Broschüre "Lebendige Kirche" (Feb. 2014) - ref. Kirche Bäretswil
Broschüre "Lebendige Kirche" (Feb. 2014) - ref. Kirche Bäretswil
Broschüre "Lebendige Kirche" (Feb. 2014) - ref. Kirche Bäretswil
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<strong>Lebendige</strong> <strong>Kirche</strong><br />
Persönliche Perspektiven und Ausblicke
Impressum<br />
Publikation Nr. 02 | 2013 «<strong>Lebendige</strong> <strong>Kirche</strong> – Persönliche Perspektiven und Ausblicke»<br />
Herausgeberin: Kirchgemeinde <strong>Bäretswil</strong><br />
1. Auflage 2013: 1000 Ex.<br />
Kontakt:<br />
Evangelisch-<strong>ref</strong>ormierte Kirchgemeinde <strong>Bäretswil</strong><br />
Schulhausstrasse 12<br />
8344 <strong>Bäretswil</strong><br />
Telefon 043 833 65 51<br />
www.<strong>ref</strong>kirche-baeretswil.ch<br />
sekretariat.baeretswil@zh.<strong>ref</strong>.ch<br />
Redaktion: Daniel Stoller-Schai, Sabrina Müller (Redaktionsplan und AutorInnenbetreuung)<br />
Lektorat: Barbara Walder<br />
Gestaltung: Marcel Sharma<br />
Druck: Media-Center Uster AG, Neugrütstrasse 2, 8610 Uster; www.mcu.ch<br />
Bildnachweis: S.9: form23/photocase.com; S.11: misterQM/photocase.com; S.19: groessel/photocase.com;<br />
S.21: Jul B./photocase.com; S.25: deyangeorgiev/photocase.com; S.27: the Cramer/photocase.com;<br />
S.29 Jo.Sephine/photocase.com; S.33 akai/photocase.com; S.37 Klaus Gärtner/photocase.com;<br />
S.39 suze/photocase.com; S.41 Bratscher/photocase.com<br />
2
<strong>Lebendige</strong> <strong>Kirche</strong>?<br />
Persönliche Perspektiven und Ausblicke<br />
Liebe Leserin, lieber Leser<br />
Das Thema «<strong>Lebendige</strong> <strong>Kirche</strong>» bewegt die <strong>Kirche</strong>nlandschaft<br />
in Westeuropa und die Landeskirchen in der Schweiz. Auch vor<br />
der Zürcher Landeskirche haben die Fragen nach zukunftsfähigen<br />
Strukturen und Finanzen nicht haltgemacht. In unserer Kirchgemeinde<br />
in <strong>Bäretswil</strong> hat die Auseinandersetzung mit solchen Themen<br />
zur grundlegenden Frage nach dem Wesen von <strong>Kirche</strong> geführt:<br />
• Wie nehmen die Menschen <strong>Kirche</strong> wahr?<br />
• Was verbinden sie mit <strong>Kirche</strong>?<br />
• Was für Bilder und Assoziationen wecken die<br />
Begriffe «lebendig» und «<strong>Kirche</strong>»?<br />
Wir haben Menschen aus <strong>Bäretswil</strong>, dem Kanton Zürich, der<br />
Schweiz und aus England gebeten, einen Artikel zu ihren persönlichen<br />
Perspektiven und Ausblicken zu schreiben. Es sind Menschen<br />
zwischen 3,5 und 85 Jahren mit unterschiedlichen Funktionen<br />
und aus verschiedenen <strong>Kirche</strong>ngemeinschaften.<br />
Unser Ziel war es, der Vielfalt an Bildern von «<strong>Lebendige</strong>r <strong>Kirche</strong>»<br />
eine Plattform zu bieten und ganz unterschiedlichen Menschen<br />
eine Stimme zu geben. Als Startschuss diente ein «Mitenand-<br />
Gottesdienst» in <strong>Bäretswil</strong> im Sommer 2013, bei dem wir die<br />
Frage stellten: «Was ist lebendige <strong>Kirche</strong> für mich?» Ein kleiner<br />
Auszug daraus:<br />
• Gemeinsam Gott nachjagen<br />
• Die Vielfalt der Beteiligten<br />
• Eine bunte Blumenwiese – in grosser Vielfalt, die ansteckt<br />
zur Freude<br />
• Wenn ich sehe und miterlebe, wie unsere Jungen aktiv sind<br />
• Positive Inputs für mein Leben<br />
• Veränderung durch den Heiligen Geist<br />
• Gott feiern<br />
• Tankstelle<br />
• Leib von Jesus Christus<br />
• Heimat und Freundschaft<br />
• Ort der Gemeinschaft mit Gott und Menschen<br />
Mit dieser Publikation möchten wir Gedankenanstösse für die<br />
Gestaltung von <strong>Kirche</strong> und vor allem Hoffnung und Leidenschaft<br />
weitergeben.<br />
Wir danken an dieser Stelle allen, welche sich beteiligt haben und<br />
lebendige Bilder von <strong>Kirche</strong> in sich tragen und sich so für das<br />
Reich Gottes einsetzen.<br />
Diese Publikation ist die zweite ihrer Art. Wir erachten es als wichtigen<br />
Bestandteil heutiger Gemeindearbeit, dass Menschen über<br />
Gott und die <strong>Kirche</strong> sprechen. Wir wünschen viel Spass beim Lesen<br />
und nehmen Anregungen und Feedbacks gerne entgegen.<br />
Das Redaktionsteam:<br />
Pfrn. Sabrina Müller<br />
Daniel Stoller-Schai, Präsident <strong>Kirche</strong>npflege <strong>Bäretswil</strong><br />
<strong>Bäretswil</strong>, Dezember 2013<br />
3
Inhaltsverzeichnis<br />
Remo Kündig, 17-jährig, Kaufmännischer Angestellter in Ausbildung 5<br />
Catherine Ernst, Psychologin FSP in Uster 6<br />
Tania Oldenhage, PD Dr. theol., Pfrn. der <strong>ref</strong>. <strong>Kirche</strong> Zürich-Fluntern 7<br />
Christoph Weber-Berg, Pfr. Dr. theol., <strong>Kirche</strong>nratspräsident des Kanton Aargau 8<br />
Andreas «Boppi» Boppart, Missionsleiter Campus für Christus Schweiz10<br />
Christian Ninck, Heilpädagoge, Sozialtherapeut, La Colombe Suisse12<br />
Pater Daniel Emmenegger, Benediktiner in Einsiedeln13<br />
Thomas Schlag, Professor der Praktischen Theologie, Universität Zürich UZH14<br />
Joris Stauber, 3,5-jährig15<br />
Susanna und Ernst Oppliger, Kirchgemeindemitglieder, <strong>ref</strong>. Kirchgemeinde <strong>Bäretswil</strong>16<br />
Alister Lowe, Pfr. in der methodistischen <strong>Kirche</strong> in Manchester18<br />
Marc Heise, Pfr. <strong>ref</strong>. <strong>Kirche</strong> <strong>Bäretswil</strong>20<br />
Matthias Walder, Pfr. <strong>ref</strong>. <strong>Kirche</strong> Hinwil und Dekan Pfarrkapitel Hinwil22<br />
Kristina Hofstetter, Ethnologiestudentin in Basel23<br />
Barbara Wyss, Bereichsleiterin am Institut für Gemeindebau und Weltmission Zürich (IGW)24<br />
Rita Famos, Pfrn., Abteilungsleiterin der Abteilung Seelsorge Zürcher Landeskirchen26<br />
Peter Hatt, Co-Leiter «Männert<strong>ref</strong>f», Webmaster der Kirchgemeinde <strong>Bäretswil</strong>28<br />
Michel Müller, Pfr., <strong>Kirche</strong>nratspräsident der <strong>ref</strong>. Landeskirche des Kantons Zürich30<br />
Lucrezia Steiner, 17-jährig, Gymnastik Diplomschule31<br />
Matthias Krieg, Dr. theol. et phil. Leiter der Abteilung Bildung Zürcher Landeskirchen32<br />
Martin Fischer, Präs. Bezirkskirchenpflege Hinwil, VPräs. <strong>Kirche</strong>nsynode des Kantons Zürich34<br />
Hanna Bernhard, Kirchgemeindemitglied der <strong>ref</strong>. <strong>Kirche</strong> <strong>Bäretswil</strong>35<br />
Daniel Stoller-Schai, Dr. oec., lic. phi. I, <strong>Kirche</strong>npflegepräsident <strong>ref</strong>. Kirchgemeinde <strong>Bäretswil</strong>36<br />
Anna Maria Matsch, Lehrerin, Katechetin und Kirchgemeindemitglied <strong>ref</strong>. <strong>Kirche</strong> <strong>Bäretswil</strong>38<br />
Sabrina Müller, Pfrn. <strong>ref</strong> <strong>Kirche</strong> <strong>Bäretswil</strong> und Doktorandin zu: fresh expressions of Church40<br />
Jürg Spaak, 22-jährig, Mathematikstudent, freiwilliger Mitarbeiter im Cevi Gossau ZH42
Remo Kündig 17-jährig, Kaufmännischer Angestellter in Ausbildung<br />
Oft haben Menschen ein völlig falsches<br />
Bild von der <strong>Kirche</strong>, man denkt<br />
vielerorts, die <strong>Kirche</strong> gestaltet nur<br />
Gottesdienste, unterrichtet Kinder im<br />
Glauben, tauft, verheiratet und beerdigt<br />
Menschen und kümmert sich<br />
noch teils um ältere Menschen. Ich<br />
denke, <strong>Kirche</strong> ist mehr als das. In meiner<br />
Kirchgemeinde gibt es, wie zum<br />
Beispiel im Cevi oder Konfirmationsunterricht,<br />
viele freiwillig engagierte<br />
Mitarbeiter. Diese freiwilligen Helfer<br />
organisieren Anlässe, setzen sich für<br />
andere Menschen ein und wirken in<br />
einer Gruppe mit. Alleine durch die Menge freiwilliger Mitarbeiter<br />
wird die <strong>Kirche</strong> lebendiger und ist so auch stark von den Jungen<br />
vertreten.<br />
Für mich persönlich ist eine lebendige <strong>Kirche</strong> nicht unbedingt ein<br />
bestimmter Ort, ich denke, eine lebendige <strong>Kirche</strong> ist dort, wo man<br />
sich offen und ehrlich über den Glauben unterhalten kann und Gott<br />
im Mittelpunkt ist, wo man sich als Gruppe mit Gott beschäftigt<br />
und eine gute Gemeinschaft pflegt. Im Matthäus 18, Vers 20 steht:<br />
«Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin<br />
ich in ihrer Mitte.» Denn Gott hat eine Vorliebe für lebendige <strong>Kirche</strong>n,<br />
und wenn wir uns in Gruppen auch ausserhalb der Kirchgemeinde<br />
mit Gott beschäftigen, dann kann Gott leichter zu uns als Gruppe<br />
sprechen und in uns wirken. Ausserdem denke ich, dass die Vielfalt<br />
an verschiedenen Charakteren und der grosse Altersunterschied<br />
eine Rolle spielen. Wenn es Angebote für Jung und Alt gibt, sich alle<br />
mit Leidenschaft einsetzen und sich alle dabei wohlfühlen, denke<br />
ich, dass dann Lebendigkeit garantiert ist. Eine andere Sichtweise<br />
in Bezug auf die Lebendigkeit der <strong>Kirche</strong> ist für mich, dass man die<br />
Arbeit, welche man für die <strong>Kirche</strong> verrichtet, oder das Besuchen<br />
der Gottesdienste am Sonntagmorgen nicht als eine Pflicht sieht,<br />
sondern dass es ein Bedürfnis ist und man frei ist in der Entscheidung,<br />
was man macht. Etwas, was mir besonders gut gefällt, ist,<br />
wenn man die Freundschaft und Gemeinschaft, die man während<br />
dieser Zeit, zum Beispiel im Konfirmationsunterricht, pflegt, auch<br />
nach aussen trägt und ausserhalb von der <strong>Kirche</strong> eine solche Gemeinschaft<br />
sucht, wo man zusammen in Christus wachsen kann.<br />
Ein Beispiel dafür ist, dass meine Kollegen und ich einen Hauskreis<br />
gestartet haben, wo wir selbstständig und unabhängig von unserer<br />
Kirchgemeinde uns mit dem Glauben auseinandersetzen und eine<br />
Beziehung zu Gott suchen und pflegen.<br />
Mein persönlicher Beitrag zu der Lebendigkeit in meiner Kirchgemeinde<br />
ist, dass ich mich engagiere im Konfirmationsunterricht<br />
und teilweise auch an Anlässen mitwirke. Diese freiwillige Arbeit<br />
verrichte ich sehr gerne, weil ich mich mit Jugendlichen beschäftigen<br />
kann und dies eine spannende Arbeit finde, und ausserdem<br />
lerne ich immer mehr im Glauben und auch anderweitig in meinem<br />
Leben dazu. Dieser Entscheid, als Konfirmations-Co-Leiter<br />
zu arbeiten, war ein Entscheid, den ich bis heute nicht bereue,<br />
denn ich habe eine gute und starke Beziehung zu Gott aufbauen<br />
können und dabei eine Menge tolle Menschen kennengelernt.<br />
5
Catherine Ernst Psychologin FSP in Uster<br />
Für mich persönlich ist eine lebendige<br />
<strong>Kirche</strong> eine Gruppe von Menschen,<br />
die nahe bei Gott und nahe<br />
bei den Menschen lebt. <strong>Kirche</strong> wird<br />
durch Beziehungen gebaut. Sie ist<br />
gegründet auf Gottes Beziehung zu<br />
uns, unserer Beziehung zu ihm und<br />
den Beziehungen untereinander. Eine<br />
lebendige <strong>Kirche</strong> begleitet Menschen in ihrem Glaubensleben und<br />
in ihrem Alltag, und sie baut Brücken zu Menschen, die keinen Kontakt<br />
zur <strong>Kirche</strong> haben.<br />
In einer lebendigen <strong>Kirche</strong> wachsen Menschen in Beziehungen zueinander,<br />
sie sind füreinander da, unterstützen sich im Alltag. Es<br />
geht darum, Lebens-, Hilfs- und Festgemeinschaften zu gründen,<br />
Gastfreundschaft und eine Kultur der Wertschätzung zu pflegen<br />
– zusammen essen und reden, einander besuchen und helfen, miteinander<br />
lachen und weinen, Feste und Gottesdienste feiern. <strong>Kirche</strong><br />
ist eine Lebensgemeinschaft, in der das Evangelium als Hoffnung<br />
hineingestreut wird. Sie ist ein Ort, wo Fragen und Zweifel, Hoffnung<br />
und Glaube, Freud und Leid geteilt werden. Das erfordert Regelmässigkeit<br />
in Beziehungen, Verfügbarkeit und Verlässlichkeit. Eine<br />
lebendige <strong>Kirche</strong> geht zu den Menschen und holt sie dort ab, wo<br />
sie sind. Das heisst auch, dass sie nicht an ein bestimmtes Gebäude<br />
gebunden ist. <strong>Kirche</strong> ist «bei den Menschen» und kann überall<br />
stattfinden, auch unter freiem Himmel, beim Mittagstisch, im Spital,<br />
auf der Strasse. Wo Menschen miteinander unterwegs sind, gilt die<br />
Zusage von Jesus Christus: «Denn wo zwei oder drei versammelt<br />
sind in meinem Namen, da bin ich in ihrer Mitte» (geschrieben im<br />
Matthäusevangelium Kapitel 18, Vers 20).<br />
Begleiten heisst auch Anleitung in christlicher Spiritualität, die<br />
sich an Worten und Bildern aus der Bibel orientiert. Diese bieten<br />
die Möglichkeit, auf einer Herzensebene die Gegenwart von Jesus<br />
Christus zu erleben, welche heilt und befreit. «Unsere Aufgabe in<br />
diesem Leben ist, das Auge des Herzens zu heilen, mit dem Gott<br />
