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Book of Abstracts - ZEGK - Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

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Religionswissenschaft im<br />

Aufwind<br />

Eine Pr<strong>of</strong>ilbestimmung angesichts steigender<br />

gesellschaftlicher Relevanz<br />

<strong>Book</strong> <strong>of</strong> <strong>Abstracts</strong><br />

30. Tagung der<br />

Deutschen Vereinigung für Religionswissenschaft<br />

(DVRW)<br />

14. - 18. September 2011<br />

in <strong>Heidelberg</strong><br />

Institut für Religionswissenschaft<br />

Zentrum für Europäische<br />

Geschichts- und Kulturwissenschaften<br />

<strong>Ruprecht</strong>-<strong>Karls</strong>-Universität <strong>Heidelberg</strong><br />

DVRW<br />

Deutsche Vereinigung für<br />

Religionswissenschaft


Religionswissenschaft im<br />

Aufwind<br />

Eine Pr<strong>of</strong>ilbestimmung angesichts steigender<br />

gesellschaftlicher Relevanz<br />

<strong>Book</strong> <strong>of</strong> <strong>Abstracts</strong><br />

30. Tagung der<br />

Deutschen Vereinigung für Religionswissenschaft<br />

(DVRW)<br />

14. - 18. September 2011<br />

in <strong>Heidelberg</strong>


DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Impressum<br />

Pr<strong>of</strong>. Dr. Gregor Ahn<br />

Universität <strong>Heidelberg</strong><br />

Zentrum für Europäische Geschichts- und Kulturwissenschaften<br />

Institut für Religionswissenschaft<br />

Akademiestraße 4-8<br />

D-69117 <strong>Heidelberg</strong><br />

4<br />

Projektleitung: Gregor Ahnw<br />

Tagungsorganisation und Schriftleitung: Isabel Laack<br />

Tagungsbüro: Sigalit Rubin<br />

Catering: Luise Lampe<br />

Technik und Printdesign: Christian Deisenroth<br />

Website: Jan Wessel


Inhaltsverzeichnis<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Opinion Mining in Religious Studies 17<br />

Udo Mischek: Die Sicht auf andere Religionen bei der Ahmadiyya – Inklusivistische<br />

Strategien in einer neureligiösen Bewegung 17<br />

Yaron Charka: Technical Aspects <strong>of</strong> Opinion Mining in the Study <strong>of</strong> Religions<br />

18<br />

Kai-Uwe Sachs: Die veränderte Sichtweise des Judentums in einer neureligiösen<br />

Bewegung: Das Beispiel Rael 18<br />

Shelley Elkayam: Family and Gender in the Unification Theology and Praxis<br />

19<br />

Eldad Pardo: The Polity-Church Fusion in Iran: Elements <strong>of</strong> New Religious<br />

Movements in Khomeinism 19<br />

Repräsentationen und Formen von Kabbala im 21. Jahrhundert 20<br />

Frederek Musall: Von Chokhmah bis Da’at: Postmoderne Repräsentation der<br />

Kabbala am Beispiel von ChaBaD-Lubawitsch 20<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Elke Morlok: Methodologische Herausforderungen der modernen Kabbala-<br />

Forschung 21<br />

Nicole Bauer: Transdisziplinäre Zugänge in der Erforschung des Kabbalah<br />

Centre 21<br />

Leben Religionen von politischen Voraussetzungen, die sie selbst<br />

nicht garantieren können? – Religionswissenschaftliche Ansätze zu<br />

Religionen und Politiken. Panel 1 22<br />

Karsten Lehmann: Internationalisierung, Transnationalisierung und Globalisierung.<br />

Dimensionen der Interdependenzen zwischen Religionen und Politiken<br />

23<br />

Christoph Kleine: Thesen zu den politischen Voraussetzungen für Ansätze<br />

von staatlicher Säkularität und religiöser Pluralität im vormodernen Ostasien<br />

23<br />

Hannah Müller-Sommerfeld: Zur Rolle des Völkerbundes im Nahen Osten<br />

(1919-1946) 24<br />

5


Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Inhaltsverzeichnis<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Religionswissenschaftliche Fachidentität zwischen disziplinärer Ausdifferenzierung,<br />

interdisziplinärer Verbundforschung und programmatischer<br />

Nicht-Disziplinarität. Panel 1: Ausdifferenzierung der<br />

Religionswissenschaft? Zu aktuellen Fragen der Fach entwicklung<br />

und der Wissenschaftsorganisation 25<br />

Michael Stausberg, Bergen: Ist die Religionswissenschaft eine wissenschaftliche<br />

Disziplin? 25<br />

Inken Prohl, <strong>Heidelberg</strong>: Religionswissenschaft interdisziplinär – Strategien<br />

jenseits von Kom petenzerosion und fahrlässiger Isolation 26<br />

Hans G. Kippenberg, Bremen: Zeitgenössische Religionsdynamiken, aus<br />

rechtswissenschaftlicher Sicht betrachtet – und umgekehrt: Was ermöglicht<br />

und was erbringt transdisziplinäres Arbeiten? 26<br />

Alexandra Grieser, Groningen: Perspektivität als Organisationsform von Wissen<br />

– eine Möglichkeit für die Religionswissenschaft zwischen Identität und<br />

Auflösung? 27<br />

Religion – Medien – Narration: Zur zeitgenössischen Mythopoetik<br />

28<br />

Dirk Johannsen: „Religion“ als Stilmittel der Fantastik in der Fernsehserie<br />

LOST 28<br />

Anja Kirsch: Unbestimmtheit als „religiöses“ Sinnpotential – Wirkungstheoretische<br />

Aspekte in der Fernsehserie LOST 29<br />

Jürgen Mohn: „Gottes“-Narrative in der religiösen Zeitgeschichte: Zur religionswissenschaftlichen<br />

Beschreibung theistischer Akteure im Massenmedium<br />

Comic 29<br />

Hubert Mohr: Der Bote und der Prophet – Mythologisches Erzählen im Film<br />

in Zeiten von AIDS: Tony Kushners und Mike Nichols TV-Drama „Angels in<br />

America“ (2003) 30<br />

Leben Religionen von politischen Voraussetzungen, die sie selbst<br />

nicht garantieren können? – Religionswissenschaftliche Ansätze zu<br />

Religionen und Politiken. Panel 2 31<br />

Vasilios Makrides: Sind politische Voraussetzungen und Rahmenbedingungen<br />

für die Orthodoxen Kirchen absolut notwendig? 31<br />

6


Inhaltsverzeichnis<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Katharina Neef: „… und immer wieder bringt er neuen Schwindel.“ Glaubenswechsel<br />

im Zeichen moderner Vereinsmeierei 32<br />

Sebastian Emling: „Selection <strong>of</strong> a President has to be an act <strong>of</strong> faith“. Die<br />

Verwendung religiöser Beschreibungsmuster als Distinktionsstrategie im<br />

politisch-öffentlichen Raum 33<br />

Ulf Plessentin: Zwischen Kritik am Staatskirchenrecht und „Dritter Konfession“.<br />

Organisierte Humanisten in Deutschland 33<br />

Religionswissenschaftliche Fachidentität zwischen disziplinärer Ausdifferenzierung,<br />

interdisziplinärer Verbundforschung und programmatischer<br />

Nicht-Disziplinarität. Panel 2: Die Thermik der Religionswissenschaft<br />

– heiße Quellen, dürre Steppen, trockene Winde 34<br />

Angelika Rohrbacher: Der „Mahler-Kult“ oder „religiöse Identität im Nachhinein“<br />

– methodische Anfragen an mehrere Disziplinen 35<br />

Till Mostowlansky: Religion im Bräunerh<strong>of</strong> – Gegenstandsorientierte Forschung<br />

und Nicht-Disziplinarität am Beispiel eines Wiener Experiments 36<br />

Sarah Werren: „Living on the street replaces going by the book“ – Einige Beobachtungen<br />

zur Methodenvielfalt in der Religionswissenschaft 37<br />

Susanne Leuenberger: Konvertiten, Bodybuilderinnen, Mediziner – Eine Religionswissenschafterin<br />

als Sachensucherin 38<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Europäische Religionsgeschichte 38<br />

Jens Schlieter: Europäische Religionsgeschichte – der Verlust eines Paradigmas<br />

in der Religionswissenschaft oder der Gewinn eines neuen? 38<br />

Ilinca Tanaseanu-Döbler: ERG – schon in der Antike? 39<br />

Marvin Döbler: Christentumsgeschichte als Gegenstand der Religionswissenschaft<br />

40<br />

Christoph Auffarth: Globalisierung – Das Ende der Europäischen Religionsgeschichte<br />

oder ihr Export? 40<br />

Producing Sacred Spaces in Durban, South Africa 40<br />

Ulrich Berner: Production and/or revelation <strong>of</strong> sacred space. Old and new<br />

theories <strong>of</strong> religion and ritual 41<br />

Magnus Echtler: Sacred space as heterotopia. Examples from the Nazareth<br />

Baptist Church 41<br />

7


Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Inhaltsverzeichnis<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Franz Kogelmann: Muslims in Durban: Apartheid and After 42<br />

Ziva Kopecka: Producing Hindu sacred space in Africa. Maha Kumbha Abishegam<br />

in Durban, South Africa 42<br />

Asonzeh Ukah: Making the Gods at Home. The Perception and Production <strong>of</strong><br />

Sacred Space among Migrant Religious Communities in Durban 43<br />

Que(e)rying Religionswissenschaft: Christentum und Homosexualitäts<br />

diskurse. Panel 1 44<br />

Ludger Viefhues-Bailey: Verqueere Evangelikale Heterosexualität in den USA<br />

am Beispiel von „Focus on the Family“ 44<br />

Márcia Elisa Moser: Eine Frage des Wissens. Die christliche Homosexualitätsdebatte<br />

in Deutschland als religiöser Vergewisserungsdiskurs im Kontext des<br />

Säkularismus 45<br />

Jürgen Kaufmann: Eine Frage des Geistes: Die Diskussion um die Zusammenhänge<br />

zwischen „Uranismus“ und Theosophie im Wissenschaftlich-Humanitären<br />

Komitee 46<br />

Religionsgeschichte des Orients als Religionswissenschaft 46<br />

Kai Merten: Die Behandlung von Apostaten im Osmanischen Reich aus Sicht<br />

der Religionswissenschaft 47<br />

Bärbel Beinhauer-Köhler: Religion und Alltag: Religionswissenschaftliche Rekonstruktion<br />

eines arabischen Quellentexts aus dem 12. Jh. 48<br />

Manfred Hutter: Notwendigkeit und Vorteile religionswissenschaftlicher<br />

Reflexion und Rekonstruktion untergegangener Religionen: Am Beispiel der<br />

Religionsgeschichte der Hethiter im 14./13. Jh. v. Chr. 48<br />

Hinein in den Aufwind: In Religionswissenschaft einführen 49<br />

Making Histories. Europäische Religionsgeschichten als Teil der Religionswissenschaft<br />

49<br />

8<br />

Daniel Eißner: Making Histories. Vorstellung und Einführung 49<br />

Katharina Neef: Making Histories. Programmatik 50<br />

Jeannine Kunert: Making Histories. Kommunikationsräume 50<br />

Thomas Hase: Making Histories. Religiöser Nonkonformismus 50<br />

Vanessza Heiland/Dirk Schuster: Making Histories. Säkularität 50


Inhaltsverzeichnis<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Que(e)rying Religionswissenschaft: Christentum und Homosexualitätsdiskurse.<br />

Panel 2 51<br />

Adrian Hermann: Religion und soziale Ungleichheit: Zur Inklusion und Exklusion<br />

von Homosexualität im gegenwärtigen religiösen Feld Brasiliens 51<br />

Marita Günther-Saeed: Gendercodierte Ordnungen: „Feministische Spiritualität“<br />

als Herausforderung für die Religionswissenschaft 52<br />

Marcus Held: Phänomenologische Hermeneutiken des Körpers – Herausforderungen<br />

für die Religionswissenschaften!? 53<br />

Gründungspanel Arbeitskreis Islam 53<br />

Patrick Franke: Islampolitik - Genese und Ausdifferenzierung eines Politikfeldes<br />

in Deutschland 54<br />

Paula Schrode: Islam als soziale Realität - Islam als Forschungsgegenstand 54<br />

Johanna Pink: Das islamische 19. Jahrhundert. Kontinuität oder Neuerfindung<br />

religiöser Reform? 55<br />

Tilmann Hannemann: Prophetentum und Verwandtschaft im frühislamischen<br />

tribalen und religiösen Kontext 55<br />

Catherina Wenzel: Die Opferung des Sohnes Reloaded. Spuren typologischer<br />

Auslegung von Gen 22 im Koran 56<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Mediated and Aesthetic Presentations <strong>of</strong> the Teachings <strong>of</strong> Christian-<br />

Oriented Organizations in the United States 56<br />

Sebastian Emling: “Have fun and Prepare to Believe” – Experiencing Religion<br />

at the Creation Museum 57<br />

Anthony Santoro: Houses <strong>of</strong> Play, Houses <strong>of</strong> Spectacle: Pr<strong>of</strong>essional Football<br />

and the Creation, Mediation and Branding <strong>of</strong> Sacred Space 57<br />

Katja Rakow: „It’s not about Jesus in your mind, it’s about Jesus in your<br />

heart.“ Multi-sensory worship at the megachurch 58<br />

Review Panel „Kritik religionswissenschaftlicher Vernunft“<br />

(B. Horyna) 59<br />

„Projekt Religionsästhetik: Debatten, Positionen, Ergebnisse“ Werkstatt-Panel<br />

des Arbeitskreises Religionsästhetik der DVRW 59<br />

9


Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Inhaltsverzeichnis<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Alexandra Grieser: Methode, Perspektive, neues Paradigma? – Ästhetik als<br />

konnektives Konzept der Religionsforschung 60<br />

Katharina Wilkens: Den Koran trinken, die Madonna schlucken. Religionsästhetische<br />

Überlegungen zur Einverleibung von Heiliger Schrift und Gnadenbild<br />

60<br />

Integration methodischer Pluralität – Aufwind für die Religionswissenschaft?<br />

61<br />

Karsten Lehmann: Von Rezeption und Adaption - zum methodischen Programm<br />

der kulturwissenschaftlichen Wende 62<br />

Oliver Freiberger: Der Vergleich – eine „Methode“ der Religionswissenschaft?<br />

62<br />

Ilinca Tanaseanu-Döbler/Marvin Döbler: Interpretation religiöser Quellentexte<br />

63<br />

Verena Maske: Teilnehmende Beobachtung in der Religionswissenschaft –<br />

Königsdisziplin oder marginalisierte Methode. Eine Reflexion über die Potentiale<br />

von Beobachtungsverfahren am Beispiel einer Studie zur Muslimischen<br />

Jugend in Deutschland e.V. (MJD) 63<br />

Stefan Kurth: Narrativ fundierte Interviews und die Erforschung individueller<br />

Religiosität 64<br />

Europäische Perspektiven auf die Erforschung religiöser Gegenwartskultur<br />

in Asien 64<br />

Edith Franke: Religiöse Pluralität oder religiöse Harmonie? Überlegungen zur<br />

kulturübergreifenden Anwendbarkeit wissenschaftlicher Kategorien 65<br />

Christian Meyer: Christentumsstudien als Teil der Religionswissenschaft in<br />

der VR China (und Hongkong) 65<br />

Monika Schrimpf: „Magische Religion“ in Japan – zur Verwendung des Begriffs<br />

„Magie“ in der japanischen Religionswissenschaft 66<br />

Die Beobachtung des religiösen Feldes in der Wechselwirkung von<br />

religiöser Binnen- und religionswissenschaftlicher Außenperspektive<br />

67<br />

Anna-Konstanze Schröder: Theologische Fragestellungen als Anwendungsgebiet<br />

religionswissenschaftlicher Forschung?! 67<br />

10


Inhaltsverzeichnis<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Ann-Laurence Maréchal-Haas: Re-/Präsentation und Reaktion. Zur Rezeption<br />

(religions-)wissenschaftlicher Forschungsergebnisse in ihrem eigenen Gegenstandsfeld<br />

68<br />

Thomas Zenk: Der Atheismusvorwurf als Mittel religiöser Polemik in der Vergangenheit<br />

– Religiöse Polemik gegen Atheisten in der Gegenwart 69<br />

Jens Schlamelcher: „Niederschwellige Angebote“ – Die Verkirchlichung neuer<br />

Religiosität und De-Christianisierung der Kirche 70<br />

Zur Relevanz religionswissenschaftlicher Forschung: Gesundheitsgesellschaft<br />

und ihre Spiritualisierung als Herausforderung.<br />

Panel 1. Methodische Fragen 71<br />

Constantin Klein/Ina Wunn: Saluto- und pathogene Relevanz von Religiosität<br />

verstehen: Die Notwendigkeit eines differenzierten Verständnisses der Dynamiken<br />

zwischen Religiosität und Gesundheit 71<br />

Florian Jeserich: Brauchen wir eine Religionsepidemiologie? 72<br />

Anne Koch: Das Problem der Verknüpfung: Emische, religionswissenschaftliche<br />

und medizinische Vorstellungen zur Wirkweise spirituellen Heilens 72<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Foucault als Methode? Panel 1. Anwendungsfelder poststrukturalistischer<br />

und postkolonialer Theorien in der gegenwartsbezogenen Religionswissenschaft<br />

73<br />

Katja Rakow: Wissenssoziologische Diskursanalyse: Möglichkeiten und<br />

Grenzen der Anwendung in der religionswissenschaftlichen Forschung 73<br />

Michael Bergunder: Religion als „leerer Signifikant“ und als Gegenstand der<br />

Religionswissenschaft 74<br />

Ulrike Schröder: „Early Pillars <strong>of</strong> Saivism“: Konstruktionen sivaitischer Identität<br />

in Südafrika 75<br />

Religionswissenschaft im Aufwind: Schein oder Sein? 75<br />

Bretislav Horyna: Religionswissenschaft im Aufwind der Machtpolitik 76<br />

Steffen Führding: Religionswissenschaft im Aufwind? Empirische Befunde,<br />

theoretische Überlegungen 76<br />

Katharina Frank: Qualitative und quantitative Religionsforschung in religionswissenschaftlicher<br />

Perspektive. Eine kritische und konstruktive Reflexion<br />

bislang getätigter Untersuchungen 77<br />

11


Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Inhaltsverzeichnis<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Thomas Hase: Religionswissenschaft als Kulturwissenschaft? Eine Anfrage 77<br />

Sarah Jahn: Außeruniversitäre Religionswissenschaft im Aufwind? Eine organisationssoziologische<br />

Analyse anhand religionswissenschaftlicher Vereine78<br />

Theoretische Perspektiven der aktuellen Religionsforschung 79<br />

Johann Ev. Hafner: Religionswissenschaft in Potsdam 79<br />

Alina Patru: Präsenz und Wahrnehmung des heutigen Judentums in der VR<br />

China und in Hong Kong 79<br />

Zur Relevanz religionswissenschaftlicher Forschung: Gesundheitsgesellschaft<br />

und ihre Spiritualisierung als Herausforderung.<br />

Panel 2. Religionsgeschichtliche Forschungen 80<br />

Markus Hero: Vom New Age zum Anti-Age. Zur Relevanz zeitgenössischer<br />

Spiritualität auf dem Gesundheits- und Fitnessmarkt 80<br />

Inken Prohl: Asiatische Spiritualität als Matrix psychophysiologischer Praktiken<br />

des Wellbeing 81<br />

Liane H<strong>of</strong>mann: Spiritualität in der Psychotherapie – eine Trendwende? 81<br />

Foucault als Methode? Panel 2. Zur Anwendung postkolonialer und<br />

poststrukturalistischer Theorien in der historischen Religionswissenschaft<br />

82<br />

Sara Heinrich: Die „Debatte um Geschichte“ zwischen M. Foucault und J.<br />

Derrida und ihre Relevanz für die Esoterikforschung am Beispiel A. Kingsfords<br />

(1846-1888) 83<br />

Yan Suarsana: Geschichte als „retroaktiver Effekt“ der Benennung: Zur Konstruktion<br />

des historischen Gegenstands „Pfingstbewegung“ 83<br />

Jörg Haustein: Stimmen zum Islam in Deutsch-Ostafrika: Repräsentation und<br />

Alterität in der Religionsgeschichtsschreibung 84<br />

Ricarda Stegmann: Shalini Randerias Modell der entangled histories am Beispiel<br />

der Debatte um den Islam in Frankreich 85<br />

Theoriebildungen im Interferenzfeld von Altorientalistik, Altertumswissenschaft<br />

und Religionswissenschaft 85<br />

12


Inhaltsverzeichnis<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Michael Weichenhan: Die altägyptische Religion und das liberale Christentum:<br />

Christian Karl Josias v. Bunsen und die Anfänge der wissenschaftlichen<br />

Ägyptologie 86<br />

Anja Hänsch: Inanna-Ischtar: Hysterikerin, Schamanin oder befreite Frau?<br />

Zur Relevanz der Geschlechterforschung für die Wissenschaftsgeschichte einer<br />

Göttin 86<br />

Darja Sterbenc Erker: Fremdheit in Ritual und Text: Antike und heute 87<br />

Musik und Religion – Hörproben aus dem Forschungsfeld Religionsmusikologie<br />

88<br />

Isabel Laack: Das Forschungsfeld Religionsmusikologie – Skizzen einer<br />

Partitur 88<br />

Luise Lampe: Religiöse Musikdeutung in der gegenwärtigen Klassikszene 89<br />

Lidia Guzy: Die Klänge der Göttin. Zur Ethnographie von Religion und Musik<br />

im westlichen Orissa/Indien 90<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Religionswissenschaft & Neutralität – Die Position der Religionswissenschaft<br />

in Diskursen über Religion(en), Panel 1 90<br />

Johannes Quack: Innen-Außen-Reflexiv: Religionswissenschaftliche Neutralitätsansprüche<br />

zwischen Theologie und Religionskritik 91<br />

Fritz Heinrich: Methodischer Nihilismus: Zur performativen Neutralität des<br />

Forschenden innerhalb der engagierten Religionswissenschaft Ali Schariatis<br />

91<br />

Jens Schlieter: Pathos der Distanz (zur Theologie): Religionswissenschaftliche<br />

Neutralität und die Frage nach der Normativität 92<br />

Adrian Hermann: Diskurstheorie, Kritik und Neutralität: Überlegungen zur<br />

Rezeption kulturwissenschaftlicher Theoretiker in der Religionswissenschaft<br />

93<br />

Religion vernetzt: Religion und Migration in relationaler Perspektive.<br />

Panel 1 94<br />

Karin Hitz: Boundary Work: Aktive Muslime in Deutschland: Grenzziehungsprozesse<br />

und Legitimationsdynamiken im Kontext sozialer und zivilgesellschaftlicher<br />

Arbeit 94<br />

Nelly Joppich: Von „Gatekeepern“ und „Brokern“: Engagierte Akteure als<br />

Schnittstellen zwischen religiösen Organisationen 95<br />

13


Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Inhaltsverzeichnis<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Eva-Maria Döring: “Ven, ven Espiritu Santo ven!” Zur religiösen Praxis lateinamerikanischer<br />

Pfingstler in Deutschland 96<br />

Sabrina Weiß: Mediative Migrationskirchen? Vernetzung und zivilgesellschaftliche<br />

Potentiale christlicher Koreanischer Gemeinden 96<br />

Sexgurus und Kohlrabiapostel – Neue Forschungsperspektiven auf<br />

religiösen Nonkonformismus. Panel 1 97<br />

Stefan Wegener: Die Religionswissenschaft als Akteur in der „Sektendebatte“<br />

der Bundesrepublik 97<br />

Katja Kleinsorge: Sex-Guru oder Bhagwan? Die Konflikte um den Ashram<br />

von Bhagwan Shree Rajneesh in Indien 98<br />

Christiane Königstedt: Die Spezifika des esoterisch-okkulten Angebotes in<br />

Frankreich 99<br />

Konjunktur der Religionsökonomie? 99<br />

Markus Hero: Was heißt religiöser Markt? Versuch einer Klärung aus institutionentheoretischer<br />

Sicht 99<br />

Nadja Miczek: Ritualdesign TM ? Positionierungs- und Vermarktungsprozesse<br />

im Feld des spirituellen Heilens 100<br />

Alexander Rödel: Erklärungskonzepte der neoklassischen Religionsökonomik<br />

100<br />

Lucas Zapf: Vorstellung Dissertationsprojekt: Religiöse Aspekte der Berufsarbeit<br />

101<br />

Religionswissenschaft & Neutralität – Die Position der Religionswissenschaft<br />

in Diskursen über Religion(en), Panel 2 102<br />

Jens Kugele: Neutralität und gesellschaftlicher Diskurs – Positionalität der Religions-<br />

und KulturwissenschaftlerIn 102<br />

Christoph Wagenseil: 20 Jahre REMID revisited – Erfahrungen aus der Vermittlungsarbeit<br />

zwischen Öffentlichkeit und Wissenschaft 103<br />

Franz Winter: Die Debatte um die Neutralität der Religionswissenschaft in<br />

der so genannten „Sekten“-Diskussion 104<br />

14<br />

Religion vernetzt: Religion und Migration in relationaler Perspektive.<br />

Panel 2 104


Inhaltsverzeichnis<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Piotr Suder: Repräsentative Moscheen und die Einbindung von Moscheegemeinden<br />

in den kommunalen Kontext. 105<br />

Sandhya Marla: Diaspora-Hinduismus 2.0: Religionstransfer und Transformationsprozesse<br />

bei jungen Tamilen in Deutschland 106<br />

Frederik Elwert: Religionsgemeinschaften als Integrationsagenten. Russlanddeutsche<br />

Gemeinden zwischen Binnenorientierung und Außenwirkung. 106<br />

Alexander Nagel: Interreligiöse Aktivitäten und Religionskontakt: Zur diskursiven<br />

Verarbeitung religiöser Differenz 107<br />

Sexgurus und Kohlrabiapostel – Neue Forschungsperspektiven auf<br />

religiösen Nonkonformismus. Panel 2 108<br />

Jörg Albrecht: Vom „Kohlrabiapostel“ zum „Bionade-Biedermeier“: Eine Geschichte<br />

alternativer Ernährung zwischen religiöser Marginalität und kulturellem<br />

Mainstream 108<br />

Christiane Altmann: Yidishkayt – Ohne Religion? 109<br />

Christoph Günther: Wahrer Glaube und legitime Herrschaft vs. Unglaube<br />

und illegitime Herrschaft - Ein islamischer Staat im Irak 109<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

(De-)Konstruktionen religiöser Autoritäten in und durch moderne(n)<br />

Massenmedien 110<br />

Xenia Zeiler: „Ich werde mein Haupt vor Śītalā im Tempel Benares beugen.“<br />

Propagierung und Konsolidierung etablierter religiöser Autorität im Hinduismus<br />

durch moderne Massenmedien 111<br />

Michael Waltemathe: Computerspiele und der Wandel des Umgangs mit den<br />

repräsentierten religiösen Autoritäten 111<br />

Anna Neumaier: „Der Moderator räuspert sich“ - Diskursive Aushandlungen<br />

von Hierarchie und Rollen in religiösen Online-Diskussionsforen 112<br />

Danijel Cubelic: Politiken islamischer Populärkultur: Neuaushandlungen religiöser<br />

Autorität in arabischen Massenmedien 113<br />

Kerstin Radde-Antweiler: „For Men only“. Die Interpretation der biblischen<br />

Figur Maria von Magdala und der Kampf um kirchliche Autoritätskonstruktionen<br />

114<br />

15


DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

16


Donnerstag, 15. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Donnerstag, 15. September 2011<br />

9:15 bis 10:45 Uhr<br />

Opinion Mining in Religious Studies<br />

• Udo Mischek: Die Sicht auf andere Religionen bei der<br />

Ahmadiyya – Inklusivistische Strategien in einer neureligiösen<br />

Bewegung<br />

• Yaron Charka: Technical Aspects <strong>of</strong> Opinion Mining in the<br />

Study <strong>of</strong> Religions<br />

• Kai-Uwe Sachs: Die veränderte Sichtweise des Judentums in<br />

einer neureligiösen Bewegung: Das Beispiel Rael<br />

• Shelley Elkayam: Family and Gender in the Unification<br />

Theology and Praxis<br />

• Eldad Pardo: The Polity-Church Fusion in Iran: Elements <strong>of</strong><br />

New Religious Movements in Khomeinism<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Udo Mischek: Die Sicht auf andere Religionen bei der Ahmadiyya – Inklusivistische<br />

Strategien in einer neureligiösen Bewegung<br />

Die Ahmadiyya ist eine islamische Reformgemeinde, die sich als liberale<br />

Variante des Islam präsentiert. So stehen insbesondere die friedliche<br />

Verbreitung des Islam und ein interreligiöser Dialog im Mittelpunkt des<br />

Selbstverständnisses der Gruppe. Untersucht man jedoch die schriftlichen<br />

Äußerungen des Gründers Ghulam Ahmad, so zeigen sich auch andere<br />

Aspekte. Seine gesamten Schriften durchzieht eine harsche Kritik am religiös<br />

Anderen. Dennoch finden sich auch bei dem Gründer der Ahmadiyya<br />

Tendenzen, das religiös Andere nicht auszugrenzen, sondern in den eigenen<br />

Glauben einzubeziehen.<br />

Eine Analyse der Zeitschriften über mehrere Jahrzehnte zeigt, wie sich<br />

Themen und Strategien im Umgang mit anderen Glaubenssystemen<br />

wandelten.<br />

17


Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Donnerstag, 15. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Mit Hilfe der computergestützten Techniken lassen sich die Analyseergebnisse<br />

sowohl quantitativ als auch qualitativ relativ schnell erfassen und stehen<br />

dann für die weitere Bearbeitung zur Verfügung.<br />

Yaron Charka: Technical Aspects <strong>of</strong> Opinion Mining in the Study <strong>of</strong> Religions<br />

As part a <strong>of</strong> a research on Opinion Mining in Religious Studies funded by the<br />

German-Israeli Foundation, we developed several automated methods for<br />

Opinion Mining and Discourse Analysis in large corpora. In the first phase<br />

we used manually complied lexicons <strong>of</strong> positive and negative attributes to<br />

statistically quantify the polarity <strong>of</strong> the attitudes <strong>of</strong> different corpora writers<br />

and editors toward terms representing ‘the other’.<br />

In the second phase, we chose to perform a Discourse Analysis by focusing<br />

on the sources <strong>of</strong> concurrent Muslim-related corpora attitudes towards<br />

Israel and Jews, rather than on assessing the positive/negative polarity <strong>of</strong><br />

these corpora. We did so by automatically generating a weighted lexicon<br />

containing words indicative to three types <strong>of</strong> discourses: Ancient Islam<br />

discourse, Modern European Anti-Semitism discourse and the Israeli-<br />

Palestinian Conflict discourse.<br />

In this presentation, I will briefly present the method used in the first phase,<br />

and will show a pro<strong>of</strong> by induction to the validity <strong>of</strong> Discourse Analysis<br />

method.<br />

Kai-Uwe Sachs: Die veränderte Sichtweise des Judentums in einer neureligiösen<br />

Bewegung: Das Beispiel Rael<br />

18<br />

Mit Hilfe der von unserem Forscherteam entwickelten technischen<br />

Analysewerkzeuge wurden die Aussagen der Ufo-Religion Rael in<br />

Bezug auf das Judentum untersucht. Hierbei lassen sich signifikante<br />

Veränderungen feststellen. Waren zu Anfang die Bewertungen der jüdischen<br />

Religion durchaus positiv, so änderte sich dies in den letzten Jahren. Die<br />

Gründe hierfür sind prosaischer Natur, weigerte sich doch die Jerusalemer<br />

Stadtverwaltung dem Baugesuch der Raelianer für ein in Jerusalem geplantes<br />

Botschaftsgebäude stattzugeben.


Donnerstag, 15. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Shelley Elkayam: Family and Gender in the Unification Theology and Praxis<br />

The study examines the corpus <strong>of</strong> the Unification Church (UC) including<br />

all speeches <strong>of</strong> Rev. Sun Myung Moon over the course <strong>of</strong> 50 years. With<br />

analytical tools invented by our team, we found the relationship to the<br />

physical world: Sexuality, Gender and Family in the UC’s writings, estimated<br />

the valence <strong>of</strong> these opinions, and analyzed and classified automatically<br />

extracted frequent expressions. Recent studies on the UC point to a period <strong>of</strong><br />

transition, along its distinct conservative voice, and that it also picks up the<br />

revolutionary implications <strong>of</strong> Moon’s theology for gender equality. Moon’s<br />

revelations and theology emphasize the family. As messianic figures, he and<br />

his wife take the title True Parents. The Church’s central religious ceremonies<br />

are international, inter-religious and inter-racial mass marriages. By asserting<br />

that the messianic <strong>of</strong>fice is held by a couple, the UC gives higher religious<br />

value to the female gender. This became praxis on multiple occasions: in<br />

1992 when Moon established the Women’s Federation for World Peace;<br />

in 2008 when his fourth daughter took upon herself to lead the UC in<br />

America; and since 2009 when their eldest daughter has taken a leading<br />

role in religious pilgrimages to conflict areas. We argue that gender and<br />

family are being played out in the UC, with tension between a patriarchal<br />

view reflecting Korean tradition and prominent UC female figures claiming<br />

their gender rights.<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Eldad Pardo: The Polity-Church Fusion in Iran: Elements <strong>of</strong> New Religious<br />

Movements in Khomeinism<br />

Scholarly research during the last decade has disproved long-held theories<br />

predicting the decline <strong>of</strong> religions and their role in the politics <strong>of</strong> modern<br />

nations. Similarly, the combination <strong>of</strong> terrorism, environmental threats and<br />

economic uncertainties – all related to the surprising rise <strong>of</strong> religion – has<br />

also undermined another theory, that <strong>of</strong> the demise <strong>of</strong> the nation state. We<br />

have become, then, more dependent on our nation state and our religion<br />

for protection from existential uncertainties. Yet, while separation <strong>of</strong> state<br />

and church is being challenged in the democratic nation states, the role <strong>of</strong><br />

religion has been particularly salient in the Islamic world. In Iran, perhaps the<br />

most conspicuous case study, church and state are one. Having a troubling<br />

19


Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Donnerstag, 15. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

imperialistic agenda notwithstanding, Iranian Khomeinism questions the<br />

postulate <strong>of</strong> separation <strong>of</strong> state and church <strong>of</strong>fering an alternative modernity<br />

that may, or may not, grow to be a role model for others in the future.<br />

Combining a number <strong>of</strong> methodologies, from the GIF project text mining to<br />

textbook analysis, my paper studies the theological foundations <strong>of</strong> this politychurch<br />

fusion. My argument is that Khomeinist universal-globalist theology,<br />

while emanating from Shii Islam, have absorbed a wide array <strong>of</strong> ideas and<br />

innovations, which makes it better understood as a new modern state religion<br />

that shares some interesting traits with new religious movements. Yet the<br />

Iranian theocracy also faces growing challenges from civil society at home<br />

and in the Arab world, as well as from millenarian ultra-nationalists within<br />

the system. Paradoxically, if it fails to introduce much needed theological<br />

and political reforms, the Khomeinist experiment may end up confirming<br />

the Western postulate it set out to replace.<br />

Repräsentationen und Formen von Kabbala im 21. Jahrhundert<br />

• Frederek Musall: Von Chokhmah bis Da’at: Postmoderne<br />

Repräsentation der Kabbala am Beispiel von ChaBaD-<br />

Lubawitsch<br />

• Elke Morlok: Methodologische Herausforderungen der<br />

modernen Kabbala-Forschung<br />

• Nicole Bauer: Transdisziplinäre Zugänge in der Erforschung<br />

des Kabbalah Centre<br />

Frederek Musall: Von Chokhmah bis Da’at: Postmoderne Repräsentation<br />

der Kabbala am Beispiel von ChaBaD-Lubawitsch<br />

20<br />

Kaum eine andere jüdische Gruppe wird auf binnenreligiöser Ebene so<br />

kontrovers diskutiert wie die chassidische Bewegung CHaBaD-Lubawitsch:<br />

Einerseits wird CHaBaD-Lubawitsch durch die weltweite Präsenz seiner<br />

Zentren als Garant jüdischer Identität aufgefasst, andererseits zeigt man<br />

sich wegen des messianischen Eifers um den letzten Lubawitscher Rebbe<br />

Menachem Mendel Schneerson (1902-1994) irritiert. Der ultraorthodoxe<br />

israelische Rabbiner Elasar Schach ging in seiner Polemik sogar so weit, dass<br />

er CHaBaD-Lubawitsch als „eine dem Judentum nahestehende Religion“<br />

bezeichnete.


