Kaffee
Kaffee
Kaffee
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
64 65<br />
GenieSSen // <strong>Kaffee</strong><br />
Bevor die unterschiedlichen <strong>Kaffee</strong>sorten in den Handel kommen,<br />
werden die Bohnen abgekühlt und luftdicht verpackt. Sauerstoff<br />
ist der ärgste Feind des <strong>Kaffee</strong>aromas: Bereits nach acht<br />
Stunden ungeschützter Lagerung an der Luft kann die Bohne<br />
bis zu 40 Prozent ihres Geschmacks einbüßen.<br />
Keine Wissenschaft ohne Lehre: An der „Università del Caffè<br />
della Germania“ weiht der Triester Röster Illy Gastronomen und<br />
Privatpersonen in die Kunst des <strong>Kaffee</strong>kochens ein. Auf dem<br />
Stundenplan stehen neben Bohnenkunde und Aromen-Chemie<br />
auch Siebträger-Pflege und „Latte Art“. Von der Plantage bis zur<br />
Tasse legt der <strong>Kaffee</strong> Tausende von Kilometern zurück und eine<br />
Vielzahl von Produktionsschritten. „Es ist eine Schande, wenn<br />
der Letzte in dieser Kette den <strong>Kaffee</strong> versaut“, begründet Schulungsleiter<br />
Mathias Gerber seine Mission. Nach vier Stunden<br />
kurzweiligen Bohnenmahlens und Spielens an großen <strong>Kaffee</strong>maschinen<br />
tritt mehr als offensichtlich zu Tage, dass für einen<br />
guten Espresso mehr nötig ist als nur eine imposante Maschine.<br />
Der perfekte Geschmack ist von einer Reihe an Parametern<br />
abhängig, die ein guter Barista perfekt beherrscht. In deutschen<br />
Bars und Restaurants bedient häufig ungeschultes Personal nur<br />
unzureichend gereinigte Maschinen. Weswegen wir uns an einen<br />
suboptimalen <strong>Kaffee</strong>geschmack gewöhnt haben.<br />
Echten <strong>Kaffee</strong>genuss erlebt man beispielsweise im Gerner <strong>Kaffee</strong>-,<br />
Tee- und Schoko-Laden in München. Im alten Villenviertel<br />
wird der beste <strong>Kaffee</strong> Münchens aufgetragen – völlig unprätentiös,<br />
auf Gartenstühlen zwischen Obststand und Bäckerei. Karl-<br />
<strong>Kaffee</strong>- SieGeL – mehr aLS nur aufKLeber // für DaS gute konSumentengewiSSen:<br />
umwelt- unD SozialSiegel auf kaffeePackungen boomen in DeutSchlanD. groSSkonzerne wie<br />
mcDonalDS, tchibo oDer kraft fooDS Schmücken ihre ProDukte mit Dem rainforeSt-alliance-froSch,<br />
Die kaffeekette StarbuckS Verkauft fair gehanDelten kaffee unD Dallmayr kooPeriert bei Seinen<br />
neuen granD-cru-Sorten mit jane gooDall oDer mit karlheinz böhmS äthioPienhilfe „menSchen für men-<br />
Schen“. wir Stellen Die wichtigSten Siegel auf Dem DeutSchen kaffeemarkt unD ihre SchwerPunkte Vor.<br />
4c association<br />
Ziel der 4C Association ist es,<br />
mehr Nachhaltigkeitspraktiken im<br />
gesamten <strong>Kaffee</strong>sektor zu etablieren.<br />
Ihr Verhaltenskodex, der „Common<br />
Code for the Coffee Community“,<br />
wurde von Akteuren der weltweiten<br />
<strong>Kaffee</strong>kette erarbeitet und ist auf<br />
Produktion, Weiterverarbeitung<br />
und Handel von Mainstream-<strong>Kaffee</strong><br />
ausgerichtet. Im Kodex werden zehn<br />
„inakzeptable Praktiken“ abgelehnt,<br />
wie schlimmste Formen von<br />
Kinderarbeit oder Abholzung von<br />
Primärwäldern. Der Abdruck des<br />
4C-Logos auf <strong>Kaffee</strong>verpackungen<br />
ist nicht erlaubt, Hersteller können<br />
durch ein Membership Statement<br />
auf ihre Mitgliedschaft hinweisen.<br />
biosiegel<br />
Das Biosiegel ist das bundeseinheitliche<br />
Dachzeichen für Erzeugnisse<br />
aus dem ökologischen Landbau<br />
und steht für die kontrollierte<br />
Erzeugung und Herstellung von<br />
