15.02.2014 Aufrufe

Mein lesbisches Auge - konkursbuch Verlag Claudia Gehrke

Mein lesbisches Auge - konkursbuch Verlag Claudia Gehrke

Mein lesbisches Auge - konkursbuch Verlag Claudia Gehrke

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Leseprobe aus „Das dritte Mal“<br />

Sie schaute mich an. Wir standen vor dem Haus. Ein feuchter Fleck im Mauerwerk<br />

neben der Tür. Vom Plastikvordach tropfte es. »Ich möchte das eigentlich nicht«, sagte<br />

sie. »Was möchtest du nicht?« – »Warum machen das nicht meine Schwestern, ich will<br />

das nicht, das Haus ausräumen. Ist nur Müll. Da war sicher seit Ewigkeiten niemand<br />

mehr drin von meinen Geschwistern. Die haben sich doch auch nicht um das alte Zeug<br />

gekümmert, die ganzen Jahre.« Sie sah traurig aus. Ich kann mir noch heute dieses<br />

Bild vor <strong>Auge</strong>n rufen, sehe sie in dem Moment, als wir vor der Tür standen, das erste<br />

Mal vor diesem Haus, wie sie mich anschaute, wie mir das einen Stich versetzte und<br />

ich einen Liebesflash hatte. Als würden sich Gefühle sprunghaft verändern, in eine<br />

neue Dimension geraten. Ich könnte diese Momente aufzählen, bis heute, wie an einer<br />

Perlenkette. Ich wollte sie küssen, sie mit einem Kuss beruhigen, nahm ihr Gesicht<br />

zwischen meine Hände und sagte: »Wird schon nicht so schlimm sein. Ein altes Haus<br />

ausräumen, wer weiß, welche Abenteuer auf uns warten. Ich finde das sehr spannend!«<br />

Der Regen wurde lauter. Wir drehten uns um. Geglitzer. Wir blickten durch den<br />

Regenvorhang ins Sonnenlicht, auf die überwucherten alten Bäume, das hohe Gras im<br />

Wasserdampf. Irgendwo auf der anderen Seite des Hauses musste jetzt ein Regenbogen<br />

zu sehen sein. Wir standen eine Weile still und bewunderten das Schauspiel. Mir kam<br />

ein Satz in den Sinn, den ich von Angelita mal gehört hatte. »Wenn Sonne und Regen<br />

aufeinandertreffen, sagt man bei uns: ›Da heiraten Hexen.‹ « Ich setzte an, ihr das zu<br />

erzählen, da drehte sie sich zu mir um, ihre Wangen rot von Regen und Sonne, sie<br />

glühte, sie sah so schön aus. Ich verstummte. Wir sahen uns an, bis sie sagte, »du<br />

hast recht. Wir gehen da jetzt rein. Wird schon ein Abenteuer werden«, und die Tür<br />

öffnete. Wir traten ins Dunkel. Als sich meine <strong>Auge</strong>n an den Lichtunterschied gewöhnt<br />

hatten, nahm ich als Erstes an der abblätternden Tapete gegenüber der Eingangstür<br />

vier gerahmte Fotos von Kindern wahr. Dann das alte Bettsofa an der Wand unter dem<br />

Fenster. Unter Spinnenfäden. Wir hatten unsere Schlafsäcke im Auto. Mich schauderte.<br />

Und zugleich erfasste mich Erregung. Wir würden in diesem Bett miteiander schlafen.<br />

Unter Spinnenfäden. In einer Staubwolke. Sie stand still neben mir. Ich fragte: »Seid ihr<br />

die Kinder auf den Fotos? Mal sehen, ob ich dich erkenne«, und realisierte, dass ich<br />

noch nie ein Foto von ihr als Kind gesehen hatte.<br />

(aus Kapitel 6)<br />

www.<strong>konkursbuch</strong>.com <strong>Verlag</strong> <strong>Claudia</strong> <strong>Gehrke</strong> PF 1621 D-72006 Tübingen 8 Tel. 0049 (0) 7071 66551 Fax (0) 7071 63539 E-Mail: office@<strong>konkursbuch</strong>.com

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!