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Jahresbericht 2008 - LVR-Klinik Bonn

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<strong>LVR</strong>-<strong>Klinik</strong> <strong>Bonn</strong><br />

TRIAS_Transkulturelle Institutsambulanz<br />

für Suchterkrankungen und<br />

Psychotherapie<br />

<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2008</strong><br />

Transkulturelle Institutsambulanz<br />

für Suchterkrankungen und Psychotherapie<br />

der <strong>LVR</strong> <strong>Klinik</strong> <strong>Bonn</strong> (TRIAS)<br />

Stand: Februar 2009<br />

Professor Dr. med. Markus Banger<br />

Josef Driter<br />

Marissa Hey M.A.<br />

Dr. med. Erkan Kilic<br />

Katharina Neuburg<br />

Yüksel Özcan<br />

Katharina Pries<br />

Karoline F. Spiske<br />

Marion Winterscheid<br />

Klaudia Zantner<br />

mit Unterstützung der Stadt <strong>Bonn</strong>


Inhalt<br />

1 Migration und Gesundheit Seite 03<br />

2 Transkulturelle Ambulanz: Zusammenführung der Migrationsprojekte Seite 04<br />

3 Herausforderungen und Besonderheiten der transkulturellen Behandlung<br />

Seite 05<br />

4 Bericht der Transkulturellen Ambulanz im Allgemeinen Seite 07<br />

4.1 Regelmäßige Veranstaltungen Seite 07<br />

4.2 Vernetzung Seite 07<br />

4.3 Öffentlichkeitswirksamkeit Seite 08<br />

4.4 Personalveränderung Seite 08<br />

4.5 Kultursensibilität in der Gesamtabteilung Seite 08<br />

5 Zielformulierungen aus dem Bericht 2007 Seite 09<br />

6 Bericht „Programm für russischsprachige Migranten“ Seite 10<br />

6.1 Multiprofessioneller und psychoedukativer Ansatz Seite 10<br />

6.2 Qualitätssicherung und Standardisierung Seite 10<br />

6.3 Offene Gesprächsgruppe für alkoholerkrankte russischsprachige<br />

Migranten Seite 10<br />

6.4 Weitere Entwicklungen Seite 11<br />

7 Bericht „Programm für Migranten aus dem türkischsprachigen Kulturraum“<br />

Seite 11<br />

7.1 Patienten Seite 11<br />

7.2 Spielsucht Seite 12<br />

7.3 Statistische Erhebungen und Qualitätssicherung Seite 12<br />

7.4 Weitere Aktivitäten Seite 12<br />

8 Bericht „Angebot für polnischsprachige Migranten“ Seite 13<br />

8.1 Methode Seite 13<br />

8.2 Teilnehmer Seite 14<br />

8.3 Weitere Aktivitäten Seite 14<br />

9 Zukünftige Weiterentwicklung, weiterführende Ziele, Ausblick Seite 15<br />

Literatur Seite 15<br />

II


1 Migration und Gesundheit<br />

Migration, verstanden als dauerhafte oder vorübergehende, aber über längere Zeit bestehende<br />

Verlegung des Wohnsitzes (vgl. Hausotter / Schouler-Ocak 2007), ist in Deutschland<br />

weit verbreitet. Die Gründe von Migration sind dabei vielfältig, Migranten sind „grob umrissen<br />

a) Hochqualifizierte zum Zwecke der Arbeitsaufnahme, b) Studenten, c) politische Flüchtlinge,<br />

d) Spätaussiedler sowie e) Ehepartner und Kinder von hier lebenden Zuwanderern und<br />

Deutschen“ (Finkelstein 2006:13). In der Transkulturellen Ambulanz werden vor allem Patienten<br />

der Gruppen c) bis e) behandelt.<br />

Die Ausländerzahlen können dieses Phänomen in seiner Gesamtheit nicht repräsentieren,<br />

da sie „1. Geburten von Ausländern in Deutschland (die sog. zweite und dritte Migrantengeneration,<br />

die selbst nie migrierte), 2. Todesfälle von Ausländern in Deutschland sowie 3. Einbürgerungen“<br />

(BAMF <strong>2008</strong>: 1) nicht berücksichtigen. Dennoch tragen die 7,3 Millionen<br />

Ausländer (8,9% Bevölkerungsanteil), die zum 31.12.2007 in Deutschland lebten und deren<br />

Zahl seit 2004 weitgehend konstant ist (BAMF <strong>2008</strong>: 2; 4), zu dem Bild Deutschlands als<br />

Einwanderungsland bei, sowie ihre verschiedenen Nationalitäten die Diversität der Bevölkerung,<br />

die in Deutschland lebt, widerspiegeln. Im Land Nordrhein-Westfalen liegt der Ausländeranteil<br />

zum 31.12.2007 über dem bundesdeutschen Durchschnitt bei 10,6% (Statistisches<br />

Bundesamt <strong>2008</strong>), in der Stadt <strong>Bonn</strong> sogar bei 16,1%, im Rhein-Sieg-Kreis dahingegen nur<br />

bei 8,4% (LDS NRW <strong>2008</strong>).<br />

Dabei sind die Migranten keinesfalls als homogene Gruppe zu bezeichnen, sondern unterscheiden<br />

sich hinsichtlich ihrer Lebenswelten beträchtlich, wobei Herkunftsland und Religionszugehörigkeit,<br />

die als die klassischen Differenzierungsmerkmale in Bezug auf Fremdsein<br />

gelten, zum Teil weniger bedeutsam sind als soziale Schichtzugehörigkeit, politische und berufliche<br />

Stellung, Alter, Geschlecht, etc. (vgl. Sinus Sociovision 2009). Der russische Arzt ist<br />

dem deutschen Arzt vielleicht näher als der deutsche Produktionshelfer dem deutschen Arzt.<br />

Das Robert Koch-Institut widmet dem Thema Migration und Gesundheit <strong>2008</strong> eine Sonderberichterstattung,<br />

die zusammenfasst, dass mit einem Migrationshintergrund spezifische<br />

Gesundheitsrisiken verbunden seien, Migration jedoch nicht per se krank oder kränker mache<br />

