Wie bringen wir Know-how in die Betriebe ? - BiBB
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Keynote<br />
<strong>Wie</strong> <strong>br<strong>in</strong>gen</strong> <strong>wir</strong><br />
<strong>Know</strong>-<strong>how</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong><br />
<strong>Betriebe</strong> ?<br />
„Er ist Präsident des Bundes<strong>in</strong>stituts für Berufsbildung<br />
(BIBB), DEM Kompetenzzentrum <strong>in</strong> Deutschland für <strong>die</strong><br />
berufliche Weiterbildung. Er hat se<strong>in</strong>e Karriere begonnen<br />
als Bäcker und er ist auf dem zweiten Bildungsweg zu dem<br />
gekommen, was er heute ist.“ – Mit <strong>die</strong>sen Worten wurde<br />
Prof. Dr. Friedrich Hubert Esser ans Mikrofon gebeten,<br />
um als Keynote-Speaker darüber zu referieren, welche Zukunft<br />
Weiterbildung im demografischen Wandel hat.<br />
Prof. Dr. Esser eröffnete se<strong>in</strong>en Vortrag, <strong>in</strong>dem er e<strong>in</strong>e der grundlegenden<br />
Aufgaben der beruflichen Weiterbildung formulierte. Ihr<br />
<strong>wir</strong>tschaftspolitischer Auftrag ist es, das <strong>in</strong> der Gesellschaft vorhandene<br />
Potenzial an Fach- und Führungskräften zu heben und zu<br />
fördern, um auf <strong>die</strong>se Weise <strong>Know</strong>-<strong>how</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Betriebe</strong> zu <strong>br<strong>in</strong>gen</strong>.<br />
Zwei Kennzahlen belegen <strong>die</strong> großen Aus<strong>wir</strong>kungen, <strong>die</strong> der demografische<br />
Wandel auf <strong>die</strong> Wahrnehmung <strong>die</strong>ser Funktion hat:<br />
■ Immer weniger junge Menschen <strong>in</strong> Deutschland<br />
Von 2005 bis 2020 <strong>wir</strong>d nach e<strong>in</strong>er Hochrechnung der<br />
Kultusm<strong>in</strong>isterkonferenz <strong>die</strong> Zahl der Schüler<strong>in</strong>nen und<br />
Schüler an allgeme<strong>in</strong>bildenden und beruflichen Schulen<br />
<strong>in</strong> Deutschland von 12,3 Mio. um rund 18 Prozent<br />
auf 10,1 Mio. zurückgehen.<br />
2005<br />
12,3 Mio.<br />
- 18 %<br />
Schüler<br />
10,1 Mio.<br />
2020<br />
■ Immer mehr ältere Menschen verlassen den<br />
Arbeitsmarkt<br />
Bis zum Jahr 2030 werden dem Arbeitsmarkt rund 3,5 Mio.<br />
erwerbsfähige Menschen weniger zur Verfügung stehen.<br />
2013<br />
- 3,5 Mio.<br />
Erwerbstätige<br />
2030<br />
Die <strong>in</strong> Zukunft weiter steigende Verknappung von Fach- und Führungskräften<br />
korrespon<strong>die</strong>rt mit steigenden Investitionen von<br />
Unternehmen und Privatpersonen <strong>in</strong> <strong>die</strong> Weiterbildung und e<strong>in</strong>er<br />
zunehmenden Weiterbildungsbeteiligung von Beschäftigten und<br />
<strong>Betriebe</strong>n. Im Ganzen gesehen s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> Zukunftsaussichten für <strong>die</strong><br />
berufliche Weiterbildung somit zwar positiv, unter den Bed<strong>in</strong>gungen<br />
des demografischen Wandels wachsen jedoch zugleich der<br />
Verantwortungsdruck und der Handlungsbedarf.<br />
8
Neues Lernen<br />
IHK-Fachkongress für Innovationen<br />
<strong>in</strong> der beruflichen Weiterbildung<br />
Dokumentation<br />
Herausforderungen für <strong>die</strong><br />
Aufstiegsweiterbildung<br />
Anhand weiterer Kennzahlen skizzierte Prof. Dr. Esser e<strong>in</strong>ige der<br />
aktuellen Herausforderungen für <strong>die</strong> Gestaltung der gegenwärtigen<br />
beruflichen Weiterbildung <strong>in</strong> Deutschland.<br />
■ Beschäftigte von Kle<strong>in</strong>unternehmen werden weniger<br />
oft an Weiterbildungen herangeführt<br />
