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Klia und Geisel in Merseburg

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Hausarbeit von Jochen Hofmann - Student der Kultur- <strong>und</strong> Medienpädagogik an der Fachhochschule<br />

<strong>Merseburg</strong>. Kontakt zu Jochen Hofmann über Mail: jotto82@web.de<br />

<strong>Klia</strong> <strong>und</strong> <strong>Geisel</strong> <strong>in</strong> <strong>Merseburg</strong><br />

A. Zerstörung durch Aufbau<br />

Immer wieder wurde <strong>und</strong> wird die These vertreten, die deutschen Städte hätten ihr Gesicht nicht so<br />

sehr durch die Zerstörungen des 2. Weltkrieges verloren, sondern erst danach. Der Wiederaufbau<br />

habe größere Narben h<strong>in</strong>terlassen als die Bombennächte. Der Publizist Wolf Jobst Siedler, der diese<br />

Ansicht immer wieder <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Veröffentlichungen vertreten hat, beklagte schon 1962: „ Ganze<br />

Stadtviertel, die den Krieg nur mäßig beschädigt überstanden, s<strong>in</strong>d so erst <strong>in</strong> den letzten Jahren<br />

zerstört worden, vernichtet <strong>in</strong> ihrem historischen Charakter <strong>und</strong> <strong>in</strong> ihrer architektonischen<br />

E<strong>in</strong>heitlichkeit“ 1 . Diese Tendenz galt für beide Teile Deutschlands.<br />

So kann man als Beleg, unabhängig, ob sich die Aussage auf alle deutschen Städte gesehen empirisch<br />

belegen läßt, <strong>Merseburg</strong> anführen. Die mehr als 1000 Jahre alte Stadt machte im 20 Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

e<strong>in</strong>en rasanten Wandel von e<strong>in</strong>er als etwas verschlafen geltenden Beamten- zur modernen<br />

Industriestadt durch. Diese Entwicklung war begleitet von e<strong>in</strong>er rasanten Zunahme der Bevölkerung<br />

<strong>und</strong> e<strong>in</strong>er Ausdehnung des Stadtgebietes durch neue Siedlungen. Doch der historische Kern der alten<br />

Domstadt blieb lange Zeit davon unbee<strong>in</strong>flußt <strong>und</strong> konnte sich so se<strong>in</strong>e Schönheit bewahren.<br />

Doch am 15.11.1967 wurde der Generalbebauungsplan für die „sozialistische Rekonstruktion“<br />

<strong>Merseburg</strong>s verabschiedet. Die Arbeiten begannen am 2. Februar des Folgejahres mit der<br />

Gr<strong>und</strong>ste<strong>in</strong>legung auf dem Marx-Engels-Platz. Auf diese Rekonstruktion, diesen „Wiederaufbau“ paßt<br />

das Zitat von W.J. Siedler vollkommen, denn die historischen Gebäude der Altstadt wurden zum<br />

großen Teil dem Erdboden gleichgemacht <strong>und</strong> die Flächen „willkürlich <strong>in</strong> Großblockbauweise bebaut“ 2<br />

Bis heute verschandeln diese das <strong>Merseburg</strong>er Stadtbild.<br />

Aber nicht nur die Bausubstanz fiel den uns heute unverständlichen Vorstellungen e<strong>in</strong>er modernen<br />

Stadt zum Opfer, auch die durch die Stadt fließenden Bäche <strong>Klia</strong> <strong>und</strong> <strong>Geisel</strong> entg<strong>in</strong>gen nicht der Plan<strong>und</strong><br />

Regulierungswut. Zum Wesen des Menschen des Menschen gehört es, daß er <strong>in</strong> die Natur<br />

e<strong>in</strong>greift <strong>und</strong> sie zu se<strong>in</strong>em Nutzen verändert. Leider ist man aber versucht zu sagen, daß das immer<br />

zu Problemen führt. <strong>Geisel</strong> <strong>und</strong> <strong>Klia</strong> s<strong>in</strong>d leider ke<strong>in</strong> Gegenbeispiel. Man muß schon wissen, daß die<br />

<strong>Geisel</strong> e<strong>in</strong>st durch <strong>Merseburg</strong> floß <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Nähe der Neumarktbrücke <strong>in</strong> die Saale mündete.<br />

Erkennbar ist von ihrem ehemaligen Flußbett heute nichts mehr. Lediglich die <strong>Klia</strong> fließt noch durch<br />

die Stadt. Doch diese, bereits Ende des 19 Jahrh<strong>und</strong>erts begradigt, versprüht den Charme e<strong>in</strong>er<br />

oberirdischen Kloake.<br />

1Siedler, W. J., Die gemordete Stadt, 1978<br />

2Jankowsky, Jürgen, <strong>Merseburg</strong>er Chronik, <strong>Merseburg</strong> 1991, S. 187<br />

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Die vorliegende Arbeit will, bewußt schlaglichtartig, die Vergangenheit, Gegenwart <strong>und</strong> möglichen<br />

Zukunft der beiden Bäche darstellen. Das Augenmerk liegt hierbei vor allem auf dem 20. Jahrh<strong>und</strong>ert,<br />

<strong>in</strong> dem die größten E<strong>in</strong>griffe, sieht man vom Bau des Gotthardteiches ab, <strong>in</strong> den natürlichen Lauf der<br />

Bäche stattgef<strong>und</strong>en haben.<br />

Diese Arbeit stützt sich auf Literatur- <strong>und</strong> vor allem Archivrecherchen im Stadtarchiv bzw.<br />

Landesarchiv <strong>Merseburg</strong>. Auf der e<strong>in</strong>en Seite bed<strong>in</strong>gten die mir vorliegenden Quellen gewiss <strong>in</strong> nicht<br />

ger<strong>in</strong>gem Maß die Ausrichtung der Arbeit, da es sich vor allem um Akten handelten, die sich mit der<br />

bereits erwähnten <strong>Geisel</strong>re<strong>in</strong>igungsgenossenschaft befassen. Andererseits machte es die Fülle des<br />

Materials (es handelt sich immerh<strong>in</strong> über e<strong>in</strong>en Vorgang, der sich über viele Jahrzehnte erstreckte <strong>und</strong><br />

mit mehreren Rechtsstreiten gespickt ist. Zum Teil wirklich e<strong>in</strong> Lehrbeispiel des tendenziellen Irrs<strong>in</strong>ns<br />

der Bürokratie) es notwendig, bestimmte Aspekte herauszugreifen. Aber mir war es ja nicht an e<strong>in</strong>er<br />

Geschichte der Genossenschaft gelegen.. E<strong>in</strong>e weitere Schwierigkeit stellte der Gotthardteich dar. Er<br />

ist, von <strong>Geisel</strong> <strong>und</strong> <strong>Klia</strong> gespeist, e<strong>in</strong> zentraler Bestandteil der Stadt <strong>Merseburg</strong> <strong>und</strong> f<strong>in</strong>det daher <strong>in</strong> der<br />

Literatur auch viel Beachtung. <strong>Geisel</strong> <strong>und</strong> <strong>Klia</strong> im Stadtgebiet werden meist als re<strong>in</strong>e Abflüsse gesehen<br />

<strong>und</strong> f<strong>in</strong>den wenig Beachtung. So gibt es um die Jahrh<strong>und</strong>ertwende Klagen über die Verunre<strong>in</strong>igung<br />

des Teiches, aber die Betonierung der <strong>Klia</strong> zur gleichen Zeit sche<strong>in</strong>t ke<strong>in</strong>e Proteststürme hervorgerufen<br />

zu haben. <strong>Geisel</strong> <strong>und</strong> <strong>Klia</strong> s<strong>in</strong>d also <strong>in</strong> <strong>Merseburg</strong> nicht vom Gotthardteich zu trennen <strong>und</strong> man läuft<br />

immer Gefahr, e<strong>in</strong>e (weitere) Geschichte des Teiches zu schreiben.<br />

Die Bäche <strong>Geisel</strong> <strong>und</strong> <strong>Klia</strong> sowie der Gotthardteich werden kurz vorgestellt <strong>und</strong> danach auf die sich im<br />

19. <strong>und</strong> verstärkt im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert herausbildende Umweltproblematik e<strong>in</strong>gegangen. Größerer<br />

Raum wird dabei der Re<strong>in</strong>igungsgenossenschaft e<strong>in</strong>geräumt, die als Beispiel früher Umweltpolitik <strong>und</strong><br />

als vielleicht auch zukunftsweisendes Beispiel e<strong>in</strong>er Zusammenarbeit von Wirtschaft <strong>und</strong> öffentlicher<br />

