Rezension des Buches von Frank Hirschinger: - Osteuropa Zentrum ...
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<strong>Rezension</strong> <strong>des</strong> <strong>Buches</strong> <strong>von</strong> <strong>Frank</strong> <strong>Hirschinger</strong>:<br />
„Fälschung und Instrumentalisierung antifaschistischer Biographien“<br />
Das Beispiel Halle/Saale 1945-2005<br />
aus der Reihe „Berichte und Studien <strong>des</strong> Hannah-Arendt-Institutes für<br />
Totalitarismusforschung e.V. an der Technischen Universität Dresden“, Nr. 53<br />
Verlag: V&R unipress<br />
Jahr: 2007<br />
Ort: Göttingen<br />
Das betreffende Buch <strong>des</strong> Hallenser Historikers und Musikers <strong>Frank</strong> <strong>Hirschinger</strong> beschäftigt<br />
sich mit der Frage, inwieweit Biographien <strong>des</strong> Lei<strong>des</strong> und <strong>des</strong> Widerstands zu Zeiten <strong>des</strong><br />
Faschismus -im Fall <strong>von</strong> Kommunisten in und nach der DDR- manipuliert oder offen<br />
gefälscht wurden, zu welchen Zwecken dies geschah und welche Implikationen solche<br />
Fälschungen haben können. Diese Fälschungen sind zum Teil <strong>von</strong> den betreffenden Personen<br />
selbst in Umlauf gebracht worden (Jupp Gerats, Karin Mylius) oder sind <strong>von</strong> anderen Stellen,<br />
oft nach dem Tod der betreffenden Personen, zu Propagandazwecken vorgenommen worden<br />
(z.B. Martha Brautzsch).<br />
Der lückenlose, „saubere“ Lebenslauf sollte dabei den beschriebenen Personen Prestige und<br />
Gewicht verschaffen, außerdem zu der Mythenbildung beitragen, die sowohl die DDR als<br />
strikt antifaschistischen Staat als auch Kommunisten als entschiedenste Widerstandskämpfer<br />
zur Zeit der Nazis aufbaute- mit der SED als der logischen Nachfolgerin antifaschistischer<br />
Parteien und in einer Führungsrolle im neuen Staat.<br />
<strong>Frank</strong> <strong>Hirschinger</strong>s Arbeit „Fälschung und Instrumentalisierung antifaschistischer<br />
Biograhien“ besteht aus:<br />
1.Einleitung<br />
2.einem Aufsatz zur Person Jupp Gerats' und dem Streit um die „Torgau-Urnen“<br />
(Gerats „erfand“ seine antifaschistische Widerstandstätigkeit in Holland. Zum Thema<br />
Gedenkstätte Torgau behauptete er dort seien vornehmlich NS-Kriegsverbrecher bestattet<br />
worden.)<br />
3. Insgesamt sechs Kurzbiographien <strong>von</strong> Menschen mit „gefälschten“ Lebensläufen<br />
(unter ihnen Kollaborateure und ein Pädophiler)<br />
4. Ein Kapitel zu dem besonders aufsehenerregenden Fall Karin Mylius (Hochstaplerin in der<br />
jüdischen Gemeinde Halle.)<br />
5. Die (aktuelle) Geschichtspolitik der Antifa-Verbände und PDS<br />
Ein ausführlicher Anhang mit Angabe <strong>von</strong> relevanten Archiven, Zeitschriften und ähnlichem<br />
Material sowie einem Quellenverzeichnis beschließt das Buch.<br />
Zu <strong>Hirschinger</strong>s Werk:<br />
In seiner Einleitung erläutert der Verfasser, dass die beiden deutschen Staaten eine<br />
unterschiedliche Herangehensweise an den Umgang mit der faschistischen Vergangenheit<br />
hatten.<br />
Laut <strong>Hirschinger</strong> sah sich die BRD durchaus als Rechtsnachfolger <strong>des</strong> Deutschen Reiches, mit<br />
den damit verbundenen Implikationen wie Zahlung <strong>von</strong> Reparationen und<br />
„Wiedergutmachung“ und Übernahme <strong>von</strong> Verantwortung für das Geschehene. Die<br />
Verbrechen <strong>des</strong> Faschismus wurden normalerweise <strong>von</strong> offizieller Seite nicht geleugnet und<br />
als Teil der Geschichte verstanden. Die DDR sah die Ursachen <strong>des</strong> Faschismus einseitig als<br />
einen verschärften Klassenkampf zwischen Kapitalismus und Sozialismus und es wurde
da<strong>von</strong> ausgegangen, dass es genügen würde, „Monopolkapitalismus“ und „Großagrarier“zu<br />
enteignen, um dem Faschismus seinen Nährboden zu entziehen. Die Analyse <strong>des</strong> Holocausts<br />
an den Juden, <strong>des</strong> virulenten Rassismus, der dazu führte sowie die Beschäftigung mit anderen<br />
Opfergruppen außer den Kommunisten kam dabei zu kurz.<br />
Die DDR verstand sich, mehr noch, als antifaschistischer Staat per se, im Gegensatz zu dem<br />
Westen. Wahrscheinlich wurde <strong>des</strong>halb ein Kult um antifaschistische Widerstandskämpfer ins<br />
Leben gerufen, bei dem die Männer und Frauen, wie <strong>Hirschinger</strong> richtig schildert, nicht<br />
authentisch und kaum als Menschen und Individuen dargestellt wurden. Ihre Biographie sollte<br />