Während 98 % der Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten<br />
berufliche Weiterbildungsmaßnahmen anbieten, selbst<br />
durchführen oder fördern, s<strong>in</strong>d es bei Kle<strong>in</strong>unternehmen nur<br />
44 % (bis 9 Beschäftigte) bzw. 69 % (bis 49 Beschäftigte).<br />
■ Weiterbildung erreicht Ger<strong>in</strong>gqualifizierte nur schwer<br />
Erwerbstätige, <strong>die</strong> bereits qualifizierte Tätigkeiten ausüben,<br />
nehmen fast dreimal so häufig an Qualifizierungsmaßnahmen<br />
teil (40 %) wie solche, <strong>die</strong> lediglich e<strong>in</strong>fache<br />
Tätigkeiten ausüben (15 %).<br />
■ Es gibt Potenziale an Beschäftigten, <strong>die</strong> gezielt zu<br />
heben und zu fördern s<strong>in</strong>d<br />
Im Jahr 2010 betrug <strong>in</strong> Deutschland der Anteil von Erwerbspersonen,<br />
<strong>die</strong> über ke<strong>in</strong>en beruflichen Abschluss<br />
verfügen, rund 15 %.<br />
Prof. Dr. Esser verdeutlichte, dass <strong>die</strong> aufgeführten Herausforderungen<br />
weniger den Bereich der betrieblichen Anpassungsweiterbildung,<br />
sondern viel mehr den der Aufstiegsweiterbildung angehen.<br />
Denn Beschäftigte kle<strong>in</strong>er Unternehmen und wenig- bzw.<br />
ger<strong>in</strong>gqualifizierte Arbeitnehmer s<strong>in</strong>d bereits vorhandene Potenziale<br />
des aktuellen Arbeitsmarktes, <strong>die</strong> weiterentwickelt werden<br />
können, <strong>in</strong>dem ihnen mehr berufliche Orientierung und zusätzliche<br />
Weiterbildungsanreize geboten werden. Eben <strong>die</strong>se Karriereperspektiven<br />
und -wege stehen im Zentrum der Aufstiegsweiterbildung.<br />
Über den Tellerrand schauen<br />
„Die berufliche Weiterbildung soll <strong>Know</strong>-<strong>how</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> Unternehmen<br />
<strong>br<strong>in</strong>gen</strong>. Aber warum ist das eigentlich so wichtig?“ Anhand <strong>die</strong>ser<br />
für das Fachpublikum zunächst irritierenden Frage vergegenwärtigte<br />
Prof. Dr. Esser <strong>die</strong> übergeordnete Bedeutung der beruflichen<br />
Weiterbildung für den Wirtschaftsstandort Deutschland:<br />
■ Die berufliche Weiterbildung besitzt e<strong>in</strong>e Schlüsselfunk-<br />
9
1. Berufliche Bildung gleichwertig mit Hochschulbildung<br />
Prof. Dr. Esser empfahl, noch <strong>in</strong>tensiver daran zu arbeiten, dass<br />
<strong>die</strong> berufliche Aufstiegsweiterbildung mit der Hochschulbildung<br />
gleichgestellt <strong>wir</strong>d. Beide Bildungszweige sollten <strong>in</strong> unserer<br />
Wirtschaft und Gesellschaft sowie auf <strong>in</strong>ternationaler Ebene als<br />
gleichwertig anerkannt se<strong>in</strong>.<br />
tion für <strong>die</strong> Sicherung der Innovations- und Konkurrenzfähigkeit<br />
der Wirtschaft im globalisierten Wettbewerb.<br />
■ Sie schafft zusätzliche Berufsperspektiven und Karrierewege<br />
für Absolventen der dualen Ausbildung und steigert damit<br />
zugleich <strong>die</strong> Attraktivität <strong>die</strong>ses Werdegangs als gleichwertige<br />
Alternative zum Hochschulstudium.<br />
■ Sie fördert <strong>die</strong> Persönlichkeitsentwicklung und Mündigkeit ihrer<br />
mehr als 20 Millionen Teilnehmer pro Jahr und trägt damit<br />
zu e<strong>in</strong>er Stabilisierung des Gesellschaftssystems <strong>in</strong>sgesamt<br />
bei.<br />
Weiterbildung <strong>in</strong> Zukunft gestalten<br />
Indem er <strong>die</strong> Kongressteilnehmer direkt als Fach- und Führungskräfte<br />
<strong>in</strong> der Weiterbildung ansprach, griff Prof. Dr. Esser zum<br />
Schluss se<strong>in</strong>es Vortrags drei Diskussionspunkte der aktuellen bildungspolitischen<br />
