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Die Flucht der Familie Packbier Herbst 1944

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Das Schicksal <strong>der</strong><br />

<strong>Familie</strong> <strong>Packbier</strong><br />

<strong>1944</strong>/45


Elisabeth <strong>Packbier</strong> berichtete 1995 ihrer<br />

Schwiegertochter Anneliese <strong>Packbier</strong> über das<br />

Schicksal <strong>der</strong> <strong>Familie</strong> <strong>Packbier</strong> in den letzten<br />

Kriegsmonaten <strong>1944</strong>/45.<br />

Elisabeth <strong>Packbier</strong> geb. Dohmen, damals 39 Jahre alt, führte mit<br />

ihrem Mann Jakob <strong>Packbier</strong> ein Lebensmittelgeschäft in <strong>der</strong> Josefstraße.<br />

Ihre Kin<strong>der</strong>: Peter, Josef, Willi und Marlies waren schon seit Beginn <strong>der</strong><br />

Sommerferien auf dem elterlichen Hof in Hamich bei Gressenich in<br />

Ferien. Dort konnten sie endlich wie<strong>der</strong> einmal durchschlafen und<br />

mussten nachts nicht wegen Fliegeralarm in den Keller flüchten. Wie so<br />

viele in unserem Heimatort dachten Elisabeth und Jakob <strong>Packbier</strong>, als<br />

die Front näherrückte: „In Eilendorf kann es wegen <strong>der</strong> Westwall-<br />

Befestigungsanlagen an Abhängen oberhalb des Ortes gefährlich werden.<br />

Am besten, wir flüchten bis hinter den Westwall. Wenn die Amerikaner<br />

den Westwall genommen haben, ist <strong>der</strong> Krieg sicher bald zu Ende, und<br />

wir können wie<strong>der</strong> nach Hause zurückkehren.“ Was lag näher, als auf<br />

den elterlichen Hof von Elisabeth <strong>Packbier</strong> in Hamich zu flüchten, vor<br />

allem, wo dieser alte Hof einen großen, tief in Felsen geschlagenen, alten<br />

Braukeller besaß, <strong>der</strong> sicheren Schutz bot. In Eilendorf wurde die<br />

Situation immer brenzliger, in <strong>der</strong> Nachbarschaft waren schon manche<br />

geflüchtet, und viele packten für die <strong>Flucht</strong>, auch Elisabeth und Jakob<br />

<strong>Packbier</strong>. Am 1o. September <strong>1944</strong> bekamen die Hühner für vier Tage<br />

Futter hingesetzt, Strom und Wasser wurden abgeschaltet, die<br />

Fensterläden verriegelt und nach einem letzten Blick die Haustür<br />

abgeschlossen. Leo Meisen, <strong>der</strong> an <strong>der</strong> Linde ein Transportunternehmen<br />

betrieb, fuhr die beiden samt ihrem Gepäck mit einem Lastwagen nach<br />

Hamich.<br />

Auf dem elterlichen Hof und im ganzen Ort wimmelte es von<br />

deutschem Militär. <strong>Die</strong> Soldaten machten einen sehr erschöpften<br />

Eindruck, und ihre Fahrzeuge waren in einem schlimmen Zustand. Ein<br />

einzelner Panzerspähwagen stand dem Hof gegenüber im Schutz eines<br />

Hauses. Viele seine großen Reifen waren total zerschossen. In einer<br />

benachbarten Scheune lagen 12 übermüdete deutsche Soldaten, sie<br />

waren <strong>der</strong> Rest einer Kompanie - alle an<strong>der</strong>en waren in Gefangenschaft<br />

geraten, verwundet o<strong>der</strong> gefallen.<br />

Zunehmend versetzten auch hier Tiefflieger die Menschen in Angst<br />

und Schrecken. Einmal entkamen die Kin<strong>der</strong> Peter, Josef und Willi nur<br />

2


mit knapper Not einem Tieffliegerangriff. Sie hatten mit an<strong>der</strong>en<br />

Kin<strong>der</strong>n des Dorfes am Waldrand ein Baumhaus gebaut. Plötzlich<br />

brauste über die Dächer des Dorfes ein Flugzeug heran und schoss auf<br />

den Waldrand. <strong>Die</strong> Kin<strong>der</strong> rannten in den Wald hinein und blieben<br />

glücklicherweise alle unverletzt. Vielleicht hatte es <strong>der</strong> Pilot auf<br />

Militärfahrzeuge in <strong>der</strong> Nähe abgesehen o<strong>der</strong> das Baumhaus für einen<br />

Beobachtungsstand gehalten.<br />

<strong>Die</strong> Kartenskizze vermittelt eine ungefähr Übersicht <strong>der</strong><br />

Kampfhandlungen südlich und östlich von Aachen in <strong>der</strong> Zeit vom 12. bis<br />

zum 18. September <strong>1944</strong>.<br />

3


Zusätzliche Informationen vermittelt das<br />

KRIEGSTAGEBUCH LXXXI ARMEE KORPS<br />

1 September <strong>1944</strong> – 1 Oktober <strong>1944</strong><br />

http://members.home.nl/ron.mourmans/KTB%20LXXXI%20A.K.%20(SEPT%20<strong>1944</strong>).pdf<br />

Erstaunlicherweise werden die schweren Kämpfe um Schevenhütte<br />

darin nicht erwähnt.<br />

In <strong>der</strong> Nacht vom 15. zum 16. September schossen die Amerikaner<br />

zum ersten Mal mit Artillerie in den Ort hinein. <strong>Die</strong> ganze <strong>Familie</strong> saß im<br />

