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Substanzgebrauch bei Pt-Patienten - Christoph-Dornier-Klinik für ...

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Verhaltenstherapie <strong>bei</strong> <strong>Patienten</strong> mit komorbidem<br />

<strong>Substanzgebrauch</strong><br />

Fred Rist<br />

Westfälische Wilhelms-Universität Münster<br />

Symposium der <strong>Christoph</strong>-<strong>Dornier</strong>-<strong>Klinik</strong> <strong>für</strong><br />

Psychotherapie am 21. 4. 2012


I) Konsum psychotroper Substanzen in der<br />

Bevölkerung<br />

II) Varianten von problematischem Alkoholkonsum<br />

III) Konsum psychotroper Substanzen <strong>bei</strong> <strong>Patienten</strong><br />

IV) Funktionalität von Substanzkonsum<br />

V) Konsequenzen <strong>für</strong> Diagnostik<br />

VI) Einbezug in die Psychotherapie<br />

1


Tägliche Medikamenteneinnahme in den letzten 30<br />

Tagen (deutsche Repräsentativeerhebung)<br />

%<br />

5<br />

0<br />

Quelle: Pabst et al., 2009<br />

Männer<br />

Frauen<br />

2


Cannabisabhängigkeit in den letzten 12 Monaten<br />

(deutsche Repräsentativerhebung)<br />

%<br />

Gesamt: 1.2%, Männer: 1.6%, Frauen: 0.8%<br />

6<br />

5<br />

4<br />

3<br />

2<br />

1<br />

0<br />

18-20 21-24 25-29 30-39 40-49 50-59 60-64<br />

Alter<br />

Quelle: Pabst et al., 2009<br />

3


Tabakkonsum in den letzten 30 tagen (deutsche<br />

Repräsentativerhebung)<br />

%<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Nichtraucher Exraucher Raucher<br />

Quelle: Pabst et al., 2009<br />

Männer<br />

Frauen<br />

4


Alkoholkonsum in den letzten 30 Tagen<br />

(deutsche Repräsentativerhebung)<br />

%<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Lebenslang<br />

abstinent<br />

ein Jahr<br />

abstinent<br />

ein Monat<br />

abstinent<br />

risikoarm<br />

(m: < 24g;<br />

w: < 12g)<br />

riskant<br />

(m: > 24g;<br />

w: > 12g)<br />

Männer<br />

Frauen<br />

Riskant: durchschnittlich mehr als ca 1/4 l bzw. 1/8 l Wein pro Tag<br />

Quelle: Pabst et al., 2009 5


Rauschtrinken in den letzten 30 Tagen (deutsche<br />

Repräsentativerhebung)<br />

%<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

0-mal 1- bis 3-mal 4-mal oder<br />

häufiger<br />

Männer<br />

Frauen<br />

Rauschtrinken: 6 oder mehr Gläser (à 10 g Alkohol)<br />

Quelle: Pabst et al., 2009<br />

6


Negative Konsequenzen von riskantem<br />

Alkoholkonsum (GENACIS-Projekt)<br />

UV:<br />

� 8 Europäische Länder<br />

� 3 Lebensabschnitte<br />

� Geschlecht<br />

� Konsummenge<br />

AV:<br />

� Interne Probleme (z.B. sich schuldig fühlen)<br />

� Externe Probleme (z.B. Kritisiert werden)<br />

� Binge Drinking<br />

Quelle: Plant et al., 2000<br />

7


Konsummenge und Problembelastung:<br />

Irgendein Problem (GENACIS-Projekt)<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

0 bis 9 11 bis 19 20 bis 29 über 30<br />

Täglicher Alkoholkonsum (g)<br />

Quelle: Plant et al., 2000<br />

Schweiz: Männer<br />

Schweiz: Frauen<br />

GB: Männer<br />

GB: Frauen<br />

8


Einstellungen der Bevölkerung zum Konsum<br />

von Alkohol<br />

1. Feiern ohne Alkohol kann ich mir<br />

nicht vorstellen<br />

2. Eine „trockene“ Runde finde ich oft<br />

recht fad und ungemütlich<br />

3. Wenn ich etwas trinke, steigt<br />

mein Selbstvertrauen<br />

4. Alkohol hilft mir, meine Nervosität<br />

zu bekämpfen<br />

5. Alkohol ist ein bewährtes Mittel,<br />

Ängste und Spannungen zu<br />

beseitigen<br />

6. Alkohol steigert meine<br />

Leistungskraft und Ausdauer<br />

7. Als Nichttrinker würde ich mir<br />

minderwertig vorkommen<br />

Quelle: Kraus & Augustin, 2001<br />

0 10 20 30 40<br />

%<br />

Frauen<br />

Männer<br />

9


Verfügbarkeit von Alkohol in Deutschland<br />

(anders als z.B. in Norwegen)<br />

10


Zusammenfassung zum Punkt „Konsum<br />

psychotroper Substanzen in der Bevölkerung“<br />

� Stimmungsbeeinflussende Substanzen werden häufig<br />

konsumiert (Medikamente, Cannabis, Tabak, Alkohol)<br />

� Deutschland gehört zu den Ländern mit dem höchsten Pro-<br />

Kopf-Verbrauch an Alkohol: überall (sogar in Tankstellen) und<br />

immer (Supermarkt bis 24.00h) verfügbar<br />

� Epidemiologische Befunde zur kardiovaskulären Schutzwirkung<br />

von bis zu 30 g Alkohol suggerieren eine medizinische<br />

Akzeptanz<br />

� Aber: Psychische und soziale Probleme nehmen systematisch<br />

mit der durchschnittlich getrunkenen Alkoholmenge zu<br />

� Alkohol, Cannabis und Medikamente wird von den<br />

Konsumenten generell eine stimmungsverbesserende Wirkung<br />

zugeschrieben<br />

� Psychotrop wirkenden Substanzen sind leicht verfügbar und<br />

generell positiv eingeschätzt – folgerichtig ist zu erwarten,<br />

dass <strong>Patienten</strong> mit psychischen Störungen Substanzen zur<br />

Emotionsregulierung einsetzen!<br />

11


I) Konsum psychotroper Substanzen in der<br />

Bevölkerung<br />

II) Varianten von problematischem<br />

Alkoholkonsum<br />

III) Konsum psychotroper Substanzen <strong>bei</strong> <strong>Patienten</strong><br />