Bio-Produkten. Nur Produkte, die<br />
mindestens den Anforderungen der<br />
EU-Öko-Verordnung entsprechen,<br />
tragen dieses Siegel. Gekennzeichnete<br />
Lebensmittel dürfen zum Beispiel<br />
nicht unter Einsatz von synthetischen<br />
Pflanzenschutzmitteln oder<br />
leicht löslichen mineralischen Düngern<br />
erzeugt werden. Mindes tens<br />
95 % der landwirtschaftlichen<br />
Zutaten müssen aus ökologischem<br />
Anbau stammen, 5 % können konventionell<br />
erzeugte Bestandteile sein.<br />
Heinz Kleppel ist der Besitzer dieser Genussoase und teilt ganz<br />
zwanglos sein lexikalisches Wissen über <strong>Kaffee</strong> – wenn man<br />
denn nachfragt. Zigarillo schmauchend sitzt er vor seinem Laden<br />
und serviert seinen Stammkunden <strong>Kaffee</strong> in allen gewünschten<br />
Varianten. Für ihn existiert sie nicht – die eine perfekte Art, <strong>Kaffee</strong><br />
zu trinken. Denn mit jeder Zubereitungsweise entfalten sich<br />
verschiedene Aromen. Das Verhalten der Hersteller und Konsumenten,<br />
die meinen, es ganz genau zu wissen, bezeichnet er als<br />
„fast schon sektiererisch“. Kleppel gibt Tipps und Ratschläge,<br />
macht aber keine Vorschriften. Er selbst trinkt gerne Maragogype<br />
aus Mexiko und mag das Aroma der Bohnen, die in einem<br />
kleinen Regenwaldstreifen auf den Galapagos-Inseln gedeihen.<br />
Eher beiläufig erzählt er von diesen Spezialitäten, die buchstäblich<br />
auf der Zunge zergehen und selbst Nicht-<strong>Kaffee</strong>trinker zum<br />
täglichen Koffeinkonsum bekehren. Doch Kleppel empfindet es<br />
vor allem als wichtig, dass mit dem wertvollen Rohstoff <strong>Kaffee</strong><br />
und dem eigenen Körper respektvoll umgegangen wird: „Man<br />
schüttet in den Motor seines Autos das teuerste Öl und in den<br />
eigenen Körper Schund.“<br />
Nebenbei: James Bond schwört nicht nur auf geschüttelten<br />
Martini, sondern auch auf die seltene <strong>Kaffee</strong>sorte „Blue Mountain“<br />
aus dem jamaikanischen Hochland. Dieses Fachwissen<br />
wird den Film-Fans vorenthalten, nur die Leser der Romane von<br />
Ian Fleming gehören zu den Eingeweihten. Die Queen höchstselbst<br />
trinkt den „Blue Mountain“ übrigens auch jeden Morgen<br />
– angeblich.<br />
rainforest alliance<br />
Die Rainforest Alliance ist eine<br />
internationale Nichtregierungsorganisation<br />
und zertifiziert vor allem<br />
<strong>Kaffee</strong>, Kakao, Ananas, Bananen<br />
oder Zitrusfrüchte. Erklärtes Ziel<br />
ist, produktive Landwirtschaft mit<br />
dem Erhalt der Biodiversität zu<br />
verbinden und soziale wie arbeitsrechtliche<br />
Förder- und Schutzmaßnahmen<br />
durchzusetzen. Das Logo<br />
wird vergeben, wenn mindestens<br />
30 % der Inhaltsstoffe von zertifizierten<br />
Betrieben stammen, dies<br />
wird durch die Prozentangabe unter<br />
dem Frosch kenntlich gemacht. Das<br />
Logo ohne weiteren Hinweis bedeutet,<br />
dass 100 % der Inhaltsstoffe<br />
zertifiziert sind.<br />
fair traDe<br />
Das Ziel von TransFair ist es,<br />
benachteiligte Produzentenorganisationen<br />
in den sogenannten<br />
Entwicklungsländern zu stützten<br />
– vornehmlich durch Sicherung<br />
fairer Handelsvereinbarungen.<br />
Produzentengruppen soll durch garantierte<br />
Mindestpreise, Fairtrade-<br />
Prämien und Vorfinanzierung<br />
zu einem besseren Einkommen<br />
verholfen werden. Die internationalen<br />
Fairtrade-Standards umfassen<br />
zudem Aspekte wie Einhaltung der<br />
Menschenrechte oder Förderung<br />
kontrollierten biologischen Anbaus.<br />