gesehen wird» (Augustinus). Menschen sehnen sich nach einer<br />
tiefen und heilsamen Begegnung mit Gott. Wir sind geschaffen für<br />
die Beziehung zu Gott. Gott will uns in Jesus Christus begegnen,<br />
er sehnt sich danach, unsere tiefsten Bedürfnisse nach Liebe und<br />
Geborgenheit zu erfüllen. Eine lebendige <strong>Kirche</strong> ermutigt Menschen<br />
darin, in ihrem Glauben und Vertrauen an Jesus Christus zu wachsen,<br />
und begleitet Menschen auf ihrem Weg zu einer persönlichen<br />
Begegnung mit ihm. Jesus Christus sagt: «Ich bin das Brot des<br />
Lebens. Wer zu mir kommt, wird nicht hungern, und wer an mich<br />
glaubt, wird nie mehr dürsten» (geschrieben im Johannesevangelium<br />
Kapitel 6, Vers 35).<br />
Eine lebendige <strong>Kirche</strong> ermöglicht Menschen und begleitet sie darin,<br />
ihre Gottesbeziehung auf verschiedene Arten und Weisen auszudrücken<br />
– durch Musik, Tanz, Theater, Poesie und vieles mehr. Über<br />
diesen Weg der Kreativität wird nicht nur der Intellekt des Menschen<br />
angesprochen, sondern der ganze Mensch, mit Herz und Nieren.<br />
Wie kann die <strong>Kirche</strong> auch in Zukunft lebendig bleiben? Indem sie<br />
nahe bei Gott und nahe bei den Menschen bleibt.<br />
6
Tania Oldenhage PD Dr. theol., Pfrn. der <strong>ref</strong>. <strong>Kirche</strong> Zürich-Fluntern<br />
Eine lebendige <strong>Kirche</strong> ist für mich vor allem<br />
eine weltoffene <strong>Kirche</strong>. Weltoffenheit – das<br />
habe ich an meinem allerersten Arbeitstag<br />
als Theologin in der Schweiz erlebt. An diesem<br />
Tag fand in einem kirchlichen Bildungshaus<br />
eine Tagung statt. Ich kam direkt von<br />
den USA und hatte mich etwas verspätet.<br />
Ich öffnete die Tür vom Tagungssaal. Drinnen<br />
war ein Podiumsgespräch am Laufen.<br />
Zwei Musliminnen und zwei Christinnen sassen an einem Tisch und<br />
diskutierten miteinander. Es ging um das Thema Frieden und Gewalt<br />
in den Religionen. Das war im Frühling 2003. Zu der Zeit war<br />
der Irakkrieg im Gange. Negative Bilder vom Islam zirkulierten in<br />
der Welt. Viele Leute in den USA und anderswo waren dabei, sich<br />
abzugrenzen und abzuschotten gegenüber dem Fremden. In der<br />
Schweiz hab ich damals – vor zehn Jahren – das Gegenteil erlebt.<br />
Dort waren muslimische und christliche Frauen im Gespräch miteinander<br />
und arbeiteten zusammen für den Frieden.<br />
Eine <strong>Kirche</strong> ist für mich dann lebendig, wenn sie sich öffnet für das<br />
Gespräch mit anderen Kulturen und Religionen. Diese interreligiöse<br />
Tagung war meine erste Begegnung mit einer weltoffenen <strong>Kirche</strong> in<br />
der Schweiz. Viele andere Begegnungen folgten.<br />
Als Christin bin ich auf der Suche nach biblischen Bildern und Vorstellungen,<br />
die eine solche Haltung fördern können. Im Johannesevangelium<br />
gibt es einen Vers, der im interreligiösen Dialog eine<br />
wichtige Rolle gespielt hat. Dort sagt Jesus: Im Haus meines Vaters<br />
sind viele Wohnungen. Dieser Vers wurde im Rahmen des interreligiösen<br />
Dialogs oft zitiert, um zu sagen: In Gottes Haus ist Platz für viele<br />
verschiedene Religionen. Ob muslimisch, jüdisch, buddhistisch<br />
oder christlich – jede Religion hat ihren Platz und ihre Berechtigung.<br />
Wenn Gott ein Haus hätte – wie sähe es aus? Gottes Haus ist kein<br />
moderner Wohnkomplex, in dem alle Wohnungen gleich geschnitten<br />
sind mit Schlaf- und Esszimmer, Küche, Bad. Ich denke nicht,<br />
dass wir die Religionen dieser Welt auf dasselbe Muster festlegen<br />
können. Ich glaube: Wenn Gott ein Haus hat, dann ist es bestimmt<br />
ein höchst phantasievolles Gebäude, in dem sich viele verschiedene<br />
Baustile abwechseln und manchmal ineinander übergehen.<br />
Die Wohnungen sind so unterschiedlich wie die religiösen Orte in<br />
der Stadt Zürich: manche ähneln dem Grossmünster, andere sehen<br />
völlig anders aus. In jeder Wohnung gibt es verschiedene Bräuche,<br />
werden verschiedene Geschichten erzählt. Nicht alle haben die gleichen<br />
Ressourcen. Manche Wohnungen brauchen Unterstützung,<br />
um zu überleben. Andere stehen seit Jahrhunderten fest und sicher<br />
auf der Erde. Manche Türen sind verschlossen, und man muss sich<br />
anmelden. Andere sind immer offen, und man kann hineinschnuppern.<br />
Wenn Gottes Haus viele Wohnungen hat, dann weiss ich, was ich<br />
mir wünsche: Ich wünsche mir eine <strong>Kirche</strong>, die mithilft, gemeinsame<br />
Terrassen, Gemeinschaftsgärten und Hinterhöfe zu bauen, in denen<br />
sich Menschen verschiedener Kulturen und Religionen aufeinander<br />
einlassen.<br />
7
Christoph Weber-Berg Pfr. Dr. theol., <strong>Kirche</strong>nratspräsident des Kanton Aargau<br />
<strong>Lebendige</strong> <strong>Kirche</strong><br />
und zukunftsgerichtete Leitung<br />
Was ist für mich persönlich<br />
eine lebendige <strong>Kirche</strong>?<br />
Die Lebendigkeit einer <strong>Kirche</strong> hat nicht<br />
primär mit der Anzahl an Gottesdienstteilnehmenden<br />
und Angeboten zu tun.<br />
«Wo zwei oder drei in meinem Namen<br />
versammelt sind, da bin ich mitten unter<br />
ihnen» (Mt. 18:20). Man mag einwenden,<br />
dass das die Antwort eines <strong>Kirche</strong>nratspräsidenten<br />
sei, dessen Landeskirche jährlich eine durchschnittliche<br />
Kirchgemeinde an Mitgliedern verliert: «Zweckoptimismus.»<br />
Diesem Einwand trete ich entschieden entgegen: Wenn wir aufhören<br />
daran zu glauben, dass unsere <strong>Kirche</strong> – egal wie gross, egal<br />
wie «aktiv» – allein aus Christus, allein aus dem gegenwärtigen<br />
Geist Gottes lebt, dann braucht es uns nicht. Dann sind wir nicht<br />
<strong>Kirche</strong>, sondern eine leere Hülle.<br />
Von Gott empfangen wir das Leben, durch Christus sind wir frei,<br />
der Geist trägt unsere Gemeinschaft. Von daher kommt unser<br />
Auftrag, die gute Botschaft des Evangeliums in Wort und Tat freudig<br />
unter die Menschen zu bringen: Friede auf Erden und unter<br />
den Menschen! Trost für Trauernde! Segen für die Armen und für<br />
die, die Frieden und Gerechtigkeit stiften! Gott lieben und die Mitmenschen<br />
wie sich selbst. Da, wo diese Botschaft gelebt wird, ist<br />
lebendige <strong>Kirche</strong>.<br />
Worin drückt sich die «Lebendigkeit» aus?<br />
In Gottesdiensten wird der Glaube gefeiert. In Seelsorge und Diakonie,<br />
in Mission und Entwicklungszusammenarbeit wird aus dem<br />
Glauben gehandelt. Im Unterricht und in Bildungsangeboten wird<br />
über den Glauben nachgedacht. Feiern, handeln, nachdenken:<br />
Das ist <strong>Kirche</strong> für Herz, Hand und Kopf – <strong>Kirche</strong> für den ganzen<br />
Menschen. Eine lebendige <strong>Kirche</strong> spricht den ganzen Menschen<br />
an, sie spricht verschiedene Menschen an, sie motiviert Menschen,<br />
sich zu beteiligen.<br />
Was trage ich selber dazu bei?<br />
Als <strong>Kirche</strong>nratspräsident versuche ich mit Engagement und Aufwand<br />
Weichen so zu stellen, damit das Leben der Kirchgemeinden<br />
florieren kann. Doch genau hier zeigt sich, ob ich tatsächlich<br />
auf die Lebendigkeit der <strong>Kirche</strong> vertrauen kann. Wenn unsere<br />
<strong>Kirche</strong> lebt, so lebt sie nicht wegen meinen Aktivitäten, die letztlich<br />
immer ungenügend und bruchstückhaft bleiben, sondern aus<br />
Gott allein.<br />
Das hat auch etwas Entlastendes: Ich erinnere mich, wie mich<br />
ein Mann auf eine Predigt ansprach, die ich vor Jahren gehalten<br />
hatte. Dort hätte ich etwas gesagt, was ihm seither geblieben<br />
sei. Ich konnte mich nicht mehr erinnern. Ich suchte die damalige<br />
Predigt auf meinem Computer. Auch nach der Lektüre wusste ich<br />
nicht, worauf sich die Erinnerung dieses Mannes konkret bezog.<br />
Es wurde mir noch bewusster denn je: Was mein Tun und Lassen<br />
bei Menschen bewirkt, liegt nicht in meiner Hand. Ich gebe mir<br />
8
Mühe, eine gute Predigt zu schreiben. Doch die Hauptgedanken<br />
meiner Rede gehen vergessen. Aber ein Nebensatz bewirkt etwas<br />
im Leben eines Menschen.<br />
Ich darf glauben, dass die <strong>Kirche</strong> auch in Zukunft durch Gott leben<br />
wird, weil ich weiss, dass das, was ich tue, zwar notwendig,<br />
manchmal vielleicht sogar hilfreich, letztlich aber vergänglich ist.<br />
9
Andreas «Boppi» Boppart Missionsleiter Campus für Christus Schweiz<br />
<strong>Kirche</strong> ist nicht tot. <strong>Kirche</strong> lebt.<br />
<strong>Kirche</strong> begeistert mich. Sie ist Gottes<br />
Plan A. Einen Plan B hat er nicht. Ich<br />
habe mich bewusst entschieden, Teil<br />
einer lokalen <strong>Kirche</strong> zu sein. Glaube<br />
ist nicht einfach etwas, was sich nur<br />
zwischen mir und Gott abspielt und<br />
niemanden sonst was angeht, wie<br />
heute landläufig oft behauptet wird.<br />
Glaube hat auch eine starke Wir-Komponente.<br />
Und diese kommt in einer<br />
gesunden, lebendigen Gemeinschaft<br />
zu tragen. Das ist <strong>Kirche</strong>.<br />
Dabei beschränkt sich <strong>Kirche</strong> nicht einfach auf einen Sonntagsmorgen-Gottesdienst.<br />
Gottesdienst ist Alltag – oder wie es Paulus<br />
im Römer 12,1 sagt: mein ganzes Leben Gott zu Verfügung<br />
stellen – nicht einfach nur eine Stunde am Sonntag. So lebe ich<br />
persönlich dieses Miteinander auch bei uns zu Hause weiter, wo<br />
wir mit Mitmenschen, Freunden und Nachbarn essen, über den<br />
Glauben austauschen und zusammen beten.<br />
Das Swissair-Grounding und die Finanzkrise sind symptomatisch<br />
für den schweren Stand der <strong>Kirche</strong>: Der postmoderne Mensch hat<br />
den Glauben an Institutionen und Systeme verloren. Aber <strong>Kirche</strong>,<br />
die Christus im Zentrum hat, ist nach wie vor ein Leuchtfeuer in<br />
düsteren Zeiten. Mehr denn je. Denn dort, wo der Sohn Gottes,<br />
der von sich selbst sagt, dass er Weg, Wahrheit und Leben ist, im<br />
Zentrum ist, wird <strong>Kirche</strong> lebendig. Ohne ihn ist sie fade und leer,<br />
und wenn in ihr nicht gerade noch eine Orgel steht, wird sie an<br />
Geistlichkeit nicht wirklich von einem örtlichen Langhaar-Kaninchen-Zuchtverein<br />
zu unterscheiden sein.<br />
Durch meine Arbeit als Referent an kirchlichen Veranstaltungen<br />
habe ich Einblick in unterschiedlichste <strong>Kirche</strong>nformen quer durch<br />
alle Denominationen. Und klar ist: Wo <strong>Kirche</strong>n sich gegen aussen<br />
richten und gesendet leben, lebt die <strong>Kirche</strong> – wo nicht, da stirbt<br />
sie ab. Letztere ähneln einem See, der keinen Abfluss mehr hat.<br />
Es kommt zu «Verstopfung» und beginnt unangenehm zu riechen.<br />
<strong>Kirche</strong> ist eine lebendige Gemeinschaft von Menschen, die Gottes<br />
Geist Raum geben und sich als in die Gesellschaft gesendet<br />
verstehen, wie es Jesus gesagt hat: «Wie mich der Vater gesandt<br />
hat, so sende ich euch» (Joh 20,21).<br />
Deshalb sammeln wir in unserer <strong>Kirche</strong> einmal pro Monat Esswaren<br />
und Haushaltartikel und füllen sie während der Anbetungszeit<br />
in Säcke ab für über 30 Familien oder Einzelpersonen, deren Geld<br />
im Moment gerade knapp ist. Und deshalb verbringen wir regelmässig<br />
Zeit mit Asylanten oder haben wir gemeinsam mit verschiedenen<br />
<strong>Kirche</strong>n die Aktion Gratishilfe (www.aktiongratishilfe.<br />
ch) gestartet und durchgeführt – wir haben <strong>Kirche</strong> von der reinen<br />
«Komm-du-Struktur» in eine «Wir-gehen-Struktur» bewegt.<br />
<strong>Kirche</strong>, die sich verschenkt, lebt. Wer den Fokus gegen aussen<br />
hat, der muss auch nicht um seine Zukunft und die «Schäfchen»<br />
10
angen. Denn wenn wir uns als <strong>Kirche</strong> dorthin ziehen lassen, wo<br />
Gottes Herz sich hinbewegt, werden wir unweigerlich anziehend.<br />
Durch alle Denominationen hindurch erlebe ich diese Aufbrüche<br />
in <strong>Kirche</strong>n – oft werden sie bottom-up gestartet und sind dann<br />
erfolgreich, wenn sie top-down nicht gebremst, sondern vielmehr<br />
als belebend angesehen und gefördert werden.<br />
<strong>Kirche</strong> begeistert mich. Denn das Evangelium verliert nie seine<br />
Gültigkeit, aber die Form der <strong>Kirche</strong> muss immer wieder zeitgemäss<br />
angepasst werden. Leider haben einige <strong>Kirche</strong>n das genau<br />
verkehrt herum verstanden: Sie haben das Evangelium anzupassen<br />
versucht und die <strong>Kirche</strong> antiquiert belassen.<br />
Solange eine <strong>Kirche</strong> den lebendigen Christus im Zentrum hat und<br />
sich nach Gottes lebendigem Wort, der Bibel, ausrichtet, wird es<br />
