SeeMagazin Seelig - UFERLOS ENTSPANNT (Vorschau)
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Schaubilder sind seine Stärke –<br />
und unsere Freude. Unendlich viele<br />
liebevolle Details schmücken die<br />
Bilderbücher von Ali Mitgutsch. Heute<br />
installiert er kleine Traumkästen.<br />
Der Mann, der<br />
die Fantasie füttert<br />
ER HAT UNS ALLE AN DIE HAND GENOMMEN UND IN SEINEN BERÜHMTEN WIMMELBILDERN<br />
SPAZIEREN GEFÜHRT – AUF DIE BERGE, ANS MEER, INS LEBEN. ALI MITGUTSCH IST HEUTE<br />
78 JAHRE ALT UND WIDMET SICH VOR ALLEM INSTALLATIONEN MIT FUNDSTÜCKEN, DIE<br />
ER MEISTENS AM UFER DES AMMERSEES FINDET. CHRISTINE SCHULZ HAT IHN BEGLEITET<br />
Foto: Anja Koehler (1)<br />
Gut möglich, dass Ihnen der freundliche ältere<br />
Herr am Südufer des Ammersees schon begegnet<br />
ist. Sehr wahrscheinlich war das dann nach einem<br />
Hochwasser oder stürmischen Regentag.<br />
Übersehen kann man ihn kaum, diesen hageren<br />
Mann mit beachtlichem, weißen Schnauzbart, markanten Augenbrauen<br />
und einem Orientalen-Käppi. Man trifft ihn meistens<br />
suchend. Wie Pippi Langstrumpf es mal treffend sagte: Ali Mitgutsch<br />
ist hier als „Sachensucher“ unterwegs. Er hält Ausschau<br />
nach schönen, von Wasser und Wetter gegerbten und gekerbten<br />
Totholzstückchen, nach ungewöhnlichen Kieseln, Steinchen,<br />
Muscheln oder Strandgut.<br />
Was macht er genau? „Dinge suchen, die schon ein Leben hinter<br />
sich haben“, erklärt Ali Mitgutsch, der weltberühmte Vater der<br />
Wimmelbilderbücher. Dem Treibgut haucht der inzwischen<br />
78-jährige Künstler später in seiner Werkstatt ein neues Leben<br />
ein. Er arrangiert sie mit Fragmenten anderer Fundstücke von<br />
Flohmärkten, aus dem Sperrmüll und vom Wegesrand in seinen<br />
„Traumkästen“, gibt ihnen Titel wie „Auf den Gipfeln der Tugend“,<br />
„Landeplatz für Schutzengel“ oder „Überall ist Wunderland“.<br />
Wer in diese „Traumkästen“ schaut, bekommt eine Ahnung<br />
davon, was im Kopf ihres Schöpfers vor sich geht. Insofern<br />
schließt sich mit dem Alterswerk, wenn man es so nennen darf,<br />
ein Kreis, der mit Mitgutschs Wimmelbüchern begann. Die wurden<br />
weltweit millionenfach verkauft. In Deutschland gibt es<br />
kaum ein Kinderzimmer, in dem nicht wenigstens eines steht.<br />
Generationen sind mit Ali Mitgutsch aufgewachsen: Großeltern,<br />
Eltern und Kinder hat er mit seinen Büchern zu Spaziergängen<br />
mit den Augen durch Städte und Straßen, Höfe und Häfen, Wiesen<br />
und Weiler angeregt. Ganz ohne Worte. Die Geschichten<br />
dazu müssen sich kleine und große Betrachter schon selbst ausdenken.<br />
Was nie ein Problem ist, denn die Wimmelbilder liefern<br />
ausreichend Futter.<br />
Seine außergewöhnliche Fantasie verdankt Ali Mitgutsch vermutlich<br />
dem dunkelsten Kapitel seiner Kindheit: Im Zweiten<br />
Weltkrieg wurde er mit Mutter und Schwester von München in<br />
ein kleines Kaff ins Allgäu ausquartiert. Noch heute erinnert er<br />
sich mit Schrecken, wie er dort von einem sadistischen Dorflehrer<br />
und den einheimischen Buben drangsaliert und geschlagen<br />
wurde. Um nicht ganz allein zu sein, schuf er sich in seiner Fantasie<br />
zwei Freunde, einen dünnen großen und einen kleinen dicken.<br />
Mit ihnen erlebte er, versteckt im selbst gebauten Baumhaus,<br />
die kindlichen Abenteuer und Freuden, die ihm das wirkliche<br />
Leben verwehrte. Als es zurückging in die Stadt, verabschie-<br />
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