Keller. Das Brüllen <strong>der</strong> Tiere auf den umliegenden Wiesen drang durch<br />

die dicken Mauern bis in den Keller. Es wurde gebetet. Am nächsten<br />

Morgen bot sich ringsum ein grausiger Anblick: überall verendete Kühe.<br />

Bis zum Abend des 16.9. rückten die letzten Soldaten aus dem Ort ab.<br />

Alle in Hamich atmeten auf: endlich nahte das Kriegsende - so glaubten<br />

sie. Wie man später erfuhr, hatten an diesem Tag die Amerikaner ohne<br />

Gegenwehr den nahen Ort Schevenhütte eingenommen.<br />

4


Irrtümlich wird das nebenstehende Bild mit dem sogenannten „Kall<br />

Trail“ in Verbindung gebracht. In Wirklichkeit zeigt dieses Bild Panzer<br />

auf einem Waldweg vor Schevenhütte. <strong>Die</strong> unten angegebene Internet-<br />

Seite „Fährtensuche“ enthält eine neuere Aufnahme dieser Stelle.<br />

<strong>Die</strong> Einwohner von Hamich erwarteten nun stündlich den Einmarsch<br />

<strong>der</strong> Amerikaner. Ein älterer Mann, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> folgenden Nacht am<br />

Eingang des Felsenkellers Posten bezogen hatte, rief ein über das an<strong>der</strong>e<br />

Mal in den Keller hinein „Do henge kumme se“. Für die Bewohner <strong>der</strong><br />

Gegend wird es wohl für immmer unbegreiflich sein, warum die<br />

Amerikaner nicht weiter vorstießen, zumal aus ihrer Sicht die Front<br />

weitgehend von deutschen Soladten entblößt schien. <strong>Die</strong> Einwohner des<br />

Dorfes hatten natürlich nicht den Überblick über das Frontgeschehen.<br />

Nach ihrem Eindruck aber hätten die Amerikaner vor dem 17. September<br />

ohne nennenswerte Gegenwehr den Ort erobern und weiter über<br />

Heistern vorstoßen können. Möglicherweise wäre es dann nicht zu <strong>der</strong><br />

Schlacht um den Hürtgenwald gekommen, in <strong>der</strong> die Amerikaner so<br />

gewaltige Verluste erleiden sollten.<br />

<strong>Die</strong> Gründe für den Stopp des amerikanischen Vormarschs sind in<br />

vielen Beschreibungen des Kriegsgeschehens ausführlich erörtert<br />

worden. Über die damals verpassten Möglichkeiten ist aber nichts zu<br />

lesen.<br />

Albert Trostorf schreibt in seiner Zusammenfassung <strong>der</strong> Kriegsereignisse im<br />

Raum Merode u. a.(http://schlossmerode.de/?page_id=57/):<br />

Am 12. September <strong>1944</strong> hatten die ersten amerikanischen Einheiten<br />

bei Roetgen, südlich von Aachen die deutsche Grenze überschritten und<br />

innerhalb weniger Tage stieß eine Kampfgruppe <strong>der</strong> 9th US Infantry<br />

Division und <strong>der</strong> 3rd US Panzerdivision durch den sogenannten<br />

“Stolberg Korridor“ bis nach Schevenhütte vor. Zu diesem Zeitpunkt<br />

befand sich in diesem Raum keine geschlossene deutsche Einheit mehr<br />

und für die Amerikaner wäre es ein Kin<strong>der</strong>spiel gewesen, auf Düren<br />

o<strong>der</strong> gar auf Köln vorzustoßen, aber infolge von Nachschubproblemen<br />

und <strong>der</strong> Beginn <strong>der</strong> britisch-amerikanischen Offensive bei Arnheim und<br />

Nimwegen kam <strong>der</strong> amerikanische Vormarsch erstmals zum erliegen.<br />

Weitere Gründe dafür waren, dass die Alliierten eine Sprengung <strong>der</strong><br />

Urft- und Rurtalsperre befürchteten, welche sich noch in deutscher<br />

Hand befanden und somit das gesamte Rurtal überflutet hätten.<br />

Schließlich hörte man in den frühen Morgenstunden dieses Sonntags<br />

Motorengebrumm und das Geklirr von Kriegsgerät im Ort. Ausgeruhte<br />

5


und gut ausgerüstete deutsche Soldaten <strong>der</strong> 12. Infanterie-Division zogen<br />

ein. Nun fing <strong>der</strong> Krieg in und um den Ort herum erst richtig an.<br />

Deutsche Artillerie auf den Hamicher Höhen beherrschte mit ihren<br />

Geschützen das Gelände bis zum Weißenberg und Werth. <strong>Die</strong><br />

Amerikaner versuchten ihrerseits durch heftiges Artilleriefeuer und<br />

Luftangriffe auf den Ort die deutschen Stellungen zu zerstören.<br />

<strong>Die</strong> machstehend angezeigte Video-Datei zeigt amerikanische<br />

Soldaten bei <strong>der</strong> Beschießung <strong>der</strong> deutschen Stellungen:<br />

http://vimeo.com/14895020<br />

Schon an diesem Tag ihrer Ankunft zogen deutsche Soldaten abends -<br />

ihre Stahlhelme mit Zweigen getarnt - in langer Reihe schwer bewaffnet<br />

den Hohlweg hinab, <strong>der</strong> aus dem Ort hinaus Richtung Schevenhütte<br />

führte. Aus späteren Berichten erfuhr man, dass an diesem 17. September<br />

<strong>1944</strong> zwei Kompanien des Grenadier-Regiment 89 die Amerikaner<br />

wie<strong>der</strong> aus dem Ort Schevenhütte vertreiben sollten.<br />

Ein mit Bil<strong>der</strong>n versehener Bericht zu diesem Ereignis findet sich auf<br />