IV) Funktionalität von Substanzkonsum<br />

V) Konsequenzen <strong>für</strong> Diagnostik<br />

VI) Einbezug in die Psychotherapie<br />

12


Problematischer Alkoholkonsum:<br />

Gewöhnung-Gewohnheit-Abhängigkeit<br />

Deskriptive Merkmale:<br />

� Täglich oder fast täglich<br />

� Zunehmend mehr allein als gesellig trinken<br />

� Toleranz; Hochkonsum<br />

� Änderung der stimulierenden und sedierenden Wirkung<br />

� Ignorieren von Trunkenheitsanzeichen<br />

� Binging (exzessives Trinken)<br />

Funktionale Merkmale:<br />

� Adaptieren des Tagesablaufs an die Konsumnotwendigkeit<br />

� Wirkungserwartungen auf negative Verstärkung gerichtet<br />

� Gedankliche Antizipation des Konsums und der Verstärkerwirkung<br />

� Vermeidung von Störungen der Konsumgewohnheit<br />

� Reduktion von Interessen und anderen potentiellen Verstärkern<br />

� Intensivierung des Konsums <strong>bei</strong> emotionaler Belastung<br />

13


Problematischer Alkoholkonsum unterhalb der<br />

Abhängigkeitsschwelle (nach Edwards et al., 1981)<br />

� ungebilligter Gebrauch<br />

(unsanctioned use)<br />

� riskanter Gebrauch<br />

(hazardous use)<br />

� dysfunktionaler Gebrauch<br />

(dysfunctional use)<br />

� schädlicher Gebrauch<br />

(harmful use)<br />

Gebrauch einer psychotropen Substanz,<br />

der von der Gesellschaft bzw. einem<br />

Teil der Gesellschaft nicht gebilligt wird<br />

Gebrauch einer psychotropen Substanz,<br />

der wahrscheinlich zu schädlichen<br />

Konsequenzen führen wird<br />

Gebrauch einer psychotropen Substanz,<br />

der zu einer Einschränkung psychischer<br />

und sozialer Funktionen führt<br />

Gebrauch einer psychotropen Substanz,<br />

der zu körperlichen oder psychischen<br />

Schäden führt (bzw. schon geführt hat)<br />

14


Schädlicher Gebrauch (ICD 10 F1x.1)<br />

Deutlicher Nachweis, dass der <strong>Substanzgebrauch</strong> <strong>für</strong> körperliche oder<br />

psychische Schäden verantwortlich ist (einschließlich eingeschränkter<br />

Urteilsfähigkeit oder gestörten Verhaltens, das zu Behinderungen/negativen<br />

Konsequenzen in Beziehungen führen kann).<br />

• Art der Schädigung sollte klar festgestellt und bezeichnet werden können<br />

• Das Gebrauchsmuster besteht seit mindestens 1 Monat und trat in den<br />

letzten 12 Monaten wiederholt auf<br />

• Auf die Störung treffen nicht die Kriterien einer anderen durch die Substanz<br />

verursachten psychischen Störung zu (außer akute Intoxikation F1x.0)<br />

15


Abhängigkeitssyndrom (ICD 10 F1x.2)<br />

Drei oder mehr der folgenden Kriterien sollten zusammen mindestens 1<br />

Monat bestanden haben. Bei einem kürzeren Zeitraum sollten sie<br />

innerhalb von 12 Monaten wiederholt bestanden haben.<br />

1. Starkes Verlangen oder eine Art Zwang, die Substanz zu konsumieren<br />

2. Verminderte Kontrolle über den <strong>Substanzgebrauch</strong> (d.h. über Beginn,<br />

Beendigung oder konsumierte Menge; erfolglose Versuche, den Konsum zu<br />

verringern/zu kontrollieren)<br />

3. <strong>Substanzgebrauch</strong> um Entzugssymptome zu mildern<br />

4. Körperliches Entzugssyndrom <strong>bei</strong> Absetzen oder Reduktion der Substanz<br />

5. Toleranzentwicklung<br />

6. Einengung auf den <strong>Substanzgebrauch</strong> (Zeitaufwand <strong>bei</strong> Beschaffung,<br />

Konsum und Erholung, Vernachlässigung von Aufgaben oder Interessen<br />

zugunsten des Konsums)<br />

7. Anhaltender Konsum trotz eindeutig schädlicher Folgen (körperlich, sozial<br />

oder psychisch)<br />

16


Zusammenfassung zum Punkt „Varianten von<br />

problematischem Alkoholkonsum“<br />

� Die in ICD kodierbaren Diagnosen sind Abhängigkeit (F1x.2)<br />

und schädlicher Gebrauch einer Substanz (F1x.1). Auch wenn<br />

die zugehörigen Diagnosekriterien nicht erfüllt sind, muss<br />

geprüft werden, ob problematischer Gebrauch vorliegt.<br />

� Auch wenn F1x.2 und F1x.1 Kriterien nicht erfüllt sind, kann<br />

Konsum problematisch sein:<br />

� Riskanter Konsum ist nur epidemiologisch definiert als<br />

durchschnittliche Konsummenge, ab der ein Risiko <strong>für</strong><br />

gesundheitliche und psychische Schädigung vorhanden ist. Das<br />

Trinkmuster hinter der Durchschnittsangabe kann sehr<br />

variabel sein.<br />

� Deskriptive und funktionale Indikatoren <strong>für</strong> problematischen<br />