Hand dienen mag. Am Schluß soll der Frage nach der Zukunft von <strong>Geisel</strong> <strong>und</strong> <strong>Klia</strong> <strong>in</strong> <strong>Merseburg</strong><br />

nachgegangen werden.<br />

B. <strong>Geisel</strong> <strong>und</strong> <strong>Klia</strong> <strong>in</strong> <strong>Merseburg</strong><br />

1. Die <strong>Geisel</strong><br />

Die <strong>Geisel</strong> entspr<strong>in</strong>gt bei Mücheln, 20 km westlich von <strong>Merseburg</strong> <strong>und</strong> mündete bis Ende der 70er<br />

Jahre <strong>in</strong> <strong>Merseburg</strong> <strong>in</strong> die Saale. Erstmals wird die <strong>Geisel</strong> 1283 urk<strong>und</strong>lich erwähnt. Entstanden soll der<br />

Bachlauf se<strong>in</strong>, als die Unstrut ihre ursprünglich west-östliche Fließrichtung verließ <strong>und</strong> sich nach Süden<br />

der Saale zuwandte. An die Stelle des ehemaligen Unstrut-Unterlaufes ist dann die <strong>Geisel</strong> getreten.<br />

Georg Wedd<strong>in</strong>g 3 leitet den Bachnamen vom althochdeutschen Wort „giozo“ bzw. dem<br />

mittelhochdeutschen „gieze“ her, was soviel bedeutet wie fließendes Wasser, schmaler Bach. Walter<br />

3Wedd<strong>in</strong>g, Georg, Die Bachnamen <strong>Klia</strong> <strong>und</strong> <strong>Geisel</strong> <strong>in</strong>: <strong>Merseburg</strong>er Land, Heft 14/1928, S. 20 – 23<br />

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Saal 4 hat <strong>in</strong> neuer Zeit dagegen die etymologische Wurzel mit dem alt- bzw. mittelhochdeutschen<br />

„geiz“ für Geiß oder Ziege angegeben, aber auch die Möglichkeit des Ursprunges im Verb „geten“, d.h.<br />

gießen, <strong>in</strong> Erwägung gezogen, woraus sich die Bezeichnung als e<strong>in</strong> aus dem Wald kommender,<br />

„gießender oder spr<strong>in</strong>gender Bach“ herleiten ließe. Diese Erklärung deckt sich mit der von Wedd<strong>in</strong>g.<br />

Auf jeden Fall hat sich wohl aus e<strong>in</strong>em Gattungsbegriff e<strong>in</strong> Eigenname herausgebildet.<br />

Das <strong>Geisel</strong>tal war e<strong>in</strong>st Sumpfgelände <strong>und</strong> wurde im Zuge der Besiedelung <strong>und</strong> Urbarmachung der<br />

Gegend trockengelegt. So wurde um das Jahr 1000 zur Entwässerung des Tales die Mühlgeisel bei<br />

Mücheln geschaffen, weitere Entwässerungsgräben sollten folgen. Doch nicht nur auf diese Weise<br />

bee<strong>in</strong>flußte der Mensch, der das Tal sehr dicht besiedelte, den natürlichen Lauf des Baches. So nutzte<br />

er auch se<strong>in</strong>e Wasserkraft, schon 1265 wird <strong>in</strong> den Quellen e<strong>in</strong>e von der <strong>Geisel</strong> angetriebene Mühle<br />

erwähnt. Insbesondere aber der Braunkohlebergbau seit dem 17. <strong>und</strong> <strong>in</strong>tensiv seit dem 20<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert hat das Gesicht des Tales nachhaltig verändert. Die E<strong>in</strong>griffe reichen bis <strong>in</strong> die jüngere<br />

Vergangenheit So wurde zu Beg<strong>in</strong>n der 40er Jahre das Flußbett zwischen den Orten Neumark <strong>und</strong><br />

Frankleben e<strong>in</strong>fach verlegt. E<strong>in</strong>e besonders häßliche Veränderung, ja man könnte sagen, se<strong>in</strong>e<br />

Vernichtung, musste der Bach jedoch <strong>in</strong> <strong>Merseburg</strong> h<strong>in</strong>nehmen.<br />

Die <strong>Geisel</strong> mündete ursprünglich bei <strong>Merseburg</strong> <strong>in</strong> die Saale <strong>und</strong> begrenzte e<strong>in</strong>stmals auch das<br />

Stadtgebiet. Erst unter Otto I. wurde das Gebiet südlich des Baches besiedelt. Vor allem aber diente<br />

der Bach ist der Stadt, da er der entscheidende Zufluß für die Gotthardtsteiche war <strong>und</strong> ist.<br />

Vom Teich aus durchquerte die <strong>Geisel</strong> auf ihrem Weg zur Saale die Stadt. E<strong>in</strong> Bericht aus dem Jahre<br />

1936 schildert den Lauf des Baches am Marktplatz:<br />

„Dunkel bricht das Gewässer unter dem bogen des Hauses hervor <strong>und</strong> eilt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Zementbett<br />

schnell vorüber, als fliehe es der wenig anheimelnden Stätte. Grau steigen die Wände der Gebäude<br />

auf <strong>und</strong> ihre Fenster mit den bl<strong>in</strong>den oder verhängten Scheiben vermögen nicht den E<strong>in</strong>druck des<br />

Unbehaglichen zu mildern (...) Wie abstoßend mag dieser Ort erst gewesen se<strong>in</strong>, als die <strong>Geisel</strong> noch<br />

nicht <strong>in</strong> der festen R<strong>in</strong>ne floß, die Kanalisation der Stadt noch nicht <strong>in</strong> Angriff genommen war <strong>und</strong> der<br />

Unrat aus den umgebenden Gr<strong>und</strong>stücken dem Bach hier zugeführt wurde! Nur kräftige Regengüsse<br />

konnten se<strong>in</strong>e Re<strong>in</strong>igung übernehmen Traten jedoch die Wassermengen so gewaltig auf, daß die<br />

Brücke sie nicht zu fassen vermochte, dann ergossen sie sich über den Roßmarkt <strong>und</strong> wurden auch<br />

wohl über den Marktplatz bis h<strong>in</strong>auf an den Ratskeller gedrückt. Schreckliche Verwüstungen richtete<br />

ihre Fluten namentlich bei den Durchbrüchen des Gotthardtsteiches 1504, 1684 <strong>und</strong> 1799 an.<br />

Mannshoch stand das Wasser auf den Plätzen <strong>und</strong> Menschen <strong>und</strong> Vieh fielen ihm zum Opfer. Erst als<br />

der Roßmark t <strong>und</strong> die Straßen se<strong>in</strong>er Umgebung 1819/21 mit Erdmassen vom Sixtiberge aufgefüllt<br />

<strong>und</strong> die Abflüsse des Gotthardtteiches gebessert wurden, auch se<strong>in</strong> Damm größere Festigkeit erhielt<br />

blieb <strong>Merseburg</strong> von solchem Unheil bewahrt.“<br />

5<br />

4Saal, Walter, Die <strong>Geisel</strong> – der aus e<strong>in</strong>em Waldgebiet spr<strong>in</strong>gende Bach, <strong>in</strong>: MZ vom 28.12.1993<br />

5<strong>Merseburg</strong>er Tageblatt 25.1.1936<br />

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E<strong>in</strong>e Antwort auf die Frage, wie „abstoßend“ der Ort war, bevor die Kanalisation <strong>und</strong> Bachregulierung<br />

kam, mag vielleicht folgende Polizeiverordnung aus dem Jahre 1820 geben:<br />

„Da bei der diesmaligen Räumung der <strong>Geisel</strong> wahrzunehmen gewesen, daß besonders da, wo <strong>in</strong> den<br />

daran gelegenen H<strong>in</strong>tergebäuden, Gärten oder Gehöften Thüren nach der <strong>Geisel</strong> zu angebracht s<strong>in</strong>d,<br />

sich ganze Horste von Sand <strong>und</strong> Unrath angehäuft haben <strong>und</strong> dadurch die begründetste Vermuthung<br />

entstehet , daß von den Hausbesitzern oder deren Miethleuten der ergangenen Verbote ungeachte t,<br />

aller Unrath <strong>und</strong> Kehrricht <strong>in</strong> die <strong>Geisel</strong> geschüttet werde, (...)“<br />

6<br />

Die beschriebenen Dammbauten waren nicht die e<strong>in</strong>zigen Maßnahmen, die <strong>Geisel</strong> zu bändigen. E<strong>in</strong>e<br />

Regulierung wurde 1893 beendet <strong>und</strong> der Bericht erwähnt ja die „feste R<strong>in</strong>ne“, <strong>in</strong> die der Bach<br />

geleitet wurde.<br />

Dennoch muß die <strong>Geisel</strong> durchaus zur Verschönerung des <strong>Merseburg</strong>er Stadtbildes beigetragen haben.<br />

E<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>druck davon gibt der Bericht von Walter Saal:<br />