Donnerstag, 15. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Im Rahmen des Vortrages soll auf den Begriffswandel und die<br />

Kommunikationsprozesse des namensgebenden Akronyms CHaBaD, das<br />

die oberen drei Wirkungsprinzipien der Gottheit (die sogenannten Sefirot)<br />

Chokhmah („Weisheit“), Binah („Einsicht“) und Da’at („Erkenntnis“)<br />

zusammenfasst, eingegangen werden. Dabei werden die drei Begriffe<br />

im Sinne des kabbalistischen Prinzips des Tiqqun („Weltverbesserung/-<br />

erlösung“) als religiöser Imperativ aufgefasst, um eine Idee in praktisches<br />

Handeln zu übersetzen.<br />

Elke Morlok: Methodologische Herausforderungen der modernen Kabbala-<br />

Forschung<br />

Kabbalistische Symbole, Metaphern und Begriffe sind in letzter Zeit verstärkt<br />

in den öffentlichen Fokus gerückt, sei es durch Internet, Filme, Songs oder<br />

Mode. Dieses Auftauchen der jüdischen Mystik in der modernen Pop-<br />

Kultur stellt die wissenschaftliche Forschung vor neue Herausforderungen,<br />

da nicht nur die soziokulturelle Struktur des Forschungsobjektes starken<br />

Transformationsprozessen unterworfen ist, sondern nun auch das<br />

methodologische Instrumentarium der akademischen Auseinandersetzung<br />

mit diesem Phänomen den neuen Entwicklungen angepasst werden<br />

muss. Während die klassische Kabbala vornehmlich auf literarischen<br />

Dokumenten basiert, müssen bei der Untersuchung der zeitgenössischen<br />

Erscheinungsformen auch verstärkt soziologische und medientechnische<br />

Faktoren thematisiert werden. Die unterschiedlichen Zugänge zu dieser<br />

Fragestellung in der modernen Kabbala-Forschung in Israel, den USA und<br />

Europa sollen in diesem Vortrag aufgezeigt und kritisch hinterfragt werden.<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Nicole Bauer: Transdisziplinäre Zugänge in der Erforschung des Kabbalah<br />

Centre<br />

In den letzten Jahrzehnten vollzog sich in einer überwiegend religionshistorisch<br />

und philologisch orientierten Religionswissenschaft eine Neubewertung<br />

interdisziplinärer Forschungsmethoden. Vor dem Hintergrund einer immer<br />

komplexer werdenden religiösen Gegenwartslandschaft erlauben gerade<br />

21


Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Donnerstag, 15. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

qualitative Methoden, die bisher vorwiegend von Ethologen, aber auch<br />

Sozialwissenschaftlern angewandt wurden, einen flexiblen und sensiblen<br />

Zugang zum religiösen Feld.<br />

Auch die Betonung des eigenen Erlebens des Forschers durch persönliche<br />

Anteilnahme wird neu bewertet. Während der teilnehmenden Beobachtung<br />

ist der Forscher aktiv in das Geschehen involviert und kann somit auch die<br />

Sinneseindrücke, die durch die religiösen Praktiken hervorgerufen werden,<br />

im Sinne eines religionsästhetischen Zugangs methodisch reflektieren und<br />

zum Objekt seiner Forschung machen.<br />

Multimethodische Verfahren ermöglichen so die Beschreibung und Analyse<br />

religiöser Lebenswelten mittels teilnehmender Beobachtung, die durch<br />

Interviews, Inhaltsanalysen von religiösen Texte, Homepages und Werbung,<br />

sowie audiovisuelle Aufzeichnungen ergänzt werden.<br />

Exemplarisch soll hier dieser multimethodische Zugang am Beispiel der<br />

Erforschung des Kabbalah-Centres aufgezeigt werden. Möglichkeiten und<br />

Schwierigkeiten werden thematisiert und die Relevanz der Erforschung dieser<br />

von der Wissenschaft bisher wenig beachteten, marginalen Erscheinung soll<br />

betont werden.<br />

11:15 bis 12:45 Uhr<br />

Leben Religionen von politischen Voraussetzungen, die sie selbst<br />

nicht garantieren können? – Religionswissenschaftliche Ansätze zu<br />

Religionen und Politiken. Panel 1<br />

• Karsten Lehmann: Internationalisierung, Transnationalisierung<br />

und Globalisierung. Dimensionen der Interdependenzen<br />

zwischen Religionen und Politiken<br />

• Christoph Kleine: Thesen zu den politischen Voraussetzungen<br />

für Ansätze von staatlicher Säkularität und religiöser Pluralität<br />

im vormodernen Ostasien<br />

• Hannah Müller-Sommerfeld: Zur Rolle des Völkerbundes im<br />

Nahen Osten (1919-1946)<br />

22


Donnerstag, 15. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Karsten Lehmann: Internationalisierung, Transnationalisierung und Globalisierung.<br />

Dimensionen der Interdependenzen zwischen Religionen und<br />

Politiken<br />

Die aktuelle Diskussion um „Religion und Politik“ ist in Deutschland bislang<br />

erstaunlicherweise weitgehend unter Ausschluss der Religionswissenschaft<br />

geführt worden. Tatsächlich scheint sie vor allem in akademischen Disziplinen<br />

verortet zu sein, die über lange Zeit vom Säkularisierungsparadigma geprägt<br />

waren – wie etwa die Soziologie, die Politikwissenschaft oder die Theologie.<br />

Der hier vorgestellte Beitrag möchte einen dezidiert religionswissenschaftlichen<br />

Zugang zu diesem Themenbereich skizzieren, wobei er sich auf die<br />

Entwicklungen religiöser Nicht-Regierungsorganisationen (RNGOs) im<br />

Kontext der United Nations Organisation (UNO) konzentriert. An drei<br />

konkreten Fallbeispielen soll gezeigt werden, welchen Einfluss das UNO-<br />

Engagement auf die Strukturierung dieser religiösen Organisationen sowie<br />

die Formulierung ihrer religiösen Lehren ausübt.<br />

Im Mittelpunkt wird die These stehen, dass in diesem sozialen Kontext<br />

drei Prozesse empirisch miteinander verbunden sind, welche analytisch<br />

getrennt werden müssen, um die Interdependenzen zwischen Religionen<br />

und Politiken in diesem Bereich der religiösen Gegenwartskultur adäquat<br />

verstehen zu können: der Prozess der Internationalisierung, der Prozess der<br />

Transnationalisierung und der Prozess der Globalisierung.<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Christoph Kleine: Thesen zu den politischen Voraussetzungen für Ansätze<br />

von staatlicher Säkularität und religiöser Pluralität im vormodernen Ostasien<br />

Dass Religionen von Voraussetzung leben, die sie selbst nicht garantieren<br />

können, ist <strong>of</strong>fenkundig. Weniger <strong>of</strong>fenkundig sind jedoch die genauen<br />

Zusammenhänge zwischen der politischen Verfasstheit von Staaten und der<br />

Religionsentwicklung innerhalb ihrer jeweiligen Einflusssphäre.<br />

Ein gängiges Narrativ beschreibt den Prozess der Modernisierung und die<br />

damit einhergehende Säkularisierung – hier i.S. einer zunächst formalen<br />

Trennung von Staat und Religion – als Voraussetzung für religiöse<br />

Pluralität, welche wiederum nach dem Motto „Konkurrenz belebt das<br />

Geschäft“ die Religionsentfaltung stimuliert. Im Kontrast zu früheren<br />

23


Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Donnerstag, 15. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Säkularisierungstheorien gehen manche Forscher heute also davon aus, dass<br />

Religionen unter den Bedingungen staatlicher Säkularisierung erst recht<br />

gedeihen und nicht etwa verschwinden.<br />

Sollte also die Annahme zutreffen, dass ein säkularer Staat, der einen<br />

Ermöglichungs- und Partizipationsrahmen für die freie Entfaltung von<br />

Religionen zur Verfügung stellt, eine notwendige Voraussetzung für religiöse<br />

Vielfalt ist, stellt sich die Frage, wie die religiöse Pluralität in weiten Teilen<br />

des vormodernen Ostasiens erklärt werden kann. Ist die Annahme eines<br />

Zusammenhangs zwischen staatlicher Säkularität und religiöser Pluralität<br />

schlicht falsch oder hat es z.B. in China und Japan schon vor vielen<br />

Jahrhunderten Ansätze säkularer Staatskonzepte gegeben? In meinem Vortrag<br />

werde ich dieser Frage nachgehen und mich in diesem Zusammenhang auf<br />

der Grundlage systemtheoretischer Überlegungen kritisch mit dem Begriff<br />

„Säkularität“ auseinandersetzen.<br />

Hannah Müller-Sommerfeld: Zur Rolle des Völkerbundes im Nahen Osten<br />

(1919-1946)<br />

Nach dem 1. Weltkrieg wird auf der Friedenskonferenz von Versailles (1919)<br />

die formale Auflösung des Osmanischen Reiches beschlossen. In dieser<br />

historischen Stunde spielt für die meisten Nachfolgestaaten im Nahen Osten<br />

der von den alliierten Siegermächten gegründete Völkerbund mit Sitz in Genf<br />

eine zentrale Rolle. Seine Satzung bildet die völkerrechtliche Grundlage<br />

für das völlig neue politische System der Mandatsverwaltungen über die<br />

ehemaligen Gebiete des Osmanischen und Deutschen Kaiserreichs, die<br />

gegenüber dem Völkerbund Rechenschaftspflicht haben. Im Nahen Osten<br />

übernehmen die Briten das Mandat über den Irak (1920-1932) und Palästina<br />

(1920-1946) sowie die Franzosen über Syrien und Libanon (1920-1943).<br />

Seit den zunehmenden britischen Regierungsveröffentlichungen steht für<br />

ihre Mandatsverwaltungen überbordendes Quellenmaterial zur Verfügung.<br />

Auch die Akten des Völkerbundarchivs in Genf sind inzwischen nach Ablauf<br />

aller Sperrfristen komplett geöffnet.<br />

Aufgrund von Archivforschungen soll im Vortrag der Frage nach Kontinuitäten<br />

und Differenzen im Status der verschiedenen Religionsgemeinschaften,<br />

i.a. Islam, Juden, Christen, Bahá’í unter den Mandatsverwaltungen im<br />

24


Donnerstag, 15. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Irak, Syrien und Libanon nachgegangen werden. Mein Fokus liegt auf<br />

staatlichem Religionsrecht, mit dem zwar auf juristischer Ebene der aus<br />

Genf vorgegebene neue völkerrechtliche Grundsatz des religiösen (und<br />

ethnischen) Minoritätenschutzes umgesetzt wird, der aber für die islamischen<br />

Majoritäten im Irak und Syrien, insbesondere ihr religiöses Establishment<br />

eine große Herausforderung bedeutet.<br />

Religionswissenschaftliche Fachidentität zwischen disziplinärer Ausdifferenzierung,<br />

interdisziplinärer Verbundforschung und programmatischer<br />

Nicht-Disziplinarität. Panel 1: Ausdifferenzierung der Religionswissenschaft?<br />

Zu aktuellen Fragen der Fach entwicklung und der<br />

Wissenschaftsorganisation<br />

• Michael Stausberg, Bergen: Ist die Religionswissenschaft eine<br />

wissenschaftliche Disziplin?<br />

• Inken Prohl, <strong>Heidelberg</strong>: Religionswissenschaft<br />

interdisziplinär – Strategien jenseits von Kom petenzerosion<br />

und fahrlässiger Isolation<br />

• Hans G. Kippenberg, Bremen: Zeitgenössische<br />

Religionsdynamiken, aus rechtswissenschaftlicher Sicht<br />

betrachtet – und umgekehrt: Was ermöglicht und was<br />

erbringt transdisziplinäres Arbeiten?<br />

• Alexandra Grieser, Groningen: Perspektivität als<br />

Organisationsform von Wissen – eine Möglichkeit für die<br />

Religionswissenschaft zwischen Identität und Auflösung?<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Michael Stausberg, Bergen: Ist die Religionswissenschaft eine wissenschaftliche<br />

Disziplin?<br />

Die meisten Teilnehmer dieser Tagung werden die aufgeworfene Frage<br />

beherzt bejahen. Der Status wissenschaftlicher Disziplinen wurde in den<br />

vergangen Jahren in der internationalen Forschung diskutiert. Der Vortrag<br />

wird diese Debatte kurz skizzieren, einige Zusammenhänge vorstellen und<br />

auf die Situation der Religionswissenschaft anwenden.<br />

25


Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Donnerstag, 15. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Inken Prohl, <strong>Heidelberg</strong>: Religionswissenschaft interdisziplinär – Strategien<br />

jenseits von Kom petenzerosion und fahrlässiger Isolation<br />

Im Kontext von Verbundsforschung und anderen interdisziplinären Projekten<br />

ist die Religionswissenschaft gefordert, ihre Fragestellungen über disziplinäre<br />

Grenzen hinweg erfolgreich kommunizieren und mit den Theorien und<br />

Methoden vielfältig verwandter Disziplinen verknüpfen zu können, was<br />

nicht immer leicht fällt. Zum einen stößt die religionswissenschaftliche<br />

Disziplin mit ihrer beharrlichen Reflexion des Religionsbegriffes zuweilen<br />

an die Grenzen der Geduld benachbarter Disziplinen. Zum anderen birgt<br />

ein flexibler oder als vage und ungenau wahrgenommener Umgang mit dem<br />

Begriff der Religion die Gefahr, dass sich unser Untersuchungsgegenstand<br />

auflöst. Um eine zunehmende religionswissenschaftliche Isolation zu<br />

vermeiden, sind hier balancierte Vorgehensweisen gefragt.<br />

Im Vortrag werden Strategien vorgestellt und diskutiert, wie<br />

religionswissenschaftliche Ansätze und Forschungsfelder erfolgreich in<br />

interdisziplinäre Zusammenhänge eingebracht werden können. Erörtert<br />

wird dabei, auf welche Reflektionen über den Begriff und das Feld der<br />

Religion(en) in interdisziplinären Zusammenhängen verzichtet werden<br />

kann, ohne Identität und Ansprüche des Faches aufgeben zu müssen, und<br />

von welchen Religionswissenschaftler keineswegs zurücktreten sollten.<br />

26<br />

Hans G. Kippenberg, Bremen: Zeitgenössische Religionsdynamiken, aus<br />

rechtswissenschaftlicher Sicht betrachtet – und umgekehrt: Was ermöglicht<br />

und was erbringt transdisziplinäres Arbeiten?<br />

Wenn man die Geltung von Religion in einer individuellen oder kollektiven<br />

Erfahrung sucht, bleiben die spezifischen Formen öffentlicher Religion<br />

unerklärlich. Anders verhält es sich, wenn man Rechts-diskurse und -dispute<br />

über Religionsfreiheit betrachtet. Sie geben besser Einblick in die Erzeugung<br />

öffentlicher Religion.<br />

Am Beispiel von Artikel 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention<br />

und der dazugehörigen Rechtsprechung möchte das Referat zeigen, dass<br />

Religionsfreiheit nicht als eine abstrakte Norm, sondern als Ergebnis eines<br />

legitimatorischen Prozesses verstanden werden muss. Der Artikel 9 EMK<br />

ist hierfür ein geeigneter Ausgangspunkt. Der erste Abschnitt garantiert


Donnerstag, 15. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

uneingeschränkte Religionsfreiheit, der zweite Abschnitt formuliert<br />

Einschränkungen. Sie seien notwendig, wenn sie in einer demokratischen<br />

Gesellschaft von Gesetzen vorgeschrieben und im Interesse von öffentlicher<br />

Sicherheit, zum Schutz von öffentlicher Ordnung, Gesundheit, Moral<br />

oder der Rechte oder der Freiheit anderer notwendig seien. Als sich<br />

Europäische Rechtsinstanzen seit den siebziger Jahren mit einer allmählich<br />

wachsenden Zahl von Klagen wegen der Verletzung des Grundrechtes der<br />

Religionsfreiheit befassten, anerkannten sie einen eigenständigen nationalen<br />

Beurteilungsspielraum und formulierten dafür die Doktrin der „Margin <strong>of</strong><br />

Appreciation“. Was diese darstellt und wie sie wirksam wird, soll an zwei<br />

Fällen von Anklagen wegen Blasphemie und wegen Kopftuchverboten<br />

dargestellt werden. An ihnen kann man ablesen, über welche Rechtsdiskurse<br />

und -dispute heute in Europa der Weg von individueller Religion<br />

zu öffentlicher Religion führt.<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Alexandra Grieser, Groningen: Perspektivität als Organisationsform von<br />

Wissen – eine Möglichkeit für die Religionswissenschaft zwischen Identität<br />

und Auflösung?<br />

Geht man d’accord mit der kulturwissenschaftlichen Auffassung, Religion<br />

als „komplexer Gegenstand“ sei nicht in Reinform zu haben, sondern nur<br />

in Verbindung mit anderen kulturellen Praktiken, Medien, Funktionen,<br />

so steht außer Frage, dass Spezialisierungen anstehen. Zugleich steht<br />

die Religionswissenschaft in der Spannung zwischen öffentlicher<br />

(Nicht-)Wahrnehmung, erst kurz errungener Komplexität des eigenen<br />

Gegenstandfeldes und der Fächerkonkurrenz um den Gegenstand Religion.<br />

Geschichte, Soziologie, Anthropologie, Politikwissenschaft und Cognitive<br />

Studies, alle „können Religion“, warum also noch eine Religionswissenschaft?<br />

Für die Frage, ob sich Wege jenseits der Polarisierung von Einheit und<br />

Auflösung finden lassen, bietet es sich an, die Debatten um Wissensprozesse<br />

und die Veränderung von Wissensorganisation einzubeziehen. Perspektivität<br />

und Konnektivität von Wissen bieten Modelle, spezialisiertes Wissen durch<br />

verbindende Konzepte heuristisch und produktiv wieder aufeinander zu<br />

beziehen. Ähnlich wie in den Naturwissenschaften Spezialisierungen für<br />

die Verbindung von Bereichen und Methoden entstanden sind, ist es auch<br />

für die Religionswissenschaft zentral, Expertise für Zusammenhänge weiter<br />

27


Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Donnerstag, 15. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

zu entwickeln, wie etwa Religion und Wirtschaft, Ästhetik oder Politik.<br />

Indem solche Spezialisierungen quer verlaufen zu Spezialisierungen nach<br />

Religionen, Regionen und Epochen, sich aber beide Wissensformen im<br />

perspektivischen Rahmen gegenseitig informieren, kann eine Wissensqualität<br />

entstehen, die andere Einzelwissenschaften (und andere nationale Traditionen)<br />

nicht leisten können. Anerkennung beider Wissensformen innerhalb der<br />

Religionswissenschaft – Spezialisierung auf Gegenstandsbereiche und<br />

Spezialisierung auf konnektive Zugriffe – könnten die weitere Konzeption<br />

einer Religionswissenschaft als Disziplin unterstützen.<br />

Religion – Medien – Narration: Zur zeitgenössischen Mythopoetik<br />

• Dirk Johannsen: „Religion“ als Stilmittel der Fantastik in der<br />

Fernsehserie LOST<br />

• Anja Kirsch: Unbestimmtheit als „religiöses“ Sinnpotential –<br />

Wirkungstheoretische Aspekte in der Fernsehserie LOST<br />

• Jürgen Mohn: „Gottes“-Narrative in der religiösen<br />

Zeitgeschichte: Zur religionswissenschaftlichen Beschreibung<br />

theistischer Akteure im Massenmedium Comic<br />

• Hubert Mohr: Der Bote und der Prophet – Mythologisches<br />

Erzählen im Film in Zeiten von AIDS: Tony Kushners und<br />

Mike Nichols TV-Drama „Angels in America“ (2003)<br />

Dirk Johannsen: „Religion“ als Stilmittel der Fantastik in der Fernsehserie<br />

LOST<br />

Die US-Dramaserie Lost oszilliert durchgängig zwischen Science-Fiction<br />

und Supernatural-Horror. Die Geschichte der Überlebenden eines<br />

Flugzeugabsturzes auf einer mysteriösen Insel ist als ein multimediales<br />

Patchwork literarischer Genres und geistesgeschichtlicher Traditionen<br />

inszeniert, dessen narrative Struktur selbst als zentrales Rätsel thematisiert<br />

wird. Spätestens mit dem Abschluss nach der sechsten Staffel 2010 wurde<br />

deutlich, dass die Serie auch von religionswissenschaftlichem Interesse ist.<br />

Was als Survivor-Drama begann, hat sich im Lauf der Erzählung zu einem<br />

fantastischen Epos entwickelt, in dem die in der Pilotfolge auf die Insel<br />

bezogene Ausgangsfrage „Where are we?“ über mehr als 100 Folgen als<br />

28


Donnerstag, 15. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

„Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Wer sind wir?“ verhandelt und<br />

schließlich an die Religionen weitergegeben wurde. Im Vortrag wird gezeigt,<br />

wie ,Religion’ dabei von den Produzenten langfristig als ein Instrument<br />

zur Aufrechterhaltung der fantastischen Unentschiedenheit zwischen dem<br />

Wunderbaren und dem Unheimlichen konstruiert und auf reale Traditionen<br />

zurückprojiziert wurde. Die Fiktion gliedert sich auf diese Weise selbst in<br />

die Religionsgeschichte ein, im Verweis auf das extradiegetische Konstrukt<br />

„Religion“ findet das Fantastische seine Letztbegründung.<br />

Anja Kirsch: Unbestimmtheit als „religiöses“ Sinnpotential – Wirkungstheoretische<br />

Aspekte in der Fernsehserie LOST<br />

Anders als es die von Fans und Produzenten für die Mystery-Elemente<br />

verwendete Bezeichnung „Mythologie“ suggeriert, arbeitet die Serie<br />

LOST nicht mit einem der Darstellung unterlegten Weltmodell (im Sinn<br />

der Geschichte und Ordnung einer alternativen Welt, wie sie etwa<br />

Tolkien ausgearbeitet hatte), sondern mit narrativen und szenischen<br />

Techniken, die auf die Maximierung von Unbestimmtheitsbeträgen und<br />

somit Deutungspotentialen zielen. Speziell in Bezug auf den Umgang<br />

mit „Religion“ ist das Narrativ Lost nicht durch eine spezifische Botschaft<br />

gekennzeichnet, die es nur aufzudecken gelte, sondern, in der Terminologie<br />

des Konstanzer Anglisten und Literaturtheoretikers Wolfgang Iser, durch eine<br />

spezifische Funktionalisierung von Leerstellen.<br />

Im Vortrag werden diese Technik der Bedeutungserzeugung am Beispiel von<br />

„Religion“ aufgezeigt und Schlussfolgerungen für eine wirkungstheoretische<br />

Analyse der Serie Lost formuliert.<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Jürgen Mohn: „Gottes“-Narrative in der religiösen Zeitgeschichte: Zur religionswissenschaftlichen<br />

Beschreibung theistischer Akteure im Massenmedium<br />

Comic<br />

Die Reflexion über auktoriale Konstruktionen theistischer<br />

Beobachterpositionen, Akteure oder Metanarrative wie „Götter“, „Gott“<br />

oder „Schöpfung“ ist aus den traditionell institutionalisierten Medien<br />

29


Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Donnerstag, 15. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

(Katechismus, Traktat, Predigt) und üblichen Reflexionsorten (Akademien,<br />

Kirchen, Kulte) in die freie Verfügbarkeit des Diskurses der Massenmedien<br />

übergegangen. Auch Comics (Graphic Novels, BDs, Mangas) werden zum<br />

medialen Ort der Auseinandersetzung mit entsprechenden Themen und<br />

Motiven. Kritische wie apologetische Positionen sind ebenso zu finden wie<br />

reflexiv-distanzierte Aussagen in einem „religiös“ eher ungebundenen Sinne.<br />

Der Vortrag will auf diese Quellen der rezenten religiösen Zeitgeschichte<br />

hinweisen und versuchen, diese aus einer religionswissenschaftlichen<br />

Beobachterperspektive und unter Zuhilfenahme erzähltheoretischer<br />

Konzepte zu rekonstruieren.<br />

Hubert Mohr: Der Bote und der Prophet – Mythologisches Erzählen im<br />

Film in Zeiten von AIDS: Tony Kushners und Mike Nichols TV-Drama „Angels<br />

in America“ (2003)<br />

Mike Nichols (Regie) und Tony Kushners (Drehbuch) TV-Drama „Angels<br />

in America“, das 2003 als US-Miniserie mit einer Länge von 337 min<br />

ausgestrahlt wurde, basiert auf Kushners gleichnamigem, vieldiskurtierten<br />

Theaterstück von 1993/94. Es erzählt von Krankheit, Tod und verzweifeltem<br />

H<strong>of</strong>fen in der homosexuellen, insbesondere jüdisch-homosexuellen<br />

Community New Yorks Mitte der 1980er Jahre, einer Zeit, als die tödliche<br />

Seuche in den westlichen Industrieländern die meisten Opfer forderte.<br />

Während Stück und Film einerseits das erbärmliche Leiden und Siechtum<br />

der Protagonisten miterleben lassen, weitet sich der Bedeutungshorizont<br />

des Dramas durch den poetisch-visionären Einbruch des Außeralltäglichen:<br />

Engelserscheinungen, Himmels- und Jenseitsszenarien. Der Vortrag wird<br />

versuchen, diese mythischen Sequenzen, die sich in vielfältiger Weise aus<br />

biblischen, kabbalistischen und apokalyptischen Traditionen speisen, als<br />

Versuch zeitgenössischer Mythopoetik und Teil einer Religionsgeschichte<br />

von AIDS zu interpretieren.<br />

30


Donnerstag, 15. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

14:15 bis 15:45 Uhr<br />

Leben Religionen von politischen Voraussetzungen, die sie selbst<br />

nicht garantieren können? – Religionswissenschaftliche Ansätze zu<br />

Religionen und Politiken. Panel 2<br />

• Vasilios Makrides: Sind politische Voraussetzungen und<br />

Rahmenbedingungen für die Orthodoxen Kirchen absolut<br />

notwendig?<br />

• Katharina Neef: „… und immer wieder bringt er neuen<br />

Schwindel.“ Glaubenswechsel im Zeichen moderner<br />

Vereinsmeierei<br />

• Sebastian Emling: „Selection <strong>of</strong> a President has to be an act<br />

<strong>of</strong> faith“. Die Verwendung religiöser Beschreibungsmuster als<br />

Distinktionsstrategie im politisch-öffentlichen Raum<br />

• Ulf Plessentin: Zwischen Kritik am Staatskirchenrecht<br />

und „Dritter Konfession“. Organisierte Humanisten in<br />

Deutschland<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Vasilios Makrides: Sind politische Voraussetzungen und Rahmenbedingungen<br />

für die Orthodoxen Kirchen absolut notwendig?<br />

Um die Fragen, ob die Orthodoxen Kirchen von politischen Voraussetzungen<br />

leben, die sie selbst nicht garantieren, oder ob bestimmte politische<br />

Rahmenbedingungen für ihre Existenz notwendig sind, zu beantworten,<br />

sollte zwischen der formellen und der inhaltlichen Ebene unterschieden<br />

werden: Formell gibt es heute eine Anpassung an moderne liberale<br />

Demokratien und eine damit verbundene Bejahung der entsprechenden<br />

politischen Ordnung und Postulate. Auf der inhaltlichen Ebene gibt es aber<br />

immer wieder Reaktionen gegen die moderne liberale Demokratie und den<br />

Wunsch nach einem politischen System aus der Vergangenheit, das als ideal<br />

gilt und dessen Reaktivierung in der Gegenwart erh<strong>of</strong>ft wird.<br />

Dieser Vergangenheitsbezug stellt ein markantes Zeichen orthodoxchristlicher<br />

Orientierung allgemein dar. Zwar können die Orthodoxen<br />

Kirchen die politischen Rahmenbedingungen ihrer Existenz heute kaum<br />

noch prägen, doch bedienen sich die jeweiligen politischen Formationen<br />

31


Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Donnerstag, 15. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

in diesem Kontext durchaus der legitimierenden und sakralisierenden Kraft<br />

der Orthodoxen Kirchen. Diese besondere Situation sorgt nicht selten für<br />

Antinomien, Spannungen und Konflikten zwischen Kirche, Politik und Staat<br />

in orthodoxen Kontexten und ist aus dem problematischen Verhältnis der<br />

orthodoxen Welt insgesamt zur (westlichen) Moderne insgesamt zu erklären.<br />

In diesem Referat wird anhand von ausgewählten Beispielen und<br />

religionswissenschaftlichen Theorieansätzen auf die Komplexität dieser<br />

Thematik und ihre Bedeutung in der Analyse von Staat-Kirche-Beziehungen<br />

eingegangen.<br />

Katharina Neef: „… und immer wieder bringt er neuen Schwindel.“ Glaubenswechsel<br />

im Zeichen moderner Vereinsmeierei<br />

So ächzte 1911 ein Teilnehmer auf dem Philosophenkongress in Bologna,<br />

nachdem er mit dem Ausruf „Schwindler!“ das Referat Rudolf Steiners<br />

verlassen hatte. Steiner mag ein bekanntes, aber keineswegs idealtypisches<br />

Beispiel für den Vereinsmeier gewesen sein, dessen Vereinsmitgliedschaften<br />

sich – synchron und diachron – summieren. Heinz Mürmel hat das zeittypische<br />

Phänomen „multiple Devianz“ genannt: Die extrem hohe Wahrscheinlichkeit,<br />

dass ein Mitglied eines alternativreligiösen oder lebensreformerischen<br />

Vereins gleichzeitig oder in zeitlicher Abfolge Mitglied eines anderen Vereins<br />

ähnlicher Prägung war bzw. wurde. So waren Buddhisten auch Vegetarier<br />

oder Monisten, Theosophen oder Anthroposophen auch Schrebergärtner,<br />

Neugeistbewegte, Mazdaznananhänger oder Freikörperkulturfreunde.<br />

Soziale Netzwerke zogen sich spinnennetzartig durch das Deutsche Reich<br />

und in andere Länder. All das bedingte eine hohe biografische Dynamik.<br />

Vor dem Hintergrund des Panelthemas soll überlegt werden, inwiefern der<br />

Umstand, dass die meisten der neuen religiösen und weltanschaulichen<br />

Gruppen als (eingetragene) Vereine verfasst waren, diese Dynamik<br />

beeinflusste und vielleicht gar hervorrief – durch das Säen eines (Selbst-)<br />

Verständnisses der freien Mitgliedschaft, Verpflichtung und letztlich des<br />

erklärten Austritts aus dem Verein, dem der formale Kirchenaustritt seit 1873<br />

parallel ging.<br />

32


Donnerstag, 15. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Sebastian Emling: „Selection <strong>of</strong> a President has to be an act <strong>of</strong> faith“. Die<br />

Verwendung religiöser Beschreibungsmuster als Distinktionsstrategie im<br />

politisch-öffentlichen Raum<br />

Im angestrebten Vortrag sollen der (gedankliche) amerikanische „Sonderweg“<br />

in Bezug auf die Verwobenheit zwischen Staaten und Religionen bei<br />

gleichzeitiger verfassungsrechtlicher Trennung dieser Bereiche am Beispiel<br />

des Präsidentschaftswahlkampfes der Jahre 2007 und 2008 in den USA<br />

aufgezeigt werden. Dies geschieht jedoch nicht anhand einer kritischen<br />

Auseinandersetzung mit Robert N. Bellahs Konzept einer überzeitlichen und<br />

überkontextuellen American Civil Religion, sondern in Form einer dichten<br />

Beschreibung der Konstruktion einer „presidential brand“ namens Barack<br />

Obama im Rahmen des Präsidentschaftswahlkampfes der Jahre 2007 und<br />

2008.<br />

Der Rückgriff auf religiöse Semantiken in den öffentlichen Ansprachen des<br />

Kandidaten verweist, so der Leitgedanke des Vortrags, auf die distinguierenden<br />

Qualitäten und Potentiale religiöser Beschreibungsmuster innerhalb einer<br />

marktwirtschaftlichen Konkurrenzsituation. Die öffentliche Person Barack<br />

Obama muss sich neben anderen Bewerbern um das Präsidentenamt auf<br />

einem Markt von „präsidialen Marken“ bewähren und wird dafür unter<br />

anderem anhand von religiösen Semantiken durch ein Autorenkollektiv (z.<br />

B. Wähler, Obama selbst, Presse, Kollegen, usw.) narrativ konstruiert.<br />

Anhand einer Analyse der Verwendung religiöser Semantiken in öffentlichen<br />

(politischen) Arenen als eine wichtige Kompositionstechnik bei der bewussten<br />