Konsum sollten immer geprüft werden, wenn Alkoholkonsum<br />

ab riskanten Mengen festgestellt wird.<br />

� Ungebilligter Gebrauch beschreibt eine von den<br />

gesellschaftlichen Normen (auch der einer Subkultur)<br />

abweichende Konsumform.<br />

17


I) Konsum psychotroper Substanzen in der<br />

Bevölkerung<br />

II) Varianten von problematischem Alkoholkonsum<br />

III) Konsum psychotroper Substanzen <strong>bei</strong><br />

<strong>Patienten</strong><br />

IV) Funktionalität von Substanzkonsum<br />

V) Konsequenzen <strong>für</strong> Diagnostik<br />

VI) Einbezug in die Psychotherapie<br />

18


Prävalenz von alkoholabhängigen <strong>Patienten</strong><br />

in Allgemeinpraxen<br />

Jahr Autoren Region Kriterium Prävalenz<br />

1983 Kreysig et al. Leipzig MALT 6.0 %<br />

1978 Dilling et al. 1 Oberbayern ICD 8 2.8 %<br />

1988 Zintl-Wiegand et al. Traustein ICD 8 3.9 %<br />

Mannheim ICD 8 6.4 %<br />

1992 Buchholz Krs. Bautzen MALT 5.5 %<br />

1996 John et al. Lübeck ICD 10 7.2 %<br />

1996 Linden et al. Berlin ICD 10 7.2 %<br />

1996 Linden et al. Mainz ICD 10 4.7 %<br />

1: einschließlich Drogenabhängigkeit<br />

Md = 6.0 %<br />

Quelle: Wienberg, 2001 19


Angststörungen <strong>bei</strong> alkoholbezogenen Störungen<br />

(Lebenszeitprävalenz; DSM-IVDiagnosen)<br />

Missbrauch Abhängigkeit<br />

Männer Frauen Männer Frauen<br />

Irgendeine Angststörung 23% 49% 36% 61%<br />

Panikstörung 2% 7% 4% 12%<br />

Agoraphobie 5% 9% 7% 19%<br />

Soziale Phobie 11% 24% 19% 30%<br />

Spezifische Phobie 6% 28% 14% 31%<br />

Generalisierte Angststörung 3% 8% 9% 16%<br />

Quelle: Kessler et al. (1997)


Alkoholbezogene Störungen <strong>bei</strong> Angststörungen<br />

(Lebenszeitprävalenz; DSM-IV-Diagnosen)<br />

Missbrauch Abhängigkeit<br />

Irgendeine Angststörung 5% 8%<br />

Panikstörung mit AGP<br />

Panikstörung ohne AGP<br />

6%<br />

4%<br />

12%<br />

12%<br />

Soziale Phobie 4% 9%<br />

Spezifische Phobie 5% 7%<br />

Generalisierte Angststörung 4% 11%<br />

Irgendeine affektive Störung 6% 12%<br />

Major Depression 5% 11%<br />

Dysthymie 4% 9%<br />

Quelle: Grant et al. (2004)


Hauptdiagnosen der Psychotherapieambulanz WWU Münster<br />

19%<br />

11%<br />

4%<br />

3%<br />

2%<br />

29%<br />

32%<br />

Affektive Störungen (N = 284)<br />

Angst - und Zwangsstörungen (N = 256)<br />

Anpassungsstörungen (N = 167)<br />

sonstige (N = 99)<br />

Essstörungen (N = 41)<br />

Persönlichkeitsstörungen (N = 30)<br />

Arndt, Andor & Rist (2012)<br />

Störungen durch psychotrope Substanzen (N<br />

= 17)<br />

22


Untersuchung zum riskanten Trinken <strong>bei</strong> <strong>Patienten</strong> einer<br />

Psychotherapieambulanz<br />

� Schädlicher Gebrauch und Abhängigkeit sind seltene<br />

Diagnosen in der ambulanten Psychotherapie<br />

� Riskanter und damit potentiell auch problematischer<br />

Konsum sind erheblich häufiger<br />

� In der PTA wird jeder Patient mit dem Alcohol Use<br />

Disorder, dem Cannabis Use Disorder und dem Kurzen<br />

MedikamentenFragebogen gescreent<br />

� Wir berichten über die Ergebnisse zum AUDIT:<br />

Häufigkeit problematischen Alkoholkonsums (ohne<br />

schädliches Trinken und Abhängigkeit)<br />

Arndt, Andor & Rist (2012)<br />

23


Ergebnisse der AUDIT-Untersuchung in der PTA (N = 254)<br />

Daten der <strong>Patienten</strong>stichprobe zum Zeitpunkt der Eingangsdiagnostik (T1)<br />

AUDIT-Gesamtwert <<br />

8 zu T1 (M (SD) bzw. %)<br />

N 192 (76 %) 62 (24 %)<br />

AUDIT-Gesamtwert ≥<br />

8 zu T1 (M (SD) bzw. %)<br />

Prüfgröße<br />

(Chi 2 - bzw. T-Wert)<br />

Alter zu Therapiebeginn in Jahren 33.37 (10.44) 34.04 (9.83) -0.46 .64<br />

Geschlecht (% männlich) 28% 65% 26.62


Ergebnisse aus der AUDIT-Untersuchung an der PTA<br />

� 31 % der <strong>Patienten</strong> erreichen AUDIT-Werte über<br />

Cutscore = 8<br />

� Missbrauchs- oder Abhängigkeitsdiagnose <strong>bei</strong> 21 %<br />

dieser Gruppe<br />

� Riskantes Trinken <strong>bei</strong> 79 % dieser <strong>Patienten</strong><br />