„Der Auslauf der <strong>Geisel</strong> aus dem Gotthardteich befand sich an der Südostecke des Teiches, da wo sich<br />

jetzt die Kettenbrücke bef<strong>in</strong>det“ (...) „Mittels Schleuse <strong>und</strong> Verrohrung floß die <strong>Geisel</strong> unter der<br />

Weißenfelser Straße durch <strong>und</strong> trat bei der Lederfabrik Nylius wieder ans Tageslicht. Die Lederfabriken<br />

waren ja auf reichlich Wasser angewiesen. Auf dem Gelände der Fabrik wurde nach dem 1. Weltkrieg<br />

das Kaufhaus Conitzer erbaut, das den 2. Weltkrieg überstand. Die <strong>Geisel</strong> floß von hier am Ostrand<br />

der Parkanlagen an der Stadtmauer zwischen Sanddurchbruch <strong>und</strong> Dammühle entlang <strong>in</strong> Richtung<br />

Norden. Auch die Dammühle ist e<strong>in</strong> Bombenopfer geworden. In der Nachkriegszeit stürzte sich hier<br />

das <strong>Geisel</strong>wasser über die Mühlenreste wasserfallartig herab. An der Lederfabrik trat die <strong>Geisel</strong> bei<br />

89,29 m Höhe heraus <strong>und</strong> verlor auf 280 m Länge etwa 24 cm Gefälle. Dieser <strong>Geisel</strong>teil hieß auch de<br />

Schafgraben , weil man hier früher die Schafe wusch. Unter dem Herzog Christian befand sich e<strong>in</strong><br />

weiterer Ablaß, der vor der Dammühle <strong>in</strong> die <strong>Geisel</strong> mündete. Er diente aber nur zum ablassen des<br />

Teichwassers, wenn abgefischt werden sollte. Zum Betrieb der Dammühlenräder stürzte das<br />

<strong>Geisel</strong>wasser r<strong>und</strong> 3 m ab. Die <strong>Geisel</strong> floß dann <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em betonierten Ger<strong>in</strong>ne auf der Südseite der<br />

verlängerten Preußerstraße“ (...) „115 m entlang , bog dann am Sand nach Süden ab <strong>und</strong> erreichte<br />

105 m weiter die Brücke zwischen Johannisstraße <strong>und</strong> den Sixtistraßen. Von hier ab floß es etwa 90 m<br />

h<strong>in</strong>ter den Häusern der Großen Sixtistraße <strong>und</strong> des Seitenbeutels entlang.“ (...) „Am Ausgang des<br />

Seitenbeutels <strong>in</strong> den Roßmarkt verschwand die <strong>Geisel</strong> unter der Erde. Auf etwa 115 Meter war sie<br />

überbaut <strong>und</strong> kam erst an der W<strong>in</strong>dbergschule wieder ans Tageslicht. H<strong>in</strong>ter er Schule befand sich<br />

e<strong>in</strong>e Brücke zum Brühl <strong>und</strong> W<strong>in</strong>dberg <strong>und</strong> von hier ab floß die <strong>Geisel</strong> auf der Rückseite der östlichen<br />

Gr<strong>und</strong>stücke von Ölgrube <strong>und</strong> Am Neumarkttor zur Neumarkt- oder Pappenmühle“. 7<br />

6Polizeiverordnung vom 4. Juni 1820, vgl. Anhang<br />

7Saal, Walter, Die <strong>Geisel</strong> floß durch <strong>Merseburg</strong> MZ 17. 5. 1991<br />

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2. Die <strong>Klia</strong><br />

Der Lauf der <strong>Klia</strong> beg<strong>in</strong>nt heute am nördlichen Ausfluß des Gotthardteiches. Doch früher war auch die<br />

<strong>Klia</strong> e<strong>in</strong> eigenständiger Bach. Der Chronist Vulpius berichtet, daß die <strong>Klia</strong> bei Geusa aus dem<br />

Tannenborn entspr<strong>in</strong>gt <strong>und</strong> über Atzendorf <strong>und</strong> Zscherben <strong>in</strong> Richtung <strong>Merseburg</strong> fließt <strong>und</strong> <strong>in</strong> diesen<br />

Orten Kl<strong>in</strong>gengraben genannt wird <strong>und</strong> se<strong>in</strong>en Lauf neben dem Gotthardteich habe.<br />

Doch der Chronist Brotuff, der im 16. Jahrh<strong>und</strong>ert lebte, berichtetet schon nicht mehr von diesem<br />

Bachlauf. Bei ihm wird „e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong> Wässerle<strong>in</strong>, das aus dem Stadtgraben <strong>und</strong> aus dem Gotthar dssehe“<br />

kommt erwähnt, welches <strong>in</strong> die Saale mündete. Rademacher<br />

8 weißt auf ältere Karten h<strong>in</strong>, auf denen<br />

der Oberlauf der <strong>Klia</strong> nördlich von Benndorf an der <strong>Geisel</strong> entspr<strong>in</strong>gt. „Es sche<strong>in</strong>t demnach, als wäre er<br />

früher bedeutender <strong>und</strong> wasserreicher gewesen. Heute bezeichnen den Lauf oberhalb, ehe er <strong>in</strong> den<br />

Teich fließt, nur noch e<strong>in</strong>ige Gräben <strong>und</strong> unterhalb ersche<strong>in</strong>t er nur noch als Abfluß des Teiches.“ 9<br />

Was ist also mit der <strong>Klia</strong> geschehen? Rademacher begründet das Verschw<strong>in</strong>den des Flußlaufs mit der<br />

Ausweitung des Gotthardteiches durch Bischof Thilo von Trotha im Jahre 1483. Das alte Flußbett<br />

wurde e<strong>in</strong>fach überschwemmt. Im Jahr 1717 wird durch Dämme bei Zscherben der Kl<strong>in</strong>genteich vom<br />

Gotthardteich abgetrennt, jedoch werden diese Dämme bereits 1729 wieder durchstoßen. Das<br />

Vorhandense<strong>in</strong> dieses Teiches weißt jedoch darauf h<strong>in</strong>, daß die <strong>Klia</strong> damals wesentlich mehr Wasser<br />

geführt haben muß, um selbst e<strong>in</strong>e solche Fläche überschwemmen zu können.<br />

Der Name „Kl<strong>in</strong>genteich“ führt auch zur etymologischen Bestimmung des Bachnamens. Wedd<strong>in</strong>g 10<br />

weist auf das alte Wort „kl<strong>in</strong>ge“ h<strong>in</strong>, das e<strong>in</strong>en Gebirgsbach, aber auch e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>fache R<strong>in</strong>ne bzw. e<strong>in</strong>en<br />

schmalen Graben bezeichnen kann. Man f<strong>in</strong>det für den Bachnamen auch die Formen „Klie“ oder<br />

„Klye“, die Wedd<strong>in</strong>g für die Namen des gesprochenen Dialektes hält, woraus sich dann <strong>in</strong> der<br />

Schriftsprache „Clia“ <strong>und</strong> schließlich „<strong>Klia</strong>“ entwickelt hat. Hochwasser gibt es an der <strong>Klia</strong> 1784 <strong>und</strong><br />

1887 <strong>und</strong> damit seltener als an der <strong>Geisel</strong>. Im Oktober 1896 wird begonnen, die <strong>Klia</strong> zu regulieren,<br />

was nach damaligen Vorstellungen die Betonierung des Flußbettes bedeutete. Als nach dem<br />

überraschendem E<strong>in</strong>tritt von Tauwetter die <strong>Klia</strong> 1897 wieder über ihre Ufer tritt <strong>und</strong> auf den<br />

angrenzenden Gr<strong>und</strong>stücken Schäden anrichtet, entwickelt sich e<strong>in</strong> Streit zwischen der Stadt<br />

<strong>Merseburg</strong> <strong>und</strong> der preußischen Regierung, die damals noch im Besitz der Gotthardteiche war. Die<br />

Stadt führt die Überflutungen auf die Mangelhafte Regulierung des Wasserstandes <strong>in</strong> den Teichen<br />

zurück. Der Streit wird jedoch beigelegt <strong>und</strong> die Betonierung des Flußbettes fortgesetzt <strong>und</strong> 1898<br />

beendet. Im Rahmen der erwähnten Rekonstruktionsmaßnahmen wird das Bett der <strong>Geisel</strong> im 20.<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert e<strong>in</strong> weiteres mal baulich verändert.<br />

8vgl. Rademacher, Otto, Der Gotthardteich <strong>in</strong> <strong>Merseburg</strong>, <strong>in</strong>: <strong>Merseburg</strong>er Land, Heft 2/1966 (Nachdrucke des Artikels von<br />