Erschaffung einer präsidialen Persona oder Marke und gerade nicht als<br />

authentisches individualreligiöses Bekenntnis des jeweiligen Kandidaten<br />

soll eine neue Analyseperspektive in die Frage nach der Verwobenheit von<br />

Politiken und Religionen eingebracht werden.<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Ulf Plessentin: Zwischen Kritik am Staatskirchenrecht und „Dritter Konfession“.<br />

Organisierte Humanisten in Deutschland<br />

In einem 2010 publizierten Interview präzisierte Ernst-Wolfgang<br />

Böckenförde seine bekannte These von den ethischen Voraussetzungen<br />

eines freiheitlichen demokratischen Rechtsstaates. Das verbindende Ethos,<br />

welches die freiheitliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland seiner<br />

33


Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Donnerstag, 15. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Meinung nach garantiert, speist sich aus einer Kultur, deren Wurzeln nicht<br />

notwendigerweise religiös zu verstehen seien: Neben dem Christentum<br />

benennt er die Aufklärung und den Humanismus als wesentliche Quellen.<br />

Ausgehend von der Idee des Panels, das Böckenförde-Diktum mit<br />

umgekehrtem Vorzeichen zu erörtern und die Wirkungsmacht politischer<br />

Strukturen und Entscheidungen auf Religionsgemeinschaften zu diskutieren,<br />

möchte ich in meinem Vortrag den Fokus erweitern: Neben Religionen<br />

unterliegen im deutschen Beispiel auch Weltanschauungsgemeinschaften,<br />

die sich wie die verschiedenen humanistischen Vereinigungen als eindeutig<br />

nicht-religiös charakterisieren, politisch vorgegebenen Rahmenbedingungen<br />

wie dem Staatskirchenrecht. Insbesondere bei der Frage nach der Erlangung<br />

des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts wird dies deutlich.<br />

Dabei positionieren sich die organisierten Humanisten, Atheisten und<br />

Freidenker, die sich als Erben der Aufklärung und des Humanismus verstehen,<br />

zum deutschen Staatskirchenrecht sehr unterschiedlich: Wird einerseits<br />

massive Kritik an der Existenz und Gestaltung dieser staatlichen Vorgaben<br />

laut, werden anderenorts die rechtlichen Rahmenbedingungen genutzt,<br />

um den Körperschaftsstatus zu erlangen, einem dem Religionsunterricht<br />

gleichwertigen humanistischen Weltanschauungsunterricht anzubieten<br />

oder Lehrstühle für Humanistik zu fordern.<br />

Religionswissenschaftliche Fachidentität zwischen disziplinärer Ausdifferenzierung,<br />

interdisziplinärer Verbundforschung und programmatischer<br />

Nicht-Disziplinarität. Panel 2: Die Thermik der Religionswissenschaft<br />

– heiße Quellen, dürre Steppen, trockene Winde<br />

• Angelika Rohrbacher: Der „Mahler-Kult“ oder „religiöse<br />

Identität im Nachhinein“ – methodische Anfragen an<br />

mehrere Disziplinen<br />

• Till Mostowlansky: Religion im Bräunerh<strong>of</strong> –<br />

Gegenstandsorientierte Forschung und Nicht-Disziplinarität<br />

am Beispiel eines Wiener Experiments<br />

• Sarah Werren: „Living on the street replaces going by the<br />

34


Donnerstag, 15. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

book“ – Einige Beobachtungen zur Methodenvielfalt in der<br />

Religionswissenschaft<br />

• Susanne Leuenberger: Konvertiten, Bodybuilderinnen, Mediziner<br />

– Eine Religionswissenschafterin als Sachensucherin<br />

• Versuch einer Bilanz (zu beiden Panels): Pr<strong>of</strong>. Dr. Gerald Hödl,<br />

Wien; Hubert Seiwert, Leipzig Till Mostowlansky, Inken Prohl,<br />

Christoph Uehlinger<br />

• Chair: Inken Prohl<br />

Angelika Rohrbacher: Der „Mahler-Kult“ oder „religiöse Identität im Nachhinein“<br />

– methodische Anfragen an mehrere Disziplinen<br />

Durch die immer dichter werdende Forschungstätigkeit in den sogenannten<br />

„Kulturwissenschaften“ und die damit verbundene Zunahme an Fächern bzw.<br />

Studiengängen hat der Terminus „Interdisziplinarität“ einen überragenden<br />

Stellenwert erhalten. Er suggeriert eine verstärkte Zusammenarbeit einzelner<br />

Disziplinen zu einem bestimmten Forschungsbereich, um aus der jeweiligen<br />

Fachperspektive und dem jeweiligen methodischen Verständnis heraus<br />

ein genaueres Abbild des Forschungsgegenstandes zu kreieren und neue,<br />

innovative Teilchen im Puzzle zu ergänzen. Allerdings stellt sich die Frage,<br />

ob dies in der Praxis nicht zu unüberwindbaren Interferenzen führt, wenn<br />

beispielsweise die Prämisse des einen bereits die Erkenntnis des anderen<br />

darstellt. Am Beispiel der Forschung zu Gustav Mahler, dessen Person<br />

und Biographie in einem erstaunlichen Ausmaße die Aufmerksamkeit<br />

unterschiedlichster Disziplinen auf sich gezogen hat, soll versucht werden,<br />

diese „Überlagerungen“ ein wenig zu verdeutlichen. Ausgangspunkt dabei<br />

ist die religionswissenschaftlich virulente Frage nach einem „Mahler-Kult“,<br />

der sich in den unzähligen biographischen Darstellungen widerspiegelt.<br />

Das methodische Fundament liefert hierbei Gladigows These, auch<br />

die europäische Kunst- und Kulturgeschichte als Teil der religiösen<br />

Gesamtszenarios Europas zu begreifen. Damit stellt sich einmal mehr die<br />

Frage nach der „Konvention“, die eine chassidische Splittergruppe oder<br />

einen christlichen Auferstehungsverein zum religionswissenschaftlichen<br />

Forschungsgegenstand macht, einen Trachtenverein oder die Freunde des<br />

Wiener Musikvereins jedoch der soziologisch-„säkularen“ Forschung<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

35


Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Donnerstag, 15. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

36<br />

zuweist. Ein wichtiger Fokus der Mahler-Forschung liegt auf seiner<br />

Zugehörigkeit zum „Judentum“, womit der judaistische Kontext quasi „im<br />

Nachhinein“ zu einem elementaren Teil seiner „Identität“, auch als Musiker,<br />

gemacht und der Musikwissenschaft wiederum die Argumentation seiner<br />

„Sonderstellung“ ermöglicht wird. Wie kann die Religionswissenschaft mit<br />

ihrem methodischen Rüstzeug auf solche Phänomene reagieren und können<br />

diese kulturwissenschaftlichen „Parallelwelten“ überhaupt überbrückt<br />

werden?<br />

Till Mostowlansky: Religion im Bräunerh<strong>of</strong> – Gegenstandsorientierte Forschung<br />

und Nicht-Disziplinarität am Beispiel eines Wiener Experiments<br />

Seit Ende der 1990er Jahre sind an der Universität Wien zahlreiche<br />

Studiengänge eingerichtet worden, die sich auf das Recht der Studierenden<br />

berufen, die Verbindung von verschiedenen Fächern zu einem sogenannten<br />

„Individuellen Diplomstudium“ zu beantragen. Dass aus dieser<br />

„Gesetzeslücke“ themenzentrierte Projekte wie Pferdewissenschaften,<br />

Pflegewissenschaft aber auch Religionswissenschaft hervorgegangen sind,<br />

erstaunt im Kontext sich auflösender Fächergrenzen kaum. Im Fall von<br />

Religionswissenschaft wurden die damaligen Studierenden (und heutigen<br />

Forschenden) aber vor verschiedene Lösungsmodelle zur Überwindung der<br />

Kontingenz einer losen institutionellen Verankerung gestellt:<br />

Im Rahmen einer individuellen Schwerpunktsetzung konnte zunächst<br />

Zuflucht in einer der philologischen Disziplinen gesucht werden (z.B.<br />

Indologie, Arabistik etc.), die sich in der Folge <strong>of</strong>tmals um eine vollumfassende,<br />

philologische Transformation ihrer Klientel bemühten. Weitere Optionen<br />

lassen sich mit dem Prozess der Verflüchtigung von Religionswissenschaft in<br />

die kulturwissenschaftliche Beschäftigung mit Religion umreißen. Mangels<br />

einer klaren räumlichen Verortung von Fachidentität wurden diese Formen<br />

des Studiums, mit regelmässigen Unterbrüchen zwecks teilnehmender<br />

Beobachtung in Lehrveranstaltungen, ins Kaffeehaus verlagert.<br />

Die Kaffeehaus-Metapher verweist klischeehaft auf eine (auch räumliche)<br />

Entgrenzung religionswissenschaftlicher Forschung und Lehre. Vor diesem<br />

Hintergrund soll in diesem Beitrag die Frage diskutiert werden, inwiefern die<br />

gegenwärtige Religionswissenschaft den divergierenden Ansprüchen von<br />

gegenstandsorientiert-kulturwissenschaftlicher Beschäftigung mit Religion<br />

und verstärkter institutioneller Verankerung gerecht werden kann.


Donnerstag, 15. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Sarah Werren: „Living on the street replaces going by the book“ – Einige<br />

Beobachtungen zur Methodenvielfalt in der Religionswissenschaft<br />

Der amerikanisch-jüdische Ethnologe und Soziologe Samuel Heilman<br />

machte in einer Untersuchung zum religiösen Rechtsrutsch im amerikanischorthodoxen<br />

Judentum eine äußerst interessante Beobachtung: Nach der<br />

Immigration und Ansiedlung von Holocaust-Überlebenden in den USA<br />

hat deren gezielte Verwendung religionsgesetzlicher Kodex-Literatur<br />

die minhagim ha-makom, die ursprünglichen Ortsbräuche, zunehmend<br />

verdrängt. Diesen Prozess der Standardisierung religiöser Normen auf<br />

Kosten lokaler religiöser Traditionen nennt Heilman verkürzt „going by the<br />

book replaces living on the street“.<br />

In etwas zugespitzter Weise ausgedrückt, lässt sich für die methodischtheoretische<br />

Fachentwicklung der Religionswissenschaft in Bern in den<br />

letzten zehn Jahren, die ich als Studentin, Doktorandin und Assistentin<br />

mitverfolgen konnte, nun das Gegenteil des oben aufgeführten Phänomens<br />

feststellen. Die verstärkte Verwendung sozialwissenschaftlicher Arbeitsund<br />

Auswertungsmethoden (living on the street) haben die vormals starke<br />

Konzentration auf Texttraditionen (going by the book) zwar bei Weitem<br />

nicht gerade ersetzt (glücklicherweise), die Religionsforschung in Bern<br />

meiner Ansicht nach jedoch verändert und erweitert. In Bezug auf meine<br />

Dissertation, in der ich mich mit der Bioethik in den verschiedenen religiösen<br />

Richtungen des Judentums beschäftige, sehe ich gerade in der Kombination<br />

verschiedener Ansätze einen großen Vorteil. Die disziplinäre Unschärfe im<br />

„Fachpr<strong>of</strong>il“ der Religionswissenschaft und nicht die tiefe Verwurzelung<br />

innerhalb eines bestimmten Theorien- und Methodenkanons, die Fähigkeit,<br />

den Blick zu weiten, Ansätze und Kompetenzen zu kombinieren, um so den<br />

Untersuchungsgegenstand „Religion“ in seiner empirischen Breite erforschen<br />

zu können, scheint mir als Religionswissenschaftlerin – auch gerade im<br />

interdisziplinären Austausch - die Stärke dieses Fachs auszumachen.<br />

Wenn wir als beobachtende Wissenschaftler von außen vermeiden wollen,<br />

was Heilman als „Standardisierungs“prozesse von innen beobachtet<br />

hat, sollten wir uns nicht auf einen Ansatz – die klassischen Textstudien<br />

– beschränken. Selbst bei einem anscheinend so textlastigen Thema wie<br />

der Ethik zeigt es sich, dass eine Vielfalt der Ansätze – natürlich auch aus<br />

anderen Disziplinen – erkenntnisbringend wirkt.<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

37


Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Donnerstag, 15. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Susanne Leuenberger: Konvertiten, Bodybuilderinnen, Mediziner – Eine<br />

Religionswissenschafterin als Sachensucherin<br />

Als eine Art Tätigkeitsbericht angelegt, möchte dieser Beitrag die Fragestellung<br />

des Panels – Religionswissenschaft zwischen Disziplin und Undisziplin – aus<br />

Sicht einer Berner Doktorandin der Religionswissenschaft beleuchten. Das<br />

Entstehen der eigenen Dissertation (Konversion zum Islam in CH) soll als<br />

„work in progress“ dargelegt werden, und dabei den Forschungskontext und<br />

die (inter)disziplinären Entstehungsbedingungen und Netzwerke freilegen,<br />

die den sozialen, institutionellen und methodologischen Hintergrund ihrer<br />

Forschertätigkeit liefern. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin dem Institut<br />

für Religionswissenschaft angeschlossen, ist die Doktorandin zugleich<br />

einer interdisziplinär ausgerichteten Graduiertenschule angeschlossen,<br />

und teilt ihren Büroplatz und ihre Gedanken mit Doktoranden aus<br />

verschiedenen geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen. Damit<br />

entsteht ihre Forschungsarbeit vor dem Hintergrund der Neuausrichtung<br />

der Universitätslandschaft, und zeigt auf, dass eine disziplinäre Zuordnung<br />

und Verortung der Organisation und Generierung von Wissen über Religion<br />

schwierig und – aus Sicht der Doktorandin – eventuell überdenkenswert ist.<br />

Europäische Religionsgeschichte<br />

• Jens Schlieter: Europäische Religionsgeschichte – der Verlust<br />

eines Paradigmas in der Religionswissenschaft oder der<br />

Gewinn eines neuen?<br />

• Ilinca Tanaseanu-Döbler: ERG – schon in der Antike?<br />

• Marvin Döbler: Christentumsgeschichte als Gegenstand der<br />

Religionswissenschaft<br />

• Christoph Auffarth: Globalisierung – Das Ende der<br />

Europäischen Religionsgeschichte oder ihr Export?<br />

• Christoph Kleine: Kommentar<br />

Jens Schlieter: Europäische Religionsgeschichte – der Verlust eines Paradigmas<br />

in der Religionswissenschaft oder der Gewinn eines neuen?<br />

38<br />

„Europäische Religionsgeschichte“ (ERG) benennt nicht nur eine besondere<br />

regionale Religionsgeschichte, sondern auch einen mit theoretischem


Donnerstag, 15. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Anspruch auftretenden Zugang zur Religionsgeschichte als solcher. Als<br />

Theorie eröffnet „Europäische Religionsgeschichte“ einen epochalen<br />

Geschichtsraum, der auf eine unvergleichliche Weise durch Diskursivität,<br />

Pluralität, wechselseitige Interferenzen zwischen verschiedenen religiösen und<br />

nicht-religiösen Systemen (Wissenschaft, Kunst, Politik usw.) gekennzeichnet<br />

sei. Mit diesem theoretischem Zugang ist mitunter der Anspruch verknüpft<br />

worden, dass eben diese Europäische Religionsgeschichte in eine Aufklärung<br />

einmündete, die über die „Rhetorik der Rationalität“, Säkularisierung sowie<br />

die „Begrenzung des religiösen Bereichs“ (Auffarth) dazu beitrug, dass<br />

sich eine methodisch distanzierte Untersuchung von Religionen selbst<br />

überhaupt ausbilden konnte. Europäische Religionsgeschichte ist somit<br />

Ermöglichungsgrund für die Entstehung der Religionswissenschaft, deren<br />

zuletzt erblühtes theoretisches Konzept dann wiederum die „Europäische<br />

Religionsgeschichte“ ist. In dem Beitrag wird diskutiert, inwiefern diese<br />

Beschreibung des theoretischen Anspruchs der ERG wirklich aufrecht<br />

erhalten werden kann, wenn Entwicklungen in asiatischen Religionskulturen<br />

vergleichend hinzugezogen werden.<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Ilinca Tanaseanu-Döbler: ERG – schon in der Antike?<br />

Ab wann lässt sich sinnvoll von Europäischer Religionsgeschichte sprechen?<br />

Sollte man sich auf die in der frühen Neuzeit einsetzende Pluralisierung und<br />

Pr<strong>of</strong>essionalisierung der Religion in Europa beschränken oder den weiteren<br />

historischen Horizont mit einbeziehen, in welchem diese Phänomene<br />

stehen? Gerade die Antike, deren verstärkte Rezeption in der Frühen Neuzeit<br />

mit dazu beiträgt, neben dem Christentum den Blick für alternative Formen<br />

von Religion zu öffnen, sollte dabei in den Blick genommen werden. Welche<br />

Konsequenzen hat es, wenn man bis in die Antike zurückgeht? Inwiefern<br />

kann diese als Teilbereich der Europäischen Religionsgeschichte betrachtet<br />

werden, und was bedeutet dann „europäisch“?<br />

39


Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Donnerstag, 15. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Marvin Döbler: Christentumsgeschichte als Gegenstand der Religionswissenschaft<br />

Die Geschichte und die Theologien des Christentums sind kein<br />

selbstverständlicher Gegenstand religionswissenschaftlicher Forschung.<br />

Während auf der einen Seite die Kirchengeschichte ihren Primat behauptet,<br />

hat die Religionswissenschaft dennoch einen eigenen, wertvollen Zugang<br />

zu diesem Forschungsfeld, der sich vom Boden einer systematischen<br />

Religionswissenschaft her entwickeln lässt. Bereits ein Blick in die<br />

Theologiegeschichte des späten 19. bzw. frühen 20. Jahrhunderts zeigt,<br />

dass etwa Theologen wie Adolf Harnack oder Ernst Troeltsch Konzepte einer<br />

Kulturgeschichte des Christentums entwerfen, die, von ihrer apologetischen<br />

Intention gelöst, noch heute beachtenswert scheinen und wertvolle<br />

Denkanstöße für ein Konzept Europäischer Christentumsgeschichte bieten.<br />

Christoph Auffarth: Globalisierung – Das Ende der Europäischen Religionsgeschichte<br />

oder ihr Export?<br />

ERG bedeutet zunächst eine Epoche, die im Konzept von Burkhard<br />

Gladigow (1995) mit der Entdeckung einer alternativen Religion Mitte des<br />

15. Jahrhunderts beginnt. Die mitlaufende Alternative wäre dann mit der<br />

europäischen Neuzeit gleich zu setzen. Muss man dann auch mit einem<br />

Ende der ERG rechnen, in dem die Spezifika sich wandeln oder verloren<br />

gehen, die einmal diese Sonderentwicklung ausgemacht haben. Oder<br />

sind die Dritten Räume für alternative Religion (wie Religionsfreiheit,<br />

Wissenschaft, Minderheitenrechte, Säkularer Staat) auch außerhalb Europas<br />

exportiert und etabliert? Zu welchem Preis? Und wie verändert das die<br />

Religionen in Europa?<br />

Producing Sacred Spaces in Durban, South Africa<br />

• Ulrich Berner: Production and/or revelation <strong>of</strong> sacred space.<br />

Old and new theories <strong>of</strong> religion and ritual<br />

40


Donnerstag, 15. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

• Magnus Echtler: Sacred space as heterotopia. Examples from<br />

the Nazareth Baptist Church<br />

• Franz Kogelmann: Muslims in Durban: Apartheid and After<br />

• Ziva Kopecka: Producing Hindu sacred space in Africa. Maha<br />

Kumbha Abishegam in Durban, South Africa<br />

• Asonzeh Ukah: Making the Gods at Home. The Perception<br />

and Production <strong>of</strong> Sacred Space among Migrant Religious<br />

Communities in Durban<br />

Ulrich Berner: Production and/or revelation <strong>of</strong> sacred space. Old and new<br />

theories <strong>of</strong> religion and ritual<br />

The talk about “producing sacred spaces”, at first sight seems to be<br />

incompatible with the old Eliadean concept <strong>of</strong> “sacred space”, based upon<br />

the notion <strong>of</strong> “hierophany”. As an introduction this paper will discuss the<br />

question if there are any elements <strong>of</strong> the Eliadean approach applicable in<br />

the context <strong>of</strong> social-scientific studies dealing with the “production <strong>of</strong> sacred<br />

spaces” in Africa.<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Magnus Echtler: Sacred space as heterotopia. Examples from the Nazareth<br />

Baptist Church<br />

According to Foucault, heterotopias are deviant spaces that constitute “a<br />

sort <strong>of</strong> simultaneously mythic and real contestation <strong>of</strong> the space we live in.”<br />

This paper examines the utility <strong>of</strong> this concept by analysing the production<br />

<strong>of</strong> sacred spaces in the Nazareth Baptist Church, one <strong>of</strong> the largest African<br />

Initiated Churches <strong>of</strong> South Africa. It discusses how the church headquarter,<br />

conceived as the New Jerusalem, was established in eKuphakameni, and<br />

what strategies were used in producing the sacred space <strong>of</strong> a second New<br />

Jerusalem in eBuhleni after a schism occurred in the church. The paper<br />

analyses how the pilgrimage to the holy mountain <strong>of</strong> iNhlangakazi challenged<br />

the spatial order <strong>of</strong> the apartheid state, and how relations between pr<strong>of</strong>ane<br />

and sacred space are represented in the oral traditions <strong>of</strong> the church. Lastly,<br />

it links present day spatial practices at the Khayelihle temple in central<br />

Durban with the post-apartheid concept <strong>of</strong> an African renaissance in the<br />

public sphere.<br />

41


Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Donnerstag, 15. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Franz Kogelmann: Muslims in Durban: Apartheid and After<br />

Since its arrival in 1860 the Muslim community <strong>of</strong> Durban developed into a<br />

multi-faceted religious minority. Sufi-brotherhoods dominated local Islam for<br />

a long time. However, Islamic reform movements had an important impact on<br />

the interpretation <strong>of</strong> Islam since the second half <strong>of</strong> the 20th century. During<br />

the times <strong>of</strong> apartheid Muslims were removed from certain parts <strong>of</strong> Durban<br />

but their physical sacred spaces like mosques, Islamic centres <strong>of</strong> learning<br />

and Muslim cemeteries were not destroyed. Due to its ideology <strong>of</strong> racial<br />

segregation the apartheid regime did not intervene in intra-religious debates.<br />

However, the forced removal <strong>of</strong> Muslims resulted in a massive change in<br />

the social construction <strong>of</strong> Durban’s urban landscape. Nowadays Sufibrotherhoods<br />

compete with reform movements over the most authoritative<br />

interpretation <strong>of</strong> Islam. Certain South African Muslim organizations are<br />

focused on proselytizing Islam in regional African communities and even<br />

beyond the borders <strong>of</strong> South Africa. In addition to that, post-apartheid<br />

migrants from all over Africa and the Indo-Pakistan subcontinent influence<br />

via their interpretation <strong>of</strong> Islam the locally established production <strong>of</strong> sacred<br />

space. The aim <strong>of</strong> this presentation is to debate some preliminary results <strong>of</strong><br />

an ongoing research project on sacred spaces <strong>of</strong> Muslim communities in<br />

Durban.<br />

Ziva Kopecka: Producing Hindu sacred space in Africa. Maha Kumbha<br />

Abishegam in Durban, South Africa<br />

42<br />

Maha Kumbha Abishegam is the sanctifying ceremony connected with the<br />

(re-) construction <strong>of</strong> a Hindu temple and the installation <strong>of</strong> a deity therein.<br />

The ceremony is usually performed every twelve years and consists <strong>of</strong> seven<br />

days <strong>of</strong> intense religious activity. The paper takes account <strong>of</strong> the specific<br />

location <strong>of</strong> this religious practice: what does it mean to produce a sacred<br />

space <strong>of</strong> Hinduism in Africa? How is this space linked with sacred spaces<br />

in India? The paper analyses the role <strong>of</strong> the priests who are conducting<br />

elaborated religious rituals in accord with South Indian traditional doctrine<br />

<strong>of</strong> knowledge, but also considers the participation <strong>of</strong> the local Hindu<br />

community and <strong>of</strong> South African <strong>of</strong> various ethnic and religious backgrounds<br />

in the rituals in and around the temple, in order to localize this sacred space<br />

within the complex urban landscape <strong>of</strong> Durban.


Donnerstag, 15. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Asonzeh Ukah: Making the Gods at Home. The Perception and Production<br />

<strong>of</strong> Sacred Space among Migrant Religious Communities in Durban<br />

Religious practices and beliefs figure prominently among the strategies<br />

<strong>of</strong> negotiation and coping for immigrant communities around the world.<br />

Among migrants in South Africa since the end <strong>of</strong> the Apartheid in 1994,<br />

religion is an important stabilising and integrative structure which enables<br />

many <strong>of</strong> them to negotiate as well as contest local practices and norms.<br />

This paper describes the perceptions <strong>of</strong> sacred space among West African<br />

migrants in Durban who exhibit visible religiosity as well as innovate on<br />

practices that enable them make sense <strong>of</strong> the predicament <strong>of</strong> their migrant<br />

situation. Using ethnographic field data, this paper argues that the diverse<br />

strategies that are mobilised in the production <strong>of</strong> sacred spaces are primarily<br />

a way <strong>of</strong> materialising and localising the divine. As well, by localising the<br />

gods, the migrants generate spaces <strong>of</strong> authorisation and authentication for<br />

themselves and their own unique practices and experiences <strong>of</strong> life away<br />

from home; by ma king the gods at home, they contest local spatial practices<br />

and make a home for themselves away from home.<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

43


Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Freitag, 16. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Freitag, 16. September 2011<br />

9:15 bis 10:45 Uhr<br />

Que(e)rying Religionswissenschaft: Christentum und Homosexualitäts<br />

diskurse. Panel 1<br />

• Ludger Viefhues-Bailey: Verqueere Evangelikale<br />

Heterosexualität in den USA am Beispiel von „Focus on the<br />

Family“<br />

• Márcia Elisa Moser: Eine Frage des Wissens. Die christliche<br />

Homosexualitätsdebatte in Deutschland als religiöser<br />

Vergewisserungsdiskurs im Kontext des Säkularismus<br />

• Jürgen Kaufmann: Eine Frage des Geistes: Die Diskussion um<br />

die Zusammenhänge zwischen „Uranismus“ und Theosophie<br />

im Wissenschaftlich-Humanitären Komitee<br />

Ludger Viefhues-Bailey: Verqueere Evangelikale Heterosexualität in den<br />

USA am Beispiel von „Focus on the Family“<br />

Anhand einer rhetorischen Analyse von Texten der einflussreichen<br />

amerikanischen evangelikalen Medienorganization „Focus on the Familiy“<br />

vertrete ich die These, dass normative Evangelikale Sexualität selbst verqueer,<br />

d.h. instabil und von tiefliegenden Widersprüchen geprägt, ist.<br />

Erstens analysiere ich, welche nicht-normativen Körpergestalten in<br />

bestimmten rhetorischen Kontexten auftauchen. So finden wir dort, wo es um<br />

den drohenden Untergang der Amerikanischen Familie geht, die Figuren des<br />

aggressiv hypermaskulinen Schwulen und der männerfeindlichen lesbischen<br />

„Feminazi.“ Aber wenn (ehemalige) Homosexuelle von ihrer Hinwendung<br />

zu Christus und zu heterosexueller Normativität Zeugnis ablegen, tauchen<br />

die Gestalten des geschlechterdestabilisierten hypomaskulinen Schwulen<br />

und der missbrauchten Frau auf.<br />

44


Freitag, 16. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Zweitens zeige ich dass diese nicht-normativen Körper eine Instabilität in<br />

Evangelikaler Heterosexualität aufdecken. Denn wie viel Widerstand darf<br />

eine Evangelikale Frau aufbringen gegen einen Ehemann, der selbst normativ<br />

sexuell aggressiv sein muss, ohne dass sie zur Feminazi-Lesbe wird? Wie viel<br />

Aggression und wie viel Passivität ist vom Evangelikalen Mann gefordert?<br />

Was es heißt, als Evangelikaler Mann oder Frau zu leben, erfordert also ein<br />

permanentes Austarieren von weiblicher und männlicher Selbstbehauptung<br />

und Unterwerfung.<br />

Die nicht-normativen Körper des ersten Analyseschrittes stecken das Feld<br />

ab, in dem der Charakter instabiler Heterosexualität zur Aufführung gelangt.<br />

Sie überdecken und ermöglichen somit eine verqueere, weil instabile,<br />

normative Evangelikale Heterosexualität.<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Márcia Elisa Moser: Eine Frage des Wissens. Die christliche Homosexualitätsdebatte<br />

in Deutschland als religiöser Vergewisserungsdiskurs im Kontext<br />

des Säkularismus<br />

Dieser Vortrag nimmt seinen Ausgangspunkt in rezenten innerchristlichen<br />

Auseinandersetzungen um die Anerkennung bzw. Verwerfung von<br />

„Homosexualität“ in Deutschland. Diese Debatte lässt sich seit den<br />

1960er Jahren – nicht nur in Deutschland – quer durch die verschiedenen<br />

christlichen Kirchen und Gemeinschaften nachvollziehen. Fand sie<br />

zunächst ihren Niederschlag in verschiedenen <strong>of</strong>fiziellen Stellungnahmen<br />

und theologischen Aufsatzsammlungen, so findet sich heute zusätzlich eine<br />

ganze Bandbreite an Positionen und Diskussionen im Internet.<br />

Dabei spielen bei der Debatte um die Beurteilung Fragen der Definition<br />

von „Homosexualität“ eine zentrale Rolle. Zu deren Definierung beziehen<br />

sich die unterschiedlichen Debattenteilnehmer_innen auf verschiedene<br />

Wissensgrundlagen – wie die Bibel, Humanwissenschaften oder auch<br />

individuelle Erfahrungswerte – die in der Autorität ihrer Aussagen gegeneinander<br />

abgewogen und im Prozess der eigenen Urteilsbildung entweder integriert<br />

oder negiert werden. Die christliche Homosexualitätsdebatte erweist sich<br />

hier als Auseinandersetzung um die Autorisierung bzw. Disqualifizierung<br />

von Wissen. Mit dieser „Frage von Wissen“ verbindet sich jedoch nicht nur<br />

das Interesse „Homosexualität“ zu definieren und zu beurteilen; vielmehr<br />

spielen sich hier grundsätzliche Auseinandersetzungen um die Fundierung<br />

christlicher Selbstverständnisse im Kontext des Säkularismus ab.<br />

45


Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Freitag, 16. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Jürgen Kaufmann: Eine Frage des Geistes: Die Diskussion um die Zusammenhänge<br />

zwischen „Uranismus“ und Theosophie im Wissenschaftlich-<br />

Humanitären Komitee<br />

In diesem Vortrag sollen die Konstellationen von Begriffen wie „Uranismus“,<br />

„Sexualanomalien“, „Theosophie“ und „Magie“ genealogisch analysiert<br />

werden, wie sie im Umkreis des Wissenschaftlich-Humanitären Komitees<br />

unter expliziter Ablehnung rein biologisch-medizinischer Erklärungen<br />

diskutiert wurden. Berücksichtigt werden soll dabei auch, welche<br />

Kontinuitäten zwischen den apologetischen und wissenschaftlichen<br />

Uranismus-Diskussionen und romantisch-naturphilosophischen und<br />

esoterischen Diskursen des späten 19. Jahrhunderts bestanden bzw. produziert<br />

wurden und wie im intertextuellen Rückgriff auf diese Geschlechter- und<br />

Wissensordnungen konfiguriert, transformiert, perpetuiert oder parodiert<br />

wurden. Es wird auch darauf eingegangen werden, welche Rolle imaginierte<br />

religiöse Traditionen und sexuelle Identitäten bei der Begründung von<br />

Autorschaft/Autorität in esoterischen Kontexten spielten: Durch die mit der<br />

Apologetik einhergehende Setzung einer epistemischen Differenz zwischen<br />

„medial Begabten“ und „nicht medial Begabten“ wird die soziale Beziehung<br />

zwischen verschiedenen Diskursteilnehmer/innen asymmetrisch strukturiert<br />

und axiologisch geordnet. In diesem Kontext soll die Vermutung diskutiert<br />

werden, dass die (theosophisch konnotierte) Uranismus-Diskussion in ihrer<br />

Breite tatsächlich gängige Geschlechternormen ihrer Zeit durchbrochen<br />

habe. Die alternative These, ob die Uranismus-Diskussion in letzter<br />

Konsequenz nicht doch binäre Vorstellungen von geschlechtlicher und<br />

sexueller Identität befördert habe, soll gleichfalls zur Sprache kommen.<br />

Religionsgeschichte des Orients als Religionswissenschaft<br />

• Kai Merten: Die Behandlung von Apostaten im Osmanischen<br />

Reich aus Sicht der Religionswissenschaft<br />

• Bärbel Beinhauer-Köhler: Religion und Alltag:<br />

Religionswissenschaftliche Rekonstruktion eines arabischen<br />

Quellentexts aus dem 12. Jh.<br />

46


Freitag, 16. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

• Manfred Hutter: Notwendigkeit und Vorteile<br />

religionswissenschaftlicher Reflexion und Rekonstruktion<br />

untergegangener Religionen: Am Beispiel der<br />

Religionsgeschichte der Hethiter im 14./13. Jh. v. Chr.<br />

Kai Merten: Die Behandlung von Apostaten im Osmanischen Reich aus<br />

Sicht der Religionswissenschaft<br />

Die Religionsgeschichte lässt sich besonders sinnvoll aus<br />

religionswissenschaftlicher Perspektive rekonstruieren; denn die Religion<br />

ist mehr als nur „Gegenstand“ einer „Darstellung“. Vielmehr beeinflusst<br />

die Weltanschauung von Forschenden sowohl Fragestellungen als auch<br />

Antworten. Die Frage der Behandlung von Apostaten im Islam kann dafür<br />

als ein gutes Beispiel dienen. Rechtstheoretische Abhandlungen, die die<br />

diesbezüglichen Normen des Umgangs mit Apostaten beschreiben, gibt es<br />

einige. Sie unterscheiden sich kaum in ihren Inhalten.<br />

Kommt man jedoch zur Untersuchung der konkreten Fälle von Apostasie im<br />

Osmanischen Reich, zeigt sich, dass Wissenschaftler islamischer Prägung<br />

ihre eigene religiöse Tradition auch in ihrer Forschung nicht verleugnen<br />

können, so dass ihre Ausführungen apologetischen Charakter zu haben<br />

scheinen und dass bestimmte Fragestellungen, die sich dem Forscher<br />

christlich-abendländischer Provenienz aufdrängen, überhaupt nicht im<br />

Blick liegen. Dies lässt sich u. a. am Aufsatz von Selim Deringil „There Is No<br />