� riskantes Trinken geht speziell <strong>bei</strong> depressiven Männern<br />

mit einem schlechteren Therapieergebnis einher.<br />

� Die Mehrzahl der riskant trinkenden <strong>Patienten</strong> reduziert<br />

das Trinken nicht im Verlauf der Therapie.<br />

Arndt, Andor & Rist (2012)<br />

25


EXKURS<br />

UNTERSCHWELLIGER ALOKOHOLISMUS<br />

ALS KONTEXTFAKTOR BEI PATIENTEN IN DER<br />

PSYCHOSOMATISCHEN REHABILITATION<br />

B. Geiselmann<br />

Abteilung Verhaltenstherapie und Psychosomatik am Rehabilitations-Zentrum<br />

Seehof der Deutschen Rentenversicherung Bund, Teltow/Berlin<br />

18. Rehabilitationswissenschaftliches Kolloquium<br />

März 2009 in Münster<br />

26


Exkurs: Unterschwelliger Alkoholismus als Kontextfaktor<br />

� Alkoholabusus oder –abhängigkeit als Komorbidität<br />

B. Geiselmann<br />

27


Exkurs: Unterschwelliger Alkoholismus als Kontextfaktor<br />

� Soziodemografische Charakteristika<br />

Ohne F10-<br />

Diagnose<br />

(% <strong>Patienten</strong>)<br />

N = 4821<br />

Schädlicher<br />

Gebrauch<br />

(% <strong>Patienten</strong>),<br />

N = 151<br />

Ar<strong>bei</strong>tsunfähigkeit <strong>bei</strong> Aufnahme 48,0 66,9 < 0,001<br />

Ar<strong>bei</strong>tsunfähigkeit > 3 Monate 40,5 57,0 < 0,001<br />

Ar<strong>bei</strong>tsunfähigkeit > 6 Monate 25,6 35,1 < 0,001<br />

Ar<strong>bei</strong>tsunfähigkei <strong>bei</strong> Entlassung 39,5 59,2 < 0,001<br />

Berufliche Leistungsprognose:<br />

6 Stunden oder mehr<br />

3 bis unter 6 Stunden<br />

unter 3 Stunden täglich<br />

87,7<br />

1,7<br />

10,6<br />

83,1<br />

1,2<br />

15,7<br />

Rentenwunsch 20,9 27,8 n.s.<br />

Chi 2 -Test<br />

Pearson oder<br />

Fisher’s Exact Test<br />

Sign. 2-seitig<br />

< 0,05<br />

B. Geiselmann<br />

28


Exkurs: Unterschwelliger Alkoholismus als Kontextfaktor<br />

� Selbst- versus Therapeutenbeurteilung am Ende der Reha<br />

Behandlungsziel erreicht? 0 = überhaupt nicht, 10 = voll<br />

B. Geiselmann<br />

29


Zusammenfassung zum Punkt „Konsum psychotroper<br />

Substanzen <strong>bei</strong> Psychotherapiepatienten “<br />

� Bei <strong>Patienten</strong> mit alkoholbezogenen Störungen sind<br />

Angststörung und affektive Störungen häufig.<br />

� Schädliches Trinken oder Abhängigkeit (F11.1 und F11.2) <strong>bei</strong><br />

ca 13 % der <strong>Patienten</strong> mit einer Angststörung oder einer<br />

depressiven Störung<br />

� Gesteigertes Risiko (ca 20 %) wenn eine depressive und eine<br />

Angststörung irgendwann im Leben aufgetreten sind: Jeder 5.<br />

Patient dieser Kategorie!<br />

� Abhängigkeit ist generell häufiger als Missbrauch<br />

� Generell problematischer Alkoholkonsum ist in den Gruppen<br />

mit erhöhtem Abhängigkeitsrisiko häufiger<br />

� Ein hohes Risiko <strong>für</strong> Medikamentenabhängigkeit besteht <strong>bei</strong><br />

Frauen mit Angsterkrankungen<br />

� Problematischer Konsum ist mit ungünstigeren<br />

Behandlungsergebnissen und Prognosen verbunden, sowohl<br />

ambulant wie stationär<br />

30


I) Konsum psychotroper Substanzen in der<br />

Bevölkerung<br />

II) Varianten von problematischem Alkoholkonsum<br />

III) Konsum psychotroper Substanzen <strong>bei</strong> <strong>Patienten</strong><br />

IV) Funktionalität von Substanzkonsum<br />

V) Konsequenzen <strong>für</strong> Diagnostik<br />

VI) Einbezug in die Psychotherapie<br />

31


Selbstmedikation <strong>bei</strong> Angst- und affektiven Störungen<br />

Generell sind negative Verstärkereffekte zu erwarten, d.h.<br />

Normalisierung aversiver Verfassungen durch einen Substanzkonsum.<br />

Wie bewirkt Alkohol negative Verstärkungseffekte?<br />

Emotional/vegetative Wirkungen:<br />

- Abschwächung emotionale Reaktionen (insbes.<br />

Angst und Ärger)<br />

- Reduktion von muskulärer Anspannung<br />

- Reduktion vegetativer Anspannung<br />

- Schlafanstoßend<br />

Kognitive Wirkungen:<br />

- Verschlechterung des Gedächtnisabrufs<br />

- Änderung von Risikoeinschätzungen<br />

- Verlangsamung der Informationsverar<strong>bei</strong>tung<br />

Stevens, Rist & Gerlach, 2008<br />

32


Selbstmedikation <strong>bei</strong> Angst- und affektiven Störungen<br />

Demonstration der Intensivierung von Alkoholkonsum unter emotionaler<br />

Belastung:<br />

Wie wirkt „Erziehungsstress“ auf Alkoholkonsum?<br />

Eltern verhaltensgestörter Kinder und Eltern unauffälliger Kinder wird<br />

nach der Interaktion mit den Kindern Gelegenheit zum Alkoholkonsum<br />

gegeben<br />

Parental<br />

drinking<br />

Parental<br />

negative<br />

affect<br />

Parental<br />

stress<br />

Maladaptive<br />

parenting<br />

Quelle: Pelham & Lang, 1999<br />

Child<br />

behavior<br />

Problems<br />

33


Auswirkung der Interaktion mit den Kindern auf<br />

die Stimmung<br />

MAACL erfasst aktuelle Stimmung der Eltern nach der Interaktion:<br />

Dysphorischer <strong>bei</strong> Eltern verhaltensgestörter Kinder: „gestresst“<br />