(vgl. RK-I <strong>2008</strong>: 129). Es wird deutlich, dass Bedarf an einer Versorgung, die auf die<br />

besonderen Bedürfnisse von Migranten zugeschnitten ist, besteht. Zur Versorgung suchtkranker<br />

Migranten liefert dieser Bericht keine eindeutigen Zahlen. Verschiedene Statistiken,<br />

die aber keine Repräsentativität für die Gesamtgesellschaft besitzen, deuten darauf hin, dass<br />

über Häufigkeitsverteilungen und Vergleiche zwischen suchtkranken Migranten und „Nicht-<br />

Migranten“ nur spekuliert werden kann und dass Bedarf an genauerem Datenmaterial besteht<br />

(Robert Koch-Institut <strong>2008</strong>: 59). Dennoch wird die Hypothese erstellt, dass spezifische<br />

3


Zusammenhänge zwischen Migrationsgeschichte und Suchterkrankung bestehen könnten<br />

(vgl. Robert Koch-Institut <strong>2008</strong>: 57).<br />

Migration gehört nach Czycholl 1 (2002) zu den „Krisenzeiten“ menschlicher Entwicklung, von<br />

der jedoch im Gegensatz zu den Prozessen Geburt, Tod, Erwachsen-Werden nicht alle<br />

Menschen betroffen sind. Migration ist mit Risiken und auch mit Chancen verbunden, bedeutet<br />

aber stets „ein Lebensereignis […], das Belastungen mit sich bringt“ (Czycholl 2002: 5;<br />

vgl. auch: Hausotter / Schouler-Ocak 2007), bedeutet Identitätsverlust, Neuorientierung,<br />

Wandern, das Verlassen vertrauter Denk- und Handlungsmuster, Verunsicherung, möglicherweise<br />

Statusverlust, Ängste, Isolation, Ghettoisierung, Trennung. Damit sind Migranten<br />

einer großen Anzahl an Faktoren ausgesetzt, die Abhängigkeitserkrankungen begünstigen,<br />

stellen bei hoch einzuschätzender Dunkelziffer einen vergleichsweise großen Anteil unter<br />

den Suchtkranken dar und fordern bisherige Suchthilfekonzepte vorwiegend aufgrund kultureller<br />

Diversität, anderer Verständnisse im Umgang mit Suchtmitteln und Psychotherapie, mit<br />

Institutionen und Suchthilfe heraus (vgl. Czycholl 2002).<br />

2 Transkulturelle Ambulanz: Zusammenführung der Migrationsprojekte 2<br />

Zu Beginn des Jahres <strong>2008</strong> wurden die einzelnen Migrationsprojekte respektive die migrantenspezifischen<br />

Angebote der Suchtambulanz zur Transkulturellen Ambulanz zusammengeführt.<br />

Damit wird auf die eingangs dargestellte Bedeutung von Migration als omnipräsentem<br />

Phänomen der Gegenwartsgesellschaft reagiert. Die Zusammenführung verfolgt das Ziel, die<br />

Beschäftigung mit den Herausforderungen einer Einwanderungsgesellschaft nicht auf<br />

einzelne nationale und sprachliche Gruppen zu beschränken, sondern sich zusätzlich grundsätzlich<br />

der Frage zu stellen, welche Zusammenhänge es zwischen Migrations- und Suchtgeschichte<br />

der Patienten gibt, welche Bedürfnisse Migranten im <strong>Klinik</strong>- und Ambulanzalltag<br />

haben und wie die Abteilung diesen gerecht werden kann. Als übergeordnetes Ziel wird dabei<br />

Qualitätsverbesserung und Effizienz der Behandlung verfolgt. Mit der Suche nach neuen<br />

Behandlungsansätzen können einerseits Zeitaufwand – und damit Kosten – reduziert werden,<br />

andererseits die Zufriedenheit von <strong>Klinik</strong>personal und Patienten erhöht werden, denn für<br />

diese sind die kulturellen und sprachlichen (Verständigungs-)Probleme nicht selten mit hoher<br />

Frustration verbunden. Des Weiteren dient die Beschäftigung mit kultursensibler Behandlung<br />

und der Erreichbarkeit der Patienten dazu, dem Versorgungsauftrag der <strong>Klinik</strong> gerecht zu<br />

werden und einen Beitrag zur öffentlichen Gesundheitsversorgung aller Einwohner des Versorgungsgebietes<br />

zu leisten.<br />

1 Czycholl beschränkt sich in seiner Analyse auf Migranten aus den ehemaligen GUS, das heißt vorrangig<br />

auf Spätaussiedler. Diese Ergebnisse werden hier in Bezug auf Migranten im Allgemeinen angewendet.<br />

2 vgl. hierzu vor allem die <strong>Jahresbericht</strong>e des Migrationsprojektes aus dem Jahr 2006 (Banger et al.<br />

2006) und der Interkulturellen Ambulanz aus dem Jahre 2007 (Banger et al. 2007).<br />

4


Das Wort „transkulturell“ im Namen der Ambulanz betont die Vielschichtigkeit sowie die innere<br />

Verwobenheit von Kulturen, das gegenseitige Beeinflussen und Durchdringen und zielt<br />

dabei auf eine kulturallgemeine und kulturüberschreitende Betrachtungsweise (vgl. Hepp,<br />

2006: 67; Hinnekamp 1994; Matoba/Scheible 2007; Welsch 1995).<br />

„Die Transkulturelle Psychiatrie ist ein Zweig der Psychiatrie, die sich mit den kulturellen<br />

Aspekten der Ätiologie, der Häufigkeit und Art geistiger Erkrankungen sowie mit<br />

der Behandlung und Nachbehandlung der Krankheiten innerhalb einer gegebenen<br />

Einheit befaßt. Der Begriff Transkulturelle Psychiatrie, die eine Erweiterung der Kulturellen<br />

Psychiatrie ist, bedeutet, dass der wissenschaftliche Beobachter über den<br />

Bereich einer kulturellen Einheit hinausblickend andere Kulturbereiche einbezieht.“<br />

(Wittkower 1972, in Machleidt o.J.: 1)<br />

Die drei Hauptzweige der Transkulturellen Ambulanz sind die bereits länger bestehenden<br />

Angebote und Programme für russisch-, türkisch- und polnischsprachige Migranten mit<br />

Suchterkrankungen.<br />

Bereits 2002 wurde in der Institutsambulanz für Suchterkrankungen und Psychotherapie ein<br />