Compulsion in Religion. On Conversion and Apostasy in the Late Ottoman<br />

Empire 1839–1856” (Comparative Studies in Society and History, Bd. 42/3,<br />

Cambridge 2000, S. 547–575) nachweisen.<br />

Ins<strong>of</strong>ern ist für einen wissenschaftlich redlichen Zugang zu einer im<br />

religiösen Sinne höchst brisanten Thematik wie der Apostasie im Islam<br />

ein religionswissenschaftlicher Ansatz unabdingbar, der die Rolle der<br />

Religion sowohl in der Sache als auch bezogen auf eine Selbstreflexion der<br />

Forschenden berücksichtigt. Nur so gelangt man zu Ergebnissen, die dann<br />

auch hermeneutisch auswertbar sind.<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

47


Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Freitag, 16. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Bärbel Beinhauer-Köhler: Religion und Alltag: Religionswissenschaftliche<br />

Rekonstruktion eines arabischen Quellentexts aus dem 12. Jh.<br />

Wissenschaft zeichnet sich durch ein reflektiertes Fragen und entsprechenden<br />

Umgang mit Materialbeständen aus. Das arabische „Kitab al-I‘tibar“ („Buch<br />

der Betrachtungsweisen“) des syrischen Ritters Usama ibn Munqidh (12.Jh.)<br />

stellt, als solches der literarischen Gattung Adab zugehörig, inhaltlich breites,<br />

als Anekdoten präsentiertes Material vor. Es bietet kulturgeschichtliche<br />

Einblicke in Kriegszüge gegen die Franken, Feste, Familienleben,<br />

Genderdiskurse und – Religion.<br />

Der reflektierte Prozess der Auswahl und Analyse von Textausschnitten über<br />

Gebetssituationen Usamas im Alltag soll einer Reflexion darüber dienen, was<br />

religionshistorische bzw. religionswissenschaftliche Zugänge zu dieser Quelle<br />

von islamwissenschaftlichen, theologischen oder kulturwissenschaftlichen<br />

unterscheiden können. Religionsgeschichte erweist sich dabei als in einem<br />

breiten Kontext religionswissenschaftlicher Fachdiskurse eingebettet, in dem<br />

sich spezielle Fragestellungen konkretisieren.<br />

Manfred Hutter: Notwendigkeit und Vorteile religionswissenschaftlicher<br />

Reflexion und Rekonstruktion untergegangener Religionen: Am Beispiel<br />

der Religionsgeschichte der Hethiter im 14./13. Jh. v. Chr.<br />

48<br />

Bei den DVRW-Tagungen in den Jahren 1991 bzw. 2007 habe ich jeweils<br />

einen Vortrag aus dem Bereich der hethitischen Religionswelt gehalten;<br />

wenn ich nichts übersehen habe, waren dies die beiden einzigen Vorträge im<br />

Rahmen der DVRW-Tagungen der beiden letzten Jahrzehnte zu Religionen<br />

Kleinasiens. Monographische Behandlungen dieser Religionswelt stammen<br />

von Volkert Haas (1994; 2011), Maciej Popko (1995), Irene Tatishvili (2004)<br />

und Piotr Taracha (2009), die philologisch ausgerichtet eine Fülle von<br />

Informationen über Quellen zur hethitischen Religion bieten.<br />

Dieses kurze Forschungsszenario macht deutlich: Offensichtlich spielt in der<br />

aktuellen religionswissenschaftlichen Diskussion diese antike Religionswelt<br />

Kleinasiens keine relevante Rolle. Folgende Fragen möchte ich daher im Vortrag<br />

behandeln: Wie können religionswissenschaftliche Forschungsansätze<br />

auch für antike regionale Religionsgeschichte fruchtbar gemacht machen?<br />

Wo liegt der „Mehrwert“ einer religionswissenschaftlichen Darstellung<br />

der geschichtlichen Entwicklungen der „Religion(en) im Hethiterreich“


Freitag, 16. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

gegenüber primär philologisch ausgerichteten Forschungsarbeiten? Wie<br />

weit ermöglichen religionssystematische Fragestellungen ein besseres<br />

Verständnis für eine untergegangene Religion? Dies führt zur abschließenden<br />

Überlegung, ob die „Auslagerung“ von Religionsgeschichte in zuständige<br />

„Fachphilologien“ mit dem „Verzicht“ auf Religionsgeschichte innerhalb der<br />

Religionswissenschaft letztlich nicht dazu beiträgt, Religionswissenschaft<br />

als eigenständiges Fach überflüssig zu machen.<br />

Michael Stausberg, Universität Bergen<br />

Hinein in den Aufwind: In Religionswissenschaft einführen<br />

• Christoph Bochinger, Bayreuth<br />

• Sven Bretfeld, Bochum<br />

• Dirk Johannsen & Anja Kirsch, Basel<br />

• Gritt Klinkhammer, Bremen<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Making Histories. Europäische Religionsgeschichten als Teil der Religionswissenschaft<br />

• Daniel Eißner: Making Histories. Vorstellung und Einführung<br />

• Katharina Neef: Making Histories. Programmatik<br />

• Jeannine Kunert: Making Histories. Kommunikationsräume<br />

• Vanessza Heiland/Dirk Schuster: Making Histories.<br />

Säkularität<br />

• Thomas Hase: Making Histories. Religiöser<br />

Nonkonformismus<br />

Daniel Eißner: Making Histories. Vorstellung und Einführung<br />

Das Eingangsreferat thematisiert geisteswissenschaftliche Gruppenarbeit.<br />

Entgegen der gerne zur Schau getragenen Wehr, dass diese anders als<br />

in der Naturwissenschaft in der forschungsindividuell strukturierten<br />

49


Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Freitag, 16. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Geisteswissenschaft nicht möglich sei, die sich auch gern in Unverständnis von<br />

Seiten der Kollegen äußert, entstand das Panel dezidiert als Gruppenarbeit.<br />

Es wird von Problemen und Chancen berichtet.<br />

Katharina Neef: Making Histories. Programmatik<br />

Dies Referat bildet das Herzstück des Panels: die Positionierung zur<br />

Beschäftigung mit religionsgeschichtlichen Phänomenen im europäischen<br />

Raum und ein Angebot zur adäquaten methodischen Erfassung.<br />

Jeannine Kunert: Making Histories. Kommunikationsräume<br />

Hier nun werden der/m geneigten Hörer/in die Möglichkeiten europäischer<br />

Religionsgeschichtsforschung anhand einiger biografischer und Fallbeispiele<br />

nahegebracht. Dabei erschließen sich teilweise enorme Räume, die weder<br />

an geografischen noch politischen noch sozialen Grenzen Halt machen.<br />

Thomas Hase: Making Histories. Religiöser Nonkonformismus<br />

Dass Europäische Religionsgeschichte nicht im Sammeln von historischen<br />

Fakten stehen bleibt, sondern in der Synthese voranschreitet, zeigt das<br />

Beispiel des religiösen Nonkonformismus, der mit jeder historischen<br />

Religion einhergeht. Gibt es genuine Merkmale oder Tendenzen hierzu im<br />

europäischen Material?<br />

Vanessza Heiland/Dirk Schuster: Making Histories. Säkularität<br />

50<br />

Religionsgeschichte kann sich neben Fallbeispielen und Biografien<br />

auch auf größere Zusammenhänge erstrecken: Das Verhältnis zwischen<br />

Religion(sgemeinschaft)en und Staaten, besonders auf Einflussstrecken<br />

mittlerer Weite, mag als sehr gut zu veranschaulichendes Beispiel dienen.


Freitag, 16. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

11:15 bis 12:45 Uhr<br />

Que(e)rying Religionswissenschaft: Christentum und Homosexualitätsdiskurse.<br />

Panel 2<br />

• Adrian Hermann: Religion und soziale Ungleichheit:<br />

Zur Inklusion und Exklusion von Homosexualität im<br />

gegenwärtigen religiösen Feld Brasiliens<br />

• Marita Günther-Saeed: Gendercodierte Ordnungen:<br />

„Feministische Spiritualität“ als Herausforderung für die<br />

Religionswissenschaft<br />

• Marcus Held: Phänomenologische Hermeneutiken<br />

des Körpers – Herausforderungen für die<br />

Religionswissenschaften!?<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Adrian Hermann: Religion und soziale Ungleichheit: Zur Inklusion und Exklusion<br />

von Homosexualität im gegenwärtigen religiösen Feld Brasiliens<br />

Der Vortrag steht im Kontext eines geplanten Forschungsprojekts zu<br />

transgressiven Gender-Praktiken und Sexualitäten in mehrheitlich<br />

buddhistisch oder christlich geprägten Kontexten und präsentiert erste<br />

Überlegungen zur Inklusion und Exklusion von Homosexualität in afrobrasilianischen<br />

sowie pentekostalen/evangelikalen Diskursen in der rezenten<br />

Religionsgeschichte Brasiliens. Die gegenwärtige Forschung hat hier für das<br />

religiöse Feld eine große Bandbreite von Einstellungen herausgearbeitet:<br />

Während Homosexualität in konservativen evangelikalen und pentekostalen<br />

Diskursen als Sünde abgelehnt wird, finden sich etwa im Kontext afrobrasilianischer<br />

Religionen verschiedene Möglichkeiten ihrer Inklusion.<br />

Gleichzeitig brechen Entwicklungen der letzten zwei Jahrzehnte diese<br />

einseitige Gegenüberstellung auf, indem eine Reihe von inklusivistischen<br />

christlichen Kirchen (igrejas inclusivas) entstanden sind, die im pluralistischen<br />

religiösen Feld Brasiliens neue Räume eröffnen. Orientiert an einer<br />

systemtheoretischen Perspektive auf Inklusion/Exklusion erscheint Religion<br />

somit zwar einerseits – wie besonders in der Pentekostalismusforschung breit<br />

diskutiert – als ein Ort, an dem weiten Teilen der aus vielen Bereichen der<br />

Gesellschaft Ausgeschlossenen eine Möglichkeit auf Inklusion eröffnet wird.<br />

51


Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Freitag, 16. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Gleichzeitig schafft Religion so aber auch ihre eigenen, religiös begründeten<br />

Exklusionsmuster. Der Vortrag geht somit der Frage nach, auf welche Weise<br />

soziale Ungleichheiten im Kontext des religiösen Feldes in Brasilien nicht<br />

nur überwunden, sondern auch hervorgebracht und legitimiert werden, und<br />

was dies im Kontext einer primär funktional differenzierten Weltgesellschaft<br />

bedeutet.<br />

Marita Günther-Saeed: Gendercodierte Ordnungen: „Feministische Spiritualität“<br />

als Herausforderung für die Religionswissenschaft<br />

Eine „Popularisierung“ der Religionswissenschaft lässt sich mit<br />

weltweiten Entwicklungen in Zusammenhang bringen, die erneut zu<br />

Säkularisierungsdebatten sowie der Diagnose einer Verstärkung neuer,<br />

„mobilerer“ Formen von Religiosität geführt haben, die mit Begriffen<br />

wie „Spiritualität“ oder „populäre Religionen“ (Knoblauch) beschrieben<br />

werden. Inwieweit damit eine Veränderung von Geschlechterordnungen<br />

und Zuschreibungen „weiblicher“ Eigenschaften einhergeht, wäre<br />

bereits eine erste Frage religionswissenschaftlicher Genderforschung.<br />

Ins<strong>of</strong>ern diese sich feministischer Erkenntniskritik verpflichtet, stellt sie<br />

sich fernerhin die Aufgabe, Widersprüche zwischen Legitimations- und<br />

Praxiszusammenhängen sowie Repräsentationen über Geschlechter in<br />

religiösen oder sich als „spirituell“ bezeichnende Bewegungen <strong>of</strong>fenzulegen,<br />

um deren soziale Folgen aufdecken zu können.<br />

Ausgehend von der Annahme, dass religiöse Identitäten wie geschlechtliche<br />

Positionen ebenso mehrdimensional wie instabil sind, geraten diejenigen<br />

Vermittlungsformen und Aushandlungsprozesse in den Mittelpunkt<br />

des Interesses, welche eine vermeintliche Eindeutigkeit herstellen. Der<br />

Vortrag wird diese Themen an Beispielen Feministischer Spiritualität<br />

problematisieren. Entwürfe von Geschlecht und Religion bzw. „Spiritualität“<br />

sind direkt nach ihrem Verständnis von „Wissen“ (z.B. über Geschlechter)<br />

und seiner Vermittlung zu befragen. Positionieren diese ihr „Wissen“ in<br />

Konkurrenz zu „säkularen“ Formen wie der Wissenschaft – und wie verhält<br />

sich oder sollte sich die Religionswissenschaft dazu verhalten?<br />

52


Freitag, 16. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Marcus Held: Phänomenologische Hermeneutiken des Körpers – Herausforderungen<br />

für die Religionswissenschaften!?<br />

Eine merkwürdige Gebrochenheit gegenüber dem Körper und dem Leib<br />

kennzeichnet immer noch viele Religionen und Kulturen. Die Gender/Queer-<br />

Theorien haben dabei zwar einen wichtigen aufklärerischen Beitrag geleistet,<br />

um die duale Strukturierung von Geschlecht als Beherrschungsstrategie zu<br />

beschreiben und deren Durchbrechung zu ermöglichen, sowie anhand<br />

der Multiplizität von Geschlechterstrategien eine Unterbrechung von<br />

Herrschaftsrelationen thematisiert (Lindemann et al. 1994). Aber in den<br />

angestoßenen Diskussionen und Kontroversen wurden innerhalb der<br />

Abgrenzungskämpfe der Körper und die Leiblichkeit als Grundbedingungen<br />

des Mensch-sein-können vernachlässigt (Lindemann 1993 & 2009). Der<br />

„klassische“ zeichen-, text- und diskurstheoretische Methodenkatalog<br />

der Gender/Queer-Theorien erfährt zunehmend eine Anreicherung<br />

durch poststrukturalistische, materialistische, phänomenologische<br />

Argumentationen. Diese neuen Ansätze haben zum einen die Aufnahme der<br />

physischen Dimensionen von Geschlechtskörpern, Körper-Subjektivitäten<br />

und materiellen Verhältnissen auf die Forschungsagenda mitbedingt. Zum<br />

anderen gehen von ihnen Anregungen zur Befragung der allfälligen Begriffe<br />

von Subjekt und Körper, Kultur und Natur, Handlung und Struktur aus (Engel<br />

2008).<br />

Der Beitrag fokussiert auf die Frage von Körper/Leib und möchte dabei<br />

Impulse der phänomenologischen Forschung zum Thema Gender/Queer-<br />

Theorien auf das religionswissenschaftliche Tableau bringen.<br />

Die Aufhellung der Bestimmung und Bedeutung von Körper und Leiblichkeit<br />

in religiösen Vollzügen als Beitrag zur Hermeneutik des Mensch-seinkönnen<br />

leistet eine wichtige Ergänzung zur bisherigen Forschung.<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Gründungspanel Arbeitskreis Islam<br />

• Patrick Franke: Islampolitik - Genese und Ausdifferenzierung<br />

eines Politikfeldes in Deutschland<br />

• Paula Schrode: Islam als soziale Realität - Islam als<br />

Forschungsgegenstand<br />

53


Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Freitag, 16. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

• Johanna Pink: Das islamische 19. Jahrhundert. Kontinuität<br />

oder Neuerfindung religiöser Reform?<br />

• Tilmann Hannemann: Prophetentum und Verwandtschaft im<br />

frühislamischen tribalen und religiösen Kontext<br />

• Catherina Wenzel: Die Opferung des Sohnes Reloaded.<br />

Spuren typologischer Auslegung von Gen 22 im Koran<br />

Patrick Franke: Islampolitik - Genese und Ausdifferenzierung eines Politikfeldes<br />

in Deutschland<br />

Der Vortrag geht von der Hypothese aus, dass Islampolitik in Deutschland<br />

heute ein eigenes Politikfeld darstellt, das sich immer weiter ausdifferenziert<br />

und an dem eine zunehmende Zahl von politischen Akteuren beteiligt<br />

ist. Die im Jahre 2006 geschaffene Islamkonferenz stellt einen mehr oder<br />

weniger geglückten Versuch dar, dieses Politikfeld bundesweit neu zu<br />

ordnen. Im Sinne einer historischen Politikfeldanalyse versucht der Vortrag,<br />

die Entwicklung der deutschen Islampolitik in ihren verschiedenen Phasen<br />

aufzuzeigen.<br />

Paula Schrode: Islam als soziale Realität - Islam als Forschungsgegenstand<br />

Angesichts einer Vielfalt islamischer Lebensformen, Identitäten,<br />

Rechtsauslegungen und ritueller Praktiken stellt sich jeder Islamforschung<br />

die Frage, was überhaupt sinnvoll als „Islam“ bezeichnet werden kann.<br />

Seit einiger Zeit wird dieser Schwierigkeit auch in populären Islamdebatten<br />

zunehmend dadurch begegnet, dass man „Islam“ als Kristallisationspunkt<br />

öffentlicher Auseinandersetzungen aufzulösen versucht, indem man<br />

daran erinnert, „den Islam“ gebe es nicht. Welche Ansätze bietet hier<br />

die Religionswissenschaft? Inwiefern kann Islam überhaupt ein exakt<br />

umreißbarer Gegenstand eines wissenschaftlichen Erkenntnisinteresses<br />

sein? Dieser Beitrag möchte zeigen, wie sich hier der Ansatz von Talal Asad<br />

(1986), Islam als „diskursive Tradition“ zu fassen, fruchtbar machen lässt.<br />

54


Freitag, 16. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Insbesondere wird dafür plädiert, eine Beschreibung religiöser Diskurse<br />

stets mit Analysen der Strukturen von Legitimität, Autorität, Orthodoxie und<br />

Macht zu verbinden.<br />

Johanna Pink: Das islamische 19. Jahrhundert. Kontinuität oder Neuerfindung<br />

religiöser Reform?<br />

Der Vortrag beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit im 19. Jahrhundert<br />

Reformideen, die gemeinhein als Reaktion auf westliche Dominanz<br />

gedeutet werden (insbesondere die sogenannte Salafiyya) auf frühere<br />

Reformbewegungen zurückgriffen und deren Ideen umdeuteten, und<br />

mit welchen Mitteln sich eine solche These be- oder widerlegen ließe.<br />

Tatsächlich ist das intellektuelle Klima das 19. Jahrhundert trotz der breiten<br />

Debatte um Reformbewegungen im 18. Jahrhundert schlecht erforscht;<br />

wir wissen wenig über die Curricula und die Ideen, die unter Gelehrten<br />

kursierten, und der Bildungshintergrund führender Vertreter der Salafiyya<br />

ist weitgehend unbekannt. Vor diesem Hintergrund wird der Vortrag einen<br />

Zwischenbefund vorstellen und weiterführende Wege anbieten, um das 19.<br />

Jahrhundert, das möglicherweise für die Ausbreitung reformatorischer Ideen<br />

in der islamischen Welt zentral war, besser zu verstehen.<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Tilmann Hannemann: Prophetentum und Verwandtschaft im frühislamischen<br />

tribalen und religiösen Kontext<br />

Die Ausübung religiöser Funktionen (Priester, Wahrsager, Propheten usw.)<br />

war in tribalen Gesellschaften des Vorderen Orients in der Regel mit der<br />

Zugehörigkeit zu entsprechenden Verwandtschaftsgruppen gebunden. Damit<br />

spielt die Frage nach den Modi der Anwendung – wie auch der Durchbrechung<br />

– des genealogischen Prinzips, demzufolge der Transfer religiöser Autorität<br />

auf die Lineage beschränkt bleiben soll, für die Untersuchung der antiken<br />

Religionsgeschichte eine zentrale Rolle. Die Zugehörigkeit zu einer<br />

prophetischen Abstammungsgruppe garantiert nicht den Erfolg als Prophet/<br />

in; weitere Faktoren sind für ein „effektives“ Prophetentum notwendig.<br />

In neueren Forschungen zum frühen Islam (Powers 2009) wird auf die<br />

55


Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Freitag, 16. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Bedeutung der spezifischen verwandtschaftlichen und religionspolitischen<br />

Konstellationen um Muhammad – insbes. die abrahamitische Genealogie,<br />

die Verstoßung des Adoptivsohns Zaid und das „Siegel der Propheten“ (Q<br />

33:40) – hinsichtlich der Legitimation der göttlichen Sendung verwiesen.<br />

Unter Hinzuziehung von Erkenntnissen über Autoritätsbildungsprozesse<br />

in tribalen Gesellschaften untersucht dieser Beitrag die Relevanz dieser<br />

historischen Situation für religionswissenschaftliche Fragestellungen.<br />

Catherina Wenzel: Die Opferung des Sohnes Reloaded. Spuren typologischer<br />

Auslegung von Gen 22 im Koran<br />

Meinen Panel-Beitrag habe ich deswegen mit ‚Die Opferung des Sohnes<br />

reloaded’ überschrieben, weil sich wegen der Diskussionen um den Koran,<br />

wie sie in den letzten Jahren, insbesondere von Angelika Neuwirth (Der<br />

Koran als Text der Spätantike) geführt worden sind, die Fragestellungen und<br />

Umgangsweisen mit dem Koran deutlich verändert haben. Ich möchte dies<br />

hier am klassischen Beispiel der Opferungsgeschichte in Gen 22 und ihrer<br />

Rezeption bis zu Sure 37,99-113 im Koran zeigen, wobei die exegetische<br />

Methode der Typologie eine besondere Rolle spielt. Dabei ergeben sich<br />

(1. These) in Sure 37 Reminiszenzen einer Christustypologie, die den<br />

namenlosen Sohn (Isaak oder Ismael) charakterisieren, als auch (2. These)<br />

eine überraschend neue Sicht auf die nicht stattgefundene Kreuzigung des<br />

geliebten Sohnes in Sure 4,157, die womöglich weniger auf gnostische<br />

Einflüsse als vielmehr auf eine Isaakisierung des Sohnesopfers in jüdischen<br />

und christlichen Traditionen zurückzuführen ist.<br />

Mediated and Aesthetic Presentations <strong>of</strong> the Teachings <strong>of</strong> Christian-<br />

Oriented Organizations in the United States<br />

• Sebastian Emling: “Have fun and Prepare to Believe” –<br />

Experiencing Religion at the Creation Museum<br />

• Anthony Santoro: Houses <strong>of</strong> Play, Houses <strong>of</strong> Spectacle:<br />

Pr<strong>of</strong>essional Football and the Creation, Mediation and<br />

Branding <strong>of</strong> Sacred Space<br />

56


Freitag, 16. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

• Katja Rakow: „It’s not about Jesus in your mind, it’s<br />

about Jesus in your heart.“ Multi-sensory worship at the<br />

megachurch<br />

• Respondents: Christoph Uehlinger, Inken Prohl<br />

Sebastian Emling: “Have fun and Prepare to Believe” – Experiencing Religion<br />

at the Creation Museum<br />

About 10 miles west <strong>of</strong> Cincinnati/Northern Kentucky International Airport,<br />

right besides the busiest north-south connection <strong>of</strong> the US (interstates<br />

71/75) Adam and Eve have found a new home. One <strong>of</strong> the most influential<br />

apologetic organizations <strong>of</strong> the world, Answers in Genesis (AiG), has built<br />

the 70,000 square foot Creation Museum in Petersburg, Kentucky. Not only<br />

is this theme park a major employer and tourist-attraction <strong>of</strong> the tristate-area<br />

but it is a striking example <strong>of</strong> the “selective modernity” (Hochgeschwender)<br />

<strong>of</strong> highly conservative religious organizations and the presentation <strong>of</strong> their<br />

religious teachings through material objects. Mediating religious teachings<br />

by addressing the senses <strong>of</strong> their visitors is the self-proclaimed central aim<br />

<strong>of</strong> Ken Ham (CEO <strong>of</strong> the museum) and his crew whose 35-million-dollar<br />

investment is designed for experiencing Christian teachings with every fiber<br />

<strong>of</strong> one’s body.<br />

This presentation will <strong>of</strong>fer a “guided tour” through the Creation Museum<br />

and is based on fieldwork that was conducted in February <strong>of</strong> 2011. It will<br />

focus on AiG’s mediation <strong>of</strong> religious teachings which heavily relies on<br />

addressing the senses <strong>of</strong> the museum’s visitors. It therefore emphasizes the<br />

importance <strong>of</strong> analyzing the material and experiential aspects <strong>of</strong> religious<br />

practices.<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Anthony Santoro: Houses <strong>of</strong> Play, Houses <strong>of</strong> Spectacle: Pr<strong>of</strong>essional Football<br />

and the Creation, Mediation and Branding <strong>of</strong> Sacred Space<br />

One <strong>of</strong> the considerations in treating sport as religious in its creation <strong>of</strong> a<br />

sacred space, bounded both physically and temporally. Signs and signals<br />

communicate to participants when solemnity is required and when they<br />

should be receptive to an awe-inspiring relic or commemoration. There are<br />

57


Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Freitag, 16. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

a number <strong>of</strong> visual and material cues to meaning—present and historical—<br />

some that are obvious, others that require a specialist’s interpretation.<br />

Buildings in particular are carriers <strong>of</strong> these meaning, given their multifaceted<br />

ability to structure and limit space, as well as the seemingly endless<br />

ways they can incorporate material elements <strong>of</strong> tradition and history.<br />

These structures are sites <strong>of</strong> pilgrimage, ritual and sacred community and<br />

ceremony; they are also repositories <strong>of</strong> particular histories, traditions and<br />

memories, which they both select for and situate and display.<br />

This paper will analyze five buildings—the Pr<strong>of</strong>essional Football Hall <strong>of</strong><br />

Fame in Canton, Ohio and four NFL stadiums—to investigate how their<br />

construction and design creates and houses memories and eases the selective<br />

integration and re-dedication <strong>of</strong> tradition and history. This paper will break<br />

down the visual signals and carriers <strong>of</strong> meaning and tradition to see how<br />

they brand the space contained within as a uniquely sacred space.<br />

Katja Rakow: „It’s not about Jesus in your mind, it’s about Jesus in your<br />

heart.“ Multi-sensory worship at the megachurch<br />

Beginning in the 19th century, religious organizations established themselves<br />

as a part <strong>of</strong> a “commercial culture” with a diversified production <strong>of</strong><br />

religious commodities. In contemporary societies religious institutions exert<br />

their influence via inventive contributions into the market (Moore 1994).<br />

Religious spokespersons and institutions employ competitive devices such<br />

as advertising, branding and publicity as well as new technologies and<br />

entertainment formats usually used by other merchants and suppliers <strong>of</strong><br />

consumer goods. Those market-oriented practices include the identification<br />

<strong>of</strong> target audiences and the quest for appealing to consumer tastes in<br />

changing and repackaging the product. Moreover, religious institutions do<br />

not only compete with one another, they are in competition with the leisure<br />

and entertainment industries as well.<br />

With regard to those theoretically oriented considerations, the paper<br />

analyzes the worship styles <strong>of</strong>fered by two megachurches in Houston, Texas,<br />

and their quest to meet consumer needs. The paper will argue that the multisensory<br />

worship service at the megachurch not only involves the thoughts<br />

and intellect <strong>of</strong> worship attendees but their bodies, emotions and senses,<br />

too. Here, praise and worship music performances supported by audio-<br />

58


Freitag, 16. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

visual technologies are not mere ornamentation but at the center <strong>of</strong> the<br />

service and an important medium to convey the message.<br />

Jörg Rüpke, Erfurt<br />

Review Panel „Kritik religionswissenschaftlicher Vernunft“<br />

(B. Horyna)<br />

• Jörg Rüpke, Erfurt (Moderator)<br />

• Wanda Alberts, Bergen<br />

• Bärbel Beinhauer-Köhler, Marburg<br />

• Hubert Seiwert, Leipzig<br />

• Bretislav Horyna, Brno (Autor)<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

14:15 bis 15:45 Uhr<br />

„Projekt Religionsästhetik: Debatten, Positionen, Ergebnisse“ Werkstatt-Panel<br />

des Arbeitskreises Religionsästhetik der DVRW<br />

• Alexandra Grieser: Methode, Perspektive, neues Paradigma?<br />

– Ästhetik als konnektives Konzept der Religionsforschung<br />

• Katharina Wilkens: Den Koran trinken, die Madonna<br />

schlucken. Religionsästhetische Überlegungen zur<br />

Einverleibung von Heiliger Schrift und Gnadenbild<br />

• Weitere Mitglieder des Arbeitskreises Religionsästhetik:<br />

Kathrin Baumstark (Mami Wata), Carina Brankovic/<br />

Katja Rakow/Simone Heidbrink (Ausstellung „Kraftwerk<br />

Religion“), Annette Wilke („Sound and communication. An<br />

aesthetic cultural history <strong>of</strong> Sanskrit Hinduism“), Jens Kugele<br />

(Musealität), Anne Koch (Körperpraktiken), Sebastian Schüler<br />

(Efferveszenz), u.a.<br />

59


Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Freitag, 16. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Alexandra Grieser: Methode, Perspektive, neues Paradigma? – Ästhetik als<br />

konnektives Konzept der Religionsforschung<br />

Seit Ende der 1980er Jahre in der deutschen Religionswissenschaft<br />

das Projekt Religionsästhetik hervorgebracht wurde, wird über dessen<br />

Reichweite und Rolle innerhalb der Religionswissenschaft diskutiert.<br />

Seitdem sind Diskussionen aus anderen Disziplinen und anderen<br />

nationalen Traditionen hinzugekommen, so dass ein breites thematisches<br />

und methodisches Spektrum entstanden ist. Als heuristische Perspektive<br />

hat die Religionsästhetik neue Gegenstandsbereiche und neue Blicke auf<br />

Quellen und Daten hervorgebracht. Als methodologische Perspektive hat sie<br />

Desiderate und missing links aufgezeigt und Antworten darauf entwickelt. Und<br />

als theoretische Perspektive wird an Kategorien und Beschreibungssprache<br />

gearbeitet, die neue Erklärungszusammenhänge aufzeigen.<br />

Ausgegangen von der Kritik am Textzentrismus und fokussierend auf<br />

sinnliche Wahrnehmung und Körperlichkeit in religiöser Praxis erweist sich<br />

Ästhetik als ein Konzept mit Brückenfunktion: Nicht Wahrnehmung und<br />

Sinnlichkeit allein, sondern gerade die Verbindung zwischen Religions- und<br />

Ästhetikgeschichte, zwischen Körper und kulturellem System, zwischen<br />

cognition and culture machen den Begriff zu einem konnektiven Konzept<br />

zur Beschreibung religiöser Praktiken, für den methodischen Vergleich<br />

und für die Analyse religiösen Wandels. An einer „Ästhetik des Wissens“<br />

wird dieses verbindende Potential der Religionsästhetik durchgespielt: wie<br />

religiöses Wissen ästhetisch begründet und gesichert wird, wie vergleichende<br />

Perspektiven möglich werden und wie die Ästhetisierung von Wissen in der<br />

Moderne zwischen religiöser und wissenschaftlicher Ästhetik changiert.<br />

60<br />

Katharina Wilkens: Den Koran trinken, die Madonna schlucken. Religionsästhetische<br />

Überlegungen zur Einverleibung von Heiliger Schrift und Gnadenbild<br />

Der Koran als Wort Gottes hat segnende und heilende Kraft. Diese Feststellung<br />

ist in der islamischen Welt universal und wird von einer entsprechenden<br />

Praxis begleitet: Koranverse werden nicht nur als Amulette am Körper<br />

getragen, sondern auch als Medikament getrunken. Die Tinte, mit der die<br />

heiligen Worte geschrieben wurden, wird abgewaschen, die Lösung wird


Freitag, 16. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

in ein Fläschchen abgefüllt und dem Patienten zur mehrmaligen Einnahme<br />

verabreicht. Diese unmittelbare Einverleibung von göttlicher Segenskraft<br />

bietet dem religionsästhetischen Forscher reiches Material. Wie steht es um<br />

die konkrete Verbindung zwischen heiligen Worten und der Materie der Tinte?<br />

Welche Wirkung im Heilungsprozess hat ein kleines Stück beschriebenes<br />

Papier? Wie kann man emisch und wissenschaftstheoretisch die Verbindung<br />

zwischen dem Wort Gottes und dem eigenen Körper interpretieren? Nicht<br />

ganz unähnlich ist die Praxis im katholischen Deutschland bis in 20.<br />

Jahrhundert hinein, sogenannte „Schluckbildchen“ (briefmarkengroße<br />

Abbildungen der Mutter Gottes) an Wallfahrtsorten in großen Druckbögen<br />

zu erwerben, damit das Gnadenbild zu berühren und dann als Medikament<br />

zuhause in Brot gesteckt einzunehmen. Anhand dieser Beispiele soll die<br />

methodologische Neuverortung der Religionsästhetik exemplarisch diskutiert<br />

werden und gezeigt werden, wie sowohl der historische Vergleich, die<br />

Erschließung der religiösen Praxis und das Verständnis religiöser Medialität<br />

von religionsästhetischer Perspektive pr<strong>of</strong>itiert.<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Integration methodischer Pluralität – Aufwind für die Religionswissenschaft?<br />