Quelle: Pelham & Lang, 1999<br />

34


Elterlicher Alkoholkonsum nach der Interaktion<br />

ml/kg<br />

0,5<br />

0,4<br />

0,3<br />

0,2<br />

0,1<br />

0<br />

Alkoholkonsum der Eltern<br />

Quelle: Pelham & Lang, 1999<br />

Eltern mit<br />

verhaltensgestörten<br />

Kindern<br />

Eltern mit normalen<br />

Kindern<br />

Ergebnis: Die gestressten Eltern trinken mehr nach der Interaktion<br />

35


Psychologisches Modell der Alkoholwirkung <strong>bei</strong> Angst,<br />

Sorgen, Grübeln: „Alkoholkurzsichtigkeit“<br />

Attention-Allocation Model (Steele &Josephs, 1988 ff)<br />

1. Alkohol beeinträchtigt kontrollierte<br />

Informationsverar<strong>bei</strong>tung (Exekutivfunktionen)<br />

2. Alkohol beeinträchtigt nicht die automatische<br />

Informationsverar<strong>bei</strong>tung<br />

3. Alkohol verengt die Aufmerksamkeit auf die unmittelbar<br />

verfügbaren Reize (intern und extern)<br />

4. Das Ergebnis ist die „Alkoholkurzsichtigkeit“:<br />

- wenig Reize werden wahrgenommen<br />

- die wahrgenommenen Reize werden nicht<br />

adäquat beurteilt<br />

5. Kennzeichnend <strong>für</strong> die typische Situation <strong>bei</strong><br />

problematischem Alkoholkonsum: Allein - Radio oder<br />

Fernsehen - zunehmende Intoxikation – Abschwächen<br />

von sorgenvollen und ruminierenden Gedanken.<br />

36


Zusammenfassung zum Punkt „Funktionalität von<br />

Substanzkonsum“<br />

Problematischer Gebrauch einer Substanz wird durch unterschiedliche<br />

Mechanismen gelernt und aufrecht erhalten<br />

Die Wirkung hängt von Substanz, Dosis, Situation, physiologischer und<br />

gelernter Toleranz ab<br />

Wirkung muss aufgeteilt werden in<br />

a) Direkte Effekte auf emotionale Reaktionen und Stimmung<br />

b) Indirekte Effekte, vermittelt über Beeinträchtigungen des Denkens<br />

und der Erinnerung<br />

Vermutlich kommt <strong>bei</strong>m problematischen Konsum den indirekten<br />

Effekten größere Bedeutung zu. Gut nachgewiesen <strong>für</strong> Alkohol, aber<br />

auch <strong>bei</strong> Cannabis plausibel<br />

Generell wird problematischer Konsum durch irgendeine Form von<br />

negativer Verstärkung aufrecht erhalten<br />

„Selbstmedikation“ ist eine Beschreibung, keine Erklärung.<br />

37


I) Konsum psychotroper Substanzen in der<br />

Bevölkerung<br />

II) Varianten von problematischem Alkoholkonsum<br />

III) Konsum psychotroper Substanzen <strong>bei</strong> <strong>Patienten</strong><br />

IV) Funktionalität von Substanzkonsum<br />

V) Konsequenzen <strong>für</strong> Diagnostik<br />

VI) Einbezug in die Psychotherapie<br />

38


Informationssammlung zum problematischen Konsum<br />

von Substanzen<br />

� Bei jedem <strong>Patienten</strong> muss der Konsum psychotroper Substanzen ermittelt<br />

werden.<br />

� Erklärung <strong>für</strong> den <strong>Patienten</strong>: Interaktionen mit der psychischen Störung oder<br />

ihrer Veränderung möglich, <strong>für</strong> die eine Behandlung gewünscht wird.<br />

Beispiele (z.B. Panikattacken-Kaffee, Alkohol-Schlafstörungen, Ecstasysoziale<br />

Unsicherheit,….)<br />

� Interaktionen sind <strong>für</strong> jede psychische Störung und jede Substanz möglich.<br />

� Abfrage strukturieren von sozial akzeptierten bis zu illegalen Substanzen:<br />

Kaffee (Panikstörung!) – Tabak – Alkohol – Medikamente – Cannabis –<br />

Opioide – Stimulantia (Amphetamin, Ecstasy).<br />

� Unbedingt Klarheit gewinnen über Frequenz, Menge, Konsummotivation,<br />

Konsumsituationen (entern und extern), Konsumeffekte <strong>für</strong> jede Substanz<br />

(einschl. Intoxikationsgrad)<br />

� Screening-Instrumente einsetzen zur Objektivierung der Konsumangaben<br />

und der Konsumfolgen<br />

� Bei Verdacht auf problematischen Konsum Suchtanamnesebogen einsetzen<br />

(z.B. MATE)<br />

� SKID zur Abfrage der Kriterien <strong>für</strong> schädlichen Konsum und Abhängigkeit<br />