Migrationsprojekt für russischsprachige Migranten, das psychotherapeutische, fachärztliche<br />

und sozialarbeiterische Behandlung und Begleitung umfasst, eingerichtet. Die Patienten<br />

werden durch Josef Driter, einen Migrationspädagogen, der selbst aus den ehemaligen GUS<br />

stammt, kultursensibel und muttersprachlich begleitet und betreut. Durch die Ärztin Katharina<br />

Pries, die das Projekt auf Honorarbasis unterstützt, ist weitere muttersprachliche Behandlung<br />

möglich. Dieses Projekt wird mit Unterstützung der Stadt <strong>Bonn</strong> realisiert.<br />

Im Jahre 2006 wurde ein Projekt für Migranten aus dem türkischsprachigen Kulturraum etabliert.<br />

Die Patienten werden von Dr. Erkan Kilic (Arzt) und der Yüksel Özcan (Arzthelferin)<br />

behandelt und versorgt. Es erfolgte eine Anschubfinanzierung durch den Landschaftsverband<br />

Rheinland.<br />

2007 wurde mit einer Gruppe für polnischsprachige Migranten ein weiteres Angebot bereitgestellt.<br />

Die Gruppe wird von der Sozialarbeiterin Klaudia Zantner geleitet und ist zur Zeit<br />

noch nicht refinanziert.<br />

3 Herausforderungen und Besonderheiten in der transkulturellen Behandlung<br />

Die Mitarbeiter der Transkulturellen Ambulanz berichten über Herausforderungen und Besonderheiten,<br />

die in Zusammenhang mit der Behandlung und Betreuung von Migranten –<br />

von Menschen mit anderen Muttersprachen und kulturellen Hintergründen – wiederholt auf-<br />

5


treten. Diese Beobachtungen werden im Austausch mit den Mitarbeitern der Ambulanz und<br />

der Abteilung für Suchterkrankungen und Psychiatrie, sowie durch allgemeine Literatur gestützt.<br />

Menschen aus anderen Kulturkreisen begegnen dem deutschen Suchthilfesystem häufig mit<br />

Misstrauen. Dies hat zum einen mit einem generellen Misstrauen gegenüber Institutionen<br />

und psychiatrischen Einrichtungen zu tun, zum anderen mit der Unkenntnis des hiesigen<br />

Verständnisses von Suchthilfe, Behandlung, Beratung und Betreuung. Zusätzliche Sprachprobleme<br />

erschweren es, die Besonderheiten und das Hilfeangebot (statt Strafangebot) verständlich<br />

zu machen. Dies hat zur Folge, dass für Migranten je Kontakt mehr Zeit benötigt<br />

wird und dass eine individuelle und kontinuierliche Betreuung durch den/die Behandler/in<br />

gewährleistet sein sollte. Es scheint daher zielführend zu sein, wenn der/die jeweilige Behandler/in<br />

respektive das Behandlerteam selbst Migrationserfahrung hat und / oder über<br />

besondere interkulturelle Kompetenzen verfügt. Ein auf dieser Basis entstehendes therapeutisches<br />

Vertrauensverhältnis bildet die Basis für eine erfolgversprechende Behandlung und<br />

Betreuung.<br />

Im abteilungsweiten Umgang wird berichtet, dass die Scheu, die Patienten gegenüber den<br />

deutschen Mitarbeitern haben, auch auf der Gegenseite zu finden ist. Auch für Mitarbeiter ist<br />

eine Begegnung mit anderen Weltbildern, mit anderen Selbstverständlichkeiten, mit anderen<br />

Sprachen eine große Herausforderung. Deshalb ist es wichtig, dass die Erfahrungen in der<br />

Arbeit mit Migranten weiter verbreitet werden, dass das Thema „Multikulturalität“ stetig auf<br />

der Agenda aller Mitarbeiter aktualisiert wird und dass das Team sich selbst aus verschiedenen<br />

Kulturen und Herkunftsländern zusammensetzt, so dass die Interkulturalität zur Normalität<br />

werden kann. Letztlich, so könnte man den Gedanken fortführen, bedeutet jeder Kontakt<br />

eine interkulturelle Begegnung, denn immer, wenn zwei Menschen sich begegnen, treffen<br />

zwei Weltsichten, zwei Interpretationsmöglichkeiten, zwei individuelle Lebensläufe und zwei<br />

soziale Netzwerke aufeinander.<br />

Auch Sucht und Krankheit werden kulturell divers verstanden. Was als suchtkrank, abhängig<br />

oder süchtig bezeichnet wird, und an welche Stoffe dies gebunden ist, hängt stark davon ab,<br />

was die Gesellschaft als „normal“ und „üblich“ bezeichnet. Welche Getränke gehören beispielsweise<br />

zum täglichen Konsum aller dazu? Nicht selten sind dabei Unterschiede zum<br />

deutschen Verständnis, aber auch zur deutschen Gesetzgebung gegeben.<br />

Die Differenzierung zwischen somatischen und psychischen Erkrankungen – die „Trennung“<br />

von Körper und Seele –, die in Deutschland geläufig ist, ist ebenso wenig universell. Möglicherweise<br />

werden psychische Erkrankungen als persönliches Versagen gewertet (und nicht<br />

als Krankheit betrachtet), andererseits wiederum Körper und Seele als Einheit betrachtet.<br />

6


So wie sich das Verständnis von Krankheit und Sucht(krankheit) unterscheidet, so unterscheidet<br />

sich auch der Umgang mit Erkrankten – von der familiären Unterstützung, von Isolation,<br />

zentraler Betreuung und sozialem Umfeld bis zur institutionellen Betreuung durch<br />

Krankenhäuser, Gesundheitsbehörden, öffentliche Beratungsstellen, Ärzte, Sozialarbeiter<br />

und Therapeuten.<br />

Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die Bedeutung der sozial konstruierten Geschlechterrollen<br />

(gender) – ein Thema, das in Zukunft in der Transkulturellen Ambulanz vermehrt<br />

berücksichtigt werden soll.<br />

Diese Herausforderungen bedeuten, dass erprobte Behandlungskonzepte nicht immer angewendet<br />

werden können. Sie fordern eine zeitlich intensivere Betreuung, sowie einen insgesamt<br />

längeren Therapieverlauf, der auch daraus resultiert, dass sich die in Deutschland<br />

lebenden Migranten nicht selten in einer sozialen Situation befinden (soziale Schicht, Aufenthaltsstatus,<br />