• Karsten Lehmann: Von Rezeption und Adaption - zum<br />

methodischen Programm der kulturwissenschaftlichen<br />

Wende<br />

• Oliver Freiberger: Der Vergleich – eine „Methode“ der<br />

Religionswissenschaft?<br />

• Ilinca Tanaseanu-Döbler/Marvin Döbler: Interpretation<br />

religiöser Quellentexte<br />

• Verena Maske: Teilnehmende Beobachtung in der<br />

Religionswissenschaft – Königsdisziplin oder marginalisierte<br />

Methode. Eine Reflexion über die Potentiale von<br />

Beobachtungsverfahren am Beispiel einer Studie zur<br />

Muslimischen Jugend in Deutschland e.V. (MJD)<br />

• Stefan Kurth: Narrativ fundierte Interviews und die<br />

Erforschung individueller Religiosität<br />

61


Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Freitag, 16. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Karsten Lehmann: Von Rezeption und Adaption - zum methodischen Programm<br />

der kulturwissenschaftlichen Wende<br />

Die sog. „kulturwissenschaftliche Wende“ der 1970er und 1980er Jahre<br />

hat zu einer grundsätzlichen Neuorientierung der deutschsprachigen<br />

Religionswissenschaft geführt. Eine Neuorientierung, die der<br />

religionswissenschaftlichen Forschung bis in die Gegenwart als zentraler<br />

Referenzrahmen dient.<br />

Der hier vorgestellte Beitrag legt das Augenmerk auf das methodische<br />

Programm, welches der kulturwissenschaftlichen Wende zugrunde liegt.<br />

Im Mittelpunkt stehen dabei zwei Thesen: (1) Die „kulturwissenschaftliche<br />

Wende“ hat in der Religionswissenschaft zu einer intensiven Rezeption der<br />

Methoden benachbarter Disziplinen geführt. (2) Dieser Rezeption muss nun<br />

ein weiterer Schritt folgen – eine Adaption auf religionswissenschaftliche<br />

Gegenstände, Fragestellungen und Forschungsziele.<br />

Die wissenschaftshistorischen Grundlagen dieses Prozesses sollen zunächst<br />

expliziert und dann seine Probleme und Potentiale anhand einiger Beispiele<br />

aus der aktuellen Forschung diskutiert werden.<br />

Oliver Freiberger: Der Vergleich – eine „Methode“ der Religionswissenschaft?<br />

Oft ist der Religionsvergleich als eine zentrale Methode der<br />

Religionswissenschaft bezeichnet worden, und in der Tat ist das Fach ohne<br />

die vergleichende Perspektive nicht denkbar. Aber inwiefern kann man<br />

beim Vergleich von einer “Methode” sprechen? In welchem Verhältnis<br />

steht er zu anderen Methoden, die in der Religionswissenschaft zur<br />

Anwendung kommen, z.B. historisch-philologischen oder Methoden der<br />

empririschen Sozialforschung? Dieser Beitrag reflektiert über verschiedene<br />

Vergleichsansätze in der Religionswissenschaft und die Rolle des Vergleichs<br />

in religionswissenschaftlicher Methodologie.<br />

62


Freitag, 16. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Ilinca Tanaseanu-Döbler/Marvin Döbler: Interpretation religiöser Quellentexte<br />

Der Vortrag skizziert methodische Linien des religionswissenschaftlichen<br />

Umgangs mit Quellentexten und diskutiert ihre Bedeutung für die<br />

gegenwärtige religionswissenschaftliche Forschung und Lehre sowie deren<br />

Implikationen.<br />

Verena Maske: Teilnehmende Beobachtung in der Religionswissenschaft<br />

– Königsdisziplin oder marginalisierte Methode. Eine Reflexion über die<br />

Potentiale von Beobachtungsverfahren am Beispiel einer Studie zur Muslimischen<br />

Jugend in Deutschland e.V. (MJD)<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Die teilnehmende Beobachtung spielt seit der kulturwissenschaftlichen<br />

Wende und der damit einhergehenden Integration sozialwissenschaftlicher<br />

Methoden in die Religionswissenschaft eine zentrale Rolle zur Erforschung<br />

religiöser Gegenwartskultur. Dabei kommt sie als Methode des ersten<br />

Zugangs kombiniert mit anderen Verfahren qualitativer Religionsforschung<br />

einerseits häufig zum Einsatz, andererseits wird sie jedoch kaum explizit,<br />

methodisch reflektiert und intersubjektiv nachvollziehbar angewandt und<br />

führt im Vergleich zu Interviewverfahren ins<strong>of</strong>ern ein Schattendasein. Eine<br />

systematische Reflexion über die spezifischen Potentiale teilnehmender<br />

Beobachtung für die religionswissenschaftliche Theoriebildung muss nach<br />

wie vor als ein Desiderat bezeichnet werden. Ausgehend von einer Studie<br />

zur MJD, bei der die Methode teilnehmende Beobachtung ein zentrales<br />

Verfahren der Datenerhebung ist, sollen dazu einige Überlegungen<br />

angestellt werden. Nach einem kurzen Überblick über verschiedene<br />

Verfahren teilnehmender Beobachtung und ihrer Rezeption in der<br />

Religionswissenschaft sollen Kriterien zur methodischen Reflexion entlang<br />

des Forschungsprozesses herausgearbeitet und am Beispiel illustriert werden.<br />

Schließlich sollen exemplarisch Chancen und Grenzen teilnehmender<br />

Beobachtung für die religionswissenschaftliche Theoriebildung diskutiert und<br />

in ihren methodologischen Grundannahmen reflektiert werden. Eine solche<br />

Reflexion leistet einen wichtigen Beitrag zur religionswissenschaftlichen<br />

Standortbestimmung.<br />

63


Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Freitag, 16. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Stefan Kurth: Narrativ fundierte Interviews und die Erforschung individueller<br />

Religiosität<br />

Qualitative Methoden der empirischen Sozialforschung können<br />

dazu beitragen, die kulturwissenschaftliche Neuorientierung der<br />

Religionswissenschaft zu verwirklichen und die von Hans Kippenberg<br />

geforderte Überwindung der Kluft „zwischen Schriftreligion und Lebenswelt“<br />

in der Forschungspraxis einzulösen. Sie ermöglichen, die „wirkliche und<br />

wirksame Religion“ zu erforschen, „wie sie uns in den Gläubigen eines<br />

jedweden Religionssystems“ (Rainer Flasche) entgegentritt, respektive in den<br />

Individuen, die sich rezeptiv und produktiv auf religiöse Systeme beziehen<br />

und damit deren soziale und kulturelle Wirklichkeit mit konstituieren.<br />

In den vergangenen drei Jahrzehnten konnten sich (neben<br />

Beobachtungsverfahren) besonders narrativ fundierte Interviews in vielen<br />

religionswissenschaftlichen Studien als qualitatives Forschungsinstrument<br />

bewähren: (1.) in Kombination mit anderen Erhebungsverfahren und<br />

Datenquellen zur Rekonstruktion des zeitgeschichtlichen Wandels oder<br />

der Interaktion in einer religiösen Gemeinschaft, und (2.) besonders<br />

zur Untersuchung zu Aspekten individueller Religiosität und ihrem<br />

Zusammenhang zu anderen empirischen Phänomenen oder theoretischen<br />

Konzepten. Interessenschwerpunkte waren (a) die biographische<br />

Entwicklung und Veränderung von Religiosität, (b) die Konstruktion und<br />

Kommunikation religiöser Deutungen sowie (c) die sozialen Kontexte<br />

individueller Religiosität.<br />

Der Beitrag diskutiert an verschiedenen (auch eigenen) Forschungsbeispielen<br />

das Potenzial narrativ fundierter Interviews für eine kulturwissenschaftlich<br />

verortete Religionswissenschaft.<br />

Europäische Perspektiven auf die Erforschung religiöser Gegenwartskultur<br />

in Asien<br />

• Edith Franke: Religiöse Pluralität oder religiöse Harmonie?<br />

Überlegungen zur kulturübergreifenden Anwendbarkeit<br />

wissenschaftlicher Kategorien<br />

• Christian Meyer: Christentumsstudien als Teil der<br />

Religionswissenschaft in der VR China (und Hongkong)<br />

64


Freitag, 16. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

• Monika Schrimpf: „Magische Religion“ in Japan – zur<br />

Verwendung des Begriffs „Magie“ in der japanischen<br />

Religionswissenschaft<br />

Edith Franke: Religiöse Pluralität oder religiöse Harmonie? Überlegungen<br />

zur kulturübergreifenden Anwendbarkeit wissenschaftlicher Kategorien<br />

Während religiöser Pluralismus in der europäisch und amerikanisch<br />

geprägten Wissenschaftssprache ein gebräuchlicher Begriff ist, um religiöse<br />

Vielfalt moderner Gesellschaften zu beschreiben, lernte ich von Kollegen<br />

islamischer Universitäten in Indonesien, dass sie den Begriff religiöse<br />

Harmonie bevorzugen. Stehen diese Begriffe für dasselbe Phänomen?<br />

In welcher Weise und in welchem Umfang beeinflussen die kulturellen,<br />

religiösen und akademischen Traditionen die Verwendung wissenschaftlicher<br />

Begrifflichkeiten sowie die Wahrnehmung religiöser Phänomene – vor<br />

allem, wenn es um die Analyse religiöser Traditionen und Verhaltensweisen<br />

fremder Kulturen geht?<br />

Um auf wissenschaftlicher Ebene zu kommunizieren und Vergleiche ziehen<br />

zu können, müssen sowohl Begriffe wie auch theoretische Modelle für eine<br />

genaue Beschreibung und Analyse gefunden werden. Aber während einige<br />

einen Begriff als angemessen präzise und differenziert wahrnehmen, halten<br />

andere denselben Begriff für reduktionistisch oder normativ. In meinem<br />

Vortrag werde ich anhand von ausgewählten Beispielen untersuchen, wie<br />

die Kategorisierung und Wahrnehmung aktueller religiöser Phänomene<br />

von wissenschaftlichen und kulturellen Mustern geprägt ist und wie der<br />

Gebrauch dieser Begriffe auch auf die gesellschaftliche Akzeptanz oder<br />

auch Marginalisierung von Religionen wirken kann. Zur Konkretisierung<br />

werde ich die säkularisierte und christliche orientierte Wissenschaftskultur<br />

Deutschlands mit der islamisch geprägten Forschung und Gesellschaft<br />

Indonesiens vergleichen.<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Christian Meyer: Christentumsstudien als Teil der Religionswissenschaft in<br />

der VR China (und Hongkong)<br />

Religionswissenschaft ist im Aufwind – nicht nur in Deutschland oder in<br />

westlichen Gesellschaften, sondern auch im chinesischen Raum und nicht<br />

65


Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Freitag, 16. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

zuletzt der <strong>of</strong>fiziell sozialistischen Volksrepublik China. Dabei zeigen sich<br />

jedoch charakteristische Unterschiede in der strukturellen Bedeutung und<br />

Rolle von Religionswissenschaft.<br />

Die neuere Erforschung von Religion in China im Allgemeinen hat sich<br />

seit dem Ende der ideologischen Dominanz (mit einem Höhepunkt in der<br />

Kulturrevolution 1966-1976) und seit dem Beginn der Reformperiode ab<br />

1978 in beeindruckender Weise entwickelt. Die Regierung hat nicht nur<br />

den Religionen selbst mehr und mehr Freiheiten eingeräumt, sondern auch<br />

ihrer Erforschung. Neue Departments und Institute zur Erforschung von<br />

Religion wurden eingerichtet, die zum einen der Politikberatung dienen,<br />

zugleich aber auch den individuellen und gesellschaftlichen Interessen<br />

der Forscher, Studierenden und einer weiteren Öffentlichkeit folgen. Die<br />

grundsätzliche These dieses Vortrags besteht darum darin, dass chinesische<br />

Religionswissenschaft nur im Schnittfeld der entsprechenden durchaus<br />

divergierenden Interessen verstanden werden kann. Ihre Relevanz für<br />

politische Entscheidungen und öffentliche Debatten gibt dem Feld einen<br />

weit stärkeren allgemeinen Einfluss als es im Allgemeinen im Westen hat,<br />

jedoch formt diese zugleich auch in nicht geringem Umfang die politisch<br />

beeinflussten Agenden und Terminologien, was jedoch Nischen wie<br />

subversive Strategien nicht ausschließt. Dies soll anhand des Feldes der<br />

Christentumsstudien exemplifiziert werden, nicht zuletzt am beispielhaften<br />

Projekt der sogenannten „Sino-Christian Theology” mit Schwerpunkt in der<br />

VR China und Hongkong.<br />

Monika Schrimpf: „Magische Religion“ in Japan – zur Verwendung des Begriffs<br />

„Magie“ in der japanischen Religionswissenschaft<br />

66<br />

Während in Arbeiten zu neureligiösen Bewegungen in Europa und den USA<br />

der Begriff „Magie“ weitgehend irrelevant ist, spielt er in der japanischen<br />

Forschung zur religiösen Gegenwartskultur des Landes eine zentrale Rolle.<br />

Vor allem im Falle von Neureligionen wird nicht selten auf ihren magischer<br />

Charakter verwiesen und dieser vor dem Hintergrund der japanischen<br />

Moderne erklärt. Dabei beziehen verschiedene Erklärungsansätze die<br />

magische Prägung vieler Neureligionen in unterschiedlicher Weise auf die<br />

Modernisierung Japans.<br />

Die Charakterisierung religiöser Gruppierungen als „magisch“ impliziert eine<br />

Strukturierung des Feldes gegenwärtigen religiösen Lebens in magische und


Freitag, 16. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

nicht-magische Gemeinschaften, Netzwerke oder Strömungen. Wie werden<br />

dabei Grenzen gezogen, und welche Gegenmodelle werden konstruiert?<br />

Ziel des Vortrags ist es, Konzepte von Magie in der gegenwartsbezogenen<br />

japanischen Religionsforschung zu beschreiben und danach zu fragen, wie<br />

sich die damit verknüpften Forschungsperspektiven auf die Strukturierung<br />

des Feldes auswirken. Schließlich erkläre ich die Popularität dieser Kategorie<br />

mit Blick auf die Geschichte der japanischen Religionswissenschaft.<br />

Die Beobachtung des religiösen Feldes in der Wechselwirkung von<br />

religiöser Binnen- und religionswissenschaftlicher Außenperspektive<br />

• Anna-Konstanze Schröder: Theologische Fragestellungen als<br />

Anwendungsgebiet religionswissenschaftlicher Forschung?!<br />

• Ann-Laurence Maréchal-Haas: Re-/Präsentation und<br />

Reaktion. Zur Rezeption (religions-)wissenschaftlicher<br />

Forschungsergebnisse in ihrem eigenen Gegenstandsfeld<br />

• Thomas Zenk: Der Atheismusvorwurf als Mittel religiöser<br />

Polemik in der Vergangenheit – Religiöse Polemik gegen<br />

Atheisten in der Gegenwart<br />

• Jens Schlamelcher: Die Kirche als Akteur und Schiedsrichter<br />

des religiösen Feldes<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Anna-Konstanze Schröder: Theologische Fragestellungen als Anwendungsgebiet<br />

religionswissenschaftlicher Forschung?!<br />

Wenn Religionswissenschaft eine eigene Fachdisziplin ist, die sich aus der<br />

Theologie abgelöst hat, dann ist der Theologie auch etwas abhanden gekommen,<br />

das sie nun in inter- bzw. multidisziplinärer Arbeit als Kooperation „einkaufen“<br />

muss. Darüber hinaus erfordern manche Fragestellungen in der Theologie<br />

eine empirisch-methodische Expertise, die sich Religionswissenschaftler<br />

durch die Erforschung der religiösen Gegenwartskultur längst angeeignet<br />

haben. Und natürlich liefern die großen Kirchen ein breites Forschungsfeld<br />

für empirisch arbeitende Religionswissenschaftler, nicht zuletzt um den<br />

eigenen Forschungsergebnissen in einem großen Interessentenkreis Relevanz<br />

zu verschaffen. Doch wie kann Religionswissenschaft ihre kritische Distanz<br />

wahren, wenn das denn zentral für ihre disziplinäre Identität ist?<br />

67


Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Freitag, 16. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Meinem Versuch einer theoretischen Antwort in Klöckers und<br />

Tworuschkas UTB-Band „Praktische Religionswissenschaft“ stelle<br />

ich eigene Forschungserfahrungen und Beobachtungen gegenüber.<br />

Denn das, was der Kunde (Theologie und Kirche) braucht, ist <strong>of</strong>t nicht<br />

das, was die Religionswissenschaft anbieten kann: Was bleibt an den<br />

Forschungsergebnissen noch Religionswissenschaft, wenn sie als<br />

hilfswissenschaftliche Zuarbeit für theologische Fragestellungen entstanden?<br />

Ist eine gleichberechtigte Kooperation überhaupt wünschenswert? Wieviel<br />

Überlappung zur Theologie ist möglich, um die eigene Forschung guten<br />

Gewissens für eine religionswissenschaftliche zu halten?<br />

Ann-Laurence Maréchal-Haas: Re-/Präsentation und Reaktion. Zur Rezeption<br />

(religions-)wissenschaftlicher Forschungsergebnisse in ihrem eigenen<br />

Gegenstandsfeld<br />

Der Vortrag möchte anhand einiger Fallbeispiele aus dem neugermanischheidnischen<br />

Feld der Frage nachgehen, wie wissenschaftliche<br />

Forschungsergebnisse und Berichte von den „Beforschten“ selbst<br />

aufgenommen, ausgehandelt und rezipiert werden (können). Der Blick<br />

soll dabei auf den kommunikativen und reflexiv-diskursiven Prozessen<br />

zwischen dem Forscher, seinem Gegenstandsfeld bzw. den sich ihm<br />

zugehörig fühlenden Akteuren sowie den Akteuren untereinander liegen.<br />

Welche Rollen können und werden in solchen Diskursen eingenommen und<br />

welche Diskurspositionen ergeben sich gegebenenfalls daraus? Wie werden<br />

diese insbesondere von den „Beforschten“ ausgehandelt und mitunter auch<br />

verteidigt?<br />

Sowohl dem Forscher als auch den untersuchten Akteuren stehen eigene<br />

Wahrnehmungs-, Deutungs- und Deskriptionskategoerien und -muster sowie<br />

Semantiken zur Verfügung. Diese beruhen auf sozial-diskursiv konstruierten<br />

Kategorien. Die ihnen zugeschriebene Bedeutung kann somit immer<br />

wieder neu ausgehandelt werden und unterliegt Wandlungen und Brüchen,<br />

die dem Beobachter nicht zwangsläufig zugänglich sind. Dies kann zu<br />

Wahrnehmungsdiskrepanzen führen, die wiederum verschiedene Reaktionen<br />

und Rezeptionen von Seiten des Feldes hervorbringen können. Dabei muss<br />

es jedoch nicht zwangsläufig zu einem „Verfremdungsempfinden“ oder<br />

Kritik am Forschungsergebnis durch die Beforschten kommen. So zeigen<br />

die im Vortrag erläuterten Fallbeispiele unter anderem auch, wie Impulse<br />

68


Freitag, 16. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

aus wissenschaftlichen Arbeiten bewusst zur eigenen Positionierung im Feld<br />

nutzbar gemacht und Semantiken zur Konstruktion und Deskription der<br />

eigenen religiösen Identität verwendet werden.<br />

Der Vortrag möchte zu einem Blick auf dieses, in der religionswisenschaftlichen<br />

Literatur bisher vernachlässigte Thema anregen und die Frage aufwerfen, wie<br />

mit solchen Reaktionen und Rezeptionen umgegangen wurde und zukünftig<br />

umgegangen werden kann.<br />

Thomas Zenk: Der Atheismusvorwurf als Mittel religiöser Polemik in der<br />

Vergangenheit – Religiöse Polemik gegen Atheisten in der Gegenwart<br />

Die Begriffe „Atheismus“, „Gottlosigkeit“ oder „Unglaube“ werden eher<br />

selten in einem wertneutralen Sinn gebraucht, um die eigene Position oder<br />

die eines anderen zu charakterisieren. Die Begriffe waren jahrhundertelang<br />

negativ konnotiert und wurden als Kampfbegriffe im Rahmen religiöser<br />

Apologetik und Polemik gebraucht: Die Zuschreibung von Gottlosigkeit<br />

diente dazu, den jeweiligen religiösen Gegner zu diffamieren und als<br />

legitimen gesellschaftlichen Akteur auszuschließen bzw. ist Teil einer<br />

Legitimierungsstrategie gesellschaftlicher Diskriminierung oder Verfolgung.<br />

Oftmals geht die Exklusion der als gottlos Bezeichneten einher mit religiösen<br />

Identitätsbildungsprozessen (der Ausschluß von „Häresien“ bspw. geschieht<br />

synchron zur Entstehung von „Orthodoxie“). Durch die im Zuge von<br />

Aufklärung und Französischer Revolution angestoßenen gesellschaftlichen<br />

und politischen Veränderungen kommt es zur Formulierung von<br />

Religionsfreiheit als grundlegendem Menschenrecht. Die Religionsfreiheit<br />

aber beinhaltet auch die Freiheit keiner Religion anzugehören. Damit stellt<br />

der Atheismus eine legitime weltanschauliche Option auf dem „Markt der<br />

Religion“ dar. Wie aber reagiert die religiöse Apologetik auf eine Situation, in<br />

der es zum einen nicht mehr möglich ist, im Rahmen der religiösen Polemik<br />

auf den Atheismusvorwurf zurückzugreifen, und in der es zum anderen<br />

mit dem Atheismus einen weltanschaulichen Gegner gibt, dessen Abwehr<br />

im Rahmen religiöser Polemik zu leisten ist? Am Beispiel des „Neuen<br />

Atheismus“ werden verschiedene aktuelle Strategien religiöser Apologetik<br />

dargestellt werden.<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

69


Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Freitag, 16. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Jens Schlamelcher: „Niederschwellige Angebote“ – Die Verkirchlichung<br />

neuer Religiosität und De-Christianisierung der Kirche<br />

Im Versuch, „gegen den Trend“ zu wachsen und ein kirchenfernes Publikum<br />

zu erreichen, setzt die evangelische Kirche in Deutschland auf sogenannte<br />

„niederschwellige Angebote“, die u.a. im Kontext von sogenannten<br />

„Citykirchen“ entstehen. In diesem Vortrag soll anhand einer empirischen<br />

Studie das religiöse Pr<strong>of</strong>il derartiger Veranstaltungen untersucht werden.<br />

Dabei kann aufgezeigt werden, dass derartige niederschwellige Angebote<br />

in der Tat über eine im Vergleich zu kirchengemeindlichen Veranstaltungen<br />

niedrigere Schwelle verfügen (immerhin stellen sie keine Erwartungen<br />

an religiöse Überzeugungen oder andauernde Vergemeinschaftungen) –<br />

jedoch nicht als eine Schwelle hin zur Kirche fungieren. Niederschwellige<br />

Angebote bilden vielmehr einen eigenständigen Raum innerhalb der Kirche,<br />

der sich nicht nur in seiner Sozialstruktur, sondern auch in seinem religiösen<br />

Pr<strong>of</strong>il erheblich von den klassischen Kirchengemeinden unterscheidet.<br />

Dieses zeichnet sich durch eine weitgehende De-Christianisierung<br />

(Aufgabe von dogmatischen Wahrheitsansprüchen sowie eines Erlösungsund<br />

Offenbarungsglaubens), eine Verkirchlichung „neuer“ Religiosität (u.a.<br />

Immanentisierung der Transzendenz, Bezug auf Erfahrungsdimension),<br />

und damit verbunden eine Institutionalisierung von Individuenreligiosität<br />

(Sakralisierung des Selbst sowie Pluralisierung und damit eine De-<br />

Spezifizierung transzendenter Autoritäten) aus. Im Zuge dieser „Kunden-“<br />

oder „Milieuorientierung“ kommt es entsprechend zu erheblichen<br />

religiösen Wandlungsprozessen, die innerhalb der kirchlich-theologischen<br />

Reflexion weitgehend unbeobachtet bleiben. Der Vortrag möchte dazu<br />

einladen, das Blickfeld der Religionswissenschaft auch auf kirchliche<br />

Transformationsprozesse zu lenken.<br />

70


Samstag, 17. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Samstag, 17. September 2011<br />

9:15 bis 10:45 Uhr<br />

Zur Relevanz religionswissenschaftlicher Forschung: Gesundheitsgesellschaft<br />

und ihre Spiritualisierung als Herausforderung.<br />

Panel 1. Methodische Fragen<br />

• Constantin Klein, Ina Wunn: Saluto- und pathogene Relevanz<br />

von Religiosität verstehen: Die Notwendigkeit eines<br />

differenzierten Verständnisses der Dynamiken zwischen<br />

Religiosität und Gesundheit<br />

• Florian Jeserich: Brauchen wir eine Religionsepidemiologie?<br />

• Anne Koch: Das Problem der Verknüpfung: Emische,<br />

religionswissenschaftliche und medizinische Vorstellungen<br />

zur Wirkweise spirituellen Heilens<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Constantin Klein/Ina Wunn: Saluto- und pathogene Relevanz von Religiosität<br />

verstehen: Die Notwendigkeit eines differenzierten Verständnisses der<br />

Dynamiken zwischen Religiosität und Gesundheit<br />

Die Zahl der Publikationen zum Verhältnis von Religiosität und Gesundheit<br />

ist in den vergangenen 20 Jahren exponentiell angestiegen. Entsprechende<br />

Artikel finden sich jedoch v.a. in medizinischen, psychologischen oder<br />

pflegewissenschaftlichen Magazinen statt in religionswissenschaftlichen.<br />

Während der Anstieg an Veröffentlichungen unzweifelhaft ein gestiegenes<br />

Interesse an Religiosität in den betreffenden Fachgebieten erkennen lässt,<br />

geht damit zugleich aber auch die Problematik einher, dass innerhalb dieser<br />

Disziplinen häufig nur ein rudimentäres oder zumindest sehr subjektiv<br />

gefärbtes Verständnis von Religiosität existiert. In der Forschung schlägt sich<br />

das in unterschiedlicher Weise nieder: So wird Religiosität beispielsweise <strong>of</strong>t<br />

nur pauschal als einzelne Variable aufgefasst, ohne dass der Komplexität des<br />

Phänomens damit adäquat entsprochen würde. Auch findet sich vielfach<br />

71


Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Samstag, 17. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

eine teils inflationäre Verwendung des Begriffs „Spiritualität“, worunter<br />

dann eine authentische Form der Bewusstheit für eine geistige/geistliche<br />

Dimension des menschlichen Lebens verstanden wird – gegenüber einer<br />

als institutionell und dogmatisch verhärtet aufgefassten Religion/Religiosität.<br />

Im Anschluss wird Spiritualität dann eher als gesundheitliche Ressource,<br />

Religion/Religiosität hingegen eher als Risiko aufgefasst und <strong>of</strong>t entsprechend<br />

tendenziös empirisch gemessen. Im Rahmen des Papers werden solche<br />

Defizite der bisherigen Forschung zum Verhältnis von Religiosität und<br />

Gesundheit aufgezeigt und ein Modell vorgestellt, das unter Rückbezug<br />

v. a. auf religionspsychologische Erkenntnisse versucht, der komplexen<br />

Gemengelage differenzierter zu entsprechen.<br />

Florian Jeserich: Brauchen wir eine Religionsepidemiologie?<br />

Bereits 1987 schlugen der amerikanische Epidemiologe Jeffrey S.<br />

Levin und der Religionswissenschaftler Harold Y. Vanderpool vor, ein<br />

neues interdisziplinäres Forschungsfeld aufzubauen; sie nannten es<br />

Religionsepidemiologie („epidemiology <strong>of</strong> religion“). In den USA ist die<br />

Untersuchung potentieller positiver/negativer Zusammenhänge zwischen<br />

Religion/Spiritualität und Gesundheit mittlerweile kein marginales<br />

Forschungsgebiet mehr, sondern Teil des akademischen Mainstreams. Es fällt<br />

jedoch auf, dass diese Forschungen großteils von Psychologen, Medizinern<br />

und Soziologen forciert werden und gesundheitswissenschaftliche und<br />

religionswissenschaftliche Perspektiven auf den Gegenstand weitgehend<br />

fehlen. Warum ist der frühe Impuls von Levin und Vanderpool kaum<br />

wahrgenommen worden? Es sollen einige Probleme skizziert und diskutiert<br />

werden, die eine interdisziplinäre Zusammenarbeit auf diesem Gebiet<br />

erschweren.<br />

Anne Koch: Das Problem der Verknüpfung: Emische, religionswissenschaftliche<br />

und medizinische Vorstellungen zur Wirkweise spirituellen Heilens<br />

Interdisziplinäre Arbeit wirft häufig methodische Probleme auf: Eine<br />

Gretchenfrage ist die Wirkweise des spirituellen Heilens: Sind bestimmt<br />

72


Samstag, 17. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Interventionen effektiv und wenn ja, wie erkläre ich ihre Effektivität?<br />

Hier überschneiden sich Erklärungsansätze aus der Innenperspektive<br />

mit medizinisch-psychologischen und kulturwissenschaftlichen. Eine<br />

zentrale Rolle kommt der Kausalität zu, eine weitere der Beschreibung<br />

des Behandlungsgeschehens und welche Faktoren bei diesem für relevant<br />

gehalten werden. Aufgrund einer interdisziplinären Forschung mit einer<br />

Placeb<strong>of</strong>orscherin mit psycho-physiologischen wie sozialwissenschaftlichen<br />

Daten werden Thesen und <strong>of</strong>fene Fragen benannt.<br />

Foucault als Methode? Panel 1. Anwendungsfelder poststrukturalistischer<br />

und postkolonialer Theorien in der gegenwartsbezogenen<br />

Religionswissenschaft<br />

• Katja Rakow: Wissenssoziologische Diskursanalyse:<br />

Möglichkeiten und Grenzen der Anwendung in der<br />

religionswissenschaftlichen Forschung<br />

• Michael Bergunder: Religion als „leerer Signifikant“ und als<br />

Gegenstand der Religionswissenschaft<br />

• Ulrike Schröder: „Early Pillars <strong>of</strong> Saivism“: Konstruktionen<br />

sivaitischer Identität in Südafrika<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Katja Rakow: Wissenssoziologische Diskursanalyse: Möglichkeiten und<br />

Grenzen der Anwendung in der religionswissenschaftlichen Forschung<br />

Die diskurstheoretischen Überlegungen Michel Foucaults bieten zahlreiche<br />

Anknüpfungspunkte für wissenssoziologische Erweiterungen. Die<br />

Zusammenführung der diskurstheoretischen und der wissenssoziologischen<br />

Perspektive erfolgt hierbei auf Basis der gemeinsam geteilten Annahme<br />

einer sozialen Konstruktion von Wissen, Wahrnehmung und Erfahrung.<br />

Beide Ansätze zeichnen sich durch ein Interesse an der Formierung und den<br />

Folgen gesellschaftlich konstituierter Wissensordnungen aus. Die beiden<br />

Traditionen richten den Untersuchungsfokus jedoch unterschiedlich aus:<br />

Foucault weist den Institutionen und den wissenschaftlichen Disziplinen<br />

in der Produktion von Wissensformationen eine zentrale Rolle zu. Die<br />

hermeneutische Wissenssoziologie im Anschluss an Peter Berger und Thomas<br />

Luckmann richtet sich dagegen vornehmlich auf Mikroanalysen des Wissens<br />

73


Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Samstag, 17. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

und auf das Alltagswissen sozialer Akteure. Das von Reiner Keller vorgelegte<br />

Forschungsprogramm der Wissenssoziologischen Diskursanalyse (WDA)<br />

führt beide Perspektiven zusammen und liefert zugleich Vorschläge für eine<br />

methodische Umsetzung. Diese orientieren sich an qualitativen Erhebungsund<br />

Auswertungsverfahren vor allem textförmiger Daten, setzen auf eine<br />

verstehende Rekonstruktion und Analyse diskursiver Prozesse und Effekte und<br />

betonen die Unhintergehbarkeit der hermeneutisch-interpretativen Leistung<br />

des Forschers/der Forscherin. Anhand einer exemplarischen Analyse des<br />

Buddhismus-Bildes in deutschen Printmedien der Jahre 2007/2008 sollen<br />

die Möglichkeiten und Grenzen der Wissenssoziologischen Diskursanalyse<br />

diskutiert werden.<br />

Michael Bergunder: Religion als „leerer Signifikant“ und als Gegenstand<br />

der Religionswissenschaft<br />

Nichts ist wahrscheinlich umstrittener in der Religionswissenschaft als ihr<br />

Gegenstand. Die Vielzahl der bisherigen Definitionsversuche ist dabei<br />

Legende und eine Lösung ist nicht abzusehen. In dem Vortrag soll geprüft<br />

werden, ob es eine Alternative wäre, Religion als historischen Gegenstand<br />

zu bestimmen. In Anlehnung an Ernesto Laclau ließe sich Religion als<br />

identifikatorischer Allgemeinbegriff in Form eines leeren Signifikanten<br />

verstehen, dessen Artikulation jeweils in konkreter Zeit und an konkretem Ort<br />

erfolgt. Jede Artikulation ist dabei zugleich eine Re-Artikulation, ein Prozess,<br />

durch den „Religion“ Kontinuität erhält und eine Diskursgemeinschaft<br />

und verschiedene Diskursfelder hervorgebracht werden. In diesem Sinne<br />

wäre „Religion“ ein historisches Phänomen, welches weder nominalistisch<br />

noch idealistisch, sondern als kontingenter Knotenpunkt bzw. Fixierung<br />

eines strittigen Machtdiskurses verstanden wird. Der Ort der Bestimmung<br />

von „Religion“ wäre damit die historische Forschung und die historische<br />

Reichweite des so eruierten Religionsverständnisses hinge davon ab, ob<br />

bestimmte Rezeptions- und Traditionszusammenhänge als kontinuierlich<br />

oder diskontinuierlich bewertet werden. In diesem Sinne könnte „Religion“<br />

auch als Gegenstand der Religionswissenschaft verstanden werden. Die<br />

inhaltliche Bestimmung von Religion wäre dann aber keine separate<br />

Definitionsfrage mehr, sondern konstitutiver Teil jeder konkreten empirischen<br />

religionswissenschaftlichen Arbeit.<br />

74


Samstag, 17. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Ulrike Schröder: „Early Pillars <strong>of</strong> Saivism“: Konstruktionen sivaitischer<br />

Identität in Südafrika<br />

Die religionswissenschaftliche Erforschung des Hinduismus widmet sich<br />

in den letzten Jahren verstärkt der Erforschung religiöser Gemeinschaften,<br />

die sich in der „indischen Diaspora“, entstanden durch die postkolonialen<br />

Migrationsströme, angesiedelt haben. Von diesem neuen Interesse fast<br />

unberührt geblieben sind jedoch solche Gemeinschaften, die bereits auf<br />

eine koloniale Migrationsgeschichte, wie z.B. in Südafrika, zurückblicken.<br />

Nimmt man die Vielfalt religiöser Praktiken unter der indisch-stämmigen<br />

Bevölkerung Südafrikas ernst, so stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis<br />

diese zu den sie „autorisierenden“ religiösen Traditionen stehen bzw. ob und<br />

wie man die Zugehörigkeit dieser Gruppierungen zum „Hinduismus“ oder<br />

zu einzelnen spezifischen Traditionen überhaupt religionswissenschaftlich<br />

abbilden kann. Der Vortrag geht dieser Frage anhand des Beispiels<br />

sivaitischer Gemeinschaften in Südafrika nach. Unter Einbeziehung<br />

des diskurstheoretischen Ansatzes von Ernesto Laclau soll zum einen<br />

untersucht werden, wie diese Gemeinschaften ihre Zugehörigkeit zur<br />

Tradition des Saiva Siddhanta definieren und wie eine solche Konstruktion<br />

religionswissenschaftlich untersucht werden kann. Zum anderen soll kritisch<br />

diskutiert werden, inwiefern sich diskurstheoretische Ansätze auf konkrete<br />

Gegenstandsbereiche innerhalb der Religionswissenschaft übertragen<br />

lassen, ohne deren kritisches Potential zu überdecken.<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Religionswissenschaft im Aufwind: Schein oder Sein?<br />