<strong>der</strong> Internet-Seite:<br />

http://www.faehrtensucher.com/h%C3%BCrtgenwald-<br />

<strong>1944</strong>/orte/schevenh%C3%BCtte/<br />

Hier ein kurzer Auszug:<br />

<strong>Die</strong> in guter Deckung liegenden Amerikaner konnten diesen Angriff<br />

abschlagen. <strong>Die</strong> deutschen Angreifer erlitten hohe Verluste. Am<br />

folgenden Tag ein weiterer Versuch. <strong>Die</strong>smal griff eine Kompanie des<br />

Pionierbattalions 12 den Ort an, erreichte diesmal sogar die Kirche von<br />

Schevenhütte, wurde aber von einem in <strong>der</strong> Nähe <strong>der</strong> Kirche<br />

positionieren amerikanischen Panzer zusammensgechossen. Am 22.<br />

September kam es dann zu den schwersten Kämpfen um den Ort. Das<br />

II. Batl. des Grendier-Regiments 48 begann gegen 07.00 Uhr mit dem<br />

Angriff auf Schevenhütte. Im Bereich des heutigen Ortsteil Joaswerk-<br />

Lamersiefen sorgten mehrere amerikanische Panzer, sowie MG-<br />

Stellungen, für hohe Verluste unter den deutschen Soldaten. So fuhren<br />

mehrere Panzer <strong>der</strong> 9. US-Inf.Div. auf <strong>der</strong> Hauptstrasse des Ortes<br />

einfach auf und ab und schossen mit Maschinengewehren und<br />

Sprenggranaten in die Reihen <strong>der</strong> deutschen Soldaten. In einem<br />

offiziellen Bericht zu den Kämpfen seitens <strong>der</strong> Amerikaner wird von<br />

einem wahren Massaker gesprochen. In einem <strong>der</strong> Bruchsteinhäuser<br />

6


efand sich eine MG-Stellung <strong>der</strong> Amerikaner und versperrte den<br />

Angreifern <strong>der</strong> Weg über die Brücke. Eine deutscher Soldat (Uffz. Ulrich<br />

Esche, Kompanieführer in <strong>der</strong> 7. Kp. Gren.-Regt.48), konnte die<br />

Stellung mit zwei geworfenen Gewehrgranaten ausschalten. Doch<br />

waren auch in diesem Fall alle Opfer umsonst. Zwischen 09.30 und<br />

10.00 Uhr wurde aufgrund des hohen Wi<strong>der</strong>stand und <strong>der</strong> großen<br />

Verluste <strong>der</strong> Rückzug befohlen. Allein im engeren Ortsbereich wurden<br />

von den Amerikanern 135 gefallene Deutsche geborgen.<br />

Flüchtende Zivilisten auf <strong>der</strong> heutige Nideggener Straße<br />

7


<strong>Die</strong> Bil<strong>der</strong> oben zeigen amerikanische Soldaten an<br />

Lamersiefen von zwei verschiedenen Standpunkten aus.<br />

8


Der ehemalige Offizier des damals dort eingesetzten deutschen<br />

Grenadier-Regiments 48 <strong>der</strong> 12. Infanterie-Division beschreibt in<br />

seinem Buch<br />

"Zerschossene Heimat"<br />

ausführlich das Kriegsgeschehen in diesem Frontbereich. Er schreibt:<br />

„Im Raum südöstlich von Aachen stieß das VII. Korps <strong>der</strong> 1. US-<br />

Armee Mitte September <strong>1944</strong> durch die beiden Westwall-Linien bei<br />

Aachen und Stolberg in einem Fronteinbruch von circa 15 Kilometer<br />

Tiefe, <strong>der</strong> als »Stolberg-Korridor« in die Militärgeschichte<br />

eingegangen ist. <strong>Die</strong> noch vorhandenen schwachen deutschen Kräfte<br />

waren nicht in <strong>der</strong> Lage, den überlegenen, vollmotorisierten Feind,<br />

<strong>der</strong> auch die totale Luftherrschaft besaß, aufzuhalten. Für diese<br />

Aufgabe bedurfte es auf deutscher Seite mindestens einer zusätzlichen,<br />

frischen, kampfstarken Division. Dazu wurde die bis dahin an <strong>der</strong><br />

Ostfront eingesetzte und im Sommer <strong>1944</strong> beim Zusammenbruch <strong>der</strong><br />

Heeresgruppe Mitte fast zerschlagene, in Westpreußen inzwischen<br />

wie<strong>der</strong> aufgefüllte, bewährte 12.Infanterie-Division bestimmt. Sie<br />

wurde im Eiltransport an die wankende Westfront gebracht und hier<br />

sofort ab dem 17.9. bataillonsweise gegen den mächtigen Feind<br />

angesetzt, um ihn aus <strong>der</strong> Westwall-Linie bei Stolberg und Mausbach<br />

hinauszudrücken. In heftigen, verlustreichen Kämpfen (1. Aachen-<br />

Schlacht) konnte allerdings nur <strong>der</strong> weitere Vormarsch <strong>der</strong><br />

Amerikaner bei Mausbach und Stolberg vorerst gestoppt werden. <strong>Die</strong><br />

übereilten Versuche des Gren.-Regt. 48, Mausbach und Schevenhütte<br />

zurückzuerobern, scheiterten unter hohen deutschen Verlusten, und<br />

Stolberg selbst wurde für zwei Monate eine geteilte Frontstadt. So<br />

bedeutete das Eingreifen <strong>der</strong> deutschen 12.InfDiv für die hiesige<br />