Arbeitsituation, Trennung von Familienangehörigen, Sprachschwierigkeiten,<br />

Isolation etc.), die den Therapieverlauf in besonderem Maße erschweren und eine umfassende,<br />

multiprofessionelle Versorgung fordern.<br />

4 Bericht der Transkulturellen Ambulanz im Allgemeinen<br />

4.1 Regelmäßige Veranstaltungen<br />

Die Frequenz der multiprofessionellen Teamsitzungen aller in der Transkulturellen Ambulanz<br />

beschäftigten Mitarbeiter wurde von einem vier- auf einen zweiwöchigen Rhythmus erhöht.<br />

Diese Teamsitzungen verfolgen strategische und konkret handlungsspezifische Ziele. Sie<br />

dienen dem Austausch von Erfahrungen, der gegenseitigen Fortbildung und Bereicherung in<br />

einem multikulturellen und multiprofessionellen Team. Des Weiteren sind die zukünftige Ausrichtung,<br />

die Weiterentwicklung und Sicherung der Finanzierung Aspekte, die kontinuierlich<br />

im Team fortgeschrieben werden. Dabei stellen die stetige Qualitätsverbesserung, Evaluation<br />

und kritische Überprüfung der Projektziele (z.B. die Erreichbarkeit von suchtkranken<br />

Migranten und deren Verweildauer im Programm) wichtige Punkte dar.<br />

Die Teamsitzungen werden von der Oberärztin Karoline Spiske geleitet, die auch die Mitarbeiter<br />

der Transkulturellen Ambulanz individuell supervisorisch betreut.<br />

4.2 Vernetzung<br />

<strong>Klinik</strong>intern ist die Transkulturelle Ambulanz eng mit der Ambulanz für Suchterkrankungen<br />

und Psychotherapie verzahnt, sowie auch mit dem stationären Bereich. Die Mitarbeiter der<br />

Transkulturellen Ambulanz befinden sich im permanenten Austausch mit den jeweils ande-<br />

7


en Therapeuten und Behandlungsteams und vermitteln bei Bedarf weitergehende ambulante<br />

Hilfen.<br />

Es ist angestrebt, auch abteilungsübergreifend die Fragestellung kultursensibler Behandlung<br />

in der <strong>Klinik</strong> weiter vorwärts zu treiben. Dazu gab es bereits erste Kontakte mit den Integrationsbeauftragten<br />

der <strong>Klinik</strong>.<br />

<strong>Klinik</strong>extern wird die Mitarbeit im <strong>Bonn</strong>er Arbeitskreis „Migration und Sucht“, sowie in der<br />

dazugehörigen Arbeitsgruppe fortgesetzt.<br />

Eine weitere Schnittstelle nach außen ist der Dialog mit Kostenträgern und Leistungserbringern,<br />

wobei die Darstellung des besonderen Behandlungsbedarf von Patienten mit Migrationshintergrund<br />

ein wichtiges Feld ist. Dipl. Sozialarbeiterin Marion Winterscheid, die sich<br />

diesen Fragestellungen federführend widmet, trägt auch hier zur Sensibilisierung für kulturspezifische<br />

Besonderheiten in der Behandlung und Betreuung von suchtkranken Migranten<br />

bei.<br />

4.3 Öffentlichkeitswirksamkeit<br />

<strong>2008</strong> erschien der Tagungsband zu den Interkulturellen Psychotherapietagen 2007 mit Beiträgen<br />

von Prof. Dr. Markus Banger (<strong>2008</strong>), Karoline F. Spiske und Dr. Erkan Kilic (<strong>2008</strong>).<br />

Im Rahmen der Umbenennung der <strong>Klinik</strong> in „<strong>LVR</strong>-<strong>Klinik</strong> <strong>Bonn</strong>“ werden im Jahr 2009 neue<br />

Flyer für die Transkulturelle Ambulanz erstellt werden.<br />

Auch im Arbeitskreis „Migration und Sucht“ werden neue Flyer erstellt. Dabei sollen die Angebote<br />

für türkischsprachige und polnischsprachige Migranten, die dort bislang noch nicht<br />

erschienen, zusätzlich aufgenommen werden.<br />

4.4 Personalveränderung<br />

Im Dezember <strong>2008</strong> wurde Marissa Hey (Sozialwirtin (FH), Master of Arts in Kommunikationsund<br />

Kulturwissenschaften) mit einer halben Stelle in der Transkulturellen Ambulanz eingestellt,<br />

um sich jenseits der einzelnen Sprach- und Kulturräume konzeptionell dem Thema der<br />

kultursensiblen Behandlung von suchterkrankten Patienten mit Migrationshintergrund zu<br />

widmen. Nach sechswöchiger Hospitation in der Abteilung für Suchterkrankungen und Psychotherapie<br />

– auf den verschiedenen Stationen, in der Ambulanz und im Casemanagement<br />

– nahm sie Mitte Januar 2009 ihre Tätigkeit in der Transkulturellen Ambulanz auf.<br />

4.5 Kultursensibilität in der Gesamtabteilung<br />

Aktuell wird ein Fortbildungskonzept entwickelt, das abteilungsübergreifend und klinikweit für<br />

alle Mitarbeiter zugänglich sein wird. Es wird intensiv für die Bedeutung des Themas geworben.<br />

Karoline Spiske, Dr. Erkan Kilic und Marissa Hey der Transkulturellen Ambulanz, sowie<br />

8


Dr. Gelas Habasch, die Integrationsbeauftragte der <strong>LVR</strong> <strong>Klinik</strong> <strong>Bonn</strong>, sind an der Konzeption<br />

beteiligt und möchten innerhalb der Fortbildungsveranstaltungen ihre spezifischen Erfahrungen<br />

und Kenntnisse an alle <strong>Klinik</strong>mitarbeiter weitergeben.<br />

5 Zielformulierungen aus dem Bericht 2007<br />

Folgende Ziele wurden im <strong>Jahresbericht</strong> 2007 formuliert und konnten weiter vorangetrieben<br />

werden.<br />

S.10: „Zielsetzungen des integrativen Ansatzes ist die weitere Sensibilisierung<br />

für und Berücksichtigung von migrationsspezifischen Stressfaktoren und kulturspezifischen<br />

