Book of Abstracts - ZEGK - Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Book of Abstracts - ZEGK - Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Book of Abstracts - ZEGK - Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Religionswissenschaft im<br />
Aufwind<br />
Eine Pr<strong>of</strong>ilbestimmung angesichts steigender<br />
gesellschaftlicher Relevanz<br />
<strong>Book</strong> <strong>of</strong> <strong>Abstracts</strong><br />
30. Tagung der<br />
Deutschen Vereinigung für Religionswissenschaft<br />
(DVRW)<br />
14. - 18. September 2011<br />
in <strong>Heidelberg</strong><br />
Institut für Religionswissenschaft<br />
Zentrum für Europäische<br />
Geschichts- und Kulturwissenschaften<br />
<strong>Ruprecht</strong>-<strong>Karls</strong>-Universität <strong>Heidelberg</strong><br />
DVRW<br />
Deutsche Vereinigung für<br />
Religionswissenschaft
Religionswissenschaft im<br />
Aufwind<br />
Eine Pr<strong>of</strong>ilbestimmung angesichts steigender<br />
gesellschaftlicher Relevanz<br />
<strong>Book</strong> <strong>of</strong> <strong>Abstracts</strong><br />
30. Tagung der<br />
Deutschen Vereinigung für Religionswissenschaft<br />
(DVRW)<br />
14. - 18. September 2011<br />
in <strong>Heidelberg</strong>
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Impressum<br />
Pr<strong>of</strong>. Dr. Gregor Ahn<br />
Universität <strong>Heidelberg</strong><br />
Zentrum für Europäische Geschichts- und Kulturwissenschaften<br />
Institut für Religionswissenschaft<br />
Akademiestraße 4-8<br />
D-69117 <strong>Heidelberg</strong><br />
4<br />
Projektleitung: Gregor Ahnw<br />
Tagungsorganisation und Schriftleitung: Isabel Laack<br />
Tagungsbüro: Sigalit Rubin<br />
Catering: Luise Lampe<br />
Technik und Printdesign: Christian Deisenroth<br />
Website: Jan Wessel
Inhaltsverzeichnis<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Opinion Mining in Religious Studies 17<br />
Udo Mischek: Die Sicht auf andere Religionen bei der Ahmadiyya – Inklusivistische<br />
Strategien in einer neureligiösen Bewegung 17<br />
Yaron Charka: Technical Aspects <strong>of</strong> Opinion Mining in the Study <strong>of</strong> Religions<br />
18<br />
Kai-Uwe Sachs: Die veränderte Sichtweise des Judentums in einer neureligiösen<br />
Bewegung: Das Beispiel Rael 18<br />
Shelley Elkayam: Family and Gender in the Unification Theology and Praxis<br />
19<br />
Eldad Pardo: The Polity-Church Fusion in Iran: Elements <strong>of</strong> New Religious<br />
Movements in Khomeinism 19<br />
Repräsentationen und Formen von Kabbala im 21. Jahrhundert 20<br />
Frederek Musall: Von Chokhmah bis Da’at: Postmoderne Repräsentation der<br />
Kabbala am Beispiel von ChaBaD-Lubawitsch 20<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Elke Morlok: Methodologische Herausforderungen der modernen Kabbala-<br />
Forschung 21<br />
Nicole Bauer: Transdisziplinäre Zugänge in der Erforschung des Kabbalah<br />
Centre 21<br />
Leben Religionen von politischen Voraussetzungen, die sie selbst<br />
nicht garantieren können? – Religionswissenschaftliche Ansätze zu<br />
Religionen und Politiken. Panel 1 22<br />
Karsten Lehmann: Internationalisierung, Transnationalisierung und Globalisierung.<br />
Dimensionen der Interdependenzen zwischen Religionen und Politiken<br />
23<br />
Christoph Kleine: Thesen zu den politischen Voraussetzungen für Ansätze<br />
von staatlicher Säkularität und religiöser Pluralität im vormodernen Ostasien<br />
23<br />
Hannah Müller-Sommerfeld: Zur Rolle des Völkerbundes im Nahen Osten<br />
(1919-1946) 24<br />
5
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Inhaltsverzeichnis<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Religionswissenschaftliche Fachidentität zwischen disziplinärer Ausdifferenzierung,<br />
interdisziplinärer Verbundforschung und programmatischer<br />
Nicht-Disziplinarität. Panel 1: Ausdifferenzierung der<br />
Religionswissenschaft? Zu aktuellen Fragen der Fach entwicklung<br />
und der Wissenschaftsorganisation 25<br />
Michael Stausberg, Bergen: Ist die Religionswissenschaft eine wissenschaftliche<br />
Disziplin? 25<br />
Inken Prohl, <strong>Heidelberg</strong>: Religionswissenschaft interdisziplinär – Strategien<br />
jenseits von Kom petenzerosion und fahrlässiger Isolation 26<br />
Hans G. Kippenberg, Bremen: Zeitgenössische Religionsdynamiken, aus<br />
rechtswissenschaftlicher Sicht betrachtet – und umgekehrt: Was ermöglicht<br />
und was erbringt transdisziplinäres Arbeiten? 26<br />
Alexandra Grieser, Groningen: Perspektivität als Organisationsform von Wissen<br />
– eine Möglichkeit für die Religionswissenschaft zwischen Identität und<br />
Auflösung? 27<br />
Religion – Medien – Narration: Zur zeitgenössischen Mythopoetik<br />
28<br />
Dirk Johannsen: „Religion“ als Stilmittel der Fantastik in der Fernsehserie<br />
LOST 28<br />
Anja Kirsch: Unbestimmtheit als „religiöses“ Sinnpotential – Wirkungstheoretische<br />
Aspekte in der Fernsehserie LOST 29<br />
Jürgen Mohn: „Gottes“-Narrative in der religiösen Zeitgeschichte: Zur religionswissenschaftlichen<br />
Beschreibung theistischer Akteure im Massenmedium<br />
Comic 29<br />
Hubert Mohr: Der Bote und der Prophet – Mythologisches Erzählen im Film<br />
in Zeiten von AIDS: Tony Kushners und Mike Nichols TV-Drama „Angels in<br />
America“ (2003) 30<br />
Leben Religionen von politischen Voraussetzungen, die sie selbst<br />
nicht garantieren können? – Religionswissenschaftliche Ansätze zu<br />
Religionen und Politiken. Panel 2 31<br />
Vasilios Makrides: Sind politische Voraussetzungen und Rahmenbedingungen<br />
für die Orthodoxen Kirchen absolut notwendig? 31<br />
6
Inhaltsverzeichnis<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Katharina Neef: „… und immer wieder bringt er neuen Schwindel.“ Glaubenswechsel<br />
im Zeichen moderner Vereinsmeierei 32<br />
Sebastian Emling: „Selection <strong>of</strong> a President has to be an act <strong>of</strong> faith“. Die<br />
Verwendung religiöser Beschreibungsmuster als Distinktionsstrategie im<br />
politisch-öffentlichen Raum 33<br />
Ulf Plessentin: Zwischen Kritik am Staatskirchenrecht und „Dritter Konfession“.<br />
Organisierte Humanisten in Deutschland 33<br />
Religionswissenschaftliche Fachidentität zwischen disziplinärer Ausdifferenzierung,<br />
interdisziplinärer Verbundforschung und programmatischer<br />
Nicht-Disziplinarität. Panel 2: Die Thermik der Religionswissenschaft<br />
– heiße Quellen, dürre Steppen, trockene Winde 34<br />
Angelika Rohrbacher: Der „Mahler-Kult“ oder „religiöse Identität im Nachhinein“<br />
– methodische Anfragen an mehrere Disziplinen 35<br />
Till Mostowlansky: Religion im Bräunerh<strong>of</strong> – Gegenstandsorientierte Forschung<br />
und Nicht-Disziplinarität am Beispiel eines Wiener Experiments 36<br />
Sarah Werren: „Living on the street replaces going by the book“ – Einige Beobachtungen<br />
zur Methodenvielfalt in der Religionswissenschaft 37<br />
Susanne Leuenberger: Konvertiten, Bodybuilderinnen, Mediziner – Eine Religionswissenschafterin<br />
als Sachensucherin 38<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Europäische Religionsgeschichte 38<br />
Jens Schlieter: Europäische Religionsgeschichte – der Verlust eines Paradigmas<br />
in der Religionswissenschaft oder der Gewinn eines neuen? 38<br />
Ilinca Tanaseanu-Döbler: ERG – schon in der Antike? 39<br />
Marvin Döbler: Christentumsgeschichte als Gegenstand der Religionswissenschaft<br />
40<br />
Christoph Auffarth: Globalisierung – Das Ende der Europäischen Religionsgeschichte<br />
oder ihr Export? 40<br />
Producing Sacred Spaces in Durban, South Africa 40<br />
Ulrich Berner: Production and/or revelation <strong>of</strong> sacred space. Old and new<br />
theories <strong>of</strong> religion and ritual 41<br />
Magnus Echtler: Sacred space as heterotopia. Examples from the Nazareth<br />
Baptist Church 41<br />
7
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Inhaltsverzeichnis<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Franz Kogelmann: Muslims in Durban: Apartheid and After 42<br />
Ziva Kopecka: Producing Hindu sacred space in Africa. Maha Kumbha Abishegam<br />
in Durban, South Africa 42<br />
Asonzeh Ukah: Making the Gods at Home. The Perception and Production <strong>of</strong><br />
Sacred Space among Migrant Religious Communities in Durban 43<br />
Que(e)rying Religionswissenschaft: Christentum und Homosexualitäts<br />
diskurse. Panel 1 44<br />
Ludger Viefhues-Bailey: Verqueere Evangelikale Heterosexualität in den USA<br />
am Beispiel von „Focus on the Family“ 44<br />
Márcia Elisa Moser: Eine Frage des Wissens. Die christliche Homosexualitätsdebatte<br />
in Deutschland als religiöser Vergewisserungsdiskurs im Kontext des<br />
Säkularismus 45<br />
Jürgen Kaufmann: Eine Frage des Geistes: Die Diskussion um die Zusammenhänge<br />
zwischen „Uranismus“ und Theosophie im Wissenschaftlich-Humanitären<br />
Komitee 46<br />
Religionsgeschichte des Orients als Religionswissenschaft 46<br />
Kai Merten: Die Behandlung von Apostaten im Osmanischen Reich aus Sicht<br />
der Religionswissenschaft 47<br />
Bärbel Beinhauer-Köhler: Religion und Alltag: Religionswissenschaftliche Rekonstruktion<br />
eines arabischen Quellentexts aus dem 12. Jh. 48<br />
Manfred Hutter: Notwendigkeit und Vorteile religionswissenschaftlicher<br />
Reflexion und Rekonstruktion untergegangener Religionen: Am Beispiel der<br />
Religionsgeschichte der Hethiter im 14./13. Jh. v. Chr. 48<br />
Hinein in den Aufwind: In Religionswissenschaft einführen 49<br />
Making Histories. Europäische Religionsgeschichten als Teil der Religionswissenschaft<br />
49<br />
8<br />
Daniel Eißner: Making Histories. Vorstellung und Einführung 49<br />
Katharina Neef: Making Histories. Programmatik 50<br />
Jeannine Kunert: Making Histories. Kommunikationsräume 50<br />
Thomas Hase: Making Histories. Religiöser Nonkonformismus 50<br />
Vanessza Heiland/Dirk Schuster: Making Histories. Säkularität 50
Inhaltsverzeichnis<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Que(e)rying Religionswissenschaft: Christentum und Homosexualitätsdiskurse.<br />
Panel 2 51<br />
Adrian Hermann: Religion und soziale Ungleichheit: Zur Inklusion und Exklusion<br />
von Homosexualität im gegenwärtigen religiösen Feld Brasiliens 51<br />
Marita Günther-Saeed: Gendercodierte Ordnungen: „Feministische Spiritualität“<br />
als Herausforderung für die Religionswissenschaft 52<br />
Marcus Held: Phänomenologische Hermeneutiken des Körpers – Herausforderungen<br />
für die Religionswissenschaften!? 53<br />
Gründungspanel Arbeitskreis Islam 53<br />
Patrick Franke: Islampolitik - Genese und Ausdifferenzierung eines Politikfeldes<br />
in Deutschland 54<br />
Paula Schrode: Islam als soziale Realität - Islam als Forschungsgegenstand 54<br />
Johanna Pink: Das islamische 19. Jahrhundert. Kontinuität oder Neuerfindung<br />
religiöser Reform? 55<br />
Tilmann Hannemann: Prophetentum und Verwandtschaft im frühislamischen<br />
tribalen und religiösen Kontext 55<br />
Catherina Wenzel: Die Opferung des Sohnes Reloaded. Spuren typologischer<br />
Auslegung von Gen 22 im Koran 56<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Mediated and Aesthetic Presentations <strong>of</strong> the Teachings <strong>of</strong> Christian-<br />
Oriented Organizations in the United States 56<br />
Sebastian Emling: “Have fun and Prepare to Believe” – Experiencing Religion<br />
at the Creation Museum 57<br />
Anthony Santoro: Houses <strong>of</strong> Play, Houses <strong>of</strong> Spectacle: Pr<strong>of</strong>essional Football<br />
and the Creation, Mediation and Branding <strong>of</strong> Sacred Space 57<br />
Katja Rakow: „It’s not about Jesus in your mind, it’s about Jesus in your<br />
heart.“ Multi-sensory worship at the megachurch 58<br />
Review Panel „Kritik religionswissenschaftlicher Vernunft“<br />
(B. Horyna) 59<br />
„Projekt Religionsästhetik: Debatten, Positionen, Ergebnisse“ Werkstatt-Panel<br />
des Arbeitskreises Religionsästhetik der DVRW 59<br />
9
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Inhaltsverzeichnis<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Alexandra Grieser: Methode, Perspektive, neues Paradigma? – Ästhetik als<br />
konnektives Konzept der Religionsforschung 60<br />
Katharina Wilkens: Den Koran trinken, die Madonna schlucken. Religionsästhetische<br />
Überlegungen zur Einverleibung von Heiliger Schrift und Gnadenbild<br />
60<br />
Integration methodischer Pluralität – Aufwind für die Religionswissenschaft?<br />
61<br />
Karsten Lehmann: Von Rezeption und Adaption - zum methodischen Programm<br />
der kulturwissenschaftlichen Wende 62<br />
Oliver Freiberger: Der Vergleich – eine „Methode“ der Religionswissenschaft?<br />
62<br />
Ilinca Tanaseanu-Döbler/Marvin Döbler: Interpretation religiöser Quellentexte<br />
63<br />
Verena Maske: Teilnehmende Beobachtung in der Religionswissenschaft –<br />
Königsdisziplin oder marginalisierte Methode. Eine Reflexion über die Potentiale<br />
von Beobachtungsverfahren am Beispiel einer Studie zur Muslimischen<br />
Jugend in Deutschland e.V. (MJD) 63<br />
Stefan Kurth: Narrativ fundierte Interviews und die Erforschung individueller<br />
Religiosität 64<br />
Europäische Perspektiven auf die Erforschung religiöser Gegenwartskultur<br />
in Asien 64<br />
Edith Franke: Religiöse Pluralität oder religiöse Harmonie? Überlegungen zur<br />
kulturübergreifenden Anwendbarkeit wissenschaftlicher Kategorien 65<br />
Christian Meyer: Christentumsstudien als Teil der Religionswissenschaft in<br />
der VR China (und Hongkong) 65<br />
Monika Schrimpf: „Magische Religion“ in Japan – zur Verwendung des Begriffs<br />
„Magie“ in der japanischen Religionswissenschaft 66<br />
Die Beobachtung des religiösen Feldes in der Wechselwirkung von<br />
religiöser Binnen- und religionswissenschaftlicher Außenperspektive<br />
67<br />
Anna-Konstanze Schröder: Theologische Fragestellungen als Anwendungsgebiet<br />
religionswissenschaftlicher Forschung?! 67<br />
10
Inhaltsverzeichnis<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Ann-Laurence Maréchal-Haas: Re-/Präsentation und Reaktion. Zur Rezeption<br />
(religions-)wissenschaftlicher Forschungsergebnisse in ihrem eigenen Gegenstandsfeld<br />
68<br />
Thomas Zenk: Der Atheismusvorwurf als Mittel religiöser Polemik in der Vergangenheit<br />
– Religiöse Polemik gegen Atheisten in der Gegenwart 69<br />
Jens Schlamelcher: „Niederschwellige Angebote“ – Die Verkirchlichung neuer<br />
Religiosität und De-Christianisierung der Kirche 70<br />
Zur Relevanz religionswissenschaftlicher Forschung: Gesundheitsgesellschaft<br />
und ihre Spiritualisierung als Herausforderung.<br />
Panel 1. Methodische Fragen 71<br />
Constantin Klein/Ina Wunn: Saluto- und pathogene Relevanz von Religiosität<br />
verstehen: Die Notwendigkeit eines differenzierten Verständnisses der Dynamiken<br />
zwischen Religiosität und Gesundheit 71<br />
Florian Jeserich: Brauchen wir eine Religionsepidemiologie? 72<br />
Anne Koch: Das Problem der Verknüpfung: Emische, religionswissenschaftliche<br />
und medizinische Vorstellungen zur Wirkweise spirituellen Heilens 72<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Foucault als Methode? Panel 1. Anwendungsfelder poststrukturalistischer<br />
und postkolonialer Theorien in der gegenwartsbezogenen Religionswissenschaft<br />
73<br />
Katja Rakow: Wissenssoziologische Diskursanalyse: Möglichkeiten und<br />
Grenzen der Anwendung in der religionswissenschaftlichen Forschung 73<br />
Michael Bergunder: Religion als „leerer Signifikant“ und als Gegenstand der<br />
Religionswissenschaft 74<br />
Ulrike Schröder: „Early Pillars <strong>of</strong> Saivism“: Konstruktionen sivaitischer Identität<br />
in Südafrika 75<br />
Religionswissenschaft im Aufwind: Schein oder Sein? 75<br />
Bretislav Horyna: Religionswissenschaft im Aufwind der Machtpolitik 76<br />
Steffen Führding: Religionswissenschaft im Aufwind? Empirische Befunde,<br />
theoretische Überlegungen 76<br />
Katharina Frank: Qualitative und quantitative Religionsforschung in religionswissenschaftlicher<br />
Perspektive. Eine kritische und konstruktive Reflexion<br />
bislang getätigter Untersuchungen 77<br />
11
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Inhaltsverzeichnis<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Thomas Hase: Religionswissenschaft als Kulturwissenschaft? Eine Anfrage 77<br />
Sarah Jahn: Außeruniversitäre Religionswissenschaft im Aufwind? Eine organisationssoziologische<br />
Analyse anhand religionswissenschaftlicher Vereine78<br />
Theoretische Perspektiven der aktuellen Religionsforschung 79<br />
Johann Ev. Hafner: Religionswissenschaft in Potsdam 79<br />
Alina Patru: Präsenz und Wahrnehmung des heutigen Judentums in der VR<br />
China und in Hong Kong 79<br />
Zur Relevanz religionswissenschaftlicher Forschung: Gesundheitsgesellschaft<br />
und ihre Spiritualisierung als Herausforderung.<br />
Panel 2. Religionsgeschichtliche Forschungen 80<br />
Markus Hero: Vom New Age zum Anti-Age. Zur Relevanz zeitgenössischer<br />
Spiritualität auf dem Gesundheits- und Fitnessmarkt 80<br />
Inken Prohl: Asiatische Spiritualität als Matrix psychophysiologischer Praktiken<br />
des Wellbeing 81<br />
Liane H<strong>of</strong>mann: Spiritualität in der Psychotherapie – eine Trendwende? 81<br />
Foucault als Methode? Panel 2. Zur Anwendung postkolonialer und<br />
poststrukturalistischer Theorien in der historischen Religionswissenschaft<br />
82<br />
Sara Heinrich: Die „Debatte um Geschichte“ zwischen M. Foucault und J.<br />
Derrida und ihre Relevanz für die Esoterikforschung am Beispiel A. Kingsfords<br />
(1846-1888) 83<br />
Yan Suarsana: Geschichte als „retroaktiver Effekt“ der Benennung: Zur Konstruktion<br />
des historischen Gegenstands „Pfingstbewegung“ 83<br />
Jörg Haustein: Stimmen zum Islam in Deutsch-Ostafrika: Repräsentation und<br />
Alterität in der Religionsgeschichtsschreibung 84<br />
Ricarda Stegmann: Shalini Randerias Modell der entangled histories am Beispiel<br />
der Debatte um den Islam in Frankreich 85<br />
Theoriebildungen im Interferenzfeld von Altorientalistik, Altertumswissenschaft<br />
und Religionswissenschaft 85<br />
12
Inhaltsverzeichnis<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Michael Weichenhan: Die altägyptische Religion und das liberale Christentum:<br />
Christian Karl Josias v. Bunsen und die Anfänge der wissenschaftlichen<br />
Ägyptologie 86<br />
Anja Hänsch: Inanna-Ischtar: Hysterikerin, Schamanin oder befreite Frau?<br />
Zur Relevanz der Geschlechterforschung für die Wissenschaftsgeschichte einer<br />
Göttin 86<br />
Darja Sterbenc Erker: Fremdheit in Ritual und Text: Antike und heute 87<br />
Musik und Religion – Hörproben aus dem Forschungsfeld Religionsmusikologie<br />
88<br />
Isabel Laack: Das Forschungsfeld Religionsmusikologie – Skizzen einer<br />
Partitur 88<br />
Luise Lampe: Religiöse Musikdeutung in der gegenwärtigen Klassikszene 89<br />
Lidia Guzy: Die Klänge der Göttin. Zur Ethnographie von Religion und Musik<br />
im westlichen Orissa/Indien 90<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Religionswissenschaft & Neutralität – Die Position der Religionswissenschaft<br />
in Diskursen über Religion(en), Panel 1 90<br />
Johannes Quack: Innen-Außen-Reflexiv: Religionswissenschaftliche Neutralitätsansprüche<br />
zwischen Theologie und Religionskritik 91<br />
Fritz Heinrich: Methodischer Nihilismus: Zur performativen Neutralität des<br />
Forschenden innerhalb der engagierten Religionswissenschaft Ali Schariatis<br />
91<br />
Jens Schlieter: Pathos der Distanz (zur Theologie): Religionswissenschaftliche<br />
Neutralität und die Frage nach der Normativität 92<br />
Adrian Hermann: Diskurstheorie, Kritik und Neutralität: Überlegungen zur<br />
Rezeption kulturwissenschaftlicher Theoretiker in der Religionswissenschaft<br />
93<br />
Religion vernetzt: Religion und Migration in relationaler Perspektive.<br />
Panel 1 94<br />
Karin Hitz: Boundary Work: Aktive Muslime in Deutschland: Grenzziehungsprozesse<br />
und Legitimationsdynamiken im Kontext sozialer und zivilgesellschaftlicher<br />
Arbeit 94<br />
Nelly Joppich: Von „Gatekeepern“ und „Brokern“: Engagierte Akteure als<br />
Schnittstellen zwischen religiösen Organisationen 95<br />
13
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Inhaltsverzeichnis<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Eva-Maria Döring: “Ven, ven Espiritu Santo ven!” Zur religiösen Praxis lateinamerikanischer<br />
Pfingstler in Deutschland 96<br />
Sabrina Weiß: Mediative Migrationskirchen? Vernetzung und zivilgesellschaftliche<br />
Potentiale christlicher Koreanischer Gemeinden 96<br />
Sexgurus und Kohlrabiapostel – Neue Forschungsperspektiven auf<br />
religiösen Nonkonformismus. Panel 1 97<br />
Stefan Wegener: Die Religionswissenschaft als Akteur in der „Sektendebatte“<br />
der Bundesrepublik 97<br />
Katja Kleinsorge: Sex-Guru oder Bhagwan? Die Konflikte um den Ashram<br />
von Bhagwan Shree Rajneesh in Indien 98<br />
Christiane Königstedt: Die Spezifika des esoterisch-okkulten Angebotes in<br />
Frankreich 99<br />
Konjunktur der Religionsökonomie? 99<br />
Markus Hero: Was heißt religiöser Markt? Versuch einer Klärung aus institutionentheoretischer<br />
Sicht 99<br />
Nadja Miczek: Ritualdesign TM ? Positionierungs- und Vermarktungsprozesse<br />
im Feld des spirituellen Heilens 100<br />
Alexander Rödel: Erklärungskonzepte der neoklassischen Religionsökonomik<br />
100<br />
Lucas Zapf: Vorstellung Dissertationsprojekt: Religiöse Aspekte der Berufsarbeit<br />
101<br />
Religionswissenschaft & Neutralität – Die Position der Religionswissenschaft<br />
in Diskursen über Religion(en), Panel 2 102<br />
Jens Kugele: Neutralität und gesellschaftlicher Diskurs – Positionalität der Religions-<br />
und KulturwissenschaftlerIn 102<br />
Christoph Wagenseil: 20 Jahre REMID revisited – Erfahrungen aus der Vermittlungsarbeit<br />
zwischen Öffentlichkeit und Wissenschaft 103<br />
Franz Winter: Die Debatte um die Neutralität der Religionswissenschaft in<br />
der so genannten „Sekten“-Diskussion 104<br />
14<br />
Religion vernetzt: Religion und Migration in relationaler Perspektive.<br />
Panel 2 104
Inhaltsverzeichnis<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Piotr Suder: Repräsentative Moscheen und die Einbindung von Moscheegemeinden<br />
in den kommunalen Kontext. 105<br />
Sandhya Marla: Diaspora-Hinduismus 2.0: Religionstransfer und Transformationsprozesse<br />
bei jungen Tamilen in Deutschland 106<br />
Frederik Elwert: Religionsgemeinschaften als Integrationsagenten. Russlanddeutsche<br />
Gemeinden zwischen Binnenorientierung und Außenwirkung. 106<br />
Alexander Nagel: Interreligiöse Aktivitäten und Religionskontakt: Zur diskursiven<br />
Verarbeitung religiöser Differenz 107<br />
Sexgurus und Kohlrabiapostel – Neue Forschungsperspektiven auf<br />
religiösen Nonkonformismus. Panel 2 108<br />
Jörg Albrecht: Vom „Kohlrabiapostel“ zum „Bionade-Biedermeier“: Eine Geschichte<br />
alternativer Ernährung zwischen religiöser Marginalität und kulturellem<br />
Mainstream 108<br />
Christiane Altmann: Yidishkayt – Ohne Religion? 109<br />
Christoph Günther: Wahrer Glaube und legitime Herrschaft vs. Unglaube<br />
und illegitime Herrschaft - Ein islamischer Staat im Irak 109<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
(De-)Konstruktionen religiöser Autoritäten in und durch moderne(n)<br />
Massenmedien 110<br />
Xenia Zeiler: „Ich werde mein Haupt vor Śītalā im Tempel Benares beugen.“<br />
Propagierung und Konsolidierung etablierter religiöser Autorität im Hinduismus<br />
durch moderne Massenmedien 111<br />
Michael Waltemathe: Computerspiele und der Wandel des Umgangs mit den<br />
repräsentierten religiösen Autoritäten 111<br />
Anna Neumaier: „Der Moderator räuspert sich“ - Diskursive Aushandlungen<br />
von Hierarchie und Rollen in religiösen Online-Diskussionsforen 112<br />
Danijel Cubelic: Politiken islamischer Populärkultur: Neuaushandlungen religiöser<br />
Autorität in arabischen Massenmedien 113<br />
Kerstin Radde-Antweiler: „For Men only“. Die Interpretation der biblischen<br />
Figur Maria von Magdala und der Kampf um kirchliche Autoritätskonstruktionen<br />
114<br />
15
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
16
Donnerstag, 15. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Donnerstag, 15. September 2011<br />
9:15 bis 10:45 Uhr<br />
Opinion Mining in Religious Studies<br />
• Udo Mischek: Die Sicht auf andere Religionen bei der<br />
Ahmadiyya – Inklusivistische Strategien in einer neureligiösen<br />
Bewegung<br />
• Yaron Charka: Technical Aspects <strong>of</strong> Opinion Mining in the<br />
Study <strong>of</strong> Religions<br />
• Kai-Uwe Sachs: Die veränderte Sichtweise des Judentums in<br />
einer neureligiösen Bewegung: Das Beispiel Rael<br />
• Shelley Elkayam: Family and Gender in the Unification<br />
Theology and Praxis<br />
• Eldad Pardo: The Polity-Church Fusion in Iran: Elements <strong>of</strong><br />
New Religious Movements in Khomeinism<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Udo Mischek: Die Sicht auf andere Religionen bei der Ahmadiyya – Inklusivistische<br />
Strategien in einer neureligiösen Bewegung<br />
Die Ahmadiyya ist eine islamische Reformgemeinde, die sich als liberale<br />
Variante des Islam präsentiert. So stehen insbesondere die friedliche<br />
Verbreitung des Islam und ein interreligiöser Dialog im Mittelpunkt des<br />
Selbstverständnisses der Gruppe. Untersucht man jedoch die schriftlichen<br />
Äußerungen des Gründers Ghulam Ahmad, so zeigen sich auch andere<br />
Aspekte. Seine gesamten Schriften durchzieht eine harsche Kritik am religiös<br />
Anderen. Dennoch finden sich auch bei dem Gründer der Ahmadiyya<br />
Tendenzen, das religiös Andere nicht auszugrenzen, sondern in den eigenen<br />
Glauben einzubeziehen.<br />
Eine Analyse der Zeitschriften über mehrere Jahrzehnte zeigt, wie sich<br />
Themen und Strategien im Umgang mit anderen Glaubenssystemen<br />
wandelten.<br />
17
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Donnerstag, 15. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Mit Hilfe der computergestützten Techniken lassen sich die Analyseergebnisse<br />
sowohl quantitativ als auch qualitativ relativ schnell erfassen und stehen<br />
dann für die weitere Bearbeitung zur Verfügung.<br />
Yaron Charka: Technical Aspects <strong>of</strong> Opinion Mining in the Study <strong>of</strong> Religions<br />
As part a <strong>of</strong> a research on Opinion Mining in Religious Studies funded by the<br />
German-Israeli Foundation, we developed several automated methods for<br />
Opinion Mining and Discourse Analysis in large corpora. In the first phase<br />
we used manually complied lexicons <strong>of</strong> positive and negative attributes to<br />
statistically quantify the polarity <strong>of</strong> the attitudes <strong>of</strong> different corpora writers<br />
and editors toward terms representing ‘the other’.<br />
In the second phase, we chose to perform a Discourse Analysis by focusing<br />
on the sources <strong>of</strong> concurrent Muslim-related corpora attitudes towards<br />
Israel and Jews, rather than on assessing the positive/negative polarity <strong>of</strong><br />
these corpora. We did so by automatically generating a weighted lexicon<br />
containing words indicative to three types <strong>of</strong> discourses: Ancient Islam<br />
discourse, Modern European Anti-Semitism discourse and the Israeli-<br />
Palestinian Conflict discourse.<br />
In this presentation, I will briefly present the method used in the first phase,<br />
and will show a pro<strong>of</strong> by induction to the validity <strong>of</strong> Discourse Analysis<br />
method.<br />
Kai-Uwe Sachs: Die veränderte Sichtweise des Judentums in einer neureligiösen<br />
Bewegung: Das Beispiel Rael<br />
18<br />
Mit Hilfe der von unserem Forscherteam entwickelten technischen<br />
Analysewerkzeuge wurden die Aussagen der Ufo-Religion Rael in<br />
Bezug auf das Judentum untersucht. Hierbei lassen sich signifikante<br />
Veränderungen feststellen. Waren zu Anfang die Bewertungen der jüdischen<br />
Religion durchaus positiv, so änderte sich dies in den letzten Jahren. Die<br />
Gründe hierfür sind prosaischer Natur, weigerte sich doch die Jerusalemer<br />
Stadtverwaltung dem Baugesuch der Raelianer für ein in Jerusalem geplantes<br />
Botschaftsgebäude stattzugeben.
Donnerstag, 15. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Shelley Elkayam: Family and Gender in the Unification Theology and Praxis<br />
The study examines the corpus <strong>of</strong> the Unification Church (UC) including<br />
all speeches <strong>of</strong> Rev. Sun Myung Moon over the course <strong>of</strong> 50 years. With<br />
analytical tools invented by our team, we found the relationship to the<br />
physical world: Sexuality, Gender and Family in the UC’s writings, estimated<br />
the valence <strong>of</strong> these opinions, and analyzed and classified automatically<br />
extracted frequent expressions. Recent studies on the UC point to a period <strong>of</strong><br />
transition, along its distinct conservative voice, and that it also picks up the<br />
revolutionary implications <strong>of</strong> Moon’s theology for gender equality. Moon’s<br />
revelations and theology emphasize the family. As messianic figures, he and<br />
his wife take the title True Parents. The Church’s central religious ceremonies<br />
are international, inter-religious and inter-racial mass marriages. By asserting<br />
that the messianic <strong>of</strong>fice is held by a couple, the UC gives higher religious<br />
value to the female gender. This became praxis on multiple occasions: in<br />
1992 when Moon established the Women’s Federation for World Peace;<br />
in 2008 when his fourth daughter took upon herself to lead the UC in<br />
America; and since 2009 when their eldest daughter has taken a leading<br />
role in religious pilgrimages to conflict areas. We argue that gender and<br />
family are being played out in the UC, with tension between a patriarchal<br />
view reflecting Korean tradition and prominent UC female figures claiming<br />
their gender rights.<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Eldad Pardo: The Polity-Church Fusion in Iran: Elements <strong>of</strong> New Religious<br />
Movements in Khomeinism<br />
Scholarly research during the last decade has disproved long-held theories<br />
predicting the decline <strong>of</strong> religions and their role in the politics <strong>of</strong> modern<br />
nations. Similarly, the combination <strong>of</strong> terrorism, environmental threats and<br />
economic uncertainties – all related to the surprising rise <strong>of</strong> religion – has<br />
also undermined another theory, that <strong>of</strong> the demise <strong>of</strong> the nation state. We<br />
have become, then, more dependent on our nation state and our religion<br />
for protection from existential uncertainties. Yet, while separation <strong>of</strong> state<br />
and church is being challenged in the democratic nation states, the role <strong>of</strong><br />
religion has been particularly salient in the Islamic world. In Iran, perhaps the<br />
most conspicuous case study, church and state are one. Having a troubling<br />
19
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Donnerstag, 15. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
imperialistic agenda notwithstanding, Iranian Khomeinism questions the<br />
postulate <strong>of</strong> separation <strong>of</strong> state and church <strong>of</strong>fering an alternative modernity<br />
that may, or may not, grow to be a role model for others in the future.<br />
Combining a number <strong>of</strong> methodologies, from the GIF project text mining to<br />
textbook analysis, my paper studies the theological foundations <strong>of</strong> this politychurch<br />
fusion. My argument is that Khomeinist universal-globalist theology,<br />
while emanating from Shii Islam, have absorbed a wide array <strong>of</strong> ideas and<br />
innovations, which makes it better understood as a new modern state religion<br />
that shares some interesting traits with new religious movements. Yet the<br />
Iranian theocracy also faces growing challenges from civil society at home<br />
and in the Arab world, as well as from millenarian ultra-nationalists within<br />
the system. Paradoxically, if it fails to introduce much needed theological<br />
and political reforms, the Khomeinist experiment may end up confirming<br />
the Western postulate it set out to replace.<br />
Repräsentationen und Formen von Kabbala im 21. Jahrhundert<br />
• Frederek Musall: Von Chokhmah bis Da’at: Postmoderne<br />
Repräsentation der Kabbala am Beispiel von ChaBaD-<br />
Lubawitsch<br />
• Elke Morlok: Methodologische Herausforderungen der<br />
modernen Kabbala-Forschung<br />
• Nicole Bauer: Transdisziplinäre Zugänge in der Erforschung<br />
des Kabbalah Centre<br />
Frederek Musall: Von Chokhmah bis Da’at: Postmoderne Repräsentation<br />
der Kabbala am Beispiel von ChaBaD-Lubawitsch<br />
20<br />
Kaum eine andere jüdische Gruppe wird auf binnenreligiöser Ebene so<br />
kontrovers diskutiert wie die chassidische Bewegung CHaBaD-Lubawitsch:<br />
Einerseits wird CHaBaD-Lubawitsch durch die weltweite Präsenz seiner<br />
Zentren als Garant jüdischer Identität aufgefasst, andererseits zeigt man<br />
sich wegen des messianischen Eifers um den letzten Lubawitscher Rebbe<br />
Menachem Mendel Schneerson (1902-1994) irritiert. Der ultraorthodoxe<br />
israelische Rabbiner Elasar Schach ging in seiner Polemik sogar so weit, dass<br />
er CHaBaD-Lubawitsch als „eine dem Judentum nahestehende Religion“<br />
bezeichnete.