Zivilbevölkerung ein großes Unglück: <strong>Die</strong> meisten Bewohner mussten<br />

in die Evakuierung fahren, und die Heimat wurde durch die folgenden<br />

Stellungskämpfe bis Mitte November weitgehend zerstört; viele <strong>der</strong><br />

hier gebliebenen Zivilisten verloren durch den Beschuss ihr Leben, das<br />

Gelände wurde verwüstet und vermint, die Wäl<strong>der</strong> zersplittert und<br />

verbrannt, das Vieh weggeführt o<strong>der</strong> getötet und insgesamt das Ende<br />

des längst verlorenen Krieges um einige Wochen hinausgezögert.“<br />

An diesen Tagen fuhren immer wie<strong>der</strong> Sanitätswagen durch den Ort,<br />

manchmal blieben sie auf dem Platz vor dem Hof einige Zeit stehen. Eine<br />

9


Frau, die mit einigen an<strong>der</strong>en Bewohnern in <strong>der</strong> Nähe stand, griff die<br />

Hand eines Soldaten auf <strong>der</strong> Bahre eines Sanitätswagens und sagte<br />

weinend: ’’De hat et henger sich’’.<br />

<strong>Die</strong> 13 <strong>Familie</strong>nangehörigen <strong>der</strong> <strong>Familie</strong>n Dohmen-<strong>Packbier</strong> und<br />

Nachbarn lebten nun mitten im Frontgebiet und verbrachten die Nächte<br />

und größtenteils auch die Tage im Keller. Immer wie<strong>der</strong> die Hoffnung:<br />

„Jetzt kommen die Amerikaner - endlich werden wir erlöst!“ Doch die<br />

Front blieb stehen. Gegen Ende September standen morgens früh schwer<br />

bewaffnete Angehörige einer SD-Einheit auf dem Hof und befahlen in<br />

barschem Ton: ‘‘Sofort räumen!’’ In aller Eile wurde das ‘Nötigste’<br />

zusammengetragen, ein kleineres Pferd vor einen zweirädrigen Karren<br />

gespannt, die Oma, eine alte Tante, Schwägerin Gerta Dohmen, sechs<br />

Kin<strong>der</strong> und das Gepäck notdürftig auf <strong>der</strong> Karre untergebracht, und los<br />

ging die Fahrt in Richtung Langerwehe - Düren, wie <strong>der</strong> SD-Mann<br />

angeordnet hatte. Da <strong>der</strong> Karren beim besten Willen nicht mehr<br />

Personen mitnehmen konnte, fuhren Elisabeth <strong>Packbier</strong> und ihr Sohn<br />

Peter mit Rä<strong>der</strong>n hinterher, nachdem sie sich noch einmal vergewissert<br />

hatten, dass nichts Wichtiges vergessen worden war. <strong>Die</strong> Fahrt über die<br />

Waldstraße nach Langerwehe war unheimlich, Detonationen in <strong>der</strong> Nähe<br />

ließen die Flüchtlinge immer wie<strong>der</strong> zusammenzucken. Hinter<br />

Langerwehe im offenen Gelände zerrte die Angst vor Tieffliegern an den<br />

Nerven. Als sie unterwegs einmal nicht mehr weiter wussten, kamen<br />

Elisabeth die Tränen. Ein deutscher Offizier, <strong>der</strong> vorbeigefahren kam,<br />

hielt an und fragte: ‘‘Warum weinen Sie?’’ ‘‘Ich weiß nicht mehr: wohin<br />

und woher, wir sind alleine, und die übrige <strong>Familie</strong> ist weg!’’ Er<br />

antwortete: „Eine deutsche Frau weint nicht! Fahren Sie in Richtung<br />

Eschweiler über Feld, dort werden Sie Ihre <strong>Familie</strong> wie<strong>der</strong>finden.’’<br />

Im Nachhinein kann man nur sagen, dass den Einwohner von Hamich<br />

durch diese Evakuierung ein schlimmes Schicksal erspart blieb.<br />

Bis zum 16. November <strong>1944</strong> blieb <strong>der</strong> Ortsausgang von Schevenhütte<br />

<strong>der</strong> östlichste Punkt, welche die US Einheiten im sogenannten Stolberg<br />

Korridor erreicht hatten und halten konnte. Mit Beginn <strong>der</strong> 3. Aachen<br />

Schlacht griffen die Amerikaner von Schevenhütte aus nach Süden,<br />

Osten, Norden an. Beson<strong>der</strong>s heftige Kämpfe tobten um den<br />

sogenannten „Hamich Ridge“ mit <strong>der</strong> beherrschenden Höhe 232, sie war<br />

das Ziel des 16th US Infantry Regiments. Hier kam es im November <strong>1944</strong><br />

zu einer Panzerschlacht. Es wird berichtet, die Amerikaner hätten den<br />

Ort Hamich siebenmal erobert und nach schweren deutschen<br />

Gegenangriffen wie<strong>der</strong> verloren.<br />

10


Schließlich konnte um den 20. November <strong>1944</strong> Hamich und die<br />

strategisch wichtige Höhe 232 nach heftigem US Artilleriebeschuss unter<br />

für beide Seiten hohen Verlusten genommen werden.<br />

<strong>Die</strong> nachstehend angezeigte Datei enthält einen ausführlichen Berich<br />