Einflüssen in der Behandlung von Suchterkrankungen, die Förderung<br />

der Interkulturalität in der Gesamtabteilung und die Entwicklung neuer<br />

Behandlungsansätze.“<br />

→ In Zusammenarbeit mit den Integrationsbeauftragten der gesamten <strong>LVR</strong>-<br />

<strong>Klinik</strong> ist eine abteilungsübergreifende Fortbildungsveranstaltung zum Thema<br />

„Kultursensibilität“ in der Konzeptionierungsphase.<br />

→ Verstärkte Erhebungen und Analysen migrantenspezifischer Besonderheiten<br />

in der Behandlung werden derzeit geplant beziehungsweise bereits durchgeführt<br />

und evaluiert.<br />

S.20 Synergieprozesse auch auf überregionaler Ebene im Rheinland nutzen,<br />

z.B. bei der Übersetzung von Flyern, dem Aufbau von Internetseiten etc.<br />

→ Weitere Zusammenarbeit im lokalen Arbeitskreis „Migration und Sucht“, derzeit<br />

mit Neuauflage von Flyern beschäftigt.<br />

S.26 fehlende finanzielle Mittel, um für Polnisch sprechende Patienten eine qualifizierte<br />

Behandlung anzubieten<br />

→ Es konnte bereits eine inhaltliche Erweiterung des Gruppenangebotes erreicht<br />

werden. Ziel für 2009 ist die Ausweitung des Angebots in Anlehnung an<br />

das multidimensionale Behandlungsprogramm für russischsprachige Patienten<br />

sowie eine Akquirierung dazu notwendiger Finanzierungsmöglichkeiten.<br />

S. 31: Kultursensible und die Integration fördernde Suchtherapie in der ambulanten<br />

Suchtversorgung muss weiter durch regelhafte migrationsspezifische Aspekte<br />

erweitert werden, konsequenter Abbau von Zugangsbarriere durch<br />

Öffentlichkeitsarbeit<br />

→ Ein neuer Internetauftritt der gesamten Suchtabteilung steht kurz bevor. Dort<br />

wird die Transkulturelle Ambulanz einen eigenen Auftritt haben. Des Weiteren<br />

werden Flyerkonzeption und Öffentlichkeitsarbeit derzeit abteilungsumfassend<br />

überarbeitet.<br />

S.31 „Zur therapeutischen Qualitätssicherung ist es geplant, statistisch validierte<br />

türkischsprachige psychometrische Verfahren (Universitätsklinik Essen (<strong>LVR</strong>)<br />

und Universitätsklinik Ankara) wie das ASI, BDI und SCL 90 und SOGS (Spielsucht)<br />

einzusetzen.“<br />

→ Es konnten <strong>2008</strong> bereits zahlreiche Daten erhoben werden. Um eine ausreichend<br />

große Stichprobe zu erhalten, wird die Erhebung 2009 fortgeführt und<br />

ausgewertet<br />

9


6 Bericht „Programm für russischsprachige Migranten“<br />

Das psychosoziale Betreuungs- und Behandlungsprogramm für russischsprachige Migranten<br />

wurde <strong>2008</strong> in bereits bewährter Form fortgeführt. Die gemeinsame Betreuung und Behandlung<br />

des russischstämmigen Migrationspädagogen Josef Driter, der Sozialarbeiterin Marion<br />

Winterscheid, sowie der russischsprachigen Ärztin Katharina Pries versorgte im Jahr <strong>2008</strong><br />

15 Patienten, von denen zu Jahresbeginn 2009 weiterhin 13 am Behandlungsprogramm teilnehmen.<br />

In der offenen Gruppe, die wöchentlich stattfindet und durch den Migrationspädagogen<br />

und einen Arzt geleitet wird, werden insgesamt ca. 24 Patienten betreut.<br />

6.1 Multiprofessioneller und psychoedukativer Ansatz<br />

Das multiprofessionelle Team erlaubt eine systemische und umfassende Betreuung der Patienten.<br />

Dabei wird ein psychoedukativer Ansatz verfolgt, der darauf zielt, den Patienten zur<br />

Krankheitseinsicht zu verhelfen, ihnen die Behandlungs- und Therapiemöglichkeiten nahe zu<br />

legen und sie langfristig an weitere Suchthilfeangebote anzubinden.<br />

Herr Driter ist dabei als Vertrauensperson für die Patienten ein wichtiger Ansprechpartner<br />

und ermöglicht oft erst die konstruktive Zusammenarbeit von Patienten und Behandlern. Er<br />

stellt darüber hinaus eine Schnittstelle zwischen dem ambulanten und stationären Bereich<br />

der Abteilung für Suchterkrankungen und Psychotherapie dar, da er sowohl die Patienten<br />

aus dem Behandlungsprogramm betreut, wenn diese stationär aufgenommen werden müssen,<br />

als auch bei kulturellen und sprachlichen Verständigungsschwierigkeiten mit russischsprachigen<br />

Patienten auf den Stationen beratend hinzugezogen wird.<br />

6.2 Qualitätssicherung und Standardisierung<br />

Seit <strong>2008</strong> werden für die Patienten im russischsprachigen Programm Hilfepläne erstellt und<br />

regelmäßig (alle sechs Monate) fortgeschrieben. Damit ist eine kontinuierliche Überwachung<br />

und Verfolgung der Zielerreichung möglich.<br />

Da es sich bei den Patienten vorwiegend um „nicht wartezimmerfähige“ Patienten mit zusätzlichen<br />

gravierenden sozialen, wirtschaftlichen und familiären Problemen handelt, werden<br />

diese Ziele in kleinen Schritten verfolgt, wobei bisweilen auch der Erhalt des bisherigen Status<br />

mit großen Herausforderungen verbunden ist. Die Mitarbeiter des Teams stellen hier fest,<br />

dass ein Vergleich mit der Behandlung von deutschen Suchtpatienten nicht möglich ist.<br />