Donnerstag, 15. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Im Rahmen des Vortrages soll auf den Begriffswandel und die<br />
Kommunikationsprozesse des namensgebenden Akronyms CHaBaD, das<br />
die oberen drei Wirkungsprinzipien der Gottheit (die sogenannten Sefirot)<br />
Chokhmah („Weisheit“), Binah („Einsicht“) und Da’at („Erkenntnis“)<br />
zusammenfasst, eingegangen werden. Dabei werden die drei Begriffe<br />
im Sinne des kabbalistischen Prinzips des Tiqqun („Weltverbesserung/-<br />
erlösung“) als religiöser Imperativ aufgefasst, um eine Idee in praktisches<br />
Handeln zu übersetzen.<br />
Elke Morlok: Methodologische Herausforderungen der modernen Kabbala-<br />
Forschung<br />
Kabbalistische Symbole, Metaphern und Begriffe sind in letzter Zeit verstärkt<br />
in den öffentlichen Fokus gerückt, sei es durch Internet, Filme, Songs oder<br />
Mode. Dieses Auftauchen der jüdischen Mystik in der modernen Pop-<br />
Kultur stellt die wissenschaftliche Forschung vor neue Herausforderungen,<br />
da nicht nur die soziokulturelle Struktur des Forschungsobjektes starken<br />
Transformationsprozessen unterworfen ist, sondern nun auch das<br />
methodologische Instrumentarium der akademischen Auseinandersetzung<br />
mit diesem Phänomen den neuen Entwicklungen angepasst werden<br />
muss. Während die klassische Kabbala vornehmlich auf literarischen<br />
Dokumenten basiert, müssen bei der Untersuchung der zeitgenössischen<br />
Erscheinungsformen auch verstärkt soziologische und medientechnische<br />
Faktoren thematisiert werden. Die unterschiedlichen Zugänge zu dieser<br />
Fragestellung in der modernen Kabbala-Forschung in Israel, den USA und<br />
Europa sollen in diesem Vortrag aufgezeigt und kritisch hinterfragt werden.<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Nicole Bauer: Transdisziplinäre Zugänge in der Erforschung des Kabbalah<br />
Centre<br />
In den letzten Jahrzehnten vollzog sich in einer überwiegend religionshistorisch<br />
und philologisch orientierten Religionswissenschaft eine Neubewertung<br />
interdisziplinärer Forschungsmethoden. Vor dem Hintergrund einer immer<br />
komplexer werdenden religiösen Gegenwartslandschaft erlauben gerade<br />
21
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Donnerstag, 15. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
qualitative Methoden, die bisher vorwiegend von Ethologen, aber auch<br />
Sozialwissenschaftlern angewandt wurden, einen flexiblen und sensiblen<br />
Zugang zum religiösen Feld.<br />
Auch die Betonung des eigenen Erlebens des Forschers durch persönliche<br />
Anteilnahme wird neu bewertet. Während der teilnehmenden Beobachtung<br />
ist der Forscher aktiv in das Geschehen involviert und kann somit auch die<br />
Sinneseindrücke, die durch die religiösen Praktiken hervorgerufen werden,<br />
im Sinne eines religionsästhetischen Zugangs methodisch reflektieren und<br />
zum Objekt seiner Forschung machen.<br />
Multimethodische Verfahren ermöglichen so die Beschreibung und Analyse<br />
religiöser Lebenswelten mittels teilnehmender Beobachtung, die durch<br />
Interviews, Inhaltsanalysen von religiösen Texte, Homepages und Werbung,<br />
sowie audiovisuelle Aufzeichnungen ergänzt werden.<br />
Exemplarisch soll hier dieser multimethodische Zugang am Beispiel der<br />
Erforschung des Kabbalah-Centres aufgezeigt werden. Möglichkeiten und<br />
Schwierigkeiten werden thematisiert und die Relevanz der Erforschung dieser<br />
von der Wissenschaft bisher wenig beachteten, marginalen Erscheinung soll<br />
betont werden.<br />
11:15 bis 12:45 Uhr<br />
Leben Religionen von politischen Voraussetzungen, die sie selbst<br />
nicht garantieren können? – Religionswissenschaftliche Ansätze zu<br />
Religionen und Politiken. Panel 1<br />
• Karsten Lehmann: Internationalisierung, Transnationalisierung<br />
und Globalisierung. Dimensionen der Interdependenzen<br />
zwischen Religionen und Politiken<br />
• Christoph Kleine: Thesen zu den politischen Voraussetzungen<br />
für Ansätze von staatlicher Säkularität und religiöser Pluralität<br />
im vormodernen Ostasien<br />
• Hannah Müller-Sommerfeld: Zur Rolle des Völkerbundes im<br />
Nahen Osten (1919-1946)<br />
22
Donnerstag, 15. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Karsten Lehmann: Internationalisierung, Transnationalisierung und Globalisierung.<br />
Dimensionen der Interdependenzen zwischen Religionen und<br />
Politiken<br />
Die aktuelle Diskussion um „Religion und Politik“ ist in Deutschland bislang<br />
erstaunlicherweise weitgehend unter Ausschluss der Religionswissenschaft<br />
geführt worden. Tatsächlich scheint sie vor allem in akademischen Disziplinen<br />
verortet zu sein, die über lange Zeit vom Säkularisierungsparadigma geprägt<br />
waren – wie etwa die Soziologie, die Politikwissenschaft oder die Theologie.<br />
Der hier vorgestellte Beitrag möchte einen dezidiert religionswissenschaftlichen<br />
Zugang zu diesem Themenbereich skizzieren, wobei er sich auf die<br />
Entwicklungen religiöser Nicht-Regierungsorganisationen (RNGOs) im<br />
Kontext der United Nations Organisation (UNO) konzentriert. An drei<br />
konkreten Fallbeispielen soll gezeigt werden, welchen Einfluss das UNO-<br />
Engagement auf die Strukturierung dieser religiösen Organisationen sowie<br />
die Formulierung ihrer religiösen Lehren ausübt.<br />
Im Mittelpunkt wird die These stehen, dass in diesem sozialen Kontext<br />
drei Prozesse empirisch miteinander verbunden sind, welche analytisch<br />
getrennt werden müssen, um die Interdependenzen zwischen Religionen<br />
und Politiken in diesem Bereich der religiösen Gegenwartskultur adäquat<br />
verstehen zu können: der Prozess der Internationalisierung, der Prozess der<br />
Transnationalisierung und der Prozess der Globalisierung.<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Christoph Kleine: Thesen zu den politischen Voraussetzungen für Ansätze<br />
von staatlicher Säkularität und religiöser Pluralität im vormodernen Ostasien<br />
Dass Religionen von Voraussetzung leben, die sie selbst nicht garantieren<br />
können, ist <strong>of</strong>fenkundig. Weniger <strong>of</strong>fenkundig sind jedoch die genauen<br />
Zusammenhänge zwischen der politischen Verfasstheit von Staaten und der<br />
Religionsentwicklung innerhalb ihrer jeweiligen Einflusssphäre.<br />
Ein gängiges Narrativ beschreibt den Prozess der Modernisierung und die<br />
damit einhergehende Säkularisierung – hier i.S. einer zunächst formalen<br />
Trennung von Staat und Religion – als Voraussetzung für religiöse<br />
Pluralität, welche wiederum nach dem Motto „Konkurrenz belebt das<br />
Geschäft“ die Religionsentfaltung stimuliert. Im Kontrast zu früheren<br />
23
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Donnerstag, 15. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Säkularisierungstheorien gehen manche Forscher heute also davon aus, dass<br />
Religionen unter den Bedingungen staatlicher Säkularisierung erst recht<br />
gedeihen und nicht etwa verschwinden.<br />
Sollte also die Annahme zutreffen, dass ein säkularer Staat, der einen<br />
Ermöglichungs- und Partizipationsrahmen für die freie Entfaltung von<br />
Religionen zur Verfügung stellt, eine notwendige Voraussetzung für religiöse<br />
Vielfalt ist, stellt sich die Frage, wie die religiöse Pluralität in weiten Teilen<br />
des vormodernen Ostasiens erklärt werden kann. Ist die Annahme eines<br />
Zusammenhangs zwischen staatlicher Säkularität und religiöser Pluralität<br />
schlicht falsch oder hat es z.B. in China und Japan schon vor vielen<br />
Jahrhunderten Ansätze säkularer Staatskonzepte gegeben? In meinem Vortrag<br />
werde ich dieser Frage nachgehen und mich in diesem Zusammenhang auf<br />
der Grundlage systemtheoretischer Überlegungen kritisch mit dem Begriff<br />
„Säkularität“ auseinandersetzen.<br />
Hannah Müller-Sommerfeld: Zur Rolle des Völkerbundes im Nahen Osten<br />
(1919-1946)<br />
Nach dem 1. Weltkrieg wird auf der Friedenskonferenz von Versailles (1919)<br />
die formale Auflösung des Osmanischen Reiches beschlossen. In dieser<br />
historischen Stunde spielt für die meisten Nachfolgestaaten im Nahen Osten<br />
der von den alliierten Siegermächten gegründete Völkerbund mit Sitz in Genf<br />
eine zentrale Rolle. Seine Satzung bildet die völkerrechtliche Grundlage<br />
für das völlig neue politische System der Mandatsverwaltungen über die<br />
ehemaligen Gebiete des Osmanischen und Deutschen Kaiserreichs, die<br />
gegenüber dem Völkerbund Rechenschaftspflicht haben. Im Nahen Osten<br />
übernehmen die Briten das Mandat über den Irak (1920-1932) und Palästina<br />
(1920-1946) sowie die Franzosen über Syrien und Libanon (1920-1943).<br />
Seit den zunehmenden britischen Regierungsveröffentlichungen steht für<br />
ihre Mandatsverwaltungen überbordendes Quellenmaterial zur Verfügung.<br />
Auch die Akten des Völkerbundarchivs in Genf sind inzwischen nach Ablauf<br />
aller Sperrfristen komplett geöffnet.<br />
Aufgrund von Archivforschungen soll im Vortrag der Frage nach Kontinuitäten<br />
und Differenzen im Status der verschiedenen Religionsgemeinschaften,<br />
i.a. Islam, Juden, Christen, Bahá’í unter den Mandatsverwaltungen im<br />
24
Donnerstag, 15. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Irak, Syrien und Libanon nachgegangen werden. Mein Fokus liegt auf<br />
staatlichem Religionsrecht, mit dem zwar auf juristischer Ebene der aus<br />
Genf vorgegebene neue völkerrechtliche Grundsatz des religiösen (und<br />
ethnischen) Minoritätenschutzes umgesetzt wird, der aber für die islamischen<br />
Majoritäten im Irak und Syrien, insbesondere ihr religiöses Establishment<br />
eine große Herausforderung bedeutet.<br />
Religionswissenschaftliche Fachidentität zwischen disziplinärer Ausdifferenzierung,<br />
interdisziplinärer Verbundforschung und programmatischer<br />
Nicht-Disziplinarität. Panel 1: Ausdifferenzierung der Religionswissenschaft?<br />
Zu aktuellen Fragen der Fach entwicklung und der<br />
Wissenschaftsorganisation<br />
• Michael Stausberg, Bergen: Ist die Religionswissenschaft eine<br />
wissenschaftliche Disziplin?<br />
• Inken Prohl, <strong>Heidelberg</strong>: Religionswissenschaft<br />
interdisziplinär – Strategien jenseits von Kom petenzerosion<br />
und fahrlässiger Isolation<br />
• Hans G. Kippenberg, Bremen: Zeitgenössische<br />
Religionsdynamiken, aus rechtswissenschaftlicher Sicht<br />
betrachtet – und umgekehrt: Was ermöglicht und was<br />
erbringt transdisziplinäres Arbeiten?<br />
• Alexandra Grieser, Groningen: Perspektivität als<br />
Organisationsform von Wissen – eine Möglichkeit für die<br />
Religionswissenschaft zwischen Identität und Auflösung?<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Michael Stausberg, Bergen: Ist die Religionswissenschaft eine wissenschaftliche<br />
Disziplin?<br />
Die meisten Teilnehmer dieser Tagung werden die aufgeworfene Frage<br />
beherzt bejahen. Der Status wissenschaftlicher Disziplinen wurde in den<br />
vergangen Jahren in der internationalen Forschung diskutiert. Der Vortrag<br />
wird diese Debatte kurz skizzieren, einige Zusammenhänge vorstellen und<br />
auf die Situation der Religionswissenschaft anwenden.<br />
25
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Donnerstag, 15. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Inken Prohl, <strong>Heidelberg</strong>: Religionswissenschaft interdisziplinär – Strategien<br />
jenseits von Kom petenzerosion und fahrlässiger Isolation<br />
Im Kontext von Verbundsforschung und anderen interdisziplinären Projekten<br />
ist die Religionswissenschaft gefordert, ihre Fragestellungen über disziplinäre<br />
Grenzen hinweg erfolgreich kommunizieren und mit den Theorien und<br />
Methoden vielfältig verwandter Disziplinen verknüpfen zu können, was<br />
nicht immer leicht fällt. Zum einen stößt die religionswissenschaftliche<br />
Disziplin mit ihrer beharrlichen Reflexion des Religionsbegriffes zuweilen<br />
an die Grenzen der Geduld benachbarter Disziplinen. Zum anderen birgt<br />
ein flexibler oder als vage und ungenau wahrgenommener Umgang mit dem<br />
Begriff der Religion die Gefahr, dass sich unser Untersuchungsgegenstand<br />
auflöst. Um eine zunehmende religionswissenschaftliche Isolation zu<br />
vermeiden, sind hier balancierte Vorgehensweisen gefragt.<br />
Im Vortrag werden Strategien vorgestellt und diskutiert, wie<br />
religionswissenschaftliche Ansätze und Forschungsfelder erfolgreich in<br />
interdisziplinäre Zusammenhänge eingebracht werden können. Erörtert<br />
wird dabei, auf welche Reflektionen über den Begriff und das Feld der<br />
Religion(en) in interdisziplinären Zusammenhängen verzichtet werden<br />
kann, ohne Identität und Ansprüche des Faches aufgeben zu müssen, und<br />
von welchen Religionswissenschaftler keineswegs zurücktreten sollten.<br />
26<br />
Hans G. Kippenberg, Bremen: Zeitgenössische Religionsdynamiken, aus<br />
rechtswissenschaftlicher Sicht betrachtet – und umgekehrt: Was ermöglicht<br />
und was erbringt transdisziplinäres Arbeiten?<br />
Wenn man die Geltung von Religion in einer individuellen oder kollektiven<br />
Erfahrung sucht, bleiben die spezifischen Formen öffentlicher Religion<br />
unerklärlich. Anders verhält es sich, wenn man Rechts-diskurse und -dispute<br />
über Religionsfreiheit betrachtet. Sie geben besser Einblick in die Erzeugung<br />
öffentlicher Religion.<br />
Am Beispiel von Artikel 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention<br />
und der dazugehörigen Rechtsprechung möchte das Referat zeigen, dass<br />
Religionsfreiheit nicht als eine abstrakte Norm, sondern als Ergebnis eines<br />
legitimatorischen Prozesses verstanden werden muss. Der Artikel 9 EMK<br />
ist hierfür ein geeigneter Ausgangspunkt. Der erste Abschnitt garantiert
Donnerstag, 15. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
uneingeschränkte Religionsfreiheit, der zweite Abschnitt formuliert<br />
Einschränkungen. Sie seien notwendig, wenn sie in einer demokratischen<br />
Gesellschaft von Gesetzen vorgeschrieben und im Interesse von öffentlicher<br />
Sicherheit, zum Schutz von öffentlicher Ordnung, Gesundheit, Moral<br />
oder der Rechte oder der Freiheit anderer notwendig seien. Als sich<br />
Europäische Rechtsinstanzen seit den siebziger Jahren mit einer allmählich<br />
wachsenden Zahl von Klagen wegen der Verletzung des Grundrechtes der<br />
Religionsfreiheit befassten, anerkannten sie einen eigenständigen nationalen<br />
Beurteilungsspielraum und formulierten dafür die Doktrin der „Margin <strong>of</strong><br />
Appreciation“. Was diese darstellt und wie sie wirksam wird, soll an zwei<br />
Fällen von Anklagen wegen Blasphemie und wegen Kopftuchverboten<br />
dargestellt werden. An ihnen kann man ablesen, über welche Rechtsdiskurse<br />
und -dispute heute in Europa der Weg von individueller Religion<br />
zu öffentlicher Religion führt.<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Alexandra Grieser, Groningen: Perspektivität als Organisationsform von<br />
Wissen – eine Möglichkeit für die Religionswissenschaft zwischen Identität<br />
und Auflösung?<br />
Geht man d’accord mit der kulturwissenschaftlichen Auffassung, Religion<br />
als „komplexer Gegenstand“ sei nicht in Reinform zu haben, sondern nur<br />
in Verbindung mit anderen kulturellen Praktiken, Medien, Funktionen,<br />
so steht außer Frage, dass Spezialisierungen anstehen. Zugleich steht<br />
die Religionswissenschaft in der Spannung zwischen öffentlicher<br />
(Nicht-)Wahrnehmung, erst kurz errungener Komplexität des eigenen<br />
Gegenstandfeldes und der Fächerkonkurrenz um den Gegenstand Religion.<br />
Geschichte, Soziologie, Anthropologie, Politikwissenschaft und Cognitive<br />
Studies, alle „können Religion“, warum also noch eine Religionswissenschaft?<br />
Für die Frage, ob sich Wege jenseits der Polarisierung von Einheit und<br />
Auflösung finden lassen, bietet es sich an, die Debatten um Wissensprozesse<br />
und die Veränderung von Wissensorganisation einzubeziehen. Perspektivität<br />
und Konnektivität von Wissen bieten Modelle, spezialisiertes Wissen durch<br />
verbindende Konzepte heuristisch und produktiv wieder aufeinander zu<br />
beziehen. Ähnlich wie in den Naturwissenschaften Spezialisierungen für<br />
die Verbindung von Bereichen und Methoden entstanden sind, ist es auch<br />
für die Religionswissenschaft zentral, Expertise für Zusammenhänge weiter<br />
27
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Donnerstag, 15. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
zu entwickeln, wie etwa Religion und Wirtschaft, Ästhetik oder Politik.<br />
Indem solche Spezialisierungen quer verlaufen zu Spezialisierungen nach<br />
Religionen, Regionen und Epochen, sich aber beide Wissensformen im<br />
perspektivischen Rahmen gegenseitig informieren, kann eine Wissensqualität<br />
entstehen, die andere Einzelwissenschaften (und andere nationale Traditionen)<br />
nicht leisten können. Anerkennung beider Wissensformen innerhalb der<br />
Religionswissenschaft – Spezialisierung auf Gegenstandsbereiche und<br />
Spezialisierung auf konnektive Zugriffe – könnten die weitere Konzeption<br />
einer Religionswissenschaft als Disziplin unterstützen.<br />
Religion – Medien – Narration: Zur zeitgenössischen Mythopoetik<br />
• Dirk Johannsen: „Religion“ als Stilmittel der Fantastik in der<br />
Fernsehserie LOST<br />
• Anja Kirsch: Unbestimmtheit als „religiöses“ Sinnpotential –<br />
Wirkungstheoretische Aspekte in der Fernsehserie LOST<br />
• Jürgen Mohn: „Gottes“-Narrative in der religiösen<br />
Zeitgeschichte: Zur religionswissenschaftlichen Beschreibung<br />
theistischer Akteure im Massenmedium Comic<br />
• Hubert Mohr: Der Bote und der Prophet – Mythologisches<br />
Erzählen im Film in Zeiten von AIDS: Tony Kushners und<br />
Mike Nichols TV-Drama „Angels in America“ (2003)<br />
Dirk Johannsen: „Religion“ als Stilmittel der Fantastik in der Fernsehserie<br />
LOST<br />
Die US-Dramaserie Lost oszilliert durchgängig zwischen Science-Fiction<br />
und Supernatural-Horror. Die Geschichte der Überlebenden eines<br />
Flugzeugabsturzes auf einer mysteriösen Insel ist als ein multimediales<br />
Patchwork literarischer Genres und geistesgeschichtlicher Traditionen<br />
inszeniert, dessen narrative Struktur selbst als zentrales Rätsel thematisiert<br />
wird. Spätestens mit dem Abschluss nach der sechsten Staffel 2010 wurde<br />
deutlich, dass die Serie auch von religionswissenschaftlichem Interesse ist.<br />
Was als Survivor-Drama begann, hat sich im Lauf der Erzählung zu einem<br />
fantastischen Epos entwickelt, in dem die in der Pilotfolge auf die Insel<br />
bezogene Ausgangsfrage „Where are we?“ über mehr als 100 Folgen als<br />
28
Donnerstag, 15. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
„Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Wer sind wir?“ verhandelt und<br />
schließlich an die Religionen weitergegeben wurde. Im Vortrag wird gezeigt,<br />
wie ,Religion’ dabei von den Produzenten langfristig als ein Instrument<br />
zur Aufrechterhaltung der fantastischen Unentschiedenheit zwischen dem<br />
Wunderbaren und dem Unheimlichen konstruiert und auf reale Traditionen<br />
zurückprojiziert wurde. Die Fiktion gliedert sich auf diese Weise selbst in<br />
die Religionsgeschichte ein, im Verweis auf das extradiegetische Konstrukt<br />
„Religion“ findet das Fantastische seine Letztbegründung.<br />
Anja Kirsch: Unbestimmtheit als „religiöses“ Sinnpotential – Wirkungstheoretische<br />
Aspekte in der Fernsehserie LOST<br />
Anders als es die von Fans und Produzenten für die Mystery-Elemente<br />
verwendete Bezeichnung „Mythologie“ suggeriert, arbeitet die Serie<br />
LOST nicht mit einem der Darstellung unterlegten Weltmodell (im Sinn<br />
der Geschichte und Ordnung einer alternativen Welt, wie sie etwa<br />
Tolkien ausgearbeitet hatte), sondern mit narrativen und szenischen<br />
Techniken, die auf die Maximierung von Unbestimmtheitsbeträgen und<br />
somit Deutungspotentialen zielen. Speziell in Bezug auf den Umgang<br />
mit „Religion“ ist das Narrativ Lost nicht durch eine spezifische Botschaft<br />
gekennzeichnet, die es nur aufzudecken gelte, sondern, in der Terminologie<br />
des Konstanzer Anglisten und Literaturtheoretikers Wolfgang Iser, durch eine<br />
spezifische Funktionalisierung von Leerstellen.<br />
Im Vortrag werden diese Technik der Bedeutungserzeugung am Beispiel von<br />
„Religion“ aufgezeigt und Schlussfolgerungen für eine wirkungstheoretische<br />
Analyse der Serie Lost formuliert.<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Jürgen Mohn: „Gottes“-Narrative in der religiösen Zeitgeschichte: Zur religionswissenschaftlichen<br />
Beschreibung theistischer Akteure im Massenmedium<br />
Comic<br />
Die Reflexion über auktoriale Konstruktionen theistischer<br />
Beobachterpositionen, Akteure oder Metanarrative wie „Götter“, „Gott“<br />
oder „Schöpfung“ ist aus den traditionell institutionalisierten Medien<br />
29
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Donnerstag, 15. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
(Katechismus, Traktat, Predigt) und üblichen Reflexionsorten (Akademien,<br />
Kirchen, Kulte) in die freie Verfügbarkeit des Diskurses der Massenmedien<br />
übergegangen. Auch Comics (Graphic Novels, BDs, Mangas) werden zum<br />
medialen Ort der Auseinandersetzung mit entsprechenden Themen und<br />
Motiven. Kritische wie apologetische Positionen sind ebenso zu finden wie<br />
reflexiv-distanzierte Aussagen in einem „religiös“ eher ungebundenen Sinne.<br />
Der Vortrag will auf diese Quellen der rezenten religiösen Zeitgeschichte<br />
hinweisen und versuchen, diese aus einer religionswissenschaftlichen<br />
Beobachterperspektive und unter Zuhilfenahme erzähltheoretischer<br />
Konzepte zu rekonstruieren.<br />
Hubert Mohr: Der Bote und der Prophet – Mythologisches Erzählen im<br />
Film in Zeiten von AIDS: Tony Kushners und Mike Nichols TV-Drama „Angels<br />
in America“ (2003)<br />
Mike Nichols (Regie) und Tony Kushners (Drehbuch) TV-Drama „Angels<br />
in America“, das 2003 als US-Miniserie mit einer Länge von 337 min<br />
ausgestrahlt wurde, basiert auf Kushners gleichnamigem, vieldiskurtierten<br />
Theaterstück von 1993/94. Es erzählt von Krankheit, Tod und verzweifeltem<br />
H<strong>of</strong>fen in der homosexuellen, insbesondere jüdisch-homosexuellen<br />
Community New Yorks Mitte der 1980er Jahre, einer Zeit, als die tödliche<br />
Seuche in den westlichen Industrieländern die meisten Opfer forderte.<br />
Während Stück und Film einerseits das erbärmliche Leiden und Siechtum<br />
der Protagonisten miterleben lassen, weitet sich der Bedeutungshorizont<br />
des Dramas durch den poetisch-visionären Einbruch des Außeralltäglichen:<br />
Engelserscheinungen, Himmels- und Jenseitsszenarien. Der Vortrag wird<br />
versuchen, diese mythischen Sequenzen, die sich in vielfältiger Weise aus<br />
biblischen, kabbalistischen und apokalyptischen Traditionen speisen, als<br />
Versuch zeitgenössischer Mythopoetik und Teil einer Religionsgeschichte<br />
von AIDS zu interpretieren.<br />
30
Donnerstag, 15. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
14:15 bis 15:45 Uhr<br />
Leben Religionen von politischen Voraussetzungen, die sie selbst<br />
nicht garantieren können? – Religionswissenschaftliche Ansätze zu<br />
Religionen und Politiken. Panel 2<br />
• Vasilios Makrides: Sind politische Voraussetzungen und<br />
Rahmenbedingungen für die Orthodoxen Kirchen absolut<br />
notwendig?<br />
• Katharina Neef: „… und immer wieder bringt er neuen<br />
Schwindel.“ Glaubenswechsel im Zeichen moderner<br />
Vereinsmeierei<br />
• Sebastian Emling: „Selection <strong>of</strong> a President has to be an act<br />
<strong>of</strong> faith“. Die Verwendung religiöser Beschreibungsmuster als<br />
Distinktionsstrategie im politisch-öffentlichen Raum<br />
• Ulf Plessentin: Zwischen Kritik am Staatskirchenrecht<br />
und „Dritter Konfession“. Organisierte Humanisten in<br />
Deutschland<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Vasilios Makrides: Sind politische Voraussetzungen und Rahmenbedingungen<br />
für die Orthodoxen Kirchen absolut notwendig?<br />
Um die Fragen, ob die Orthodoxen Kirchen von politischen Voraussetzungen<br />
leben, die sie selbst nicht garantieren, oder ob bestimmte politische<br />
Rahmenbedingungen für ihre Existenz notwendig sind, zu beantworten,<br />
sollte zwischen der formellen und der inhaltlichen Ebene unterschieden<br />
werden: Formell gibt es heute eine Anpassung an moderne liberale<br />
Demokratien und eine damit verbundene Bejahung der entsprechenden<br />
politischen Ordnung und Postulate. Auf der inhaltlichen Ebene gibt es aber<br />
immer wieder Reaktionen gegen die moderne liberale Demokratie und den<br />
Wunsch nach einem politischen System aus der Vergangenheit, das als ideal<br />
gilt und dessen Reaktivierung in der Gegenwart erh<strong>of</strong>ft wird.<br />
Dieser Vergangenheitsbezug stellt ein markantes Zeichen orthodoxchristlicher<br />
Orientierung allgemein dar. Zwar können die Orthodoxen<br />
Kirchen die politischen Rahmenbedingungen ihrer Existenz heute kaum<br />
noch prägen, doch bedienen sich die jeweiligen politischen Formationen<br />
31
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Donnerstag, 15. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
in diesem Kontext durchaus der legitimierenden und sakralisierenden Kraft<br />
der Orthodoxen Kirchen. Diese besondere Situation sorgt nicht selten für<br />
Antinomien, Spannungen und Konflikten zwischen Kirche, Politik und Staat<br />
in orthodoxen Kontexten und ist aus dem problematischen Verhältnis der<br />
orthodoxen Welt insgesamt zur (westlichen) Moderne insgesamt zu erklären.<br />
In diesem Referat wird anhand von ausgewählten Beispielen und<br />
religionswissenschaftlichen Theorieansätzen auf die Komplexität dieser<br />
Thematik und ihre Bedeutung in der Analyse von Staat-Kirche-Beziehungen<br />
eingegangen.<br />
Katharina Neef: „… und immer wieder bringt er neuen Schwindel.“ Glaubenswechsel<br />
im Zeichen moderner Vereinsmeierei<br />
So ächzte 1911 ein Teilnehmer auf dem Philosophenkongress in Bologna,<br />
nachdem er mit dem Ausruf „Schwindler!“ das Referat Rudolf Steiners<br />
verlassen hatte. Steiner mag ein bekanntes, aber keineswegs idealtypisches<br />
Beispiel für den Vereinsmeier gewesen sein, dessen Vereinsmitgliedschaften<br />
sich – synchron und diachron – summieren. Heinz Mürmel hat das zeittypische<br />
Phänomen „multiple Devianz“ genannt: Die extrem hohe Wahrscheinlichkeit,<br />
dass ein Mitglied eines alternativreligiösen oder lebensreformerischen<br />
Vereins gleichzeitig oder in zeitlicher Abfolge Mitglied eines anderen Vereins<br />
ähnlicher Prägung war bzw. wurde. So waren Buddhisten auch Vegetarier<br />
oder Monisten, Theosophen oder Anthroposophen auch Schrebergärtner,<br />
Neugeistbewegte, Mazdaznananhänger oder Freikörperkulturfreunde.<br />
Soziale Netzwerke zogen sich spinnennetzartig durch das Deutsche Reich<br />
und in andere Länder. All das bedingte eine hohe biografische Dynamik.<br />
Vor dem Hintergrund des Panelthemas soll überlegt werden, inwiefern der<br />
Umstand, dass die meisten der neuen religiösen und weltanschaulichen<br />
Gruppen als (eingetragene) Vereine verfasst waren, diese Dynamik<br />
beeinflusste und vielleicht gar hervorrief – durch das Säen eines (Selbst-)<br />
Verständnisses der freien Mitgliedschaft, Verpflichtung und letztlich des<br />
erklärten Austritts aus dem Verein, dem der formale Kirchenaustritt seit 1873<br />
parallel ging.<br />
32
Donnerstag, 15. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Sebastian Emling: „Selection <strong>of</strong> a President has to be an act <strong>of</strong> faith“. Die<br />
Verwendung religiöser Beschreibungsmuster als Distinktionsstrategie im<br />
politisch-öffentlichen Raum<br />
Im angestrebten Vortrag sollen der (gedankliche) amerikanische „Sonderweg“<br />
in Bezug auf die Verwobenheit zwischen Staaten und Religionen bei<br />
gleichzeitiger verfassungsrechtlicher Trennung dieser Bereiche am Beispiel<br />
des Präsidentschaftswahlkampfes der Jahre 2007 und 2008 in den USA<br />
aufgezeigt werden. Dies geschieht jedoch nicht anhand einer kritischen<br />
Auseinandersetzung mit Robert N. Bellahs Konzept einer überzeitlichen und<br />
überkontextuellen American Civil Religion, sondern in Form einer dichten<br />
Beschreibung der Konstruktion einer „presidential brand“ namens Barack<br />
Obama im Rahmen des Präsidentschaftswahlkampfes der Jahre 2007 und<br />
2008.<br />
Der Rückgriff auf religiöse Semantiken in den öffentlichen Ansprachen des<br />
Kandidaten verweist, so der Leitgedanke des Vortrags, auf die distinguierenden<br />
Qualitäten und Potentiale religiöser Beschreibungsmuster innerhalb einer<br />
marktwirtschaftlichen Konkurrenzsituation. Die öffentliche Person Barack<br />
Obama muss sich neben anderen Bewerbern um das Präsidentenamt auf<br />
einem Markt von „präsidialen Marken“ bewähren und wird dafür unter<br />
anderem anhand von religiösen Semantiken durch ein Autorenkollektiv (z.<br />
B. Wähler, Obama selbst, Presse, Kollegen, usw.) narrativ konstruiert.<br />
Anhand einer Analyse der Verwendung religiöser Semantiken in öffentlichen<br />
(politischen) Arenen als eine wichtige Kompositionstechnik bei der bewussten<br />
Erschaffung einer präsidialen Persona oder Marke und gerade nicht als<br />
authentisches individualreligiöses Bekenntnis des jeweiligen Kandidaten<br />
soll eine neue Analyseperspektive in die Frage nach der Verwobenheit von<br />
Politiken und Religionen eingebracht werden.<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Ulf Plessentin: Zwischen Kritik am Staatskirchenrecht und „Dritter Konfession“.<br />
Organisierte Humanisten in Deutschland<br />
In einem 2010 publizierten Interview präzisierte Ernst-Wolfgang<br />
Böckenförde seine bekannte These von den ethischen Voraussetzungen<br />
eines freiheitlichen demokratischen Rechtsstaates. Das verbindende Ethos,<br />
welches die freiheitliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland seiner<br />
33
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Donnerstag, 15. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Meinung nach garantiert, speist sich aus einer Kultur, deren Wurzeln nicht<br />
notwendigerweise religiös zu verstehen seien: Neben dem Christentum<br />
benennt er die Aufklärung und den Humanismus als wesentliche Quellen.<br />
Ausgehend von der Idee des Panels, das Böckenförde-Diktum mit<br />
umgekehrtem Vorzeichen zu erörtern und die Wirkungsmacht politischer<br />
Strukturen und Entscheidungen auf Religionsgemeinschaften zu diskutieren,<br />
möchte ich in meinem Vortrag den Fokus erweitern: Neben Religionen<br />
unterliegen im deutschen Beispiel auch Weltanschauungsgemeinschaften,<br />
die sich wie die verschiedenen humanistischen Vereinigungen als eindeutig<br />
nicht-religiös charakterisieren, politisch vorgegebenen Rahmenbedingungen<br />
wie dem Staatskirchenrecht. Insbesondere bei der Frage nach der Erlangung<br />
des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts wird dies deutlich.<br />
Dabei positionieren sich die organisierten Humanisten, Atheisten und<br />
Freidenker, die sich als Erben der Aufklärung und des Humanismus verstehen,<br />
zum deutschen Staatskirchenrecht sehr unterschiedlich: Wird einerseits<br />
massive Kritik an der Existenz und Gestaltung dieser staatlichen Vorgaben<br />
laut, werden anderenorts die rechtlichen Rahmenbedingungen genutzt,<br />
um den Körperschaftsstatus zu erlangen, einem dem Religionsunterricht<br />
gleichwertigen humanistischen Weltanschauungsunterricht anzubieten<br />
oder Lehrstühle für Humanistik zu fordern.<br />
Religionswissenschaftliche Fachidentität zwischen disziplinärer Ausdifferenzierung,<br />
interdisziplinärer Verbundforschung und programmatischer<br />
Nicht-Disziplinarität. Panel 2: Die Thermik der Religionswissenschaft<br />
– heiße Quellen, dürre Steppen, trockene Winde<br />
• Angelika Rohrbacher: Der „Mahler-Kult“ oder „religiöse<br />
Identität im Nachhinein“ – methodische Anfragen an<br />
mehrere Disziplinen<br />
• Till Mostowlansky: Religion im Bräunerh<strong>of</strong> –<br />
Gegenstandsorientierte Forschung und Nicht-Disziplinarität<br />
am Beispiel eines Wiener Experiments<br />
• Sarah Werren: „Living on the street replaces going by the<br />
34
Donnerstag, 15. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
book“ – Einige Beobachtungen zur Methodenvielfalt in der<br />
Religionswissenschaft<br />
• Susanne Leuenberger: Konvertiten, Bodybuilderinnen, Mediziner<br />
– Eine Religionswissenschafterin als Sachensucherin<br />
• Versuch einer Bilanz (zu beiden Panels): Pr<strong>of</strong>. Dr. Gerald Hödl,<br />
Wien; Hubert Seiwert, Leipzig Till Mostowlansky, Inken Prohl,<br />
Christoph Uehlinger<br />
• Chair: Inken Prohl<br />
Angelika Rohrbacher: Der „Mahler-Kult“ oder „religiöse Identität im Nachhinein“<br />
– methodische Anfragen an mehrere Disziplinen<br />
Durch die immer dichter werdende Forschungstätigkeit in den sogenannten<br />
„Kulturwissenschaften“ und die damit verbundene Zunahme an Fächern bzw.<br />
Studiengängen hat der Terminus „Interdisziplinarität“ einen überragenden<br />
Stellenwert erhalten. Er suggeriert eine verstärkte Zusammenarbeit einzelner<br />
Disziplinen zu einem bestimmten Forschungsbereich, um aus der jeweiligen<br />
Fachperspektive und dem jeweiligen methodischen Verständnis heraus<br />
ein genaueres Abbild des Forschungsgegenstandes zu kreieren und neue,<br />
innovative Teilchen im Puzzle zu ergänzen. Allerdings stellt sich die Frage,<br />
ob dies in der Praxis nicht zu unüberwindbaren Interferenzen führt, wenn<br />
beispielsweise die Prämisse des einen bereits die Erkenntnis des anderen<br />
darstellt. Am Beispiel der Forschung zu Gustav Mahler, dessen Person<br />
und Biographie in einem erstaunlichen Ausmaße die Aufmerksamkeit<br />
unterschiedlichster Disziplinen auf sich gezogen hat, soll versucht werden,<br />
diese „Überlagerungen“ ein wenig zu verdeutlichen. Ausgangspunkt dabei<br />
ist die religionswissenschaftlich virulente Frage nach einem „Mahler-Kult“,<br />
der sich in den unzähligen biographischen Darstellungen widerspiegelt.<br />
Das methodische Fundament liefert hierbei Gladigows These, auch<br />
die europäische Kunst- und Kulturgeschichte als Teil der religiösen<br />
Gesamtszenarios Europas zu begreifen. Damit stellt sich einmal mehr die<br />
Frage nach der „Konvention“, die eine chassidische Splittergruppe oder<br />
einen christlichen Auferstehungsverein zum religionswissenschaftlichen<br />
Forschungsgegenstand macht, einen Trachtenverein oder die Freunde des<br />
Wiener Musikvereins jedoch der soziologisch-„säkularen“ Forschung<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
35
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Donnerstag, 15. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
36<br />
zuweist. Ein wichtiger Fokus der Mahler-Forschung liegt auf seiner<br />
Zugehörigkeit zum „Judentum“, womit der judaistische Kontext quasi „im<br />
Nachhinein“ zu einem elementaren Teil seiner „Identität“, auch als Musiker,<br />
gemacht und der Musikwissenschaft wiederum die Argumentation seiner<br />
„Sonderstellung“ ermöglicht wird. Wie kann die Religionswissenschaft mit<br />
ihrem methodischen Rüstzeug auf solche Phänomene reagieren und können<br />
diese kulturwissenschaftlichen „Parallelwelten“ überhaupt überbrückt<br />
werden?<br />
Till Mostowlansky: Religion im Bräunerh<strong>of</strong> – Gegenstandsorientierte Forschung<br />
und Nicht-Disziplinarität am Beispiel eines Wiener Experiments<br />
Seit Ende der 1990er Jahre sind an der Universität Wien zahlreiche<br />
Studiengänge eingerichtet worden, die sich auf das Recht der Studierenden<br />
berufen, die Verbindung von verschiedenen Fächern zu einem sogenannten<br />
„Individuellen Diplomstudium“ zu beantragen. Dass aus dieser<br />
„Gesetzeslücke“ themenzentrierte Projekte wie Pferdewissenschaften,<br />
Pflegewissenschaft aber auch Religionswissenschaft hervorgegangen sind,<br />
erstaunt im Kontext sich auflösender Fächergrenzen kaum. Im Fall von<br />
Religionswissenschaft wurden die damaligen Studierenden (und heutigen<br />
Forschenden) aber vor verschiedene Lösungsmodelle zur Überwindung der<br />
Kontingenz einer losen institutionellen Verankerung gestellt:<br />
Im Rahmen einer individuellen Schwerpunktsetzung konnte zunächst<br />
Zuflucht in einer der philologischen Disziplinen gesucht werden (z.B.<br />
Indologie, Arabistik etc.), die sich in der Folge <strong>of</strong>tmals um eine vollumfassende,<br />
philologische Transformation ihrer Klientel bemühten. Weitere Optionen<br />
lassen sich mit dem Prozess der Verflüchtigung von Religionswissenschaft in<br />
die kulturwissenschaftliche Beschäftigung mit Religion umreißen. Mangels<br />
einer klaren räumlichen Verortung von Fachidentität wurden diese Formen<br />
des Studiums, mit regelmässigen Unterbrüchen zwecks teilnehmender<br />
Beobachtung in Lehrveranstaltungen, ins Kaffeehaus verlagert.<br />
Die Kaffeehaus-Metapher verweist klischeehaft auf eine (auch räumliche)<br />
Entgrenzung religionswissenschaftlicher Forschung und Lehre. Vor diesem<br />
Hintergrund soll in diesem Beitrag die Frage diskutiert werden, inwiefern die<br />
gegenwärtige Religionswissenschaft den divergierenden Ansprüchen von<br />
gegenstandsorientiert-kulturwissenschaftlicher Beschäftigung mit Religion<br />
und verstärkter institutioneller Verankerung gerecht werden kann.