über diese Ereignisse<br />

http://www.faehrtensucher.com/h%C3%BCrtgenwald-<br />

<strong>1944</strong>/einsatzchroniken/die-1st-us-infantry-division-im-h<br />

%C3%BCrtgenwald/<br />

Amerikanische Soldaten auf <strong>der</strong> früheren Waldstraße von<br />

Schevenhütte nach Hamich<br />

In Eschweiler über Feld wurden die Flüchtlinge in alten kleinen<br />

Landarbeiter-Katen untergebracht - lehmverputzte, muffig riechende,<br />

primitive Unterkünfte. Beson<strong>der</strong>s die Kin<strong>der</strong> litten unter den schlimmen<br />

hygienischen Verhältnissen in dieser Unterkunft. Glücklicherweise waren<br />

die freundlichen Ärzte einer Sanitätsstation <strong>der</strong> Wehrmacht zur Hilfe<br />

stets bereit. Über den ganzen Ort waren viele Flüchtlinge verteilt, und es<br />

kamen noch immer neue hinzu. In dieser Unterkunft blieb die <strong>Familie</strong><br />

etwa 6 Wochen. Trotz <strong>der</strong> vielen Tieffliegerangriffe und <strong>der</strong> primitiven<br />

Unterkunft war diese Zeit nach den Tagen in Frontnähe fast erholsam.<br />

Damals standen entlang <strong>der</strong> Straße nach Nörvenich große Birnbäume.<br />

Auch Jakob <strong>Packbier</strong> sammelte mit den Kin<strong>der</strong>n eine große Menge<br />

11


Birnen. Sie wurde in dann zu Hause in Scheiben geschnitten und als<br />

Notvorrat getrocknet.<br />

Ende September <strong>1944</strong> wurden in den Fel<strong>der</strong>n am Ortsrand tiefe<br />

Panzergräber ausgehoben. Glücklicherweise wurden bei den vielen<br />

Tieffliegerangriffen hier keine Menschen verwundet. Wie gefährlich die<br />

Situation damals war zeigte <strong>der</strong> Luftangriff auf das nahe Nörvenich<br />

gelegene Barackenlager „In <strong>der</strong> Hardt“ am 28. 9. <strong>1944</strong>. Hier waren bei<br />

Schanzarbeiten eingesetzte HJ-Jungen untergebracht. 40 Jugendliche<br />

wurden bei dem Angriff getötet. Bewegend war <strong>der</strong> Anblick <strong>der</strong> durch<br />

Eschweiler über Feld fahrenden Fuhrwerke, auf denen Mütter mit ihren<br />

teilweise verletzten Kin<strong>der</strong>n saßen. <strong>Die</strong> Mütter hatten ihre Kin<strong>der</strong> aus<br />

dem zerstörten Lager herausgeholt.<br />

Insofern war auch das Unternehmen von Elisabeth <strong>Packbier</strong> nicht<br />

ungefährlich, die mit ihrem Sohn Peter zu Verwandten in <strong>der</strong> Kaster<br />

Mühle radelte, wo sie eine Nacht blieben.<br />

Mitte November wurden alle Flüchtlinge zu einem vorher<br />

angekündigten Termin auf Militärfahrzeugen mit ihrem Gepäck zum<br />

Bahnhof Nörvenich gebracht. Dort wartete ein riesig langer Zug -<br />

bestehend aus sehr langen, altertümlichen Wagen. Der Zug wurde<br />

brechend voll. Alle waren froh, dass sie wenigstens sitzen konnten,<br />

allerdings auf primitiven Holzsitzen - zwei Tage und zwei Nächte. <strong>Die</strong><br />

mitgenommene Essensration reichte nicht für diese Zeit. Ab und zu<br />

wurde auf einem Bahnhof einmal eine Kleinigkeit hereingereicht - aber<br />

was war das schon für so viele Menschen? <strong>Die</strong> damals fünfjährige Marlies<br />

erkrankte an einer eitrigen Angina. Überlastete Rote-Kreuz-Helferinnen,<br />

die nachts auf einem Bahnhof um Hilfe gebeten wurden, waren mit ihren<br />

Nerven am Ende und reagierten barsch. Der Zug musste immer wie<strong>der</strong><br />

Ausweichstrecken benutzen. Manchmal blieb er längere Zeit stehen. Es<br />

hieß dann, er dürfe wegen Fliegeralarms die nächste Stadt nicht<br />

durchfahren. So blieb er in <strong>der</strong> Nähe von Hagen mitten auf einer<br />

Eisenbahnbrücke stehen. Großalarm! Unten kreuzten eine Straße und<br />

eine weitere Eisenbahnlinie, zuunterst glitzerte ein kleiner Fluss. Alle<br />

Erwachsenen waren sich <strong>der</strong> großen Gefahr bewusst: Eisenbahnlinien<br />

waren beson<strong>der</strong>e Angriffsziele <strong>der</strong> Tiefflieger. Manche beteten, manche<br />

weinten, Kin<strong>der</strong> schrieen - und mitten in diese angstvolle,<br />

spannungsgeladene Situation die Stimme eines Stolbergers: ‘‘Finche, ich<br />

han et dich jo emmer jesaat: wat nüüs koost, dat ist ooch nüüs!’’ Trotz<br />

aller Angst begannen viele zu lachen.<br />

12


Endlich hielt <strong>der</strong> Zug in <strong>der</strong> Dunkelheit auf dem Bahnhof Ferna in<br />

Thüringen. <strong>Familie</strong> <strong>Packbier</strong> konnte beim Pfarrer des Ortes einen<br />

