Mein lesbisches Auge - konkursbuch Verlag Claudia Gehrke
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Leseprobe aus „Das dritte Mal“<br />
Sie schaute mich an. Wir standen vor dem Haus. Ein feuchter Fleck im Mauerwerk<br />
neben der Tür. Vom Plastikvordach tropfte es. »Ich möchte das eigentlich nicht«, sagte<br />
sie. »Was möchtest du nicht?« – »Warum machen das nicht meine Schwestern, ich will<br />
das nicht, das Haus ausräumen. Ist nur Müll. Da war sicher seit Ewigkeiten niemand<br />
mehr drin von meinen Geschwistern. Die haben sich doch auch nicht um das alte Zeug<br />
gekümmert, die ganzen Jahre.« Sie sah traurig aus. Ich kann mir noch heute dieses<br />
Bild vor <strong>Auge</strong>n rufen, sehe sie in dem Moment, als wir vor der Tür standen, das erste<br />
Mal vor diesem Haus, wie sie mich anschaute, wie mir das einen Stich versetzte und<br />
ich einen Liebesflash hatte. Als würden sich Gefühle sprunghaft verändern, in eine<br />
neue Dimension geraten. Ich könnte diese Momente aufzählen, bis heute, wie an einer<br />
Perlenkette. Ich wollte sie küssen, sie mit einem Kuss beruhigen, nahm ihr Gesicht<br />
zwischen meine Hände und sagte: »Wird schon nicht so schlimm sein. Ein altes Haus<br />
ausräumen, wer weiß, welche Abenteuer auf uns warten. Ich finde das sehr spannend!«<br />
Der Regen wurde lauter. Wir drehten uns um. Geglitzer. Wir blickten durch den<br />
Regenvorhang ins Sonnenlicht, auf die überwucherten alten Bäume, das hohe Gras im<br />
Wasserdampf. Irgendwo auf der anderen Seite des Hauses musste jetzt ein Regenbogen<br />
zu sehen sein. Wir standen eine Weile still und bewunderten das Schauspiel. Mir kam<br />
ein Satz in den Sinn, den ich von Angelita mal gehört hatte. »Wenn Sonne und Regen<br />
aufeinandertreffen, sagt man bei uns: ›Da heiraten Hexen.‹ « Ich setzte an, ihr das zu<br />
erzählen, da drehte sie sich zu mir um, ihre Wangen rot von Regen und Sonne, sie<br />
glühte, sie sah so schön aus. Ich verstummte. Wir sahen uns an, bis sie sagte, »du<br />
hast recht. Wir gehen da jetzt rein. Wird schon ein Abenteuer werden«, und die Tür<br />
öffnete. Wir traten ins Dunkel. Als sich meine <strong>Auge</strong>n an den Lichtunterschied gewöhnt<br />
hatten, nahm ich als Erstes an der abblätternden Tapete gegenüber der Eingangstür<br />
vier gerahmte Fotos von Kindern wahr. Dann das alte Bettsofa an der Wand unter dem<br />
Fenster. Unter Spinnenfäden. Wir hatten unsere Schlafsäcke im Auto. Mich schauderte.<br />
Und zugleich erfasste mich Erregung. Wir würden in diesem Bett miteiander schlafen.<br />
Unter Spinnenfäden. In einer Staubwolke. Sie stand still neben mir. Ich fragte: »Seid ihr<br />
die Kinder auf den Fotos? Mal sehen, ob ich dich erkenne«, und realisierte, dass ich<br />
noch nie ein Foto von ihr als Kind gesehen hatte.<br />
(aus Kapitel 6)<br />
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