immer lebendige <strong>Kirche</strong>n geben. Und damit Hoffnung.<br />
11
Christian Ninck Heilpädagoge, Sozialtherapeut, La Colombe Suisse<br />
In einer liberal geprägten Gemeinde der bernischen<br />
Landeskirche wurde ich getauft, konfirmiert<br />
und bin darin aufgewachsen. Aber es war<br />
kein Ort, wo ich mich wohlfühlte. Lebendigkeit<br />
habe ich vor allem ausserhalb der <strong>Kirche</strong> erlebt:<br />
in einem Bibellesebund-Lager, als ich von Jesus<br />
Christus persönlich angesprochen wurde, in<br />
Mut-zur-Gemeinde-Wochen, in einer Fastenwoche<br />
in Gnadenthal (Jesusbruderschaft), in Seelsorgekonferenzen<br />
und Veranstaltungen von Campus für Christus und<br />
anderen. An all diesen Orten wurde dem Heiligen Geist gebührenden<br />
Raum gegeben.<br />
Wenn ich an die <strong>Kirche</strong> denke, ist sie dort lebendig, wo Menschen<br />
eine persönliche Beziehung zu Jesus Christus haben und vom Doppelgebot<br />
der Liebe geleitet werden, wo sie sich in der Gemeinschaft<br />
engagieren und ihre verschiedenen Gaben einbringen können. Gebet,<br />
Anbetung und Lobpreis nehmen einen wichtigen Platz ein, und es gibt<br />
verschiedene Seelsorgemöglichkeiten, die auf die diversen Belastungen<br />
und Nöte eingehen. Eine solche Gemeinschaft weiss sich mit der<br />
weltweiten Gemeinde als dem Leib Christi verbunden, und es ist für sie<br />
selbstverständlich, sich um die Nöte der Brüder und Schwestern im<br />
Glauben zu kümmern und als gute Verwalter Gottes verantwortlich mit<br />
Geld, Reichtum und Armut umzugehen. Die Gemeinschaft wird mehr<br />
als Organismus anstatt als Organisation erlebt. Dazu gehört auch, die<br />
Wurzel unseres Glaubens zu kennen, die im Volk Israel liegt, und auch<br />
das Bewusstsein, mit unserem Schöpfer, dem liebenden Vater im Himmel,<br />
verbunden zu sein. Eine lebendige christliche Gemeinschaft ist<br />
sich bewusst, zum Herrschaftsbereich unseres Gottes zu gehören, der<br />
ein Ende dieser Weltzeit herbeiführen und eine neue Welt schaffen wird.<br />
Lebendigkeit drückt sich darin aus, dass man sich kennt und Anteil<br />
aneinander nimmt, dass alle Generationen vorhanden sind, d.h. Familien<br />
mit ihren spezifischen Bedürfnissen willkommen sind und auch die<br />
Jugendlichen sich ihrem Bedürfnis entsprechend ausdrücken können.<br />
Auch Alleinstehende haben ihren Platz und auf die älteren Leute wird<br />
Rücksicht genommen. Es gibt verschiedene Musikstile in der <strong>Kirche</strong>,<br />
die sich abwechseln, und es kommen entsprechend verschiedene Musiktalente<br />
zum Einsatz. Ich erlebe einen wichtigen Teil der Lebendigkeit<br />
in unserem Hauskreis, wo man Anteil am persönlichen Ergehen nimmt<br />
und gibt und füreinander betet, wo man über Bibeltexte austauscht<br />
und Wegweisung in den Alltag mitnimmt.<br />
Was trage ich selber dazu bei? Ich nehme wenn möglich am Gottesdienst<br />
teil und helfe gelegentlich beim anschliessenden <strong>Kirche</strong>nkaffee<br />
mit. Ich bin Mitglied in einem Hauskreis und nehme oft an den Männeranlässen<br />
unserer Gemeinde teil. Im Team «<strong>Kirche</strong> weltweit» bringe<br />
ich meine diesbezüglichen Erfahrungen ein, da ich selber an einem<br />
Hilfsprojekt im Kongo engagiert bin. Auch die Teilnahme am wöchentlichen<br />
Gemeindegebet ist mir wichtig. Ausserdem freue ich mich, im<br />
Dorf oder bei anderen Anlässen <strong>Kirche</strong>nmitglieder zu t<strong>ref</strong>fen.<br />
Wie kann <strong>Kirche</strong> auch in Zukunft lebendig bleiben? Wir brauchen gut<br />
fundierte Auslegung des Wortes Gottes, damit wir befähigt werden in<br />
unserem Alltag den Glauben zu leben, denn das gelebte Zeugnis wird<br />
immer wichtiger. Jesus Christus muss die Mitte unserer Gemeinde<br />
bleiben.<br />
12
Pater Daniel Emmenegger Benediktiner in Einsiedeln<br />
Um nach der Lebendigkeit von <strong>Kirche</strong> zu fragen,<br />
möchte ich da ansetzen, wo <strong>Kirche</strong> für mich selber<br />
am unmittelbarsten erfahrbar ist, nämlich in<br />
der christlichen Gemeinde oder Gemeinschaft, in<br />
der ich selber als Getaufter lebe. In meinem Fall<br />
ist diese Gemeinschaft das Kloster Einsiedeln.<br />
Und dieses Kloster «steht voll im Saft», wie die<br />
Zürichsee-Zeitung vor ein paar Jahren titelte,<br />
nachdem ein von ihnen gestelltes Redaktoren-Team einen Unihockey-Match<br />
gegen uns Mönche deutlich verlor. Auch wenn man auf<br />
die zahlreichen Aufgaben, Arbeiten, Tätigkeiten und Projekte unseres<br />
Klosters blickt, könnte man meinen, dass hier viel getan wird und viel<br />
läuft – dass hier somit «lebendige <strong>Kirche</strong>» ist.<br />
Aber ist es tatsächlich das, was die Lebendigkeit von <strong>Kirche</strong> ausmacht?<br />
Ich merke deutlich, dass dem keineswegs so ist, ja dass damit<br />
die eigentliche Lebendigkeit der <strong>Kirche</strong> noch nicht mal annährend<br />
erfasst ist. Nur zu leicht schauen wir Menschen dorthin, wo sich etwas<br />
bewegt, wo etwas passiert, wo etwas «los» ist. Auf einen einzelnen<br />
Baum, der umfällt, werden wir bekanntlich sehr schnell aufmerksam,<br />
während ein ganzer wachsender Wald kaum Beachtung findet. Auch<br />
das eigentliche Leben der <strong>Kirche</strong> pulsiert sehr still und ruhig in ihrem<br />
tiefsten Innern. Es kann sich in konkreten Aktivitäten äussern, geht<br />
aber nie in ihnen auf, noch ist es mit ihnen identisch.<br />
Wie wird man auf dieses eigentliche Leben der <strong>Kirche</strong> aufmerksam?<br />
Nun, ich selber entdecke es immer wieder auf eine eigentlich paradoxe<br />
Weise, nämlich oft dann, wenn ich die <strong>Kirche</strong> leblos, unbeweglich<br />
und starr erfahre. Das ist beispielsweise der Fall, wenn sich meine<br />
eigenen Vorstellungen und Ideen von «<strong>Kirche</strong>» nicht mit dem decken,<br />
was ich in Wirklichkeit vorfinde, und ich zugleich das Gefühl habe,<br />
dass sich nichts ändert (natürlich in die Richtung meiner eigenen Ideen)<br />
– wenn ich also gleichsam gegen eine Wand renne, die sich nicht<br />
bewegen lässt. Aber: Die unbewegliche Wand wirft mich auf mich<br />
selbst zurück und weist mir dadurch den Weg in meine Zelle (mein<br />
Zimmer). Die klösterliche Zelle ist der Ort der Ruhe, nicht nur der leiblichen,<br />
sondern insbesondere auch der seelischen. In der Zelle ruhe<br />
ich bei Gott. Ich betrachte das Wort Gottes und versuche, ihm mein<br />
Herz zu öffnen. Dabei erfahre ich, dass nicht zuerst die «<strong>Kirche</strong>» sich<br />
bewegen muss, sondern ich mich selbst.<br />
Und dann geschieht etwas Eigenartiges und zugleich Faszinierendes:<br />
Im Masse, in dem ich mich bewegen und das Wort Gottes in<br />
mein Herz dringen lasse, in dem Masse verändert sich auch die <strong>Kirche</strong>,<br />
wird sie lebendig. Ich merke: «<strong>Kirche</strong>» ist nicht einfach etwas<br />
ausserhalb von mir, sondern ich selbst bin mit meiner ganzen Existenz<br />
zutiefst mit ihr verbunden. Die <strong>Kirche</strong> – das Kloster oder die<br />
Kirchgemeinde – ist nicht in erster Linie eine Organisation, die man<br />
so oder anders verwalten und gestalten muss, sondern ein Organismus.<br />
Ich selbst bin ein lebendiges Organ dieses Organismus, dessen<br />
Lebensquell Christus ist.<br />
Die Rebe bringt keine Frucht, wenn sie nicht am Weinstock bleibt (Joh<br />
15,4). Indem die <strong>Kirche</strong> jedes ihrer Glieder zum wahren Weinstock<br />
(Joh 15,1) führt, empfängt sie selbst das wahre und eigentliche Leben.<br />
13
Thomas Schlag Professor der Praktischen Theologie, Universität Zürich UZH<br />
Was ist für mich persönlich eine lebendige <strong>Kirche</strong>?<br />
Ich trete in meiner universitären<br />
Ausbildung von Theologinnen<br />
und Theologen für eine <strong>Kirche</strong><br />
ein, die aktiv und voraussetzungslos<br />
für das Leben der Menschen<br />
eintritt. Wenn ich dabei<br />
von einer «öffentlichen <strong>Kirche</strong>»<br />
spreche, ist damit gemeint:<br />
eine <strong>Kirche</strong>, die denen Gehör<br />
schenkt, denen sonst vielleicht niemand mehr zuhört, und die für<br />
diejenigen eintritt, die Hilfe und Begleitung benötigen. Eine solche<br />
öffentliche Praxis umfasst einerseits Situationen, in denen<br />
Menschen in Krisen, Sorgen und Nöten sind, andererseits auch<br />
die Lebensmomente voller Freude, Glück und Dankbarkeit. Eine<br />
lebendige <strong>Kirche</strong> leidet mit dem Einzelnen mit, hofft mit ihm, betet<br />
für ihn und wird auch ganz praktisch dort aktiv, wo konkrete<br />
Schritte der Hilfe notwendig sind.<br />
Worin drückt sich die «Lebendigkeit» aus?<br />
Ich persönlich denke in meiner Lehre und Praxis beim Stichwort<br />
einer lebendigen <strong>Kirche</strong> nicht in erster Linie an eine kirchliche<br />
Gemeinschaft, in der es «hoch hergeht». Natürlich ist es schön,<br />
wenn kirchliche Aktivitäten «vor aller Augen» erkennbar und erlebbar<br />
sind. Und selbstverständlich zeigt sich <strong>Kirche</strong> durch eine<br />
lebensfrohe und lebhafte Atmosphäre von ihrer positiven Seite.<br />
Aber gerade in einer <strong>Kirche</strong>, die für das Leben der Menschen da<br />
ist, darf aus meiner Sicht diese Lebendigkeit auch ganz andere<br />
Gestalt annehmen: So etwa, wenn man sich in aller Ernsthaftigkeit<br />
und Aufmerksamkeit um einzelne Menschen kümmert, mit<br />
tiefer Konzentration und Spiritualität miteinander und füreinander<br />
betet, wenn man Klage und Hoffnung teilt, Solidarität zeigt und<br />
sich wechselseitig zu neuen Lebensschritten ermutigt.<br />
Was trage ich selber dazu bei?<br />
Ich gehöre sicherlich nicht zu den «24-7»-Aktiven. Mein Engagement<br />
in einer Kirchgemeinde ist aufgrund meiner recht mobilen<br />
beruflichen Existenz eher von punktueller Art. Aber durch eigene<br />
Gottesdienste und Predigten, durch die Besuche von kirchlichen<br />
Veranstaltungen oder die Beteiligung an einzelnen ehrenamtlichen<br />
Initiativen und auch durch mediale Stellungnahmen versuche<br />
ich meinen Teil dazu beizusteuern, dass <strong>Kirche</strong> öffentlich<br />
präsent ist. Zugleich gibt mir mein Beruf die Möglichkeit, in Gemeinden<br />
und <strong>Kirche</strong>nleitungen immer wieder neue Überlegungen<br />
anzustossen. Wenn ich angefragt werde, einzelne Reformprojekte<br />
oder Initiativen zu beraten, konkret zu begleiten oder zu kommentieren,<br />
so tue ich dies gerne. Und schliesslich versuche ich auch<br />
Theologiestudierende und junge Pfarrerinnen und Pfarrer dazu zu<br />
motivieren, ihre berufliche Praxis mit Freude, Wachsamkeit und<br />
Leidenschaft anzugehen.<br />
Wie kann <strong>Kirche</strong> auch in Zukunft lebendig bleiben?<br />
Gott sei Dank, kann <strong>Kirche</strong> auf einen grossen Schatz an überlieferten<br />
Traditionen und auf viele gute Erfahrungen von Menschen<br />
mit <strong>Kirche</strong> und Kirchgemeinde zurückgreifen. Wir müssen dabei<br />
keineswegs das Rad immer neu erfinden, indem etwa immer wie-<br />
14
der neue Reformen und Projekte angestossen werden. Sondern<br />
manchmal hilft einfach schon die Besinnung auf die Wurzeln des<br />
eigenen Glaubens, um sich von der Lebendigkeit der Botschaft<br />
anstecken zu lassen. Dafür ist es aber wesentlich, dass <strong>Kirche</strong><br />
Möglichkeiten und Räume gemeinsamen Zusammenlebens<br />
schafft und bereitstellt. Nur wenn Menschen gelingende und<br />
schätzenswerte Erfahrungen mit <strong>Kirche</strong> machen, werden sie diesen<br />
Schatz auch weitertragen wollen und können.<br />
Und so will ich in meiner Ausbildungspraxis vor allem vermitteln:<br />
Eine lebendige und mitmenschliche <strong>Kirche</strong> zeigt sich in der<br />
grösstmöglichen Bereitschaft zur Anerkennung des Anderen,<br />
egal, woher jemand kommt, was diese Person mitbringt und mit<br />
wie vielen Ecken und Kanten sie ausgestattet ist. Denn auch diese<br />
können und sollen wesentliche Bestandteile eines Hauses der<br />
lebendigen Steine werden.<br />
Joris Stauber 3,5-jährig<br />
Mir gefällt an der <strong>Kirche</strong>, wenn ich auch dabei sein kann, am besten<br />
wenn ausser meiner Mami auch mein Papi und mein kleiner<br />
Bruder dabei sind, die ganze Familie.<br />
In die Kinderhüeti gehe ich nicht so gerne, weil da meine Mami<br />
wieder weggeht und ich Angst bekomme.<br />
Am schönsten fände ich, wenn ich auch etwas zum Essen mit in<br />
die <strong>Kirche</strong> nehmen könnte.<br />
Die Geschichte von David und Goliath aus der Kinderbibel finde<br />
ich besonders spannend, und Noah gefällt mir auch, weil da ein<br />
grosses Schiff vorkommt.<br />
15
Susanna und Ernst Oppliger Kirchgemeindemitglieder, <strong>ref</strong>. Kirchgemeinde <strong>Bäretswil</strong><br />