Donnerstag, 15. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Sarah Werren: „Living on the street replaces going by the book“ – Einige<br />
Beobachtungen zur Methodenvielfalt in der Religionswissenschaft<br />
Der amerikanisch-jüdische Ethnologe und Soziologe Samuel Heilman<br />
machte in einer Untersuchung zum religiösen Rechtsrutsch im amerikanischorthodoxen<br />
Judentum eine äußerst interessante Beobachtung: Nach der<br />
Immigration und Ansiedlung von Holocaust-Überlebenden in den USA<br />
hat deren gezielte Verwendung religionsgesetzlicher Kodex-Literatur<br />
die minhagim ha-makom, die ursprünglichen Ortsbräuche, zunehmend<br />
verdrängt. Diesen Prozess der Standardisierung religiöser Normen auf<br />
Kosten lokaler religiöser Traditionen nennt Heilman verkürzt „going by the<br />
book replaces living on the street“.<br />
In etwas zugespitzter Weise ausgedrückt, lässt sich für die methodischtheoretische<br />
Fachentwicklung der Religionswissenschaft in Bern in den<br />
letzten zehn Jahren, die ich als Studentin, Doktorandin und Assistentin<br />
mitverfolgen konnte, nun das Gegenteil des oben aufgeführten Phänomens<br />
feststellen. Die verstärkte Verwendung sozialwissenschaftlicher Arbeitsund<br />
Auswertungsmethoden (living on the street) haben die vormals starke<br />
Konzentration auf Texttraditionen (going by the book) zwar bei Weitem<br />
nicht gerade ersetzt (glücklicherweise), die Religionsforschung in Bern<br />
meiner Ansicht nach jedoch verändert und erweitert. In Bezug auf meine<br />
Dissertation, in der ich mich mit der Bioethik in den verschiedenen religiösen<br />
Richtungen des Judentums beschäftige, sehe ich gerade in der Kombination<br />
verschiedener Ansätze einen großen Vorteil. Die disziplinäre Unschärfe im<br />
„Fachpr<strong>of</strong>il“ der Religionswissenschaft und nicht die tiefe Verwurzelung<br />
innerhalb eines bestimmten Theorien- und Methodenkanons, die Fähigkeit,<br />
den Blick zu weiten, Ansätze und Kompetenzen zu kombinieren, um so den<br />
Untersuchungsgegenstand „Religion“ in seiner empirischen Breite erforschen<br />
zu können, scheint mir als Religionswissenschaftlerin – auch gerade im<br />
interdisziplinären Austausch - die Stärke dieses Fachs auszumachen.<br />
Wenn wir als beobachtende Wissenschaftler von außen vermeiden wollen,<br />
was Heilman als „Standardisierungs“prozesse von innen beobachtet<br />
hat, sollten wir uns nicht auf einen Ansatz – die klassischen Textstudien<br />
– beschränken. Selbst bei einem anscheinend so textlastigen Thema wie<br />
der Ethik zeigt es sich, dass eine Vielfalt der Ansätze – natürlich auch aus<br />
anderen Disziplinen – erkenntnisbringend wirkt.<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
37
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Donnerstag, 15. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Susanne Leuenberger: Konvertiten, Bodybuilderinnen, Mediziner – Eine<br />
Religionswissenschafterin als Sachensucherin<br />
Als eine Art Tätigkeitsbericht angelegt, möchte dieser Beitrag die Fragestellung<br />
des Panels – Religionswissenschaft zwischen Disziplin und Undisziplin – aus<br />
Sicht einer Berner Doktorandin der Religionswissenschaft beleuchten. Das<br />
Entstehen der eigenen Dissertation (Konversion zum Islam in CH) soll als<br />
„work in progress“ dargelegt werden, und dabei den Forschungskontext und<br />
die (inter)disziplinären Entstehungsbedingungen und Netzwerke freilegen,<br />
die den sozialen, institutionellen und methodologischen Hintergrund ihrer<br />
Forschertätigkeit liefern. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin dem Institut<br />
für Religionswissenschaft angeschlossen, ist die Doktorandin zugleich<br />
einer interdisziplinär ausgerichteten Graduiertenschule angeschlossen,<br />
und teilt ihren Büroplatz und ihre Gedanken mit Doktoranden aus<br />
verschiedenen geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen. Damit<br />
entsteht ihre Forschungsarbeit vor dem Hintergrund der Neuausrichtung<br />
der Universitätslandschaft, und zeigt auf, dass eine disziplinäre Zuordnung<br />
und Verortung der Organisation und Generierung von Wissen über Religion<br />
schwierig und – aus Sicht der Doktorandin – eventuell überdenkenswert ist.<br />
Europäische Religionsgeschichte<br />
• Jens Schlieter: Europäische Religionsgeschichte – der Verlust<br />
eines Paradigmas in der Religionswissenschaft oder der<br />
Gewinn eines neuen?<br />
• Ilinca Tanaseanu-Döbler: ERG – schon in der Antike?<br />
• Marvin Döbler: Christentumsgeschichte als Gegenstand der<br />
Religionswissenschaft<br />
• Christoph Auffarth: Globalisierung – Das Ende der<br />
Europäischen Religionsgeschichte oder ihr Export?<br />
• Christoph Kleine: Kommentar<br />
Jens Schlieter: Europäische Religionsgeschichte – der Verlust eines Paradigmas<br />
in der Religionswissenschaft oder der Gewinn eines neuen?<br />
38<br />
„Europäische Religionsgeschichte“ (ERG) benennt nicht nur eine besondere<br />
regionale Religionsgeschichte, sondern auch einen mit theoretischem
Donnerstag, 15. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Anspruch auftretenden Zugang zur Religionsgeschichte als solcher. Als<br />
Theorie eröffnet „Europäische Religionsgeschichte“ einen epochalen<br />
Geschichtsraum, der auf eine unvergleichliche Weise durch Diskursivität,<br />
Pluralität, wechselseitige Interferenzen zwischen verschiedenen religiösen und<br />
nicht-religiösen Systemen (Wissenschaft, Kunst, Politik usw.) gekennzeichnet<br />
sei. Mit diesem theoretischem Zugang ist mitunter der Anspruch verknüpft<br />
worden, dass eben diese Europäische Religionsgeschichte in eine Aufklärung<br />
einmündete, die über die „Rhetorik der Rationalität“, Säkularisierung sowie<br />
die „Begrenzung des religiösen Bereichs“ (Auffarth) dazu beitrug, dass<br />
sich eine methodisch distanzierte Untersuchung von Religionen selbst<br />
überhaupt ausbilden konnte. Europäische Religionsgeschichte ist somit<br />
Ermöglichungsgrund für die Entstehung der Religionswissenschaft, deren<br />
zuletzt erblühtes theoretisches Konzept dann wiederum die „Europäische<br />
Religionsgeschichte“ ist. In dem Beitrag wird diskutiert, inwiefern diese<br />
Beschreibung des theoretischen Anspruchs der ERG wirklich aufrecht<br />
erhalten werden kann, wenn Entwicklungen in asiatischen Religionskulturen<br />
vergleichend hinzugezogen werden.<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Ilinca Tanaseanu-Döbler: ERG – schon in der Antike?<br />
Ab wann lässt sich sinnvoll von Europäischer Religionsgeschichte sprechen?<br />
Sollte man sich auf die in der frühen Neuzeit einsetzende Pluralisierung und<br />
Pr<strong>of</strong>essionalisierung der Religion in Europa beschränken oder den weiteren<br />
historischen Horizont mit einbeziehen, in welchem diese Phänomene<br />
stehen? Gerade die Antike, deren verstärkte Rezeption in der Frühen Neuzeit<br />
mit dazu beiträgt, neben dem Christentum den Blick für alternative Formen<br />
von Religion zu öffnen, sollte dabei in den Blick genommen werden. Welche<br />
Konsequenzen hat es, wenn man bis in die Antike zurückgeht? Inwiefern<br />
kann diese als Teilbereich der Europäischen Religionsgeschichte betrachtet<br />
werden, und was bedeutet dann „europäisch“?<br />
39
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Donnerstag, 15. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Marvin Döbler: Christentumsgeschichte als Gegenstand der Religionswissenschaft<br />
Die Geschichte und die Theologien des Christentums sind kein<br />
selbstverständlicher Gegenstand religionswissenschaftlicher Forschung.<br />
Während auf der einen Seite die Kirchengeschichte ihren Primat behauptet,<br />
hat die Religionswissenschaft dennoch einen eigenen, wertvollen Zugang<br />
zu diesem Forschungsfeld, der sich vom Boden einer systematischen<br />
Religionswissenschaft her entwickeln lässt. Bereits ein Blick in die<br />
Theologiegeschichte des späten 19. bzw. frühen 20. Jahrhunderts zeigt,<br />
dass etwa Theologen wie Adolf Harnack oder Ernst Troeltsch Konzepte einer<br />
Kulturgeschichte des Christentums entwerfen, die, von ihrer apologetischen<br />
Intention gelöst, noch heute beachtenswert scheinen und wertvolle<br />
Denkanstöße für ein Konzept Europäischer Christentumsgeschichte bieten.<br />
Christoph Auffarth: Globalisierung – Das Ende der Europäischen Religionsgeschichte<br />
oder ihr Export?<br />
ERG bedeutet zunächst eine Epoche, die im Konzept von Burkhard<br />
Gladigow (1995) mit der Entdeckung einer alternativen Religion Mitte des<br />
15. Jahrhunderts beginnt. Die mitlaufende Alternative wäre dann mit der<br />
europäischen Neuzeit gleich zu setzen. Muss man dann auch mit einem<br />
Ende der ERG rechnen, in dem die Spezifika sich wandeln oder verloren<br />
gehen, die einmal diese Sonderentwicklung ausgemacht haben. Oder<br />
sind die Dritten Räume für alternative Religion (wie Religionsfreiheit,<br />
Wissenschaft, Minderheitenrechte, Säkularer Staat) auch außerhalb Europas<br />
exportiert und etabliert? Zu welchem Preis? Und wie verändert das die<br />
Religionen in Europa?<br />
Producing Sacred Spaces in Durban, South Africa<br />
• Ulrich Berner: Production and/or revelation <strong>of</strong> sacred space.<br />
Old and new theories <strong>of</strong> religion and ritual<br />
40
Donnerstag, 15. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
• Magnus Echtler: Sacred space as heterotopia. Examples from<br />
the Nazareth Baptist Church<br />
• Franz Kogelmann: Muslims in Durban: Apartheid and After<br />
• Ziva Kopecka: Producing Hindu sacred space in Africa. Maha<br />
Kumbha Abishegam in Durban, South Africa<br />
• Asonzeh Ukah: Making the Gods at Home. The Perception<br />
and Production <strong>of</strong> Sacred Space among Migrant Religious<br />
Communities in Durban<br />
Ulrich Berner: Production and/or revelation <strong>of</strong> sacred space. Old and new<br />
theories <strong>of</strong> religion and ritual<br />
The talk about “producing sacred spaces”, at first sight seems to be<br />
incompatible with the old Eliadean concept <strong>of</strong> “sacred space”, based upon<br />
the notion <strong>of</strong> “hierophany”. As an introduction this paper will discuss the<br />
question if there are any elements <strong>of</strong> the Eliadean approach applicable in<br />
the context <strong>of</strong> social-scientific studies dealing with the “production <strong>of</strong> sacred<br />
spaces” in Africa.<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Magnus Echtler: Sacred space as heterotopia. Examples from the Nazareth<br />
Baptist Church<br />
According to Foucault, heterotopias are deviant spaces that constitute “a<br />
sort <strong>of</strong> simultaneously mythic and real contestation <strong>of</strong> the space we live in.”<br />
This paper examines the utility <strong>of</strong> this concept by analysing the production<br />
<strong>of</strong> sacred spaces in the Nazareth Baptist Church, one <strong>of</strong> the largest African<br />
Initiated Churches <strong>of</strong> South Africa. It discusses how the church headquarter,<br />
conceived as the New Jerusalem, was established in eKuphakameni, and<br />
what strategies were used in producing the sacred space <strong>of</strong> a second New<br />
Jerusalem in eBuhleni after a schism occurred in the church. The paper<br />
analyses how the pilgrimage to the holy mountain <strong>of</strong> iNhlangakazi challenged<br />
the spatial order <strong>of</strong> the apartheid state, and how relations between pr<strong>of</strong>ane<br />
and sacred space are represented in the oral traditions <strong>of</strong> the church. Lastly,<br />
it links present day spatial practices at the Khayelihle temple in central<br />
Durban with the post-apartheid concept <strong>of</strong> an African renaissance in the<br />
public sphere.<br />
41
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Donnerstag, 15. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Franz Kogelmann: Muslims in Durban: Apartheid and After<br />
Since its arrival in 1860 the Muslim community <strong>of</strong> Durban developed into a<br />
multi-faceted religious minority. Sufi-brotherhoods dominated local Islam for<br />
a long time. However, Islamic reform movements had an important impact on<br />
the interpretation <strong>of</strong> Islam since the second half <strong>of</strong> the 20th century. During<br />
the times <strong>of</strong> apartheid Muslims were removed from certain parts <strong>of</strong> Durban<br />
but their physical sacred spaces like mosques, Islamic centres <strong>of</strong> learning<br />
and Muslim cemeteries were not destroyed. Due to its ideology <strong>of</strong> racial<br />
segregation the apartheid regime did not intervene in intra-religious debates.<br />
However, the forced removal <strong>of</strong> Muslims resulted in a massive change in<br />
the social construction <strong>of</strong> Durban’s urban landscape. Nowadays Sufibrotherhoods<br />
compete with reform movements over the most authoritative<br />
interpretation <strong>of</strong> Islam. Certain South African Muslim organizations are<br />
focused on proselytizing Islam in regional African communities and even<br />
beyond the borders <strong>of</strong> South Africa. In addition to that, post-apartheid<br />
migrants from all over Africa and the Indo-Pakistan subcontinent influence<br />
via their interpretation <strong>of</strong> Islam the locally established production <strong>of</strong> sacred<br />
space. The aim <strong>of</strong> this presentation is to debate some preliminary results <strong>of</strong><br />
an ongoing research project on sacred spaces <strong>of</strong> Muslim communities in<br />
Durban.<br />
Ziva Kopecka: Producing Hindu sacred space in Africa. Maha Kumbha<br />
Abishegam in Durban, South Africa<br />
42<br />
Maha Kumbha Abishegam is the sanctifying ceremony connected with the<br />
(re-) construction <strong>of</strong> a Hindu temple and the installation <strong>of</strong> a deity therein.<br />
The ceremony is usually performed every twelve years and consists <strong>of</strong> seven<br />
days <strong>of</strong> intense religious activity. The paper takes account <strong>of</strong> the specific<br />
location <strong>of</strong> this religious practice: what does it mean to produce a sacred<br />
space <strong>of</strong> Hinduism in Africa? How is this space linked with sacred spaces<br />
in India? The paper analyses the role <strong>of</strong> the priests who are conducting<br />
elaborated religious rituals in accord with South Indian traditional doctrine<br />
<strong>of</strong> knowledge, but also considers the participation <strong>of</strong> the local Hindu<br />
community and <strong>of</strong> South African <strong>of</strong> various ethnic and religious backgrounds<br />
in the rituals in and around the temple, in order to localize this sacred space<br />
within the complex urban landscape <strong>of</strong> Durban.
Donnerstag, 15. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Asonzeh Ukah: Making the Gods at Home. The Perception and Production<br />
<strong>of</strong> Sacred Space among Migrant Religious Communities in Durban<br />
Religious practices and beliefs figure prominently among the strategies<br />
<strong>of</strong> negotiation and coping for immigrant communities around the world.<br />
Among migrants in South Africa since the end <strong>of</strong> the Apartheid in 1994,<br />
religion is an important stabilising and integrative structure which enables<br />
many <strong>of</strong> them to negotiate as well as contest local practices and norms.<br />
This paper describes the perceptions <strong>of</strong> sacred space among West African<br />
migrants in Durban who exhibit visible religiosity as well as innovate on<br />
practices that enable them make sense <strong>of</strong> the predicament <strong>of</strong> their migrant<br />
situation. Using ethnographic field data, this paper argues that the diverse<br />
strategies that are mobilised in the production <strong>of</strong> sacred spaces are primarily<br />
a way <strong>of</strong> materialising and localising the divine. As well, by localising the<br />
gods, the migrants generate spaces <strong>of</strong> authorisation and authentication for<br />
themselves and their own unique practices and experiences <strong>of</strong> life away<br />
from home; by ma king the gods at home, they contest local spatial practices<br />
and make a home for themselves away from home.<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
43
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Freitag, 16. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Freitag, 16. September 2011<br />
9:15 bis 10:45 Uhr<br />
Que(e)rying Religionswissenschaft: Christentum und Homosexualitäts<br />
diskurse. Panel 1<br />
• Ludger Viefhues-Bailey: Verqueere Evangelikale<br />
Heterosexualität in den USA am Beispiel von „Focus on the<br />
Family“<br />
• Márcia Elisa Moser: Eine Frage des Wissens. Die christliche<br />
Homosexualitätsdebatte in Deutschland als religiöser<br />
Vergewisserungsdiskurs im Kontext des Säkularismus<br />
• Jürgen Kaufmann: Eine Frage des Geistes: Die Diskussion um<br />
die Zusammenhänge zwischen „Uranismus“ und Theosophie<br />
im Wissenschaftlich-Humanitären Komitee<br />
Ludger Viefhues-Bailey: Verqueere Evangelikale Heterosexualität in den<br />
USA am Beispiel von „Focus on the Family“<br />
Anhand einer rhetorischen Analyse von Texten der einflussreichen<br />
amerikanischen evangelikalen Medienorganization „Focus on the Familiy“<br />
vertrete ich die These, dass normative Evangelikale Sexualität selbst verqueer,<br />
d.h. instabil und von tiefliegenden Widersprüchen geprägt, ist.<br />
Erstens analysiere ich, welche nicht-normativen Körpergestalten in<br />
bestimmten rhetorischen Kontexten auftauchen. So finden wir dort, wo es um<br />
den drohenden Untergang der Amerikanischen Familie geht, die Figuren des<br />
aggressiv hypermaskulinen Schwulen und der männerfeindlichen lesbischen<br />
„Feminazi.“ Aber wenn (ehemalige) Homosexuelle von ihrer Hinwendung<br />
zu Christus und zu heterosexueller Normativität Zeugnis ablegen, tauchen<br />
die Gestalten des geschlechterdestabilisierten hypomaskulinen Schwulen<br />
und der missbrauchten Frau auf.<br />
44
Freitag, 16. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Zweitens zeige ich dass diese nicht-normativen Körper eine Instabilität in<br />
Evangelikaler Heterosexualität aufdecken. Denn wie viel Widerstand darf<br />
eine Evangelikale Frau aufbringen gegen einen Ehemann, der selbst normativ<br />
sexuell aggressiv sein muss, ohne dass sie zur Feminazi-Lesbe wird? Wie viel<br />
Aggression und wie viel Passivität ist vom Evangelikalen Mann gefordert?<br />
Was es heißt, als Evangelikaler Mann oder Frau zu leben, erfordert also ein<br />
permanentes Austarieren von weiblicher und männlicher Selbstbehauptung<br />
und Unterwerfung.<br />
Die nicht-normativen Körper des ersten Analyseschrittes stecken das Feld<br />
ab, in dem der Charakter instabiler Heterosexualität zur Aufführung gelangt.<br />
Sie überdecken und ermöglichen somit eine verqueere, weil instabile,<br />
normative Evangelikale Heterosexualität.<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Márcia Elisa Moser: Eine Frage des Wissens. Die christliche Homosexualitätsdebatte<br />
in Deutschland als religiöser Vergewisserungsdiskurs im Kontext<br />
des Säkularismus<br />
Dieser Vortrag nimmt seinen Ausgangspunkt in rezenten innerchristlichen<br />
Auseinandersetzungen um die Anerkennung bzw. Verwerfung von<br />
„Homosexualität“ in Deutschland. Diese Debatte lässt sich seit den<br />
1960er Jahren – nicht nur in Deutschland – quer durch die verschiedenen<br />
christlichen Kirchen und Gemeinschaften nachvollziehen. Fand sie<br />
zunächst ihren Niederschlag in verschiedenen <strong>of</strong>fiziellen Stellungnahmen<br />
und theologischen Aufsatzsammlungen, so findet sich heute zusätzlich eine<br />
ganze Bandbreite an Positionen und Diskussionen im Internet.<br />
Dabei spielen bei der Debatte um die Beurteilung Fragen der Definition<br />
von „Homosexualität“ eine zentrale Rolle. Zu deren Definierung beziehen<br />
sich die unterschiedlichen Debattenteilnehmer_innen auf verschiedene<br />
Wissensgrundlagen – wie die Bibel, Humanwissenschaften oder auch<br />
individuelle Erfahrungswerte – die in der Autorität ihrer Aussagen gegeneinander<br />
abgewogen und im Prozess der eigenen Urteilsbildung entweder integriert<br />
oder negiert werden. Die christliche Homosexualitätsdebatte erweist sich<br />
hier als Auseinandersetzung um die Autorisierung bzw. Disqualifizierung<br />
von Wissen. Mit dieser „Frage von Wissen“ verbindet sich jedoch nicht nur<br />
das Interesse „Homosexualität“ zu definieren und zu beurteilen; vielmehr<br />
spielen sich hier grundsätzliche Auseinandersetzungen um die Fundierung<br />
christlicher Selbstverständnisse im Kontext des Säkularismus ab.<br />
45
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Freitag, 16. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Jürgen Kaufmann: Eine Frage des Geistes: Die Diskussion um die Zusammenhänge<br />
zwischen „Uranismus“ und Theosophie im Wissenschaftlich-<br />
Humanitären Komitee<br />
In diesem Vortrag sollen die Konstellationen von Begriffen wie „Uranismus“,<br />
„Sexualanomalien“, „Theosophie“ und „Magie“ genealogisch analysiert<br />
werden, wie sie im Umkreis des Wissenschaftlich-Humanitären Komitees<br />
unter expliziter Ablehnung rein biologisch-medizinischer Erklärungen<br />
diskutiert wurden. Berücksichtigt werden soll dabei auch, welche<br />
Kontinuitäten zwischen den apologetischen und wissenschaftlichen<br />
Uranismus-Diskussionen und romantisch-naturphilosophischen und<br />
esoterischen Diskursen des späten 19. Jahrhunderts bestanden bzw. produziert<br />
wurden und wie im intertextuellen Rückgriff auf diese Geschlechter- und<br />
Wissensordnungen konfiguriert, transformiert, perpetuiert oder parodiert<br />
wurden. Es wird auch darauf eingegangen werden, welche Rolle imaginierte<br />
religiöse Traditionen und sexuelle Identitäten bei der Begründung von<br />
Autorschaft/Autorität in esoterischen Kontexten spielten: Durch die mit der<br />
Apologetik einhergehende Setzung einer epistemischen Differenz zwischen<br />
„medial Begabten“ und „nicht medial Begabten“ wird die soziale Beziehung<br />
zwischen verschiedenen Diskursteilnehmer/innen asymmetrisch strukturiert<br />
und axiologisch geordnet. In diesem Kontext soll die Vermutung diskutiert<br />
werden, dass die (theosophisch konnotierte) Uranismus-Diskussion in ihrer<br />
Breite tatsächlich gängige Geschlechternormen ihrer Zeit durchbrochen<br />
habe. Die alternative These, ob die Uranismus-Diskussion in letzter<br />
Konsequenz nicht doch binäre Vorstellungen von geschlechtlicher und<br />
sexueller Identität befördert habe, soll gleichfalls zur Sprache kommen.<br />
Religionsgeschichte des Orients als Religionswissenschaft<br />
• Kai Merten: Die Behandlung von Apostaten im Osmanischen<br />
Reich aus Sicht der Religionswissenschaft<br />
• Bärbel Beinhauer-Köhler: Religion und Alltag:<br />
Religionswissenschaftliche Rekonstruktion eines arabischen<br />
Quellentexts aus dem 12. Jh.<br />
46
Freitag, 16. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
• Manfred Hutter: Notwendigkeit und Vorteile<br />
religionswissenschaftlicher Reflexion und Rekonstruktion<br />
untergegangener Religionen: Am Beispiel der<br />
Religionsgeschichte der Hethiter im 14./13. Jh. v. Chr.<br />
Kai Merten: Die Behandlung von Apostaten im Osmanischen Reich aus<br />
Sicht der Religionswissenschaft<br />
Die Religionsgeschichte lässt sich besonders sinnvoll aus<br />
religionswissenschaftlicher Perspektive rekonstruieren; denn die Religion<br />
ist mehr als nur „Gegenstand“ einer „Darstellung“. Vielmehr beeinflusst<br />
die Weltanschauung von Forschenden sowohl Fragestellungen als auch<br />
Antworten. Die Frage der Behandlung von Apostaten im Islam kann dafür<br />
als ein gutes Beispiel dienen. Rechtstheoretische Abhandlungen, die die<br />
diesbezüglichen Normen des Umgangs mit Apostaten beschreiben, gibt es<br />
einige. Sie unterscheiden sich kaum in ihren Inhalten.<br />
Kommt man jedoch zur Untersuchung der konkreten Fälle von Apostasie im<br />
Osmanischen Reich, zeigt sich, dass Wissenschaftler islamischer Prägung<br />
ihre eigene religiöse Tradition auch in ihrer Forschung nicht verleugnen<br />
können, so dass ihre Ausführungen apologetischen Charakter zu haben<br />
scheinen und dass bestimmte Fragestellungen, die sich dem Forscher<br />
christlich-abendländischer Provenienz aufdrängen, überhaupt nicht im<br />
Blick liegen. Dies lässt sich u. a. am Aufsatz von Selim Deringil „There Is No<br />
Compulsion in Religion. On Conversion and Apostasy in the Late Ottoman<br />
Empire 1839–1856” (Comparative Studies in Society and History, Bd. 42/3,<br />
Cambridge 2000, S. 547–575) nachweisen.<br />
Ins<strong>of</strong>ern ist für einen wissenschaftlich redlichen Zugang zu einer im<br />
religiösen Sinne höchst brisanten Thematik wie der Apostasie im Islam<br />
ein religionswissenschaftlicher Ansatz unabdingbar, der die Rolle der<br />
Religion sowohl in der Sache als auch bezogen auf eine Selbstreflexion der<br />
Forschenden berücksichtigt. Nur so gelangt man zu Ergebnissen, die dann<br />
auch hermeneutisch auswertbar sind.<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
47
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Freitag, 16. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Bärbel Beinhauer-Köhler: Religion und Alltag: Religionswissenschaftliche<br />
Rekonstruktion eines arabischen Quellentexts aus dem 12. Jh.<br />
Wissenschaft zeichnet sich durch ein reflektiertes Fragen und entsprechenden<br />
Umgang mit Materialbeständen aus. Das arabische „Kitab al-I‘tibar“ („Buch<br />
der Betrachtungsweisen“) des syrischen Ritters Usama ibn Munqidh (12.Jh.)<br />
stellt, als solches der literarischen Gattung Adab zugehörig, inhaltlich breites,<br />
als Anekdoten präsentiertes Material vor. Es bietet kulturgeschichtliche<br />
Einblicke in Kriegszüge gegen die Franken, Feste, Familienleben,<br />
Genderdiskurse und – Religion.<br />
Der reflektierte Prozess der Auswahl und Analyse von Textausschnitten über<br />
Gebetssituationen Usamas im Alltag soll einer Reflexion darüber dienen, was<br />
religionshistorische bzw. religionswissenschaftliche Zugänge zu dieser Quelle<br />
von islamwissenschaftlichen, theologischen oder kulturwissenschaftlichen<br />
unterscheiden können. Religionsgeschichte erweist sich dabei als in einem<br />
breiten Kontext religionswissenschaftlicher Fachdiskurse eingebettet, in dem<br />
sich spezielle Fragestellungen konkretisieren.<br />
Manfred Hutter: Notwendigkeit und Vorteile religionswissenschaftlicher<br />
Reflexion und Rekonstruktion untergegangener Religionen: Am Beispiel<br />
der Religionsgeschichte der Hethiter im 14./13. Jh. v. Chr.<br />
48<br />
Bei den DVRW-Tagungen in den Jahren 1991 bzw. 2007 habe ich jeweils<br />
einen Vortrag aus dem Bereich der hethitischen Religionswelt gehalten;<br />
wenn ich nichts übersehen habe, waren dies die beiden einzigen Vorträge im<br />
Rahmen der DVRW-Tagungen der beiden letzten Jahrzehnte zu Religionen<br />
Kleinasiens. Monographische Behandlungen dieser Religionswelt stammen<br />
von Volkert Haas (1994; 2011), Maciej Popko (1995), Irene Tatishvili (2004)<br />
und Piotr Taracha (2009), die philologisch ausgerichtet eine Fülle von<br />
Informationen über Quellen zur hethitischen Religion bieten.<br />
Dieses kurze Forschungsszenario macht deutlich: Offensichtlich spielt in der<br />
aktuellen religionswissenschaftlichen Diskussion diese antike Religionswelt<br />
Kleinasiens keine relevante Rolle. Folgende Fragen möchte ich daher im Vortrag<br />
behandeln: Wie können religionswissenschaftliche Forschungsansätze<br />
auch für antike regionale Religionsgeschichte fruchtbar gemacht machen?<br />
Wo liegt der „Mehrwert“ einer religionswissenschaftlichen Darstellung<br />
der geschichtlichen Entwicklungen der „Religion(en) im Hethiterreich“
Freitag, 16. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
gegenüber primär philologisch ausgerichteten Forschungsarbeiten? Wie<br />
weit ermöglichen religionssystematische Fragestellungen ein besseres<br />
Verständnis für eine untergegangene Religion? Dies führt zur abschließenden<br />
Überlegung, ob die „Auslagerung“ von Religionsgeschichte in zuständige<br />
„Fachphilologien“ mit dem „Verzicht“ auf Religionsgeschichte innerhalb der<br />
Religionswissenschaft letztlich nicht dazu beiträgt, Religionswissenschaft<br />
als eigenständiges Fach überflüssig zu machen.<br />
Michael Stausberg, Universität Bergen<br />
Hinein in den Aufwind: In Religionswissenschaft einführen<br />
• Christoph Bochinger, Bayreuth<br />
• Sven Bretfeld, Bochum<br />
• Dirk Johannsen & Anja Kirsch, Basel<br />
• Gritt Klinkhammer, Bremen<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Making Histories. Europäische Religionsgeschichten als Teil der Religionswissenschaft<br />
• Daniel Eißner: Making Histories. Vorstellung und Einführung<br />
• Katharina Neef: Making Histories. Programmatik<br />
• Jeannine Kunert: Making Histories. Kommunikationsräume<br />
• Vanessza Heiland/Dirk Schuster: Making Histories.<br />
Säkularität<br />
• Thomas Hase: Making Histories. Religiöser<br />
Nonkonformismus<br />
Daniel Eißner: Making Histories. Vorstellung und Einführung<br />
Das Eingangsreferat thematisiert geisteswissenschaftliche Gruppenarbeit.<br />
Entgegen der gerne zur Schau getragenen Wehr, dass diese anders als<br />
in der Naturwissenschaft in der forschungsindividuell strukturierten<br />
49
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Freitag, 16. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Geisteswissenschaft nicht möglich sei, die sich auch gern in Unverständnis von<br />
Seiten der Kollegen äußert, entstand das Panel dezidiert als Gruppenarbeit.<br />
Es wird von Problemen und Chancen berichtet.<br />
Katharina Neef: Making Histories. Programmatik<br />
Dies Referat bildet das Herzstück des Panels: die Positionierung zur<br />
Beschäftigung mit religionsgeschichtlichen Phänomenen im europäischen<br />
Raum und ein Angebot zur adäquaten methodischen Erfassung.<br />
Jeannine Kunert: Making Histories. Kommunikationsräume<br />
Hier nun werden der/m geneigten Hörer/in die Möglichkeiten europäischer<br />
Religionsgeschichtsforschung anhand einiger biografischer und Fallbeispiele<br />
nahegebracht. Dabei erschließen sich teilweise enorme Räume, die weder<br />
an geografischen noch politischen noch sozialen Grenzen Halt machen.<br />
Thomas Hase: Making Histories. Religiöser Nonkonformismus<br />
Dass Europäische Religionsgeschichte nicht im Sammeln von historischen<br />
Fakten stehen bleibt, sondern in der Synthese voranschreitet, zeigt das<br />
Beispiel des religiösen Nonkonformismus, der mit jeder historischen<br />
Religion einhergeht. Gibt es genuine Merkmale oder Tendenzen hierzu im<br />
europäischen Material?<br />
Vanessza Heiland/Dirk Schuster: Making Histories. Säkularität<br />
50<br />
Religionsgeschichte kann sich neben Fallbeispielen und Biografien<br />
auch auf größere Zusammenhänge erstrecken: Das Verhältnis zwischen<br />
Religion(sgemeinschaft)en und Staaten, besonders auf Einflussstrecken<br />
mittlerer Weite, mag als sehr gut zu veranschaulichendes Beispiel dienen.