• Bretislav Horyna: Religionswissenschaft im Aufwind der<br />

Machtpolitik<br />

• Steffen Führding: Religionswissenschaft im Aufwind?<br />

Empirische Befunde, theoretische Überlegungen<br />

• Katharina Frank: Qualitative und quantitative<br />

Religionsforschung in religionswissenschaftlicher Perspektive.<br />

Eine kritische und konstruktive Reflexion bislang getätigter<br />

Untersuchungen<br />

75


Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Samstag, 17. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

• Thomas Hase: Religionswissenschaft als Kulturwissenschaft?<br />

Eine Anfrage<br />

• Sarah Jahn: Außeruniversitäre Religionswissenschaft im<br />

Aufwind? Eine organisationssoziologische Analyse anhand<br />

religionswissenschaftlicher Vereine<br />

Bretislav Horyna: Religionswissenschaft im Aufwind der Machtpolitik<br />

Religionswissenschaft im Aufwind ist eine Metapher. Nicht aber kognitive,<br />

sondern leere Metapher, die nicht die Wirklichkeit, wie sie ist, mit<br />

anderen Worten zu beschreiben versucht, sondern nur die Wünsche der<br />

ReligionswissenschaftlerInnen ausdrückt. Die bloße Tatsache, dass in den<br />

Medien der Begriff „Religion“, besonders aber „religiöser Fanatismus“,<br />

bestenfalls „Religionsforschung“ heute eine Konjunktur haben, könnte<br />

der Religionswissenschaft als transdiziplinärer Wissenschaft Anlass zum<br />

Jubeln geben. Religionswissenschaft ist nicht wichtiger geworden, die<br />

Ergebnisse ihrer Forschungen haben keine größere Bedeutung als früher,<br />

als man Religionswissenschaft besonders in Leipzig und Umgebung eine<br />

„Orchideen- oder Gemüsewissenschaft“ nannte. In gewissem Sinne ist<br />

Religionswissenschaft im Aufwind die finalisierte Religionswissenschaft;<br />

die äußeren Zwecke sind aber mit der Machtpolitik besonders der USA<br />

verbunden, die ihre ökonomischen und zugleich damit politischen und<br />

globalen Ziele bei der Machtverteilung folgen. Die Machtpolitik („wir<br />

kämpfen gegen Terroristen, nicht gegen Islam“ – Obama; wer als Terrorist<br />

gilt, bestimmen aber die USA) ist aber kein Feld für die Entwicklung<br />

jedweder Wissenschaft. Philosophia ancilla theologiae, sagten die größten<br />

Theologen des Mittelalters; Religionswissenschaft ist im Aufwind und damit<br />

sie zur ancilla potestatis potentes geworden.<br />

Steffen Führding: Religionswissenschaft im Aufwind? Empirische Befunde,<br />

theoretische Überlegungen<br />

In den letzten Jahren ist vielfach eine Bedeutungszunahme der<br />

Religionswissenschaft konstatiert worden. Aus einem Orchideenfach sei<br />

eine stark nachgefragte „Gemüsedisziplin“ geworden. In diesem Vortrag soll<br />

76


Samstag, 17. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

diese Behauptung empirisch geprüft und die Gründe für diese Sichtweise<br />

herausgearbeitet werden. In einem weiteren Schritt soll überlegt werden,<br />

welche strukturellen und institutionellen Entwicklungen notwendig sind, um<br />

die Zukunft und Identität der Religionswissenschaft jenseits der politischen,<br />

sozialen und massenmedialen Konjunktur des Themas „Religion“ zu sichern.<br />

Katharina Frank: Qualitative und quantitative Religionsforschung in religionswissenschaftlicher<br />

Perspektive. Eine kritische und konstruktive Reflexion<br />

bislang getätigter Untersuchungen<br />

In der Regel wird in der gegenwartsbezogenen Religionswissenschaft<br />

nur qualitativ geforscht; die quantitative Forschung wird abgelehnt<br />

oder gar bekämpft. Damit stellt sich die Religionswissenschaft jedoch<br />

gesellschaftlich ins Abseits, denn politische und rechtliche Entscheidungen<br />

fußen auf quantitativen Daten, und mediale Aufmerksamkeit gewinnt eine<br />

wissenschaftliche Disziplin vor allem mit Resultaten aus quantitativen<br />

Untersuchungen.<br />

Der Vortrag zeigt auf, inwiefern religionswissenschaftlich-qualitative<br />

Forschung zu einer verbesserten quantitativen Religionsforschung beitragen<br />

kann, ohne den Eigenwert qualitativ entwickelter Erkenntnisse zu verlieren.<br />

Illustriert wird dieses Potential der Religionswissenschaft u.a. anhand eines<br />

eigenen Beispiels zur Religionsunterrichtsforschung in der Schweiz.<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Thomas Hase: Religionswissenschaft als Kulturwissenschaft? Eine Anfrage<br />

Ist Religionswissenschaft eine Kulturwissenschaft? Behauptet wird es<br />

allenthalben. Aber was genau wird da behauptet? Handelt es sich lediglich<br />

um die wahrscheinlich unbestrittene Feststellung, dass unser Fach seinen<br />

Gegenstand als Kulturphänomen konzeptionalisiert und erforscht?<br />

Offenkundig ist mehr gemeint: Seit vielen Jahren wird in einschlägigen<br />

Publikationen der „cultural turn“ zitiert, wobei auch hier nicht immer<br />

deutlich wird, was genau es damit auf sich hat. Erkennbar ist,<br />

dass die meisten Autoren mit dieser Formel eine programmatische<br />

Neuausrichtung der Religionswissenschaft verbinden. Diese „Wende“<br />

wird regelmäßig ganz explizit mit der Behauptung einer neuen<br />

77


Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Samstag, 17. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Relevanz der Religionswissenschaft verknüpft. Beide Postulate – das der<br />

kulturwissenschaftlichen Wende und das der neuen Relevanz der<br />

Religionswissenschaft – werden in dem Referat kritisch hinterfragt.<br />

Sarah Jahn: Außeruniversitäre Religionswissenschaft im Aufwind? Eine organisationssoziologische<br />

Analyse anhand religionswissenschaftlicher Vereine<br />

Der außeruniversitäre Bereich der Religionswissenschaft ist nicht nur<br />

als Ansprechpartner für die interessierte Öffentlichkeit sowie für den<br />

Medien- und Politikbereich relevant, sondern auch für die universitäre<br />

Religionswissenschaft. Durch die Umstrukturierung der Studiengänge in<br />

Bachelor und Master sowie der in der öffentlichen Diskussion häufig zu<br />

vernehmenden Forderung nach Praxisbezogenheit im Studium stehen<br />

außeruniversitäre Organisationen zunehmend im Interesse von Studierenden<br />

und Lehrenden.<br />

Der Vortrag beleuchtet das Feld der außeruniversitären Religionswissenschaft:<br />

Am Beispiel von Vereinen mit einem religionswissenschaftlichen<br />

Selbstverständnis wird der Frage nachgegangen, inwiefern die Konjunktur<br />

des Themas „Religion“ auch diesen Bereich erfasst. Anhand einer<br />

organisationssoziologischen Analyse werden die Fragen des Panels in<br />

angewandter Form diskutiert:<br />

1. Welche institutionellen und strukturellen Auswirkungen hat das<br />

öffentliche Interesse am Thema „Religion“ für die außeruniversitäre<br />

Religionswissenschaft? Kann für diesen Bereich von „Aufwind“<br />

gesprochen werden?<br />

2. Welche Entwicklungschancen und Zukunftsperspektiven hat die<br />

außeruniversitäre Religionswissenschaft, wenn man diese ohne die<br />

Konjunktur des Themas „Religion“ zu ermitteln versucht?<br />

3. Welche institutionellen und strukturellen Maßnahmen können<br />

vorgenommen werden oder sind notwendig, um die außeruniversitäre<br />

Religionswissenschaft auch ohne die heutige politische, soziale und<br />

massenmediale Konjunktur des Themas „Religion“ in Zukunft zu sichern?<br />

78


Samstag, 17. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Theoretische Perspektiven der aktuellen Religionsforschung<br />

• Johann Ev. Hafner: Religionswissenschaft und Systemtheorie<br />

• Alina Patru: Konstruierte Wirklichkeiten in der<br />

Religionsforschung? Einige Überlegungen am Beispiel des<br />

Judentums im heutigen China<br />

Johann Ev. Hafner: Religionswissenschaft in Potsdam<br />

Weil die Potsdamer Religionswissenschaft sowohl einen BA<br />

Religionswissenschaft anbietet, als auch an der konfessionsneutralen<br />

Religionskunde in der Lehrerausbildung (LER) als auch an der<br />

konfessionellenAusbildung von liberalen Rabbinern (Geiger-Kolleg)<br />

mitwirkt, nimmt diefaktische Wirken normativen religiösen Wissens<br />

einen breiten Raum ein. Sie beobachtet, wie sich stark kodierte Formen<br />

(Gesetze, Dogmatiken) gegenüber schwach kodierten (Volksfrömmigkeiten,<br />

Volkskirchen) durchsetzen bzw. relativieren lassen. Was in religiöser<br />

Selbstbeschreibung als Sieg der Wahrheit dargestellt wird, zeigt sich in der<br />

wissenssoziologischen Rekonstruktion als Spiel von Inflation und Deflation.<br />

Die Ausbreitung einer Form hängt u.a. davon ab, wie leicht sie sich mit<br />

anderen Formen kombinieren und von Programmen kontrollieren lässt.<br />

Um solche Zusammenhänge zu beschreiben, wird auf systemtheoretisches<br />

Instrumentar zurück gegriffen. Dieses vermag, die Eigendynamik religiöser<br />

Begriffe und Sätze zu erklären. Aber es zieht den Verdacht auf sich,<br />

durch Abstraktionen eine kontextunabhängige Metalogik einzuführen.<br />

Über Möglichkeiten und Grenzen systemtheoretischen Arbeitens in der<br />

Religionswissenschaft soll im Vortrag nachgedacht werden.<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Alina Patru: Präsenz und Wahrnehmung des heutigen Judentums in der VR<br />

China und in Hong Kong<br />

Der Beitrag behandelt die gegenwärtige Lage des Judentums in der VR<br />

China und Hong Kong, und verfolgt die Entwicklung der Gemeinden<br />

unter den veränderten Bedingungen nach der Ende der Kulturrevolution<br />

bzw. nach der Eingliederung Hong Kongs. Die interne Dynamik der<br />

Gemeinden, aber auch deren neue Situierung angesichts des Wandels<br />

79


Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Samstag, 17. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

in der gesellschaftspolitischen Situation sollen beleuchtet werden.<br />

Unter dem Wirken der Chabad-Bewegung erleben die Juden, sei es solche,<br />

die sich aus Handelsgründen für eine begrenzte Zeit in der VR China<br />

aufhalten, sei es solche, die schon seit Generationen in Hong Kong leben,<br />

eine Stärkung der eigenen Identität. Diese deckt sich aber nicht total mit<br />

der früheren sephardischen bzw. aschkenasischen Identität, sondern<br />

enthält neue, Chabad-spezifische Prägungen. Die Änderungen in der<br />

weltpolitischen Situation wirken sich ebenfalls auf die hier lebenden Juden<br />

aus. Das Judentum ist auch in der Wahrnehmung der Chinesen viel präsenter<br />

als früher; diese Wahrnehmung entsteht jedoch in der Regel nicht durch<br />

Kontakte mit den wenigen jüdischen Gruppierungen in der VR China und in<br />

Hong Kong, sondern vielmehr durch Berichte der Medien, Internetbeiträge<br />

oder diverse Veröffentlichungen. Es wird der Frage nachgegangen werden,<br />

welches Pr<strong>of</strong>il das Judentum in der VR China und in Hong Kong entwickelt<br />

und inwieweit dieses sich mit der Wahrnehmung der Chinesen deckt.<br />

11:15 bis 12:45 Uhr<br />

Zur Relevanz religionswissenschaftlicher Forschung: Gesundheitsgesellschaft<br />

und ihre Spiritualisierung als Herausforderung. Panel 2.<br />

Religionsgeschichtliche Forschungen<br />

• Markus Hero: Vom New Age zum Anti-Age. Zur Relevanz<br />

zeitgenössischer Spiritualität auf dem Gesundheits- und<br />

Fitnessmarkt<br />

• Inken Prohl: Asiatische Spiritualität als Matrix<br />

psychophysiologischer Praktiken des Wellbeing<br />

• Liane H<strong>of</strong>mann: Spiritualität in der Psychotherapie – eine<br />

Trendwende?<br />

Markus Hero: Vom New Age zum Anti-Age. Zur Relevanz zeitgenössischer<br />

Spiritualität auf dem Gesundheits- und Fitnessmarkt<br />

Die „Dispersion des Religiösen“ (Hans-Joachim Höhn) in neue<br />

Dienstleistungsmärkte gehört zu den auffallenden gegenwärtigen<br />

80


Samstag, 17. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Wandlungserscheinungen. In dem Maße, in dem sich neue Gruppen<br />

von Experten religiöser Ideen bemächtigen und eine diesbezügliche<br />

Deutungshoheit beanspruchen, weiten sich die Bezugs- und<br />

Anwendungsfelder des Religiösen. So stehen die letzten Jahrzehnte für<br />

eine Loslösung religiöser Ideen von der vorrangigen Fokussierung auf das<br />

„Seelenheil“ und das „Jenseits“ hin zu den vielfältigen, <strong>of</strong>t kurzfristigen<br />

Moden unterliegenden Bereichen des „Coachings“, des „Lifestyles“ und der<br />

körperlichen und mentalen „Fitness“.<br />

Inken Prohl: Asiatische Spiritualität als Matrix psychophysiologischer Praktiken<br />

des Wellbeing<br />

Transformierte und selektierte Formierungen asiatischer Religionen<br />

spielen auf dem Gesundheits- und Wellnesssektor hochindustriealisierter<br />

Gesellschaften eine zunehmend wichtige Rolle. Als überaus erfolgreich<br />

haben sich dabei Yoga, TCM und Ayurveda erwiesen, daneben erfreuen sich<br />

Angebote wie Jon Kabat-Zinns Mindfulness Based Stress Reduction Therapy<br />

sowie vom tibetischen Buddhismus und vom Zen inspirierte Vorstellungen<br />

und Praktiken großer Beliebtheit. Diesen Praktiken wird ein breites<br />

Wirkungsspektrum zugeschrieben: Dieses erstreckt sich vom Bereich des<br />

Wellness über Stressbewältigung und Selbstoptimierung bis hin zum Einsatz<br />

im psychotherapeutischen Bereich zur Heilung von körperlichem und<br />

seelischem Leiden. In meinem Vortrag möchte ich zwei Thesen vorführen:<br />

Bezug nehmend auf die dominierende Rolle, welche psychologische<br />

Paradigmen im Laufe des 20. Jahrhundert bis in die Gegenwart einnehmen, gilt<br />

es zum einen zu zeigen, dass die Faktoren der Transformation und Selektion,<br />

die bei der Formierung dieser Praktiken wirken, als Psychologisierung<br />

zu fassen sind. Zum anderen gilt es die Dynamik herauszuarbeiten, die<br />

dem Label „asiatische Spiritualität“ für die Legitimität, den Erfolg und die<br />

möglichen Wirkungen dieser Praktiken beigemessen werden kann.<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Liane H<strong>of</strong>mann: Spiritualität in der Psychotherapie – eine Trendwende?<br />

Innerhalb der akademischen Disziplin der Psychologie und der empirischwissenschaftlich<br />

begründeten Pr<strong>of</strong>ession der Psychotherapie fanden<br />

81


Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Samstag, 17. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

die spirituelle und religiöse Dimension menschlicher Erfahrung infolge<br />

spezifischer historisch-kultureller sowie wissenschaftshistorischer<br />

Entwicklungen lange Zeit wenig Berücksichtigung.<br />

Etwa seit Beginn der 1990erJahre lässt sich diesbezüglich ein deutlicher Wandel<br />

beobachten. Einhergehend mit dem wachsenden gesamtgesellschaftlichen<br />

Interesse an den verschiedensten Formen individualisierter Spiritualität und<br />

traditioneller Religiosität, lässt sich innerhalb der Fachliteratur ein geradezu<br />

explosionsartiger Anstieg von Publikationen zu den Möglichkeiten einer<br />

Einbeziehung von Spiritualität und Religiosität im Kontext der klinischpsychotherapeutischen<br />

Praxis feststellen. Ein weiteres Kernthema hierbei ist<br />

die Untersuchung und systematische Nutzbarmachung des Zusammenhangs<br />

zwischen spiritueller / religiöser Orientierung einerseits und psychischer<br />

und körperlicher Gesundheit andererseits. Bei der Entwicklung und<br />

Implementierung von derartigen Ansätzen ist eine interdisziplinäre<br />

Herangehensweise erforderlich. Für den Bereich der Psychotherapie<br />

bedeutet dies konkret, die Voraussetzungen, Möglichkeiten und Grenzen<br />

einer Einbeziehung von Spiritualität und Religiosität innerhalb ihrer<br />

pr<strong>of</strong>essionellen Rahmenbedingungen zu sondieren. Es werden Befunde<br />

einer bundesweiten Erhebung zum Thema vorgestellt und erste Antworten<br />

auf diese Fragen diskutiert.<br />

Foucault als Methode? Panel 2. Zur Anwendung postkolonialer und<br />

poststrukturalistischer Theorien in der historischen Religionswissenschaft<br />

• Sara Heinrich: Die „Debatte um Geschichte“ zwischen<br />

M. Foucault und J. Derrida und ihre Relevanz für die<br />

Esoterikforschung am Beispiel A. Kingsfords (1846-1888)<br />

• Yan Suarsana: Geschichte als „retroaktiver Effekt“ der<br />

Benennung: Zur Konstruktion des historischen Gegenstands<br />

„Pfingstbewegung“<br />

• Jörg Haustein: Stimmen zum Islam in Deutsch-<br />

Ostafrika: Repräsentation und Alterität in der<br />

Religionsgeschichtsschreibung<br />

• Ricarda Stegmann: Shalini Randerias Modell der entangled<br />

histories am Beispiel der Debatte um den Islam in Frankreich<br />

82


Samstag, 17. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Sara Heinrich: Die „Debatte um Geschichte“ zwischen M. Foucault und J.<br />

Derrida und ihre Relevanz für die Esoterikforschung am Beispiel A. Kingsfords<br />

(1846-1888)<br />

Auf poststrukturalistische Philosophien geht die Einsicht zurück, dass<br />

Geschichte keine objektive Größe im Sinne „abbildbarer vergangener<br />

Wirklichkeit“ darstellt, sondern dass Historiographie und Historie zugleich<br />

Produkt und Produzent von Wirklichkeit sind, die sich wechselseitig als<br />

„wahr“ erweisen. Wie kann – angesichts dieser Einsicht – Geschichte<br />

geschrieben werden? Diese Frage bildet den gemeinsamen Ausgangspunkt<br />

der Debatte um Geschichte zwischen M. Foucault und J. Derrida.<br />

Der Vortrag wird zentrale Aspekte der Debatte aufgreifen und am Beispiel der<br />

Medizinerin, Theosophin und römisch-katholischen Christin A. Kingsfords<br />

(1846-1888), der bislang von Seiten akademischer Esoterikforschung kaum<br />

Aufmerksamkeit zuteil wurde, die Herausforderungen für die historische<br />

Esoterikforschung diskutieren. Dabei soll die grundlegende Streitfrage –<br />

nach den epistemologischen Voraussetzungen und Grenzen diskursiver<br />

Geschichtsschreibung – im Zentrum stehen: Kann die Anwendung der<br />

„genealogischen Methode“ im Sinne Foucaults die Forscherin befähigen,<br />

Teile einer bislang „verdeckten“ Geschichte der Esoterik zu schreiben und<br />

diese „sichtbar“ zu machen oder stellt dies nur die Einnahme eines weiteren,<br />

selbst kontingenten historischen Standpunkts dar?<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Yan Suarsana: Geschichte als „retroaktiver Effekt“ der Benennung: Zur<br />

Konstruktion des historischen Gegenstands „Pfingstbewegung“<br />

Als eine der jüngsten und facettenreichsten Strömungen des Christentums<br />

hat die Pfingstbewegung bereits zur Zeit ihrer Entstehung vor etwa 100<br />

Jahren den Prozess der eigenen Genese intensiv durch die Produktion<br />

historiographischer Texte begleitet. Früh konkurrierte dabei die Idee eines<br />

durch den Heiligen Geist in aller Welt gleichzeitig bewirkten neuen Pfingsten<br />

mit dem Konzept eines US-amerikanischen Ursprungs der Pfingstbewegung,<br />

das in den 60er Jahren auch von der akademischen (pentekostalen)<br />

Religionsgeschichtsschreibung aufgegriffen wurde. Auf diese Weise war<br />

die Identitätskonstruktion innerhalb der Pfingstbewegung zu allen Zeiten in<br />

gehöriger Weise von der Geschichtsschreibung abhängig.<br />

83


Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Samstag, 17. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Die von Hayden White vorgebrachten Überlegungen zur narrativen Struktur<br />

und zum Plotcharakter historiographischer Texte können ganz konkret dazu<br />

dienen, das Diskursprodukt „Pfingstbewegung“ als historischen Gegenstand<br />

intelligibel zu machen. Nicht die Frage, wie sich die Pfingstbewegung im<br />

Laufe ihrer Geschichte entwickelt hat, sondern wie sie im Rahmen der<br />

historiographischen Literatur als eigenständiger Gegenstand erzeugt wurde,<br />

steht hierbei im Vordergrund. So lassen sich die Erzählungen und inhaltlichen<br />

Konzepte der pentekostalen Historiker im Sinne eines „retroaktiven Effekts“<br />

(Slavoj Žižek) der Benennung der Pfingstbewegung als einer abgrenzbaren<br />

Größe begreifen, die den „reinen Signifikanten“ mit Substanz auszufüllen<br />

suchen und die Pfingstbewegung damit als „Gegenstand der Geschichte“<br />

erst erschaffen.<br />

Jörg Haustein: Stimmen zum Islam in Deutsch-Ostafrika: Repräsentation<br />

und Alterität in der Religionsgeschichtsschreibung<br />

84<br />

Die Frage der Repräsentation markiert eines der zentralen Probleme der<br />

Religionsgeschichte, insbesondere da religionsgeschichtliche Quellen in<br />

besonderer Weise mit dem kolonialen Wissensarchiv Europas verwoben<br />

sind und so die epistemische Gewalt der Repräsentation verdeutlichen.<br />

Die Frage ist nun, ob und inwiefern Religionsgeschichtsschreibung<br />

hinter diese Instanzen der Repräsentation blicken kann, um Alterität und<br />

Handlungsmacht der Repräsentierten zu rekonstruieren. In ihrer kritischen<br />

Diskussion des Projekts der „Subaltern Studies“ hat Gayatri Spivak darauf<br />

hingewiesen, dass die postkoloniale Rekonstruktion unterdrückter Akteure<br />

wiederum nur das sprechende Subjekt Europas einführt, da bestimmte<br />

Vorstellungen von Rationalität, Handlungsintention und Authentizität an<br />

die Stelle eines Schweigens gesetzt werden. Dagegen gelte es, eben jenes<br />

Schweigen zu vermessen und die Stimme „des anderen in uns delirieren zu<br />

lassen“.<br />

Der Vortrag setzt sich mit diesem Vorschlag und Dipesh Chakrabartys<br />

ähnlich gelagertem Projekt der „Provinzialisierung Europas“ auseinander,<br />

und bringt sie ins Gespräch mit religionshistorischen Forschungen zum<br />

Islam in Tanganjika in der deutschen Kolonialzeit. Im Zentrum der Analysen<br />

steht dabei die koloniale Debatte zur Identität „des“ Islams Deutsch-<br />

Ostafrikas, die jedoch nicht in ihrer Wirkmächtigkeit, sondern gerade von<br />

ihren Grenzen her in den Blick genommen werden soll.


Samstag, 17. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Ricarda Stegmann: Shalini Randerias Modell der entangled histories am<br />

Beispiel der Debatte um den Islam in Frankreich<br />

Shalini Randeria betont insbesondere in Bezug auf koloniale Kontexte die<br />

wechselseitige Identitätskonstitution von Kolonisierenden und Kolonisierten,<br />

die sie auf der Ebene von Institutionen und gesellschaftlichen Diskursen<br />

mit Hilfe des Konzepts der entangled histories zu fassen sucht. Während<br />

der gemeinsamen Kolonialgeschichte haben die kolonisierenden und die<br />

kolonisierten Länder demnach sowohl ähnliche Strukturen (shared history)<br />

als auch das Bedürfnis zu Abgrenzung und Differenz (divided history)<br />

hervorgebracht. In diesem Vortrag soll die Nutzbarkeit von Shalini Randerias<br />

Modell der entangled histories für die Analyse der Spezifika muslimischreligiösen<br />

Expertentums sowie des islamischen Rechts im französischalgerischen<br />

Kolonialkontext geprüft werden. Die Ergebnisse werden in einem<br />

zweiten Schritt in einen Zusammenhang mit aktuellen Islamdebatten in<br />

Frankreich wie Kopftuchverbot, Imamausbildung oder die Repräsentativität<br />

des nationalen Muslimrates gestellt.<br />

Auch diese Problemkomplexe erscheinen unter Einbeziehung der<br />

gemeinsamen franko-algerischen Geschichte in neuem Licht: Algerischmuslimische<br />

Positionen erscheinen so nicht als Elemente eines fremden<br />

Kulturkreises, sondern als eine von vielen möglichen Positionen zum Modell<br />

„Frankreich“, die die französische Geschichte selbst hervorgebracht hat.<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Theoriebildungen im Interferenzfeld von Altorientalistik, Altertumswissenschaft<br />

und Religionswissenschaft<br />

• Michael Weichenhan: Die altägyptische Religion und das<br />

liberale Christentum: Christian Karl Josias v. Bunsen und die<br />

Anfänge der wissenschaftlichen Ägyptologie<br />

• Anja Hänsch: Inanna-Ischtar: Hysterikerin, Schamanin oder<br />

befreite Frau? Zur Relevanz der Geschlechterforschung für<br />

die Wissenschaftsgeschichte einer Göttin<br />

• Darja Sterbenc Erker: Fremdheit in Ritual und Text: Antike<br />

und heute<br />

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Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Samstag, 17. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Michael Weichenhan: Die altägyptische Religion und das liberale Christentum:<br />

Christian Karl Josias v. Bunsen und die Anfänge der wissenschaftlichen<br />

Ägyptologie<br />

Mit Champollion begann die moderne Ägyptologie. Einer der ersten<br />

Anhänger seiner revolutionären Deutung der Hieroglyphen war der<br />

preußische Diplomat Christian K. J. v. Bunsen (1791–1860). Gemeinsam<br />

mit Alexander v. Humboldt trug er entscheidend dazu bei, dass von 1842<br />

bis 1846 die von seinem Schüler Richard Lepsius geleitete Expedition<br />

nach Ägypten durchgeführt wurde, die den preußischen Staat zu einem<br />

der führenden Staaten auf dem Feld der Ägyptologie machte. In seinem<br />

fünfbändigen Monumentalwerk „Aegyptens Stelle in der Weltgeschichte“,<br />

die zwischen 1844 und 1857 erschienen, unternahm v. Bunsen den Versuch<br />

einer chronologischen Situierung der ägytischen Monumente im Rahmen<br />

der Religionsgeschichte der Alten Welt, ein Werk, das seine Fortsetzung<br />

in dem dreibändigen „Gott in der Geschichte“ fand, das 1857 bis 1858<br />

publiziert wurde.<br />

Das als Dokument der Frühgeschichte der modernen Ägyptologie bislang<br />

kaum angemessen gewürdigte Werk Bunsens soll unter folgenden Aspekten<br />

betrachtet werden:<br />

1. Die Entzauberung Ägyptens: Der Bruch mit der frühneuzeitlichen<br />

Ägyptologie<br />

2. Ägypten als Ausgangspunkt: Die Transformation der traditionellen<br />

Erwartungen an Ägypten in eine Geschichtsphilosophie<br />

3. Ägypten als Präformationsfigur des künftigen Christentums.<br />

Religionsgeschichte und liberales Christentum.<br />

Anja Hänsch: Inanna-Ischtar: Hysterikerin, Schamanin oder befreite Frau?<br />

Zur Relevanz der Geschlechterforschung für die Wissenschaftsgeschichte<br />

einer Göttin<br />

Die altorientalische Göttin Inanna-Ischtar gilt als eine überaus schillernde<br />

Gottheit. Dietz Otto Edzard schreibt in seinem Band zur Mythologie der<br />

Sumerer und Akkader, dass Inanna-Ischtar „die hervorragendste und<br />

wegen ihrer vielfältigen und vielschichtigen Gestalt am schwierigsten<br />

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Samstag, 17. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

zu erfassende Göttin des sumerischen und akkadischen Pantheons“ sei.<br />

Ähnliche Beschreibungen der Göttin durchziehen die Altorientalistik des<br />

20. Jahrhunderts.<br />

Auffallend ist in der Forschung, dass die Fülle der Charakteristika Inanna-<br />

Ischtars in der großen Bandbreite der emotionalen Zugänge zu der Göttin<br />

eine Entsprechung findet. So belegt Gössmann die mesopotamische<br />

Himmelskönigin in einem Kommentar zum Gilgamesch-Epos mit dem<br />

Adjektiv hysterisch; Samuel Noah Kramer erscheint sie als Prototyp der<br />

befreiten Frau und Brigitte Groneberg betont die schamanischen Qualitäten<br />

der Göttin, um nur einige Beispiele zu nennen.<br />

Dieser Beitrag will zeigen, dass sich manche Deutungen der Göttin Inanna-<br />

Ischtar mit Hilfe der Frauen- und Geschlechterforschung erschließen lassen.<br />

Die geschichtlich bedingten Konstruktionen von Geschlecht spiegeln sich in<br />

der Wissenschaftsgeschichte der Inanna-Ischtar wider.<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Darja Sterbenc Erker: Fremdheit in Ritual und Text: Antike und heute<br />

Das Konzept der Fremdheit ist seit der Antike ein fester Bestandteil des<br />

religiösen Diskurses. Im Vortrag werden die verschiedenen religiösen<br />

Ausdrucksformen der Andersartigkeit analysiert, um die Übereinstimmungen<br />

und Kontraste zwischen antiken und heutigen Auffassungen der religiösen<br />

Fremdheit zu zeigen. Es wird der Frage nachgegangen, durch welche<br />

Merkmale die Religionen, Überzeugungen, Rituale und Kultgegenstände<br />

gekennzeichnet werden, um auf ihre Fremdheit zu verweisen. Dabei<br />

werden die Konzepte der religiösen Alterität auf drei Ebenen untersucht:<br />

Erstens die Durchführung der Rituale, zweitens die Diskurse über die<br />

religiöse Praxis, drittens die normative Ordnung. Die Grenze zwischen<br />

fremden und einheimischen rituellen Praktiken erweist sich als sehr fragil,<br />

da exotische Bräuche und Glaubensinhalte für die Anderen nicht begreifbar<br />

sind. Fremde religiöse Einflüsse kommen häufig als eine kreative Mischung<br />

aus einheimischen rituellen Elementen und „fremden“ Zutaten zustande.<br />

Die Diskurse über religiöse Praxis sind häufig eine Reflexion über die<br />

Akzeptanz oder Ablehnung fremder Rituale und Glaubensinhalte. Die<br />

Fremdartigkeit der rituellen Performanz an sich ist nicht ausschlaggebend<br />

für die positive oder negative Sicht auf die fremde Religion, sondern das<br />

Bedürfnis einer Gesellschaft, sich von den fremden Einflüssen abzugrenzen<br />

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Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Samstag, 17. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

oder sie aufzunehmen. Die normative Ordnung wie die geschriebene oder<br />

mündliche rechtliche Tradition, speist sich aus den jeweiligen Diskursen,<br />

die das Fremde integrieren oder ablehnen. Abschließend wird über die<br />

Aktualität der Unterscheidung zwischen dem Eigenen und dem Fremden in<br />

der heutigen Zeit reflektiert.<br />

Musik und Religion – Hörproben aus dem Forschungsfeld Religionsmusikologie<br />

• Isabel Laack: Das Forschungsfeld Religionsmusikologie –<br />

Skizzen einer Partitur<br />

• Luise Lampe: Religiöse Musikdeutung in der gegenwärtigen<br />

Klassikszene<br />

• Lidia Guzy: Die Klänge der Göttin. Zur Ethnographie von<br />

Religion und Musik im westlichen Orissa/Indien<br />

Isabel Laack: Das Forschungsfeld Religionsmusikologie – Skizzen einer Partitur<br />

