter in <strong>die</strong>se richtung wehren und je<strong>de</strong>n alles noch mal neu erklären<br />
<strong>de</strong>r mich schief anschaut.<br />
ciao, ich schau mal wie<strong>de</strong>r rein, t.<br />
Anmerkung: Hei<strong>de</strong>ntum führt nicht zwangsläufig zu Faschismus. Das war auch nie<br />
unsere Behauptung. Es ist nur auffällig, wie viele HeidInnen irgendwann bei Nazis<br />
lan<strong>de</strong>n und umgekehrt. Das ist keine Unterstellung an T.!<br />
39
STOPPT RECHTE ZENTREN!<br />
Am 30. Januar 2003 jährt sich zum 70. Mal <strong>die</strong> Machtübergabe an Hitler. Diese verlief weitgehend<br />
kooperativ seitens bürgerlicher Parteien.<br />
1933 ist nicht 2003. Bürgerliche Parteien heute klammern sich viel stärker an <strong>die</strong> Macht; sie wollen<br />
nicht mehr teilen. Konkurrenten wer<strong>de</strong>n nur noch unterstützt, wenn sie nützlich sind. So ist es logisch,<br />
daß ein rechtes Jugendzentrum auf Stadtkosten keinen öffentlichen Zuspruch bekam. Aber:<br />
Rechtsextremen ist es auch in Jena möglich, sich Häuser zu kaufen. Bürgerliche Politiker unterhalten<br />
sich auch in Jena mit Nazis, <strong>die</strong> Stadt macht Geschäfte mit ihnen. Wilhelm Tell, langjähriges und<br />
bekanntes Mitglied <strong>de</strong>r Republikaner in Jena, kaufte ein Haus in <strong>de</strong>r Schlei<strong>de</strong>nstraße von <strong>de</strong>r Stadt;<br />
<strong>die</strong>se wie<strong>de</strong>rum überläßt ihm Flächen an <strong>de</strong>n Autobahnabfahrten zu Werbezwecken; er als Architekt<br />
arbeitet, um <strong>de</strong>n Kreis zu schließen, für <strong>die</strong> Stadt.<br />
Kein Wun<strong>de</strong>r, daß sich <strong>de</strong>r Fraktionsvorsitzen<strong>de</strong> <strong>de</strong>r CDU, Adolf Biewald, mit teils militant<br />
agieren<strong>de</strong>n und (in NPD, JN und THS) organisierten Neonazis trifft, um über <strong>de</strong>ren Wünsche zu<br />
sprechen. Ein gemeinsamer Wunsch <strong>de</strong>s CDU-Hardliners und <strong>de</strong>r sich selbst als "hilflose,<br />
benachteiligte Jugendliche" bezeichnen<strong>de</strong>n Rechtsextremisten dürfte sein, sich gegen alles<br />
Emanzipative, sogenanntes linkes Gedankengut, zu wen<strong>de</strong>n. So gibt es kein selbstverwaltetes<br />
alternatives Jugendzentrum. Einem Projekt wie <strong>de</strong>r Offenen Arbeit wer<strong>de</strong>n permanent <strong>die</strong> Zuschüsse<br />
gekürzt.<br />
Und auch wenn <strong>die</strong> Stadt das Haus Jenaische Straße 25 nicht verkaufen konnte (weil das Haus ihr<br />
nicht gehörte), so hat sie <strong>doch</strong> nicht alles versucht, irgendwas dort zu verhin<strong>de</strong>rn.<br />
Für <strong>die</strong> Zukunft be<strong>de</strong>uten <strong>die</strong>se zwei Zentren rechtsextremer Politik und <strong>de</strong>ren äußere Unterstützung in<br />
Form <strong>de</strong>s La<strong>de</strong>ns "Madley" und <strong>de</strong>r "Schüler-"zeitung "Mittel<strong>de</strong>utsches Sprachrohr" viele Probleme.<br />
Es zeichnet sich jetzt schon ab, daß Jena sogar thüringen- und bun<strong>de</strong>sweite Be<strong>de</strong>utung für <strong>die</strong> extreme<br />
Rechte und Mo<strong>de</strong>llcharakter gewinnt. Selbst aus Österreich treffen Spen<strong>de</strong>n ein.<br />
In <strong>de</strong>r Schlei<strong>de</strong>nstraße treffen sich rechte Stu<strong>de</strong>nten, <strong>de</strong>nen <strong>die</strong> bisher existieren<strong>de</strong>n rechten<br />
Verbindungen zu lasch sind. In <strong>de</strong>r Jenaischen Straße wie<strong>de</strong>rum trifft sich das jugendlichere und<br />
militante Spektrum. "Madley´s" verkauft ihnen Schuhe, Jacken, T-Shirts und - Gerüchten zufolge -<br />
illegale Musik; <strong>die</strong> Besitzer kommen aus <strong>de</strong>m "Blood&Honour"-Spektrum. Das "Sprachrohr" agitiert<br />
an <strong>de</strong>n Schulen und macht gleichzeitig Werbung für das "Madley´s".<br />
Die Antwort <strong>de</strong>r Politik und Polizei: Sie wer<strong>de</strong>n sie überwachen, mit Vi<strong>de</strong>okameras und V-Männern.<br />
Es gibt keine Prävention. Keine Räume für emanzipatorische Gruppen. Kein Geld für<br />
Aufklärungsarbeit.<br />
Jena ist somit ein<strong>de</strong>utig auf <strong>de</strong>m schnellsten Weg zu einer überregionalen Hochburg <strong>de</strong>s<br />
Rechtsextremismus. Es ist an uns, das zu verhin<strong>de</strong>rn. Deshalb rufen wir zur Teilnahme an <strong>de</strong>r<br />
"Demonstration gegen braune Immobilien" am 1. Februar 2003 um 11 Uhr auf <strong>de</strong>m Rathausplatz<br />
in Altlobeda auf:<br />
Keine Freiheit <strong>de</strong>n Fein<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Freiheit!<br />
Faschismus ist keine Meinung, son<strong>de</strong>rn ein Verbrechen!<br />
STOPPT RECHTE ZENTREN!<br />
40<br />
STORZ JENA, storz@gmx.<strong>de</strong> - www.storz-jena.<strong>de</strong>.vu