6.3 Offene Gesprächsgruppe für alkoholerkrankte russischsprachige Migranten<br />

An der offenen Gesprächsgruppe nehmen die Patienten des Behandlungsprogramms teil,<br />

aber auch russischsprachige Patienten, die sich stationär (vor allem in Haus 15) aufhalten<br />

und weitere ambulante Patienten. Insgesamt nahmen so im Jahr <strong>2008</strong> etwa 24 Patienten<br />

das Gruppenangebot war, wobei sich eine Stammgruppe von ca. 7-8 Patienten bildete. Mindestens<br />

vier Patienten können aufgrund von Schichtarbeit nicht regelmäßig an der Gruppe<br />

10


teilnehmen, nehmen an diesen Tagen jedoch vormittags Einzelgespräche mit Herrn Driter<br />

war.<br />

In der Gruppe besteht die Möglichkeit, medizinische Fragestellungen zu besprechen, im<br />

Vordergrund stehen jedoch meist Fragen zur familiären Situation, zum Arbeitsplatz und zum<br />

Leben mit der Alkoholerkrankung, sowie zu Themen der Einsamkeit. Für eine Gruppenteilnahme<br />

ist Alkoholintoxikation nicht erlaubt. Die Gruppe ermöglicht Gemeinschaftserlebnisse<br />

„ohne Alkohol“, sowie die Auseinandersetzung auch mit Themen, die nicht mit Alkohol verbunden<br />

sind.<br />

Herr Driter berichtet, dass die Gruppe sehr darauf abziele, zu vermitteln, was es heiße, mit<br />

einer Alkoholerkrankung zu leben und damit umzugehen, wozu eine emotionalere Ebene als<br />

das vielleicht in der „deutschen“ Behandlung üblich wäre, notwendig sei. Insbesondere vor<br />

dem Hintergrund der Verhaftung und Anzeige von Drogenkonsumenten in der ehemaligen<br />

Sowjetunion ist eine vertrauensvollen Beziehung Voraussetzung für eine erfolgreiche Behandlung.<br />

Im Jahr <strong>2008</strong> haben sich einige der Patienten der Gruppe signifikant stabilisiert. In einem Fall<br />

reduzierte sich beispielsweise eine stationäre Aufenthaltszahl von 7-8 Aufenthalten pro Jahr<br />

in den Jahren 2006 und 2007 auf Null, in einem anderen Fall ein täglicher Alkoholkonsum<br />

auf einen einzigen kurzen Rückfall im Jahr <strong>2008</strong>.<br />

6.4 Weitere Entwicklungen<br />

Ende <strong>2008</strong> wurde stationär mit Herrn Pavel Faybisovich ein Arzt aus den ehemaligen GUS<br />

eingestellt, der mit dazu beiträgt, russischsprachige Patienten abteilungsweit zu versorgen<br />

und die Auseinandersetzung mit kulturellen Hintergründen innerhalb der <strong>Klinik</strong>mitarbeiter<br />

anzuregen.<br />

7 Bericht „Programm für Migranten aus dem türkischsprachigen Kulturraum“<br />

Im Angebot für Migranten aus dem türkischsprachigen Kulturraum werden Menschen mit<br />

Abhängigkeitserkrankungen und Komorbiditäten vorwiegend aus dem türkischsprachigen<br />

Raum, aber auch aus einigen nordafrikanischen und arabischen Ländern behandelt. Das<br />

Team aus dem Arzt Dr. Erkan Kilic und der Arzthelfern Yüksel Özcan gewährleistet eine türkischsprachige<br />

und kultursensible Betreuung und Behandlung der Patienten vom ersten Anruf<br />

an.<br />

7.1 Patienten<br />

Von Herrn Dr. Kilic wurden im Jahr <strong>2008</strong> 247 Patienten behandelt, seit Beginn des Programms<br />

insgesamt 352 Patienten.<br />

11


Unter den Patienten spielen vor allem Alkohol und Nikotin eine große Rolle, aber auch Spielsucht,<br />

THC und vereinzelt, vorwiegend bei Frauen, Medikamentenabhängigkeiten sind anzutreffen.<br />

7.2 Spielsucht<br />

Rund 5,7 – 8,6% der Patientengruppe sind von Spielsucht betroffen, wobei die Dunkelziffer<br />

wesentlich höher einzuschätzen ist. Es wird beobachtet, dass – vermutlich in Zusammenhang<br />

mit der individuellen wirtschaftlichen Situation, sowie der globalen Finanzkrise – eine<br />

Suchtverlagerung hin zur Spielsucht stattfindet. Viele der Spielsüchtigen sind arbeitslos und<br />

kompensieren in der Sucht den Verlust von sozialem Status und wirtschaftlichen Möglichkeiten.<br />

Häufig sind exzessive Pokerrunden anzutreffen, sowie auch „der einarmige Bandit“ und<br />

andere Glücksspiele weit verbreitet sind.<br />

Im Februar <strong>2008</strong> wurde ein Gruppenangebot für türkischsprachige Spielsüchtige etabliert.<br />

Nach sechs Monaten wurde dieses wieder aufgelöst, da sich zeigte, dass die Compliance<br />

der Patienten zu gering war, um an einer solchen Gruppe teilzunehmen. Dies hinge zum Teil<br />

mit der kulturell bedingten Scham zusammen, die eine offene Therapierunde weniger effektiv<br />

macht. Die hohe Fluktuation führte letztlich zum Entschluss, das Gruppenangebot aufzulösen<br />

und die Patienten weiterhin in Einzelgesprächen zu betreuen.<br />

7.3 Statistische Erhebungen und Qualitätssicherung<br />

Im Rahmen des Strebens nach Qualitätssicherung und Standardisierung wurden verschiedene<br />

Instrumente, die in türkischer Sprache vorliegen, genutzt. So konnten in einem ersten<br />

Durchlauf bereits zahlreiche Daten mittels folgender Fragebögen erhoben werden: ASI (Eurepean<br />

Addiction Severity Index), SCL 90-R (Symptom-Checkliste von Derogatis), BDI<br />

(Beck-Depressionsinventar) und SOKTT (South Oaks kumar tarama testi [South Oaks<br />

Gambling Screen]). Um eine ausreichend große Anzahl für eine repräsentative Erhebung zu<br />

erhalten, wird die Erhebung aktuell fortgesetzt. Des Weiteren wird ein zweiter Durchlauf zur<br />