<strong>Lebendige</strong> <strong>Kirche</strong> und der heilige Bund der Ehe<br />
Was hat die Ehe zu tun mit der lebendigen <strong>Kirche</strong>? <strong>Lebendige</strong> <strong>Kirche</strong><br />
ist da, wo Menschen ihren Glauben an den dreieinigen Gott<br />
leben und etwas von seinem<br />
Reich in dieser Welt sichtbar<br />
machen. Dies geschieht, indem<br />
sie einander wertschätzen und<br />
für Begegnungen offen sind.<br />
Wir haben es als Neuzuzüger in<br />
<strong>Bäretswil</strong> sehr geschätzt, dass<br />
Leute nach dem Gottesdienst<br />
auf uns zukamen, sich für uns<br />
interessierten und uns spontan zum Essen eingeladen haben. Wir<br />
staunten über die grosse Anzahl von freiwilligen MitarbeiterInnen.<br />
Das ist ein riesiges Potential einer lebendigen Kirchgemeinde! Wir<br />
haben als Ehepaar gespürt, dass wir geschätzt werden und uns<br />
mit unsern persönlichen Fähigkeiten und Interessen einbringen<br />
können.<br />
Die Lebendigkeit einer <strong>Kirche</strong> zeigt sich in generationenübergreifenden<br />
Angeboten und Engagements: Alte mit den Jungen und<br />
Junge mit den Alten. Das bedeutet, dass im Gemeindeleben<br />
Altes und Neues, Tradition und Innovation Platz haben müssen.<br />
Es muss alles in Bewegung bleiben, es darf nicht so sein, wie<br />
es immer war! Das ist zwar nicht immer einfach, aber überaus<br />
wichtig. Denn jede Generation muss ihren eigenen Glaubensweg<br />
finden und ihre eigenen Formen, wie Glaube ausgedrückt und<br />
gelebt wird. Da haben wir als ältere Ehepaare eine grosse Aufgabe<br />
und Verantwortung. Wir haben als Eltern mit unsern Kindern<br />
und Enkeln einen reichen Schatz an Erfahrungen. Das soll uns<br />
fähig machen, geistliche Elternschaft zu leben. Wir brauchen in<br />
lebendigen <strong>Kirche</strong>n geistliche Mütter und Väter, die Freude haben<br />
an ihren «Kindern». Die Jungen brauchen unsere Unterstützung,<br />
unsere Ermutigung. Unsere Offenheit für die neuen und andern<br />
Ideen der nächsten Generation ist sehr wichtig.<br />
Als Ehepaar haben wir in dieser Welt und in der <strong>Kirche</strong> eine besondere<br />
Berufung. Der Bund der Ehe wird in der <strong>Kirche</strong> vor Gott<br />
geschlossen und bekommt einen besonderen Segen. Anhand der<br />
einmalig schönen Liebe zwischen Mann und Frau will Gott uns etwas<br />
ganz Besonderes zeigen: Diese grosse Gabe Gottes an den<br />
Menschen ist ein Bild für die Liebe Gottes zu seinem Volk. Davon<br />
schreibt Jesaja:<br />
Wie ein junger Mann sich mit seinem Mädchen verbindet, so wird<br />
sich dein Schöpfer für immer mit dir verbinden. Wie ein Bräutigam<br />
sich an seiner Braut freut, so wird dein Gott Freude an dir haben.<br />
(Jes 62,5)<br />
Paulus nimmt im Neuen Testament diesen Gedanken auf und vergleicht<br />
die christliche Gemeinde mit der Braut und Jesus Christus<br />
mit dem Bräutigam. Es gilt für das neutestamentliche Volk Gottes<br />
genau dasselbe: Gott hat in Jesus Christus den neuen Bund mit<br />
allen Menschen geschlossen – aus Liebe! Es ist ein Liebesverhältnis,<br />
es ist ein Liebesbund!<br />
16
Die Bibel spricht davon, dass Mann und Frau «ein Fleisch werden».<br />
Hier geht es um die Sexualität. Paulus versteht sie als das<br />
Sichtbarwerden einer geistlichen Wahrheit und spricht von einem<br />
«tiefen Geheimnis». Geheimnisse müssen wir nicht enträtseln<br />
oder ganz verstehen, aber sie können gefeiert werden. Das Einswerden<br />
von Mann und Frau ist solch ein Geheimnis, das gefeiert<br />
werden darf. Paulus bezieht dieses «ein Fleisch werden» auf<br />
Christus und das Geheimnis des neuen Bundes: In diesem Erleben<br />
von sich verschenken und empfangen bestätigen und erneuern<br />
wir den Ehebund, den Liebesbund zwischen Mann und<br />
Frau. Dies ist die innigste und tiefste Verbindung zwischen zwei<br />
Menschen!<br />
unvollkommenen Menschsein! Und auch das Scheitern einer Ehe<br />
gehört zu unserm Menschsein. Das soll uns jedoch nicht davon<br />
abhalten, den heiligen Bund der Ehe zu pflegen und zu schützen.<br />
Eine lebendige <strong>Kirche</strong> setzt sich dafür ein und bietet spezielle Anlässe<br />
für Ehepaare an.<br />
So wie der Regenbogen uns an den Bund Gottes mit allen Menschen<br />
erinnert, so darf und soll jede Ehe an den Bund erinnern,<br />
den Gott durch Jesus Christus mit uns geschlossen hat.<br />
Und auf diese Weise verbündet und verbindet sich in Jesus<br />
Christus der ewige Gott selbst mit dem Menschen. Wirklich ein<br />
Geheimnis! Wir feiern diesen Bund zeichenhaft im Abendmahl.<br />
Christus schenkt sich uns, seiner <strong>Kirche</strong> mit seinem Leib und Blut.<br />
Er hat sich für uns hingegeben.<br />
Als Ehepaare haben wir mitten in der Welt und einer lebendigen<br />
<strong>Kirche</strong> eine hohe, wunderbare Berufung! Wir dürfen und sollen<br />
einander lieben und unsere Liebe zueinander soll für andere Menschen<br />
etwas von Gottes uneingeschränkter und unbedingten Liebe<br />
sichtbar machen! Das ist der tiefe Sinn einer Ehe, die vor Gott<br />
geschlossen und in seiner Liebe und Kraft gelebt wird.<br />
Dass wir dabei schon oft und immer wieder an unsere Grenzen<br />
gestossen sind und stossen, ist völlig klar. Es gehört zu unserm<br />
17
Alister Lowe Pfr. in der methodistischen <strong>Kirche</strong> in Manchester<br />
What is a vital church for me personal?<br />
Vital church for me is identifying were<br />
the very source of life exits in a church.<br />
It is not dependent on the nature of<br />
church, whether it is lively or quiet but<br />
is it powered by the gift of the spirit. If<br />
it is powered by the spirit then it will be<br />
vibrant and move us towards discipleship.<br />
In the Great Commission (Matt 28) Jesus<br />
gives a very particular instruction,<br />
‘to make disciples’. What is vital about church is that it is a place<br />
were discipleship grows both in terms of depth of discipleship<br />
and the numbers. Depth of discipleship means becoming ever<br />
more Christ like in all we say and do. In many ways if the depth of<br />
discipleship exists then the numbers will follow because part of<br />
a discipleship is spreading the Good News and also when others<br />
see what a difference it makes in our lives, some will want to<br />
know more.<br />
To extend the life metaphor of church further, life means fed and<br />
reproducing. Organisms that neither feed nor grow (reproduce)<br />
die. So we have a need to be fed on the presence of Jesus Christ<br />
and then to share that with others.<br />
In what ways is vitality expressed ?<br />
As I am merely mortal I can only look at this through my own eyes<br />
and give thanks for what God might reveal. I would the<strong>ref</strong>ore be<br />
looking for signs of growth in discipleship for any church. These<br />
signs would be different depending on the context and people<br />
we are dealing with. A committed atheist who through contact<br />
with a church acknowledges that there might be something beyond<br />
our understanding might be considered to grow in discipleship,<br />
compared to a person who has been coming to church for<br />
over fifty years yet has failed to adopt discipleship principles may<br />
be regarded as not growing.<br />
One of the key points in discipleship is when a person moves<br />
from considering their own needs but considering the needs of<br />
others. We all need to be fed, but when our main or only focus<br />
is on ourselves then we will stop growing. There is a point in a<br />
discipleship journey that we are challenged from our own needs<br />
to serving others. This is a vital sign of church.<br />
What is my contribution to that?<br />
As a minister I see my role as being more of a spiritual navigator<br />
both to individuals and to the gathered community. It is part of<br />
my role to help people identify where they are, help them with<br />
the gift of the spirit to see where God is calling them and then to<br />
help develop a route. I can offer my insight and experience to the<br />
situation but often I don’t have the answers and I offer to walk the<br />
unknown path together.<br />
It is in the feeding that I am also fed. It is in serving others that I<br />
too am working our my discipleship priority. It is in trying to res-<br />
18
pond to others questions, questions that I haven’t even thought<br />
of, challenges me rethink my faith.<br />
How can church in the future stay vital?<br />
What is vital for church both for today and tomorrow is to focus<br />
on growth of discipleship and then to look at how to adapt these<br />
principles to the context in which we live. Too much of our<br />
church today is focused on worship and creeds. Whilst these<br />
are important they should come out of a sense of discipleship. A<br />
person cannot worship God if they have neither an acceptance<br />
that God exists (in some form) nor have a concept of worship.<br />
They need to make a move in discipleship first. Too much of our<br />
worship is focused on us and our needs and not on others. Too<br />
much of our worship is focused on a form that has been dictated<br />
to us by the church we attend and hence does not communicate<br />
in a relevant form to the individuals.<br />
Church too needs to be a navigator helping people find a path.<br />
But I do not mean any path. To be church it must be a path that<br />
leads to being a disciple in Jesus Christ.<br />
19
Marc Heise Pfr. <strong>ref</strong>. <strong>Kirche</strong> <strong>Bäretswil</strong><br />
Wenn ich auf 18 Jahre Pfarramt in zwei<br />
Gemeinden zurückblicke, kann ich sagen,<br />
dass ich in beiden Gemeinden, in<br />
denen ich bisher tätig war, lebendige<br />
<strong>Kirche</strong> erlebt habe. Interessant ist dabei<br />
das Empfinden, dass die Gemeinde<br />
immer so lebendig ist, wie ich es<br />
selbst auch bin. Wenn ich mitten im<br />
Leben stehe, Freude am Leben habe<br />
und Freude an der Begegnung mit den<br />
verschiedensten Menschen aller Art,<br />
dann erlebe ich lebendige Gemeinde.<br />
Wenn ich selber nicht gut drauf bin, wenn ich selber mit mir und<br />
der Umwelt im Unreinen bin, dann nehme ich auch die Gemeinde<br />
nicht als lebendig wahr. Das heisst: Ob eine Gemeinde lebendig<br />
ist oder lebendig scheint, ist eine sehr subjektive Frage. Das erlebe<br />
ich als Pfarrer immer wieder. Während einer von der Lebendigkeit<br />
der Gemeinde schwärmt, kritisiert ein anderer gleichzeitig<br />
ihre Passivität und beklagt, dass kaum noch Leben in ihr sei. Die<br />
Lebendigkeit der <strong>Kirche</strong> ist immer nur so fest ausgeprägt, wie es<br />
das Glaubensleben des einzelnen Gemeindegliedes ist. Man kann<br />
nicht grundsätzlich sagen: Diese Gemeinde ist lebendig, die andere<br />
nicht. Ich kann mich in einer Gemeinde, in der nach aussen<br />
nicht viel los ist, mit allem, was ich habe und mitbringe, engagieren,<br />
und wenn ich dabei nur drei bis vier Gleichgesinnte finde,<br />
die sich mit mir zusammen für die Gemeinde einsetzen, kann ich<br />
diese Gemeinde als lebendig empfinden. Jesus verdeutlicht das<br />
mit den Worten: «Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt<br />
sind, da bin ich mitten unter ihnen.» (Matthäus 18, 20) Und<br />
wo Jesus mittendrin ist, da ist eine Gemeinde auch lebendig. Das<br />
bedeutet auch: Ohne den aktiven Einbezug freiwilliger MitarbeiterInnen,<br />
denen auch Verantwortung durch die Gemeindeleitung<br />
übertragen wird, gibt es keine lebendige Gemeinde.<br />
Die Gemeinde lebt dann, wenn Christus in der Gemeinde lebt,<br />
oder anders gesagt, wenn Christus im Leben der Gemeindeglieder<br />
Spuren hinterlässt und diese Spuren im Alltag der Menschen<br />
auf gute Art und Weise sichtbar werden. Die Lebendigkeit einer<br />
Gemeinde hat weniger mit Engagement als mit der persönlichen<br />
Gottesbeziehung zu tun. Gleichzeitig meine ich herausgefunden<br />
zu haben, dass eine Gemeinde nur dann als lebendig und anziehend<br />
wahrgenommen wird, wenn im Hintergrund gebetet wird.<br />
Eine betende Gemeinde ist eine lebendige Gemeinde. Wahrscheinlich<br />
ist das so, weil ein betender Mensch immer auch ein<br />
demütiger Mensch ist oder zumindest sein sollte. Ein betender<br />
Mensch ist sich bewusst, dass er allein aus der Gnade Gottes<br />
lebt, und deshalb hat er nicht das Gefühl, er könne selbst eine<br />
lebendige Gemeinde machen oder heranorganisieren. Eine lebendige<br />
Gemeinde ist immer ein Geschenk Gottes, und eine Gemeinde,<br />
die Demut nicht kennt, wird nicht als lebendig – sondern als<br />