Freitag, 16. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
11:15 bis 12:45 Uhr<br />
Que(e)rying Religionswissenschaft: Christentum und Homosexualitätsdiskurse.<br />
Panel 2<br />
• Adrian Hermann: Religion und soziale Ungleichheit:<br />
Zur Inklusion und Exklusion von Homosexualität im<br />
gegenwärtigen religiösen Feld Brasiliens<br />
• Marita Günther-Saeed: Gendercodierte Ordnungen:<br />
„Feministische Spiritualität“ als Herausforderung für die<br />
Religionswissenschaft<br />
• Marcus Held: Phänomenologische Hermeneutiken<br />
des Körpers – Herausforderungen für die<br />
Religionswissenschaften!?<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Adrian Hermann: Religion und soziale Ungleichheit: Zur Inklusion und Exklusion<br />
von Homosexualität im gegenwärtigen religiösen Feld Brasiliens<br />
Der Vortrag steht im Kontext eines geplanten Forschungsprojekts zu<br />
transgressiven Gender-Praktiken und Sexualitäten in mehrheitlich<br />
buddhistisch oder christlich geprägten Kontexten und präsentiert erste<br />
Überlegungen zur Inklusion und Exklusion von Homosexualität in afrobrasilianischen<br />
sowie pentekostalen/evangelikalen Diskursen in der rezenten<br />
Religionsgeschichte Brasiliens. Die gegenwärtige Forschung hat hier für das<br />
religiöse Feld eine große Bandbreite von Einstellungen herausgearbeitet:<br />
Während Homosexualität in konservativen evangelikalen und pentekostalen<br />
Diskursen als Sünde abgelehnt wird, finden sich etwa im Kontext afrobrasilianischer<br />
Religionen verschiedene Möglichkeiten ihrer Inklusion.<br />
Gleichzeitig brechen Entwicklungen der letzten zwei Jahrzehnte diese<br />
einseitige Gegenüberstellung auf, indem eine Reihe von inklusivistischen<br />
christlichen Kirchen (igrejas inclusivas) entstanden sind, die im pluralistischen<br />
religiösen Feld Brasiliens neue Räume eröffnen. Orientiert an einer<br />
systemtheoretischen Perspektive auf Inklusion/Exklusion erscheint Religion<br />
somit zwar einerseits – wie besonders in der Pentekostalismusforschung breit<br />
diskutiert – als ein Ort, an dem weiten Teilen der aus vielen Bereichen der<br />
Gesellschaft Ausgeschlossenen eine Möglichkeit auf Inklusion eröffnet wird.<br />
51
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Freitag, 16. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Gleichzeitig schafft Religion so aber auch ihre eigenen, religiös begründeten<br />
Exklusionsmuster. Der Vortrag geht somit der Frage nach, auf welche Weise<br />
soziale Ungleichheiten im Kontext des religiösen Feldes in Brasilien nicht<br />
nur überwunden, sondern auch hervorgebracht und legitimiert werden, und<br />
was dies im Kontext einer primär funktional differenzierten Weltgesellschaft<br />
bedeutet.<br />
Marita Günther-Saeed: Gendercodierte Ordnungen: „Feministische Spiritualität“<br />
als Herausforderung für die Religionswissenschaft<br />
Eine „Popularisierung“ der Religionswissenschaft lässt sich mit<br />
weltweiten Entwicklungen in Zusammenhang bringen, die erneut zu<br />
Säkularisierungsdebatten sowie der Diagnose einer Verstärkung neuer,<br />
„mobilerer“ Formen von Religiosität geführt haben, die mit Begriffen<br />
wie „Spiritualität“ oder „populäre Religionen“ (Knoblauch) beschrieben<br />
werden. Inwieweit damit eine Veränderung von Geschlechterordnungen<br />
und Zuschreibungen „weiblicher“ Eigenschaften einhergeht, wäre<br />
bereits eine erste Frage religionswissenschaftlicher Genderforschung.<br />
Ins<strong>of</strong>ern diese sich feministischer Erkenntniskritik verpflichtet, stellt sie<br />
sich fernerhin die Aufgabe, Widersprüche zwischen Legitimations- und<br />
Praxiszusammenhängen sowie Repräsentationen über Geschlechter in<br />
religiösen oder sich als „spirituell“ bezeichnende Bewegungen <strong>of</strong>fenzulegen,<br />
um deren soziale Folgen aufdecken zu können.<br />
Ausgehend von der Annahme, dass religiöse Identitäten wie geschlechtliche<br />
Positionen ebenso mehrdimensional wie instabil sind, geraten diejenigen<br />
Vermittlungsformen und Aushandlungsprozesse in den Mittelpunkt<br />
des Interesses, welche eine vermeintliche Eindeutigkeit herstellen. Der<br />
Vortrag wird diese Themen an Beispielen Feministischer Spiritualität<br />
problematisieren. Entwürfe von Geschlecht und Religion bzw. „Spiritualität“<br />
sind direkt nach ihrem Verständnis von „Wissen“ (z.B. über Geschlechter)<br />
und seiner Vermittlung zu befragen. Positionieren diese ihr „Wissen“ in<br />
Konkurrenz zu „säkularen“ Formen wie der Wissenschaft – und wie verhält<br />
sich oder sollte sich die Religionswissenschaft dazu verhalten?<br />
52
Freitag, 16. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Marcus Held: Phänomenologische Hermeneutiken des Körpers – Herausforderungen<br />
für die Religionswissenschaften!?<br />
Eine merkwürdige Gebrochenheit gegenüber dem Körper und dem Leib<br />
kennzeichnet immer noch viele Religionen und Kulturen. Die Gender/Queer-<br />
Theorien haben dabei zwar einen wichtigen aufklärerischen Beitrag geleistet,<br />
um die duale Strukturierung von Geschlecht als Beherrschungsstrategie zu<br />
beschreiben und deren Durchbrechung zu ermöglichen, sowie anhand<br />
der Multiplizität von Geschlechterstrategien eine Unterbrechung von<br />
Herrschaftsrelationen thematisiert (Lindemann et al. 1994). Aber in den<br />
angestoßenen Diskussionen und Kontroversen wurden innerhalb der<br />
Abgrenzungskämpfe der Körper und die Leiblichkeit als Grundbedingungen<br />
des Mensch-sein-können vernachlässigt (Lindemann 1993 & 2009). Der<br />
„klassische“ zeichen-, text- und diskurstheoretische Methodenkatalog<br />
der Gender/Queer-Theorien erfährt zunehmend eine Anreicherung<br />
durch poststrukturalistische, materialistische, phänomenologische<br />
Argumentationen. Diese neuen Ansätze haben zum einen die Aufnahme der<br />
physischen Dimensionen von Geschlechtskörpern, Körper-Subjektivitäten<br />
und materiellen Verhältnissen auf die Forschungsagenda mitbedingt. Zum<br />
anderen gehen von ihnen Anregungen zur Befragung der allfälligen Begriffe<br />
von Subjekt und Körper, Kultur und Natur, Handlung und Struktur aus (Engel<br />
2008).<br />
Der Beitrag fokussiert auf die Frage von Körper/Leib und möchte dabei<br />
Impulse der phänomenologischen Forschung zum Thema Gender/Queer-<br />
Theorien auf das religionswissenschaftliche Tableau bringen.<br />
Die Aufhellung der Bestimmung und Bedeutung von Körper und Leiblichkeit<br />
in religiösen Vollzügen als Beitrag zur Hermeneutik des Mensch-seinkönnen<br />
leistet eine wichtige Ergänzung zur bisherigen Forschung.<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Gründungspanel Arbeitskreis Islam<br />
• Patrick Franke: Islampolitik - Genese und Ausdifferenzierung<br />
eines Politikfeldes in Deutschland<br />
• Paula Schrode: Islam als soziale Realität - Islam als<br />
Forschungsgegenstand<br />
53
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Freitag, 16. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
• Johanna Pink: Das islamische 19. Jahrhundert. Kontinuität<br />
oder Neuerfindung religiöser Reform?<br />
• Tilmann Hannemann: Prophetentum und Verwandtschaft im<br />
frühislamischen tribalen und religiösen Kontext<br />
• Catherina Wenzel: Die Opferung des Sohnes Reloaded.<br />
Spuren typologischer Auslegung von Gen 22 im Koran<br />
Patrick Franke: Islampolitik - Genese und Ausdifferenzierung eines Politikfeldes<br />
in Deutschland<br />
Der Vortrag geht von der Hypothese aus, dass Islampolitik in Deutschland<br />
heute ein eigenes Politikfeld darstellt, das sich immer weiter ausdifferenziert<br />
und an dem eine zunehmende Zahl von politischen Akteuren beteiligt<br />
ist. Die im Jahre 2006 geschaffene Islamkonferenz stellt einen mehr oder<br />
weniger geglückten Versuch dar, dieses Politikfeld bundesweit neu zu<br />
ordnen. Im Sinne einer historischen Politikfeldanalyse versucht der Vortrag,<br />
die Entwicklung der deutschen Islampolitik in ihren verschiedenen Phasen<br />
aufzuzeigen.<br />
Paula Schrode: Islam als soziale Realität - Islam als Forschungsgegenstand<br />
Angesichts einer Vielfalt islamischer Lebensformen, Identitäten,<br />
Rechtsauslegungen und ritueller Praktiken stellt sich jeder Islamforschung<br />
die Frage, was überhaupt sinnvoll als „Islam“ bezeichnet werden kann.<br />
Seit einiger Zeit wird dieser Schwierigkeit auch in populären Islamdebatten<br />
zunehmend dadurch begegnet, dass man „Islam“ als Kristallisationspunkt<br />
öffentlicher Auseinandersetzungen aufzulösen versucht, indem man<br />
daran erinnert, „den Islam“ gebe es nicht. Welche Ansätze bietet hier<br />
die Religionswissenschaft? Inwiefern kann Islam überhaupt ein exakt<br />
umreißbarer Gegenstand eines wissenschaftlichen Erkenntnisinteresses<br />
sein? Dieser Beitrag möchte zeigen, wie sich hier der Ansatz von Talal Asad<br />
(1986), Islam als „diskursive Tradition“ zu fassen, fruchtbar machen lässt.<br />
54
Freitag, 16. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Insbesondere wird dafür plädiert, eine Beschreibung religiöser Diskurse<br />
stets mit Analysen der Strukturen von Legitimität, Autorität, Orthodoxie und<br />
Macht zu verbinden.<br />
Johanna Pink: Das islamische 19. Jahrhundert. Kontinuität oder Neuerfindung<br />
religiöser Reform?<br />
Der Vortrag beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit im 19. Jahrhundert<br />
Reformideen, die gemeinhein als Reaktion auf westliche Dominanz<br />
gedeutet werden (insbesondere die sogenannte Salafiyya) auf frühere<br />
Reformbewegungen zurückgriffen und deren Ideen umdeuteten, und<br />
mit welchen Mitteln sich eine solche These be- oder widerlegen ließe.<br />
Tatsächlich ist das intellektuelle Klima das 19. Jahrhundert trotz der breiten<br />
Debatte um Reformbewegungen im 18. Jahrhundert schlecht erforscht;<br />
wir wissen wenig über die Curricula und die Ideen, die unter Gelehrten<br />
kursierten, und der Bildungshintergrund führender Vertreter der Salafiyya<br />
ist weitgehend unbekannt. Vor diesem Hintergrund wird der Vortrag einen<br />
Zwischenbefund vorstellen und weiterführende Wege anbieten, um das 19.<br />
Jahrhundert, das möglicherweise für die Ausbreitung reformatorischer Ideen<br />
in der islamischen Welt zentral war, besser zu verstehen.<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Tilmann Hannemann: Prophetentum und Verwandtschaft im frühislamischen<br />
tribalen und religiösen Kontext<br />
Die Ausübung religiöser Funktionen (Priester, Wahrsager, Propheten usw.)<br />
war in tribalen Gesellschaften des Vorderen Orients in der Regel mit der<br />
Zugehörigkeit zu entsprechenden Verwandtschaftsgruppen gebunden. Damit<br />
spielt die Frage nach den Modi der Anwendung – wie auch der Durchbrechung<br />
– des genealogischen Prinzips, demzufolge der Transfer religiöser Autorität<br />
auf die Lineage beschränkt bleiben soll, für die Untersuchung der antiken<br />
Religionsgeschichte eine zentrale Rolle. Die Zugehörigkeit zu einer<br />
prophetischen Abstammungsgruppe garantiert nicht den Erfolg als Prophet/<br />
in; weitere Faktoren sind für ein „effektives“ Prophetentum notwendig.<br />
In neueren Forschungen zum frühen Islam (Powers 2009) wird auf die<br />
55
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Freitag, 16. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Bedeutung der spezifischen verwandtschaftlichen und religionspolitischen<br />
Konstellationen um Muhammad – insbes. die abrahamitische Genealogie,<br />
die Verstoßung des Adoptivsohns Zaid und das „Siegel der Propheten“ (Q<br />
33:40) – hinsichtlich der Legitimation der göttlichen Sendung verwiesen.<br />
Unter Hinzuziehung von Erkenntnissen über Autoritätsbildungsprozesse<br />
in tribalen Gesellschaften untersucht dieser Beitrag die Relevanz dieser<br />
historischen Situation für religionswissenschaftliche Fragestellungen.<br />
Catherina Wenzel: Die Opferung des Sohnes Reloaded. Spuren typologischer<br />
Auslegung von Gen 22 im Koran<br />
Meinen Panel-Beitrag habe ich deswegen mit ‚Die Opferung des Sohnes<br />
reloaded’ überschrieben, weil sich wegen der Diskussionen um den Koran,<br />
wie sie in den letzten Jahren, insbesondere von Angelika Neuwirth (Der<br />
Koran als Text der Spätantike) geführt worden sind, die Fragestellungen und<br />
Umgangsweisen mit dem Koran deutlich verändert haben. Ich möchte dies<br />
hier am klassischen Beispiel der Opferungsgeschichte in Gen 22 und ihrer<br />
Rezeption bis zu Sure 37,99-113 im Koran zeigen, wobei die exegetische<br />
Methode der Typologie eine besondere Rolle spielt. Dabei ergeben sich<br />
(1. These) in Sure 37 Reminiszenzen einer Christustypologie, die den<br />
namenlosen Sohn (Isaak oder Ismael) charakterisieren, als auch (2. These)<br />
eine überraschend neue Sicht auf die nicht stattgefundene Kreuzigung des<br />
geliebten Sohnes in Sure 4,157, die womöglich weniger auf gnostische<br />
Einflüsse als vielmehr auf eine Isaakisierung des Sohnesopfers in jüdischen<br />
und christlichen Traditionen zurückzuführen ist.<br />
Mediated and Aesthetic Presentations <strong>of</strong> the Teachings <strong>of</strong> Christian-<br />
Oriented Organizations in the United States<br />
• Sebastian Emling: “Have fun and Prepare to Believe” –<br />
Experiencing Religion at the Creation Museum<br />
• Anthony Santoro: Houses <strong>of</strong> Play, Houses <strong>of</strong> Spectacle:<br />
Pr<strong>of</strong>essional Football and the Creation, Mediation and<br />
Branding <strong>of</strong> Sacred Space<br />
56
Freitag, 16. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
• Katja Rakow: „It’s not about Jesus in your mind, it’s<br />
about Jesus in your heart.“ Multi-sensory worship at the<br />
megachurch<br />
• Respondents: Christoph Uehlinger, Inken Prohl<br />
Sebastian Emling: “Have fun and Prepare to Believe” – Experiencing Religion<br />
at the Creation Museum<br />
About 10 miles west <strong>of</strong> Cincinnati/Northern Kentucky International Airport,<br />
right besides the busiest north-south connection <strong>of</strong> the US (interstates<br />
71/75) Adam and Eve have found a new home. One <strong>of</strong> the most influential<br />
apologetic organizations <strong>of</strong> the world, Answers in Genesis (AiG), has built<br />
the 70,000 square foot Creation Museum in Petersburg, Kentucky. Not only<br />
is this theme park a major employer and tourist-attraction <strong>of</strong> the tristate-area<br />
but it is a striking example <strong>of</strong> the “selective modernity” (Hochgeschwender)<br />
<strong>of</strong> highly conservative religious organizations and the presentation <strong>of</strong> their<br />
religious teachings through material objects. Mediating religious teachings<br />
by addressing the senses <strong>of</strong> their visitors is the self-proclaimed central aim<br />
<strong>of</strong> Ken Ham (CEO <strong>of</strong> the museum) and his crew whose 35-million-dollar<br />
investment is designed for experiencing Christian teachings with every fiber<br />
<strong>of</strong> one’s body.<br />
This presentation will <strong>of</strong>fer a “guided tour” through the Creation Museum<br />
and is based on fieldwork that was conducted in February <strong>of</strong> 2011. It will<br />
focus on AiG’s mediation <strong>of</strong> religious teachings which heavily relies on<br />
addressing the senses <strong>of</strong> the museum’s visitors. It therefore emphasizes the<br />
importance <strong>of</strong> analyzing the material and experiential aspects <strong>of</strong> religious<br />
practices.<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Anthony Santoro: Houses <strong>of</strong> Play, Houses <strong>of</strong> Spectacle: Pr<strong>of</strong>essional Football<br />
and the Creation, Mediation and Branding <strong>of</strong> Sacred Space<br />
One <strong>of</strong> the considerations in treating sport as religious in its creation <strong>of</strong> a<br />
sacred space, bounded both physically and temporally. Signs and signals<br />
communicate to participants when solemnity is required and when they<br />
should be receptive to an awe-inspiring relic or commemoration. There are<br />
57
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Freitag, 16. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
a number <strong>of</strong> visual and material cues to meaning—present and historical—<br />
some that are obvious, others that require a specialist’s interpretation.<br />
Buildings in particular are carriers <strong>of</strong> these meaning, given their multifaceted<br />
ability to structure and limit space, as well as the seemingly endless<br />
ways they can incorporate material elements <strong>of</strong> tradition and history.<br />
These structures are sites <strong>of</strong> pilgrimage, ritual and sacred community and<br />
ceremony; they are also repositories <strong>of</strong> particular histories, traditions and<br />
memories, which they both select for and situate and display.<br />
This paper will analyze five buildings—the Pr<strong>of</strong>essional Football Hall <strong>of</strong><br />
Fame in Canton, Ohio and four NFL stadiums—to investigate how their<br />
construction and design creates and houses memories and eases the selective<br />
integration and re-dedication <strong>of</strong> tradition and history. This paper will break<br />
down the visual signals and carriers <strong>of</strong> meaning and tradition to see how<br />
they brand the space contained within as a uniquely sacred space.<br />
Katja Rakow: „It’s not about Jesus in your mind, it’s about Jesus in your<br />
heart.“ Multi-sensory worship at the megachurch<br />
Beginning in the 19th century, religious organizations established themselves<br />
as a part <strong>of</strong> a “commercial culture” with a diversified production <strong>of</strong><br />
religious commodities. In contemporary societies religious institutions exert<br />
their influence via inventive contributions into the market (Moore 1994).<br />
Religious spokespersons and institutions employ competitive devices such<br />
as advertising, branding and publicity as well as new technologies and<br />
entertainment formats usually used by other merchants and suppliers <strong>of</strong><br />
consumer goods. Those market-oriented practices include the identification<br />
<strong>of</strong> target audiences and the quest for appealing to consumer tastes in<br />
changing and repackaging the product. Moreover, religious institutions do<br />
not only compete with one another, they are in competition with the leisure<br />
and entertainment industries as well.<br />
With regard to those theoretically oriented considerations, the paper<br />
analyzes the worship styles <strong>of</strong>fered by two megachurches in Houston, Texas,<br />
and their quest to meet consumer needs. The paper will argue that the multisensory<br />
worship service at the megachurch not only involves the thoughts<br />
and intellect <strong>of</strong> worship attendees but their bodies, emotions and senses,<br />
too. Here, praise and worship music performances supported by audio-<br />
58
Freitag, 16. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
visual technologies are not mere ornamentation but at the center <strong>of</strong> the<br />
service and an important medium to convey the message.<br />
Jörg Rüpke, Erfurt<br />
Review Panel „Kritik religionswissenschaftlicher Vernunft“<br />
(B. Horyna)<br />
• Jörg Rüpke, Erfurt (Moderator)<br />
• Wanda Alberts, Bergen<br />
• Bärbel Beinhauer-Köhler, Marburg<br />
• Hubert Seiwert, Leipzig<br />
• Bretislav Horyna, Brno (Autor)<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
14:15 bis 15:45 Uhr<br />
„Projekt Religionsästhetik: Debatten, Positionen, Ergebnisse“ Werkstatt-Panel<br />
des Arbeitskreises Religionsästhetik der DVRW<br />
• Alexandra Grieser: Methode, Perspektive, neues Paradigma?<br />
– Ästhetik als konnektives Konzept der Religionsforschung<br />
• Katharina Wilkens: Den Koran trinken, die Madonna<br />
schlucken. Religionsästhetische Überlegungen zur<br />
Einverleibung von Heiliger Schrift und Gnadenbild<br />
• Weitere Mitglieder des Arbeitskreises Religionsästhetik:<br />
Kathrin Baumstark (Mami Wata), Carina Brankovic/<br />
Katja Rakow/Simone Heidbrink (Ausstellung „Kraftwerk<br />
Religion“), Annette Wilke („Sound and communication. An<br />
aesthetic cultural history <strong>of</strong> Sanskrit Hinduism“), Jens Kugele<br />
(Musealität), Anne Koch (Körperpraktiken), Sebastian Schüler<br />
(Efferveszenz), u.a.<br />
59
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Freitag, 16. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Alexandra Grieser: Methode, Perspektive, neues Paradigma? – Ästhetik als<br />
konnektives Konzept der Religionsforschung<br />
Seit Ende der 1980er Jahre in der deutschen Religionswissenschaft<br />
das Projekt Religionsästhetik hervorgebracht wurde, wird über dessen<br />
Reichweite und Rolle innerhalb der Religionswissenschaft diskutiert.<br />
Seitdem sind Diskussionen aus anderen Disziplinen und anderen<br />
nationalen Traditionen hinzugekommen, so dass ein breites thematisches<br />
und methodisches Spektrum entstanden ist. Als heuristische Perspektive<br />
hat die Religionsästhetik neue Gegenstandsbereiche und neue Blicke auf<br />
Quellen und Daten hervorgebracht. Als methodologische Perspektive hat sie<br />
Desiderate und missing links aufgezeigt und Antworten darauf entwickelt. Und<br />
als theoretische Perspektive wird an Kategorien und Beschreibungssprache<br />
gearbeitet, die neue Erklärungszusammenhänge aufzeigen.<br />
Ausgegangen von der Kritik am Textzentrismus und fokussierend auf<br />
sinnliche Wahrnehmung und Körperlichkeit in religiöser Praxis erweist sich<br />
Ästhetik als ein Konzept mit Brückenfunktion: Nicht Wahrnehmung und<br />
Sinnlichkeit allein, sondern gerade die Verbindung zwischen Religions- und<br />
Ästhetikgeschichte, zwischen Körper und kulturellem System, zwischen<br />
cognition and culture machen den Begriff zu einem konnektiven Konzept<br />
zur Beschreibung religiöser Praktiken, für den methodischen Vergleich<br />
und für die Analyse religiösen Wandels. An einer „Ästhetik des Wissens“<br />
wird dieses verbindende Potential der Religionsästhetik durchgespielt: wie<br />
religiöses Wissen ästhetisch begründet und gesichert wird, wie vergleichende<br />
Perspektiven möglich werden und wie die Ästhetisierung von Wissen in der<br />
Moderne zwischen religiöser und wissenschaftlicher Ästhetik changiert.<br />
60<br />
Katharina Wilkens: Den Koran trinken, die Madonna schlucken. Religionsästhetische<br />
Überlegungen zur Einverleibung von Heiliger Schrift und Gnadenbild<br />
Der Koran als Wort Gottes hat segnende und heilende Kraft. Diese Feststellung<br />
ist in der islamischen Welt universal und wird von einer entsprechenden<br />
Praxis begleitet: Koranverse werden nicht nur als Amulette am Körper<br />
getragen, sondern auch als Medikament getrunken. Die Tinte, mit der die<br />
heiligen Worte geschrieben wurden, wird abgewaschen, die Lösung wird
Freitag, 16. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
in ein Fläschchen abgefüllt und dem Patienten zur mehrmaligen Einnahme<br />
verabreicht. Diese unmittelbare Einverleibung von göttlicher Segenskraft<br />
bietet dem religionsästhetischen Forscher reiches Material. Wie steht es um<br />
die konkrete Verbindung zwischen heiligen Worten und der Materie der Tinte?<br />
Welche Wirkung im Heilungsprozess hat ein kleines Stück beschriebenes<br />
Papier? Wie kann man emisch und wissenschaftstheoretisch die Verbindung<br />
zwischen dem Wort Gottes und dem eigenen Körper interpretieren? Nicht<br />
ganz unähnlich ist die Praxis im katholischen Deutschland bis in 20.<br />
Jahrhundert hinein, sogenannte „Schluckbildchen“ (briefmarkengroße<br />
Abbildungen der Mutter Gottes) an Wallfahrtsorten in großen Druckbögen<br />
zu erwerben, damit das Gnadenbild zu berühren und dann als Medikament<br />
zuhause in Brot gesteckt einzunehmen. Anhand dieser Beispiele soll die<br />
methodologische Neuverortung der Religionsästhetik exemplarisch diskutiert<br />
werden und gezeigt werden, wie sowohl der historische Vergleich, die<br />
Erschließung der religiösen Praxis und das Verständnis religiöser Medialität<br />
von religionsästhetischer Perspektive pr<strong>of</strong>itiert.<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Integration methodischer Pluralität – Aufwind für die Religionswissenschaft?<br />
• Karsten Lehmann: Von Rezeption und Adaption - zum<br />
methodischen Programm der kulturwissenschaftlichen<br />
Wende<br />
• Oliver Freiberger: Der Vergleich – eine „Methode“ der<br />
Religionswissenschaft?<br />
• Ilinca Tanaseanu-Döbler/Marvin Döbler: Interpretation<br />
religiöser Quellentexte<br />
• Verena Maske: Teilnehmende Beobachtung in der<br />
Religionswissenschaft – Königsdisziplin oder marginalisierte<br />
Methode. Eine Reflexion über die Potentiale von<br />
Beobachtungsverfahren am Beispiel einer Studie zur<br />
Muslimischen Jugend in Deutschland e.V. (MJD)<br />
• Stefan Kurth: Narrativ fundierte Interviews und die<br />
Erforschung individueller Religiosität<br />
61
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Freitag, 16. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Karsten Lehmann: Von Rezeption und Adaption - zum methodischen Programm<br />
der kulturwissenschaftlichen Wende<br />
Die sog. „kulturwissenschaftliche Wende“ der 1970er und 1980er Jahre<br />
hat zu einer grundsätzlichen Neuorientierung der deutschsprachigen<br />
Religionswissenschaft geführt. Eine Neuorientierung, die der<br />
religionswissenschaftlichen Forschung bis in die Gegenwart als zentraler<br />
Referenzrahmen dient.<br />
Der hier vorgestellte Beitrag legt das Augenmerk auf das methodische<br />
Programm, welches der kulturwissenschaftlichen Wende zugrunde liegt.<br />
Im Mittelpunkt stehen dabei zwei Thesen: (1) Die „kulturwissenschaftliche<br />
Wende“ hat in der Religionswissenschaft zu einer intensiven Rezeption der<br />
Methoden benachbarter Disziplinen geführt. (2) Dieser Rezeption muss nun<br />
ein weiterer Schritt folgen – eine Adaption auf religionswissenschaftliche<br />
Gegenstände, Fragestellungen und Forschungsziele.<br />
Die wissenschaftshistorischen Grundlagen dieses Prozesses sollen zunächst<br />
expliziert und dann seine Probleme und Potentiale anhand einiger Beispiele<br />
aus der aktuellen Forschung diskutiert werden.<br />
Oliver Freiberger: Der Vergleich – eine „Methode“ der Religionswissenschaft?<br />
Oft ist der Religionsvergleich als eine zentrale Methode der<br />
Religionswissenschaft bezeichnet worden, und in der Tat ist das Fach ohne<br />
die vergleichende Perspektive nicht denkbar. Aber inwiefern kann man<br />
beim Vergleich von einer “Methode” sprechen? In welchem Verhältnis<br />
steht er zu anderen Methoden, die in der Religionswissenschaft zur<br />
Anwendung kommen, z.B. historisch-philologischen oder Methoden der<br />
empririschen Sozialforschung? Dieser Beitrag reflektiert über verschiedene<br />
Vergleichsansätze in der Religionswissenschaft und die Rolle des Vergleichs<br />
in religionswissenschaftlicher Methodologie.<br />
62
Freitag, 16. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Ilinca Tanaseanu-Döbler/Marvin Döbler: Interpretation religiöser Quellentexte<br />
Der Vortrag skizziert methodische Linien des religionswissenschaftlichen<br />
Umgangs mit Quellentexten und diskutiert ihre Bedeutung für die<br />
gegenwärtige religionswissenschaftliche Forschung und Lehre sowie deren<br />
Implikationen.<br />
Verena Maske: Teilnehmende Beobachtung in der Religionswissenschaft<br />
– Königsdisziplin oder marginalisierte Methode. Eine Reflexion über die<br />
Potentiale von Beobachtungsverfahren am Beispiel einer Studie zur Muslimischen<br />
Jugend in Deutschland e.V. (MJD)<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Die teilnehmende Beobachtung spielt seit der kulturwissenschaftlichen<br />
Wende und der damit einhergehenden Integration sozialwissenschaftlicher<br />
Methoden in die Religionswissenschaft eine zentrale Rolle zur Erforschung<br />
religiöser Gegenwartskultur. Dabei kommt sie als Methode des ersten<br />
Zugangs kombiniert mit anderen Verfahren qualitativer Religionsforschung<br />
einerseits häufig zum Einsatz, andererseits wird sie jedoch kaum explizit,<br />
methodisch reflektiert und intersubjektiv nachvollziehbar angewandt und<br />
führt im Vergleich zu Interviewverfahren ins<strong>of</strong>ern ein Schattendasein. Eine<br />
systematische Reflexion über die spezifischen Potentiale teilnehmender<br />
Beobachtung für die religionswissenschaftliche Theoriebildung muss nach<br />
wie vor als ein Desiderat bezeichnet werden. Ausgehend von einer Studie<br />
zur MJD, bei der die Methode teilnehmende Beobachtung ein zentrales<br />
Verfahren der Datenerhebung ist, sollen dazu einige Überlegungen<br />
angestellt werden. Nach einem kurzen Überblick über verschiedene<br />
Verfahren teilnehmender Beobachtung und ihrer Rezeption in der<br />
Religionswissenschaft sollen Kriterien zur methodischen Reflexion entlang<br />
des Forschungsprozesses herausgearbeitet und am Beispiel illustriert werden.<br />
Schließlich sollen exemplarisch Chancen und Grenzen teilnehmender<br />
Beobachtung für die religionswissenschaftliche Theoriebildung diskutiert und<br />
in ihren methodologischen Grundannahmen reflektiert werden. Eine solche<br />
Reflexion leistet einen wichtigen Beitrag zur religionswissenschaftlichen<br />
Standortbestimmung.<br />
63
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Freitag, 16. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Stefan Kurth: Narrativ fundierte Interviews und die Erforschung individueller<br />
Religiosität<br />
Qualitative Methoden der empirischen Sozialforschung können<br />
dazu beitragen, die kulturwissenschaftliche Neuorientierung der<br />
Religionswissenschaft zu verwirklichen und die von Hans Kippenberg<br />
geforderte Überwindung der Kluft „zwischen Schriftreligion und Lebenswelt“<br />
in der Forschungspraxis einzulösen. Sie ermöglichen, die „wirkliche und<br />
wirksame Religion“ zu erforschen, „wie sie uns in den Gläubigen eines<br />
jedweden Religionssystems“ (Rainer Flasche) entgegentritt, respektive in den<br />
Individuen, die sich rezeptiv und produktiv auf religiöse Systeme beziehen<br />
und damit deren soziale und kulturelle Wirklichkeit mit konstituieren.<br />
In den vergangenen drei Jahrzehnten konnten sich (neben<br />
Beobachtungsverfahren) besonders narrativ fundierte Interviews in vielen<br />
religionswissenschaftlichen Studien als qualitatives Forschungsinstrument<br />
bewähren: (1.) in Kombination mit anderen Erhebungsverfahren und<br />
Datenquellen zur Rekonstruktion des zeitgeschichtlichen Wandels oder<br />
der Interaktion in einer religiösen Gemeinschaft, und (2.) besonders<br />
zur Untersuchung zu Aspekten individueller Religiosität und ihrem<br />
Zusammenhang zu anderen empirischen Phänomenen oder theoretischen<br />
Konzepten. Interessenschwerpunkte waren (a) die biographische<br />
Entwicklung und Veränderung von Religiosität, (b) die Konstruktion und<br />
Kommunikation religiöser Deutungen sowie (c) die sozialen Kontexte<br />
individueller Religiosität.<br />
Der Beitrag diskutiert an verschiedenen (auch eigenen) Forschungsbeispielen<br />
das Potenzial narrativ fundierter Interviews für eine kulturwissenschaftlich<br />
verortete Religionswissenschaft.<br />
Europäische Perspektiven auf die Erforschung religiöser Gegenwartskultur<br />
in Asien<br />
• Edith Franke: Religiöse Pluralität oder religiöse Harmonie?<br />
Überlegungen zur kulturübergreifenden Anwendbarkeit<br />
wissenschaftlicher Kategorien<br />
• Christian Meyer: Christentumsstudien als Teil der<br />
Religionswissenschaft in der VR China (und Hongkong)<br />
64
Freitag, 16. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
• Monika Schrimpf: „Magische Religion“ in Japan – zur<br />
Verwendung des Begriffs „Magie“ in der japanischen<br />
Religionswissenschaft<br />
Edith Franke: Religiöse Pluralität oder religiöse Harmonie? Überlegungen<br />
zur kulturübergreifenden Anwendbarkeit wissenschaftlicher Kategorien<br />
Während religiöser Pluralismus in der europäisch und amerikanisch<br />
geprägten Wissenschaftssprache ein gebräuchlicher Begriff ist, um religiöse<br />