Überwachung des Behandlungsverlaufes durchgeführt.<br />

Parallel dazu hat die Auswertung der Daten, die im Laufe des Jahres 2009 abgeschlossen<br />

werden soll, begonnen.<br />

7.4 Weitere Aktivitäten<br />

Am 23.04.<strong>2008</strong> war Herr Dr. Kilic zu einem Vortrag in den Arbeitskreis Erwachsenenpsychiatrie<br />

der Psychosozialen Arbeitsgemeinschaft für den Rhein-Erft-Kreis in Hürth eingeladen.<br />

Er referierte zum Thema „Professionelles Verhalten in der Interkulturellen Psychiatrie“.<br />

Aktuell läuft in der Ambulanz der Abteilungen für Suchterkrankungen und Psychotherapie, zu<br />

der auch die Transkulturelle Ambulanz gehört, ein Auswahlverfahren für eine zweite tür-<br />

12


kischsprachige Arzthelferin, welche die Betreuung der türkischsprachigen Patienten unterstützen<br />

soll.<br />

8 Bericht „Angebot für polnischsprachige Migranten“<br />

Das Angebot für polnischsprachige Suchtkranke besteht seit 2007. Es handelt sich dabei um<br />

eine Gruppe, die von Klaudia Zantner (Dipl. Sozialarbeiterin) angeleitet wird und wöchentlich<br />

stattfindet.<br />

Im Jahre <strong>2008</strong> gab es eine Sommerpause in den Monaten Juni und Juli. Im November und<br />

Dezember fand die Gruppe nicht statt beziehungsweise wurde durch Einzelgespräche ersetzt,<br />

weil ein großer Teil der Kerngruppe sich zu diesem Zeitpunkt in einer Langzeittherapie-<br />

Behandlung befand. Im Januar 2009 wurde die Gruppe wieder aufgenommen und wird nun<br />

nach neuem Konzept durchgeführt.<br />

8.1 Methode<br />

Bislang lehnte sich die Gruppe methodisch an eine Selbsthilfegruppe im Stile der Anonymen<br />

Alkoholiker an, das heißt, es standen vor allem die Themen der Patienten im Vordergrund.<br />

Da dies mitunter vom eigentlichen Zweck der Gruppe abwich, und für Kontinuität, Verbindlichkeit<br />

und Motivation hinderlich war, wurde für 2009 eine Neustrukturierung der Gruppe im<br />

Stil einer Rückfallpräventionsgruppe konzipiert. Diese orientiert sich an dem modularen Aufbau<br />

der Rückfallprävention nach Joachim Körkel und Christine Schindler (2003) und weist<br />

ein strukturiertes Schema in 12 Modulen auf, wobei unter anderem Suchtdruck, der Umgang<br />

mit Rückfällen, emotionale und soziale Situation der Betroffenen berücksichtigt werden. Unabhängig<br />

der Struktur stehen weiterhin die jeweils individuellen Bedürfnisse der Teilnehmer<br />

im Mittelpunkt. Die einzelnen Module bauen nicht aufeinander auf, so dass ein Einstieg jederzeit<br />

möglich ist. Auch ein mehrmaliges Durchlaufen des Modulzyklus’ ist möglich und aufgrund<br />

der jeweiligen Anpassung an die Fragestellungen der Patienten nicht redundant.<br />

Neben der inhaltlichen Arbeit an ihrer Suchterkrankung wird der Neustrukturierung auch ein<br />

Verbindlichkeitstraining hinzugefügt. Dies erwartet von den Teilnehmern zum einen, dass sie<br />

zur Teilnahme an der Gruppe nüchtern sind (Null-Promille-Grenze), was durch Abpusten vor<br />

jedem Gruppentermin kontrolliert wird. Zum anderen bedeutet es, dass die Teilnehmer insgesamt<br />

nicht mehr als viermal pro Modulzyklus fehle dürfen und davon nicht mehr als dreimal<br />

in Folge. Es besteht jedoch die Möglichkeit, nach Ablauf des Zyklus’ wieder neu<br />

einzusteigen.<br />

13


8.2 Teilnehmer<br />

Im Laufe des Jahres <strong>2008</strong> nahmen insgesamt 16 Patienten am Gruppenangebot teil. Dabei<br />

besteht ein konstanter Kern von fünf Patienten, der jeweils von durchschnittlich ca. zwei stationären<br />

Patienten und eventuell unregelmäßig dazu stoßenden externen Patienten erweitert<br />

wird.<br />

Warum die elf Patienten neben der Kerngruppe nicht regelmäßig oder nur während ihrer<br />

stationären Zeit an der Gruppe teilnahmen, kann nicht vollständig beantwortet werden. Drei<br />

dieser Patienten jedoch stammen aus dem Rhein-Sieg-Kreis und können aus finanziellen<br />

Gründen (ARGE-Empfänger) und aus Gründen der unzureichenden Anbindung an den<br />

ÖPNV nicht wöchentlich nach <strong>Bonn</strong> kommen. Ein Patient verstarb. Des Weiteren werden<br />

Gründe wie Rückfall, Saisonarbeit, Schwarzarbeit und Heimreise genannt.<br />

8.3 Weitere Aktivitäten<br />

Frau Zantner übernimmt innerhalb der Abteilung auf allen Stationen Übersetzungs- und Beratungsdienste<br />

in psychosozialen Angelegenheiten. Dazu wird sie durchschnittlich etwa zwei<br />

Mal im Monat angefragt. Bislang war sie dabei meist auf den Akutstationen im Haupthaus,<br />

wobei meist die Klärung der Krankenkassenversicherung und der Finanzierung des <strong>Klinik</strong>aufenthaltes<br />

im Mittelpunkt stehen. Dabei sieht sich die <strong>LVR</strong>-<strong>Klinik</strong> immer wieder dem<br />

Problem von Patienten mit Touristenvisum und/ oder ohne gültige Krankenversicherung gegenübergestellt.<br />

Für diese, oft besonders hilfebedürftigen Patienten kann deshalb nur eine<br />

Notfallversorgung geleistet werden.<br />

Zusätzlich unterstützt Frau Zantner mündlich die Nachsorgeplanung. Wünsche auf Patientenseite<br />

sind dabei oft die konkrete Nachsorgeklärung, insbesondere mit polnischsprachigen<br />