1912), S. 53-56<br />

9dito<br />

10Wedd<strong>in</strong>g, Georg, Die Bachnamen <strong>Klia</strong> <strong>und</strong> <strong>Geisel</strong>, <strong>in</strong>: <strong>Merseburg</strong>er Land, Heft 14/1928, S. 20 - 23<br />

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3. Der Gotthardteich<br />

Untrennbar mit <strong>Klia</strong> <strong>und</strong> <strong>Geisel</strong> verb<strong>und</strong>en ist der Gotthardteich, bzw. die Gotthardteiche. 11<br />

E<strong>in</strong>stmals lag der Teich vor den Toren der Stadt, bereits 968 f<strong>in</strong>den sich erste H<strong>in</strong>weise auf e<strong>in</strong>en<br />

Fischteich an dieser Stelle. Der Bedarf an Fisch war im Mittelalter hoch, da der Verzehr von Fleisch <strong>in</strong><br />

der Fastenzeit untersagt war. In den Urk<strong>und</strong>en wird der heutige Gotthardteich erstmals 1265 als<br />

pisc<strong>in</strong>a Mersburg erwähnt <strong>und</strong> durch zahlreiche Erweiterungsmaßnahmen, u.a. durch die Flutung<br />

ehemaliger Ste<strong>in</strong>brüche sowie weiter Wiesen- <strong>und</strong> Ackerflächen erreichte der Teich unter Bischof Thilo<br />

von Trotha um 1483 e<strong>in</strong>e Gesamtfläche von 75 ha (=750.000 m²) <strong>und</strong> erstreckte sich bis zur<br />

Ortsgrenze von Zscherben.<br />

Der Teich war überaus ertragreich: Im 16. <strong>und</strong> 17. Jahrh<strong>und</strong>ert, als man nur alle 3 Jahre <strong>und</strong> nicht<br />

wie später jährlich abfischte, f<strong>in</strong>g man 200 bis 300 Zentner Karpfen <strong>und</strong> zudem noch große Mengen<br />

verschiedener anderer Speisefische.<br />

Durch den Bau der Eisenbahnl<strong>in</strong>ie <strong>Merseburg</strong>-Weißenfels wurde der Teich 1846 <strong>in</strong> den vorderen <strong>und</strong><br />

h<strong>in</strong>teren Teil getrennt <strong>und</strong> 1910 erwarb ihn die Stadt <strong>Merseburg</strong> für 35.000 RM.<br />

Doch die Teichanlage machte immer auch Probleme. In den Urk<strong>und</strong>en s<strong>in</strong>d mehrere<br />

Überschwemmungen belegt, die zumeist durch das Tauwetter im Frühjahr ausgelöst wurden.<br />

Eisschollen verstopften dann die Abflüsse <strong>und</strong> die Wassermassen traten über die Dämme bzw. rissen<br />

diese e<strong>in</strong>.<br />

Der Teich war immer der e<strong>in</strong>er stärkeren als der natürlichen Verlandung ausgesetzt, denn er ist <strong>und</strong><br />

war ja ke<strong>in</strong> natürlich entstandenes Gewässer, <strong>in</strong> dem die Selbstre<strong>in</strong>igungskraft des Wassers für<br />

ausgeglichene Verhältnisse sorgt, sondern e<strong>in</strong> von Menschen angelegter wasserwirtschaftlicher<br />

Nutzbau. Verstärkt wurde dies noch durch die ger<strong>in</strong>ge Wassertiefe <strong>und</strong> dadurch, daß man die <strong>Geisel</strong><br />

nicht <strong>in</strong> ihrem eigentlichen Talwege belassen, sondern sie immer wieder gestaut <strong>und</strong> e<strong>in</strong>gedämmt<br />

wurde, um Mühlen betreiben zu können. Schon <strong>in</strong> früherer Zeit mussten die Teiche daher m<strong>in</strong>destens<br />

alle 2 Jahre geschlämmt <strong>und</strong> trockengelegt werden, was der Nutzung als Fischwasser aber durchaus<br />

entsprach. Die naturgegebenen Verlandungsvorgänge konnten dadurch selbstverständlich nicht<br />

unterb<strong>und</strong>en werden. Aber sie führten zunächst durchaus zur Entstehung neuer Lebensräume <strong>in</strong> den<br />

entstehenden Schilf- <strong>und</strong> Seggengürteln <strong>und</strong> damit zu e<strong>in</strong>er Vergrößerung des Artenreichtums.<br />

Insbesondere für Vögel, man zählte deren noch Ende des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts wie erwähnt über 70<br />

unterschiedliche Arten, boten sich ideale Bed<strong>in</strong>gungen.<br />

11vgl. Ste<strong>in</strong>, Monika, Der Gotthardteich <strong>in</strong> <strong>Merseburg</strong>, Sem<strong>in</strong>ararbeit, FH <strong>Merseburg</strong> 2001<br />

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4. Umweltprobleme<br />

Die regelmäßige Räumung <strong>und</strong> Pflege der <strong>Geisel</strong> <strong>und</strong> des Gotthardteiches wurde im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

wohl zusehends vernachlässigt. Besonders <strong>in</strong> den Jahren 1851 bis 1878 trat e<strong>in</strong>e beschleunigte<br />

Verlandung e<strong>in</strong> <strong>und</strong> seit dem Jahr 1881 f<strong>in</strong>den sich erste Klagen über den Zustand der Gewässer.<br />

Das Dilemma sah folgendermaßen aus: Das Wasser der Zuflüsse war stark verschmutzt. Die ger<strong>in</strong>ge<br />

Wassertiefe <strong>und</strong> Fließgeschw<strong>in</strong>digkeit z.B. der <strong>Geisel</strong> führte dazu, daß sich die festen Schmutzstoffe<br />

sehr leicht ablagern konnten. Dies führte wiederum zu e<strong>in</strong>er Absenkung der Tiefe <strong>und</strong> damit zu e<strong>in</strong>er<br />

Verr<strong>in</strong>gerung des Abflußquerschnittes, was die Bildung von Faulschlämmen nochmals begünstigt.<br />

Dieser Mechanismus kann sich so weit aufschaukeln, bis es zu e<strong>in</strong>em Absterben des Lebens im Wasser<br />

des Teiches kommt. Dieser Vorgang wurde zu Beg<strong>in</strong>n des Jahrh<strong>und</strong>erts durch den aufkommenden<br />

Kohlebergbau im <strong>Geisel</strong>tal noch <strong>in</strong>s Negative gesteigert. Zur Veranschaulichung der katastrophalen<br />

Zustände mögen e<strong>in</strong>ige Beispiele dienen. 1908 betrug die Staufläche des Gotthardteiches ca. 200<br />

Morgen, im Jahre 1913 waren es nur noch 70 Morgen, <strong>und</strong> 1915 sogar nur noch 52 Morgen.<br />

Innerhalb von nur 7 Jahren war der Teich also auf e<strong>in</strong> Viertel se<strong>in</strong>er ursprünglichen Größe<br />

geschrumpft, so daß sogar beabsichtigt wurde den ganzen oberen Gotthardteich zuzufüllen. Die<br />

Schlammtiefe wurde mit 1,6 bis zu 2,5 Metern gemessen. Die Tatsache, daß der Teich nicht im<br />

Eigentum der Stadt war, führte öfters, z.B. beim bereits erwähnten <strong>Klia</strong>hochwasser 1897, zu<br />

Friktionen. Doch auch der Kauf des Gotthardteiches durch die Stadt <strong>Merseburg</strong> im Jahre 1910 brachte<br />

ke<strong>in</strong>e entscheidende Verbesserung für dessen Wasserqualität.<br />

E<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>druck von der Tier- <strong>und</strong> Pflanzenwelt am Teich <strong>und</strong> ihrer Vernichtung durch die<br />

Wasserverschmutzung mögen die folgenden Berichte geben. So schreibt Dr. Täglich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Aufsatz<br />

„ Das blaue Auge <strong>Merseburg</strong>s“:<br />

„Da die Tiefe des Teiches ger<strong>in</strong>g war, trat schon bald e<strong>in</strong>e erhebliche Verlandung e<strong>in</strong> , die den<br />

verschiedensten Schilf- <strong>und</strong> Seggengesellschaften Vegetationsmöglichkeiten gab. Auch e<strong>in</strong>e reiche<br />

Vogelwelt fand im Röhricht gute Brutmöglichkeit, der Teich <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Umgebung bot ausreichend<br />

Nahrung. Die Wiesenweihe , die Kornweihe vermissen wir. Sie s<strong>in</strong>d dem verderblichen Ausrottungstrieb<br />

de Menschheit zum Opfer gefallen. Auch zahlreiche Entenarten, das Rotkehlchen, die kle<strong>in</strong>e<br />