Vielfalt moderner Gesellschaften zu beschreiben, lernte ich von Kollegen<br />
islamischer Universitäten in Indonesien, dass sie den Begriff religiöse<br />
Harmonie bevorzugen. Stehen diese Begriffe für dasselbe Phänomen?<br />
In welcher Weise und in welchem Umfang beeinflussen die kulturellen,<br />
religiösen und akademischen Traditionen die Verwendung wissenschaftlicher<br />
Begrifflichkeiten sowie die Wahrnehmung religiöser Phänomene – vor<br />
allem, wenn es um die Analyse religiöser Traditionen und Verhaltensweisen<br />
fremder Kulturen geht?<br />
Um auf wissenschaftlicher Ebene zu kommunizieren und Vergleiche ziehen<br />
zu können, müssen sowohl Begriffe wie auch theoretische Modelle für eine<br />
genaue Beschreibung und Analyse gefunden werden. Aber während einige<br />
einen Begriff als angemessen präzise und differenziert wahrnehmen, halten<br />
andere denselben Begriff für reduktionistisch oder normativ. In meinem<br />
Vortrag werde ich anhand von ausgewählten Beispielen untersuchen, wie<br />
die Kategorisierung und Wahrnehmung aktueller religiöser Phänomene<br />
von wissenschaftlichen und kulturellen Mustern geprägt ist und wie der<br />
Gebrauch dieser Begriffe auch auf die gesellschaftliche Akzeptanz oder<br />
auch Marginalisierung von Religionen wirken kann. Zur Konkretisierung<br />
werde ich die säkularisierte und christliche orientierte Wissenschaftskultur<br />
Deutschlands mit der islamisch geprägten Forschung und Gesellschaft<br />
Indonesiens vergleichen.<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Christian Meyer: Christentumsstudien als Teil der Religionswissenschaft in<br />
der VR China (und Hongkong)<br />
Religionswissenschaft ist im Aufwind – nicht nur in Deutschland oder in<br />
westlichen Gesellschaften, sondern auch im chinesischen Raum und nicht<br />
65
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Freitag, 16. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
zuletzt der <strong>of</strong>fiziell sozialistischen Volksrepublik China. Dabei zeigen sich<br />
jedoch charakteristische Unterschiede in der strukturellen Bedeutung und<br />
Rolle von Religionswissenschaft.<br />
Die neuere Erforschung von Religion in China im Allgemeinen hat sich<br />
seit dem Ende der ideologischen Dominanz (mit einem Höhepunkt in der<br />
Kulturrevolution 1966-1976) und seit dem Beginn der Reformperiode ab<br />
1978 in beeindruckender Weise entwickelt. Die Regierung hat nicht nur<br />
den Religionen selbst mehr und mehr Freiheiten eingeräumt, sondern auch<br />
ihrer Erforschung. Neue Departments und Institute zur Erforschung von<br />
Religion wurden eingerichtet, die zum einen der Politikberatung dienen,<br />
zugleich aber auch den individuellen und gesellschaftlichen Interessen<br />
der Forscher, Studierenden und einer weiteren Öffentlichkeit folgen. Die<br />
grundsätzliche These dieses Vortrags besteht darum darin, dass chinesische<br />
Religionswissenschaft nur im Schnittfeld der entsprechenden durchaus<br />
divergierenden Interessen verstanden werden kann. Ihre Relevanz für<br />
politische Entscheidungen und öffentliche Debatten gibt dem Feld einen<br />
weit stärkeren allgemeinen Einfluss als es im Allgemeinen im Westen hat,<br />
jedoch formt diese zugleich auch in nicht geringem Umfang die politisch<br />
beeinflussten Agenden und Terminologien, was jedoch Nischen wie<br />
subversive Strategien nicht ausschließt. Dies soll anhand des Feldes der<br />
Christentumsstudien exemplifiziert werden, nicht zuletzt am beispielhaften<br />
Projekt der sogenannten „Sino-Christian Theology” mit Schwerpunkt in der<br />
VR China und Hongkong.<br />
Monika Schrimpf: „Magische Religion“ in Japan – zur Verwendung des Begriffs<br />
„Magie“ in der japanischen Religionswissenschaft<br />
66<br />
Während in Arbeiten zu neureligiösen Bewegungen in Europa und den USA<br />
der Begriff „Magie“ weitgehend irrelevant ist, spielt er in der japanischen<br />
Forschung zur religiösen Gegenwartskultur des Landes eine zentrale Rolle.<br />
Vor allem im Falle von Neureligionen wird nicht selten auf ihren magischer<br />
Charakter verwiesen und dieser vor dem Hintergrund der japanischen<br />
Moderne erklärt. Dabei beziehen verschiedene Erklärungsansätze die<br />
magische Prägung vieler Neureligionen in unterschiedlicher Weise auf die<br />
Modernisierung Japans.<br />
Die Charakterisierung religiöser Gruppierungen als „magisch“ impliziert eine<br />
Strukturierung des Feldes gegenwärtigen religiösen Lebens in magische und
Freitag, 16. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
nicht-magische Gemeinschaften, Netzwerke oder Strömungen. Wie werden<br />
dabei Grenzen gezogen, und welche Gegenmodelle werden konstruiert?<br />
Ziel des Vortrags ist es, Konzepte von Magie in der gegenwartsbezogenen<br />
japanischen Religionsforschung zu beschreiben und danach zu fragen, wie<br />
sich die damit verknüpften Forschungsperspektiven auf die Strukturierung<br />
des Feldes auswirken. Schließlich erkläre ich die Popularität dieser Kategorie<br />
mit Blick auf die Geschichte der japanischen Religionswissenschaft.<br />
Die Beobachtung des religiösen Feldes in der Wechselwirkung von<br />
religiöser Binnen- und religionswissenschaftlicher Außenperspektive<br />
• Anna-Konstanze Schröder: Theologische Fragestellungen als<br />
Anwendungsgebiet religionswissenschaftlicher Forschung?!<br />
• Ann-Laurence Maréchal-Haas: Re-/Präsentation und<br />
Reaktion. Zur Rezeption (religions-)wissenschaftlicher<br />
Forschungsergebnisse in ihrem eigenen Gegenstandsfeld<br />
• Thomas Zenk: Der Atheismusvorwurf als Mittel religiöser<br />
Polemik in der Vergangenheit – Religiöse Polemik gegen<br />
Atheisten in der Gegenwart<br />
• Jens Schlamelcher: Die Kirche als Akteur und Schiedsrichter<br />
des religiösen Feldes<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Anna-Konstanze Schröder: Theologische Fragestellungen als Anwendungsgebiet<br />
religionswissenschaftlicher Forschung?!<br />
Wenn Religionswissenschaft eine eigene Fachdisziplin ist, die sich aus der<br />
Theologie abgelöst hat, dann ist der Theologie auch etwas abhanden gekommen,<br />
das sie nun in inter- bzw. multidisziplinärer Arbeit als Kooperation „einkaufen“<br />
muss. Darüber hinaus erfordern manche Fragestellungen in der Theologie<br />
eine empirisch-methodische Expertise, die sich Religionswissenschaftler<br />
durch die Erforschung der religiösen Gegenwartskultur längst angeeignet<br />
haben. Und natürlich liefern die großen Kirchen ein breites Forschungsfeld<br />
für empirisch arbeitende Religionswissenschaftler, nicht zuletzt um den<br />
eigenen Forschungsergebnissen in einem großen Interessentenkreis Relevanz<br />
zu verschaffen. Doch wie kann Religionswissenschaft ihre kritische Distanz<br />
wahren, wenn das denn zentral für ihre disziplinäre Identität ist?<br />
67
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Freitag, 16. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Meinem Versuch einer theoretischen Antwort in Klöckers und<br />
Tworuschkas UTB-Band „Praktische Religionswissenschaft“ stelle<br />
ich eigene Forschungserfahrungen und Beobachtungen gegenüber.<br />
Denn das, was der Kunde (Theologie und Kirche) braucht, ist <strong>of</strong>t nicht<br />
das, was die Religionswissenschaft anbieten kann: Was bleibt an den<br />
Forschungsergebnissen noch Religionswissenschaft, wenn sie als<br />
hilfswissenschaftliche Zuarbeit für theologische Fragestellungen entstanden?<br />
Ist eine gleichberechtigte Kooperation überhaupt wünschenswert? Wieviel<br />
Überlappung zur Theologie ist möglich, um die eigene Forschung guten<br />
Gewissens für eine religionswissenschaftliche zu halten?<br />
Ann-Laurence Maréchal-Haas: Re-/Präsentation und Reaktion. Zur Rezeption<br />
(religions-)wissenschaftlicher Forschungsergebnisse in ihrem eigenen<br />
Gegenstandsfeld<br />
Der Vortrag möchte anhand einiger Fallbeispiele aus dem neugermanischheidnischen<br />
Feld der Frage nachgehen, wie wissenschaftliche<br />
Forschungsergebnisse und Berichte von den „Beforschten“ selbst<br />
aufgenommen, ausgehandelt und rezipiert werden (können). Der Blick<br />
soll dabei auf den kommunikativen und reflexiv-diskursiven Prozessen<br />
zwischen dem Forscher, seinem Gegenstandsfeld bzw. den sich ihm<br />
zugehörig fühlenden Akteuren sowie den Akteuren untereinander liegen.<br />
Welche Rollen können und werden in solchen Diskursen eingenommen und<br />
welche Diskurspositionen ergeben sich gegebenenfalls daraus? Wie werden<br />
diese insbesondere von den „Beforschten“ ausgehandelt und mitunter auch<br />
verteidigt?<br />
Sowohl dem Forscher als auch den untersuchten Akteuren stehen eigene<br />
Wahrnehmungs-, Deutungs- und Deskriptionskategoerien und -muster sowie<br />
Semantiken zur Verfügung. Diese beruhen auf sozial-diskursiv konstruierten<br />
Kategorien. Die ihnen zugeschriebene Bedeutung kann somit immer<br />
wieder neu ausgehandelt werden und unterliegt Wandlungen und Brüchen,<br />
die dem Beobachter nicht zwangsläufig zugänglich sind. Dies kann zu<br />
Wahrnehmungsdiskrepanzen führen, die wiederum verschiedene Reaktionen<br />
und Rezeptionen von Seiten des Feldes hervorbringen können. Dabei muss<br />
es jedoch nicht zwangsläufig zu einem „Verfremdungsempfinden“ oder<br />
Kritik am Forschungsergebnis durch die Beforschten kommen. So zeigen<br />
die im Vortrag erläuterten Fallbeispiele unter anderem auch, wie Impulse<br />
68
Freitag, 16. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
aus wissenschaftlichen Arbeiten bewusst zur eigenen Positionierung im Feld<br />
nutzbar gemacht und Semantiken zur Konstruktion und Deskription der<br />
eigenen religiösen Identität verwendet werden.<br />
Der Vortrag möchte zu einem Blick auf dieses, in der religionswisenschaftlichen<br />
Literatur bisher vernachlässigte Thema anregen und die Frage aufwerfen, wie<br />
mit solchen Reaktionen und Rezeptionen umgegangen wurde und zukünftig<br />
umgegangen werden kann.<br />
Thomas Zenk: Der Atheismusvorwurf als Mittel religiöser Polemik in der<br />
Vergangenheit – Religiöse Polemik gegen Atheisten in der Gegenwart<br />
Die Begriffe „Atheismus“, „Gottlosigkeit“ oder „Unglaube“ werden eher<br />
selten in einem wertneutralen Sinn gebraucht, um die eigene Position oder<br />
die eines anderen zu charakterisieren. Die Begriffe waren jahrhundertelang<br />
negativ konnotiert und wurden als Kampfbegriffe im Rahmen religiöser<br />
Apologetik und Polemik gebraucht: Die Zuschreibung von Gottlosigkeit<br />
diente dazu, den jeweiligen religiösen Gegner zu diffamieren und als<br />
legitimen gesellschaftlichen Akteur auszuschließen bzw. ist Teil einer<br />
Legitimierungsstrategie gesellschaftlicher Diskriminierung oder Verfolgung.<br />
Oftmals geht die Exklusion der als gottlos Bezeichneten einher mit religiösen<br />
Identitätsbildungsprozessen (der Ausschluß von „Häresien“ bspw. geschieht<br />
synchron zur Entstehung von „Orthodoxie“). Durch die im Zuge von<br />
Aufklärung und Französischer Revolution angestoßenen gesellschaftlichen<br />
und politischen Veränderungen kommt es zur Formulierung von<br />
Religionsfreiheit als grundlegendem Menschenrecht. Die Religionsfreiheit<br />
aber beinhaltet auch die Freiheit keiner Religion anzugehören. Damit stellt<br />
der Atheismus eine legitime weltanschauliche Option auf dem „Markt der<br />
Religion“ dar. Wie aber reagiert die religiöse Apologetik auf eine Situation, in<br />
der es zum einen nicht mehr möglich ist, im Rahmen der religiösen Polemik<br />
auf den Atheismusvorwurf zurückzugreifen, und in der es zum anderen<br />
mit dem Atheismus einen weltanschaulichen Gegner gibt, dessen Abwehr<br />
im Rahmen religiöser Polemik zu leisten ist? Am Beispiel des „Neuen<br />
Atheismus“ werden verschiedene aktuelle Strategien religiöser Apologetik<br />
dargestellt werden.<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
69
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Freitag, 16. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Jens Schlamelcher: „Niederschwellige Angebote“ – Die Verkirchlichung<br />
neuer Religiosität und De-Christianisierung der Kirche<br />
Im Versuch, „gegen den Trend“ zu wachsen und ein kirchenfernes Publikum<br />
zu erreichen, setzt die evangelische Kirche in Deutschland auf sogenannte<br />
„niederschwellige Angebote“, die u.a. im Kontext von sogenannten<br />
„Citykirchen“ entstehen. In diesem Vortrag soll anhand einer empirischen<br />
Studie das religiöse Pr<strong>of</strong>il derartiger Veranstaltungen untersucht werden.<br />
Dabei kann aufgezeigt werden, dass derartige niederschwellige Angebote<br />
in der Tat über eine im Vergleich zu kirchengemeindlichen Veranstaltungen<br />
niedrigere Schwelle verfügen (immerhin stellen sie keine Erwartungen<br />
an religiöse Überzeugungen oder andauernde Vergemeinschaftungen) –<br />
jedoch nicht als eine Schwelle hin zur Kirche fungieren. Niederschwellige<br />
Angebote bilden vielmehr einen eigenständigen Raum innerhalb der Kirche,<br />
der sich nicht nur in seiner Sozialstruktur, sondern auch in seinem religiösen<br />
Pr<strong>of</strong>il erheblich von den klassischen Kirchengemeinden unterscheidet.<br />
Dieses zeichnet sich durch eine weitgehende De-Christianisierung<br />
(Aufgabe von dogmatischen Wahrheitsansprüchen sowie eines Erlösungsund<br />
Offenbarungsglaubens), eine Verkirchlichung „neuer“ Religiosität (u.a.<br />
Immanentisierung der Transzendenz, Bezug auf Erfahrungsdimension),<br />
und damit verbunden eine Institutionalisierung von Individuenreligiosität<br />
(Sakralisierung des Selbst sowie Pluralisierung und damit eine De-<br />
Spezifizierung transzendenter Autoritäten) aus. Im Zuge dieser „Kunden-“<br />
oder „Milieuorientierung“ kommt es entsprechend zu erheblichen<br />
religiösen Wandlungsprozessen, die innerhalb der kirchlich-theologischen<br />
Reflexion weitgehend unbeobachtet bleiben. Der Vortrag möchte dazu<br />
einladen, das Blickfeld der Religionswissenschaft auch auf kirchliche<br />
Transformationsprozesse zu lenken.<br />
70
Samstag, 17. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Samstag, 17. September 2011<br />
9:15 bis 10:45 Uhr<br />
Zur Relevanz religionswissenschaftlicher Forschung: Gesundheitsgesellschaft<br />
und ihre Spiritualisierung als Herausforderung.<br />
Panel 1. Methodische Fragen<br />
• Constantin Klein, Ina Wunn: Saluto- und pathogene Relevanz<br />
von Religiosität verstehen: Die Notwendigkeit eines<br />
differenzierten Verständnisses der Dynamiken zwischen<br />
Religiosität und Gesundheit<br />
• Florian Jeserich: Brauchen wir eine Religionsepidemiologie?<br />
• Anne Koch: Das Problem der Verknüpfung: Emische,<br />
religionswissenschaftliche und medizinische Vorstellungen<br />
zur Wirkweise spirituellen Heilens<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Constantin Klein/Ina Wunn: Saluto- und pathogene Relevanz von Religiosität<br />
verstehen: Die Notwendigkeit eines differenzierten Verständnisses der<br />
Dynamiken zwischen Religiosität und Gesundheit<br />
Die Zahl der Publikationen zum Verhältnis von Religiosität und Gesundheit<br />
ist in den vergangenen 20 Jahren exponentiell angestiegen. Entsprechende<br />
Artikel finden sich jedoch v.a. in medizinischen, psychologischen oder<br />
pflegewissenschaftlichen Magazinen statt in religionswissenschaftlichen.<br />
Während der Anstieg an Veröffentlichungen unzweifelhaft ein gestiegenes<br />
Interesse an Religiosität in den betreffenden Fachgebieten erkennen lässt,<br />
geht damit zugleich aber auch die Problematik einher, dass innerhalb dieser<br />
Disziplinen häufig nur ein rudimentäres oder zumindest sehr subjektiv<br />
gefärbtes Verständnis von Religiosität existiert. In der Forschung schlägt sich<br />
das in unterschiedlicher Weise nieder: So wird Religiosität beispielsweise <strong>of</strong>t<br />
nur pauschal als einzelne Variable aufgefasst, ohne dass der Komplexität des<br />
Phänomens damit adäquat entsprochen würde. Auch findet sich vielfach<br />
71
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Samstag, 17. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
eine teils inflationäre Verwendung des Begriffs „Spiritualität“, worunter<br />
dann eine authentische Form der Bewusstheit für eine geistige/geistliche<br />
Dimension des menschlichen Lebens verstanden wird – gegenüber einer<br />
als institutionell und dogmatisch verhärtet aufgefassten Religion/Religiosität.<br />
Im Anschluss wird Spiritualität dann eher als gesundheitliche Ressource,<br />
Religion/Religiosität hingegen eher als Risiko aufgefasst und <strong>of</strong>t entsprechend<br />
tendenziös empirisch gemessen. Im Rahmen des Papers werden solche<br />
Defizite der bisherigen Forschung zum Verhältnis von Religiosität und<br />
Gesundheit aufgezeigt und ein Modell vorgestellt, das unter Rückbezug<br />
v. a. auf religionspsychologische Erkenntnisse versucht, der komplexen<br />
Gemengelage differenzierter zu entsprechen.<br />
Florian Jeserich: Brauchen wir eine Religionsepidemiologie?<br />
Bereits 1987 schlugen der amerikanische Epidemiologe Jeffrey S.<br />
Levin und der Religionswissenschaftler Harold Y. Vanderpool vor, ein<br />
neues interdisziplinäres Forschungsfeld aufzubauen; sie nannten es<br />
Religionsepidemiologie („epidemiology <strong>of</strong> religion“). In den USA ist die<br />
Untersuchung potentieller positiver/negativer Zusammenhänge zwischen<br />
Religion/Spiritualität und Gesundheit mittlerweile kein marginales<br />
Forschungsgebiet mehr, sondern Teil des akademischen Mainstreams. Es fällt<br />
jedoch auf, dass diese Forschungen großteils von Psychologen, Medizinern<br />
und Soziologen forciert werden und gesundheitswissenschaftliche und<br />
religionswissenschaftliche Perspektiven auf den Gegenstand weitgehend<br />
fehlen. Warum ist der frühe Impuls von Levin und Vanderpool kaum<br />
wahrgenommen worden? Es sollen einige Probleme skizziert und diskutiert<br />
werden, die eine interdisziplinäre Zusammenarbeit auf diesem Gebiet<br />
erschweren.<br />
Anne Koch: Das Problem der Verknüpfung: Emische, religionswissenschaftliche<br />
und medizinische Vorstellungen zur Wirkweise spirituellen Heilens<br />
Interdisziplinäre Arbeit wirft häufig methodische Probleme auf: Eine<br />
Gretchenfrage ist die Wirkweise des spirituellen Heilens: Sind bestimmt<br />
72
Samstag, 17. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Interventionen effektiv und wenn ja, wie erkläre ich ihre Effektivität?<br />
Hier überschneiden sich Erklärungsansätze aus der Innenperspektive<br />
mit medizinisch-psychologischen und kulturwissenschaftlichen. Eine<br />
zentrale Rolle kommt der Kausalität zu, eine weitere der Beschreibung<br />
des Behandlungsgeschehens und welche Faktoren bei diesem für relevant<br />
gehalten werden. Aufgrund einer interdisziplinären Forschung mit einer<br />
Placeb<strong>of</strong>orscherin mit psycho-physiologischen wie sozialwissenschaftlichen<br />
Daten werden Thesen und <strong>of</strong>fene Fragen benannt.<br />
Foucault als Methode? Panel 1. Anwendungsfelder poststrukturalistischer<br />
und postkolonialer Theorien in der gegenwartsbezogenen<br />
Religionswissenschaft<br />
• Katja Rakow: Wissenssoziologische Diskursanalyse:<br />
Möglichkeiten und Grenzen der Anwendung in der<br />
religionswissenschaftlichen Forschung<br />
• Michael Bergunder: Religion als „leerer Signifikant“ und als<br />
Gegenstand der Religionswissenschaft<br />
• Ulrike Schröder: „Early Pillars <strong>of</strong> Saivism“: Konstruktionen<br />
sivaitischer Identität in Südafrika<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Katja Rakow: Wissenssoziologische Diskursanalyse: Möglichkeiten und<br />
Grenzen der Anwendung in der religionswissenschaftlichen Forschung<br />
Die diskurstheoretischen Überlegungen Michel Foucaults bieten zahlreiche<br />
Anknüpfungspunkte für wissenssoziologische Erweiterungen. Die<br />
Zusammenführung der diskurstheoretischen und der wissenssoziologischen<br />
Perspektive erfolgt hierbei auf Basis der gemeinsam geteilten Annahme<br />
einer sozialen Konstruktion von Wissen, Wahrnehmung und Erfahrung.<br />
Beide Ansätze zeichnen sich durch ein Interesse an der Formierung und den<br />
Folgen gesellschaftlich konstituierter Wissensordnungen aus. Die beiden<br />
Traditionen richten den Untersuchungsfokus jedoch unterschiedlich aus:<br />
Foucault weist den Institutionen und den wissenschaftlichen Disziplinen<br />
in der Produktion von Wissensformationen eine zentrale Rolle zu. Die<br />
hermeneutische Wissenssoziologie im Anschluss an Peter Berger und Thomas<br />
Luckmann richtet sich dagegen vornehmlich auf Mikroanalysen des Wissens<br />
73
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Samstag, 17. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
und auf das Alltagswissen sozialer Akteure. Das von Reiner Keller vorgelegte<br />
Forschungsprogramm der Wissenssoziologischen Diskursanalyse (WDA)<br />
führt beide Perspektiven zusammen und liefert zugleich Vorschläge für eine<br />
methodische Umsetzung. Diese orientieren sich an qualitativen Erhebungsund<br />
Auswertungsverfahren vor allem textförmiger Daten, setzen auf eine<br />
verstehende Rekonstruktion und Analyse diskursiver Prozesse und Effekte und<br />
betonen die Unhintergehbarkeit der hermeneutisch-interpretativen Leistung<br />
des Forschers/der Forscherin. Anhand einer exemplarischen Analyse des<br />
Buddhismus-Bildes in deutschen Printmedien der Jahre 2007/2008 sollen<br />
die Möglichkeiten und Grenzen der Wissenssoziologischen Diskursanalyse<br />
diskutiert werden.<br />
Michael Bergunder: Religion als „leerer Signifikant“ und als Gegenstand<br />
der Religionswissenschaft<br />
Nichts ist wahrscheinlich umstrittener in der Religionswissenschaft als ihr<br />
Gegenstand. Die Vielzahl der bisherigen Definitionsversuche ist dabei<br />
Legende und eine Lösung ist nicht abzusehen. In dem Vortrag soll geprüft<br />
werden, ob es eine Alternative wäre, Religion als historischen Gegenstand<br />
zu bestimmen. In Anlehnung an Ernesto Laclau ließe sich Religion als<br />
identifikatorischer Allgemeinbegriff in Form eines leeren Signifikanten<br />
verstehen, dessen Artikulation jeweils in konkreter Zeit und an konkretem Ort<br />
erfolgt. Jede Artikulation ist dabei zugleich eine Re-Artikulation, ein Prozess,<br />
durch den „Religion“ Kontinuität erhält und eine Diskursgemeinschaft<br />
und verschiedene Diskursfelder hervorgebracht werden. In diesem Sinne<br />
wäre „Religion“ ein historisches Phänomen, welches weder nominalistisch<br />
noch idealistisch, sondern als kontingenter Knotenpunkt bzw. Fixierung<br />
eines strittigen Machtdiskurses verstanden wird. Der Ort der Bestimmung<br />
von „Religion“ wäre damit die historische Forschung und die historische<br />
Reichweite des so eruierten Religionsverständnisses hinge davon ab, ob<br />
bestimmte Rezeptions- und Traditionszusammenhänge als kontinuierlich<br />
oder diskontinuierlich bewertet werden. In diesem Sinne könnte „Religion“<br />
auch als Gegenstand der Religionswissenschaft verstanden werden. Die<br />
inhaltliche Bestimmung von Religion wäre dann aber keine separate<br />
Definitionsfrage mehr, sondern konstitutiver Teil jeder konkreten empirischen<br />
religionswissenschaftlichen Arbeit.<br />
74
Samstag, 17. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Ulrike Schröder: „Early Pillars <strong>of</strong> Saivism“: Konstruktionen sivaitischer<br />
Identität in Südafrika<br />
Die religionswissenschaftliche Erforschung des Hinduismus widmet sich<br />
in den letzten Jahren verstärkt der Erforschung religiöser Gemeinschaften,<br />
die sich in der „indischen Diaspora“, entstanden durch die postkolonialen<br />
Migrationsströme, angesiedelt haben. Von diesem neuen Interesse fast<br />
unberührt geblieben sind jedoch solche Gemeinschaften, die bereits auf<br />
eine koloniale Migrationsgeschichte, wie z.B. in Südafrika, zurückblicken.<br />
Nimmt man die Vielfalt religiöser Praktiken unter der indisch-stämmigen<br />
Bevölkerung Südafrikas ernst, so stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis<br />
diese zu den sie „autorisierenden“ religiösen Traditionen stehen bzw. ob und<br />
wie man die Zugehörigkeit dieser Gruppierungen zum „Hinduismus“ oder<br />
zu einzelnen spezifischen Traditionen überhaupt religionswissenschaftlich<br />
abbilden kann. Der Vortrag geht dieser Frage anhand des Beispiels<br />
sivaitischer Gemeinschaften in Südafrika nach. Unter Einbeziehung<br />
des diskurstheoretischen Ansatzes von Ernesto Laclau soll zum einen<br />
untersucht werden, wie diese Gemeinschaften ihre Zugehörigkeit zur<br />
Tradition des Saiva Siddhanta definieren und wie eine solche Konstruktion<br />
religionswissenschaftlich untersucht werden kann. Zum anderen soll kritisch<br />
diskutiert werden, inwiefern sich diskurstheoretische Ansätze auf konkrete<br />
Gegenstandsbereiche innerhalb der Religionswissenschaft übertragen<br />
lassen, ohne deren kritisches Potential zu überdecken.<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Religionswissenschaft im Aufwind: Schein oder Sein?<br />
• Bretislav Horyna: Religionswissenschaft im Aufwind der<br />
Machtpolitik<br />
• Steffen Führding: Religionswissenschaft im Aufwind?<br />
Empirische Befunde, theoretische Überlegungen<br />
• Katharina Frank: Qualitative und quantitative<br />
Religionsforschung in religionswissenschaftlicher Perspektive.<br />
Eine kritische und konstruktive Reflexion bislang getätigter<br />
Untersuchungen<br />
75
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Samstag, 17. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
• Thomas Hase: Religionswissenschaft als Kulturwissenschaft?<br />
Eine Anfrage<br />
• Sarah Jahn: Außeruniversitäre Religionswissenschaft im<br />
Aufwind? Eine organisationssoziologische Analyse anhand<br />
religionswissenschaftlicher Vereine<br />
Bretislav Horyna: Religionswissenschaft im Aufwind der Machtpolitik<br />
Religionswissenschaft im Aufwind ist eine Metapher. Nicht aber kognitive,<br />
sondern leere Metapher, die nicht die Wirklichkeit, wie sie ist, mit<br />
anderen Worten zu beschreiben versucht, sondern nur die Wünsche der<br />
ReligionswissenschaftlerInnen ausdrückt. Die bloße Tatsache, dass in den<br />
Medien der Begriff „Religion“, besonders aber „religiöser Fanatismus“,<br />
bestenfalls „Religionsforschung“ heute eine Konjunktur haben, könnte<br />
der Religionswissenschaft als transdiziplinärer Wissenschaft Anlass zum<br />
Jubeln geben. Religionswissenschaft ist nicht wichtiger geworden, die<br />
Ergebnisse ihrer Forschungen haben keine größere Bedeutung als früher,<br />
als man Religionswissenschaft besonders in Leipzig und Umgebung eine<br />
„Orchideen- oder Gemüsewissenschaft“ nannte. In gewissem Sinne ist<br />
Religionswissenschaft im Aufwind die finalisierte Religionswissenschaft;<br />
die äußeren Zwecke sind aber mit der Machtpolitik besonders der USA<br />
verbunden, die ihre ökonomischen und zugleich damit politischen und<br />
globalen Ziele bei der Machtverteilung folgen. Die Machtpolitik („wir<br />
kämpfen gegen Terroristen, nicht gegen Islam“ – Obama; wer als Terrorist<br />
gilt, bestimmen aber die USA) ist aber kein Feld für die Entwicklung<br />
jedweder Wissenschaft. Philosophia ancilla theologiae, sagten die größten<br />
Theologen des Mittelalters; Religionswissenschaft ist im Aufwind und damit<br />
sie zur ancilla potestatis potentes geworden.<br />
Steffen Führding: Religionswissenschaft im Aufwind? Empirische Befunde,<br />
theoretische Überlegungen<br />
In den letzten Jahren ist vielfach eine Bedeutungszunahme der<br />
Religionswissenschaft konstatiert worden. Aus einem Orchideenfach sei<br />
eine stark nachgefragte „Gemüsedisziplin“ geworden. In diesem Vortrag soll<br />
76
Samstag, 17. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
diese Behauptung empirisch geprüft und die Gründe für diese Sichtweise<br />
herausgearbeitet werden. In einem weiteren Schritt soll überlegt werden,<br />
welche strukturellen und institutionellen Entwicklungen notwendig sind, um<br />
die Zukunft und Identität der Religionswissenschaft jenseits der politischen,<br />
sozialen und massenmedialen Konjunktur des Themas „Religion“ zu sichern.<br />
Katharina Frank: Qualitative und quantitative Religionsforschung in religionswissenschaftlicher<br />
Perspektive. Eine kritische und konstruktive Reflexion<br />
bislang getätigter Untersuchungen<br />
In der Regel wird in der gegenwartsbezogenen Religionswissenschaft<br />
nur qualitativ geforscht; die quantitative Forschung wird abgelehnt<br />
oder gar bekämpft. Damit stellt sich die Religionswissenschaft jedoch<br />
gesellschaftlich ins Abseits, denn politische und rechtliche Entscheidungen<br />
fußen auf quantitativen Daten, und mediale Aufmerksamkeit gewinnt eine<br />
wissenschaftliche Disziplin vor allem mit Resultaten aus quantitativen<br />
Untersuchungen.<br />
Der Vortrag zeigt auf, inwiefern religionswissenschaftlich-qualitative<br />
Forschung zu einer verbesserten quantitativen Religionsforschung beitragen<br />
kann, ohne den Eigenwert qualitativ entwickelter Erkenntnisse zu verlieren.<br />
Illustriert wird dieses Potential der Religionswissenschaft u.a. anhand eines<br />
eigenen Beispiels zur Religionsunterrichtsforschung in der Schweiz.<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Thomas Hase: Religionswissenschaft als Kulturwissenschaft? Eine Anfrage<br />
Ist Religionswissenschaft eine Kulturwissenschaft? Behauptet wird es<br />
allenthalben. Aber was genau wird da behauptet? Handelt es sich lediglich<br />
um die wahrscheinlich unbestrittene Feststellung, dass unser Fach seinen<br />
Gegenstand als Kulturphänomen konzeptionalisiert und erforscht?<br />
Offenkundig ist mehr gemeint: Seit vielen Jahren wird in einschlägigen<br />
Publikationen der „cultural turn“ zitiert, wobei auch hier nicht immer<br />
deutlich wird, was genau es damit auf sich hat. Erkennbar ist,<br />
dass die meisten Autoren mit dieser Formel eine programmatische<br />
Neuausrichtung der Religionswissenschaft verbinden. Diese „Wende“<br />
wird regelmäßig ganz explizit mit der Behauptung einer neuen<br />
77
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Samstag, 17. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Relevanz der Religionswissenschaft verknüpft. Beide Postulate – das der<br />
kulturwissenschaftlichen Wende und das der neuen Relevanz der<br />
Religionswissenschaft – werden in dem Referat kritisch hinterfragt.<br />
Sarah Jahn: Außeruniversitäre Religionswissenschaft im Aufwind? Eine organisationssoziologische<br />
Analyse anhand religionswissenschaftlicher Vereine<br />
Der außeruniversitäre Bereich der Religionswissenschaft ist nicht nur<br />
als Ansprechpartner für die interessierte Öffentlichkeit sowie für den<br />
Medien- und Politikbereich relevant, sondern auch für die universitäre<br />
Religionswissenschaft. Durch die Umstrukturierung der Studiengänge in<br />
Bachelor und Master sowie der in der öffentlichen Diskussion häufig zu<br />
vernehmenden Forderung nach Praxisbezogenheit im Studium stehen<br />
außeruniversitäre Organisationen zunehmend im Interesse von Studierenden<br />
und Lehrenden.<br />
Der Vortrag beleuchtet das Feld der außeruniversitären Religionswissenschaft:<br />
Am Beispiel von Vereinen mit einem religionswissenschaftlichen<br />
Selbstverständnis wird der Frage nachgegangen, inwiefern die Konjunktur<br />
des Themas „Religion“ auch diesen Bereich erfasst. Anhand einer<br />
organisationssoziologischen Analyse werden die Fragen des Panels in<br />
angewandter Form diskutiert:<br />
1. Welche institutionellen und strukturellen Auswirkungen hat das<br />
öffentliche Interesse am Thema „Religion“ für die außeruniversitäre<br />
Religionswissenschaft? Kann für diesen Bereich von „Aufwind“<br />
gesprochen werden?<br />
2. Welche Entwicklungschancen und Zukunftsperspektiven hat die<br />
außeruniversitäre Religionswissenschaft, wenn man diese ohne die<br />
Konjunktur des Themas „Religion“ zu ermitteln versucht?<br />
3. Welche institutionellen und strukturellen Maßnahmen können<br />
vorgenommen werden oder sind notwendig, um die außeruniversitäre<br />
Religionswissenschaft auch ohne die heutige politische, soziale und<br />
massenmediale Konjunktur des Themas „Religion“ in Zukunft zu sichern?<br />
78