In diesem Vortrag werden erste Skizzen möglicher Partituren für das Erklingen<br />

von Forschungsprojekten im Feld Religionsmusikologie vorgestellt. Sie<br />

basieren auf mehreren Jahren der Forschung auf diesem Gebiet, insbesondere<br />

im Rahmen meiner Dissertation, in denen ich verschiedene Instrumente und<br />

ihr Klangspektrum testete, meine technischen und kreativen Fähigkeiten<br />

trainierte und Rhythmen, Formen von Polyphonie und melodische Motive<br />

entwickelte.<br />

Die Vorstellung der Skizzen umfasst verschiedene Aspekte<br />

religionsmusikologischer Arbeit: Eine Verortung in der Disziplingeschichte<br />

und im Bereich gegenwärtig dominanter Kompositionsregeln<br />

(Wissenschaftsverständnissen) dienen als Grundlage für eine Übersicht,<br />

welche Instrumente für das Umsetzen welcher religionswissenschaftlicher<br />

Klangvorstellungen geeignet sind. Die verschiedenen Ebenen von Klang<br />

und Musik und Möglichkeiten ihrer methodischen Erschließung werden<br />

aufgeschlüsselt und erläutert, welche Funktionen sie in der motivischen<br />

Entwicklung religionswissenschaftlicher Theorie einnehmen können.<br />

Schließlich werden einige dieser Motive beispielhaft analysiert wie<br />

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Samstag, 17. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

die Frage nach dem Stellenwert der Erforschung religiöser Erfahrung in<br />

der Religionswissenschaft. Wurde diese im Zuge der Abgrenzung von<br />

der Religionsphänomenologie weitgehend als Forschungsgegenstand<br />

ausgeklammert, kommen wir in der Religionsmusikologie nicht umhin, uns<br />

der Frage zu stellen, was wir und die von uns untersuchten Akteure unter<br />

„Erfahrung“ verstehen und wer sie wann und warum als „religiös“ oder<br />

„spirituell“ definiert.<br />

Luise Lampe: Religiöse Musikdeutung in der gegenwärtigen Klassikszene<br />

Wenn Interpreten von Musik erläutern, was sie unter dieser verstehen und<br />

wie sie diese erleben, kommen nicht selten philosophische und/oder im<br />

weitesten Sinne „religiöse“ Vorstellungen zum Tragen. Dies ist sowohl im<br />

Bereich des Pop und Jazz als auch in der Welt der klassischen Musik zu<br />

beobachten.<br />

Welche entsprechenden Musikkonzepte bei Interpreten klassischer Musik<br />

konkret Verwendung finden und wie diese möglicherweise mit Aspekten<br />

von Gegenwartsreligiosität und -kultur sowie europäischer Musik- und<br />

Religionsgeschichte zusammenhängen, soll das Thema meines Vortrags<br />

sein. Dabei sollen theoretische und historische Hintergründe erläutert sowie<br />

einige Fallbeispiele multimedial vorgestellt werden.<br />

Mit diesem Thema im Schnittfeld von Religions- und Musikwissenschaft<br />

ergibt sich ein weiteres Forschungsfeld für die im Entstehen begriffene<br />

Religionsmusikologie, die sich der überfälligen kulturwissenschaftlichen<br />

Erforschung des vielgestaltigen Zusammenhangs von „Religion“ und<br />

„Musik“ widmet.<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

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Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Samstag, 17. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Lidia Guzy: Die Klänge der Göttin. Zur Ethnographie von Religion und<br />

Musik im westlichen Orissa/Indien<br />

Anhand meiner Forschungen zu Musiktraditionen des westlichen Orissa<br />

möchte ich in diesem Vortag die kulturspezifische Verbindung von Religion<br />

und Musik aufzeigen. Durch langwierige Feldforschungen habe ich ein<br />

weitgehend unbekanntes lokales Religionssystem erkundet, das vor allem<br />

auf den Klängen unterschiedlicher Instrumente basiert.<br />

In der Bora Sambar Gegend des westliches Orissas (Indien) ist das Medium<br />

Musik Bedeutungsträger einer lokalen Botschaft: Die Botschaft heißt, dass<br />

Rhythmen und Klänge des Dorforchesters Ganda Baja die Sprache lokaler<br />

Göttinnen repräsentieren, transportieren und kommunizieren.<br />

Der Vortrag zeichnet eine „Ethnographie von Religion und Musik“ auf und<br />

diskutiert, was eine Musikreligionsethnologie innerhalb einer systematischen<br />

Religionswissenschaft bedeuten kann.<br />

14:15 bis 15:45 Uhr<br />

Religionswissenschaft & Neutralität – Die Position der Religionswissenschaft<br />

in Diskursen über Religion(en), Panel 1<br />

• Johannes Quack: Innen-Außen-Reflexiv:<br />

Religionswissenschaftliche Neutralitätsansprüche zwischen<br />

Theologie und Religionskritik<br />

• Fritz Heinrich: Methodischer Nihilismus: Zur performativen<br />

Neutralität des Forschenden innerhalb der engagierten<br />

Religionswissenschaft Ali Schariatis<br />

• Jens Schlieter: Pathos der Distanz (zur Theologie):<br />

Religionswissenschaftliche Neutralität und die Frage nach der<br />

Normativität<br />

• Adrian Hermann: Diskurstheorie, Kritik und Neutralität:<br />

Überlegungen zur Rezeption kulturwissenschaftlicher<br />

Theoretiker in der Religionswissenschaft<br />

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Samstag, 17. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Johannes Quack: Innen-Außen-Reflexiv: Religionswissenschaftliche Neutralitätsansprüche<br />

zwischen Theologie und Religionskritik<br />

Im Werben um gesellschaftlichen Einfluss ist das Stichwort der „Neutralität“<br />

wohl das größte „Asset“ (um die Werbesprache aufzugreifen) der<br />

Religionswissenschaft. Wenn auch gesellschaftlich (noch?) nicht verankert,<br />

besticht das Argument, dass es weltanschaulich neutrale Perspektiven<br />

auf Religion(en) nur von der Religionswissenschaft gebe. Gleichzeitig ist<br />

„Neutralität“ ein theoretisch vielschichtiges und problematisches Konzept,<br />

welches komplexe Fragen nach Objektivität und Wertfreiheit nach sich zieht.<br />

Dieser Beitrag widmet sich den theoretischen Diskussionen um Neutralität in<br />

der Religionswissenschaft und benachbarten Disziplinen. Diese reichen von<br />

verschiedenen Verständnissen einer Epoché über Ausformulierungen eines<br />

methodologischen Agnostizismus und methodologischen Atheismus bis hin<br />

zur grundsätzlichen, reflexiven Infragestellung (religions)wissenschaftlicher<br />

Neutralitätsansprüche. Abschließend wird auf die Frage eingegangen, wie<br />

sich die verschiedenen religionswissenschaftlichen Abgrenzungsversuche<br />

gegenüber religiösen Positionen zu einer kaum systematisch diskutierten<br />

Abgrenzung gegenüber religionskritischen Positionen verhalten.<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Fritz Heinrich: Methodischer Nihilismus: Zur performativen Neutralität<br />

des Forschenden innerhalb der engagierten Religionswissenschaft Ali Schariatis<br />

Der iranische Denker Ali Schariati (1933-1977) lieferte mit seinem<br />

umfangreichen Werk auch einen eigenständigen religionswissenschaftlichen<br />

Ansatz. Er betrachtete, analysierte und diskutierte die religiösen<br />

Sachverhalte nicht nur theore tisch akademisch, sondern schaltete sie<br />

programmatisch in sein eigenes Leben ein. Seine Hö rer/innen und Leser/<br />

innen sollten dies ebenfalls tun. Diese Form von Religionswissenschaft<br />

war eine Religionswissenschaft ohne Epoché und ohne Einklammerung<br />

der Wahrheitsfrage. Und es war eine engagierte Religionswissenschaft, das<br />

heißt eine Religionswissenschaft, die Partei nahm für die Ohnmächtigen,<br />

Schwachen und Unterdrückten. Nur so konnte sie ganzheitlich betrieben<br />

werden, d.h. unter Gebrauch aller dem Menschen zur Ver fügung stehenden<br />

Sinne und Wahrnehmungsformen. Von religiöser, verstehender oder<br />

91


Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Samstag, 17. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

92<br />

ganzheitlicher Religionswissenschaft europäisch-westlicher Provenienz<br />

unterschied sich Scharia tis Religionswissenschaft dadurch, dass er mit seinem<br />

Religionsverständnis einen dritten Weg zwischen einem idealistischen und<br />

einem realistischen Religionsbegriff anstrebte. Schariati versuchte, mit Hilfe<br />

des dialektischen Hyperempirismus George Gurvitchs und der Phänomenologie<br />

Sartres Begriffe zu kreieren, in denen das in den Sachverhalten<br />

verborgene Sein zur Sprache gebracht werden konnte. Die existentiale<br />

Religionswissenschaft Schariatis war demnach eine nichtidealistisch, sondern<br />

ontologisch fundierte religiös rückgebundene Religionswissenschaft.<br />

Jens Schlieter: Pathos der Distanz (zur Theologie): Religionswissenschaftliche<br />

Neutralität und die Frage nach der Normativität<br />

Die Bestimmung einer Religionswissenschaft, die über ihren<br />

Gegenstandsbereich der Religion bzw. religiöser Akteure keine normativen<br />

Urteile fällt, sondern diesen Bereich aus neutraler Position und mit<br />

einem wissenschaftlichen Erkenntnisinteresse untersucht, wird von vielen<br />

ihrer Vertreterinnen und Vertreter geteilt. Diese Bestimmung dient unter<br />

anderem der Abgrenzung gegenüber stärker normativ interessierten<br />

Disziplinen wie der Theologie und Ethik. Genauer besehen folgen aber<br />

andererseits viele Vertreter der Religionswissenschaft dem Argument,<br />

dass der Standpunkt einer interesselosen, objektiven Neutralität (wie u.a.<br />

von Max Weber gefordert) eine regulative Idee bzw. gar methodologische<br />

Fiktion darstellt, die in reiner Form wohl manchmal in gewissen naturoder<br />

sozialwissenschaftlichen Grundlagenforschungen, nicht aber im Feld<br />

der kultur- und geisteswissenschaftlichen Forschung angetr<strong>of</strong>fen wird. Im<br />

Vortrag wird der Frage nachgegangen, inwiefern der Religionswissenschaft<br />

im gesellschaftlichen Kontext normative Dimensionen notwendiger Weise<br />

inhärent sind und wie diese methodologisch so kontrolliert werden könnten,<br />

dass sie der Glaubwürdigkeit des religionswissenschaftlichen Anspruches<br />

keinen Schaden zufügen (und diesen, zugespitzt gesagt, zur Kryptotheologe<br />

auf der einen, oder, auf der anderen Seite, zur ideologisch-reduktionistischen<br />

Religionskritik werden lassen). Hierzu wird vorgeschlagen, den Begriff<br />

der „systematischen Religionswissenschaft“ in weitere Subdisziplinen<br />

auszudifferenzieren, um den unterschiedlichen Erkenntnisinteressen in<br />

von einander abgetrennten Phasen (im Forschungsprozess) und Rollen (im<br />

gesellschaftlichen Diskurs) methodologisch kontrollierbar nachgehen zu<br />

können.


Samstag, 17. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Adrian Hermann: Diskurstheorie, Kritik und Neutralität: Überlegungen<br />

zur Rezeption kulturwissenschaftlicher Theoretiker in der Religionswissenschaft<br />

Die gegenwärtige Situation religionswissenschaftlicher Theoriebildung lässt<br />

sich – wie so <strong>of</strong>t – an den Auseinandersetzungen um den Religionsbegriff<br />

ablesen. Anhand der heuristischen Unterscheidung zwischen<br />

Religionstheorie/Diskurstheorie ließen sich zumindest zwei unterschiedliche<br />

Perspektiven ausmachen, die deutlich anders akzentuierte Vorschläge<br />

beinhalten, mit dem Problem „Religion“ umzugehen.<br />

Die diskurstheoretische Perspektive versucht, das Problem der Definition<br />

des Religionsbegriffs zu umgehen, indem sie sich nur noch für das<br />

„Reden über Religion“ interessiert, und damit andere Akteure und<br />

gesellschaftliche Diskurse darauf hin betrachtet, wie dort „Religion“<br />

verhandelt wird. Sie ist somit nicht zuletzt ein Versuch, sich im Rahmen einer<br />

religionswissenschaftlichen Beschreibung von „Essentialismen“ zu lösen.<br />

Jedoch beziehen sich die meisten diskurstheoretischen Entwürfe – auch<br />

innerhalb der Religionswissenschaft – in ihren Argumentationen <strong>of</strong>tmals auf<br />

verschiedene der mittlerweile „klassischen“ Autoren der Kulturwissenschaft<br />

und cultural studies wie etwa Michel Foucault, Ernesto Laclau/Chantal<br />

Mouffe oder Judith Butler.<br />

Wie werden deren Positionen jedoch in der Religionswissenschaft<br />

rezipiert? Eignen sich diese für eine „neutrale Beschreibung“? Denn diese<br />

Theoretiker zeichnen sich dadurch aus, dass sie selbst in vielen Fällen<br />

als öffentliche und kritische Intellektuelle aufgetreten sind. Was bedeutet<br />

es für eine kulturwissenschaftliche Religionswissenschaft, wenn sie sich<br />

in ihrer Theoriebildung auf Autoren bezieht, welche selbst als Aktivisten<br />

aufgetreten sind? Gibt es trotz der <strong>of</strong>tmals als „neutral“ verstandenen<br />

religionswissenschaftlichen Rezeption hier nicht doch eine enge Verbindung<br />

zwischen Diskurstheorie/Diskursanalyse und Kritik? Welches Potential für<br />

Kritik kann – und muss – daher eine diskurstheoretische Religionswissenschaft<br />

aufgrund ihrer theoretischen Fundierung entwickeln?<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

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Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Samstag, 17. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Religion vernetzt: Religion und Migration in relationaler Perspektive.<br />

Panel 1<br />

• Karin Hitz: Boundary Work: Aktive Muslime in Deutschland:<br />

Grenzziehungsprozesse und Legitimationsdynamiken im<br />

Kontext sozialer und zivilgesellschaftlicher Arbeit<br />

• Nelly Joppich: Von „Gatekeepern“ und „Brokern“: Engagierte<br />

Akteure als Schnittstellen zwischen religiösen Organisationen<br />

• Eva-Maria Döring: “Ven, ven Espiritu Santo ven!” Zur<br />

religiösen Praxis lateinamerikanischer Pfingstler in<br />

Deutschland<br />

• Sabrina Weiß: Mediative Migrationskirchen? Vernetzung und<br />

zivilgesellschaftliche Potentiale christlicher Koreanischer<br />

Gemeinden<br />

Karin Hitz: Boundary Work: Aktive Muslime in Deutschland: Grenzziehungsprozesse<br />

und Legitimationsdynamiken im Kontext sozialer und zivilgesellschaftlicher<br />

Arbeit<br />

Der Vortrag befasst sich mit aktiven Muslimen in Deutschland und der<br />

Gemeinwohlorientierung des Islam. Der Schwerpunkt liegt dabei auf<br />

zivilgesellschaftlichen und sozialen Leistungen und Ressourcen, welche<br />

Muslime für ihre eigene Community, aber auch darüber hinaus für die<br />

Gesamtgesellschaft bereitstellen und nutzen. Aktive, engagierte Muslime in<br />

Deutschland erbringen inner- und außerhalb ihrer religiösen Gemeinschaft<br />

verschiedene Unterstützungsleistungen, beispielsweise sozialer, emotionaler<br />

und finanzieller Art, Jugend- und Bildungsarbeit, Alten- und Pflegearbeit,<br />

Integrationsarbeit, religiöse Unterweisung, gewerkschaftliche und politische<br />

Arbeit u.a.. Damit leisten sie einen wichtigen Beitrag zur nichtstaatlichen<br />

sozialen Arbeit und stärken die Zivilgesellschaft. Unter aktiven Muslimen<br />

verstehe ich Menschen, die einerseits in einem muslimischen Kontext,<br />

andererseits im sozialen und/oder zivilgesellschaftlichen Bereich aktiv sind.<br />

Ein besonderer Fokus liegt nicht nur auf der religiösen Deutung<br />

sozialer Prozesse, sondern auch auf der religiösen Motivation von<br />

gemeinwohlorientiertem Handeln. Das Engagement in verschiedenen<br />

sozialen Kreisen lässt den Akteur zum Knotenpunkt der Aushandlung<br />

individueller Grenzziehungs- und Legitimierungsstrategien werden, denn<br />

durch die Abgrenzung von Anderen wird die eigene Handlung legitimiert.<br />

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Samstag, 17. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Diese Selbstverortung geschieht immer in Relation zum Netzwerk, in<br />

das der Akteur eingebettet ist. Der Vortrag beinhaltet erste systematische<br />

Analysen aus dem empirischen Datenmaterial über engagierte Muslime im<br />

Ruhrgebiet.<br />

Nelly Joppich: Von „Gatekeepern“ und „Brokern“: Engagierte Akteure als<br />

Schnittstellen zwischen religiösen Organisationen<br />

Der Vortrag beleuchtet in einem netzwerkanalytischen Kontext die<br />

Besonderheiten, die damit einhergehen, wenn engagierte Individuen<br />

verschiedene religiöse Organisationen miteinander in Beziehung setzen.<br />

Durch die öffentliche Auseinandersetzung mit der religiösen<br />

Vergemeinschaftung von Menschen mit Migrationshintergrund werden<br />

religiöse Vereine, Gemeinden und Kirchen in Deutschland zunehmend<br />

als sozialstrukturell relevante Akteure wahrgenommen. Sie interagieren<br />

in diesem Sinne als repräsentative, formalisierte Zusammenschlüsse<br />

religiöser Individuen mit der Gesellschaft. Auf der Mesoebene stellen<br />

diese korporativen Akteure demnach mehr oder weniger stabile Entitäten<br />

dar, die miteinander soziale Beziehungen eingehen können. Im Kontext<br />

interreligiöser Beziehungen ist diese Analyseebene besonders spannend. Die<br />

schon im Kleinen schwierige Auseinandersetzung über religiöse Grenzen<br />

hinweg erfolgt hier stellvertretend für und im Namen ganzer religiösen<br />

Gemeinschaften.<br />

Die tatsächlichen Handlungen bei der Aufnahme von Beziehungen<br />

zwischen korporativen Akteuren und deren Aufrechterhaltung sind jedoch<br />

abhängig von der Interaktion zwischen individuellen Akteuren. So fungieren<br />

beispielsweise ambitionierte Ehrenamtliche, kirchliche Amtsträger oder<br />

städtisch finanzierte Integrationsbeauftragte als Kommunikationskanäle und<br />

Schnittstellen der (interreligiösen) Vernetzung. In ihren Sonderpositionen<br />

verkörpern sie sowohl sozialstrukturelle Bindeglieder, Repräsentanten<br />

und interkulturelle Agenten als auch personalisierte Zugangshürden und<br />

Informationsfilter. Anhand von empirischen Daten aus dem Ruhrgebiet<br />

liefert der Vortrag exemplarisch Einblick in das vielfältige Spannungsfeld<br />

aus Einflüssen, Erwartungen und Herausforderungen, das die individuellen<br />

Akteure in dieser Position beeinflusst.<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

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Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Samstag, 17. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Eva-Maria Döring: “Ven, ven Espiritu Santo ven!” Zur religiösen Praxis lateinamerikanischer<br />

Pfingstler in Deutschland<br />

Der Beitrag thematisiert die Unterschiede in der religiösen Praxis<br />

lateinamerikanischer Pfingstler in Deutschland aus einer relationalen<br />

Perspektive und einem Verständnis von Religion als menschlicher Praxisform<br />

heraus. Im Zentrum stehen dabei erste Erkenntnisse aus teilnehmender<br />

Beobachtung im Rahmen eines laufenden Forschungsprojektes.<br />

Die Feldforschung hat gezeigt, dass selbst bei dieser zahlenmäßig<br />

kleinen Untersuchungseinheit Differenzen in der religiösen Praxis und<br />

den verhandelten religiösen Inhalten bestehen. Diese scheinen in engem<br />

Zusammenhang mit der Größe der Gemeinde und der sozialen Einbettung<br />

der Akteure zu stehen. Mit essentialistischen Betrachtungsweisen können<br />

diese Unterschiede nicht gefasst werden. Sie eigenen sich daher wenig<br />

für die Beschreibung und Erklärung von Dynamiken und (Aushandlungs-)<br />

Prozessen, wie sie bspw. in einer Migrantensituation stattfinden. In diesem<br />

Vortrag sollen, in Rückgriff auf die Beobachtungen aus dem Feld, die<br />

Vorteile einer relationalen Perspektive und eines praxeologischen Ansatzes<br />

in der Religionswissenschaft diskutiert werden: Wenn Religion nicht als ein<br />

objektives System betrachtet wird, sondern als menschliche Praxisform,<br />

die in der Interaktion, d.h. in Beziehungen hervorgebracht wird, dann ist<br />

religiöse Praxis nicht allein abhängig von der Befolgung von Ordnungen<br />

und Normen. Sie wird zu einer interaktiv gestaltet Angelegenheit und<br />

steht in Relation zu den Beziehungen und Netzwerken der Akteure. Eine<br />

solche Perspektive erlaubt es, die hier angesprochenen Unterschiede in der<br />

religiösen Praxis und der Rezeption von religiösen Inhalten zu beschreiben<br />

und zu erklären.<br />

96<br />

Sabrina Weiß: Mediative Migrationskirchen? Vernetzung und zivilgesellschaftliche<br />

Potentiale christlicher Koreanischer Gemeinden<br />

Der Panelbeitrag geht anhand einer Gegenüberstellung der Frage<br />

nach, welche zivilgesellschaftlichen Potentiale und Kontaktstrukturen<br />

in christlichen koreanischen Gemeinden ausgebildet sind. Den<br />

Ausgangspunkt für die Überlegungen stellt der Wandel der Wahrnehmung<br />

von (religiösen) Migrantenorganisationen seit einigen Jahren dar. In ihnen


Samstag, 17. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

wird nun das Potential erkannt, einerseits die Interessen und Bedürfnisse<br />

der Mitglieder wahrzunehmen, Probleme zu artikulieren und Orientierung<br />

zu bieten. Andererseits könnten sie über das Selbsthilfepotential hinaus<br />

gesamtgesellschaftlich relevante Beiträge leisten. Dies gilt auch für<br />

christliche koreanische Gemeinden, die bisher in Deutschland ungenügend<br />

untersucht wurden. Vor dem Hintergrund, dass sich der Staat zunehmend<br />

aus der Förderung der Wohlfahrt zurückzieht, ist die Bedeutung religiösen<br />

Gemeinschaftshandelns daher nicht zu unterschätzen. Mit der Frage<br />

nach mediativen Migrantenorganisationen – wobei der Begriff mediativ<br />

im Sinne einer etymologischen Herleitung als „vermittelnd“ verstanden<br />

werden soll – wird ein Aspekt der den Migrantenorganisationen<br />

innewohnenden Potentiale aufgegriffen. Auf Grundlage erster Eindrücke<br />

aus einem aktuellen Forschungsprojekt werden Überlegungen zu religiös<br />

motiviertem sozialethischem Handeln angestellt. Religiöse Werthaltungen<br />

und sozialethisches Handeln einer Gemeinschaft werden dabei nicht als<br />

natürlich gegeben verstanden, sondern als wandelbar in ihren Ausführungen<br />

und Intensitäten. Dies ist abhängig davon, wie einzelne Akteure oder<br />

Gemeinschaften in die Gesellschaft eingebettet sind und zu ihrem Umfeld<br />

in wechselseitiger Beeinflussung stehen.<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Sexgurus und Kohlrabiapostel – Neue Forschungsperspektiven auf religiösen<br />

Nonkonformismus. Panel 1<br />

• Stefan Wegener: Die Religionswissenschaft als Akteur in der<br />

„Sektendebatte“ der Bundesrepublik<br />

• Katja Kleinsorge: Sex-Guru oder Bhagwan? Die Konflikte um<br />

den Ashram von Bhagwan Shree Rajneesh in Indien<br />

• Christiane Königstedt: Die Spezifika des esoterisch-okkulten<br />

Angebotes in Frankreich<br />

Stefan Wegener: Die Religionswissenschaft als Akteur in der „Sektendebatte“<br />

der Bundesrepublik<br />

Die Frage nach der gesellschaftlichen Relevanz der Religionswissenschaft<br />

wird besonders im Zusammenhang mit der sogenannten Sektendebatte<br />

in der Bundesrepublik virulent. Hier hat sich gezeigt, dass es dem Fach<br />

97


Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Samstag, 17. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

nicht gelungen ist, sich als kompetenter Ansprechpartner für Fragen<br />

rund um Neue Religiöse Bewegungen (NRB) zu etablieren. Vielmehr<br />

bestimmten andere „Experten“ das Feld. Dominiert wurde die seit den<br />

70er Jahren geführte Auseinandersetzung von Vertretern der christlichen<br />

Kirchen, Elterninitiativen, politischen Akteuren, Journalisten und Vertretern<br />

diverser therapeutischer Berufe. Stimmen aus dem wissenschaftlichen<br />

Bereich, die der gängigen Stigmatisierung NRB nicht entsprachen und mit<br />

Bezug auf religionssoziologische und religionspsychologische Forschung<br />

Sachlichkeit anmahnten, fanden sich umgehend als „Kult-Lobbyisten“ an<br />

den Pranger gestellt. Durch diese Freund-Feind Polarisierung – später auch<br />

durch die Mitarbeit in der Enquetekommission „Sogenannte Sekten und<br />

Psychogruppen“ – wurde das Fach in der öffentlichen Arena als Akteur in<br />

dieser Auseinandersetzung wahrgenommen.<br />

In dem Vortrag werde ich die Religionswissenschaft als Diskursakteur in der<br />

„Sektendebatte“ verorten sowie Veränderungen innerhalb dieser Position<br />

nachzeichnen.<br />

Katja Kleinsorge: Sex-Guru oder Bhagwan? Die Konflikte um den Ashram<br />

von Bhagwan Shree Rajneesh in Indien<br />

98<br />

Auf der Grundlage der Auswertung von regionalen indischen Tageszeitungen<br />

versucht dieser Vortrag, die Konflikte um den Ashram von Bhagwan Shree<br />

Rajneesh (heute als Osho bekannt) zu rekonstruieren, der sich 1974 mit<br />

seinen Anhängern im westindischen Pune niederließ. Es geht dabei um die<br />

Suche nach einer Antwort auf die Frage, warum Bhagwan Shree Rajneesh<br />

nicht in die lebendige und vielgestaltige indische Tradition von Heiligen,<br />

spirituellen Lehrern, Predigern, Asketen, Gurus eingeordnet, sondern als<br />

„anders“ – als nonkonform – wahrgenommen und bekämpft wurde. In<br />

diesem Zusammenhang soll es nicht nur um die Vorstellung der beteiligten<br />

Akteure, ihren Strategien im Umgang mit Rajneesh und seinem Ashram,<br />

sondern vor allem um die Gründe für die Zuschreibung von Nonkonformität<br />

gehen.<br />

Anders formuliert könnte man auch fragen: Wo verlaufen in der indischen<br />

Gesellschaft der 1970er Jahre die Grenzen von dem, was von der von<br />

Hinduismus, religiösem Pluralismus und staatlichem Säkularismus<br />

geprägten gesellschaftlichen Konformität toleriert wird und wie wird die<br />

Überschreitung dieser Grenzen sanktioniert?


Samstag, 17. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Christiane Königstedt: Die Spezifika des esoterisch-okkulten Angebotes in<br />

Frankreich<br />

In Bezug auf „Religion“, vor allem auf neue oder moderne Entwicklungen<br />

des religiösen Feldes, ist Frankreich ein besonderer Fall, der in seinen wenig<br />

eindeutigen Befunden auch wissenschaftlich sehr kontrovers diskutiert wird.<br />

Frankreich hat eine der in Europa schärfsten Gesetzgebungen gegenüber den<br />

„dérives sectaires“ („sektiererische Abweichungen“), wobei diese in vollem<br />

Ausmaß selten zur Anwendung gekommen ist, während das Thema in der<br />

Öffentlichkeit und den Medien <strong>of</strong>t negativ präsentiert und wahrgenommen<br />

wurde und weitestgehend wird. Gleichzeitig zeichnen sich, sichtbar,<br />

Entwicklungen im religiösen Feld hin zu einer Individualisierung und<br />

Konsumorientierung von Religion wie in anderen Ländern ab, die wiederum<br />

nicht nur im „Anti-Sekten“-Diskurs verhandelt werden, sondern sich z.B.<br />

in der Rechtsetzung widerspiegeln. In meinem Vortrag werde ich einerseits<br />

die Spezifika des esoterisch-okkulten Angebotes in Frankreich beschreiben<br />

und andererseits auf die, in diesem Fall juristischen, Reaktionen auf die<br />

wahrgenommene Veränderung des modernen religiösen Feldes eingehen.<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Konjunktur der Religionsökonomie?<br />

• Markus Hero: Was heißt religiöser Markt? Versuch einer<br />

Klärung aus institutionentheoretischer Sicht<br />

• Nadja Miczek: Ritualdesign TM ? Positionierungs- und<br />

Vermarktungsprozesse im Feld des spirituellen Heilens<br />

• Alexander Rödel: Erklärungskonzepte der neoklassischen<br />

Religionsökonomik<br />

• Lucas Zapf: Vorstellung Dissertationsprojekt: Religiöse<br />

Aspekte der Berufsarbeit<br />

Markus Hero: Was heißt religiöser Markt? Versuch einer Klärung aus institutionentheoretischer<br />

Sicht<br />

Die religiöse Vielfalt moderner Gesellschaften hat ein breites Spektrum<br />

theoretischer Deutungen hervorgerufen. In der Folge von Peter L. Berger und<br />

den Publikationen des „Market Paradigms“ gehen viele Autoren, wenn sie<br />

99


Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Samstag, 17. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

von der religiösen Pluralität sprechen, gleichzeitig vom Vorhandensein eines<br />

religiösen Marktes aus. Entgegen einer solchen Pauschalisierung beschäftigt<br />

sich der Vortrag mit der Frage, unter welchen Bedingungen die Rede vom<br />

„religiösen Markt“ erkenntnistheoretisch sinnvoll ist. Unter Rückgriff auf das<br />

Instrumentarium der neueren Institutionentheorie soll gefragt werden, wann<br />

Phänomene wie „Konkurrenz“, „Wettbewerb“ oder „Kundenorientierung“<br />

im religiösen Feld auftreten und welche Konsequenzen mit ihnen verbunden<br />

sind.<br />

Nadja Miczek: Ritualdesign TM ? Positionierungs- und Vermarktungsprozesse<br />

im Feld des spirituellen Heilens<br />

Auf dem Markt des spirituellen Heilens lassen sich derzeit insbesondere<br />

im Bereich der Esoterik rasch fortschreitende Ausdifferenzierungsprozesse<br />

beobachten, die gleichzeitig zu einer verstärkten Nischenbesetzung im Feld<br />

führen. Religiöse und rituelle Elemente werden entsprechend bestehender<br />

Angebotslage, aber auch im Hinblick auf Rezipientenwünsche gestaltet,<br />

transformiert und in einigen Fällen gänzlich neu designt. Am Beispiel<br />

von zwei neuen Reiki-Systemen wird in dem Vortrag thematisiert, wie die<br />

Macher dieser Systeme die neuen Rituale auf dem Markt platzieren, mit<br />

welchen Legitimierungs- und Authentifizierungsnarrationen neue oder<br />

transformierte religiöse und rituelle Inhalte verknüpft werden und wie<br />

Rezipienten auf Positionierungs- und Vermarktungsprozesse reagieren. So<br />

möchte der Beitrag versuchen, religionsökonomische Perspektiven für die<br />

aktuelle Religionswissenschaft zu schärfen.<br />

Alexander Rödel: Erklärungskonzepte der neoklassischen Religionsökonomik<br />

Seit den 1970er Jahren analysiert die neoklassisch inspirierte<br />

Religionsökonomik solche gesellschaftlichen Phänomene, welche unter<br />

dem Taxon „Religion“ verhandelt werden. Hierbei hat sie durch beinahe<br />

soteriologische Theorieversprechungen auf der einen Seite und vehementer<br />

Kritik auf der anderen auf sich aufmerksam gemacht. Aber nicht nur aus<br />

100


Samstag, 17. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

diesem Grund nimmt diese Spielart des Rational-Choice-Paradigmas<br />

eine spezielle Rolle in dem von der Unterscheidung „Religion“ und<br />

„Wirtschaft“ getragenen Feld religionsökonomischer Forschung ein. So will<br />

sie im Gegensatz zu Ansätzen, die beispielsweise auf Gabentheorie oder<br />

religionswissenschaftlicher Religionsökonomie basieren, „Erklärungen“ und<br />

nicht bloßes „Verstehen“ liefern. Im Vortrag sollen daher Erklärungsansätze der<br />

neoklassischen Religionsökonomik sowie deren Problematik exemplarisch<br />

und in der Auseinandersetzung mit den folgenden Fragen besprochen<br />

werden: Wie funktioniert neoklassisch-religionsökonomisches Erklären? Mit<br />

welchen wissenschaftstheoretischen Herausforderungen ist es konfrontiert?<br />

Welche Theoriebaustellen müssten bevorzugt bearbeitet werden, um<br />

die wissenschaftliche Plausibilität neoklassisch-religionsökonomischer<br />

Erklärungen zu erhöhen?<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Lucas Zapf: Vorstellung Dissertationsprojekt: Religiöse Aspekte der Berufsarbeit<br />

Das Projekt geht von der These einer Strukturanalogie zwischen den<br />

Funktionen der Berufsarbeit (im Sinne des Tätig-Seins mit ökonomischer<br />

Zielsetzung) im frühen lutherischen und calvinistischen Protestantismus und<br />

den Funktionen der Berufsarbeit im marktwirtschaftlichen Wirtschaftssystem<br />

aus. Es soll mit Hilfe der Anwendung institutionenökonomischer Theorie<br />

auf Texte der beiden Reformatoren herausgearbeitet werden, welche<br />

Funktionen die Berufsarbeit für den damaligen Protestantismus hatte. Im<br />

Anschluss daran werden die Ergebnisse mit Funktionszuschreibungen zur<br />

Berufsarbeit in der Marktwirtschaft anhand der Analyse von Diskursen<br />

der Wirtschaftssoziologie und der Philosophie verglichen. Die Texte der<br />

Reformatoren generieren den analytischen Zugang zu den religiösen<br />

Funktionen der Berufsarbeit und erlauben eine vergleichende Strukturanalyse<br />

mit der Marktwirtschaft. Das Projekt beleuchtet die marktwirtschaftliche,<br />

kapitalbasierte, arbeitsteilige Marktwirtschaft mit einer Dominanz des<br />

Privateigentums als Rahmenordnung, in welcher der Berufsarbeit ähnliche<br />

Funktionen zukommen, wie sie in einer frühen protestantischen Theologie<br />

proklamiert wurden. Das Projekt schließt sich an die bisherigen Forschungen<br />

zur religiösen Dimension des Marktes, des Geldes und des Konsums an und<br />

versteht sich als religionsökonomischer Beitrag der Religionswissenschaft<br />

zum Forschungsbereich „Kapitalismus als Religion“.<br />

101


Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Samstag, 17. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

16:15 bis 17:45 Uhr<br />

Religionswissenschaft & Neutralität – Die Position der Religionswissenschaft<br />

in Diskursen über Religion(en), Panel 2<br />

• Jens Kugele: Neutralität und gesellschaftlicher Diskurs –<br />

Positionalität der Religions- und KulturwissenschaftlerIn<br />

• Christoph Wagenseil: 20 Jahre REMID revisited – Erfahrungen<br />

aus der Vermittlungsarbeit zwischen Öffentlichkeit und<br />

Wissenschaft<br />

• Franz Winter: Die Debatte um die Neutralität der<br />

Religionswissenschaft in der so genannten „Sekten“-<br />

Diskussion<br />

Jens Kugele: Neutralität und gesellschaftlicher Diskurs – Positionalität der<br />