Rohrdommel, Kampfläufer, Störche <strong>und</strong> viele andere schöne Vögel können nicht mehr beobachtet<br />

werden. Ihre Lebensräume <strong>und</strong> Futtertiere werden durch die fortschreitende Industrialisierung<br />

unseres Gebietes vernichtet. Schwäne <strong>und</strong> Zierenten, e<strong>in</strong>s t e<strong>in</strong>e Zierde des Gotthardteiches, g<strong>in</strong>gen<br />

durch die stark ölhaltigen Abwässer, die z.B. das Braunkohlenwerk Krumpa <strong>in</strong> die <strong>Geisel</strong> e<strong>in</strong>geleitet<br />

werden <strong>und</strong> zu e<strong>in</strong>er unverantwortliche Verschmutzung der Gewässer führen, vorigen Jahres an er<br />

Ölpest e<strong>in</strong>. Auch größere Mengen Karpfen g<strong>in</strong>gen dadurch der Volksernährung verloren. Anfang dieses<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts wurden ja auch bereits die noch vorhandenen Forellen an der <strong>Geisel</strong>, neben Ste<strong>in</strong>beißer<br />

<strong>und</strong> europäischer Sumpfschildkröte durch die e<strong>in</strong>setzende Industrialisierung vernichtet.<br />

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Die den Teich umgebenden Pflanzen, vor allem im h<strong>in</strong>teren Teil des Gotthardteiches konnten sich bis<br />

jetzt noch vo r der Vernichtung bewahren .<br />

Daher gilt unsere Forderung: Das dauernde E<strong>in</strong>leiten von Abwässern muß unterbleiben, damit sich<br />

wieder e<strong>in</strong>e biologisches Gleichgewicht im Gebiet des Gotthardteiches e<strong>in</strong>stellen kann, die noch<br />

vorhandene Tierwel t erhalten bleibt <strong>und</strong> das „Blaue Auge“ <strong>Merseburg</strong> - der Gotthardteich- wieder<br />

ungetrübt entgegenbl<strong>in</strong>kt.“ 12<br />

An anderer Stelle liest man bei A. Gerhardt:<br />

„Im Laufe der letzten Jahrzehnte, <strong>in</strong>sbesondere seit dem Übergang vom Domänenfiskus auf die Stadt<br />

(1910) ist der Teich allmählich versumpft <strong>und</strong> wird bedauerlicherweise, anstatt daß e<strong>in</strong>e Baggerung<br />

vorgenommen wird, immer mehr zugefüllt. Damit ist e<strong>in</strong>e ehemals Reiche Wasser Fauna <strong>und</strong> - Flora<br />

zum Großen Teil vernichtet worden. Denn e<strong>in</strong> reiches Tierleben herrsche e<strong>in</strong>st <strong>in</strong> ihm; gewährte doch<br />

das Schilfrohrdickicht des äußeren Teiches zahlreichem Getier Unterschlupf <strong>und</strong> sicher Brutstätten .<br />

Über 70 Vogelarten hat Forstrat von Wangel<strong>in</strong> auf diesem verhältnismäßig engen Raume beobachtet.<br />

- Wie erfreute sich alt <strong>und</strong> jung an den Schwänen, die stolz ihre Furchen im Wasser zogen, oft<br />

gefüttert von den Fußgängern am Rande des Teiches; fremdländisches Ziergeflügels, das der<br />

Verschönerungsvere<strong>in</strong> lange Jahre h<strong>in</strong>durch hielt, tummelte sich munter auf der blanken<br />

Wasserfläche; noch steht am Bahndamm das mit Schilf bedeckte Häuschen, das diesen Gästen Schutz<br />

gewährte. Dazwischen konnte man das weißstirnige Bläßhuhn (Fulica atra) beobachten, wie es<br />

plötzlich untertauchte <strong>und</strong> im selben Augenblick wieder an der Oberfläche erschien. Im <strong>Merseburg</strong>er<br />

Volksm<strong>und</strong> wurde es allgeme<strong>in</strong> „Horel“ genannt. Weiter nisteten im Teichgelände die große<br />

Rohrdommel (Botarus stellaris) <strong>und</strong> ihr kle<strong>in</strong>er Verwandter, die Zwergrohrdommel (Ardtta m<strong>in</strong>uta),<br />

ferner die Bekass<strong>in</strong>e (Gall<strong>in</strong>ago gall<strong>in</strong>ago), wegen ihres meckernden Tones während der Brutzeit die<br />

„Himmelsziege“ genannt, der Totschenkel (totanus totanus), der Haubentaucher, der Kiebitz. Den<br />

größten unter den Vögeln stellte aber der Storch (Ciconia Cicionia) dar, der <strong>in</strong> den Fröschen <strong>und</strong><br />

anderen Lurchtieren Reiche Nahrung fand. Am Ufer ließ sich bisweilen der farbenprächtige Eisvogel<br />

Blicken. Doch nicht nur aus der Tierwelt, auch aus der Pflanzenwelt fanden <strong>und</strong> f<strong>in</strong>den sich noch<br />

e<strong>in</strong>enge bemerkenswerte Vertreter.<br />

Jeder Naturfre<strong>und</strong> empf<strong>in</strong>det es schmerzlich, wenn er sieht, wie die <strong>Geisel</strong> <strong>und</strong> damit der Teich durch<br />

die Abwässer der Kohlengruben verschlämmt <strong>und</strong> immer mehr zugefüllt worden s<strong>in</strong>d. Dieses trotz<br />

se<strong>in</strong>er großen Verluste noch immer <strong>in</strong>teressante Gebiet ist e<strong>in</strong> öffentlicher Schuttabladeplatz<br />

gewesen!“ 13<br />

12Täglich,. H.G., Das „blaue Auge“ <strong>Merseburg</strong>s, <strong>in</strong>: Unser <strong>Merseburg</strong>er Land, Heft 6/1956,<br />

S. 165 - 167.<br />

13Gerhardt, A., Die verschw<strong>in</strong>dende Tier- <strong>und</strong> Pflanzenwelt im Gotthardtsteich zu <strong>Merseburg</strong>, <strong>in</strong>:<br />

Heimatkalender Stadt- <strong>und</strong> Landkreis <strong>Merseburg</strong> 1929, S. 92- 93<br />

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Neben den Klagen über den Zustand des Teiches entwickelt sich auch der Zustand der Bäche im<br />

Stadtgebiet zum Problem. So f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> den Quellen e<strong>in</strong>e Klage e<strong>in</strong>es Müllers von 1877:<br />

„Der <strong>Geisel</strong>fluß <strong>in</strong> der Stadt <strong>Merseburg</strong> ist seit dem Jahre 1874 also sei t 3 Jahren nicht geschlämmt<br />

worden. <strong>in</strong> dieser langen Zeit <strong>und</strong> namentlich voriges Jahr ist durch so häufig an starken<br />

Gewitterregen, aus den nach der <strong>Geisel</strong> führenden Straßen, so viel Sand, Staub <strong>und</strong> Schmutz <strong>in</strong> das<br />

<strong>Geisel</strong>flußbett gekommen, daß die Strömung des Wassers mehrfach beh<strong>in</strong>dert wird (...)“. Zudem<br />

würden <strong>in</strong> den Bach noch allerlei Abfall geworfen <strong>und</strong> die Abwässer der Färbereien geleitet. Durch<br />

diese Mißstände werde „die Versorgung der Mühlräder gehemmt“ <strong>und</strong> er „an dem Mahlen beh<strong>in</strong>dert.“<br />

Doch nicht nur für die Müller br<strong>in</strong>gt das verschmutzte Wasser große Schwierigkeiten mit sich. Auch die<br />

hygienischen Zustände werden dadurch stark bee<strong>in</strong>flußt. Der „Bürgervere<strong>in</strong> für Städtische Interessen“<br />

schrieb aus diesem Gr<strong>und</strong>e im Mai 1892 an die Stadt <strong>Merseburg</strong>:<br />

„E<strong>in</strong> wohllöblich. Magistrat wird ergebenst für gründliche Spülung der <strong>Geisel</strong> <strong>und</strong> <strong>Klia</strong> <strong>in</strong> hiesiger Stadt<br />

durch die Wasserleitung <strong>und</strong> durch Stauwasser des Gotthardtteiches so schleunig als möglich Sorge zu<br />

tragen <strong>und</strong> später, vielleicht im Herbst dieses Jahres e<strong>in</strong>e gründliche Re<strong>in</strong>igung der betr. Flußläufe<br />

durch Schlammung, Auswerfen <strong>und</strong> schleunige Abfug des Schlammes bewirken zu lassen.<br />

Wir br<strong>in</strong>gen diesen Beschluß zur Kenntnis e<strong>in</strong>es wohllöbl. Magistrats <strong>und</strong> bitten, hauptsächlich unter<br />

H<strong>in</strong>weis auf die Cholera Gefahr, um geneigte Berücksichtigung desselben.“<br />