Samstag, 17. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Theoretische Perspektiven der aktuellen Religionsforschung<br />
• Johann Ev. Hafner: Religionswissenschaft und Systemtheorie<br />
• Alina Patru: Konstruierte Wirklichkeiten in der<br />
Religionsforschung? Einige Überlegungen am Beispiel des<br />
Judentums im heutigen China<br />
Johann Ev. Hafner: Religionswissenschaft in Potsdam<br />
Weil die Potsdamer Religionswissenschaft sowohl einen BA<br />
Religionswissenschaft anbietet, als auch an der konfessionsneutralen<br />
Religionskunde in der Lehrerausbildung (LER) als auch an der<br />
konfessionellenAusbildung von liberalen Rabbinern (Geiger-Kolleg)<br />
mitwirkt, nimmt diefaktische Wirken normativen religiösen Wissens<br />
einen breiten Raum ein. Sie beobachtet, wie sich stark kodierte Formen<br />
(Gesetze, Dogmatiken) gegenüber schwach kodierten (Volksfrömmigkeiten,<br />
Volkskirchen) durchsetzen bzw. relativieren lassen. Was in religiöser<br />
Selbstbeschreibung als Sieg der Wahrheit dargestellt wird, zeigt sich in der<br />
wissenssoziologischen Rekonstruktion als Spiel von Inflation und Deflation.<br />
Die Ausbreitung einer Form hängt u.a. davon ab, wie leicht sie sich mit<br />
anderen Formen kombinieren und von Programmen kontrollieren lässt.<br />
Um solche Zusammenhänge zu beschreiben, wird auf systemtheoretisches<br />
Instrumentar zurück gegriffen. Dieses vermag, die Eigendynamik religiöser<br />
Begriffe und Sätze zu erklären. Aber es zieht den Verdacht auf sich,<br />
durch Abstraktionen eine kontextunabhängige Metalogik einzuführen.<br />
Über Möglichkeiten und Grenzen systemtheoretischen Arbeitens in der<br />
Religionswissenschaft soll im Vortrag nachgedacht werden.<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Alina Patru: Präsenz und Wahrnehmung des heutigen Judentums in der VR<br />
China und in Hong Kong<br />
Der Beitrag behandelt die gegenwärtige Lage des Judentums in der VR<br />
China und Hong Kong, und verfolgt die Entwicklung der Gemeinden<br />
unter den veränderten Bedingungen nach der Ende der Kulturrevolution<br />
bzw. nach der Eingliederung Hong Kongs. Die interne Dynamik der<br />
Gemeinden, aber auch deren neue Situierung angesichts des Wandels<br />
79
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Samstag, 17. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
in der gesellschaftspolitischen Situation sollen beleuchtet werden.<br />
Unter dem Wirken der Chabad-Bewegung erleben die Juden, sei es solche,<br />
die sich aus Handelsgründen für eine begrenzte Zeit in der VR China<br />
aufhalten, sei es solche, die schon seit Generationen in Hong Kong leben,<br />
eine Stärkung der eigenen Identität. Diese deckt sich aber nicht total mit<br />
der früheren sephardischen bzw. aschkenasischen Identität, sondern<br />
enthält neue, Chabad-spezifische Prägungen. Die Änderungen in der<br />
weltpolitischen Situation wirken sich ebenfalls auf die hier lebenden Juden<br />
aus. Das Judentum ist auch in der Wahrnehmung der Chinesen viel präsenter<br />
als früher; diese Wahrnehmung entsteht jedoch in der Regel nicht durch<br />
Kontakte mit den wenigen jüdischen Gruppierungen in der VR China und in<br />
Hong Kong, sondern vielmehr durch Berichte der Medien, Internetbeiträge<br />
oder diverse Veröffentlichungen. Es wird der Frage nachgegangen werden,<br />
welches Pr<strong>of</strong>il das Judentum in der VR China und in Hong Kong entwickelt<br />
und inwieweit dieses sich mit der Wahrnehmung der Chinesen deckt.<br />
11:15 bis 12:45 Uhr<br />
Zur Relevanz religionswissenschaftlicher Forschung: Gesundheitsgesellschaft<br />
und ihre Spiritualisierung als Herausforderung. Panel 2.<br />
Religionsgeschichtliche Forschungen<br />
• Markus Hero: Vom New Age zum Anti-Age. Zur Relevanz<br />
zeitgenössischer Spiritualität auf dem Gesundheits- und<br />
Fitnessmarkt<br />
• Inken Prohl: Asiatische Spiritualität als Matrix<br />
psychophysiologischer Praktiken des Wellbeing<br />
• Liane H<strong>of</strong>mann: Spiritualität in der Psychotherapie – eine<br />
Trendwende?<br />
Markus Hero: Vom New Age zum Anti-Age. Zur Relevanz zeitgenössischer<br />
Spiritualität auf dem Gesundheits- und Fitnessmarkt<br />
Die „Dispersion des Religiösen“ (Hans-Joachim Höhn) in neue<br />
Dienstleistungsmärkte gehört zu den auffallenden gegenwärtigen<br />
80
Samstag, 17. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Wandlungserscheinungen. In dem Maße, in dem sich neue Gruppen<br />
von Experten religiöser Ideen bemächtigen und eine diesbezügliche<br />
Deutungshoheit beanspruchen, weiten sich die Bezugs- und<br />
Anwendungsfelder des Religiösen. So stehen die letzten Jahrzehnte für<br />
eine Loslösung religiöser Ideen von der vorrangigen Fokussierung auf das<br />
„Seelenheil“ und das „Jenseits“ hin zu den vielfältigen, <strong>of</strong>t kurzfristigen<br />
Moden unterliegenden Bereichen des „Coachings“, des „Lifestyles“ und der<br />
körperlichen und mentalen „Fitness“.<br />
Inken Prohl: Asiatische Spiritualität als Matrix psychophysiologischer Praktiken<br />
des Wellbeing<br />
Transformierte und selektierte Formierungen asiatischer Religionen<br />
spielen auf dem Gesundheits- und Wellnesssektor hochindustriealisierter<br />
Gesellschaften eine zunehmend wichtige Rolle. Als überaus erfolgreich<br />
haben sich dabei Yoga, TCM und Ayurveda erwiesen, daneben erfreuen sich<br />
Angebote wie Jon Kabat-Zinns Mindfulness Based Stress Reduction Therapy<br />
sowie vom tibetischen Buddhismus und vom Zen inspirierte Vorstellungen<br />
und Praktiken großer Beliebtheit. Diesen Praktiken wird ein breites<br />
Wirkungsspektrum zugeschrieben: Dieses erstreckt sich vom Bereich des<br />
Wellness über Stressbewältigung und Selbstoptimierung bis hin zum Einsatz<br />
im psychotherapeutischen Bereich zur Heilung von körperlichem und<br />
seelischem Leiden. In meinem Vortrag möchte ich zwei Thesen vorführen:<br />
Bezug nehmend auf die dominierende Rolle, welche psychologische<br />
Paradigmen im Laufe des 20. Jahrhundert bis in die Gegenwart einnehmen, gilt<br />
es zum einen zu zeigen, dass die Faktoren der Transformation und Selektion,<br />
die bei der Formierung dieser Praktiken wirken, als Psychologisierung<br />
zu fassen sind. Zum anderen gilt es die Dynamik herauszuarbeiten, die<br />
dem Label „asiatische Spiritualität“ für die Legitimität, den Erfolg und die<br />
möglichen Wirkungen dieser Praktiken beigemessen werden kann.<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Liane H<strong>of</strong>mann: Spiritualität in der Psychotherapie – eine Trendwende?<br />
Innerhalb der akademischen Disziplin der Psychologie und der empirischwissenschaftlich<br />
begründeten Pr<strong>of</strong>ession der Psychotherapie fanden<br />
81
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Samstag, 17. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
die spirituelle und religiöse Dimension menschlicher Erfahrung infolge<br />
spezifischer historisch-kultureller sowie wissenschaftshistorischer<br />
Entwicklungen lange Zeit wenig Berücksichtigung.<br />
Etwa seit Beginn der 1990erJahre lässt sich diesbezüglich ein deutlicher Wandel<br />
beobachten. Einhergehend mit dem wachsenden gesamtgesellschaftlichen<br />
Interesse an den verschiedensten Formen individualisierter Spiritualität und<br />
traditioneller Religiosität, lässt sich innerhalb der Fachliteratur ein geradezu<br />
explosionsartiger Anstieg von Publikationen zu den Möglichkeiten einer<br />
Einbeziehung von Spiritualität und Religiosität im Kontext der klinischpsychotherapeutischen<br />
Praxis feststellen. Ein weiteres Kernthema hierbei ist<br />
die Untersuchung und systematische Nutzbarmachung des Zusammenhangs<br />
zwischen spiritueller / religiöser Orientierung einerseits und psychischer<br />
und körperlicher Gesundheit andererseits. Bei der Entwicklung und<br />
Implementierung von derartigen Ansätzen ist eine interdisziplinäre<br />
Herangehensweise erforderlich. Für den Bereich der Psychotherapie<br />
bedeutet dies konkret, die Voraussetzungen, Möglichkeiten und Grenzen<br />
einer Einbeziehung von Spiritualität und Religiosität innerhalb ihrer<br />
pr<strong>of</strong>essionellen Rahmenbedingungen zu sondieren. Es werden Befunde<br />
einer bundesweiten Erhebung zum Thema vorgestellt und erste Antworten<br />
auf diese Fragen diskutiert.<br />
Foucault als Methode? Panel 2. Zur Anwendung postkolonialer und<br />
poststrukturalistischer Theorien in der historischen Religionswissenschaft<br />
• Sara Heinrich: Die „Debatte um Geschichte“ zwischen<br />
M. Foucault und J. Derrida und ihre Relevanz für die<br />
Esoterikforschung am Beispiel A. Kingsfords (1846-1888)<br />
• Yan Suarsana: Geschichte als „retroaktiver Effekt“ der<br />
Benennung: Zur Konstruktion des historischen Gegenstands<br />
„Pfingstbewegung“<br />
• Jörg Haustein: Stimmen zum Islam in Deutsch-<br />
Ostafrika: Repräsentation und Alterität in der<br />
Religionsgeschichtsschreibung<br />
• Ricarda Stegmann: Shalini Randerias Modell der entangled<br />
histories am Beispiel der Debatte um den Islam in Frankreich<br />
82
Samstag, 17. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Sara Heinrich: Die „Debatte um Geschichte“ zwischen M. Foucault und J.<br />
Derrida und ihre Relevanz für die Esoterikforschung am Beispiel A. Kingsfords<br />
(1846-1888)<br />
Auf poststrukturalistische Philosophien geht die Einsicht zurück, dass<br />
Geschichte keine objektive Größe im Sinne „abbildbarer vergangener<br />
Wirklichkeit“ darstellt, sondern dass Historiographie und Historie zugleich<br />
Produkt und Produzent von Wirklichkeit sind, die sich wechselseitig als<br />
„wahr“ erweisen. Wie kann – angesichts dieser Einsicht – Geschichte<br />
geschrieben werden? Diese Frage bildet den gemeinsamen Ausgangspunkt<br />
der Debatte um Geschichte zwischen M. Foucault und J. Derrida.<br />
Der Vortrag wird zentrale Aspekte der Debatte aufgreifen und am Beispiel der<br />
Medizinerin, Theosophin und römisch-katholischen Christin A. Kingsfords<br />
(1846-1888), der bislang von Seiten akademischer Esoterikforschung kaum<br />
Aufmerksamkeit zuteil wurde, die Herausforderungen für die historische<br />
Esoterikforschung diskutieren. Dabei soll die grundlegende Streitfrage –<br />
nach den epistemologischen Voraussetzungen und Grenzen diskursiver<br />
Geschichtsschreibung – im Zentrum stehen: Kann die Anwendung der<br />
„genealogischen Methode“ im Sinne Foucaults die Forscherin befähigen,<br />
Teile einer bislang „verdeckten“ Geschichte der Esoterik zu schreiben und<br />
diese „sichtbar“ zu machen oder stellt dies nur die Einnahme eines weiteren,<br />
selbst kontingenten historischen Standpunkts dar?<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Yan Suarsana: Geschichte als „retroaktiver Effekt“ der Benennung: Zur<br />
Konstruktion des historischen Gegenstands „Pfingstbewegung“<br />
Als eine der jüngsten und facettenreichsten Strömungen des Christentums<br />
hat die Pfingstbewegung bereits zur Zeit ihrer Entstehung vor etwa 100<br />
Jahren den Prozess der eigenen Genese intensiv durch die Produktion<br />
historiographischer Texte begleitet. Früh konkurrierte dabei die Idee eines<br />
durch den Heiligen Geist in aller Welt gleichzeitig bewirkten neuen Pfingsten<br />
mit dem Konzept eines US-amerikanischen Ursprungs der Pfingstbewegung,<br />
das in den 60er Jahren auch von der akademischen (pentekostalen)<br />
Religionsgeschichtsschreibung aufgegriffen wurde. Auf diese Weise war<br />
die Identitätskonstruktion innerhalb der Pfingstbewegung zu allen Zeiten in<br />
gehöriger Weise von der Geschichtsschreibung abhängig.<br />
83
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Samstag, 17. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Die von Hayden White vorgebrachten Überlegungen zur narrativen Struktur<br />
und zum Plotcharakter historiographischer Texte können ganz konkret dazu<br />
dienen, das Diskursprodukt „Pfingstbewegung“ als historischen Gegenstand<br />
intelligibel zu machen. Nicht die Frage, wie sich die Pfingstbewegung im<br />
Laufe ihrer Geschichte entwickelt hat, sondern wie sie im Rahmen der<br />
historiographischen Literatur als eigenständiger Gegenstand erzeugt wurde,<br />
steht hierbei im Vordergrund. So lassen sich die Erzählungen und inhaltlichen<br />
Konzepte der pentekostalen Historiker im Sinne eines „retroaktiven Effekts“<br />
(Slavoj Žižek) der Benennung der Pfingstbewegung als einer abgrenzbaren<br />
Größe begreifen, die den „reinen Signifikanten“ mit Substanz auszufüllen<br />
suchen und die Pfingstbewegung damit als „Gegenstand der Geschichte“<br />
erst erschaffen.<br />
Jörg Haustein: Stimmen zum Islam in Deutsch-Ostafrika: Repräsentation<br />
und Alterität in der Religionsgeschichtsschreibung<br />
84<br />
Die Frage der Repräsentation markiert eines der zentralen Probleme der<br />
Religionsgeschichte, insbesondere da religionsgeschichtliche Quellen in<br />
besonderer Weise mit dem kolonialen Wissensarchiv Europas verwoben<br />
sind und so die epistemische Gewalt der Repräsentation verdeutlichen.<br />
Die Frage ist nun, ob und inwiefern Religionsgeschichtsschreibung<br />
hinter diese Instanzen der Repräsentation blicken kann, um Alterität und<br />
Handlungsmacht der Repräsentierten zu rekonstruieren. In ihrer kritischen<br />
Diskussion des Projekts der „Subaltern Studies“ hat Gayatri Spivak darauf<br />
hingewiesen, dass die postkoloniale Rekonstruktion unterdrückter Akteure<br />
wiederum nur das sprechende Subjekt Europas einführt, da bestimmte<br />
Vorstellungen von Rationalität, Handlungsintention und Authentizität an<br />
die Stelle eines Schweigens gesetzt werden. Dagegen gelte es, eben jenes<br />
Schweigen zu vermessen und die Stimme „des anderen in uns delirieren zu<br />
lassen“.<br />
Der Vortrag setzt sich mit diesem Vorschlag und Dipesh Chakrabartys<br />
ähnlich gelagertem Projekt der „Provinzialisierung Europas“ auseinander,<br />
und bringt sie ins Gespräch mit religionshistorischen Forschungen zum<br />
Islam in Tanganjika in der deutschen Kolonialzeit. Im Zentrum der Analysen<br />
steht dabei die koloniale Debatte zur Identität „des“ Islams Deutsch-<br />
Ostafrikas, die jedoch nicht in ihrer Wirkmächtigkeit, sondern gerade von<br />
ihren Grenzen her in den Blick genommen werden soll.
Samstag, 17. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Ricarda Stegmann: Shalini Randerias Modell der entangled histories am<br />
Beispiel der Debatte um den Islam in Frankreich<br />
Shalini Randeria betont insbesondere in Bezug auf koloniale Kontexte die<br />
wechselseitige Identitätskonstitution von Kolonisierenden und Kolonisierten,<br />
die sie auf der Ebene von Institutionen und gesellschaftlichen Diskursen<br />
mit Hilfe des Konzepts der entangled histories zu fassen sucht. Während<br />
der gemeinsamen Kolonialgeschichte haben die kolonisierenden und die<br />
kolonisierten Länder demnach sowohl ähnliche Strukturen (shared history)<br />
als auch das Bedürfnis zu Abgrenzung und Differenz (divided history)<br />
hervorgebracht. In diesem Vortrag soll die Nutzbarkeit von Shalini Randerias<br />
Modell der entangled histories für die Analyse der Spezifika muslimischreligiösen<br />
Expertentums sowie des islamischen Rechts im französischalgerischen<br />
Kolonialkontext geprüft werden. Die Ergebnisse werden in einem<br />
zweiten Schritt in einen Zusammenhang mit aktuellen Islamdebatten in<br />
Frankreich wie Kopftuchverbot, Imamausbildung oder die Repräsentativität<br />
des nationalen Muslimrates gestellt.<br />
Auch diese Problemkomplexe erscheinen unter Einbeziehung der<br />
gemeinsamen franko-algerischen Geschichte in neuem Licht: Algerischmuslimische<br />
Positionen erscheinen so nicht als Elemente eines fremden<br />
Kulturkreises, sondern als eine von vielen möglichen Positionen zum Modell<br />
„Frankreich“, die die französische Geschichte selbst hervorgebracht hat.<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Theoriebildungen im Interferenzfeld von Altorientalistik, Altertumswissenschaft<br />
und Religionswissenschaft<br />
• Michael Weichenhan: Die altägyptische Religion und das<br />
liberale Christentum: Christian Karl Josias v. Bunsen und die<br />
Anfänge der wissenschaftlichen Ägyptologie<br />
• Anja Hänsch: Inanna-Ischtar: Hysterikerin, Schamanin oder<br />
befreite Frau? Zur Relevanz der Geschlechterforschung für<br />
die Wissenschaftsgeschichte einer Göttin<br />
• Darja Sterbenc Erker: Fremdheit in Ritual und Text: Antike<br />
und heute<br />
85
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Samstag, 17. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Michael Weichenhan: Die altägyptische Religion und das liberale Christentum:<br />
Christian Karl Josias v. Bunsen und die Anfänge der wissenschaftlichen<br />
Ägyptologie<br />
Mit Champollion begann die moderne Ägyptologie. Einer der ersten<br />
Anhänger seiner revolutionären Deutung der Hieroglyphen war der<br />
preußische Diplomat Christian K. J. v. Bunsen (1791–1860). Gemeinsam<br />
mit Alexander v. Humboldt trug er entscheidend dazu bei, dass von 1842<br />
bis 1846 die von seinem Schüler Richard Lepsius geleitete Expedition<br />
nach Ägypten durchgeführt wurde, die den preußischen Staat zu einem<br />
der führenden Staaten auf dem Feld der Ägyptologie machte. In seinem<br />
fünfbändigen Monumentalwerk „Aegyptens Stelle in der Weltgeschichte“,<br />
die zwischen 1844 und 1857 erschienen, unternahm v. Bunsen den Versuch<br />
einer chronologischen Situierung der ägytischen Monumente im Rahmen<br />
der Religionsgeschichte der Alten Welt, ein Werk, das seine Fortsetzung<br />
in dem dreibändigen „Gott in der Geschichte“ fand, das 1857 bis 1858<br />
publiziert wurde.<br />
Das als Dokument der Frühgeschichte der modernen Ägyptologie bislang<br />
kaum angemessen gewürdigte Werk Bunsens soll unter folgenden Aspekten<br />
betrachtet werden:<br />
1. Die Entzauberung Ägyptens: Der Bruch mit der frühneuzeitlichen<br />
Ägyptologie<br />
2. Ägypten als Ausgangspunkt: Die Transformation der traditionellen<br />
Erwartungen an Ägypten in eine Geschichtsphilosophie<br />
3. Ägypten als Präformationsfigur des künftigen Christentums.<br />
Religionsgeschichte und liberales Christentum.<br />
Anja Hänsch: Inanna-Ischtar: Hysterikerin, Schamanin oder befreite Frau?<br />
Zur Relevanz der Geschlechterforschung für die Wissenschaftsgeschichte<br />
einer Göttin<br />
Die altorientalische Göttin Inanna-Ischtar gilt als eine überaus schillernde<br />
Gottheit. Dietz Otto Edzard schreibt in seinem Band zur Mythologie der<br />
Sumerer und Akkader, dass Inanna-Ischtar „die hervorragendste und<br />
wegen ihrer vielfältigen und vielschichtigen Gestalt am schwierigsten<br />
86
Samstag, 17. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
zu erfassende Göttin des sumerischen und akkadischen Pantheons“ sei.<br />
Ähnliche Beschreibungen der Göttin durchziehen die Altorientalistik des<br />
20. Jahrhunderts.<br />
Auffallend ist in der Forschung, dass die Fülle der Charakteristika Inanna-<br />
Ischtars in der großen Bandbreite der emotionalen Zugänge zu der Göttin<br />
eine Entsprechung findet. So belegt Gössmann die mesopotamische<br />
Himmelskönigin in einem Kommentar zum Gilgamesch-Epos mit dem<br />
Adjektiv hysterisch; Samuel Noah Kramer erscheint sie als Prototyp der<br />
befreiten Frau und Brigitte Groneberg betont die schamanischen Qualitäten<br />
der Göttin, um nur einige Beispiele zu nennen.<br />
Dieser Beitrag will zeigen, dass sich manche Deutungen der Göttin Inanna-<br />
Ischtar mit Hilfe der Frauen- und Geschlechterforschung erschließen lassen.<br />
Die geschichtlich bedingten Konstruktionen von Geschlecht spiegeln sich in<br />
der Wissenschaftsgeschichte der Inanna-Ischtar wider.<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Darja Sterbenc Erker: Fremdheit in Ritual und Text: Antike und heute<br />
Das Konzept der Fremdheit ist seit der Antike ein fester Bestandteil des<br />
religiösen Diskurses. Im Vortrag werden die verschiedenen religiösen<br />
Ausdrucksformen der Andersartigkeit analysiert, um die Übereinstimmungen<br />
und Kontraste zwischen antiken und heutigen Auffassungen der religiösen<br />
Fremdheit zu zeigen. Es wird der Frage nachgegangen, durch welche<br />
Merkmale die Religionen, Überzeugungen, Rituale und Kultgegenstände<br />
gekennzeichnet werden, um auf ihre Fremdheit zu verweisen. Dabei<br />
werden die Konzepte der religiösen Alterität auf drei Ebenen untersucht:<br />
Erstens die Durchführung der Rituale, zweitens die Diskurse über die<br />
religiöse Praxis, drittens die normative Ordnung. Die Grenze zwischen<br />
fremden und einheimischen rituellen Praktiken erweist sich als sehr fragil,<br />
da exotische Bräuche und Glaubensinhalte für die Anderen nicht begreifbar<br />
sind. Fremde religiöse Einflüsse kommen häufig als eine kreative Mischung<br />
aus einheimischen rituellen Elementen und „fremden“ Zutaten zustande.<br />
Die Diskurse über religiöse Praxis sind häufig eine Reflexion über die<br />
Akzeptanz oder Ablehnung fremder Rituale und Glaubensinhalte. Die<br />
Fremdartigkeit der rituellen Performanz an sich ist nicht ausschlaggebend<br />
für die positive oder negative Sicht auf die fremde Religion, sondern das<br />
Bedürfnis einer Gesellschaft, sich von den fremden Einflüssen abzugrenzen<br />
87
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Samstag, 17. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
oder sie aufzunehmen. Die normative Ordnung wie die geschriebene oder<br />
mündliche rechtliche Tradition, speist sich aus den jeweiligen Diskursen,<br />
die das Fremde integrieren oder ablehnen. Abschließend wird über die<br />
Aktualität der Unterscheidung zwischen dem Eigenen und dem Fremden in<br />
der heutigen Zeit reflektiert.<br />
Musik und Religion – Hörproben aus dem Forschungsfeld Religionsmusikologie<br />
• Isabel Laack: Das Forschungsfeld Religionsmusikologie –<br />
Skizzen einer Partitur<br />
• Luise Lampe: Religiöse Musikdeutung in der gegenwärtigen<br />
Klassikszene<br />
• Lidia Guzy: Die Klänge der Göttin. Zur Ethnographie von<br />
Religion und Musik im westlichen Orissa/Indien<br />
Isabel Laack: Das Forschungsfeld Religionsmusikologie – Skizzen einer Partitur<br />
In diesem Vortrag werden erste Skizzen möglicher Partituren für das Erklingen<br />
von Forschungsprojekten im Feld Religionsmusikologie vorgestellt. Sie<br />
basieren auf mehreren Jahren der Forschung auf diesem Gebiet, insbesondere<br />
im Rahmen meiner Dissertation, in denen ich verschiedene Instrumente und<br />
ihr Klangspektrum testete, meine technischen und kreativen Fähigkeiten<br />
trainierte und Rhythmen, Formen von Polyphonie und melodische Motive<br />
entwickelte.<br />
Die Vorstellung der Skizzen umfasst verschiedene Aspekte<br />
religionsmusikologischer Arbeit: Eine Verortung in der Disziplingeschichte<br />
und im Bereich gegenwärtig dominanter Kompositionsregeln<br />
(Wissenschaftsverständnissen) dienen als Grundlage für eine Übersicht,<br />
welche Instrumente für das Umsetzen welcher religionswissenschaftlicher<br />
Klangvorstellungen geeignet sind. Die verschiedenen Ebenen von Klang<br />
und Musik und Möglichkeiten ihrer methodischen Erschließung werden<br />
aufgeschlüsselt und erläutert, welche Funktionen sie in der motivischen<br />
Entwicklung religionswissenschaftlicher Theorie einnehmen können.<br />
Schließlich werden einige dieser Motive beispielhaft analysiert wie<br />
88
Samstag, 17. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
die Frage nach dem Stellenwert der Erforschung religiöser Erfahrung in<br />
der Religionswissenschaft. Wurde diese im Zuge der Abgrenzung von<br />
der Religionsphänomenologie weitgehend als Forschungsgegenstand<br />
ausgeklammert, kommen wir in der Religionsmusikologie nicht umhin, uns<br />
der Frage zu stellen, was wir und die von uns untersuchten Akteure unter<br />
„Erfahrung“ verstehen und wer sie wann und warum als „religiös“ oder<br />
„spirituell“ definiert.<br />
Luise Lampe: Religiöse Musikdeutung in der gegenwärtigen Klassikszene<br />
Wenn Interpreten von Musik erläutern, was sie unter dieser verstehen und<br />
wie sie diese erleben, kommen nicht selten philosophische und/oder im<br />
weitesten Sinne „religiöse“ Vorstellungen zum Tragen. Dies ist sowohl im<br />
Bereich des Pop und Jazz als auch in der Welt der klassischen Musik zu<br />
beobachten.<br />
Welche entsprechenden Musikkonzepte bei Interpreten klassischer Musik<br />
konkret Verwendung finden und wie diese möglicherweise mit Aspekten<br />
von Gegenwartsreligiosität und -kultur sowie europäischer Musik- und<br />
Religionsgeschichte zusammenhängen, soll das Thema meines Vortrags<br />
sein. Dabei sollen theoretische und historische Hintergründe erläutert sowie<br />
einige Fallbeispiele multimedial vorgestellt werden.<br />
Mit diesem Thema im Schnittfeld von Religions- und Musikwissenschaft<br />
ergibt sich ein weiteres Forschungsfeld für die im Entstehen begriffene<br />
Religionsmusikologie, die sich der überfälligen kulturwissenschaftlichen<br />
Erforschung des vielgestaltigen Zusammenhangs von „Religion“ und<br />
„Musik“ widmet.<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
89
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Samstag, 17. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Lidia Guzy: Die Klänge der Göttin. Zur Ethnographie von Religion und<br />
Musik im westlichen Orissa/Indien<br />
Anhand meiner Forschungen zu Musiktraditionen des westlichen Orissa<br />
möchte ich in diesem Vortag die kulturspezifische Verbindung von Religion<br />
und Musik aufzeigen. Durch langwierige Feldforschungen habe ich ein<br />
weitgehend unbekanntes lokales Religionssystem erkundet, das vor allem<br />
auf den Klängen unterschiedlicher Instrumente basiert.<br />
In der Bora Sambar Gegend des westliches Orissas (Indien) ist das Medium<br />
Musik Bedeutungsträger einer lokalen Botschaft: Die Botschaft heißt, dass<br />
Rhythmen und Klänge des Dorforchesters Ganda Baja die Sprache lokaler<br />
Göttinnen repräsentieren, transportieren und kommunizieren.<br />
Der Vortrag zeichnet eine „Ethnographie von Religion und Musik“ auf und<br />
diskutiert, was eine Musikreligionsethnologie innerhalb einer systematischen<br />
Religionswissenschaft bedeuten kann.<br />
14:15 bis 15:45 Uhr<br />
Religionswissenschaft & Neutralität – Die Position der Religionswissenschaft<br />
in Diskursen über Religion(en), Panel 1<br />
• Johannes Quack: Innen-Außen-Reflexiv:<br />
Religionswissenschaftliche Neutralitätsansprüche zwischen<br />
Theologie und Religionskritik<br />
• Fritz Heinrich: Methodischer Nihilismus: Zur performativen<br />
Neutralität des Forschenden innerhalb der engagierten<br />
Religionswissenschaft Ali Schariatis<br />
• Jens Schlieter: Pathos der Distanz (zur Theologie):<br />
Religionswissenschaftliche Neutralität und die Frage nach der<br />
Normativität<br />
• Adrian Hermann: Diskurstheorie, Kritik und Neutralität:<br />
Überlegungen zur Rezeption kulturwissenschaftlicher<br />
Theoretiker in der Religionswissenschaft<br />
90
Samstag, 17. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Johannes Quack: Innen-Außen-Reflexiv: Religionswissenschaftliche Neutralitätsansprüche<br />
zwischen Theologie und Religionskritik<br />
Im Werben um gesellschaftlichen Einfluss ist das Stichwort der „Neutralität“<br />
wohl das größte „Asset“ (um die Werbesprache aufzugreifen) der<br />
Religionswissenschaft. Wenn auch gesellschaftlich (noch?) nicht verankert,<br />
besticht das Argument, dass es weltanschaulich neutrale Perspektiven<br />
auf Religion(en) nur von der Religionswissenschaft gebe. Gleichzeitig ist<br />
„Neutralität“ ein theoretisch vielschichtiges und problematisches Konzept,<br />
welches komplexe Fragen nach Objektivität und Wertfreiheit nach sich zieht.<br />
Dieser Beitrag widmet sich den theoretischen Diskussionen um Neutralität in<br />
der Religionswissenschaft und benachbarten Disziplinen. Diese reichen von<br />
verschiedenen Verständnissen einer Epoché über Ausformulierungen eines<br />
methodologischen Agnostizismus und methodologischen Atheismus bis hin<br />
zur grundsätzlichen, reflexiven Infragestellung (religions)wissenschaftlicher<br />
Neutralitätsansprüche. Abschließend wird auf die Frage eingegangen, wie<br />
sich die verschiedenen religionswissenschaftlichen Abgrenzungsversuche<br />
gegenüber religiösen Positionen zu einer kaum systematisch diskutierten<br />
Abgrenzung gegenüber religionskritischen Positionen verhalten.<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Fritz Heinrich: Methodischer Nihilismus: Zur performativen Neutralität<br />
des Forschenden innerhalb der engagierten Religionswissenschaft Ali Schariatis<br />
Der iranische Denker Ali Schariati (1933-1977) lieferte mit seinem<br />
umfangreichen Werk auch einen eigenständigen religionswissenschaftlichen<br />
Ansatz. Er betrachtete, analysierte und diskutierte die religiösen<br />
Sachverhalte nicht nur theore tisch akademisch, sondern schaltete sie<br />
programmatisch in sein eigenes Leben ein. Seine Hö rer/innen und Leser/<br />
innen sollten dies ebenfalls tun. Diese Form von Religionswissenschaft<br />
war eine Religionswissenschaft ohne Epoché und ohne Einklammerung<br />
der Wahrheitsfrage. Und es war eine engagierte Religionswissenschaft, das<br />
heißt eine Religionswissenschaft, die Partei nahm für die Ohnmächtigen,<br />
Schwachen und Unterdrückten. Nur so konnte sie ganzheitlich betrieben<br />
werden, d.h. unter Gebrauch aller dem Menschen zur Ver fügung stehenden<br />
Sinne und Wahrnehmungsformen. Von religiöser, verstehender oder<br />
91
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Samstag, 17. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
92<br />
ganzheitlicher Religionswissenschaft europäisch-westlicher Provenienz<br />
unterschied sich Scharia tis Religionswissenschaft dadurch, dass er mit seinem<br />
Religionsverständnis einen dritten Weg zwischen einem idealistischen und<br />
einem realistischen Religionsbegriff anstrebte. Schariati versuchte, mit Hilfe<br />
des dialektischen Hyperempirismus George Gurvitchs und der Phänomenologie<br />
Sartres Begriffe zu kreieren, in denen das in den Sachverhalten<br />
verborgene Sein zur Sprache gebracht werden konnte. Die existentiale<br />
Religionswissenschaft Schariatis war demnach eine nichtidealistisch, sondern<br />
ontologisch fundierte religiös rückgebundene Religionswissenschaft.<br />
Jens Schlieter: Pathos der Distanz (zur Theologie): Religionswissenschaftliche<br />
Neutralität und die Frage nach der Normativität<br />
Die Bestimmung einer Religionswissenschaft, die über ihren<br />
Gegenstandsbereich der Religion bzw. religiöser Akteure keine normativen<br />
Urteile fällt, sondern diesen Bereich aus neutraler Position und mit<br />
einem wissenschaftlichen Erkenntnisinteresse untersucht, wird von vielen<br />
ihrer Vertreterinnen und Vertreter geteilt. Diese Bestimmung dient unter<br />
anderem der Abgrenzung gegenüber stärker normativ interessierten<br />
Disziplinen wie der Theologie und Ethik. Genauer besehen folgen aber<br />
andererseits viele Vertreter der Religionswissenschaft dem Argument,<br />
dass der Standpunkt einer interesselosen, objektiven Neutralität (wie u.a.<br />
von Max Weber gefordert) eine regulative Idee bzw. gar methodologische<br />
Fiktion darstellt, die in reiner Form wohl manchmal in gewissen naturoder<br />
sozialwissenschaftlichen Grundlagenforschungen, nicht aber im Feld<br />
der kultur- und geisteswissenschaftlichen Forschung angetr<strong>of</strong>fen wird. Im<br />
Vortrag wird der Frage nachgegangen, inwiefern der Religionswissenschaft<br />
im gesellschaftlichen Kontext normative Dimensionen notwendiger Weise<br />
inhärent sind und wie diese methodologisch so kontrolliert werden könnten,<br />
dass sie der Glaubwürdigkeit des religionswissenschaftlichen Anspruches<br />
keinen Schaden zufügen (und diesen, zugespitzt gesagt, zur Kryptotheologe<br />
auf der einen, oder, auf der anderen Seite, zur ideologisch-reduktionistischen<br />
Religionskritik werden lassen). Hierzu wird vorgeschlagen, den Begriff<br />
der „systematischen Religionswissenschaft“ in weitere Subdisziplinen<br />
auszudifferenzieren, um den unterschiedlichen Erkenntnisinteressen in<br />
von einander abgetrennten Phasen (im Forschungsprozess) und Rollen (im<br />
gesellschaftlichen Diskurs) methodologisch kontrollierbar nachgehen zu<br />
können.