Das Fairtrade-Label auf einem Produkt<br />
impliziert, dass 100 Prozent<br />
der Inhaltsstoffe zertifiziert sind.<br />
anDrea illy<br />
ist Chef des Familienunternehmens<br />
Illycaffè, das 1933 von seinem Großvater<br />
Francesco Illy im italienischen<br />
Triest gegründet wurde. Seit 1994<br />
steht der 45-Jährige an der Spitze des<br />
Unternehmens. Neben einem Diplom<br />
in Chemie kann er einen Master in<br />
Business Management vorweisen<br />
„DaS zentrum Der WeLtKuLtur“<br />
anDrea iLLy über KoSmopoLitiSchen <strong>Kaffee</strong>GenuSS,<br />
KnoW-hoW-tranSfer unD KinDerarbeit<br />
pure: Die offene Einstiegsfrage – was bedeutet<br />
<strong>Kaffee</strong> für Sie?<br />
Illy: <strong>Kaffee</strong> ist Teil meines Lebens, er ist Kultur<br />
und Leidenschaft. Wir alle, die in der<br />
<strong>Kaffee</strong>branche arbeiten, haben das Glück,<br />
dass <strong>Kaffee</strong> so reich und vielfältig ist. All die<br />
unterschiedlichen Geschmacksnoten, die<br />
Arten des Anbaus, die Herkunftsländer, die<br />
Möglichkeiten, zu blenden, die Technologie<br />
dahinter, die Arten, <strong>Kaffee</strong> zuzubereiten und<br />
den Gästen zu servieren – <strong>Kaffee</strong> ist sehr<br />
vielfältig, sogar vielfältiger als Wein. Außerdem<br />
ist <strong>Kaffee</strong> das Zentrum der Weltkultur:<br />
<strong>Kaffee</strong> inspiriert uns und regt die Kreativität<br />
an. Dank der stimulierenden Wirkung des<br />
Koffeins verband man <strong>Kaffee</strong> schon immer<br />
mit Kreativität, Kunst und Literatur. <strong>Kaffee</strong>genuss<br />
hat also einen intellektuellen Aspekt.<br />
Letztlich ist <strong>Kaffee</strong> ein sehr kosmopolitisches<br />
Getränk. <strong>Kaffee</strong> hat seine Wurzeln in den ältesten<br />
Kulturen dieser Erde und ist ein leidenschaftliches<br />
und sehr ursprüngliches Produkt.<br />
In Italien muss man nicht einmal das Land<br />
verlassen, um verschiedene Arten der <strong>Kaffee</strong>zubereitung<br />
zu erleben und zu genießen.<br />
Man muss nur in die nächste Stadt reisen<br />
und schon gibt es ein anderes Rezept und<br />
ein anderes Ritual der <strong>Kaffee</strong>zubereitung.<br />
pure: Gibt es in Deutschland eine <strong>Kaffee</strong>kultur,<br />
schätzen die Deutschen guten <strong>Kaffee</strong>?<br />
Illy: Ja, es ist eines der besten Länder! Bis<br />
vor ungefähr zehn Jahren war Deutschland<br />
das Land, das weltweit den besten <strong>Kaffee</strong> importierte,<br />
aus den besten Herkunftsländern<br />
dieser Welt. Zu dieser Zeit war der Import<br />
von Robusta-<strong>Kaffee</strong> nach Deutschland sehr<br />
gering. Dann begann sich dies zu verändern,<br />
denn deutsche Unternehmen stellten plötzlich<br />
<strong>Kaffee</strong> mit einem großen Anteil Robusta-<br />
Bohnen her. Unter anderem weil die Technik<br />
entwickelt wurde, um dem Robusta-<strong>Kaffee</strong><br />
einige der schlechten Aromen zu entziehen.<br />
Letztlich war der <strong>Kaffee</strong>, betrachtet man den<br />
gesamten Markt, nicht mehr so gut wie zuvor.<br />
Just zu dieser Zeit ging auch der <strong>Kaffee</strong>konsum<br />
in Deutschland deutlich und stetig<br />
zurück.<br />
Erst vor Kurzem, etwa in den letzten fünf<br />
bis sieben Jahren, stieg die <strong>Kaffee</strong>-Qualität<br />
wieder an und die Deutschen begannen, viel<br />
Espresso zu konsumieren. Ich glaube, dass<br />
der deutsche Konsument eine besondere<br />
Beziehung zu <strong>Kaffee</strong> hat: Er ist auf der Suche<br />
nach dem besten <strong>Kaffee</strong> und falls er den<br />