39


Häufige Probleme <strong>bei</strong> der Informationssammlung zum<br />

problematischen Konsum von Substanzen<br />

� Patient ist verwundert, dass er dazu Auskunft geben soll, ist doch<br />

wegen Zwangsstörungen hier<br />

� Patient hat Angst, etwas aufgeben zu müssen was ihm wichtig ist<br />

� Therapeut scheut sich, danach zu fragen, weil er meint, nicht<br />

hinreichend begründen zu können warum er das wissen will<br />

� Patient macht unklare Angaben zu Häufigkeit, Gelegenheit, Menge und<br />

Wirkung<br />

� Therapeut gibt sich mit unklaren Auskünften zufrieden („trinkt nicht<br />

regelmäßig“, „gelegentlich ein Joint“,<br />

� Therapeut misstraut den Angaben des <strong>Patienten</strong><br />

� Therapeut be<strong>für</strong>chtet, die therapeutische Beziehung zu gefährden,<br />

wenn er nach Dingen frägt, die der Patient nur ungern preisgibt –<br />

gerade am Anfang einer Behandlung<br />

� Therapeut hat Sorge, mit einem weiteren Problembreich<br />

„problematischer Konsum“ die Behandlung zu verkomplizieren und den<br />

Erfolg in den Hauptbereichen zu gefährden<br />

40


Hilfsmittel <strong>bei</strong> der Informationssammlung zum<br />

problematischen Konsum von Substanzen<br />

Neben der direkten Exploration und Anamnese zum Substanzkonsum sind<br />

wichtige Hilfsmittel:<br />

� Screeninginstrumente zum Konsum von Alkohol, Cannabis und<br />

Medikamenten<br />

� Alkohol: Alcohol Use Disorder Identificaton Test (AUDIT)<br />

� Cannabis: Cannabis Use Disorder Identification Test (CUDIT)<br />

� Medikamente: KurzFragebogen zum Medikamentengebrauch(KMF)<br />

Die Erfassung von Art der konsumierten Substanzen, der Häufigkeit und<br />

der Menge des Konsum wird erleichtert durch die Verwendung eines<br />

Inventars, z.B. Measurement in Addictions for Triage and Evaluation<br />

(MATE)<br />

41


Alcohol Use Disorder Identification Test (AUDIT-GM)<br />

1. Wie oft trinken Sie Alkohol?<br />

Nie ☐ 0<br />

Einmal im Monat oder seltener ☐ 1<br />

Zwei- bis viermal im Monat ☐ 2<br />

Zwei- bis dreimal die Woche ☐ 3<br />

Viermal die Woche oder öfter ☐ 4<br />

2. Wenn Sie Alkohol trinken, wie viele Gläser* trinken Sie dann üblicherweise<br />

an einem Tag?<br />

1 bis 2 Gläser pro Tag ☐ 0<br />

3 bis 4 Gläser pro Tag ☐ 1<br />

5 bis 6 Gläser pro Tag ☐ 2<br />

7 bis 9 Gläser pro Tag ☐ 3<br />

10 oder mehr Gläser pro Tag ☐ 4<br />

3. Wie oft trinken Sie sechs oder mehr Gläser* Alkohol <strong>bei</strong> einer Gelegenheit<br />

(z.B. <strong>bei</strong>m Abendessen, auf einer Party)?<br />

Nie ☐ 0<br />

Seltener als einmal im Monat ☐ 1<br />

Jeden Monat ☐ 2<br />

Jede Woche ☐ 3<br />

Jeden Tag oder fast jeden Tag ☐ 4<br />

* Ein Glas Alkohol entspricht 0.33 l Bier, 0.25 l Wein/Sekt, 0.02 l Spirituosen.<br />

42


Alcohol Use Disorder Identification Test (AUDIT-GM)<br />

4. Wie oft konnten Sie während der letzten 12 Monate nicht mehr aufhören<br />

zu trinken, nachdem Sie einmal angefangen hatten?<br />

5. Wie oft konnten Sie während der letzten 12 Monate Ihren Verpflichtungen<br />

nicht mehr nachkommen, weil Sie zuviel getrunken hatten?<br />

6. Wie oft haben Sie ... morgens erst mal ein Glas Alkohol gebraucht,<br />

um in die Gänge zu kommen?<br />

7. Wie oft hatten Sie ... Schuldgefühle oder ein schlechtes Gewissen, weil Sie<br />

zu viel getrunken hatten?<br />

8. Wie oft waren Sie ... nicht in der Lage, sich an Dinge zu erinnern, weil Sie<br />

zu viel getrunken hatten?<br />

9. Haben Sie sich schon mal verletzt, weil Sie zu viel getrunken hatten?<br />

Oder ist jemand anderes schonmal verletzt worden?<br />

10. Hat sich ein Verwandter, Freund oder Arzt schon einmal Sorgen gemacht,<br />

weil Sie zu viel trinken, oder Ihnen geraten, weniger zu trinken?<br />

43


CUDIT<br />

Cannabis Use Disorders Identification<br />

Test<br />

von Adamson, S.J. & Sellman, D. (2003).<br />

Drug and Alcohol Review, 22, 309-315.<br />

� Der CUDIT ist ein Selbstbeurteilungs-Fragebogen zur Screening-<br />

Diagnostik von problematischem Cannabiskonsum. Er stellt eine<br />

Modifikation des AUDIT dar.


CUDIT<br />

10 Items<br />

Bezugszeitraum der Fragen: die letzten 12 Monate<br />

Der CUDIT <strong>bei</strong>nhaltet Items zu folgenden Inhalten:<br />

1. Konsumhäufigkeit und subjektiv wahrgenommene<br />

Cannabiswirkung (3 Items; z.B. “Wie oft konsumieren Sie<br />

Cannabis?“; „Wie lange spüren Sie an einem typischen<br />

Konsumtag die Cannabiswirkung?“)<br />

2. „Abhängigkeitssymptome“ (3 Items, z.B. “Wie oft konnten Sie<br />

in den letzten 12 Monaten mit dem Cannabiskonsum nicht mehr<br />

aufhören, nachdem Sie einmal damit angefangen hatten?<br />

3.Persönliche und Soziale Probleme durch Cannabismissbrauch<br />

(4 Items; z.B. “Wie oft konnten Sie während der<br />

letzten 12 Monate Ihren Verpflichtungen nicht mehr<br />

nachkommen, weil Sie Cannabis konsumiert hatten?”)