keine Brüche oder „Schwächen“ oder Unklarheiten aufweisen. Bei diesem Wunsch nach<br />
Perfektion seitens <strong>des</strong> Staates wurden dann auch neben verdienten Widerstandskämpfern<br />
Menschen als solche stilisiert<br />
und aufgebaut, deren Verhalten während <strong>des</strong> Krieges dies eigentlich nicht gerechtfertigt hätte.<br />
Dabei wurde auch nicht davor zurückgescheut, Statements <strong>von</strong> teilweise ebenfalls aus dem<br />
Widerstand kommenden Personen, die das fragwürdige Verhalten ihrer Genossen beklagten,<br />
zu ignorieren oder unter den Teppich zu kehren.<br />
Ein Beispiel ist die Situation <strong>von</strong> kommunistischen Parteimitgliedern, die in<br />
Konzentrationslagern interniert waren und ihre Reaktionen auf den Druck und die<br />
Bedingungen, die sie dort erfuhren.<br />
Die Möglichkeiten <strong>des</strong> Umgangs mit der Haft reichten vom Widerstand in konspirativen<br />
Häftlingsorganisationen (z.B. in Buchenwald) über Sabotage, hinhaltenden oder<br />
verzögerndem Widerstand bis zur Kollaboration. Ein beachtliches Problem indiesem Diskurs<br />
waren die so-genannten „Funktionshäftlinge“, als Kapos oder anderes KZ-Personal<br />
eingesetzte politische Häftlinge, welche angeblich und tatsächlich mittels ihrer „Funktion“<br />
versuchten, ihren Kameraden zu helfen, aber gleichzeitig immer auch mit den Nazis und<br />
ihren Verbrechen kooperierten.<br />
Der Kult um die (kommunistischen) Widerstandskämpfer diente nicht nur zur Festschreibung<br />
der DDR als antifaschistischem Staat. Gleichzeitig sollte auch eine möglichst ungebrochene<br />
Linie der antifaschistischen Tradition <strong>von</strong> Weimar bis weit nach 1945 suggeriert werden.<br />
Dabei war folgen<strong>des</strong> wichtig: Das ehemalige Mitglied <strong>des</strong> kommunistischen Widerstands<br />
musste sich uneingeschränkt zur SED und zum ganzen Staat DDR bekennen, was ja meistens<br />
auch der Fall war, um gewürdigt werden zu können. War allerdings ein solches Bekenntnis<br />
vorhanden und mangelte es trotzdem an der antifaschistischen „Musterbiographie“, konnte<br />
nachgeholfen werden. Viele Betroffene trugen aktiv zu Manipulationen bei oder ließen sie<br />
geschehen. Möglicherweise rechtfertigten sie dies damit, dass dies einer guten Sache diente,<br />
dieser Irrglaube wurde u.a. auch durch Direktiven <strong>von</strong> Erich Mielke -noch im Jahre 1985-<br />
zementiert. Die betreffenden Personen gewannen natürlich auch Vorteile dadurch und<br />
mussten sich mit ihrem negativen Verhalten nicht auseinandersetzen, möglicherweise wurden<br />
die Manipulationen teilweise <strong>von</strong> ihnen auch selbst mehr oder minder geglaubt und<br />
„internalisiert“.<br />
<strong>Hirschinger</strong>s Bericht umfasst nicht nur die Zeit der DDR, obwohl die beschriebenen<br />
Fälschungen dort entstanden. Doch der Zeitraum seiner Untersuchung reicht bis ins Jahr<br />
2005. Der Nimbus der „geschönten“ Widerstandskämpfer wirke bis heute fort.<br />
Laut dem Verfasser sollen linke, antifaschistische Jugendgruppen Personen mit gefälschten<br />
Lebensläufen und dem Kult um sie aufgesessen sein. Mancherorts hätten sie sich auch der<br />
„Wahrheitsfindung“ zu diesen Personen verweigert, was man laut <strong>Hirschinger</strong> auch am Fall<br />
Jupp Gerats erkennen könne. Der Verfasser meint, der Kult soll auch daran hindern, die<br />
Lebenslügen ehemaliger SED- Mitglieder aufzudecken und zieht damit die Verbindung<br />
zwischen Lügen während der /über die Nazizeit sowie Lügen in der DDR.<br />
Herr <strong>Hirschinger</strong> betont, am Schluss seiner umfassend recherchierten Arbeit, dass diese nicht<br />
dazu dienen solle, den antifaschistischen Widerstand zu diffamieren, sondern ihn vor<br />
politischem Mißbrauch <strong>von</strong> links wie rechts- da der Antifaschismus durch die Fälschungen
auch angreifbar sei- zu schützen und ihn seiner Mythen zu entkleiden. Für ihn zählten die<br />
Fakten und die Menschen hinter den Mythen.<br />
Diesem Zugang zum Thema ist sicherlich zuzustimmen, zumal in der NS-Zeit auch<br />
„authentische“ Widerstandskämpfer kommunistischer oder linker Prägung existierten, die<br />
einer geforderten Entmythologisierung standhalten beziehungsweise im Umgang mit ihnen<br />
<strong>von</strong> dieser profitieren könnten und entgegen <strong>des</strong> „verordneten“ Antifaschismus vom Mythos<br />
zur Person würden.<br />
„The truth will set you free.“<br />
Helle Kuhlenkamp (<strong>Osteuropa</strong>-<strong>Zentrum</strong> Berlin)