Angeboten, da die deutsche Sprache als Therapiesprache oft ein Hindernis darstellt. Eine<br />

Refinanzierung für diese zusätzlichen Aufgaben ebenso wie für das bereits bestehende<br />

Gruppenangebot ist derzeit noch nicht erfolgt.<br />

Das stationäre Behandlungsteam berichtet oft, dass die Sprachprobleme ein Hindernis für<br />

die Anamnese darstellen. Durch die Übersetzungsarbeit werden so neue anamnetische Befunde<br />

gewonnen. Insbesondere in Bezug auf soziale Fragen seien manche polnischsprachige<br />

Patienten den deutschen Sozialarbeitern und Ärzten nicht so offen gegenüber, weil viele<br />

schwarzarbeiten, und allgemein die Weiterleitung von Daten fürchten. Frau Zantner gegenüber<br />

besteht häufig ein größeres Vertrauen, aber auch sie wird als <strong>Klinik</strong>mitarbeiterin oft<br />

schon parteiisch betrachtet, was ein gewisses Misstrauen zur Folge haben kann.<br />

14


9 Zukünftige Weiterentwicklung, weiterführende Ziele, Ausblick<br />

Ziele und Aufgaben für das neue Jahr sind die zum einen die kontinuierliche Weiterarbeit an<br />

den bestehenden Projekten, die Qualitätsverbesserung und Fortschreibung, wie sie an voran<br />

gegangen Stellen dieses Berichtes bereits dargestellt wurde, sowie die Orientierung an den<br />

Sonnenberger Leitlinien (vgl. <strong>Jahresbericht</strong> 2007; Machleidt o.J.) und die Fokussierung auf<br />

quantifizierbare Wirksamkeitsnachweise. Des Weiteren wird eine Ausweitung des Angebots<br />

für polnischsprachige Patienten im Sinne eines Behandlungsprogramms, sowie dessen Refinanzierung<br />

angestrebt.<br />

Besonderes Augenmerk liegt darauf, die Erfahrungen in der interkulturellen Beratung und<br />

Behandlung innerhalb der Abteilung und innerhalb der <strong>Klinik</strong> weiter zu tragen. Für das Jahr<br />

2009 wird ein transkulturelles Fest geplant.<br />

Für die Transkulturelle Ambulanz selbst ist das wichtigste Ziel jedoch eine konzeptionelle<br />

Neuorientierung, die auf der Zusammenführung der drei Einzelprojekte im Jahr <strong>2008</strong> beruht.<br />

Es wird ein Konzept erarbeitet werden, das jedem Teilprojekt weiterhin individuelle Qualitäten<br />

einräumt und darüber hinaus die Verknüpfung dieser Teilprojekte sowie die breitere<br />

Beschäftigung mit der Thematik „Migration und Sucht“ plant und entwickelt. Dabei spielen<br />

unter anderem auch eine permanente Evaluierung mit standardisierten Instrumenten der<br />

Psychiatrie sowie die Weiterentwicklung von spezifischen und innovativen Behandlungskonzepten<br />

für suchtkranke Migranten eine Rolle.<br />

Wichtig sind dabei die strategischen Planungen im Kontext gesamtgesellschaftlicher, klinikweiter,<br />

medizinischer und allgemeiner Entwicklungen, aber auch die jeweils aktuellen organisatorischen,<br />

finanziellen und personellen Situationen, die die Transkulturelle Ambulanz stetig<br />

vor neue Herausforderungen stellen.<br />

Die Mitarbeiter der Transkulturellen Ambulanz danken der Stadt <strong>Bonn</strong> für die Unterstützung,<br />

für das Vertrauen und die gute, unkomplizierte Zusammenarbeit!<br />

Literatur<br />

BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) (<strong>2008</strong>): Ausländerzahlen 2007.<br />

http://www.bamf.de/cln_092/nn_442496/SharedDocs/Anlagen/DE/DasBAMF/Downlo<br />

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Banger, Markus (<strong>2008</strong>): Aufbau einer kultursensiblen Behandlung Suchtkranker. In: Junglas,<br />

Jürgen (Hrsg.): Kultur der Therapie der Kulturen. Psychotherapie und Psychiatrie mit<br />

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Rheinischen <strong>Klinik</strong>en <strong>Bonn</strong>.<br />

Banger, Markus et al. (2007): <strong>Jahresbericht</strong> 2007. Interkulturelle Ambulanz in den Rheinischen<br />

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Gesundheit in Bayern e.V. (Hrsg.): Sucht und Migration. Suchtprävention und -arbeit<br />

mit Menschen aus der GUS. Drittes Bayerisches Forum Suchtprävention der Landeszentrale<br />

für Gesundheit in Bayern e.V. München, S. 3-13.<br />

Finkelstein, Kerstin F. (2006): Eingewandert. Deutschlands „Parallelgesellschaften“. <strong>Bonn</strong>:<br />

Bundeszentrale für politische Bildung.<br />

Hausotter, Wolfgang / Schouler-Ocak, Meryam (2007): Begutachtung bei Menschen mit<br />

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Jena: Urban&Fischer Verlag.<br />

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Hinnekamp, Volker (1994): Einleitung: Interkulturelle Kommunikation. http://www.hs-fulda.de/<br />

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Junglas, Jürgen (<strong>2008</strong>): Psychotherapie und Psychiatrie mit Migrationshintergrund: Kultur<br />

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der Kulturen. Psychotherapie und Psychiatrie mit Migrationshintergrund. Beiträge zu<br />

allgemeinen PSYCHOtherapie 6. <strong>Bonn</strong>: Deutscher Psychologenverband, S.7-56.<br />

Körkel, Joachim / Schindler, Claudia (2003): Rückfallprävention mit Alkoholabhängigen. Ein<br />

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LDS NRW (Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik) (<strong>2008</strong>): Ausländische Bevölkerung<br />

in Nordrhein-Westfalen am 31.Dezember 2007. Düsseldorf.<br />

Machleidt, Wielant (o.J.): Ausgangslage und Leitlinien transkultureller Psychiatrie in Deutschland.<br />

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Psychiatrie mit Migrationshintergund [Beiträge zur allgemeinen PSYCHOtherapie 6].<br />

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