Und wirklich, die starke Verunre<strong>in</strong>igung des Wassers war wohl Auslöser für tödliche Krankheiten. So<br />

berichtet Dr. Ste<strong>in</strong>kopff im November 1916 von e<strong>in</strong>er Zunahme der Typhusfälle. Normal waren zur<br />

damaligen Zeit <strong>in</strong> <strong>Merseburg</strong> sechs bis acht Fälle im Jahr. 1911 erkrankten im September <strong>und</strong> Oktober<br />

gleichzeitig 44 Menschen <strong>in</strong> <strong>Merseburg</strong> <strong>und</strong> 28 <strong>in</strong> Benndorf. In der Stadt <strong>Merseburg</strong> waren 11<br />

Todesopfer zu beklagen. Auch der Landrat des benachbarten Querfurt spricht sich im November 1916<br />

für e<strong>in</strong>e Regulierung der <strong>Geisel</strong> aus, mit dem H<strong>in</strong>weis, der Typhus höre wegen des schmutzigen<br />

Wassers nicht ganz auf.<br />

Dabei waren die Wasserverhältnisse an der <strong>Geisel</strong> selbst bis zu Beg<strong>in</strong>n des 20 Jahrh<strong>und</strong>erts an sich <strong>in</strong><br />

Ordnung. Es lebten Fische <strong>in</strong> ihr <strong>und</strong> die Mühlenbesitzer besorgten e<strong>in</strong>e regelmäßige Räumung <strong>und</strong><br />

der ausgehobene Schlamm konnte <strong>in</strong> der Landwirtschaft als Dünger verwendet werden. Die Situation<br />

änderte sich allerd<strong>in</strong>gs entscheidend, als 1906 die Industrielle Erschließung der Braunkohlevorkommen<br />

im <strong>Geisel</strong>tal beg<strong>in</strong>nt. Jedes Jahr nahm die Verschmutzung durch Abwässer der Gruben zu<br />

<strong>und</strong> bereits 1908 gibt es Klagen von Landwirten über Schäden durch verseuchtes Wasser. Die<br />

Verhältnisse verschlechtern sich 1. Weltkrieg noch, da die Produktion gesteigert wird <strong>und</strong> die<br />

Kläre<strong>in</strong>richtungen, soweit vorhanden, nicht mehr funktionieren oder nicht mehr ordnungsgemäß<br />

unterhalten werden.<br />

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5. Bildung der Wassergenossenschaft<br />

Im Jahre 1908 wurden seitens der Stadt <strong>Merseburg</strong> erste Anstrengungen zur Bildung e<strong>in</strong>er<br />

Re<strong>in</strong>haltungsgenossenschaft unternommen, was nach den Bestimmungen des preußischen<br />

Wassergesetzes möglich war. Die entsprechenden Verhandlungen scheiterten jedoch, da man sich<br />

nicht darüber e<strong>in</strong>igen konnte, wie die entstehenden Kosten zwischen den Braunkohlegruben e<strong>in</strong>erseits<br />

<strong>und</strong> den Bachanliegern andererseits aufzuteilen seien. Das Ergebnis war zunächst also nur e<strong>in</strong><br />

fruchtloser Rechtsstreit <strong>und</strong> mit dem Ausbruch des Krieges kamen die Bestrebungen zum Erliegen. Da<br />

die Zustände sich aber zum Schlechteren entwickelten, betrat die Stadt nun den Weg über die<br />

zuständigen M<strong>in</strong>isterien, um so zu der angestrebten Re<strong>in</strong>igungsgenossenschaft zu gelangen.<br />

Am 20. Oktober 1918, also noch während des Krieges, bereisten Vertreter des<br />

Landwirtschaftsm<strong>in</strong>isteriums 14 das Gebiet der <strong>Geisel</strong>, um die angezeigten Mißstände <strong>in</strong> Augensche<strong>in</strong> zu<br />

nehmen. Ihrem Bericht bezeichnen sie die Zustände der Kläranlagen der Kohlengruben als<br />

unzureichend, viele dieser Anlagen war sogar vollkommen außer Betrieb. Die Gründung e<strong>in</strong>er<br />

Re<strong>in</strong>igungsgenossenschaft wurde angeraten.<br />

Trotz dieses Urteils bekam der Regierungspräsident erst 2 Jahre später den Auftrag, die Bildung e<strong>in</strong>er<br />

Wassergenossenschaft zur Re<strong>in</strong>haltung der <strong>Geisel</strong> unter E<strong>in</strong>beziehung der Gotthardtsteiche <strong>in</strong> die<br />

Wege zu leiten. Die Gotthardteiche wurden jedoch schon <strong>in</strong> dem bald darauf vom Kulturbauamt<br />

<strong>Merseburg</strong> erstellten Plan aus dem Vorhaben aus Kostengründen ausgeklammert 15 . Zwischen März<br />

1923 <strong>und</strong> März 1923 fanden sechsmal Verhandlungen über die Bildung e<strong>in</strong>er Wassergenossenschaft,<br />

die mit der Re<strong>in</strong>haltung der <strong>Geisel</strong> beauftragt se<strong>in</strong> sollte, statt. Teilnehmer waren neben den<br />

Kommunen die Gutsbesitzer sowie natürlich Vertreter der Industrie. Am 27. April 1922 wurde mit 269<br />

zu 82 Stimmen die Bildung der Genossenschaft beschlossen. Daß deren Arbeit wirklich nötig war, zeigt<br />

der Bericht über e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Besichtigung der <strong>Geisel</strong> durch den <strong>Merseburg</strong>er Landrat, Vertretern<br />

der Kommunen sowie der Mühlenbesitzer <strong>und</strong> anderen Flußanlieger am 19. Juni 1922. Dar<strong>in</strong> heißt es:<br />

„Im unteren Lauf der <strong>Geisel</strong> <strong>und</strong> ebenso <strong>in</strong> dem <strong>in</strong> den Gotthardtteich e<strong>in</strong>mündenden <strong>Klia</strong>bache ist die<br />

Vorflut durch die völlige Verschlämmung des Gotthardtsteiches derartig gehemmt, daß das Wasser<br />

dauernd über die flache Ufer tritt <strong>und</strong> die anliegenden Wiesen versumpft, versäuert <strong>und</strong> entwertet .“<br />

14Es waren dies die M<strong>in</strong>isterial Kommissare: Geheimer Mediz<strong>in</strong>alrat Dr. Ben<strong>in</strong>de, Wirklicher<br />

Geheimer Oberbaurat Nolda <strong>und</strong> Geheimer Regierungsrat Larenz.<br />

15Der Plan sah nun lediglich vor, daß durch den h<strong>in</strong>teren Gotthardtsteiche e<strong>in</strong>e R<strong>in</strong>ne, durch welche die<br />

<strong>Geisel</strong> fließen soll, Teich geschaffen wird. Diese R<strong>in</strong>ne sollte <strong>in</strong> den Aufgabenkreis der Genossenschaft fallen, d.h. diese<br />

hätte sie zu unterhalten <strong>und</strong> zu re<strong>in</strong>igen.<br />

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An den Krümmungen, Brücken <strong>und</strong> dergleichen würden große Schlammbänke auftreten. Die<br />

Schlammschicht im Flußbett von ca. e<strong>in</strong>em dreiviertel Meter hebe den Wasserspiegel soweit an, daß<br />

durch die veränderten Flutverhältnisse die Wasserkraft für die Mühlen verloren gehe. Zudem müssten<br />

die Müller ihre Masch<strong>in</strong>en oft vom Schlamm befreien.<br />

Doch trotz der großen Mehrheit für die Bildung war die Genossenschaft noch ke<strong>in</strong>e beschlossene<br />

Sache. Denn die Beteiligten bestimmten nun auf Gr<strong>und</strong> des Wassergesetzes jeweils Bevollmächtigte<br />

für die weiteren Verhandlungen <strong>und</strong> Abstimmungen. Gegenstand der folgenden Debatten war u.a. das<br />

<strong>in</strong> die Genossenschaft e<strong>in</strong>zubeziehende Gebiet, wobei man schließlich die <strong>Klia</strong> sowie die <strong>Geisel</strong> ab dem<br />

unteren Gotthardteich bis zu ihrer Mündung ausschloß. Sowohl h<strong>in</strong>terer als auch vorderer<br />

Gotthardteich sollten ebenfalls nicht <strong>in</strong> die Genossenschaft e<strong>in</strong>bezogen werden. Aber natürlich g<strong>in</strong>g es<br />

auch ums Geld. Als die Verhandlungen, wiederum <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie wegen der Kostenfrage 16 , stecken<br />

blieben, wurde von Seiten des Regierungspräsidenten die Bildung e<strong>in</strong>er Zwangsgenossenschaft<br />

betrieben, e<strong>in</strong>e Möglichkeit, die das preußische Wassergesetz durchaus vorsah. Der Prozeß der<br />