KMF<br />

Kurzfragebogen zum<br />

Medikamentengebrauch<br />

Rist, F., Watzl, H., Höcker, W. & Miehle, K. (1991).<br />

� Der KMF ist ein Selbstbeurteilungs-Fragebogen, der als<br />

Screening-Instrument helfen soll, Hinweise auf Medikamentenmissbrauch<br />

zu entdecken.<br />

� Der KMF wurde insbesondere mit dem Ziel konstruiert, <strong>bei</strong><br />

Suchtpatienten (v.a. Alkoholabhängigen) Hinweise auf einen<br />

komorbiden Medikamentenmissbrauch entdecken zu können.


KMF<br />

• 12 Items<br />

• Bezugszeitraum der Fragen: die letzten 12 Monate<br />

• Die Items erfassen inhaltlich folgende Aspekte:<br />

a. Psychische und körperliche Auswirkungen des Gebrauchs<br />

(z.B. Item 1 „Ohne Medikamente kann ich schlechter einschlafen“)<br />

b. Selbst- und Fremdkontrolle (z.B. Item 5 „Andere glauben, dass ich<br />

Probleme mit Medikamenten habe“; Item 10 „Manchmal war ich selbst erstaunt, wie viele<br />

Tabletten ich an einem Tag eingenommen habe“)<br />

c. Gewohnheiten der Vorratshaltung (Item 2 „Ich habe mir<br />

sicherheitshalber schon einmal einen kleinen Vorrat an Tabletten angelegt“)<br />

d. Begleiterscheinung von Medikamentenmissbrauch/abhängigkeit<br />

(Item 3 „Zeitweilig möchte ich mich von allem zurückziehen“)<br />

• Item 12 („Ich nehme täglich oder fast täglich ein Medikament wegen einer oder mehrerer<br />

körperlicher Krankheiten“) wird separat ausgewertet: Nur wenn Item 12<br />

verneint wird, wird die Gesamtsumme der anderen Items in<br />

Richtung problematischen Medikamentengebrauchs überprüft!!!<br />

(siehe Auswertung)<br />

• binäre Antwortkategorien („trifft zu“, „trifft nicht zu“)


KMF<br />

50


Measurement of Addiction for Triage and Evaluation<br />

51


Sammlung von Instrumenten <strong>für</strong> Diagnose und<br />

Evaluation von problematischem Konsum<br />

Das „Elektronische Handbuch <strong>für</strong> Erhebungsinstrumente im Suchtbereich<br />

(EHES)“ ist frei verfügbar. Es kann von diesem Link heruntergeladen<br />

werden:<br />

http://www.gesis.org/unser-angebot/studien-planen/zis-ehes/ehes/<br />

Es enthält eine Fülle von Fragebogen, in denen Konstrukte<br />

operationalisiert wurden, die in der Diagnose und Veränderung<br />

problematischen Substanzkonsums praktisch sind, z.B. Erhebung von<br />

rückfallkritischen Situationen, Craving, Abwägeprozessen zur<br />

Verhaltensänderung, Konsumkonsequenzen.<br />

AUDIT, und MATE sind dort dokumentiert.<br />

52


I) Konsum psychotroper Substanzen in der<br />

Bevölkerung<br />

II) Varianten von problematischem Alkoholkonsum<br />

III) Konsum psychotroper Substanzen <strong>bei</strong> <strong>Patienten</strong><br />

IV) Funktionalität von Substanzkonsum<br />

V) Konsequenzen <strong>für</strong> Diagnostik<br />

VI) Einbezug in die Psychotherapie<br />

55


Schritte <strong>bei</strong> komorbiden Substanzproblemen (Wenn<br />

Abhängigkeitskriterien nicht erfüllt sind)<br />

� Balance Sheet: Gründe <strong>für</strong> die Konsumveränderung (Gewinn/ Verlust), Was<br />

traut sich der Patient zu?<br />

� Funktionalität des Konsums herausar<strong>bei</strong>ten: Was wäre <strong>bei</strong> Wegfall?<br />