Leiterwagen leihen, auf dem die wichtigsten Habseligkeiten verstaut<br />

wurden. Herr Peters, <strong>der</strong> Ortsgruppenleiter <strong>der</strong> Gemeinde Tastungen,<br />

begleitete <strong>Familie</strong> <strong>Packbier</strong>: Eltern, Oma, Großtante und vier Kin<strong>der</strong> bei<br />

ihrem Zug zu dem etwa 2 km oberhalb von Ferna gelegenen Ort und zu<br />

dem Haus, das sie aufnehmen sollte. Als die alleinstehende Besitzerin<br />

des Hauses die große <strong>Familie</strong> in ihrer Wohnung sah, schlug sie die Hände<br />

vors Gesicht und begann zu weinen. Unter Tränen sagte sie zum<br />

Ortsgruppenleiter: ’’Ich habe nur ein kleines Haus und soll so viele<br />

Personen aufnehmen, Sie haben ein großes Haus und nehmen keinen<br />

auf.” Daraufhin sagte Herr Peters zur <strong>Familie</strong> <strong>Packbier</strong>: „Kommen Sie<br />

mit mir, bis morgen früh können Sie bei uns bleiben, und dann werden<br />

wir weitersehen”. Müde erreichten sie das große Anwesen, ein Rittergut<br />

mit vielen großen Räumen und vielen Stallungen. Frau Peters kam ihnen<br />

freundlich entgegen und wies ihnen eine Küche in einem Nebengebäude<br />

und einen großen Raum zu, wo sie alle schlafen konnten. Am nächsten<br />

Morgen entschied Frau Peters: „Wenn sie bleiben möchten und mit dem<br />

Platz auskommen, können sie gerne hier wohnen bleiben.’’ Obwohl die<br />

Verhältnisse sehr beengt waren und auch die Wohnung manche<br />

Nachteile aufwies, waren die Eltern froh, eine Bleibe zu haben. Wenn<br />

man auch die Ereignisse <strong>der</strong> vergangenen Monate nicht einfach<br />

vergessen konnte, so irrte Peter noch wochenlang nachts um die Zeit <strong>der</strong><br />

Luftangriffe schlafwandelnd durch die Wohnung, und überdies mit Sorge<br />

an das zurückgelassene Haus und die Zukunft dachte, war man froh dem<br />

unmittelbaren Kriegsgeschehen entronnen zu sein.<br />

Allerdings an das weit entfernte in in kleinen Erker untergebrachte<br />

nach unten offenen ´Plumpsklo´, den Küchenherd, <strong>der</strong> beim Anheizen<br />

den Raum in dichte Rauchschwaden hüllte, und einige an<strong>der</strong>e<br />

Misshelligkeiten haben sich die Flüchtlinge in <strong>der</strong> ganzen Zeit wohl nicht<br />

gewöhnen können.<br />

Frau Peters war eine liebe Frau; sie war froh in Elisabeth <strong>Packbier</strong><br />

eine Stütze im Haushalt zu finden. Elisabeth <strong>Packbier</strong> machte sich<br />

überall nützlich und erhielt für ihre tüchtige Mitarbeit als Gegenleistung<br />

Nahrungsmittel vom Bauernhof für ihre große <strong>Familie</strong>. Sie wusch die<br />

langen Übergardinen an den hohen Fenstern <strong>der</strong> unbenutzten Räume<br />

und nähte daraus Wäsche für die Kin<strong>der</strong> <strong>der</strong> Gastgeber. Oma und<br />

Großtante riffelten die gehäkelten Bettdecken, die in großer Zahl im<br />

Keller lagerten, und strickten für die Kin<strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>Familie</strong> Peters nötige<br />

13


Unterwäsche, während Elisabeth <strong>Packbier</strong> mit und mit den in langer Zeit<br />

angewachsenen Berg ungeflickter und ungestopfter Wäsche wie<strong>der</strong><br />

ausbesserte. Nachmittags half Elisabeth <strong>Packbier</strong> noch einige Stunden in<br />

einer Bäckerei und erhielt als Gegenleistung Brot für ihre große <strong>Familie</strong>.<br />

<strong>Die</strong> drei Jungen <strong>der</strong> <strong>Familie</strong> wurden bald nach <strong>der</strong> Ankunft in die<br />

einklassige Volksschule des Ortes aufgenommen. An die ungewohnte<br />

Unterrichtsform mit dem doch sehr autoritären Lehrer konnten sich die<br />

Eilendorfer Kin<strong>der</strong> nur schwer gewöhnen. Beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong> zweitälteste<br />

Sohn Josef bekam fast jeden Morgen vor dem Schulbesuch heftige<br />

Bauchschmerzen. Für die einheimischen Kin<strong>der</strong> waren die<br />

Flüchtlingskin<strong>der</strong> zunächst eine Quelle ständiger Belustigung. In dieser<br />

Gegend sprach man ein sehr gutes Hochdeutsch; die Aussprache des ´g´<br />

und ´ch´ <strong>der</strong> Eilendorfer Kin<strong>der</strong> muss für die Mitschüler wohl exotisch<br />

geklungen haben. Doch sehr bald hatten die Kin<strong>der</strong> sich aneinan<strong>der</strong><br />

gewöhnt, und manche Freundschaft wurde geschlossen.<br />

Mutter <strong>Packbier</strong> hatte zu all ihren an<strong>der</strong>en Sorgen auch noch die, für<br />

ihren aus den alten Sachen herausgewachsenen ältesten Sohn<br />

Winterkleidung zu besorgen. Sie wusste keinen an<strong>der</strong>en Ausweg, als ihn<br />

bei <strong>der</strong> Hitlerjugend anzumelden. Da Peter als Nie<strong>der</strong>län<strong>der</strong> nicht in die<br />

Hitlerjugend aufgenommen werden konnte, gab es da ein Problem.<br />

Glücklicherweise wurde nicht weiter nachgefragt. Auf diese Weise erhielt<br />

sie einen Bezugschein für eine recht zivile Winteruniform. So konnten<br />

dann in dem folgenden schneereichen Winter <strong>1944</strong>/45 die Kin<strong>der</strong> an den<br />