hochnäsig und besserwisserisch wahrgenommen.<br />
Ein weiterer Punkt, der mir wichtig scheint, ist: Eine lebendige Gemeinde<br />
ist immer auch eine liebende Gemeinde. Dabei ist wichtig,<br />
dass die Gemeindeglieder die Liebe nicht nur untereinander praktizieren,<br />
sondern auch denjenigen Menschen mit offenen Herzen<br />
begegnen, die mit der Gemeinde nichts zu tun haben wollen. Die<br />
20
Liebe einer lebendigen Gemeinde hört nicht bei den eigenen Mitgliedern<br />
auf. Man liebt nicht nur diejenigen, die so beten, wie ich<br />
bete oder die mir zustimmen, wenn ich in der Gemeinde etwas<br />
sage oder tue. Das ist ein schwieriger Anspruch, aber der Wille<br />
dazu muss vorhanden sein. Eine lebendige Gemeinde sieht<br />
Aussenstehende auch nicht als Bekehrungsobjekte, sondern als<br />
Menschen, die von Gott wunderbar geschaffen sind und ihre ganz<br />
persönliche Geschichte mitbringen. So kann man sagen, dass<br />
eine lebendige Gemeinde ein verstehende, ja sogar eine mitleidende<br />
Gemeinde ist.<br />
Ich selbst habe noch nie eine Kirchgemeinde als lebendig erlebt,<br />
die sich nicht voll und ganz dem Evangelium von Jesus Christus<br />
verpflichtet gefühlt hat. Eine Gemeinde ist nur dann lebendig,<br />
wenn das Evangelium von Jesus Christus auch im Alltag gepredigt,<br />
gehört und gelebt wird. Es reicht nicht, «nur» sozial oder karitativ<br />
zu sein, genauso wie es nicht reicht, «nur» dogmatisch und<br />
fromm zu sein.<br />
Zum Schluss: Im Lauf der Jahre habe ich gemerkt, wie wichtig es<br />
den Gemeinde gliedern und auch Aussenstehenden ist, dass der<br />
Pfarrer oder die Pfarrerin authentisch ist. Ich wirke dann glaubwürdig,<br />
wenn ich als Pfarrer auch bereit bin, über meine Fehler<br />
und Schwierigkeiten zu sprechen, nicht penetrant und dauernd,<br />
aber dann, wenn es nötig und angebracht ist. Die Menschen wollen<br />
eine Pfarrperson erleben, die genauso um den Glauben und<br />
die Beziehung zu Gott ringt, wie sie selbst, und die ihnen gleichzeitig<br />
auch aufzeigt, wie sie selber die Schwierigkeiten im Alltag<br />
mit Gottes Hilfe versucht zu bewältigen. Wichtig ist dabei, dass<br />
man nicht nur von den Siegen, sondern auch von den Niederlagen<br />
spricht und davon, wie man trotz des Scheiterns am Glauben<br />
und am Vertrauen an und auf Gott festhalten will.<br />
21
Matthias Walder-Mäder Pfr. <strong>ref</strong>. <strong>Kirche</strong> Hinwil und Dekan Pfarrkapitel Hinwil<br />
Ganz persönlich ist für mich eine singende<br />
Gottesdienstgemeinschaft immer wieder Ausdruck<br />
einer lebendigen <strong>Kirche</strong>, egal, ob sie ein<br />
Lied aus dem Genfer Psalter oder eins von<br />
Chris Tomlin, ob sie rein und mehrstimmig<br />
oder halt einfach von Herzen singt. Menschen<br />
sitzen nicht einfach da und lassen sich unterhalten,<br />
nein, sie erheben ihre Stimmen, um<br />
Gottes überwältigende Grösse zu besingen.<br />
Natürlich ist das nur ein Ausdruck der <strong>Kirche</strong>,<br />
wenn sie lebendig sein soll. Denn die christliche Gemeinde singt ja<br />
nicht nur – das wäre für einige dann doch eine grosse Herausforderung!<br />
–, sie hört auch und spricht, sie handelt und besinnt sich,<br />
sie denkt und sie hilft, sie feiert und leidet, sie lebt Gemeinschaft,<br />
glaubt, hofft und liebt.<br />
Lebendig bedeutet dann für mich, dass Menschen als Teil der <strong>Kirche</strong><br />
leben und handeln – leben und handeln können; und dies nicht<br />
oberflächlich oder widerwillig oder halbherzig, sondern mit Freude,<br />
mit Leidensbereitschaft und von ganzem Herzen. Der Grund: Sie<br />
sind selber gepackt von der leidenschaftlichen Liebe von Gott, die<br />
er uns in Jesus Christus erweist. Diese Liebe bleibt nicht an der<br />
Oberfläche, sie geht unter die Haut, sie trifft den Menschen im Herzen,<br />
wo er sich öffnen kann oder sich verschliesst.<br />
Darum ist <strong>Kirche</strong> lebendig, eine Herzenssache, wo sie Teil ist von<br />
Gottes Reich, Teil seiner Absicht und seines Plans für uns, für diese<br />
Welt, für seine Schöpfung. Denn ihr Leben kommt aus der Lebendigkeit<br />
von Gott selber. Daher ist es die Kunst der <strong>Kirche</strong>, lebendig<br />
zu bleiben in der Verbundenheit mit dem Leben aus Gott, lebendig<br />
zu bleiben aus dem Geist von Gott! Dann kann die <strong>Kirche</strong> unscheinbar<br />
sein und doch lebendig. Sie kann schwach sein und arm, aber<br />
doch lebendig. Ihre Mitglieder müssen nicht trendig sein, nicht attraktiv<br />
oder stark, trotzdem kann sie lebendig sein. Schwierige, fehlbare,<br />
reizbare, neurotische, feige, ja engstirnige Menschen können<br />
dazugehören, und trotzdem kann die <strong>Kirche</strong> lebendig sein, weil sie<br />
nicht aus uns Sündern, sondern aus Gottes Vergebung ihre Kraft<br />
und ihr Leben schöpft. Und aus diesem Grunde verliert sie auch die<br />
Hoffnung für die Welt und die Liebe zu den Menschen nicht.<br />
Im konkreten Alltag der Kirchgemeinde ist also ausschlaggebend,<br />
dass sie nicht vor allem aus eigenen Kräften, sondern aus Gott lebt;<br />
dass sie Gefäss wird und bleibt für Gottes Fülle in Christus, das gefüllt<br />
wird und überfliesst; dass sie immer bedürftig und empfänglich<br />
bleibt, ja demütige und mutige Bittstellerin ist vor Gott, dem sie alles<br />
Leben verdankt.<br />
Was sollte dann unmöglich sein? Was könnte der <strong>Kirche</strong> dann ihr<br />
Leben und ihre Hoffnung rauben? Etwa Armut, Schwachheit, Anfechtung?<br />
All das hat die <strong>Kirche</strong> schon durchgemacht.<br />
Ja, auch schwere Verfolgung und grosses Leid kann der <strong>Kirche</strong> ihr<br />
Leben nicht rauben. Weltweit gibt es heute viele Zeugnisse dieser<br />
angefochtenen <strong>Kirche</strong>, die doch höchst lebendig ist aus Gott selber,<br />
die sich versammelt und Gott lobt mit ihren Liedern, in allen Sprachen<br />
dieser Erde!<br />
22
Kristina Hofstetter Ethnologiestudentin in Basel<br />
«<strong>Kirche</strong> bedeutet mir nichts.» So hätte<br />
noch bis vor nicht allzu langer Zeit meine<br />
Antwort auf diese Frage gelautet. Dabei<br />
hätte ich die katholische <strong>Kirche</strong>, welcher<br />
ich angehöre, assoziiert mit kalten, grauen<br />
Mauern, (zu) engen Strukturen und<br />
unbeugsamer Tradition, also mit Dingen,<br />
womit ich mich weder identifizieren<br />
konnte noch wollte.<br />
Mittlerweile habe ich realisiert, dass diese<br />
Antwort nur bedingt stimmt. Besser<br />
ist: Diese Form von <strong>Kirche</strong>, in meiner Vorstellung ein hierarchisches<br />
Gebilde, ein riesiges, von Vätern gesteuertes Mutterschiff,<br />
eine politische Schachfigur und ein Machtinstrument bedeutet<br />
mir nichts.<br />
Aber es gibt noch eine andere Form, welche ich für mich entdeckte<br />
und die mir wertvoll ist. Diese Form von <strong>Kirche</strong> hat eigentlich<br />
keine Form, sondern manifestiert sich ständig neu. Sie lebt<br />
jetzt und jetzt und jetzt, ist spürbar und doch flüchtig und darum<br />
umso mehr geschätzt. Sie ist unabhängig von einem Gebäude,<br />
von Geld und Verträgen. Auch sie kann es laut, aber insgeheim<br />
ist sie leise.<br />
Ich muss wohl noch etwas konkreter werden:<br />
Den Atem dieser <strong>Kirche</strong> etwa spürte ich, als ich mein Portemonnaie<br />
verlor und es mir am nächsten Tag voll und ganz zurückgebracht<br />
wurde. Wohlgemerkt von einem Mann, der aussah, als<br />
trüge er selbst eine schwere Geschichte und einen dafür umso<br />
leichteren eigenen Geldbeutel mit sich herum.<br />
Der Puls dieser <strong>Kirche</strong> schlug im Takt meines Herzens inmitten<br />
der Trauer um einen geliebten, verstorbenen Menschen.<br />
Zum Rhythmus dieser <strong>Kirche</strong> tanzte ich innerlich, als ich eine<br />
durchgefrorene Surprise-Verkäuferin auf einen Kaffee einlud.<br />
Und die Kraft dieser <strong>Kirche</strong> wogt in mir jedes Mal, wenn ich spüre:<br />
Ich bin.<br />
Diese Form von <strong>Kirche</strong> vermag es aus meiner Sicht, in Anbetracht<br />
der unerklärlichen Tiefe des Lebens und Sterbens keine Erklärungen,<br />
dafür den Raum zu geben, sich dem Geheimnis auf eigene<br />
Weise zu öffnen. Die Gemeinschaft, die daraus entsteht, ist weder<br />
Zweck noch Wahl, sondern Schicksal, denn wir alle sind davon<br />
betroffen.<br />
23
Barbara Wyss Bereichsleiterin am Institut für Gemeindebau und Weltmission Zürich (IGW)<br />
<strong>Lebendige</strong> <strong>Kirche</strong> –<br />
sichtbare <strong>Kirche</strong><br />
Es liegt auf der Hand, dass sich der<br />
Begriff <strong>Kirche</strong> nicht durch ein Gebäude<br />
definiert. Allerdings manifestiert sich<br />
in der heutigen Zeit die <strong>Kirche</strong> oft am<br />
markantesten durch ihre Gebäude.<br />
Als ehemalige Hochbauzeichnerin bin<br />
ich fasziniert von sakralen Bauten und<br />
als Kirchbergerin lebe ich gar in einem<br />
Dorf, welches seinen Namen der stattlichen<br />
<strong>Kirche</strong> auf dem Hügel verdankt. Dennoch gehe ich davon<br />
aus, dass <strong>Kirche</strong>n, Kapellen, Gemeindehäuser und Klöster lediglich<br />
den Raum bieten für die lebendige <strong>Kirche</strong>. Ich wünsche mir<br />
eine <strong>Kirche</strong>, die in der Gesellschaft sicht- und spürbar ist, auch<br />
wenn sie über keinen hohen <strong>Kirche</strong>nturm verfügt. Es sind die<br />
Menschen, die der <strong>Kirche</strong> Lebendigkeit einhauchen. Ziehen sich<br />
diese Menschen jedoch zurück in die <strong>Kirche</strong>ngebäude und t<strong>ref</strong>fen<br />
sich mit gleichgesinnten Christen, bleibt auch diese Gemeinschaft<br />
unsichtbar für die Gesellschaft. Erst wenn sich Christen gemeinsam<br />
aufmachen und sich in die Missio Dei einklinken, entsteht<br />
eine Lebendigkeit, die es vermag, <strong>Kirche</strong>nmauern zu sprengen.<br />
Ich persönlich gehöre einerseits der <strong>ref</strong>ormierten <strong>Kirche</strong> und andererseits<br />
einer Freikirche an. Die Mitgliedschaft in der <strong>ref</strong>ormierten<br />
<strong>Kirche</strong> habe ich mit meiner Geburt erlangt. In der Freikirche habe<br />
ich eine Familie gefunden. Ich bin stolz auf beide Zugehörigkeiten<br />
und achte und respektiere beide Formen der <strong>Kirche</strong>. Letztendlich<br />
ist es nicht der Name der Denomination, der für Lebendigkeit<br />
steht. Lebendigkeit definiert sich viel mehr an der Tatsache, ob<br />
wir in unserer christlichen Gemeinschaft den Lebenshauch Gottes<br />
zulassen und in seine Mission, dieser Gesellschaft mit Liebe<br />
zu dienen, einstimmen.<br />
Für mich bedeutet das, dass ich mich nicht nur in meiner christlichen<br />
Familie wohl- und befreit fühle, sondern dass ich dieses<br />
Bewusstsein des Angenommen- und Freiseins auch in die Gesellschaft<br />
hineintrage. Konkret tue ich dies durch mein politisches<br />
Engagement. Ich setze mich dafür ein, dass christliche Werte wie<br />
Respekt, Freiheit und Solidarität in die Kommissionsarbeit in der<br />
politischen Gemeinde einfließen. Etliche Mitglieder meiner kirchlichen<br />
Gemeinde engagieren sich aktiv in unterschiedlichen politischen<br />
Gremien.<br />
Als kirchliche Gemeinschaft wollen wir ein Ort der Zuflucht sein<br />
für Menschen, die in der Gesellschaft wenig Raum und Anerkennung<br />
finden. So haben wir in unserer Gemeinde keinen Pastoren<br />
oder Pfarrer angestellt, sondern eine Seelsorgerin mit therapeutischer<br />
Ausbildung. Diese Voraussetzung erlaubt es uns, Menschen<br />
umfangreich in ihren Nöten zu begleiten. Zudem sind alle<br />
Gemeindeglieder gefordert zur Lebendigkeit des gemeindlichen<br />
Lebens beizutragen, da wir nicht über geistliche Profis verfügen,<br />
welche das Gemeindeleben am Laufen halten.<br />
24
Die Lebendigkeit der Gemeinde hängt vom Engagement jedes<br />
Einzelnen ab. Die Energie hinter dem Einsatz der einzelnen <strong>Kirche</strong>nmitglieder<br />
gründet wiederum auf der Gnade und Kraft Gottes.<br />
Seine Kraft und unsere Bereitschaft aus dieser zu leben, erhält die<br />
<strong>Kirche</strong> auch in Zukunft lebendig und sichtbar in der Gesellschaft.<br />
25
Rita Famos Pfrn., Abteilungsleiterin der Abteilung Seelsorge Zürcher Landeskirchen<br />
Was ist lebendige <strong>Kirche</strong>?<br />
Ein Beispiel aus der Seelsorge<br />
Frau M. war schon immer Mitglied<br />
der <strong>ref</strong>ormierten <strong>Kirche</strong>. Da<br />
sie jedoch alleinstehend war und<br />
mit einem 100%-Pensum ihren<br />
Lebensunterhalt bestreiten musste,<br />
hatte sie in ihrer Freizeit keine<br />
Energie mehr, um die kirchlichen<br />
Veranstaltungen zu besuchen oder<br />
gar sich selber dafür zu engagieren.<br />