Samstag, 17. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Adrian Hermann: Diskurstheorie, Kritik und Neutralität: Überlegungen<br />
zur Rezeption kulturwissenschaftlicher Theoretiker in der Religionswissenschaft<br />
Die gegenwärtige Situation religionswissenschaftlicher Theoriebildung lässt<br />
sich – wie so <strong>of</strong>t – an den Auseinandersetzungen um den Religionsbegriff<br />
ablesen. Anhand der heuristischen Unterscheidung zwischen<br />
Religionstheorie/Diskurstheorie ließen sich zumindest zwei unterschiedliche<br />
Perspektiven ausmachen, die deutlich anders akzentuierte Vorschläge<br />
beinhalten, mit dem Problem „Religion“ umzugehen.<br />
Die diskurstheoretische Perspektive versucht, das Problem der Definition<br />
des Religionsbegriffs zu umgehen, indem sie sich nur noch für das<br />
„Reden über Religion“ interessiert, und damit andere Akteure und<br />
gesellschaftliche Diskurse darauf hin betrachtet, wie dort „Religion“<br />
verhandelt wird. Sie ist somit nicht zuletzt ein Versuch, sich im Rahmen einer<br />
religionswissenschaftlichen Beschreibung von „Essentialismen“ zu lösen.<br />
Jedoch beziehen sich die meisten diskurstheoretischen Entwürfe – auch<br />
innerhalb der Religionswissenschaft – in ihren Argumentationen <strong>of</strong>tmals auf<br />
verschiedene der mittlerweile „klassischen“ Autoren der Kulturwissenschaft<br />
und cultural studies wie etwa Michel Foucault, Ernesto Laclau/Chantal<br />
Mouffe oder Judith Butler.<br />
Wie werden deren Positionen jedoch in der Religionswissenschaft<br />
rezipiert? Eignen sich diese für eine „neutrale Beschreibung“? Denn diese<br />
Theoretiker zeichnen sich dadurch aus, dass sie selbst in vielen Fällen<br />
als öffentliche und kritische Intellektuelle aufgetreten sind. Was bedeutet<br />
es für eine kulturwissenschaftliche Religionswissenschaft, wenn sie sich<br />
in ihrer Theoriebildung auf Autoren bezieht, welche selbst als Aktivisten<br />
aufgetreten sind? Gibt es trotz der <strong>of</strong>tmals als „neutral“ verstandenen<br />
religionswissenschaftlichen Rezeption hier nicht doch eine enge Verbindung<br />
zwischen Diskurstheorie/Diskursanalyse und Kritik? Welches Potential für<br />
Kritik kann – und muss – daher eine diskurstheoretische Religionswissenschaft<br />
aufgrund ihrer theoretischen Fundierung entwickeln?<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
93
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Samstag, 17. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Religion vernetzt: Religion und Migration in relationaler Perspektive.<br />
Panel 1<br />
• Karin Hitz: Boundary Work: Aktive Muslime in Deutschland:<br />
Grenzziehungsprozesse und Legitimationsdynamiken im<br />
Kontext sozialer und zivilgesellschaftlicher Arbeit<br />
• Nelly Joppich: Von „Gatekeepern“ und „Brokern“: Engagierte<br />
Akteure als Schnittstellen zwischen religiösen Organisationen<br />
• Eva-Maria Döring: “Ven, ven Espiritu Santo ven!” Zur<br />
religiösen Praxis lateinamerikanischer Pfingstler in<br />
Deutschland<br />
• Sabrina Weiß: Mediative Migrationskirchen? Vernetzung und<br />
zivilgesellschaftliche Potentiale christlicher Koreanischer<br />
Gemeinden<br />
Karin Hitz: Boundary Work: Aktive Muslime in Deutschland: Grenzziehungsprozesse<br />
und Legitimationsdynamiken im Kontext sozialer und zivilgesellschaftlicher<br />
Arbeit<br />
Der Vortrag befasst sich mit aktiven Muslimen in Deutschland und der<br />
Gemeinwohlorientierung des Islam. Der Schwerpunkt liegt dabei auf<br />
zivilgesellschaftlichen und sozialen Leistungen und Ressourcen, welche<br />
Muslime für ihre eigene Community, aber auch darüber hinaus für die<br />
Gesamtgesellschaft bereitstellen und nutzen. Aktive, engagierte Muslime in<br />
Deutschland erbringen inner- und außerhalb ihrer religiösen Gemeinschaft<br />
verschiedene Unterstützungsleistungen, beispielsweise sozialer, emotionaler<br />
und finanzieller Art, Jugend- und Bildungsarbeit, Alten- und Pflegearbeit,<br />
Integrationsarbeit, religiöse Unterweisung, gewerkschaftliche und politische<br />
Arbeit u.a.. Damit leisten sie einen wichtigen Beitrag zur nichtstaatlichen<br />
sozialen Arbeit und stärken die Zivilgesellschaft. Unter aktiven Muslimen<br />
verstehe ich Menschen, die einerseits in einem muslimischen Kontext,<br />
andererseits im sozialen und/oder zivilgesellschaftlichen Bereich aktiv sind.<br />
Ein besonderer Fokus liegt nicht nur auf der religiösen Deutung<br />
sozialer Prozesse, sondern auch auf der religiösen Motivation von<br />
gemeinwohlorientiertem Handeln. Das Engagement in verschiedenen<br />
sozialen Kreisen lässt den Akteur zum Knotenpunkt der Aushandlung<br />
individueller Grenzziehungs- und Legitimierungsstrategien werden, denn<br />
durch die Abgrenzung von Anderen wird die eigene Handlung legitimiert.<br />
94
Samstag, 17. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Diese Selbstverortung geschieht immer in Relation zum Netzwerk, in<br />
das der Akteur eingebettet ist. Der Vortrag beinhaltet erste systematische<br />
Analysen aus dem empirischen Datenmaterial über engagierte Muslime im<br />
Ruhrgebiet.<br />
Nelly Joppich: Von „Gatekeepern“ und „Brokern“: Engagierte Akteure als<br />
Schnittstellen zwischen religiösen Organisationen<br />
Der Vortrag beleuchtet in einem netzwerkanalytischen Kontext die<br />
Besonderheiten, die damit einhergehen, wenn engagierte Individuen<br />
verschiedene religiöse Organisationen miteinander in Beziehung setzen.<br />
Durch die öffentliche Auseinandersetzung mit der religiösen<br />
Vergemeinschaftung von Menschen mit Migrationshintergrund werden<br />
religiöse Vereine, Gemeinden und Kirchen in Deutschland zunehmend<br />
als sozialstrukturell relevante Akteure wahrgenommen. Sie interagieren<br />
in diesem Sinne als repräsentative, formalisierte Zusammenschlüsse<br />
religiöser Individuen mit der Gesellschaft. Auf der Mesoebene stellen<br />
diese korporativen Akteure demnach mehr oder weniger stabile Entitäten<br />
dar, die miteinander soziale Beziehungen eingehen können. Im Kontext<br />
interreligiöser Beziehungen ist diese Analyseebene besonders spannend. Die<br />
schon im Kleinen schwierige Auseinandersetzung über religiöse Grenzen<br />
hinweg erfolgt hier stellvertretend für und im Namen ganzer religiösen<br />
Gemeinschaften.<br />
Die tatsächlichen Handlungen bei der Aufnahme von Beziehungen<br />
zwischen korporativen Akteuren und deren Aufrechterhaltung sind jedoch<br />
abhängig von der Interaktion zwischen individuellen Akteuren. So fungieren<br />
beispielsweise ambitionierte Ehrenamtliche, kirchliche Amtsträger oder<br />
städtisch finanzierte Integrationsbeauftragte als Kommunikationskanäle und<br />
Schnittstellen der (interreligiösen) Vernetzung. In ihren Sonderpositionen<br />
verkörpern sie sowohl sozialstrukturelle Bindeglieder, Repräsentanten<br />
und interkulturelle Agenten als auch personalisierte Zugangshürden und<br />
Informationsfilter. Anhand von empirischen Daten aus dem Ruhrgebiet<br />
liefert der Vortrag exemplarisch Einblick in das vielfältige Spannungsfeld<br />
aus Einflüssen, Erwartungen und Herausforderungen, das die individuellen<br />
Akteure in dieser Position beeinflusst.<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
95
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Samstag, 17. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Eva-Maria Döring: “Ven, ven Espiritu Santo ven!” Zur religiösen Praxis lateinamerikanischer<br />
Pfingstler in Deutschland<br />
Der Beitrag thematisiert die Unterschiede in der religiösen Praxis<br />
lateinamerikanischer Pfingstler in Deutschland aus einer relationalen<br />
Perspektive und einem Verständnis von Religion als menschlicher Praxisform<br />
heraus. Im Zentrum stehen dabei erste Erkenntnisse aus teilnehmender<br />
Beobachtung im Rahmen eines laufenden Forschungsprojektes.<br />
Die Feldforschung hat gezeigt, dass selbst bei dieser zahlenmäßig<br />
kleinen Untersuchungseinheit Differenzen in der religiösen Praxis und<br />
den verhandelten religiösen Inhalten bestehen. Diese scheinen in engem<br />
Zusammenhang mit der Größe der Gemeinde und der sozialen Einbettung<br />
der Akteure zu stehen. Mit essentialistischen Betrachtungsweisen können<br />
diese Unterschiede nicht gefasst werden. Sie eigenen sich daher wenig<br />
für die Beschreibung und Erklärung von Dynamiken und (Aushandlungs-)<br />
Prozessen, wie sie bspw. in einer Migrantensituation stattfinden. In diesem<br />
Vortrag sollen, in Rückgriff auf die Beobachtungen aus dem Feld, die<br />
Vorteile einer relationalen Perspektive und eines praxeologischen Ansatzes<br />
in der Religionswissenschaft diskutiert werden: Wenn Religion nicht als ein<br />
objektives System betrachtet wird, sondern als menschliche Praxisform,<br />
die in der Interaktion, d.h. in Beziehungen hervorgebracht wird, dann ist<br />
religiöse Praxis nicht allein abhängig von der Befolgung von Ordnungen<br />
und Normen. Sie wird zu einer interaktiv gestaltet Angelegenheit und<br />
steht in Relation zu den Beziehungen und Netzwerken der Akteure. Eine<br />
solche Perspektive erlaubt es, die hier angesprochenen Unterschiede in der<br />
religiösen Praxis und der Rezeption von religiösen Inhalten zu beschreiben<br />
und zu erklären.<br />
96<br />
Sabrina Weiß: Mediative Migrationskirchen? Vernetzung und zivilgesellschaftliche<br />
Potentiale christlicher Koreanischer Gemeinden<br />
Der Panelbeitrag geht anhand einer Gegenüberstellung der Frage<br />
nach, welche zivilgesellschaftlichen Potentiale und Kontaktstrukturen<br />
in christlichen koreanischen Gemeinden ausgebildet sind. Den<br />
Ausgangspunkt für die Überlegungen stellt der Wandel der Wahrnehmung<br />
von (religiösen) Migrantenorganisationen seit einigen Jahren dar. In ihnen
Samstag, 17. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
wird nun das Potential erkannt, einerseits die Interessen und Bedürfnisse<br />
der Mitglieder wahrzunehmen, Probleme zu artikulieren und Orientierung<br />
zu bieten. Andererseits könnten sie über das Selbsthilfepotential hinaus<br />
gesamtgesellschaftlich relevante Beiträge leisten. Dies gilt auch für<br />
christliche koreanische Gemeinden, die bisher in Deutschland ungenügend<br />
untersucht wurden. Vor dem Hintergrund, dass sich der Staat zunehmend<br />
aus der Förderung der Wohlfahrt zurückzieht, ist die Bedeutung religiösen<br />
Gemeinschaftshandelns daher nicht zu unterschätzen. Mit der Frage<br />
nach mediativen Migrantenorganisationen – wobei der Begriff mediativ<br />
im Sinne einer etymologischen Herleitung als „vermittelnd“ verstanden<br />
werden soll – wird ein Aspekt der den Migrantenorganisationen<br />
innewohnenden Potentiale aufgegriffen. Auf Grundlage erster Eindrücke<br />
aus einem aktuellen Forschungsprojekt werden Überlegungen zu religiös<br />
motiviertem sozialethischem Handeln angestellt. Religiöse Werthaltungen<br />
und sozialethisches Handeln einer Gemeinschaft werden dabei nicht als<br />
natürlich gegeben verstanden, sondern als wandelbar in ihren Ausführungen<br />
und Intensitäten. Dies ist abhängig davon, wie einzelne Akteure oder<br />
Gemeinschaften in die Gesellschaft eingebettet sind und zu ihrem Umfeld<br />
in wechselseitiger Beeinflussung stehen.<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Sexgurus und Kohlrabiapostel – Neue Forschungsperspektiven auf religiösen<br />
Nonkonformismus. Panel 1<br />
• Stefan Wegener: Die Religionswissenschaft als Akteur in der<br />
„Sektendebatte“ der Bundesrepublik<br />
• Katja Kleinsorge: Sex-Guru oder Bhagwan? Die Konflikte um<br />
den Ashram von Bhagwan Shree Rajneesh in Indien<br />
• Christiane Königstedt: Die Spezifika des esoterisch-okkulten<br />
Angebotes in Frankreich<br />
Stefan Wegener: Die Religionswissenschaft als Akteur in der „Sektendebatte“<br />
der Bundesrepublik<br />
Die Frage nach der gesellschaftlichen Relevanz der Religionswissenschaft<br />
wird besonders im Zusammenhang mit der sogenannten Sektendebatte<br />
in der Bundesrepublik virulent. Hier hat sich gezeigt, dass es dem Fach<br />
97
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Samstag, 17. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
nicht gelungen ist, sich als kompetenter Ansprechpartner für Fragen<br />
rund um Neue Religiöse Bewegungen (NRB) zu etablieren. Vielmehr<br />
bestimmten andere „Experten“ das Feld. Dominiert wurde die seit den<br />
70er Jahren geführte Auseinandersetzung von Vertretern der christlichen<br />
Kirchen, Elterninitiativen, politischen Akteuren, Journalisten und Vertretern<br />
diverser therapeutischer Berufe. Stimmen aus dem wissenschaftlichen<br />
Bereich, die der gängigen Stigmatisierung NRB nicht entsprachen und mit<br />
Bezug auf religionssoziologische und religionspsychologische Forschung<br />
Sachlichkeit anmahnten, fanden sich umgehend als „Kult-Lobbyisten“ an<br />
den Pranger gestellt. Durch diese Freund-Feind Polarisierung – später auch<br />
durch die Mitarbeit in der Enquetekommission „Sogenannte Sekten und<br />
Psychogruppen“ – wurde das Fach in der öffentlichen Arena als Akteur in<br />
dieser Auseinandersetzung wahrgenommen.<br />
In dem Vortrag werde ich die Religionswissenschaft als Diskursakteur in der<br />
„Sektendebatte“ verorten sowie Veränderungen innerhalb dieser Position<br />
nachzeichnen.<br />
Katja Kleinsorge: Sex-Guru oder Bhagwan? Die Konflikte um den Ashram<br />
von Bhagwan Shree Rajneesh in Indien<br />
98<br />
Auf der Grundlage der Auswertung von regionalen indischen Tageszeitungen<br />
versucht dieser Vortrag, die Konflikte um den Ashram von Bhagwan Shree<br />
Rajneesh (heute als Osho bekannt) zu rekonstruieren, der sich 1974 mit<br />
seinen Anhängern im westindischen Pune niederließ. Es geht dabei um die<br />
Suche nach einer Antwort auf die Frage, warum Bhagwan Shree Rajneesh<br />
nicht in die lebendige und vielgestaltige indische Tradition von Heiligen,<br />
spirituellen Lehrern, Predigern, Asketen, Gurus eingeordnet, sondern als<br />
„anders“ – als nonkonform – wahrgenommen und bekämpft wurde. In<br />
diesem Zusammenhang soll es nicht nur um die Vorstellung der beteiligten<br />
Akteure, ihren Strategien im Umgang mit Rajneesh und seinem Ashram,<br />
sondern vor allem um die Gründe für die Zuschreibung von Nonkonformität<br />
gehen.<br />
Anders formuliert könnte man auch fragen: Wo verlaufen in der indischen<br />
Gesellschaft der 1970er Jahre die Grenzen von dem, was von der von<br />
Hinduismus, religiösem Pluralismus und staatlichem Säkularismus<br />
geprägten gesellschaftlichen Konformität toleriert wird und wie wird die<br />
Überschreitung dieser Grenzen sanktioniert?