Abhängen des nahen Ohmgebirges Schlitten fahren. Überhaupt waren<br />

für die Kin<strong>der</strong> die Monate in dem wun<strong>der</strong>schön gelegenen Ort Tastungen<br />

trotz aller Sorgen eine schöne Zeit.<br />

14


In dem Ort Tastungen glaubten auch Ende <strong>1944</strong> noch viele an einen<br />

deutschen Endsieg. Der Ortsgruppenleiter, Herr Peters, war einer <strong>der</strong><br />

wenigen im Ort, mit dem man offen reden konnte. Als wie<strong>der</strong> einmal, wie<br />

so oft, viele amerikanische schwere Bomber dicht an dicht über ihren<br />

Köpfen nach Osten flogen, fragte Elisabeth <strong>Packbier</strong> Herrn Peters: „Sie<br />

glauben doch wohl im Ernst nicht mehr an den Endsieg?’’ Er schüttelte<br />

nur den Kopf und antwortete: „Sagen Sie das um Himmelswillen nicht<br />

laut im Ort, das könnte böse Folgen haben.’’<br />

<strong>Die</strong> Amerikaner näherten sich Thüringen. Herr Peters erhielt noch<br />

wenige Wochen vor Kriegsende den Gestellungsbefehl. Jakob <strong>Packbier</strong><br />

begleitete ihn nach Göttingen und erklärte auf dem Amt als Zeuge, dass<br />

Herr Peters auf dem 400 Morgen großen Hof unabkömmlich sei.<br />

Daraufhin wurde Herr Peters beurlaubt. Aus Freude darüber schlachtete<br />

er zu Hause ein Schwein und schenkte das Fleisch <strong>der</strong> Flüchtlingsfamilie.<br />

<strong>Die</strong> Amerikaner waren mittlerweile - um den 10. April 1945 - schon ganz<br />

nah und schossen in den Ort. <strong>Die</strong> letzten deutschen Soldaten verließen in<br />

einem kurzen traurigen Zug das Dorf. Viele hatten ihre Gewehre und<br />

an<strong>der</strong>e Ausrüstungsgegenstände in einen kleinen Weiher am Rande des<br />

großen Hofplatzes geworfen. Alle Hofbewohner suchten Schutz im<br />

großen Kartoffelkeller unter dem Haupthaus. Dort blieben sie auch in <strong>der</strong><br />

Nacht. „Wir müssen die weiße Fahne heraushängen, wie sollen wir das<br />

tun, und wer macht das?’’ fragte Frau Peters. Elisabeth <strong>Packbier</strong> holte<br />

aus einem Schuppen eine Bohnenstange, befestigte an <strong>der</strong> Spitze ein<br />

Bettuch und ließ das weiße Laken aus dem Dachfenster des über dem Ort<br />

gelegenen Hofs herausflattern.<br />

Viele Bewohner des Ortes glaubten noch im April 1945 an einen<br />

deutschen „Endsieg“. Sie hatten doch das bemitleidenswerte Häuflein<br />

deutscher Soldaten beim Auszug und die nicht enden wollende Kette von<br />

amerikanischen Panzern und an<strong>der</strong>en Fahrzeugen gesehen. Trotzdem<br />

sagten manche im Ort als man einige Tage später fernen Geschützdonner<br />

hörte, jetzt werden endlich die versprochenen „Wun<strong>der</strong>waffen“<br />

eingesetzt und alle eingedrungenen Feinde vernichtet.<br />

Acht Tage nach dem Einmarsch <strong>der</strong> Amerikaner wurden alle<br />

Auslän<strong>der</strong> zu einer Agentur bestellt, welche die Rückführung <strong>der</strong><br />

Fremdarbeiter und an<strong>der</strong>er Auslän<strong>der</strong> organisierte. Als Nie<strong>der</strong>län<strong>der</strong><br />

erhielten auch Elisabeth und Jakob <strong>Packbier</strong> diese Auffor<strong>der</strong>ung. <strong>Familie</strong><br />

Peters empfahl den Eltern <strong>Packbier</strong>, zunächst alleine die Heimfahrt<br />

anzutreten, da nicht feststand, ob sie zu Hause noch ein Dach über dem<br />

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Kopf hatten. Mit einfachen Lastwagen wurden die Auslän<strong>der</strong> in die Nähe<br />

von Du<strong>der</strong>stadt gebracht, schliefen hier in einer Bergwerks- Kantine und<br />

wurden von dort weiter nach Erfurt gebracht, wo sie 8 Tage mit vielen<br />

Auslän<strong>der</strong>n vielerlei Nationen in einer Kaserne auf dem Boden schliefen.<br />

Schließlich wurden sie von amerikanischen Soldaten entlaust und nach<br />

Fahrtrichtungen ‘aussortiert’. Elisabeth und Jakob <strong>Packbier</strong> wurden<br />

einem Transport nach Maastricht zugeteilt. Lei<strong>der</strong> durften sie nicht - wie<br />

geplant - in Aachen den Zug verlassen, sie mussten mit nach Maastricht.<br />

In Maastricht wurden sie in einem großen Kirchenraum mitten in <strong>der</strong><br />