Ab und zu sass sie im Gottesdienst<br />
und im Anschluss an einen Sonntagsgottesdienst bat sie mich<br />
für ein seelsorgliches Gespräch, weil ihr die anstehende Pensionierung<br />
Sorgen bereitete: Der Betrieb, für den sie jahrelang<br />
gearbeitet hatte, musste Stellen abbauen und hatte Frau M. zur<br />
frühzeitigen Pensionierung gedrängt. Wir versuchten in mehreren<br />
Gesprächen die neue Situation vorwegzunehmen und die Sorgen<br />
zu benennen: Das Fehlen der Tagesstrukturen, das Wegfallen der<br />
regelmässigen sozialen Kontakte mit den Arbeitskolleginnen, die<br />
fehlenden Herausforderungen und anderes mehr. Während den<br />
Gesprächen, in denen wir eine Zukunftsperspektive zu entwickeln<br />
versuchten, fiel mir ein, dass in einem grossen Kirchgemeindeprojekt<br />
Freiwillige gesucht wurden. Frau M. würde mit ihren Qualifikationen<br />
und Erfahrungen genau in diese Aufgaben passen.<br />
Frau M. entschied sich, ihr Engagement dem Kirchgemeindeprojekt<br />
zur Verfügung zu stellen.<br />
Frau M. fand mit ihrem neuen, freiwilligen Engagement eine neue<br />
Gemeinschaft, die es ihr ermöglichte, neue Freundschaften aufzubauen.<br />
Sie fand eine herausfordernde Aufgabe, die sie befriedigte<br />
und ihr das Bewusstsein stärkte, dass ihre Arbeit durchaus<br />
noch gefragt und geschätzt war. Durch gemeinsame Andachten<br />
im Projektteam, gemeinsamen Besuch von weiteren kirchlichen<br />
Angeboten entdeckte Frau M. neu, wie wichtig ihr die Verwurzelung<br />
im christlichen Glauben war und welche Bereicherung christliche<br />
Gemeinschaft bedeutet.<br />
Eine von vielen Seelsorgegeschichten, die veranschaulichen,<br />
was lebendige <strong>Kirche</strong> ist: <strong>Lebendige</strong> <strong>Kirche</strong> ist dann, wenn Menschen,<br />
unabhängig davon, wie nah sie bis jetzt der <strong>Kirche</strong> waren,<br />
ein offenes Ohr finden für ihre Nöte und jederzeit eine professionelle<br />
Begleitung in Anspruch nehmen können. <strong>Lebendige</strong> <strong>Kirche</strong><br />
ist, wenn Menschen eine Gemeinschaft finden, die sie trägt und<br />
sie ihre Einmaligkeit, ihre Bedeutsamkeit wertschätzend erfahren<br />
lässt. <strong>Lebendige</strong> <strong>Kirche</strong> ist, wenn Menschen sich engagieren<br />
können für das Wohl der ganzen Gemeinschaft und dadurch am<br />
eigenen Leib erfahren, wie wertvoll ihre Persönlichkeit und ihr Wirken<br />
ist. <strong>Lebendige</strong> <strong>Kirche</strong> ist, wenn Menschen durch professionelle<br />
Seelsorge, aber auch durch die Gemeinschaft mit anderen<br />
Gemeindegliedern zu ihrem Glauben als Lebensgrundlage finden<br />
und den Glauben, der auch Zeiten des Zweifels beinhaltet, in Gemeinschaft<br />
leben können.<br />
Ich persönlich engagiere mich seit meinem 15. Lebensjahr für<br />
eine lebendige <strong>Kirche</strong>, in immer wieder wechselnden Rollen und<br />
26
Aufgaben. Als freiwillige Mitarbeitende in verschiedenen Jugendund<br />
Studierendengruppen zunächst, als Gemeindepfarrerin, <strong>Kirche</strong>npolitikerin,<br />
Abteilungsleiterin später. Als Abteilungsleiterin<br />
Seelsorge der Zürcher Landeskirche versuche ich die grossen<br />
Potentiale und Talente der Seelsorgenden in unserer <strong>Kirche</strong> zu<br />
unterstützen und Strukturen zu fördern, die eine lebendige Seelsorge<br />
für eine lebendige <strong>Kirche</strong> ermöglichen.<br />
Unsere <strong>Kirche</strong> bleibt lebendig, wenn sie weiterhin bewahrt, was<br />
sie trägt, aber offen bleibt für Erneuerungen, die unumgänglich<br />
sind. Das Evangelium bleibt über die Jahrhunderte dasselbe, die<br />
Strukturen und Möglichkeiten, wie es in Gemeinschaft geteilt werden<br />
kann, verändern sich.<br />
27
Peter Hatt Co-Leiter «Männert<strong>ref</strong>f», Webmaster der Kirchgemeinde <strong>Bäretswil</strong><br />
Eine lebendige <strong>Kirche</strong> ist für mich<br />
eine Gemeinde, in der die biblische<br />
Grundlage des christlichen Glaubens<br />
vermittelt, gelehrt und gelebt wird.<br />
Ihre Gottesdienste sind einladend<br />
und abwechslungsreich. Die <strong>Kirche</strong><br />
ist aktuell und greift gesellschaftliche<br />
Fragen auf, pflegt die Gemeinschaft<br />
von unterschiedlichen Alters- und Interessengruppen<br />
und versucht, Hilfsbedürftigen<br />
in der Nähe und weltweit<br />
beizustehen. Selbstverständlich gibt<br />
es noch weitere Aspekte für eine lebendige,<br />
glaubwürdige <strong>Kirche</strong>.<br />
Die «Lebendigkeit» drückt sich unter anderem durch die Mitwirkung<br />
von verschiedenen Menschen aus. Nebst den Pfarrern, den<br />
angestellten Mitarbeitern und den <strong>Kirche</strong>nbehörden sind noch<br />
weitere engagiert. Jede Kirchgemeinde ist angewiesen auf Freiwillige.<br />
Sie sind der eigentliche Kern der Gemeinde, sie fühlen<br />
sich mit ihr verbunden und identifizieren sich mit ihr. Sie wissen,<br />
was die Menschen bewegt, und bauen Brücken zwischen den<br />
übrigen Gemeindegliedern, zwischen Freunden, Nachbarn, Alten<br />
und Jungen und verkörpern so die Lebendigkeit der Gemeinde<br />
nach aussen.<br />
Die freiwillige Mitarbeit hat in der <strong>Kirche</strong> eine lange Tradition. Die<br />
eingebrachten Talente und Begabungen bereichern die Angebote.<br />
Die Kirchgemeinden gewinnen an Vielfalt, Fähigkeiten, Impulsen<br />
und Wissen. Die Anzahl der freiwillig Mitarbeitenden ist ein Gradmesser<br />
der Lebendigkeit einer Gemeinde. Seitens der Gemeindeleitung<br />
ist es wichtig, das Potenzial der Freiwilligen zu nutzen,<br />
sie zu begleiten und zu fördern. Die Freiwilligen sind dankbar um<br />
spontane Rückmeldungen und um einen Erfahrungsaustausch<br />
mit anderen Gruppen innerhalb der Freiwilligenarbeit.<br />
Was trage ich selbst dazu bei? Seit 16 Jahren engagiere ich<br />
mich für den Männert<strong>ref</strong>f. Mit einem kleinen Team organisieren<br />
wir verschiedene Anlässe (19 im Jahr 2013) für Männer. Dazu<br />
gehören Diskussions-, Themen- oder Filmabende, Gebets- und<br />
Austauschrunden, Vortragsmorgen für Frauen und Männer, gesellschaftliche<br />
Anlässe, wie das Skiweekend, der Maibummel, ein<br />
Grillfest oder die Gemeindewanderung. Die Planung, Vorbereitung<br />
und Durchführung dieser Anlässe empfinde ich als persönlichen<br />
Gewinn. Es macht Spass, mit anderen etwas «auf die Beine zu<br />
stellen» und mit Menschen in der Gemeinde unterwegs zu sein.<br />
Daneben bin ich seit bald einem Jahr als Webmaster der Homepage<br />
unserer Kirchgemeinde tätig. Dabei kann ich zu einer aktuellen,<br />
informativen und guten Präsentation der Gemeinde im<br />
Internet beitragen. Die technische Herausforderung und die gelegentlichen<br />
Reaktionen der Gemeindeglieder motivieren mich für<br />
dieses Engagement. Zudem bin ich Mitglied der Theatergruppe,<br />
die bei einzelnen Gottesdiensten das Thema mit einem Anspiel<br />
veranschaulicht. Diese Tätigkeit erfordert Disziplin beim Auswendiglernen<br />
und Mut bei den Aufführungen. Entschädigt wird dieses<br />
Engagement mit den interessierten und gespannten Blicken der<br />
28
Zuschauer und ihren Reaktionen. Nebst dem eigenen Engagement<br />
in verschiedenen Bereichen scheint es mir wichtig, auch als<br />
ganz «normales» Gemeindeglied am Gemeindeleben teilzunehmen.<br />
Die <strong>Kirche</strong> wird auch in Zukunft lebendig bleiben, wenn alle Beteiligten<br />
aktiv mithelfen und sich bewusst sind, dass ihr Einsatz<br />
ein Dienst an der Gemeinde ist. Nur Gott allein kann und wird die<br />
Lebendigkeit schenken.<br />
29
Michel Müller Pfr., <strong>Kirche</strong>nratspräsident der <strong>ref</strong>. Landeskirche des Kantons Zürich<br />
Spontan würden wir sagen: Wenn<br />
etwas läuft im Haus, wenn Kinder<br />
herumrennen oder lachen, wenn<br />
Senioren am Tisch miteinander<br />
essen, eine packende Predigt gehalten<br />
wird oder ein berührendes<br />
Gespräch stattfindet, ein Chor<br />
singt oder eine Meditationsgruppe<br />
schweigt, kurz: wenn sich Menschen in einer <strong>Kirche</strong> oder einem<br />
Kirchgemeindehaus in aller Vielfalt versammeln, dann ist das doch<br />
lebendig!? Und so ist <strong>Kirche</strong> aktiv in allen Altersgruppen und versucht<br />
verschiedene Lebenswelten anzusprechen, um «Leben in<br />
die Bude» zu bringen, am Sonntag und unter der Woche. Es soll<br />
ja keine muffige, Einsamkeit verbreitende Atmosphäre in unseren<br />
Häusern herrschen, vielmehr frische Luft, Bewegung, Engagement,<br />
Leben. Dass das «lebendig» ist, da sind sich wohl die meisten einig.<br />
Ist es auch schon lebendige «<strong>Kirche</strong>»?<br />
<strong>Kirche</strong> wiederum ist Leib Christi. Dieses biblische Bild wird in der<br />
Zürcher <strong>Kirche</strong>nordnung aufgenommen, wenn in Art. 1, Abs. 2 davon<br />
gesprochen wird, dass <strong>Kirche</strong> dort ist, «wo Menschen Jesus<br />
Christus als Haupt der Gemeinde bekennen». Haupt und Leib gehören<br />
zusammen, deshalb wird in Art. 3, Abs. 1 auch postuliert:<br />
«Die Landeskirche ist mit ihren Gliedern allein dem Evangelium<br />
von Jesus Christus verpflichtet.» Sie ist vom Ursprung her und in<br />
Gegenwart und Zukunft <strong>Kirche</strong> Jesu Christi. Der Anspruch an sie,<br />
dass sie lebt, kann nur darin gründen, dass Christus lebt. Christus<br />
lebt als der Auferstandene in und unter uns, spricht zu uns und<br />
handelt an uns durch seinen Geist. <strong>Lebendige</strong> <strong>Kirche</strong> ist <strong>Kirche</strong><br />
Jesu Christi, die durch seinen Geist gebaut wird, wächst und lebt.<br />
In lebendiger <strong>Kirche</strong> wird der lebendige, der auferstandene Jesus<br />
Christus erfahren. Das ist die Quelle des kirchlichen Lebens und die<br />
immer wieder entscheidende Frage im Sinne eines Schlüsselkriteriums:<br />
Lebt Christus hier unter uns?<br />
Die Herausforderung besteht darin, dies konkret erfahrbar zu machen<br />
und sich dieser Frage immer wieder von Neuem zu stellen.<br />
Die Evangelien sind geschrieben worden, nicht bloss um aus dem<br />
vergangenen Leben Jesu zu erzählen, sondern im Glauben und<br />
aus der Erfahrung heraus, dass der Auferstandene auch heute erlebt<br />
wird, in Welt und <strong>Kirche</strong>. Wenn Menschen geheilt, befreit, zu<br />
neuer Gemeinschaft verbunden, erlöst werden, dann lebt Christus<br />
unter uns. Oder wie es Lukas fast flapsig in einer Art Urbekenntnis<br />
zusammenfasst in Apg. 10, 38: Ihr kennt Jesus von Nazaret und<br />
wisst, wie Gott ihn mit heiligem Geist und mit Kraft gesalbt hat; er<br />
zog umher und tat Gutes und heilte alle, die vom Teufel unterdrückt<br />
wurden, weil Gott mit ihm war.<br />
<strong>Lebendige</strong> <strong>Kirche</strong> zieht in der Nachfolge Jesu «umher» und kommt<br />
unter Menschen und Geschöpfe, lebt Evangelium, tut Gutes, durch<br />
das Engagement und das Bekenntnis der einzelnen Gläubigen, in<br />
den Gemeinden und Werken, in kantonaler, nationaler und weltweiter<br />
<strong>Kirche</strong>norganisation.<br />
Eine lebendige <strong>Kirche</strong> bezeugt in Wort und Tat die alles umfassende<br />
Güte Gottes in alle Bereiche des Lebens hinein.<br />
30
Lucrezia Steiner 17-jährig, Gymnastik Diplomschule<br />
Kuschlig und völlig in meiner Traumwelt<br />
versunken, lag ich, als kleine<br />
Göre, immer an Heiligabend im<br />
Schoss meiner Mutter. Der Pfarrer,<br />
so wie auch alle andern um mich<br />
herum, schienen mich zu diesem<br />
Zeitpunkt nicht gross zu interessieren.<br />
Doch wenn ich nun heute einige<br />
Blicke durch die <strong>Kirche</strong>nbänke werfe<br />
und all die Menschen um mich herum<br />
betrachte, die verschiedener<br />
nicht sein könnten und gespannt der<br />
Pfarrerin zuhören, oder auch wenn wir im Konfirmationsunterricht<br />
mit den Konfirmanden/-innen einzelne Themen diskutieren oder<br />
besprechen und auch wenn ich mich zurück an meine Schläfchen<br />
in der Kindheit erinnere, dann sehe ich, dass es vielen Kindern<br />
heute auch so ergeht, bin ich fasziniert, dass es so viele verschiedene<br />
Menschen gibt, welche sich mit dem Glauben auseinandersetzen.<br />
Und das macht für mich eine lebendige <strong>Kirche</strong> aus. Viele<br />
Menschen, die ihre persönliche Meinung hineinbringen können.<br />
Aber natürlich auch das aktive Miteinander. In dem man irgendeine<br />
gemeinnützige Arbeit leistet oder einfach nur die Möglichkeit<br />
hat, sich auch ausserhalb des Gottesdienstes bei anderen Anlässen<br />
auszutauschen.<br />
Damit auch ich ein kleines Stücklein dazu beitragen kann, half ich<br />
beim Konfirmationsunterricht mit. Dies ist meiner Ansicht nach<br />