Genossenschaftsgründung wurde dadurch allerd<strong>in</strong>gs ke<strong>in</strong>eswegs beschleunigt, da nun neben dem<br />

Streit um die F<strong>in</strong>anzen auch noch e<strong>in</strong> Disput über die Rechtmäßigkeit des Beitrittszwanges losbrach.<br />

Außerdem war der ursprüngliche Entwurf des Kulturbauamtes auf Drängen der Stadt <strong>Merseburg</strong><br />

modifiziert worden. Der „neue Plan“ des <strong>Merseburg</strong>er Stadtbaurats Zöll<strong>in</strong>ger von 1. April 1924 sah nun<br />

den Bau e<strong>in</strong>er Kläranlage vor, welche die Gotthardteiche vor den durch die <strong>Geisel</strong> angespülten<br />

Schmutzstoffen schützen sollte. H<strong>in</strong>sichtlich der Kostenaufteilung war e<strong>in</strong> Verhältnis von 80:20<br />

(Bergwerke : Kommunen) vorgesehen, wobei die Gutsbezirke, die im Besitz der Grubenbetriebe<br />

waren, ausgenommen werden sollten.<br />

Da gegen die Bildung e<strong>in</strong>er Zwangsgenossenschaft aufgr<strong>und</strong> dieses neuen Planes E<strong>in</strong>spruch beim<br />

Bezirksausschuss (dort zunächst zurückgewiesen) <strong>und</strong> beim Landeswasseramt erhoben wurde,<br />

forderte das Preußische Oberverwaltungsgericht, der Beschwerde recht gebend, daß e<strong>in</strong>e erneue<br />

Beschlußfassung auf der Gr<strong>und</strong>lage des veränderten Planes vorgenommen werden müsste. Der<br />

zustimmende Beschluß vom April 1922 erfolgte ja noch auf dem Boden des ursprünglichen Planes vom<br />

Kulturbauamt. In den darauffolgenden Verhandlungen gelang es jedoch, die Unstimmigkeiten<br />

auszuräumen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Satzung auszuarbeiten. Im Juni 1925 wurde die Bildung der Genossenschaft<br />

e<strong>in</strong>stimmig beschlossen, am 25. Februar 1926 die Satzung schließlich verabschiedet <strong>und</strong> zwei Tage<br />

darauf vom Regierungspräsidenten genehmigt. Damit war, 16 Jahre nach den ersten Bestrebungen<br />

seitens der Stadt <strong>Merseburg</strong>, die Wasserre<strong>in</strong>igungsgenossenschaft gegründet.<br />

16Während 1908 die Gruben nur für e<strong>in</strong>e Beteiligung mit 50% an den gesamten Lasten für e<strong>in</strong>e erstmalige durchgreifende<br />

Räumung <strong>und</strong> spätere Unterhaltung zu haben waren, erklärten sich 1923 bereit 70% anteilig auf sich zu nehmen. Die<br />

Anlieger vertreten durch die Geme<strong>in</strong>de- bzw. Gutsvorsteher, verlangten jedoch, daß die Gruben sich mit 95% an den Kosten<br />

beteiligten müssten.<br />

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Der offizielle Name war: „Wassergenossenschaft zur Re<strong>in</strong>haltung <strong>und</strong> Unterhaltung der <strong>Geisel</strong> <strong>und</strong><br />

ihrer Nebenbäche <strong>in</strong> dem Kreise <strong>Merseburg</strong>, Querfurt <strong>und</strong> Stadt <strong>Merseburg</strong>“. Die Genossenschaft war<br />

zuständig für das Gebiet der <strong>Geisel</strong> vom Müchelner Ortsteil Stöbnitz, dort befand sich die<br />

E<strong>in</strong>leitungsstelle Elise II, bis zur Kläranlage <strong>in</strong> <strong>Merseburg</strong>. Zu ihren Aufgaben gehörte die e<strong>in</strong>malige<br />

gründliche Re<strong>in</strong>igung <strong>und</strong> der Bau eben dieser Kläranlage am Preußenr<strong>in</strong>g <strong>in</strong> <strong>Merseburg</strong>, die<br />

Aufrechterhaltung des mit der Re<strong>in</strong>igung erreichten Zustandes <strong>und</strong> um dieses zu gewährleisten, die<br />

regelmäßige Überwachung der Gewässer.<br />

An der <strong>Geisel</strong> wurde <strong>in</strong> der Nähe der Straße Preußenr<strong>in</strong>g der Damm durchstochen, so daß die <strong>Geisel</strong><br />

dort das gesamte Schilfgelände überschwemmen konnte. In diesem Schilfgebiet konnten sich die<br />

Feststoffe absetzen <strong>und</strong> die Schilfpflanzen die organischen Bestandteile als Nährstoffe umsetzen.<br />

Dieses Pr<strong>in</strong>zip entspricht dem auch heute noch für biologische Kläranlagen gebräuchlichen.<br />

Nach dem die Genossenschaft ihre Arbeit aufgenommen hatte, zeichnete sich zunächst e<strong>in</strong>e durchaus<br />

positive Entwicklung ab. E<strong>in</strong>en Umschwung gab es etwa 1936. Die Industriellen Anlagen im<br />

<strong>Geisel</strong>gebiet wurden stark ausgebaut, h<strong>in</strong>zu kam, daß e<strong>in</strong>e Reihe von Jahren mit hohen<br />

Niederschlagswerten e<strong>in</strong>trat, was zu Hochwassern <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er gesteigerten natürlichen Schlammzufuhr<br />

führte. Die Wasserre<strong>in</strong>igungsanlagen waren dafür technisch <strong>und</strong> baulich nicht ausgelegt, so daß sie<br />

nur noch unzureichend bzw. zeitweise überhaupt nicht mehr wie vorgesehen funktionierten. In dieser<br />

Zeit häufen sich wieder die Klagen über den Gewässerzustand.<br />

Berichte aus dieser Zeit erwähnen als charakteristisches Bild e<strong>in</strong>e schwarz-weiße Färbung des<br />

Wassers. Dies kam daher, daß die Industrieabwässer weißlich, die Abwässer der Kohlengruben aber<br />

natürlich schwarz waren.<br />

Die Wassergenossenschaft wurde 1942 <strong>in</strong> Wasserverband <strong>Geisel</strong> umbenannt <strong>und</strong> hatte nun ihren Sitz<br />

<strong>in</strong> Mücheln. An ihren Aufgaben hatte sich jedoch nichts geändert. Kurz vor Kriegsende wurden noch<br />

e<strong>in</strong>mal Anstrengungen zu e<strong>in</strong>er Entschlammung des Gotthardteiches unternommen. Doch aufgr<strong>und</strong><br />

des kriegsbed<strong>in</strong>gten Materialmangels blieb diese nur Stückwerk.<br />

6. Entwicklung nach dem 2. Weltkrieg<br />

Kurz nach Kriegsende, unter dem Datum des 4. Juni 1945 f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> den Akten e<strong>in</strong>e Beschreibung<br />

der Wasser- <strong>und</strong> Gewässerverhältnisse, die Angesichts der Arbeit der vorangegangenen 20 Jahre<br />

nahezu als Hohn ersche<strong>in</strong>en müssen. Die Bombenangriffe im September <strong>und</strong> November 1944 hatten<br />

die Kläranlage so stark beschädigt, daß sie nahezu ausfiel. Der Bericht spricht davon, daß die im<br />

W<strong>in</strong>ter abgesetzten Schlammengen nun <strong>in</strong> Gärung überg<strong>in</strong>gen, was zum Aufstieg von Blasen führte.<br />

Die Ränder der Ufer seien „schwarz <strong>und</strong> schmierig“ <strong>und</strong> auch auf der Wasseroberfläche zeigten sich<br />

Ölspuren. Die Abflüsse des unteren Gotthardtsteiches, <strong>Geisel</strong> <strong>und</strong> <strong>Klia</strong>, führen dagegen gut geklärtes<br />

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Wasser, e<strong>in</strong> Zeichen dafür, daß die Abwässer <strong>in</strong> den beiden Gotthardteichen ausgefault s<strong>in</strong>d. Man<br />

könnte auch sagen, daß der Teich unfreiwillig zur Kläranlage des <strong>Geisel</strong>tales geworden war.<br />

Der Zustand sollte sich zunächst nicht bessern, da durch die Wieder<strong>in</strong>betriebnahme der Industrie die<br />