� Abwehrmechanismen: Wann und wie rechtfertigt der Patient den Konsum<br />

vor sich selbst und anderen?<br />

� Änderungsziel eindeutig festlegen. Reduktion von Konsummenge,<br />

Frequenz, Situationen, zeitweise Abstinenz, dauerhafte Abstinenz?<br />

� Was sind spezifische Hochrisikosituationen? Welche<br />

verhaltenstherapeutischen Verfahren sind daraus sinnvoll abzuleiten, z.B.<br />

GSK, Selbstsicherheitstraining<br />

� Ist eine Cue-Exposure angemessen? Wenn ja, wie sollte sie gestaltet<br />

werden?<br />

� IDTS (Sammlung von Konsumsituationen) retrospektiv und prospektiv<br />

� Psychoedukation: Gesundheitliche Schäden, finanzielle Kosten usw.<br />

� Rückfall in altes Konsummuster: Typischer Verlauf, typische<br />

Rückfallsituationen, Rückfallschock, alternative Verhaltensweisen, Umgang<br />

mit Anspannung<br />

56


FRAMES<br />

Komponenten von Kurzinterventionen zur Veränderung<br />

gesundheitsschädigenden Verhaltens, incl. Substanzkonsum<br />

Feedback (Rückmeldung)<br />

Responsibility (Eigenverantwortung)<br />

Advice (Ratschlag)<br />

Menu (Auswahl)<br />

Empathy (Empathie)<br />

Self-Efficacy (Selbstwirksamkeit)<br />

Auf den nächsten Folien wird ein schlichtes Verfahren<br />

vorgestellt, das die die Komponenten F, R und S berücksichtigt<br />

57


FRAMES_ Feedback (aus Projekt BrIAN; Rist,<br />

Demmel, Scherbaum)<br />

Feedback<br />

Sachliche und wertungsfreie Rückmeldung<br />

über die Höhe des Alkoholkonsums<br />

- kann helfen <strong>bei</strong> der Vorbereitung einer<br />

Änderungszielvereinbarung<br />

Beispiel <strong>für</strong> Vorgehen (nach der Ermittlung von<br />

Konsumhäufigkeit und –menge):<br />

„Wir haben Ihren Alkoholkonsum mit dem anderer<br />

Männer Ihrer Altersgruppe verglichen.<br />

Nach unseren Tabellen trinken Sie mehr als 87% der<br />

Männer Ihrer Altersgruppe.“


FRAMES_ Change Talk Eigenverantwortung: „ Will ich?“<br />

Erfassung der Veränderungsbereitschaft<br />

Wie wichtig ist es Ihnen, weniger Alkohol zu trinken / mit dem<br />

Rauchen aufzuhören?<br />

Wie denken Sie im Moment darüber?<br />

unwichtig 0 – 1 – 2 – 3 – 4 – 5 – 6 – 7 – 8 – 9 – 10 sehr<br />

wichtig


FRAMES_ Change Talk Selbstwirksamkeit: „Kann ich?“<br />

Erfassung der Selbstwirksamkeit<br />

Wenn Sie sich jetzt vornehmen würden, weniger Alkohol zu trinken /<br />

mit dem Rauchen aufzuhören: Wie zuversichtlich sind Sie, dass Sie das<br />

schaffen würden?<br />

nicht 0 – 1 – 2 – 3 – 4 – 5 – 6 – 7 – 8 – 9 – 10 absolut<br />

zuversichtlich zuversichtlich


„Will ich und kann ich?“<br />

Will ich?<br />

0 – 3 4 – 6 7 – 10<br />

Erhöhen! Erhöhen!<br />

0 – 6<br />

Kann ich? Kann ich?<br />

7 – 10<br />

0 – 6<br />

7 – 10<br />

Weiter! Fördern! Weiter! Fördern! Weiter!


Shared Decision-making<br />

� Zusammenfassung der<br />

besprochenen Aspekte<br />

� Vereinbarung von<br />

Konsumreduktionsziel in<br />

gegenseitigem Einvernehmen


Mögliche Situationen in der Verständigung über<br />

Problematischen Substanzkonsum und Abstinenzziel<br />

� Abstinenzvereinbarung und Veränderungsphase<br />

Reaktion auf Abstinenzvorschlag Bear<strong>bei</strong>tung in der Psychotherapie<br />

(Motivationsstufen nach Prohaska und DiClemente)<br />

Ablehnung Alkohol kann verhaltenstherapeutisch nicht thematisiert<br />

werden. Fokusierung der Therapie auf andere<br />

Problembereiche.<br />

Precontemplation<br />

Zustimmung Alkohol kann als Problembereich thematisiert werden.<br />

Alkoholkonsum wird aber nicht anhaltend oder<br />

vereinbarungsgemäß reduziert<br />

Contemplation<br />

Zustimmung Alkohol kann als Problembereich thematisiert werden.<br />

Vereinbarte Alkoholkonsumreduktion gelingt <strong>für</strong> die Dauer<br />

der Psychotherapie<br />

Preparation and action<br />

Zustimmung Je nach Ausgangssituation Ergebnismitteilung an<br />

Nachbehandler; ggf. Angehörigengespräch; Vereinbarung<br />

stützender Maßnahmen<br />

Maintenance<br />

63


Zusammenfassung zum Punkt „Einbeziehung in die<br />

Psychotherapie“<br />

1. Substanzkonsum als Problembereich festlegen und funktionalen<br />

Zusammenhang mit anderen Problembereichen erklären<br />

2. Änderungsziel genau festlegen<br />

3. Motivation dazu prüfen und möglicherweise erst an der Motivation<br />

ar<strong>bei</strong>ten, bevor das Änderungsziel festgelegt wird<br />

4. Rückmeldung über dysfunktionale Konsumgewohnheiten bereitet<br />

Änderungsmotivation vor<br />

5. Zweifel des <strong>Patienten</strong> an der Notwendigkeit der Verhaltensänderung<br />

Aufgreifen<br />

6. Rückfälle in alte Konsumgewohnheiten analysieren<br />

7. Das Vorgehen wird durch die funktionale Analyse des Substanzkonsums<br />

bestimmt: Muss anders <strong>bei</strong> GAS als <strong>bei</strong> BPS sein!<br />

64


Literatur<br />

Pabst, A., Piontek, D., Kraus, L. & Müller, S. (2010). Substanzkonsum und<br />

substanzbezogene Störungen. Ergebnisse des Epidemiologischen Suchtsurveys 2009.<br />

Sucht, 56 (5), 327-336.<br />

Arndt, A., Andor, T., & Rist, F. (2011) Riskanter Alkoholkonsum <strong>bei</strong> <strong>Patienten</strong><br />

in ambulanter Psychotherapie. ZKPP, 40 (4), 235–245<br />

Pelham, W. & Lang, A. (1999) Can your children drive you to drink? Alc. Res. Health, 292-<br />

298.<br />

Stevens, A, Rist, F., & A. Gerlach (2008). Ein Überblick über experimentelle<br />

Befunde zur Wirkung von Alkohol auf klinisch relevante Angst. ZKPP, 37 (2) , 95–102<br />

Grant, B. et al. (2004). Prevalence and Co-occurrence of Substance Use<br />

Disorders and Independent Mood and Anxiety Disorders. Arch Gen Psychiatry. 2004;61:807-<br />

816<br />

Kessler et a. (1997). Lifetime co-occurrence of DSM-IIIR alcohol abuse and dependence<br />

with other psychological disorders. Arch. Gen. Psychiat., 1997, 54, 313-321<br />

65

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