Stadt untergebracht und schliefen dort auf dem Boden. Endlich erhielten<br />

sie die Erlaubnis, mit einem Zug heimwärts zu fahren.<br />

<strong>Die</strong> Fahrt endete am Westbahnhof. Elisabeth <strong>Packbier</strong> ging zu Fuß<br />

nach Eilendorf, während Jakob <strong>Packbier</strong> mit dem Gepäck wartete, bis<br />

ihn einer mitnahm, da er die Sachen nicht so weit schleppen konnte. Das<br />

Haus stand noch. Elisabeth <strong>Packbier</strong> schloss die Haustür auf und betrat<br />

nach fast 9 Monaten wie<strong>der</strong> ihr Haus. <strong>Die</strong> obere Etage war einer <strong>Familie</strong><br />

zugewiesen worden, die unteren Räume, vor allem die Geschäftsräume,<br />

waren sehr mitgenommen, durchwühlt und verschmutzt. Dicke<br />

Kabelstränge führten durch glaslose Fensterrahmen nach draußen.<br />

Strom und Wasser funktionierten nicht. Das augenblickliche<br />

Regenwetter kam diesmal gelegen: Elisabeth <strong>Packbier</strong> stellte eine<br />

Waschbütte unter die kaputte Dachrinne und fing so das nötige Wasser<br />

auf. Freundliche Nachbarn halfen sehr schnell.Nach acht Tagen fuhr<br />

Jakob <strong>Packbier</strong> wie<strong>der</strong> nach Thüringen. Eine Eisenbahnfahrt war damals<br />

in Deutschland keine einfache Sache. Meistens war man schon froh,<br />

wenn man einen Güterzug mit geschlossenen Waggons erwischte, <strong>der</strong><br />

wenigstens ungefähr in Richtung des Reiseziels fuhr. Oft musste man mit<br />

offenen Waggons vorlieb nehmen. Jakob <strong>Packbier</strong> wollte die vier Kin<strong>der</strong>,<br />

seine Schwiegermutter und die alte Tante zurückzuholen, doch waren<br />

inzwischen in Tastungen russische Soldaten eingerückt (Am 21. Juni<br />

1945 zogen sich alle alliierten Truppen auf die vorgesehenen<br />

Besatzungszonen zurück). <strong>Die</strong> russischen Soldaten verhielten sich<br />

entgegen allen Befürchtungen korrekt. Allerdings waren die Menschen<br />

verunsichert, weil die Russen sofort überall Schlagbäume und hohe<br />

Beobachtungstürme errichteten. Ein Übertritt in die nahe britische<br />

Besatzungszone war streng verboten. Als Jakob <strong>Packbier</strong> wie<strong>der</strong> nach<br />

Tastungen zurückgekehrt war, beschloss er angesichts <strong>der</strong> ungewissen<br />

Aussicht auf Passierscheine, mit <strong>der</strong> <strong>Familie</strong> über die ‘grüne Grenze’ in<br />

die britische Besatzungszone überzuwechseln. Herr Peters war gerne<br />

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ereit, ihn dabei zu unterstützen. Es war ein herzlicher Abschied <strong>der</strong><br />

beiden <strong>Familie</strong>n voneinan<strong>der</strong>. Herr Peters lud mit einem Knecht alles auf<br />

einen großen Wagen, spannte zwei Pferde vor, und beide lenkten den voll<br />

beladenen Wagen über Feld- und schließlich Waldwege nach ‘drüben’.<br />

Alle atmeten erleichtert auf als eine Bachfurt anzeigte, dass man die<br />

thüringische Grenze erreicht hatte. Gleich hinter <strong>der</strong> Grenze besorgte<br />

Herr Peters den Flüchtlingen im Ort Immingerode bei Du<strong>der</strong>stadt in<br />

einem Bauernhaus ein Quartier. Dann fuhr er wie<strong>der</strong> nach herzlichem<br />

Abschied mit dem Knecht auf Umwegen in seinen Heimatort zurück.<br />

Nach wenigen Tagen trat Jakob <strong>Packbier</strong> mit seinen Söhnen Peter,<br />

Josef und Willi die Heimreise an; die Oma, die Großtante und die kleine<br />

Schwester Marlies blieben mit dem Gepäck noch für einige Zeit in dem<br />

Bauernhaus zurück, denn die Fahrt war sehr beschwerlich.<br />

Von Göttingen ging die abenteuerliche Fahrt in manchmal offenen<br />

Güterwaggons Richtung Heimat. Da viele Strecken nur eingleisig<br />

befahren werden konnten, mussten die Züge oft längere Zeit warten.<br />

Behelfsbrücken über die Flüsse wurden nur ganz langsam passiert.<br />

Solche Flussüberquerungen waren nur etwas für Schwindelfreie. Da die<br />

Brücken we<strong>der</strong> seitliche Stege noch Gelän<strong>der</strong> hatten, sah man aus den<br />

Waggons unmittelbar auf den in <strong>der</strong> Tiefe fließenden Fluss.<br />

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Alle Waggons waren überfüllt. <strong>Die</strong> Güterzüge ruckten hart beim<br />

Anfahren und Halten. Einmal fiel beim plötzlichen Anfahren eine Frau so<br />

unglücklich hin, dass sie sich ein Bein brach. Zwei Tage und eine Nacht<br />

dauerte die anstrengende Fahrt und endete am Westbahnhof in Aachen.<br />

Von dort aus zogen <strong>der</strong> Vater und die drei Söhne zu Fuß nach Eilendorf<br />

und waren überglücklich, als sie endlich wie<strong>der</strong> ihr Haus betraten. <strong>Die</strong><br />

Mutter hatte in <strong>der</strong> Zwischenzeit ihr Möglichstes getan, um alles wie<strong>der</strong><br />

soweit herzurichten, wie sie konnte. Nach einigen Tagen wie<strong>der</strong>holte<br />

Jakob <strong>Packbier</strong> die anstrengende Fahrt und holte auch das jüngste Kind,<br />

die Oma und die Großtante. Nun waren wie<strong>der</strong> alle daheim.<br />

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