Religions- und KulturwissenschaftlerIn<br />

Meine einleitenden Kommentare suchen den Rahmen des zweiten Panels<br />

abzustecken, in welchem das Verhältnis unseres Fachs zu zeitgenössischen<br />

gesellschaftlichen Diskursen im Mittelpunkt steht.<br />

Angesichts rezenter Debatten über die Schweizer Minarettverbote, die<br />

Sarazzinschen Thesen zur Integration oder die Demokratiefähigkeit<br />

muslimischer Gesellschaften erscheint eine vertiefte Diskussion über das<br />

Verhältnis von akademischer Kompetenz und gesellschaftlicher Position<br />

gerade für einen nachhaltigen „Aufwind“ des Faches äußerst lohnenswert.<br />

In welchem Maße ist die Unterrepräsentation unseres Faches in medialen<br />

Diskussionsforen, von der Russel McCutcheon 2001 spricht, 10 Jahre später<br />

noch aktuell? Kann gerade die kulturwissenschaftliche Kompetenz von<br />

ReligionswissenschaftlerInnen eine intellektuelle Position in öffentlichen<br />

Diskussionen begründen? Wie ist diese Kompetenz mit Forderungen einer<br />

„praktischen Religionswissenschaft“ zu vereinbaren? Institutionell stellt<br />

sich darüber hinaus die Frage, wie (Religions-)Wissenschaft ihre Relevanz<br />

jenseits des akademischen „Elfenbeinturms“ unterstreichen kann und<br />

auch AbsolventInnen unserer kulturwissenschaftlichen Fächer auf Berufe<br />

jenseits der akademischen Welt vorbereiten kann. Direkt verbunden hiermit<br />

102


Samstag, 17. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

könnte sich auch eine verstärkte Suche nach Unterrichtsformen als hilfreich<br />

erweisen, dieser Thematik mehr Raum in der Lehre zu geben und somit die<br />

<strong>of</strong>tmals stark getrennten Diskurse zusammenzuführen.<br />

Unter Rückgriff auf das Konzept der Positionalität, das seine Prominenz in<br />

den angelsächsischen Cultural Studies entwickelt hat, sucht der Beitrag die<br />

Perspektiven auf die Rolle von Religions- und KulturwissenschaftlerInnen im<br />

gesellschaftlichen Diskurs zu ergänzen.<br />

Christoph Wagenseil: 20 Jahre REMID revisited – Erfahrungen aus der Vermittlungsarbeit<br />

zwischen Öffentlichkeit und Wissenschaft<br />

Ob es einen „nachhaltigen“ Aufwind religionswissenschaftlicher Arbeit<br />

gibt und wie eine „praktische Religionswissenschaft“ die öffentlichen<br />

Diskurse über Religionen verändert, dafür dürften die Daten, welche der<br />

Religionswissenschaftliche Medien- und Informationsdienst REMID e.V.<br />

in über 20 Jahren Vereinsarbeit gesammelt bzw. selbst aufbereitet hat,<br />

einen Gradmesser darstellen können. Anfragen aus den Medien, von der<br />

Bevölkerung, von mit Religionen in Berührung kommenden Einrichtungen<br />

oder gar von Wirtschaftsunternehmen mit H<strong>of</strong>fnungen auf Erschließung neuer<br />

religiöser Märkte sowie von religiösen Gruppen oder Einzelpersonen aller<br />

Coleur sollen ausgewertet werden. Neben diesem Input von Außen stehen<br />

die von REMID ausgerichteten Projekte und Publikationen im Blickfeld. Die<br />

Affirmation pluralistischen gesellschaftlichen Miteinanders bedeutet für die<br />

unterschiedlichen Projekte von der „Lernwerkstatt Weltreligionen“ über<br />

„Gesichter des Islam“ bis zur Podiumsdiskussion um den Film „Jesuscamp“<br />

ein Nebeneinander divergierender Vermittlungsstrategien. In beiden<br />

Bereichen gilt es zu betrachten, inwiefern die Voraussetzung der Arbeit,<br />

Neutralität zu wahren und zu deeskalieren, sich in der Praxis auswirkte.<br />

Wahrgenommen als statistischer Dienst, alternative „Sektenberatung“,<br />

„Kultlobby“ oder soziale Einrichtung zwischen interreligiösem Dialog und<br />

Weltladen findet sich eine vielschichtige Resonanz in der Öffentlichkeit.<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

103


Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Samstag, 17. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Franz Winter: Die Debatte um die Neutralität der Religionswissenschaft in<br />

der so genannten „Sekten“-Diskussion<br />

Die öffentliche Diskussion um „Sekten“ hat zweifellos ihren Höhepunkt<br />

überschritten, weshalb es heute an der Zeit ist sich in einer Art historischer<br />

Rückschau damit auseinanderzusetzen. Insgesamt spielte die akademische<br />

Religionswissenschaft im deutschsprachigen Raum eine eher marginale<br />

Rolle und erfuhr früh eine Punzierung als Verteidiger der markierten<br />

Religionsgemeinschaften. Dabei wurde der Begriff „(Sekten-)Lobbyist“ zum<br />

Lieblingswort der Gruppe der „Sektenkritiker“, die mit dieser pauschalen<br />

Klassifizierung die Religionswissenschaft aus der öffentlichen Diskussion<br />

verbannten. Gerade in der Auseinandersetzung mit neureligiösen<br />

Bewegungen (um die es in dieser Debatte mehrheitlich ging) ist nun der<br />

Begriff der „Neutralität“ ein Schlüsselbegriff. Diese Positionierung bietet<br />

sich in dieser schwierigen Debatte als Grundanspruch an, weshalb die RW<br />

eigentlich der Ansprechpartner schlechthin wäre. Jedoch erweist sich dies<br />

als äußerst schwierig, weil die RW also ein Akteur unter vielen anderen<br />

in einschlägig markierten Diskursfeldern wird. Dabei wurde ihr gerade<br />

der „neutrale“ Zugang abgesprochen, weil ihn andere Seiten für sich<br />

beanspruchten oder aber diese „Neutralität“ überhaupt als nicht erreichbar<br />

oder erstrebenswert deklariert war. Meine Darstellung ist in erster Linie<br />

einer Analyse der Diskursfelder gewidmet, die im Zusammenhang mit<br />

dieser Diskussion aufgearbeitet werden soll. Das Ringen um den Anspruch<br />

der Neutralität, der von allen Seiten erhoben wurde, bildet dabei den „roten<br />

Faden“ der Aufarbeitung<br />

Religion vernetzt: Religion und Migration in relationaler Perspektive.<br />

Panel 2<br />

• Piotr Suder: Repräsentative Moscheen und die Einbindung<br />

von Moscheegemeinden in den kommunalen Kontext.<br />

• Sandhya Marla: Diaspora-Hinduismus 2.0: Religionstransfer<br />

und Transformationsprozesse bei jungen Tamilen in<br />

Deutschland<br />

104


Samstag, 17. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

• Frederik Elwert: Religionsgemeinschaften als<br />

Integrationsagenten. Russlanddeutsche Gemeinden zwischen<br />

Binnenorientierung und Außenwirkung.<br />

• Alexander Nagel: Interreligiöse Aktivitäten und<br />

Religionskontakt: Zur diskursiven Verarbeitung religiöser<br />

Differenz<br />

Piotr Suder: Repräsentative Moscheen und die Einbindung von Moscheegemeinden<br />

in den kommunalen Kontext.<br />

Moscheen bilden die religiösen, geographischen sowie sozialen Zentren von<br />

muslimischen Gemeinden. In Deutschland sind diese in der Vergangenheit<br />

weitgehend unsichtbar für die Gesellschaft geblieben und waren allenfalls<br />

an Eingangsschildern erkennbar. Doch seit den 90er Jahren errichten<br />

Moscheevereine zunehmend multifunktionale, nach außen erkennbare<br />

Moscheen und treten dadurch in die öffentliche Wahrnehmung.<br />

Diese Art des Sichtbarwerdens des Islam ist häufig durch Konflikte in<br />

den betr<strong>of</strong>fenen Städten gekennzeichnet. Zugleich ist die Errichtung von<br />

Moscheen zu einem zentralen Thema der bundesweiten Integrationsdebatte<br />

über den Islam geworden, wie die Fälle Köln-Ehrenfeld und Berlin-Pankow<br />

anschaulich zeigen. Damit wird deutlich, dass die Entstehung der neuen<br />

muslimischen Gotteshäuser nicht nur städtebauliche Aspekte berührt,<br />

sondern auch das soziale Gefüge auf kommunaler Ebene beeinflusst.<br />

Einschlägige Studien und meine eigene Forschung zu diesem Thema zeigen,<br />

dass Moscheebauprozesse und die damit verbundenen Konflikte zu einer<br />

Vielfalt an Dialogveranstaltungen und Kommunikationskanälen zwischen<br />

Moscheevereinen und anderen kommunalen Akteuren (Kommunalpolitiker,<br />

Kirchen, Vereine, etc.) führen.<br />

Basierend auf Experteninterviews und Zeitungsanalysen wird in meinem<br />

Vortrag erörtert, welche Akteure sich an den Moscheebauprozessen<br />

beteiligen, welche Interessen dabei vertreten werden und welche<br />

Beziehungsarten zwischen den Akteuren entstehen. Zusätzlich soll ein Blick<br />

auf einige der bereits seit Jahren bestehenden Moscheen Aufschluss darüber<br />

geben, wie nachhaltig das Repräsentativ-Werden von Moscheevereinen die<br />

Beziehungen zwischen ihnen und ihrer kommunalen Umwelt prägt.<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

105


Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Samstag, 17. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Sandhya Marla: Diaspora-Hinduismus 2.0: Religionstransfer und Transformationsprozesse<br />

bei jungen Tamilen in Deutschland<br />

Seit den 1970er Jahren flohen ca. 60.000 Sri Lankesen – rund 40.000 von<br />

ihnen sind tamilische Hindus – vor dem bewaffneten Konflikt zwischen<br />

Singhalesen und Tamilen ins deutsche Exil. Inzwischen ist eine breite zweite<br />

Generation junger, tamilischer Hindus herangewachsen, deren vielfältige<br />

Religiosität weitestgehend unerforscht und zentrales Thema dieses Beitrags<br />

ist.<br />

Ergebnisse von Religions- und Diasporaforschung zeigen, dass<br />

traditionsgebundene Loyalitäten zum imaginierten Heimatland einen zentralen<br />

Identitätsfaktor, insbesondere bei unfreiwilligem Auswanderungsgrund,<br />

bedeuten können. Für die hindu-tamilische Flüchtlingsgeneration wurde<br />

entsprechend ein starkes Engagement für die Reorganisation eines<br />

religiösen Settings und einer damit einhergehenden Kulisse für den<br />

generationsübergreifenden Transfer religiöser Inhalte, Rituale und Werte<br />

festgestellt. Offen ist weiterhin die Frage, welche Transformationsprozesse<br />

ethno-religiöser Institutionen mit einem Bedürfniswandel einhergehen. Wie<br />

steht es zudem um kollektive Identitäten und welche Konzepte religiöser<br />

Erneuerung gibt es?<br />

Um sich Antworten auf diese Fragen zu nähern, werden im Referat<br />

Angebote seitens der Tempel und Vermittlungsleistungen im Eltern-Kind<br />

Zusammenhang thematisiert und anhand von Feldforschungsergebnissen<br />

des laufenden Dissertationsprojektes verdeutlicht. Es ist eine komplexe<br />

Bandbreite von Typen religiöser Praxis zu erkennen, die hier vor dem<br />

Hintergrund einer relationalen Perspektive zur sozialen Einbettung junger<br />

Tamilen, betrachtet wird. So sollen Vermittlungsmuster im Spannungsfeld<br />

von strukturellen Orientierungsrahmen und sich wandelnden religiösen<br />

Identitätsdiskursen transparent gemacht werden und einen Ausblick auf<br />

Perspektiven des tamilischen Diaspora-Hinduismus in Deutschland geben.<br />

Frederik Elwert: Religionsgemeinschaften als Integrationsagenten. Russlanddeutsche<br />

Gemeinden zwischen Binnenorientierung und Außenwirkung.<br />

106<br />

Russlanddeutsche Zuwanderer galten lange Zeit als das Paradebeispiel<br />

gelungener Integration: Der Zuzug dieser größten Migrantengruppe verlief


Samstag, 17. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

über weite Strecken unbemerkt und unauffällig, die Statistiken bescheinigen<br />

ihnen eine gelungene Integration auf der Ebene struktureller Indikatoren.<br />

Auch in Bezug auf Ethnie, Nationalität und Religion gehen die Zugewanderten<br />

„deutscher Volkszugehörigkeit“ (so der Terminus in Art. 116 GG), deutscher<br />

Staatsbürgerschaft und überwiegend christlicher Religion in der öffentlichen<br />

Wahrnehmung fast nahtlos in der Aufnahmegesellschaft auf.<br />

Im lokalen Kontext verläuft die Integration der Russlanddeutschen<br />

dagegen nicht immer so spannungsfrei. Gerade die Konzentration des<br />

Aussiedlerzuzugs auf einzelne Regionen und Gemeinden schafft hier<br />

Herausforderungen für die Integration. Es sind <strong>of</strong>t insbesondere die von<br />

freikirchlich orientierten Russlanddeutschen neu gegründeten Gemeinden,<br />

die zu einer Wahrnehmung religiöser und kultureller Differenz beitragen.<br />

Gerade die Binnenorientierung dieser Gemeinden, die Fokussierung auf<br />

die eigenen Mitglieder, entfaltet so eine nicht intendierte Außenwirkung.<br />

In diesem Spannungsfeld werden die wechselseitigen Vorstellungen von<br />

gelungener Integration thematisiert.<br />

Das Beispiel russlanddeutscher Gemeinden soll als weiterer Baustein zu<br />

einem besseren Verständnis der Relevanz religiöser Gemeinschaften für<br />

Integrationsprozesse beitragen und die über den Einzelfall hinausgehende<br />

Theoriediskussion anregen.<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Alexander Nagel: Interreligiöse Aktivitäten und Religionskontakt: Zur diskursiven<br />

Verarbeitung religiöser Differenz<br />

Der Beitrag beschäftigt sich mit der Aushandlung religiöser Differenz in<br />

interreligiösen Aktivitäten. Mit der zunehmenden Sichtbarkeit religiöser<br />

Vielfalt und einem gesteigerten öffentlichen Bewusstsein für Religion werden<br />

Religionskontakte und ihre Moderation vermehrt als gesellschaftliche oder<br />

politische Aufgabe begriffen. In Deutschland tragen interreligiöse Aktivitäten<br />

wie Dialogveranstaltungen, Friedensgebete oder Tage der <strong>of</strong>fenen Tür dieser<br />

Entwicklung Rechnung. Nachdem frühere Studien zum interreligiösen Dialog<br />

sich v.a. auf die Interessenlagen oder Organisationsformen konzentriert haben,<br />

untersucht dieser Beitrag die diskursiven Mechanismen bzw. Strategien, die<br />

zur Ausweitung, Auflösung oder Überbrückung religiöser Grenzziehungen<br />

in interreligiösen Aktivitäten dienen. Nach einer knappen konzeptionellen<br />

Vorüberlegung zu interreligiösen Aktivitäten als Interaktionsritualen werden<br />

einige idealtypische Strategien der Differenzbewältigung vorgestellt, die auf<br />

107


Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Samstag, 17. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

teilnehmender Beobachtung in 18 interreligiösen Aktivitäten im Ruhrgebiet<br />

basieren: Universalisierung, Polarisierung, Purifikation, Trivialisierung,<br />

Traditionalisierung, Akkommodation und Inversion.<br />

Sexgurus und Kohlrabiapostel – Neue Forschungsperspektiven auf religiösen<br />

Nonkonformismus. Panel 2<br />

• Jörg Albrecht: Vom „Kohlrabiapostel“ zum „Bionade-<br />

Biedermeier“: Eine Geschichte alternativer Ernährung<br />

zwischen religiöser Marginalität und kulturellem Mainstream<br />

• Christiane Altmann: Yidishkayt – Ohne Religion?<br />

• Christoph Günther: Wahrer Glaube und legitime Herrschaft<br />

vs. Unglaube und illegitime Herrschaft - Ein islamischer Staat<br />

im Irak<br />

Jörg Albrecht: Vom „Kohlrabiapostel“ zum „Bionade-Biedermeier“: Eine<br />

Geschichte alternativer Ernährung zwischen religiöser Marginalität und<br />

kulturellem Mainstream<br />

Eines der beeindruckendsten Phänomene kultureller Dynamik hat sich<br />

gerade in den letzten Jahren im Sektor der Ernährung vollzogen. Vor dem<br />

Hintergrund ökologischer und sozialer Herausforderungen, Vorstellungen<br />

über Gesundheit und Reinheit des Körpers erlebten ökologisch produzierte<br />

„Bio“-Lebensmittel in den letzten 15 Jahren einen gewaltigen Boom (wie in<br />

jüngster Zeit auch wieder der Vegetarismus). Die Vorläufer dieser Dynamik<br />

reichen jedoch bis ins 19. Jahrhundert zurück („naturgemäße Lebensweise“,<br />

Lebensreform etc.) und traten häufig im Zusammenhang mit religiösem<br />

Nonkonformismus (z.B. Freireligiosität, Adventismus, Anthroposophie aber<br />

v.a. auch in schwächer institutionalisierter Form) auf. Hierbei handelt es sich<br />

um ein gutes Beispiel für die Transformation nonkonformer Vorstellungen<br />

und Praktiken zum gesellschaftlichen Mainstream bzw. zum Ausdruck von<br />

Konformität. Im Vortrag soll die Frage nach den Umständen aufgeworfen<br />

werden, die eine solche Transformation möglich machen.<br />

108


Samstag, 17. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Christiane Altmann: Yidishkayt – Ohne Religion?<br />

Jiddisch als Umgangssprache wird heute von ca. 3 Millionen Menschen<br />

weltweit gesprochen. V.a. in den chassidischen Enklaven New Yorks hat<br />

sich die Sprache erhalten. In den letzten Jahren verzeichnet das weltweit<br />

größte Zentrum für jiddische Sprache, das YIVO Institute for Jewish Research<br />

in New York, ein steigendes Interesse nicht nur an jiddischen Sprachkursen,<br />

sondern auch an Geschichte und Kultur des Jiddischen. Auffallend dabei<br />

ist die Zahl „nichtreligiöser“ Teilnehmer. Das jiddische Wort “ Yidishkayt”<br />

bedeutet wörtlich Judentum. Heutzutage bezeichnen sich aber v.a. Sprachund<br />

Literaturbegeisterte des Jiddischen als „Jiddischisten“. In Netzwerken<br />

weltweit, zu Kulturfestivals oder Literaturkreisen wird die jiddische<br />

Sprache und Kultur zelebriert. Man singt Niggunim, trifft sich am Shabbat-<br />

Nachmittag um jiddische Gedichte und Literatur zu rezitieren. Sommerlager<br />

werden organisiert, in denen ausschließlich in Jiddisch kommuniziert wird.<br />

Die Art und Weise dieser scheinbar von der jüdischen Religion separierten<br />

kulturellen Praxis erinnert dabei an Konzepte ritueller Vergemeinschaftung<br />

und Identitätskonstruktion wie sie in religionssoziologischen Theorien<br />

problematisiert werden. Erneut wird die Frage nach den Grenzen zwischen<br />

Kultur und Religion aufgeworfen. Ist das Religiöse verschwunden? Die<br />

jiddische Sprache mit ihrem reichen kulturellen Erbe, v.a. in ihrer religiösen<br />

Symbolik und Tradition, inspiriert in unseren Tagen verschiedenste Gruppen.<br />

Im Vortrag soll „Yidishkayt“ als Judentum ohne Religionsbezug anhand<br />

empirischer Beispiele beleuchtet und im Zusammenhang mit verschiedenen<br />

Konzepten zu Religion und Kultur hinterfragt werden.<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Christoph Günther: Wahrer Glaube und legitime Herrschaft vs. Unglaube<br />

und illegitime Herrschaft - Ein islamischer Staat im Irak<br />

Schlagzeilen von religiös motivierten Konflikten im Irak bestimmten seit 2003<br />

über lange Zeit Nachrichtensendungen und Tageszeitungen weltweit. Die<br />

US-geführte Besatzung des Landes, die damit einhergehende Absenz eines<br />

funktionierenden Staatsgebildes sowie der Versuch einer Demokratisierung<br />

und Neuordnung der irakischen Gesellschaft nach ethisch-konfessionellem<br />

Proporz gaben einem Prozess Anschub, der bereits unter der Diktatur<br />

Saddam Husseins begonnen hatte: Die Wiederbelebung gemeinschaftlichen<br />

109


Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Samstag, 17. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Lebens, in dem der Islam eine vitale Rolle spielt und als identitätsstiftendes<br />

Moment im Gegensatz zu oder im Zusammenhang mit nationaler,<br />

ethnischer und tribaler Identifikation fungiert. Seit 2003 stellen islamistische<br />

Extremisten einen kleinen, aber militärisch schlagkräftigen und medial sehr<br />

präsenten Anteil der Widerstandsbewegung gegen die Zentralregierung in<br />

Bagdad. Einigen von ihnen gelang es, mit Unterstützung der Bevölkerung<br />

in bestimmten Landesteilen teils autonome parastaatliche Strukturen zu<br />

etablieren und bis heute eine der stärksten Bedrohungen für die Republik Irak<br />

darzustellen. Der Vortrag soll die Legitimationsmuster des sog. „islamischen<br />

Staates im Irak“ sichtbar machen, und zeigen, mit welchen Paradigmen<br />

dessen Bildung und Inanspruchnahme des Gewaltmonopols auf dem Gebiet<br />

eines souveränen Staates gerechtfertigt wird. Diese Paradigmen sind sowohl<br />

religiös wie auch politisch, wobei bestimmte Aspekte akzentuiert, andere –<br />

unbequeme – nahezu ausgeklammert werden.<br />

(De-)Konstruktionen religiöser Autoritäten in und durch moderne(n)<br />

Massenmedien<br />

• Xenia Zeiler: „Ich werde mein Haupt vor Śītalā im Tempel<br />

Benares beugen.“ Propagierung und Konsolidierung<br />

etablierter religiöser Autorität im Hinduismus durch moderne<br />

Massenmedien<br />

• Michael Waltemathe: Computerspiele und der Wandel des<br />

Umgangs mit den repräsentierten religiösen Autoritäten<br />

• Anna Neumaier: „Der Moderator räuspert sich“ - Diskursive<br />

Aushandlungen von Hierarchie und Rollen in religiösen<br />

Online-Diskussionsforen<br />

• Danijel Cubelic: Politiken islamischer Populärkultur:<br />

Neuaushandlungen religiöser Autorität in arabischen<br />

Massenmedien<br />

• Kerstin Radde-Antweiler: „For Men only“. Die Interpretation<br />

der biblischen Figur Maria von Magdala und der Kampf um<br />

kirchliche Autoritätskonstruktionen<br />

110


Samstag, 17. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Xenia Zeiler: „Ich werde mein Haupt vor Śītalā im Tempel Benares beugen.“<br />

Propagierung und Konsolidierung etablierter religiöser Autorität im Hinduismus<br />

durch moderne Massenmedien<br />

Trotz der steigenden Relevanz moderner Massenmedien für religiöse<br />

Akteure in Südasien wurden Mediatisierungsprozesse in hinduistischen<br />

Traditionen bislang wenig untersucht. Dies trifft umso mehr für digitale<br />

Medien zu. Bisherigen Studien zur Aushandlung religiöser Autorität in<br />

mediatisierten hinduistischen Kontexten thematisierten lediglich die<br />

Herausforderung und Bedrohung etablierter Autoritäten durch zunehmende<br />

Mediennutzung. Davon abweichend weisen jedoch aktuelle Entwicklungen<br />

auf einen gegensätzlichen Trend hin: Durch eine (häufig bewusste und/<br />

oder gesteuerte) Nutzung von modernen Massenmedien als Plattform<br />

für Propagierungen etablierter hinduistischer Autoritäten treten <strong>of</strong>fenbar<br />

verstärkt auch Konsolidierungsprozesse ein. Dies ist außer im Internet auch<br />

in anderen Mediengattungen nachweisbar.<br />

VCD’s, Video Compact Disks, sind seit etwa einem Jahrzehnt vorherrschendes<br />

Medium für Musikvideos auch mit religiösen Inhalten auf dem indischen<br />

Markt. In den sehr populären, für viele religiöse Akteure permanent<br />

alltagsbegleitenden „Albums“ mit choreographierten Devotionsgesängen<br />

wird einflussreich auch religiöse Autorität auf verschiedenen Ebenen (de)<br />

konstruiert. Dabei belegen viele aktuelle Beispiele, dass diese medialen<br />

Aushandlungsprozesse im rezenten Hinduismus etablierte religiöse<br />

Autoritäten nicht nur propagieren und legitimieren, sondern sogar konsolidieren.<br />

Dies soll an der Medienanalyse eines auf VCD und im Internet<br />

verbreiteten Musikvideos zur in Nordindien sehr populären Göttin Śītalā und<br />

zu ihrem wichtigen Heiligtum in Benares aufzeigt werden, ebenso wie die<br />

verschiedenen, sich gegenseitig beeinflussenden Ebenen in der Konstruktion<br />

dieser medial neu ausgehandelten religiösen Autorität(en).<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Michael Waltemathe: Computerspiele und der Wandel des Umgangs mit<br />

den repräsentierten religiösen Autoritäten<br />

Analysiert man das Phänomen der Computerspiele bezüglich der durch<br />

sie dargestellten Inhalte, so kann man Computerspiele als symbolische<br />

Universa beschreiben, die durch eine Maschine vermittelt erreichbar sind.<br />

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Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Samstag, 17. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Menschen, die Computerspiele spielen, tauchen in diese Welten ein und<br />

erspielen innerhalb der Spielregeln ein symbolisches Universum oder aber<br />

spielen mit den Regeln des Spiels und erschaffen so eine je individuelle<br />

Variante eines maschinell vermittelten symbolischen Universums. Dieser<br />

spielerische Charakter des Computergebrauchs kann als eine grundlegende<br />

Form dessen beschrieben werden, was gemeinhin unter dem Begriff<br />

Virtualität verstanden wird. Wenn nun diese Computer-Welten einen<br />

spielerischen Zugang erfordern, ermöglichen oder evtl. sogar erzwingen,<br />

wie sind dann religiöse Symbole innerhalb dieser symbolischen Universa<br />

vermittelbar? Werden religiöse Vorstellungen oder religiöses Wissen auf<br />

spielerische Weise kommuniziert, wie wandelt sich dann der Umgang<br />

mit der durch sie repräsentierten religiösen Autorität? Anhand von<br />

Beispielen aktueller Computerspiele sollen verschiedene Aspekte dieser<br />

Fragestellung erörtert werden. Analysiert wird ein zu missionarischen<br />

Zwecken produziertes Computerspiel, der Rechtsstreit zwischen einer<br />

Computerspielefirma und einer christlichen Kirche über die Darstellung<br />

und virtuelle Zweckentfremdung religiöser Räume sowie die spielerische<br />

Rekonstruktion religiöser Motive innerhalb eines Medienverbundes von<br />

Kin<strong>of</strong>ilm und Computerspiel.<br />

Anna Neumaier: „Der Moderator räuspert sich“ - Diskursive Aushandlungen<br />

von Hierarchie und Rollen in religiösen Online-Diskussionsforen<br />

Frühen utopischen Deutungen galt das Internet als egalitärer und<br />

demokratischer Raum jenseits üblicher Hierarchien. Auch in den ersten<br />

wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit dem World Wide Web lässt<br />

sich dieses Narrativ immer wieder aufzeigen. Die Einordnung des Web als<br />

erst einmal nicht hierarchisch strukturiertem Raum legt auch Hypothesen<br />

für die Religionsforschung nahe: Dass das World Wide Web ein Raum ist, in<br />

dem fernab von institutionalisierten Hierarchien und den Rollenverteilungen<br />

klassischer Religionsgemeinschaften neue Prozesse der Aushandlung<br />

religiöser Inhalte und Überzeugungen stattfinden.<br />

Eigene Forschungen in christlichen Online-Diskussionsforen zeigen dabei<br />

Ambivalenzen: Zum Einen verweisen Nutzer solcher Angebote, wenn<br />

sie nach ihrer Motivation für das Online-Engagement befragt werden, in<br />

der Tat auf die Freiheiten und Möglichkeiten des Webs – insbesondere<br />

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Samstag, 17. September<br />

Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

solche, die der Wegfall von Autoritäten und Strukturen mit sich bringt, wie<br />

sie sonst in „klassischen“ (Offline-)Gemeinden als zu einengend erlebt<br />

wurden. Gleichzeitig zeigt eine Analyse der Angebote, dass auch online<br />

Zuschreibungsprozesse von Autorität stattfinden. Dabei muss einerseits<br />

berücksichtigt werden, inwiefern solche Rollen technisch ermöglicht<br />

werden, andererseits aufgezeigt werden, inwiefern sie gleichzeitig diskursiv<br />

produziert und als erforderlich legitimiert werden. Eine Verschiebung<br />

religiöser Rollen und Hierarchien im Vergleich zu Offline-Gemeinschaften<br />

liegt nahe. Die spezifischen Kennzeichen dieser Transformationsprozesse<br />

sollen im Vortrag beleuchtet werden.<br />

Danijel Cubelic: Politiken islamischer Populärkultur: Neuaushandlungen<br />

religiöser Autorität in arabischen Massenmedien<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Eine zunehmend auch für ökonomische Mittel- und Unterschichten<br />

arabischer Gesellschaften erschwingliche Satellitenempfangstechnologie<br />

führte seit den 1990er Jahren zur erdrutschartigen Veränderung der<br />

Medienlandschaft, Transnationalisierung einst nationaler Fernsehmärkte und<br />

Pluralisierung ihrer Inhalte. Teil der Transformationsprozesse des Leitmediums<br />

Fernsehen sind neue, diversifizierte islamische Medienangebote mit über 80<br />

verschiedenen Kanälen. Gerade bei der Hauptzielgruppe der Jugendlichen<br />

weisen islamische Sender allerdings ein Nachwuchsproblem auf: In ihrem<br />

im globalen Vergleich überdurchschnittlichen Fernsehkonsum spielen<br />

religiöse Angebote eine viel geringere Rolle als z.B. Popmusikkanäle. Eine<br />

neue Generation von Medienunternehmern versucht diese Marktlücke durch<br />

auf jugendliche, urbane Konsumentenschicht zugeschnittene, dezidiert<br />

islamische popkulturelle Angebote zu schließen.<br />

Der Vortrag möchte am Beispiel des islamischen Popmusiksenders 4Shbab<br />

und der von ihm produzierten Popmusik, Videoclips, Stars, Talentshows<br />

und Diskussionssendungen darstellen, wie diese neuen Angebote dabei<br />

eine für Jugendliche neue Form islamischer Autorität ausbilden. In Kairo<br />

produziert und von saudischen Geldgebern finanziert, hat das Programm<br />

von 4Shbab als Zielgruppe junge Menschen in der ganzen arabischen Welt<br />

und möchte Entertainment bieten, das den Islam und eine konservative<br />

Familien- und Sexualmoral zeitgemäß einer von Verwestlichung bedrohten<br />

Jugend in ihrer Sprache vermittelt. Durch ihre Infragestellung klassischer<br />

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Vortrags-<strong>Abstracts</strong><br />

Samstag, 17. September<br />

DVRW-Jahrestagung 2011<br />

Kommunikationsstrategien islamischen Wissens als den veränderten<br />

Erwartungshaltungen junger Menschen nicht mehr ausreichend und die im<br />

Gegenzug zu beobachtende harsche Kritik religiöser Gelehrter entzünden<br />

sich an 4Shbab Diskurse gesamtgesellschaftlicher Relevanz um die<br />

Neuaushandlung islamischer Autorität im 21. Jahrhundert.<br />

Kerstin Radde-Antweiler: „For Men only“. Die Interpretation der biblischen<br />

Figur Maria von Magdala und der Kampf um kirchliche Autoritätskonstruktionen<br />

Maria Magdalena oder Maria von Magdala ist eine umstrittene Figur im<br />

christlichen Diskursfeld. Hatte sie eine sexuelle Beziehung zu Jesus? War<br />

sie eine Prostituierte und Sünderin, wie Papst Gregor der Große erklärte?<br />

Diese Fragen werden seit Jahrhunderten in Bezug auf die Figur der Maria<br />

Magdalena gestellt und auch in den modernen Massenmedien ausführlich<br />

diskutiert. Bestimmend an der mediatisierten Diskussion um die Figur<br />

der Maria Magdalena ist v. a. ihre Sexualität. Entweder geht es um ihre<br />

angebliche Liebesbeziehung zu Jesus oder um ihr Dasein als Prostituierte.<br />

Über die Figur der Maria von Magdala kommen hier christologische<br />

Deutungsprozesse implizit zu tragen: Diese Diskussion hat aber auch<br />

Auswirkungen auf das ekklesiologische Verständnis der jeweiligen Akteure.<br />

Wird Maria von Magdala als sexuelle Partnerin Jesu verstanden, werden<br />

Bedeutungsänderungen des im rezenten Diskurs umstrittenen Zölibats<br />

<strong>of</strong>fenbar. Eine weitere Bedeutungsrelevanz in der Frage nach dem Zugang<br />

von Frauen zu kirchlichen Ämtern besitzt die Figur der Maria von Magdala<br />

in der Frage nach ihrer Funktion als Apostolin. So ist zu beobachten, dass<br />

die Maria von Magdala <strong>of</strong>tmals als Legitimationsfigur im theologischfeministischen<br />

Diskurs zu Autoritätskonstruktionen benutzt wird.<br />

Ein Aspekt, der im Vortrag diskutiert wird, ist die Auswirkung des<br />

Mediendiskurses auf die religiösen Akteure. Wird der Diskurs in das eigene<br />

Glaubenssystem integriert oder werden Glaube und der öffentliche Diskurs<br />

als voneinander abgetrennt betrachtet? Wird der Diskurs aufgrund der<br />

eigenen Glaubensvorstellungen aktiv beeinflusst oder ist es sogar umgekehrt?<br />

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