ein wichtiger Teil, um diese Lebendigkeit der <strong>Kirche</strong> aufrechtzuerhalten,<br />
denn durch den ständigen Austausch mit den Konfirmanden<br />
hat man den Bezug zu den Jugendlichen und weiss so, was<br />
diese Generation anspricht.<br />
Aber auch durch die spannenden und abwechslungsreichen<br />
Gottesdienste verleiht man der <strong>Kirche</strong> mehr Lebendigkeit. Um<br />
zukünftig eine lebendige <strong>Kirche</strong> zu behalten, muss man die Angebote<br />
für jede Generation stärken und aufrechterhalten.<br />
31
Matthias Krieg Dr. theol. et phil. Leiter der Abteilung Bildung Zürcher Landeskirchen<br />
Ach, was für eine Frage! Was<br />
ist Leben? Wann ist Leben<br />
auch lebendig? Nicht nur biologisch<br />
da, sondern auch vital<br />
unterwegs?<br />
Gras, wenn es den Teer durchstösst.<br />
Krokusse, wenn sie aus<br />
dem Schnee herausleuchten.<br />
Baumstrünke, wenn sie nach dem Waldbrand wieder treiben.<br />
Da sehe ich Leben. Im Regenwald, wo alles schwillt und keimt.<br />
Im Gemüsegarten, wo der Salat schiesst. Im Rebberg, wo das<br />
Weinlaub flammt im Herbst. Da sehe ich Leben. Der gurgelnde<br />
Bach im Frühling, der dampfende See im Winterfrost, Wellenberge<br />
und Talstürze bei der Überfahrt zur Insel. Da fährt es mir unter<br />
die Haut, das Leben.<br />
<strong>Lebendige</strong> <strong>Kirche</strong>? Auf dem <strong>Kirche</strong>ntag, wo eine Freiwillige der<br />
Hospizbewegung erzählte, wie sie mit einer todkranken Frau<br />
eine letzte Ausfahrt gemacht hatten und sie zum Schluss nicht<br />
nur dieses Tages sagte: Das Leben ist schön. Sie, die fast nichts<br />
mehr war und am nächsten Morgen starb. Oder im Township von<br />
Kapstadt, wo wir im Verlauf der Liturgie das Unservater sprachen,<br />
ich unter Schwarzen, und es mich beim wie auch wir vergeben<br />
unsern Schuldigern wie ein Blitz durchfuhr, was wohl Schwarze<br />
sich dabei dächten, wenn ich Weisser dies mitbete. Oder an einem<br />
gewöhnlichen Sonntag in Stäfa, wo der Pfarrer einen Text<br />
auslegte, den ich durch und durch kannte, aber gerade da war<br />
er neu wie noch nie und bewegte Herz und Hirn, und nach dem<br />
Schlussspiel fiel ich dem verdutzten Pfarrer noch in der <strong>Kirche</strong><br />
um den Hals. Oder an der Meilemer Weihnacht damals, im Jahr<br />
vor der Trennung nach zwanzig Jahren, als ich sie ahnte, und wir<br />
sangen Ich lag in tiefster Todesnacht, du warest meine Sonne, die<br />
Sonne, die mir zugebracht und ich plötzlich hemmungslos weinen<br />
musste und nicht mehr mitsingen konnte, die Gemeinde aber an<br />
meiner Stelle sang. Oder letzten Dezember in Rio, als ich in einer<br />
Bank Geld aus dem Automaten liess, während ein Jude reinkam<br />
und die erste Zeile von Hine ma tow uma najim sang und ich unmittelbar<br />
die zweite Zeile schewet achim gam jachad, sodass der<br />
kleine, dicke, fremde Mann in ein schallendes Gelächter ausbrach<br />
und mich schier umarmt hätte, hätten wir beide es nicht so eilig<br />
gehabt.<br />
Leben, glaube ich, hat kein Ziel ausser sich selbst. Es will leben.<br />
Immer. Unter allen Bedingungen. Gott, glaube ich, hat das Leben<br />
so gemacht. In seiner ganzen Vielfalt. Mit allen Schwächen<br />
und Stärken. Durch Geilheit und Verzicht. In Buntheit und Blässe,<br />
Versehrtheit und Widerstand. Ja, auch erotisch, auch sinnlos,<br />
auch überschwänglich. Gott, glaube ich, ist selbst das Leben.<br />
Drum heiligt, wer aus Gott lebt, das Leben.<br />
<strong>Lebendige</strong> <strong>Kirche</strong>? Das ist eine, die nicht zuerst zählt, sondern<br />
glaubt. Nicht zuerst für sich sorgt, sondern Andere wahrnimmt.<br />
Eine, die das Leben liebt. Menschen zueinander lässt, die sich<br />
wundern können. <strong>Lebendige</strong> <strong>Kirche</strong> verkörpert das Leben, glaube<br />
ich. Ist Inkarnation. In <strong>Bäretswil</strong>, am <strong>Kirche</strong>ntag, im Township, in<br />
32
Stäfa und Meilen, in Rio. Immer, wo Gott, der Leben ist, uns dem<br />
Leben, das ist, wie es ist, begegnen lässt. Das Leben ist schön!<br />
Hine, ma tow…<br />
33
Martin Fischer Präs. Bezirkskirchenpflege Hinwil, VPräs. <strong>Kirche</strong>nsynode des Kantons Zürich<br />
Wo immer ich auf diesem Globus<br />
unterwegs war, wann immer ich pulsierende<br />
<strong>Kirche</strong> erlebte, war mir, als<br />
würden da weitere Kapitel der Apostelgeschichte<br />
geschrieben. Gerne<br />
hätte ich jeweils <strong>Kirche</strong>nleitende aus<br />
der Heimat mit dabei gewusst; in der<br />
gemeinsamen Arbeit an zukunftsträchtigen<br />
Projekten und in diesen bewegenden<br />
Gottesdiensten. Da wurde<br />
farbig-fröhlich gefeiert und würdevoll<br />
hoffnungsvoll auch getrauert. Oft reiste<br />
ich emotional und spirituell buchstäblich<br />
aufgewärmt wieder ab, vor allem aus Afrika. Einmal mehr<br />
hatte ich erlebt, wie die gute Nachricht von Jesus hier und heute<br />
Hände und Füsse bekommt. Offen geschrieben: kaum in Zürich<br />
gelandet, hatte mich dann der Alltag wieder, auch der kirchliche.<br />
Meine heimische <strong>Kirche</strong> erschien mir dann im Gegensatz dazu<br />
mancherorts so blutleer, ideenlos, perspektivlos.<br />
«Nahe bei Gott und nahe bei den Menschen.» So beschreiben<br />
unsere <strong>ref</strong>ormierten Nachbarn im Kanton St. Gallen die Sendung<br />
ihrer <strong>Kirche</strong>. Dieses Profil wünsche ich auch meiner <strong>Kirche</strong>. Dabei<br />
bin ich selber gefragt. In meinem Leben und Schaffen diese Gottesnähe<br />
suchen und geschehen lassen. Von Christus, von seiner<br />
guten Nachricht inspirierte Spiritualität leben wollen. Mit anderen<br />
unterwegs sein, gemeinsam suchen, hören, glauben, zweifeln,<br />
beten, hoffen, feiern. Als Mitverantwortlicher auf kulturelle Vielfalt<br />
auch in Gottesdiensten und deren musikalischem Gewand<br />
hinarbeiten. Einmann- und Einfrau-bestrittene <strong>Kirche</strong>nanlässe<br />
befragen. Lernfelder schaffen, wie in landeskirchlich offener Art<br />
evangelisch und dialogisch evangelisiert werden will. Arbeitsgruppen<br />
einsetzen, welche nicht lockerlassen im diakonischen<br />
Engagement für Menschen an den Brennpunkten und Rändern<br />
unserer Gesellschaft.<br />
Über vier Jahrzehnte sind es, die ich nun dran bin an <strong>Kirche</strong>.<br />
Erst als Jugendarbeiter, dann als Radiomann, Fernsehmoderator,<br />
Sozialmanager, Mitverantwortlicher in internationalen Organisationen,<br />
kirchlichen Behörden und Gremien. Zugegeben, ich<br />
war dabei längst nicht immer erfolgreich. Manchmal gab‘s herbe<br />
Rückschläge, nicht selten selbst verschuldet.<br />
<strong>Kirche</strong> ist und bleibt für mich die Hoffnung der Welt. Ich glaub‘s<br />
um Jesu Christi willen. Die von ihm gestiftete absolute Liebe, die<br />
von ihm mit seinem eigenen Leben erstrittene Versöhnung von<br />
Gott und Mensch, kann das Gesicht unserer Welt verändern. Trotz<br />
allem Elend, das <strong>Kirche</strong> schon produzierte, der auferstandene<br />
Christus bleibt an ihr dran! Ich vertraue auf diesen Geist, welcher<br />
die <strong>Kirche</strong> erneuert und zu einem Ort neuer Perspektiven macht.<br />
Zu einem Ort, wo Menschen, gleich wo sie sich auf ihrer spirituellen<br />
Reise gerade befinden, gemeinsam das Evangelium entdecken,<br />
aufbrechen, neue Formen von <strong>Kirche</strong> leben. Eine solch<br />
Geist-bewegte <strong>Kirche</strong> wird die Zukunft gewinnen.<br />
34
Hanna Bernhard Kirchgemeindemitglied der <strong>ref</strong>. <strong>Kirche</strong> <strong>Bäretswil</strong><br />
Für mich bedeutet «<strong>Lebendige</strong><br />
<strong>Kirche</strong>»: Das Evangelium mit<br />
Kraft, Offenheit, mit Klarheit und<br />
Lust verkünden. Die Menschen<br />
zum Hören, zum Aufhorchen ermuntern.<br />
Mit Orgelklang und Lobgesang,<br />
in Dankbarkeit Gott ehren<br />
und preisen. Das «Unser-Vater-<br />
Gebet» im Gottesdienst gemeinsam<br />
mit Ehrfurcht laut sprechen.<br />
Mit Gottes Segen beschenkt getrost unser Leben in Gottes Hand<br />
legen. – Und Christus spricht: «Seid Täter des Wortes und nicht<br />
Hörer allein!» – Vor 60 Jahren hörte ich von der Kanzel den Zuspruch<br />
des Pfarrers: «Wohl zu tun vergesset nicht, einen fröhlichen<br />
Geber hat Gott lieb!» Die grosse Freiwilligenarbeit beweist,<br />
wie die <strong>Kirche</strong> ein Leib ist, in dem alle Glieder nötig sind, das Auge<br />
genauso wie die Hand oder der Fuss. Alle Glieder wirken zusammen<br />
und bilden so die <strong>Kirche</strong>.<br />
Gebet das Gottvertrauen finden. Und – «Nein, wir wollen uns nicht<br />
genieren, wenn wir in Treu und Glauben leben dürfen bis ins hohe<br />
Alter. Das gibt Erfüllung, das Leben wird reich. Die Ehre des Altwerdens<br />
wird gestärkt. Für andere noch tätig sein ist ein besonderes<br />
Geschenk im Senioren-Alter. Das macht dankbar und setzt<br />
dem Leben die Krone auf.»<br />
Die <strong>Kirche</strong>, das christliche Leben: Möge auch immer neu geboren<br />
werden und so Frucht bringen. Denn: «Immer da, wo wir mit ganzem<br />
Einsatz und unter Schmerzen dabei sind, etwas Gutes für die<br />
Allgemeinheit zu tun, wird etwas Neues geboren. Also: es geht nie<br />
ohne Wehen und Bangen!» – In diesem Sinne wünsche ich uns<br />
eine fruchtbringende, lebendige <strong>Kirche</strong> mit Gottesdiensten jeder<br />
Art.<br />
Anmerkung:<br />
Kursive Texte aus: «Im Garten meines Lebens», H. Bernhard<br />
Die <strong>Kirche</strong> soll auch innerlich, nicht nur äusserlich lebendig sein<br />
und bleiben. Mit der ganzen Schöpfung verbunden sein: Im Kleinen,<br />
im Unscheinbaren, im Verborgenen, in der Stille darf sie wirken.<br />
Bei Begegnungen mit Menschen, gesunden und kranken,<br />
verschiedener Art und Kulturen, anders Gläubigen, wo Gottes<br />
Liebe spürbar wird.<br />
Was kann ich zum christlichen Leben beitragen? Indem ich mich<br />
bemühe den Nächsten anzunehmen und zu lieben, wie er ist. Im<br />
«Ein Türspalt öffnet sich<br />
Ein Licht strahlt ins Herz<br />
In die Seele<br />
Welche Freude<br />
Lob und Dank»<br />
35
Daniel Stoller-Schai Dr. oec., lic. phi. I, <strong>Kirche</strong>npflegepräsident <strong>ref</strong>. Kirchgemeinde <strong>Bäretswil</strong><br />
Jedes Mal, wenn ich eine Kopie eines<br />
<strong>Kirche</strong>naustrittes in meinem Fach als<br />
<strong>Kirche</strong>npflegepräsident vorfinde, frage<br />
ich mich, warum diese Person wohl<br />
aus der <strong>Kirche</strong> ausgetreten ist. Da die<br />
meisten keinerlei Kontakt wünschen,<br />
ist es kaum möglich, da nachzufragen.<br />
Ich bin aber überzeugt, wenn diese<br />
Personen <strong>Kirche</strong> als lebendige <strong>Kirche</strong><br />
wahrgenommen und erlebt hätten,<br />
die in ihrem Leben Sinn macht, dann<br />
wären sie wohl kaum ausgetreten, um<br />
die <strong>Kirche</strong>nsteuern zu sparen.<br />
Ich bin überzeugt, dass hier die Hauptaufgabe liegt: Die <strong>Kirche</strong><br />
mit ihren verschiedenen Ausprägungen als Gemeinschaft, als Gebäude,<br />
als Erlebnis, als Bereicherung, als geistliche und soziale<br />
Nahrung muss im Mittelpunkt der Weiterentwicklung stehen.<br />
Wenn dies gelingt, dann werden sich andere Dinge wie Organisationsform,<br />
Finanzierung und täglicher Betrieb ergeben. Umgekehrt<br />
wird es kaum funktionieren. Schlanke Betriebsorganisationen<br />
und rationale Abläufe ohne Lebenssinn für den Einzelnen<br />
werden den Strukturwandel der <strong>Kirche</strong> nicht aufhalten. Statt sich<br />
vom Mitgliederschwund paralysieren zu lassen und verwaltungstechnische<br />
«Rettungsaktionen» zu starten («Immer 5000 in ein<br />
Boot, bitte!»), muss das Schiff während der Fahrt umgebaut und<br />
renoviert werden und neue Segel setzen, um zukünftige Ufer anzusteuern.<br />
Dazu braucht es aus meiner Sicht folgende Aspekte:<br />
• Es braucht Botschaften, die verstanden werden. Dafür<br />
brauchen wir Pfarrpersonen, die sowohl theologisch wie<br />
psychologisch und didaktisch ausgebildet sind. Zudem<br />
müssen sie eine persönliche Beziehung zu Jesus Christus<br />
und der christlichen Spiritualität haben. Sie müssen Führungseigenschaften<br />
und vor allem Mut aufweisen, um diese<br />
anspruchsvolle Aufgabe bewältigen zu können. Dies muss<br />
bereits Bestandteil der Ausbildung sein.<br />
• Es braucht Gebäude, in denen sich Menschen wohlfühlen,<br />
die eine Wertigkeit und Respekt vor der Schöpfung ausdrücken<br />
und die vielgestaltig für die verschiedenen Ausdrucksformen<br />
von <strong>Kirche</strong> genutzt werden können.<br />
• Es braucht Rituale – alte und neue – die modernen Menschen<br />
Platz lassen und dennoch Halt geben.<br />