Samstag, 17. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Christiane Königstedt: Die Spezifika des esoterisch-okkulten Angebotes in<br />
Frankreich<br />
In Bezug auf „Religion“, vor allem auf neue oder moderne Entwicklungen<br />
des religiösen Feldes, ist Frankreich ein besonderer Fall, der in seinen wenig<br />
eindeutigen Befunden auch wissenschaftlich sehr kontrovers diskutiert wird.<br />
Frankreich hat eine der in Europa schärfsten Gesetzgebungen gegenüber den<br />
„dérives sectaires“ („sektiererische Abweichungen“), wobei diese in vollem<br />
Ausmaß selten zur Anwendung gekommen ist, während das Thema in der<br />
Öffentlichkeit und den Medien <strong>of</strong>t negativ präsentiert und wahrgenommen<br />
wurde und weitestgehend wird. Gleichzeitig zeichnen sich, sichtbar,<br />
Entwicklungen im religiösen Feld hin zu einer Individualisierung und<br />
Konsumorientierung von Religion wie in anderen Ländern ab, die wiederum<br />
nicht nur im „Anti-Sekten“-Diskurs verhandelt werden, sondern sich z.B.<br />
in der Rechtsetzung widerspiegeln. In meinem Vortrag werde ich einerseits<br />
die Spezifika des esoterisch-okkulten Angebotes in Frankreich beschreiben<br />
und andererseits auf die, in diesem Fall juristischen, Reaktionen auf die<br />
wahrgenommene Veränderung des modernen religiösen Feldes eingehen.<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Konjunktur der Religionsökonomie?<br />
• Markus Hero: Was heißt religiöser Markt? Versuch einer<br />
Klärung aus institutionentheoretischer Sicht<br />
• Nadja Miczek: Ritualdesign TM ? Positionierungs- und<br />
Vermarktungsprozesse im Feld des spirituellen Heilens<br />
• Alexander Rödel: Erklärungskonzepte der neoklassischen<br />
Religionsökonomik<br />
• Lucas Zapf: Vorstellung Dissertationsprojekt: Religiöse<br />
Aspekte der Berufsarbeit<br />
Markus Hero: Was heißt religiöser Markt? Versuch einer Klärung aus institutionentheoretischer<br />
Sicht<br />
Die religiöse Vielfalt moderner Gesellschaften hat ein breites Spektrum<br />
theoretischer Deutungen hervorgerufen. In der Folge von Peter L. Berger und<br />
den Publikationen des „Market Paradigms“ gehen viele Autoren, wenn sie<br />
99
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Samstag, 17. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
von der religiösen Pluralität sprechen, gleichzeitig vom Vorhandensein eines<br />
religiösen Marktes aus. Entgegen einer solchen Pauschalisierung beschäftigt<br />
sich der Vortrag mit der Frage, unter welchen Bedingungen die Rede vom<br />
„religiösen Markt“ erkenntnistheoretisch sinnvoll ist. Unter Rückgriff auf das<br />
Instrumentarium der neueren Institutionentheorie soll gefragt werden, wann<br />
Phänomene wie „Konkurrenz“, „Wettbewerb“ oder „Kundenorientierung“<br />
im religiösen Feld auftreten und welche Konsequenzen mit ihnen verbunden<br />
sind.<br />
Nadja Miczek: Ritualdesign TM ? Positionierungs- und Vermarktungsprozesse<br />
im Feld des spirituellen Heilens<br />
Auf dem Markt des spirituellen Heilens lassen sich derzeit insbesondere<br />
im Bereich der Esoterik rasch fortschreitende Ausdifferenzierungsprozesse<br />
beobachten, die gleichzeitig zu einer verstärkten Nischenbesetzung im Feld<br />
führen. Religiöse und rituelle Elemente werden entsprechend bestehender<br />
Angebotslage, aber auch im Hinblick auf Rezipientenwünsche gestaltet,<br />
transformiert und in einigen Fällen gänzlich neu designt. Am Beispiel<br />
von zwei neuen Reiki-Systemen wird in dem Vortrag thematisiert, wie die<br />
Macher dieser Systeme die neuen Rituale auf dem Markt platzieren, mit<br />
welchen Legitimierungs- und Authentifizierungsnarrationen neue oder<br />
transformierte religiöse und rituelle Inhalte verknüpft werden und wie<br />
Rezipienten auf Positionierungs- und Vermarktungsprozesse reagieren. So<br />
möchte der Beitrag versuchen, religionsökonomische Perspektiven für die<br />
aktuelle Religionswissenschaft zu schärfen.<br />
Alexander Rödel: Erklärungskonzepte der neoklassischen Religionsökonomik<br />
Seit den 1970er Jahren analysiert die neoklassisch inspirierte<br />
Religionsökonomik solche gesellschaftlichen Phänomene, welche unter<br />
dem Taxon „Religion“ verhandelt werden. Hierbei hat sie durch beinahe<br />
soteriologische Theorieversprechungen auf der einen Seite und vehementer<br />
Kritik auf der anderen auf sich aufmerksam gemacht. Aber nicht nur aus<br />
100
Samstag, 17. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
diesem Grund nimmt diese Spielart des Rational-Choice-Paradigmas<br />
eine spezielle Rolle in dem von der Unterscheidung „Religion“ und<br />
„Wirtschaft“ getragenen Feld religionsökonomischer Forschung ein. So will<br />
sie im Gegensatz zu Ansätzen, die beispielsweise auf Gabentheorie oder<br />
religionswissenschaftlicher Religionsökonomie basieren, „Erklärungen“ und<br />
nicht bloßes „Verstehen“ liefern. Im Vortrag sollen daher Erklärungsansätze der<br />
neoklassischen Religionsökonomik sowie deren Problematik exemplarisch<br />
und in der Auseinandersetzung mit den folgenden Fragen besprochen<br />
werden: Wie funktioniert neoklassisch-religionsökonomisches Erklären? Mit<br />
welchen wissenschaftstheoretischen Herausforderungen ist es konfrontiert?<br />
Welche Theoriebaustellen müssten bevorzugt bearbeitet werden, um<br />
die wissenschaftliche Plausibilität neoklassisch-religionsökonomischer<br />
Erklärungen zu erhöhen?<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Lucas Zapf: Vorstellung Dissertationsprojekt: Religiöse Aspekte der Berufsarbeit<br />
Das Projekt geht von der These einer Strukturanalogie zwischen den<br />
Funktionen der Berufsarbeit (im Sinne des Tätig-Seins mit ökonomischer<br />
Zielsetzung) im frühen lutherischen und calvinistischen Protestantismus und<br />
den Funktionen der Berufsarbeit im marktwirtschaftlichen Wirtschaftssystem<br />
aus. Es soll mit Hilfe der Anwendung institutionenökonomischer Theorie<br />
auf Texte der beiden Reformatoren herausgearbeitet werden, welche<br />
Funktionen die Berufsarbeit für den damaligen Protestantismus hatte. Im<br />
Anschluss daran werden die Ergebnisse mit Funktionszuschreibungen zur<br />
Berufsarbeit in der Marktwirtschaft anhand der Analyse von Diskursen<br />
der Wirtschaftssoziologie und der Philosophie verglichen. Die Texte der<br />
Reformatoren generieren den analytischen Zugang zu den religiösen<br />
Funktionen der Berufsarbeit und erlauben eine vergleichende Strukturanalyse<br />
mit der Marktwirtschaft. Das Projekt beleuchtet die marktwirtschaftliche,<br />
kapitalbasierte, arbeitsteilige Marktwirtschaft mit einer Dominanz des<br />
Privateigentums als Rahmenordnung, in welcher der Berufsarbeit ähnliche<br />
Funktionen zukommen, wie sie in einer frühen protestantischen Theologie<br />
proklamiert wurden. Das Projekt schließt sich an die bisherigen Forschungen<br />
zur religiösen Dimension des Marktes, des Geldes und des Konsums an und<br />
versteht sich als religionsökonomischer Beitrag der Religionswissenschaft<br />
zum Forschungsbereich „Kapitalismus als Religion“.<br />
101
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Samstag, 17. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
16:15 bis 17:45 Uhr<br />
Religionswissenschaft & Neutralität – Die Position der Religionswissenschaft<br />
in Diskursen über Religion(en), Panel 2<br />
• Jens Kugele: Neutralität und gesellschaftlicher Diskurs –<br />
Positionalität der Religions- und KulturwissenschaftlerIn<br />
• Christoph Wagenseil: 20 Jahre REMID revisited – Erfahrungen<br />
aus der Vermittlungsarbeit zwischen Öffentlichkeit und<br />
Wissenschaft<br />
• Franz Winter: Die Debatte um die Neutralität der<br />
Religionswissenschaft in der so genannten „Sekten“-<br />
Diskussion<br />
Jens Kugele: Neutralität und gesellschaftlicher Diskurs – Positionalität der<br />
Religions- und KulturwissenschaftlerIn<br />
Meine einleitenden Kommentare suchen den Rahmen des zweiten Panels<br />
abzustecken, in welchem das Verhältnis unseres Fachs zu zeitgenössischen<br />
gesellschaftlichen Diskursen im Mittelpunkt steht.<br />
Angesichts rezenter Debatten über die Schweizer Minarettverbote, die<br />
Sarazzinschen Thesen zur Integration oder die Demokratiefähigkeit<br />
muslimischer Gesellschaften erscheint eine vertiefte Diskussion über das<br />
Verhältnis von akademischer Kompetenz und gesellschaftlicher Position<br />
gerade für einen nachhaltigen „Aufwind“ des Faches äußerst lohnenswert.<br />
In welchem Maße ist die Unterrepräsentation unseres Faches in medialen<br />
Diskussionsforen, von der Russel McCutcheon 2001 spricht, 10 Jahre später<br />
noch aktuell? Kann gerade die kulturwissenschaftliche Kompetenz von<br />
ReligionswissenschaftlerInnen eine intellektuelle Position in öffentlichen<br />
Diskussionen begründen? Wie ist diese Kompetenz mit Forderungen einer<br />
„praktischen Religionswissenschaft“ zu vereinbaren? Institutionell stellt<br />
sich darüber hinaus die Frage, wie (Religions-)Wissenschaft ihre Relevanz<br />
jenseits des akademischen „Elfenbeinturms“ unterstreichen kann und<br />
auch AbsolventInnen unserer kulturwissenschaftlichen Fächer auf Berufe<br />
jenseits der akademischen Welt vorbereiten kann. Direkt verbunden hiermit<br />
102
Samstag, 17. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
könnte sich auch eine verstärkte Suche nach Unterrichtsformen als hilfreich<br />
erweisen, dieser Thematik mehr Raum in der Lehre zu geben und somit die<br />
<strong>of</strong>tmals stark getrennten Diskurse zusammenzuführen.<br />
Unter Rückgriff auf das Konzept der Positionalität, das seine Prominenz in<br />
den angelsächsischen Cultural Studies entwickelt hat, sucht der Beitrag die<br />
Perspektiven auf die Rolle von Religions- und KulturwissenschaftlerInnen im<br />
gesellschaftlichen Diskurs zu ergänzen.<br />
Christoph Wagenseil: 20 Jahre REMID revisited – Erfahrungen aus der Vermittlungsarbeit<br />
zwischen Öffentlichkeit und Wissenschaft<br />
Ob es einen „nachhaltigen“ Aufwind religionswissenschaftlicher Arbeit<br />
gibt und wie eine „praktische Religionswissenschaft“ die öffentlichen<br />
Diskurse über Religionen verändert, dafür dürften die Daten, welche der<br />
Religionswissenschaftliche Medien- und Informationsdienst REMID e.V.<br />
in über 20 Jahren Vereinsarbeit gesammelt bzw. selbst aufbereitet hat,<br />
einen Gradmesser darstellen können. Anfragen aus den Medien, von der<br />
Bevölkerung, von mit Religionen in Berührung kommenden Einrichtungen<br />
oder gar von Wirtschaftsunternehmen mit H<strong>of</strong>fnungen auf Erschließung neuer<br />
religiöser Märkte sowie von religiösen Gruppen oder Einzelpersonen aller<br />
Coleur sollen ausgewertet werden. Neben diesem Input von Außen stehen<br />
die von REMID ausgerichteten Projekte und Publikationen im Blickfeld. Die<br />
Affirmation pluralistischen gesellschaftlichen Miteinanders bedeutet für die<br />
unterschiedlichen Projekte von der „Lernwerkstatt Weltreligionen“ über<br />
„Gesichter des Islam“ bis zur Podiumsdiskussion um den Film „Jesuscamp“<br />
ein Nebeneinander divergierender Vermittlungsstrategien. In beiden<br />
Bereichen gilt es zu betrachten, inwiefern die Voraussetzung der Arbeit,<br />
Neutralität zu wahren und zu deeskalieren, sich in der Praxis auswirkte.<br />
Wahrgenommen als statistischer Dienst, alternative „Sektenberatung“,<br />
„Kultlobby“ oder soziale Einrichtung zwischen interreligiösem Dialog und<br />
Weltladen findet sich eine vielschichtige Resonanz in der Öffentlichkeit.<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
103
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Samstag, 17. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Franz Winter: Die Debatte um die Neutralität der Religionswissenschaft in<br />
der so genannten „Sekten“-Diskussion<br />
Die öffentliche Diskussion um „Sekten“ hat zweifellos ihren Höhepunkt<br />
überschritten, weshalb es heute an der Zeit ist sich in einer Art historischer<br />
Rückschau damit auseinanderzusetzen. Insgesamt spielte die akademische<br />
Religionswissenschaft im deutschsprachigen Raum eine eher marginale<br />
Rolle und erfuhr früh eine Punzierung als Verteidiger der markierten<br />
Religionsgemeinschaften. Dabei wurde der Begriff „(Sekten-)Lobbyist“ zum<br />
Lieblingswort der Gruppe der „Sektenkritiker“, die mit dieser pauschalen<br />
Klassifizierung die Religionswissenschaft aus der öffentlichen Diskussion<br />
verbannten. Gerade in der Auseinandersetzung mit neureligiösen<br />
Bewegungen (um die es in dieser Debatte mehrheitlich ging) ist nun der<br />
Begriff der „Neutralität“ ein Schlüsselbegriff. Diese Positionierung bietet<br />
sich in dieser schwierigen Debatte als Grundanspruch an, weshalb die RW<br />
eigentlich der Ansprechpartner schlechthin wäre. Jedoch erweist sich dies<br />
als äußerst schwierig, weil die RW also ein Akteur unter vielen anderen<br />
in einschlägig markierten Diskursfeldern wird. Dabei wurde ihr gerade<br />
der „neutrale“ Zugang abgesprochen, weil ihn andere Seiten für sich<br />
beanspruchten oder aber diese „Neutralität“ überhaupt als nicht erreichbar<br />
oder erstrebenswert deklariert war. Meine Darstellung ist in erster Linie<br />
einer Analyse der Diskursfelder gewidmet, die im Zusammenhang mit<br />
dieser Diskussion aufgearbeitet werden soll. Das Ringen um den Anspruch<br />
der Neutralität, der von allen Seiten erhoben wurde, bildet dabei den „roten<br />
Faden“ der Aufarbeitung<br />
Religion vernetzt: Religion und Migration in relationaler Perspektive.<br />
Panel 2<br />
• Piotr Suder: Repräsentative Moscheen und die Einbindung<br />
von Moscheegemeinden in den kommunalen Kontext.<br />
• Sandhya Marla: Diaspora-Hinduismus 2.0: Religionstransfer<br />
und Transformationsprozesse bei jungen Tamilen in<br />
Deutschland<br />
104
Samstag, 17. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
• Frederik Elwert: Religionsgemeinschaften als<br />
Integrationsagenten. Russlanddeutsche Gemeinden zwischen<br />
Binnenorientierung und Außenwirkung.<br />
• Alexander Nagel: Interreligiöse Aktivitäten und<br />
Religionskontakt: Zur diskursiven Verarbeitung religiöser<br />
Differenz<br />
Piotr Suder: Repräsentative Moscheen und die Einbindung von Moscheegemeinden<br />
in den kommunalen Kontext.<br />
Moscheen bilden die religiösen, geographischen sowie sozialen Zentren von<br />
muslimischen Gemeinden. In Deutschland sind diese in der Vergangenheit<br />
weitgehend unsichtbar für die Gesellschaft geblieben und waren allenfalls<br />
an Eingangsschildern erkennbar. Doch seit den 90er Jahren errichten<br />
Moscheevereine zunehmend multifunktionale, nach außen erkennbare<br />
Moscheen und treten dadurch in die öffentliche Wahrnehmung.<br />
Diese Art des Sichtbarwerdens des Islam ist häufig durch Konflikte in<br />
den betr<strong>of</strong>fenen Städten gekennzeichnet. Zugleich ist die Errichtung von<br />
Moscheen zu einem zentralen Thema der bundesweiten Integrationsdebatte<br />
über den Islam geworden, wie die Fälle Köln-Ehrenfeld und Berlin-Pankow<br />
anschaulich zeigen. Damit wird deutlich, dass die Entstehung der neuen<br />
muslimischen Gotteshäuser nicht nur städtebauliche Aspekte berührt,<br />
sondern auch das soziale Gefüge auf kommunaler Ebene beeinflusst.<br />
Einschlägige Studien und meine eigene Forschung zu diesem Thema zeigen,<br />
dass Moscheebauprozesse und die damit verbundenen Konflikte zu einer<br />
Vielfalt an Dialogveranstaltungen und Kommunikationskanälen zwischen<br />
Moscheevereinen und anderen kommunalen Akteuren (Kommunalpolitiker,<br />
Kirchen, Vereine, etc.) führen.<br />
Basierend auf Experteninterviews und Zeitungsanalysen wird in meinem<br />
Vortrag erörtert, welche Akteure sich an den Moscheebauprozessen<br />
beteiligen, welche Interessen dabei vertreten werden und welche<br />
Beziehungsarten zwischen den Akteuren entstehen. Zusätzlich soll ein Blick<br />
auf einige der bereits seit Jahren bestehenden Moscheen Aufschluss darüber<br />
geben, wie nachhaltig das Repräsentativ-Werden von Moscheevereinen die<br />
Beziehungen zwischen ihnen und ihrer kommunalen Umwelt prägt.<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
105
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Samstag, 17. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Sandhya Marla: Diaspora-Hinduismus 2.0: Religionstransfer und Transformationsprozesse<br />
bei jungen Tamilen in Deutschland<br />
Seit den 1970er Jahren flohen ca. 60.000 Sri Lankesen – rund 40.000 von<br />
ihnen sind tamilische Hindus – vor dem bewaffneten Konflikt zwischen<br />
Singhalesen und Tamilen ins deutsche Exil. Inzwischen ist eine breite zweite<br />
Generation junger, tamilischer Hindus herangewachsen, deren vielfältige<br />
Religiosität weitestgehend unerforscht und zentrales Thema dieses Beitrags<br />
ist.<br />
Ergebnisse von Religions- und Diasporaforschung zeigen, dass<br />
traditionsgebundene Loyalitäten zum imaginierten Heimatland einen zentralen<br />
Identitätsfaktor, insbesondere bei unfreiwilligem Auswanderungsgrund,<br />
bedeuten können. Für die hindu-tamilische Flüchtlingsgeneration wurde<br />
entsprechend ein starkes Engagement für die Reorganisation eines<br />
religiösen Settings und einer damit einhergehenden Kulisse für den<br />
generationsübergreifenden Transfer religiöser Inhalte, Rituale und Werte<br />
festgestellt. Offen ist weiterhin die Frage, welche Transformationsprozesse<br />
ethno-religiöser Institutionen mit einem Bedürfniswandel einhergehen. Wie<br />
steht es zudem um kollektive Identitäten und welche Konzepte religiöser<br />
Erneuerung gibt es?<br />
Um sich Antworten auf diese Fragen zu nähern, werden im Referat<br />
Angebote seitens der Tempel und Vermittlungsleistungen im Eltern-Kind<br />
Zusammenhang thematisiert und anhand von Feldforschungsergebnissen<br />
des laufenden Dissertationsprojektes verdeutlicht. Es ist eine komplexe<br />
Bandbreite von Typen religiöser Praxis zu erkennen, die hier vor dem<br />
Hintergrund einer relationalen Perspektive zur sozialen Einbettung junger<br />
Tamilen, betrachtet wird. So sollen Vermittlungsmuster im Spannungsfeld<br />
von strukturellen Orientierungsrahmen und sich wandelnden religiösen<br />
Identitätsdiskursen transparent gemacht werden und einen Ausblick auf<br />
Perspektiven des tamilischen Diaspora-Hinduismus in Deutschland geben.<br />
Frederik Elwert: Religionsgemeinschaften als Integrationsagenten. Russlanddeutsche<br />
Gemeinden zwischen Binnenorientierung und Außenwirkung.<br />
106<br />
Russlanddeutsche Zuwanderer galten lange Zeit als das Paradebeispiel<br />
gelungener Integration: Der Zuzug dieser größten Migrantengruppe verlief
Samstag, 17. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
über weite Strecken unbemerkt und unauffällig, die Statistiken bescheinigen<br />
ihnen eine gelungene Integration auf der Ebene struktureller Indikatoren.<br />
Auch in Bezug auf Ethnie, Nationalität und Religion gehen die Zugewanderten<br />
„deutscher Volkszugehörigkeit“ (so der Terminus in Art. 116 GG), deutscher<br />
Staatsbürgerschaft und überwiegend christlicher Religion in der öffentlichen<br />
Wahrnehmung fast nahtlos in der Aufnahmegesellschaft auf.<br />
Im lokalen Kontext verläuft die Integration der Russlanddeutschen<br />
dagegen nicht immer so spannungsfrei. Gerade die Konzentration des<br />
Aussiedlerzuzugs auf einzelne Regionen und Gemeinden schafft hier<br />
Herausforderungen für die Integration. Es sind <strong>of</strong>t insbesondere die von<br />
freikirchlich orientierten Russlanddeutschen neu gegründeten Gemeinden,<br />
die zu einer Wahrnehmung religiöser und kultureller Differenz beitragen.<br />
Gerade die Binnenorientierung dieser Gemeinden, die Fokussierung auf<br />
die eigenen Mitglieder, entfaltet so eine nicht intendierte Außenwirkung.<br />
In diesem Spannungsfeld werden die wechselseitigen Vorstellungen von<br />
gelungener Integration thematisiert.<br />
Das Beispiel russlanddeutscher Gemeinden soll als weiterer Baustein zu<br />
einem besseren Verständnis der Relevanz religiöser Gemeinschaften für<br />
Integrationsprozesse beitragen und die über den Einzelfall hinausgehende<br />
Theoriediskussion anregen.<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Alexander Nagel: Interreligiöse Aktivitäten und Religionskontakt: Zur diskursiven<br />
Verarbeitung religiöser Differenz<br />
Der Beitrag beschäftigt sich mit der Aushandlung religiöser Differenz in<br />
interreligiösen Aktivitäten. Mit der zunehmenden Sichtbarkeit religiöser<br />
Vielfalt und einem gesteigerten öffentlichen Bewusstsein für Religion werden<br />
Religionskontakte und ihre Moderation vermehrt als gesellschaftliche oder<br />
politische Aufgabe begriffen. In Deutschland tragen interreligiöse Aktivitäten<br />
wie Dialogveranstaltungen, Friedensgebete oder Tage der <strong>of</strong>fenen Tür dieser<br />
Entwicklung Rechnung. Nachdem frühere Studien zum interreligiösen Dialog<br />
sich v.a. auf die Interessenlagen oder Organisationsformen konzentriert haben,<br />
untersucht dieser Beitrag die diskursiven Mechanismen bzw. Strategien, die<br />
zur Ausweitung, Auflösung oder Überbrückung religiöser Grenzziehungen<br />
in interreligiösen Aktivitäten dienen. Nach einer knappen konzeptionellen<br />
Vorüberlegung zu interreligiösen Aktivitäten als Interaktionsritualen werden<br />
einige idealtypische Strategien der Differenzbewältigung vorgestellt, die auf<br />
107
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Samstag, 17. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
teilnehmender Beobachtung in 18 interreligiösen Aktivitäten im Ruhrgebiet<br />
basieren: Universalisierung, Polarisierung, Purifikation, Trivialisierung,<br />
Traditionalisierung, Akkommodation und Inversion.<br />
Sexgurus und Kohlrabiapostel – Neue Forschungsperspektiven auf religiösen<br />
Nonkonformismus. Panel 2<br />
• Jörg Albrecht: Vom „Kohlrabiapostel“ zum „Bionade-<br />
Biedermeier“: Eine Geschichte alternativer Ernährung<br />
zwischen religiöser Marginalität und kulturellem Mainstream<br />
• Christiane Altmann: Yidishkayt – Ohne Religion?<br />
• Christoph Günther: Wahrer Glaube und legitime Herrschaft<br />
vs. Unglaube und illegitime Herrschaft - Ein islamischer Staat<br />
im Irak<br />
Jörg Albrecht: Vom „Kohlrabiapostel“ zum „Bionade-Biedermeier“: Eine<br />
Geschichte alternativer Ernährung zwischen religiöser Marginalität und<br />
kulturellem Mainstream<br />
Eines der beeindruckendsten Phänomene kultureller Dynamik hat sich<br />
gerade in den letzten Jahren im Sektor der Ernährung vollzogen. Vor dem<br />
Hintergrund ökologischer und sozialer Herausforderungen, Vorstellungen<br />
über Gesundheit und Reinheit des Körpers erlebten ökologisch produzierte<br />
„Bio“-Lebensmittel in den letzten 15 Jahren einen gewaltigen Boom (wie in<br />
jüngster Zeit auch wieder der Vegetarismus). Die Vorläufer dieser Dynamik<br />
reichen jedoch bis ins 19. Jahrhundert zurück („naturgemäße Lebensweise“,<br />
Lebensreform etc.) und traten häufig im Zusammenhang mit religiösem<br />
Nonkonformismus (z.B. Freireligiosität, Adventismus, Anthroposophie aber<br />
v.a. auch in schwächer institutionalisierter Form) auf. Hierbei handelt es sich<br />
um ein gutes Beispiel für die Transformation nonkonformer Vorstellungen<br />
und Praktiken zum gesellschaftlichen Mainstream bzw. zum Ausdruck von<br />
Konformität. Im Vortrag soll die Frage nach den Umständen aufgeworfen<br />
werden, die eine solche Transformation möglich machen.<br />
108
Samstag, 17. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Christiane Altmann: Yidishkayt – Ohne Religion?<br />
Jiddisch als Umgangssprache wird heute von ca. 3 Millionen Menschen<br />
weltweit gesprochen. V.a. in den chassidischen Enklaven New Yorks hat<br />
sich die Sprache erhalten. In den letzten Jahren verzeichnet das weltweit<br />
größte Zentrum für jiddische Sprache, das YIVO Institute for Jewish Research<br />
in New York, ein steigendes Interesse nicht nur an jiddischen Sprachkursen,<br />
sondern auch an Geschichte und Kultur des Jiddischen. Auffallend dabei<br />
ist die Zahl „nichtreligiöser“ Teilnehmer. Das jiddische Wort “ Yidishkayt”<br />
bedeutet wörtlich Judentum. Heutzutage bezeichnen sich aber v.a. Sprachund<br />
Literaturbegeisterte des Jiddischen als „Jiddischisten“. In Netzwerken<br />
weltweit, zu Kulturfestivals oder Literaturkreisen wird die jiddische<br />
Sprache und Kultur zelebriert. Man singt Niggunim, trifft sich am Shabbat-<br />
Nachmittag um jiddische Gedichte und Literatur zu rezitieren. Sommerlager<br />
werden organisiert, in denen ausschließlich in Jiddisch kommuniziert wird.<br />
Die Art und Weise dieser scheinbar von der jüdischen Religion separierten<br />
kulturellen Praxis erinnert dabei an Konzepte ritueller Vergemeinschaftung<br />
und Identitätskonstruktion wie sie in religionssoziologischen Theorien<br />
problematisiert werden. Erneut wird die Frage nach den Grenzen zwischen<br />
Kultur und Religion aufgeworfen. Ist das Religiöse verschwunden? Die<br />
jiddische Sprache mit ihrem reichen kulturellen Erbe, v.a. in ihrer religiösen<br />
Symbolik und Tradition, inspiriert in unseren Tagen verschiedenste Gruppen.<br />
Im Vortrag soll „Yidishkayt“ als Judentum ohne Religionsbezug anhand<br />
empirischer Beispiele beleuchtet und im Zusammenhang mit verschiedenen<br />
Konzepten zu Religion und Kultur hinterfragt werden.<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Christoph Günther: Wahrer Glaube und legitime Herrschaft vs. Unglaube<br />
und illegitime Herrschaft - Ein islamischer Staat im Irak<br />
Schlagzeilen von religiös motivierten Konflikten im Irak bestimmten seit 2003<br />
über lange Zeit Nachrichtensendungen und Tageszeitungen weltweit. Die<br />
US-geführte Besatzung des Landes, die damit einhergehende Absenz eines<br />
funktionierenden Staatsgebildes sowie der Versuch einer Demokratisierung<br />
und Neuordnung der irakischen Gesellschaft nach ethisch-konfessionellem<br />
Proporz gaben einem Prozess Anschub, der bereits unter der Diktatur<br />
Saddam Husseins begonnen hatte: Die Wiederbelebung gemeinschaftlichen<br />
109
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Samstag, 17. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Lebens, in dem der Islam eine vitale Rolle spielt und als identitätsstiftendes<br />
Moment im Gegensatz zu oder im Zusammenhang mit nationaler,<br />
ethnischer und tribaler Identifikation fungiert. Seit 2003 stellen islamistische<br />
Extremisten einen kleinen, aber militärisch schlagkräftigen und medial sehr<br />
präsenten Anteil der Widerstandsbewegung gegen die Zentralregierung in<br />
Bagdad. Einigen von ihnen gelang es, mit Unterstützung der Bevölkerung<br />
in bestimmten Landesteilen teils autonome parastaatliche Strukturen zu<br />
etablieren und bis heute eine der stärksten Bedrohungen für die Republik Irak<br />
darzustellen. Der Vortrag soll die Legitimationsmuster des sog. „islamischen<br />
Staates im Irak“ sichtbar machen, und zeigen, mit welchen Paradigmen<br />
dessen Bildung und Inanspruchnahme des Gewaltmonopols auf dem Gebiet<br />
eines souveränen Staates gerechtfertigt wird. Diese Paradigmen sind sowohl<br />
religiös wie auch politisch, wobei bestimmte Aspekte akzentuiert, andere –<br />
unbequeme – nahezu ausgeklammert werden.<br />
(De-)Konstruktionen religiöser Autoritäten in und durch moderne(n)<br />
Massenmedien<br />
• Xenia Zeiler: „Ich werde mein Haupt vor Śītalā im Tempel<br />
Benares beugen.“ Propagierung und Konsolidierung<br />
etablierter religiöser Autorität im Hinduismus durch moderne<br />
Massenmedien<br />
• Michael Waltemathe: Computerspiele und der Wandel des<br />
Umgangs mit den repräsentierten religiösen Autoritäten<br />
• Anna Neumaier: „Der Moderator räuspert sich“ - Diskursive<br />
Aushandlungen von Hierarchie und Rollen in religiösen<br />
Online-Diskussionsforen<br />
• Danijel Cubelic: Politiken islamischer Populärkultur:<br />
Neuaushandlungen religiöser Autorität in arabischen<br />
Massenmedien<br />
• Kerstin Radde-Antweiler: „For Men only“. Die Interpretation<br />
der biblischen Figur Maria von Magdala und der Kampf um<br />
kirchliche Autoritätskonstruktionen<br />
110
Samstag, 17. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Xenia Zeiler: „Ich werde mein Haupt vor Śītalā im Tempel Benares beugen.“<br />
Propagierung und Konsolidierung etablierter religiöser Autorität im Hinduismus<br />
durch moderne Massenmedien<br />
Trotz der steigenden Relevanz moderner Massenmedien für religiöse<br />
Akteure in Südasien wurden Mediatisierungsprozesse in hinduistischen<br />
Traditionen bislang wenig untersucht. Dies trifft umso mehr für digitale<br />
Medien zu. Bisherigen Studien zur Aushandlung religiöser Autorität in<br />
mediatisierten hinduistischen Kontexten thematisierten lediglich die<br />
Herausforderung und Bedrohung etablierter Autoritäten durch zunehmende<br />
Mediennutzung. Davon abweichend weisen jedoch aktuelle Entwicklungen<br />
auf einen gegensätzlichen Trend hin: Durch eine (häufig bewusste und/<br />
oder gesteuerte) Nutzung von modernen Massenmedien als Plattform<br />
für Propagierungen etablierter hinduistischer Autoritäten treten <strong>of</strong>fenbar<br />
verstärkt auch Konsolidierungsprozesse ein. Dies ist außer im Internet auch<br />
in anderen Mediengattungen nachweisbar.<br />
VCD’s, Video Compact Disks, sind seit etwa einem Jahrzehnt vorherrschendes<br />
Medium für Musikvideos auch mit religiösen Inhalten auf dem indischen<br />
Markt. In den sehr populären, für viele religiöse Akteure permanent<br />
alltagsbegleitenden „Albums“ mit choreographierten Devotionsgesängen<br />
wird einflussreich auch religiöse Autorität auf verschiedenen Ebenen (de)<br />
konstruiert. Dabei belegen viele aktuelle Beispiele, dass diese medialen<br />
Aushandlungsprozesse im rezenten Hinduismus etablierte religiöse<br />
Autoritäten nicht nur propagieren und legitimieren, sondern sogar konsolidieren.<br />
Dies soll an der Medienanalyse eines auf VCD und im Internet<br />
verbreiteten Musikvideos zur in Nordindien sehr populären Göttin Śītalā und<br />
zu ihrem wichtigen Heiligtum in Benares aufzeigt werden, ebenso wie die<br />
verschiedenen, sich gegenseitig beeinflussenden Ebenen in der Konstruktion<br />
dieser medial neu ausgehandelten religiösen Autorität(en).<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Michael Waltemathe: Computerspiele und der Wandel des Umgangs mit<br />
den repräsentierten religiösen Autoritäten<br />
Analysiert man das Phänomen der Computerspiele bezüglich der durch<br />
sie dargestellten Inhalte, so kann man Computerspiele als symbolische<br />
Universa beschreiben, die durch eine Maschine vermittelt erreichbar sind.<br />
111
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Samstag, 17. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Menschen, die Computerspiele spielen, tauchen in diese Welten ein und<br />
erspielen innerhalb der Spielregeln ein symbolisches Universum oder aber<br />
spielen mit den Regeln des Spiels und erschaffen so eine je individuelle<br />
Variante eines maschinell vermittelten symbolischen Universums. Dieser<br />
spielerische Charakter des Computergebrauchs kann als eine grundlegende<br />
Form dessen beschrieben werden, was gemeinhin unter dem Begriff<br />
Virtualität verstanden wird. Wenn nun diese Computer-Welten einen<br />
spielerischen Zugang erfordern, ermöglichen oder evtl. sogar erzwingen,<br />
wie sind dann religiöse Symbole innerhalb dieser symbolischen Universa<br />
vermittelbar? Werden religiöse Vorstellungen oder religiöses Wissen auf<br />
spielerische Weise kommuniziert, wie wandelt sich dann der Umgang<br />
mit der durch sie repräsentierten religiösen Autorität? Anhand von<br />
Beispielen aktueller Computerspiele sollen verschiedene Aspekte dieser<br />
Fragestellung erörtert werden. Analysiert wird ein zu missionarischen<br />
Zwecken produziertes Computerspiel, der Rechtsstreit zwischen einer<br />
Computerspielefirma und einer christlichen Kirche über die Darstellung<br />
und virtuelle Zweckentfremdung religiöser Räume sowie die spielerische<br />
Rekonstruktion religiöser Motive innerhalb eines Medienverbundes von<br />
Kin<strong>of</strong>ilm und Computerspiel.<br />
Anna Neumaier: „Der Moderator räuspert sich“ - Diskursive Aushandlungen<br />
von Hierarchie und Rollen in religiösen Online-Diskussionsforen<br />
Frühen utopischen Deutungen galt das Internet als egalitärer und<br />
demokratischer Raum jenseits üblicher Hierarchien. Auch in den ersten<br />
wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit dem World Wide Web lässt<br />
sich dieses Narrativ immer wieder aufzeigen. Die Einordnung des Web als<br />
erst einmal nicht hierarchisch strukturiertem Raum legt auch Hypothesen<br />
für die Religionsforschung nahe: Dass das World Wide Web ein Raum ist, in<br />
dem fernab von institutionalisierten Hierarchien und den Rollenverteilungen<br />
klassischer Religionsgemeinschaften neue Prozesse der Aushandlung<br />
religiöser Inhalte und Überzeugungen stattfinden.<br />
Eigene Forschungen in christlichen Online-Diskussionsforen zeigen dabei<br />
Ambivalenzen: Zum Einen verweisen Nutzer solcher Angebote, wenn<br />
sie nach ihrer Motivation für das Online-Engagement befragt werden, in<br />
der Tat auf die Freiheiten und Möglichkeiten des Webs – insbesondere<br />
112
Samstag, 17. September<br />
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
solche, die der Wegfall von Autoritäten und Strukturen mit sich bringt, wie<br />
sie sonst in „klassischen“ (Offline-)Gemeinden als zu einengend erlebt<br />
wurden. Gleichzeitig zeigt eine Analyse der Angebote, dass auch online<br />
Zuschreibungsprozesse von Autorität stattfinden. Dabei muss einerseits<br />
berücksichtigt werden, inwiefern solche Rollen technisch ermöglicht<br />
werden, andererseits aufgezeigt werden, inwiefern sie gleichzeitig diskursiv<br />
produziert und als erforderlich legitimiert werden. Eine Verschiebung<br />
religiöser Rollen und Hierarchien im Vergleich zu Offline-Gemeinschaften<br />
liegt nahe. Die spezifischen Kennzeichen dieser Transformationsprozesse<br />
sollen im Vortrag beleuchtet werden.<br />
Danijel Cubelic: Politiken islamischer Populärkultur: Neuaushandlungen<br />
religiöser Autorität in arabischen Massenmedien<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Eine zunehmend auch für ökonomische Mittel- und Unterschichten<br />
arabischer Gesellschaften erschwingliche Satellitenempfangstechnologie<br />
führte seit den 1990er Jahren zur erdrutschartigen Veränderung der<br />
Medienlandschaft, Transnationalisierung einst nationaler Fernsehmärkte und<br />
Pluralisierung ihrer Inhalte. Teil der Transformationsprozesse des Leitmediums<br />
Fernsehen sind neue, diversifizierte islamische Medienangebote mit über 80<br />
verschiedenen Kanälen. Gerade bei der Hauptzielgruppe der Jugendlichen<br />
weisen islamische Sender allerdings ein Nachwuchsproblem auf: In ihrem<br />
im globalen Vergleich überdurchschnittlichen Fernsehkonsum spielen<br />
religiöse Angebote eine viel geringere Rolle als z.B. Popmusikkanäle. Eine<br />
neue Generation von Medienunternehmern versucht diese Marktlücke durch<br />
auf jugendliche, urbane Konsumentenschicht zugeschnittene, dezidiert<br />
islamische popkulturelle Angebote zu schließen.<br />
Der Vortrag möchte am Beispiel des islamischen Popmusiksenders 4Shbab<br />
und der von ihm produzierten Popmusik, Videoclips, Stars, Talentshows<br />
und Diskussionssendungen darstellen, wie diese neuen Angebote dabei<br />
eine für Jugendliche neue Form islamischer Autorität ausbilden. In Kairo<br />
produziert und von saudischen Geldgebern finanziert, hat das Programm<br />
von 4Shbab als Zielgruppe junge Menschen in der ganzen arabischen Welt<br />
und möchte Entertainment bieten, das den Islam und eine konservative<br />
Familien- und Sexualmoral zeitgemäß einer von Verwestlichung bedrohten<br />
Jugend in ihrer Sprache vermittelt. Durch ihre Infragestellung klassischer<br />
113
Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />
Samstag, 17. September<br />
DVRW-Jahrestagung 2011<br />
Kommunikationsstrategien islamischen Wissens als den veränderten<br />
Erwartungshaltungen junger Menschen nicht mehr ausreichend und die im<br />
Gegenzug zu beobachtende harsche Kritik religiöser Gelehrter entzünden<br />
sich an 4Shbab Diskurse gesamtgesellschaftlicher Relevanz um die<br />
Neuaushandlung islamischer Autorität im 21. Jahrhundert.<br />
Kerstin Radde-Antweiler: „For Men only“. Die Interpretation der biblischen<br />
Figur Maria von Magdala und der Kampf um kirchliche Autoritätskonstruktionen<br />
Maria Magdalena oder Maria von Magdala ist eine umstrittene Figur im<br />
christlichen Diskursfeld. Hatte sie eine sexuelle Beziehung zu Jesus? War<br />
sie eine Prostituierte und Sünderin, wie Papst Gregor der Große erklärte?<br />
Diese Fragen werden seit Jahrhunderten in Bezug auf die Figur der Maria<br />
Magdalena gestellt und auch in den modernen Massenmedien ausführlich<br />
diskutiert. Bestimmend an der mediatisierten Diskussion um die Figur<br />
der Maria Magdalena ist v. a. ihre Sexualität. Entweder geht es um ihre<br />
angebliche Liebesbeziehung zu Jesus oder um ihr Dasein als Prostituierte.<br />
Über die Figur der Maria von Magdala kommen hier christologische<br />
Deutungsprozesse implizit zu tragen: Diese Diskussion hat aber auch<br />
Auswirkungen auf das ekklesiologische Verständnis der jeweiligen Akteure.<br />
Wird Maria von Magdala als sexuelle Partnerin Jesu verstanden, werden<br />
Bedeutungsänderungen des im rezenten Diskurs umstrittenen Zölibats<br />
<strong>of</strong>fenbar. Eine weitere Bedeutungsrelevanz in der Frage nach dem Zugang<br />
von Frauen zu kirchlichen Ämtern besitzt die Figur der Maria von Magdala<br />
in der Frage nach ihrer Funktion als Apostolin. So ist zu beobachten, dass<br />
die Maria von Magdala <strong>of</strong>tmals als Legitimationsfigur im theologischfeministischen<br />
Diskurs zu Autoritätskonstruktionen benutzt wird.<br />
Ein Aspekt, der im Vortrag diskutiert wird, ist die Auswirkung des<br />
Mediendiskurses auf die religiösen Akteure. Wird der Diskurs in das eigene<br />
Glaubenssystem integriert oder werden Glaube und der öffentliche Diskurs<br />
als voneinander abgetrennt betrachtet? Wird der Diskurs aufgrund der<br />
eigenen Glaubensvorstellungen aktiv beeinflusst oder ist es sogar umgekehrt?<br />
114