Menge der e<strong>in</strong>geleiteten Abwässer wieder anstieg. Die Wasserwirtschaft <strong>in</strong> der DDR wurde 1952 neu<br />

geordnet, was das Ende der Wassergenossenschaft mit sich brachte. Ihre Aufgaben <strong>und</strong> ihr Vermögen<br />

wurden 1952/53 dem VEB (K) Wasserwirtschaft <strong>Merseburg</strong> übertragen.<br />

1952 wird der Gotthardteich wiederum entschlammt, doch schon 1955 kommt es im Frühjahr durch<br />

Ölabwässer zu e<strong>in</strong>em Fisch- <strong>und</strong> Schwanensterben. Entschlammungen gibt es auch 1960 <strong>und</strong> 1967.<br />

In den Jahren 1969 bis 1977 wird die <strong>Klia</strong> erneut ausgebaut <strong>und</strong> dient seitdem die <strong>Geisel</strong> im<br />

Stadtgebiet verschw<strong>und</strong>en ist als alle<strong>in</strong>iger Abfluß der Gotthardtsteiche. Im Jahr 1968 begann <strong>in</strong><br />

<strong>Merseburg</strong> die „sozialistische Rekonstruktion“, der auch die <strong>Geisel</strong> zum Opfer fallen sollte. Im März<br />

1977 führt diese e<strong>in</strong> letztes mal Hochwasser denn schon im April des gleichen Jahres beg<strong>in</strong>nt man,<br />

den Bachlauf <strong>in</strong> der Innenstadt zu verfüllen.<br />

Da sich die Wasserqualität der Zuflüsse des Gotthardteiches nicht verbesserte <strong>und</strong> durch die<br />

Trockenlegung der <strong>Geisel</strong> 1977 die Ablaufsituation verschlechtert wurde, bot der Teich <strong>in</strong> den 80er<br />

Jahren e<strong>in</strong> katastrophales Bild. Seit 1987 waren Bestrebungen im Gange, e<strong>in</strong>e erneute<br />

Entschlammung durchzuführen, was an dem hohen f<strong>in</strong>anziellen Aufwand für die 93.000 m²<br />

Wasserfläche zunächst scheiterte. Erst nach der politischen Wende bot sich die Chance e<strong>in</strong>er<br />

Umsetzungen. 17 Nach e<strong>in</strong>em jahrelangen Vorlauf mit diversen Untersuchungen, Studien <strong>und</strong><br />

Vorplanungen stand 1998 e<strong>in</strong> zur Durchführung geeigneter Plan fest, der nicht nur e<strong>in</strong><br />

umweltschonendes Verfahren vorsah, sondern auch günstig zu f<strong>in</strong>anzieren war. Man bediente sich des<br />

Saugspülbaggerverfahrens <strong>und</strong> verbrachte den Aushub <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Tagebaurestloch <strong>in</strong> Beuna. In e<strong>in</strong>er<br />

geschlossenen Druckleitung, die im Flußbett der <strong>Geisel</strong> verlief wurden mehr als 600 m³ Schlamm am<br />

Tag vom Gotthardteich dorth<strong>in</strong> transportiert. Hätte man die <strong>in</strong>sgesamt <strong>in</strong> den 10 Monaten der<br />

Wasserbauarbeiten geförderten 100.000 m³ auf der Straße nach Beuna verbr<strong>in</strong>gen müssen, so hätte<br />

man dazu ca. 5000 LKW-Ladungen benötigt.<br />

Nach der Entschlammung kann der Gotthardteich nun wieder se<strong>in</strong>e Aufgaben als Lebensraum für<br />

Flora <strong>und</strong> Fauna <strong>und</strong> als Erholungsraum für den Menschen erfüllen.<br />

17vgl., Sandr<strong>in</strong>g, Marion, Die Entschlammung des Gotthardteiches, <strong>Merseburg</strong>er Notizen 2002<br />

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C. Ausblick<br />

In den letzten Jahren wurde viel für die Wiederherstellung der alten Schönheit <strong>Merseburg</strong>s getan. die<br />

Häuser der Innenstadt s<strong>in</strong>d größtenteils renoviert, neue Gebäude fügen sich gut <strong>in</strong> das Stadtbild e<strong>in</strong>.<br />

Erst vor kurzem wurde das Kaufhaus Dobkowitz wieder eröffnet. Wäre es nicht schön, auch <strong>Geisel</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>Klia</strong> wieder ihren alten Rang e<strong>in</strong>zuräumen?<br />

Als positive Versuche, das von der Industrie so arg <strong>in</strong> Mitleidenschaft gezogene Landschaftsbild der<br />

Gegend wieder zu verbessern kann man neben der erwähnten Re<strong>in</strong>igung des Gotthardteiches auch<br />

die Anlage des <strong>Geisel</strong>talsees bezeichnen. E<strong>in</strong>e Wiederherstellung der alten Bachläufe im <strong>Merseburg</strong>er<br />

Stadtgebiet würde sich da gut e<strong>in</strong>fügen. Allerd<strong>in</strong>gs ersche<strong>in</strong>t mir dies im Falle der <strong>Geisel</strong> leider als sehr<br />

problematisch. Der Bachlauf wurde zugeschüttet, ist also verschw<strong>und</strong>en <strong>und</strong> ich b<strong>in</strong> mir nicht sicher,<br />

ob er sich wieder „ausgraben“ lässt. Natürlich könnte man wohl nach alten Stadtkarten <strong>und</strong><br />

Beschreibungen e<strong>in</strong> neues Bachbett anlegen. Aber der Stadtteil, durch den die <strong>Geisel</strong> ehemals floss,<br />

wurde durch die Reko-Maßnahmen zum großen Teil total verändert. Weder die Gebäude noch die<br />

Straßenzüge entsprechen den historischen Gegebenheiten. Die alten Straßennamen täuschen darüber<br />

leicht h<strong>in</strong>weg, s<strong>in</strong>d aber nur e<strong>in</strong>e schwache Er<strong>in</strong>nerung an etwas, das nicht mehr ist. Aber der zweite<br />

Bach, die <strong>Klia</strong>, fließt ja noch oberirdisch durch die Stadt. Wie beschrieben zwar schon seit über<br />

h<strong>und</strong>ert Jahren <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em betonierten Flußbett. Aber könnte man nicht dieses renaturieren? Wen man<br />

wollte wohl sicherlich.<br />

Quellen:<br />

Stadtarchiv <strong>Merseburg</strong><br />

• Rep VII/E/5; Rep VII/E/8; Rep VII/E/44; Rep<br />

VII/E/7<br />

• Ste<strong>in</strong>, Monika, Der Gotthardtteich <strong>in</strong><br />

<strong>Merseburg</strong>, Sign. 2001: 056<br />

• Fotosammlung Nr. 13<br />

• Fotosammlung Dr. Eberhard Matthies<br />

• Fotosammlung H. Radloff<br />

• <strong>Merseburg</strong>er Tagblatt vom 5.4. 1930; 25.1.<br />

1936<br />

• Mitteldeutsche Zeitung Nr. 207; 217; 1991<br />

• MZ Nr. 302, 28.12. 93<br />

Landesarchiv <strong>Merseburg</strong>:<br />

• Rep C 48 1b<br />

• Rep C 56<br />

• Rep C 255<br />

• Rep C 48 IX Nachtrag Nr. II<br />

• Akten des Rates des Bezirke Rep VII/E/5<br />

• Nr. 34; 28<br />

Sonstiges<br />

• Sandr<strong>in</strong>g, Marion, Die Entschlammung des Gotthardteiches, <strong>in</strong>: <strong>Merseburg</strong>er Notizen 2002<br />

• Täglich, H. G., Das „blaue Auge“ <strong>Merseburg</strong>s, <strong>in</strong>: Unser <strong>Merseburg</strong>er Land, Heft 6/ 1956, S. 165-<br />

167<br />

• Wedd<strong>in</strong>g, Georg, Die Bachnamen <strong>Klia</strong> <strong>und</strong> <strong>Geisel</strong>, <strong>in</strong>: <strong>Merseburg</strong>er Land, Heft 14/1928, S. 20- 23<br />

• Kle<strong>in</strong>bauer, Dieter, <strong>Merseburg</strong> um 1900, P<strong>in</strong>neberg 1994<br />

• Jankowsky, Jürgen, <strong>Merseburg</strong>er Chronik, <strong>Merseburg</strong> 1991<br />

• Rademacher, Otto, Der Gotthardteich <strong>in</strong> <strong>Merseburg</strong>, <strong>in</strong>: <strong>Merseburg</strong>er Land, Heft 2/1966, S. 53-56<br />

• Gerhardt, A., Die verschw<strong>in</strong>dende Tier- <strong>und</strong> Pflanzenwelt im Gotthardtsteich zu <strong>Merseburg</strong>, <strong>in</strong>:<br />

Heimatkalender Stadt- <strong>und</strong> Landkreis <strong>Merseburg</strong> 1929, S. 92- 93<br />

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