• Es braucht zentrale Dienstleistungen, die Kirchgemeinden<br />
unterstützen und entlasten, um professionelle Angebote in<br />
einem Milizsystem anbieten zu können. Dies bedeutet Entlastung<br />
von operativen Tätigkeiten und mehr Reflexionsunterstützung<br />
in Form von Coaching und Supervison.<br />
• Es braucht ein tiefes Verständnis für Diakonie. Es braucht<br />
Gelegenheiten, um Gemeinschaft zu leben und zu erleben.<br />
Wenn man selber weiss, wo man steht, kann man ohne Berührungsängste<br />
auch auf diejenigen zugehen, die an einem<br />
anderen Ort stehen.<br />
• Es braucht Wissenstransfer und Erfahrungsaustausch zwischen<br />
den Kirchgemeinden, damit erfolgreiche Projekte geteilt<br />
und Misserfolge nicht wiederholt werden.<br />
36
• Es braucht eine langfristige Strategie in der Generationenarbeit<br />
von Kindern bis Senioren und einen sorgfältigen Aufbau<br />
in der Jugendarbeit. Eine Jugend, die <strong>Kirche</strong> als sinnstiftend<br />
erlebt und daran mitgestalten kann, ist die beste Form des<br />
Gemeindeaufbaus.<br />
• Es braucht gute Kommunikations- und Marketingmassnahmen,<br />
um der Öffentlichkeit und den Steuerzahlern aufzuzeigen,<br />
was gemacht und erreicht wurde, und transparent Dinge<br />
anzusprechen, die schwierig oder im Moment nicht zu lösen<br />
sind.<br />
• Es braucht Handlungsspielraum, um sich als Kirchgemeinde ein<br />
eigenes Profil zu geben, und es braucht schliesslich Unterstützung<br />
seitens der Kantonskirche für die Realisierung alternativer<br />
Finanzierungsmodelle.<br />
In einer solchen lebendigen <strong>Kirche</strong> – so hoffe ich – müssen dann<br />
nicht die Austritte administriert, sondern dürfen die Eintretenden<br />
willkommen geheissen werden.<br />
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Anna Maria Matsch Lehrerin, Katechetin und Kirchgemeindemitglied <strong>ref</strong>. <strong>Kirche</strong> <strong>Bäretswil</strong><br />
Ich erlebe lebendige <strong>Kirche</strong> dort, wo<br />
Leben in seiner ganzen Fülle pulsiert.<br />
Diese Fülle durfte ich schon mehrere<br />
Male in Gemeindeferienwochen meiner<br />
jeweiligen Kirchgemeinde erleben.<br />
Familien, Singles, Alte und Junge verbringen<br />
eine besondere Woche, mit<br />
viel Platz für das Miteinander. Da ist<br />
Zeit für Spiel und Spass, Sport, Gespräche,<br />
tiefgründige Inputs, Worship,<br />
Ausflüge und das alles mit dreimal<br />
täglicher, froher Tischgemeinschaft!<br />
Jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer<br />
trägt mit seiner Art und den zum<br />
Teil unbewussten Beiträgen zu inspirierenden, bereichernden Tagen<br />
bei. Jede Person schenkt und empfängt. Eine Ferienwoche<br />
als lebendige <strong>Kirche</strong>, als grosse Familie mit Gott im Zentrum ist<br />
ein unvergessliches Erlebnis!<br />
Schön und wertvoll empfinde ich es auch, wenn solche Momente<br />
besonderer Gemeinschaft mit grossen und kleinen Kindern im Alltag<br />
des eigenen Wohnortes Wirklichkeit werden dürfen.<br />
Angebote, wie das «Fiire mit de Chliine», wo sich Mütter und Väter<br />
unter der Woche mit ihren Kleinkindern zu einem kurzen, erlebnisreichen<br />
Kindergottesdienst in der <strong>Kirche</strong> t<strong>ref</strong>fen, sind ein solcher<br />
Ort der Lebendigkeit.<br />
Als ein weiteres solches Angebot feiern wir einmal pro Monat am<br />
Sonntagmorgen auch den KiK T<strong>ref</strong>f: Ein richtiger, altersgerechter<br />
Gottesdienst, in dem Kinder zwischen 6 und 12 Jahren mit<br />
Kopf, Herz und Hand Gott, lässige Gemeinschaft und biblische<br />
Wahrheiten und Geschichten miterleben können. Dieser Sonntagmorgen<br />
ist bunt, fröhlich und wird von einem motivierten Team<br />
fantasievoll gestaltet.<br />
Für meine eigene Familie erlebe ich es als grosse Bereicherung,<br />
dass es in unserer Kirchgemeinde weitere gute, lebendige Angebote<br />
für Kinder und Jugendliche gibt, wie zum Beispiel der Cevi,<br />
Singsalabim, Click und wie sie alle heissen.<br />
Echte Beziehungen – mit Hochs und Tiefs, mit Fehltritten und Vergebungsbereitschaft<br />
– auf der Basis des christlichen Glaubens<br />
prägen solche Angebote und Gruppen und machen sie wertvoll<br />
und lebendig. Diese guten Beziehungen entstehen ganz unabhängig<br />
vom Alter der Beteiligten, von Organisationsstrukturen<br />
oder von <strong>Kirche</strong>ngebäuden. Ich hoffe, dass diese Erfahrung von<br />
lebendiger Gemeinschaft noch mehr Menschen machen dürfen,<br />
auch solche, die sonst nie einen Fuss in eine <strong>Kirche</strong> setzen.<br />
Es ist mein grosser Wunsch für die Zukunft unserer <strong>Kirche</strong>n, dass<br />
wir im <strong>Kirche</strong>nalltag die Bedürfnisse der Kinder und Teenager<br />
noch besser wahr- und auch ernst nehmen. Sie sollen hier einen<br />
sicheren Ort finden, sich geliebt und geschätzt fühlen und spüren,<br />
dass die <strong>Kirche</strong> frisch und echt ist.<br />
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Dazu braucht es auch die älteren Generationen! Sie wirken als<br />
ermutigende Vorbilder, geben ihrer Freude an guten Beziehungen<br />
mit der jungen Generation Ausdruck oder beten im Stillen für die<br />
«jungen Wilden» und sind so für sie da. Wie bei jungen Familien<br />
aktive Grosseltern das Familienleben bereichern und viele schöne<br />
Momente und lebensprägende Erfahrungen erst ermöglichen,<br />
wünsche ich der <strong>Kirche</strong>, dass sie für alle «Familienmitglieder» eine<br />
erfrischende Tankstelle ist, wo Junge von Älteren beschenkt werden<br />
und umgekehrt!<br />
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Sabrina Müller Pfrn. <strong>ref</strong> <strong>Kirche</strong> <strong>Bäretswil</strong> und Doktorandin zu: fresh expressions of Church<br />
Als ich auf einer sechsmonatigen Reise<br />
in den USA war, führte mich mein<br />
Weg in den tiefen Süden der USA und<br />
am Mississippi entlang . . . auf den<br />
Spuren des Blues und Jazz entdeckte<br />
und erlebte ich viel. Das ärmliche Gebiet<br />
war voller Leben, Geschichte und<br />
voller Musik. Und ich lernte dort, dass<br />
gerade Jazz eine immer wiederkehrende<br />
Neuinterpretation der Tradition<br />
ist und dadurch Geschichten der Vergangenheit,<br />
Gegenwart und Zukunft<br />
erzählt.<br />
<strong>Lebendige</strong> <strong>Kirche</strong> ist wie guter Jazz, bei dem alle Elemente der<br />
Musik genommen und ständig auf neue Art interpretiert und in der<br />
Situation und im Kontext improvisiert werden. <strong>Lebendige</strong> <strong>Kirche</strong><br />
vereint in sich die Eigenschaften des Jazz. Sie lebt und atmet,<br />
erzählt Geschichten von gestern, heute und morgen über Menschen<br />
und ihre Erfahrungen mit dem trinitarischen Gott, und vor<br />
allem interpretiert sie die Botschaft Gottes und ihre Geschichte<br />
damit immer wieder neu, auf der Basis der momentanen Gesellschaft,<br />
des Kontextes und der Lebensumstände der Menschen.<br />
<strong>Lebendige</strong> <strong>Kirche</strong> ist ein Jazzspiel, Innovation auf der Basis von<br />
Geschichten und Erfahrungen der Menschen mit Christus. <strong>Kirche</strong>,<br />
welche nur die alten Lieder immer und immer wieder spielt, nur<br />
ihre Sprache spricht und keinen Kontakt zur Welt hat, diese <strong>Kirche</strong><br />
hat ihren Auftrag und ihre Lebendigkeit verloren.<br />
Das Wort <strong>Kirche</strong> kommt vom Wort Ekklesia, griechisch: ἐκκλησία,<br />
und bedeutet «die Herausgerufenen». <strong>Kirche</strong>, das sind herausgerufene<br />
Menschen mit dem Auftrag, Gott in der Welt sichtbar und<br />
erlebbar zu machen.<br />
Somit ist <strong>Kirche</strong> von ihrem Wesen her zuerst einmal Bewegung<br />
und Interaktion, ein Beziehungsgeschehen, in das Menschen und<br />
Gott involviert sind. <strong>Kirche</strong> ist nicht einfach, sondern sie findet<br />
dort statt, wo wir als Menschen in Beziehung treten mit Gott, mit<br />
anderen Menschen innerhalb und ausserhalb einer christlichen<br />
Gemeinschaft und der weltweiten <strong>Kirche</strong>, als gegenseitig Lernende<br />
und veränderungsbereit.<br />
Schnell könnte man in Versuchung geraten und diesen Auftrag<br />
nur individuell auffassen, da in der heutigen Zeit alles auf die Ebene<br />
des Individuums heruntergebrochen wird. Doch <strong>Kirche</strong> kann<br />
nicht von einem einzelnen Menschen her verstanden werden. <strong>Kirche</strong><br />
ist immer eine Gemeinschaft von Menschen, welche durch<br />
Beziehungsstränge miteinander und mit Gott verbunden sind.<br />
Als Reformierte sind wir geprägt vom Motto: «ecclesia semper <strong>ref</strong>ormanda»<br />
(die <strong>Kirche</strong> befindet sich in einem ständigen Reformationsprozess).<br />
Reformiert sein heisst: zu schauen, wo heute in der<br />
Gesellschaft, im Alltag, im ganz normalen Leben «<strong>Kirche</strong> ist» oder<br />
«<strong>Kirche</strong> entstehen kann». Dadurch nehmen wir unsere Rolle als<br />
Berufene und Herausgerufene wahr. Wir Menschen sind Ekklesia,<br />
die gemeinsam immer wieder lernen, <strong>Kirche</strong> bei den Menschen<br />
zu sein.<br />
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Diese <strong>Kirche</strong> der Berufenen und Herausgerufenen ist leidenschaftlich,<br />
kreativ und lebt im Bewusstsein, dass sie in der Nachfolge<br />
Christi steht und dadurch auch das Priestertum aller Glaubenden<br />
leben soll und darf. Somit ist <strong>Kirche</strong> dort, wo sich Menschen um<br />
Jesus Christus versammeln und wo sie die Eigenschaften einer<br />
guten Jazzspielerin beherrscht und umsetzt.<br />
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Jürg Spaak 22-jährig, Mathematikstudent, freiwilliger Mitarbeiter im Cevi Gossau ZH<br />
Glücklicherweise bin ich hier in Gossau<br />
in einer <strong>Kirche</strong>, die ich als lebendig<br />
bezeichnen kann. Das äussert<br />
sich vor allem darin, dass ich in einem<br />
kurzen Text nicht alles beschreiben<br />
kann, was diese <strong>Kirche</strong> für mich lebendig<br />
macht. Das Lebendigste für<br />
mich ist der Jugendgottesdienst Praise,<br />
ein Gottesdienst, der von mehrheitlich<br />
Jugendlichen organisiert wird<br />
und sehr viele Freiheiten zulässt. Dazu<br />
braucht es viele Leute, die mithelfen,<br />
sodass die vielen Gaben Gottes an einem<br />
Ort zusammen genutzt werden.<br />
Vor kurzem wurde ein relativ grosser Teil der Mitarbeitenden ausgewechselt<br />
und das Team verjüngt, damit einher ging natürlich<br />
auch ein Qualitätsverlust. Das <strong>Lebendige</strong> daran ist nun, dass man<br />
nicht starr gesagt hat, wir wollen das alte Team wieder mit der alten<br />
Qualität, sondern den neuen Menschen eine Möglichkeit gibt,<br />
zu wachsen. Es erinnert an die Antwort Jesu auf die Frage nach<br />
dem Fasten (Lukas 5.33-39), bei dem diejenigen, welche den alten<br />
Wein gekostet haben, bei diesem stehen bleiben wollen. Eine<br />
lebendige <strong>Kirche</strong> sollte also nicht zu lange in den alten Traditionen<br />
verharren, sondern immer wieder Neues schaffen. Indem dieses<br />
Neue geschafften wird, gibt man den Menschen die Möglichkeit,<br />
sich daran zu beteiligen, so gibt eine lebendige <strong>Kirche</strong> den Menschen<br />
selbst die Chance, lebendig zu sein.<br />
Ich denke, für mich ist eine lebendige <strong>Kirche</strong> ähnlich wie ein lebendiger<br />
Mensch. Es geht nicht darum, die eigenen Interessen<br />
zu wahren, sondern zu dienen. Wie der Ruhetag Sabbat für den<br />
Menschen ist und nicht umgekehrt, so sollte auch die <strong>Kirche</strong> für<br />
die Menschen sein und nicht umgekehrt, sodass die <strong>Kirche</strong> den<br />
Menschen dient und nicht die Menschen der <strong>Kirche</strong> dienen. Und<br />
dass die <strong>Kirche</strong> die Menschen annimmt, wie sie sind. Und zum<br />
Schluss, dass eine freundschaftliche Beziehung unter den <strong>Kirche</strong>nmitgliedern<br />
gewünscht ist und gefördert wird.<br />
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Aufgefallen:<br />
<strong>Lebendige</strong> <strong>Kirche</strong> scheint offenbar einerseits ein Pleonasmus (ein hölzernes Brett, ein weisser Schimmel),<br />
anderseits ein Mysterium zu sein. Auch eine ganz und gar adjektivlose <strong>Kirche</strong> kommt nicht ohne den<br />
Menschen aus und dieser per se nicht ohne Gott, weshalb die Lebendigkeit irgendwie in der Natur der Sache<br />
liegt. Aber gerade die Lebendigkeit wiederum scheint ein Geheimnis zu sein, das sich dem eigenen Tun und<br />
Vermögen entzieht. - Alles in allem eine rechte Zumutung, wohl im positivsten Sinn.<br />
<br />
Barbara Walder-Zeller, Korrektorin NZZ