nicht findet, zieht er es vor, gar keinen <strong>Kaffee</strong><br />
zu trinken. Denn <strong>Kaffee</strong> konsumiert man aus<br />
zwei Gründen: zum Genuss oder für den Koffein-Kick.<br />
Robusta ist weniger Genuss, mehr<br />
Koffein-Kick. Falls Sie also das Geschmackserlebnis<br />
suchen, werden Sie vielleicht weniger<br />
<strong>Kaffee</strong> trinken, wenn die Mischung mehr<br />
Robusta statt Arabica enthält.<br />
pure: Verstehen die Konsumenten, dass guter<br />
<strong>Kaffee</strong> einen höheren Preis wert ist?<br />
Illy: Ja und nein (lacht). Weil die Qualität des<br />
<strong>Kaffee</strong>s so tief reicht, dass die Menschen den<br />
Unterschied sofort bemerken, vor allem jene<br />
mit Gespür. Wenn man wirklich das Gefühl<br />
hat, dass etwas gut ist, bedarf es nicht vieler<br />
Umschreibungen: Eine Tasse Espresso sagt<br />
mehr als tausend Worte. Qualität ist selbsterklärend.<br />
pure: Det Norske Veritas (DNV), eine der führenden<br />
unabhängigen Zertifizierungs-Stiftungen, hat<br />
in Kooperation mit Illy ein neues <strong>Kaffee</strong>zertifikat<br />
entwickelt. Warum?<br />
Illy: Dieses Zertifikat betrifft die Nachhaltigkeit<br />
der gesamten Zulieferkette. Illycaffè ist<br />
ein Fan von Zertifizierung, da wir der Meinung<br />
sind, dass dies ein aufrichtiger und<br />
transparenter Weg ist, um dem Endverbraucher<br />
unsere Methoden und Handlungsweisen<br />
näherzubringen – unser Statement zu transportieren.<br />
Das neue Zertifikat dient dazu, die<br />
interview | anDrea illy<br />
ökonomische, soziale und ökologische Situation<br />
der <strong>Kaffee</strong>produzenten zu beurteilen.<br />
pure: Was ist neu an diesem Zertifikat?<br />
Illy: Dieser Standard basiert auf drei Säulen:<br />
Erstens arbeiten wir Hand in Hand mit dem<br />
Hersteller, zweitens transferieren wir Knowhow<br />
von und zu den <strong>Kaffee</strong>farmern, drittens<br />
kaufen wir direkt für einen Preis über Weltmarktniveau<br />
– um Qualität zu belohnen. Wir<br />
wollen die Konsumentenzufriedenheit und<br />
den Profit der Bauern maximieren, ohne der<br />
Natur zu schaden.<br />
pure: Können Maßnahmen wie Zertifizierung garantieren,<br />
dass auch <strong>Kaffee</strong>pflücker einen fairen<br />
Lohn erhalten und Kinderarbeit verhindert wird?<br />
Illy: Ja, weil mit diesem Zertifikat der Standard<br />
auch in soziale Aspekte hineinreicht.<br />
Das heißt, auch der Mindestlohn für Pflücker<br />
und Kinderarbeit werden thematisiert.<br />
Das Zertifizierungs-Komitee überprüft die<br />
Farmen jährlich. Zudem müssen sich die<br />
<strong>Kaffee</strong>bauern im Voraus auf die Standards<br />
verpflichten. Das Zertifikat basiert auch auf<br />
Vertrauen. Eine hundertprozentige Garantie<br />
gibt es niemals. Doch es gibt Kontrollen,<br />
Gegenmaßnahmen und eine Rechenschaftspflicht.<br />
Aber lassen Sie uns über das Thema Kinderarbeit<br />
separat sprechen. Kinderarbeit kennt<br />
verschiedene Formen. In einigen Ländern<br />
helfen die Kinder ihren Eltern einfach auf<br />
den Plantagen und pflücken mit ihnen zusammen<br />
den <strong>Kaffee</strong>. Falls sie das davon abhält,<br />
in die Schule zu gehen, ist das natürlich<br />
nicht in Ordnung. Es ist eine andere Sache,<br />
Kinder auszubeuten, wie das beispielsweise<br />
in China in Schuh- oder Spielzeugfabriken<br />
geschieht. Wo Kinder gezwungen, unterbezahlt<br />
und bestraft werden. Ich glaube, dass<br />
es solche Kinderarbeit auf 99 Prozent der<br />
<strong>Kaffee</strong>plantagen nicht mehr gibt.