Debatte auf, <strong>in</strong> denen aus Sicht des BIBB Handlungsbedarf<br />
besteht.<br />
„Was sollen <strong>wir</strong> Verantwortlichen also angesichts <strong>die</strong>ser Zahlen<br />
und Aussichten <strong>in</strong> der beruflichen Weiterbildung tun?“<br />
2. Die Modularisierung und Zertifizierung der beruflichen<br />
Weiterbildung fortsetzen<br />
Der Europäische und der Deutsche Qualifikationsrahmen (EQR/<br />
DQR) s<strong>in</strong>d ebenso wie das IHK-System der Aufstiegsweiterbildungen<br />
und das Berufslaufbahnkonzept der Handwerkskammern<br />
Ausdruck e<strong>in</strong>es modularen Bildungssystems. Diese Modularisierung<br />
gilt es nach Prof. Dr. Esser, <strong>in</strong> mehrere Richtungen weiterzuentwickeln.<br />
Zum e<strong>in</strong>en entwickelt sich <strong>die</strong> Wirtschaft kont<strong>in</strong>uierlich<br />
weiter und benötigt für neue Branchen und Berufsprofile<br />
neue Berufsabschlüsse. Erst mit ihnen können Berufserfahrungen<br />
und Qualifikationen von Bewerbern systematisch mite<strong>in</strong>ander<br />
verglichen werden. Und erst dadurch ist e<strong>in</strong>e differenzierte und<br />
zukunftsgerechte Personalentwicklung <strong>in</strong> den Unternehmen möglich.<br />
Modularisierung bedeutet zum anderen mehr Flexibilität und<br />
<strong>in</strong>dividuelle Karrierewege für <strong>die</strong> Teilnehmer von Qualifizierungsmaßnahmen.<br />
Sie ermöglicht und motiviert noch mehr Menschen,<br />
ihren <strong>in</strong>dividuell passenden ersten Schritt zu gehen, um sich beruflich<br />
weiterzuentwickeln.<br />
3. Durchlässigkeit aktiv gestalten<br />
„Wir sollten <strong>die</strong> Kompatibilität und <strong>die</strong> Anschluss-Schnittstellen<br />
zwischen den acht Niveaustufen des EQR bzw. DQR noch weiter<br />
verbessern.“ Prof. Dr. Esser begrüßte es ausdrücklich, dass mit<br />
dem Instrument des auf europäischer Ebene abgestimmten Qualifikationsrahmens<br />
zum ersten Mal transparent gemacht werden<br />
kann, <strong>in</strong>wiefern berufliche Weiterbildung mit den Abschlüssen<br />
für Meister, Fach<strong>wir</strong>te und Betriebs<strong>wir</strong>te gleichberechtigt neben<br />
der Hochschulbildung auf dem Niveau von Bachelor und Master<br />
steht. Dabei machte er ke<strong>in</strong>e Umschweife darum, dass <strong>in</strong> der aktuellen<br />
Praxis <strong>die</strong> Übergänge zwischen betrieblicher Bildung und<br />
Hochschulbildung oft noch nicht harmonisch <strong>in</strong>e<strong>in</strong>andergreifen<br />
und dadurch unter anderem den Wissens- und Personaltransfer<br />
zwischen Unternehmen und Wissenschaft erschweren.<br />
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Neues Lernen<br />
IHK-Fachkongress für Innovationen<br />
<strong>in</strong> der beruflichen Weiterbildung<br />
Dokumentation<br />
Woran zu arbeiten ist<br />
Berufliche Weiterbildung, wie sie <strong>in</strong> Deutschland<br />
<strong>in</strong>sbesondere durch <strong>die</strong> IHKs aus der<br />
Wirtschaft und für <strong>die</strong> Wirtschaft konzipiert<br />
und realisiert <strong>wir</strong>d, ist <strong>in</strong> Europa und vielen<br />
Teilen der Welt hoch angesehen. Fünf Zukunftsthemen<br />
bot Prof. Dr. Esser den Kongressteilnehmern<br />
abschließend an, um sie auf dem<br />
Kongress geme<strong>in</strong>sam zu diskutieren und <strong>in</strong> <strong>die</strong><br />
Weiterentwicklung der beruflichen Weiterbildung<br />
e<strong>in</strong>zu<strong>br<strong>in</strong>gen</strong>.<br />
1. Als Exportnation sollte Deutschland noch<br />
<strong>in</strong>tensiver daran arbeiten, <strong>die</strong> Module und<br />
Abschlüsse der beruflichen Weiterbildung<br />
<strong>in</strong>ternational noch anschlussfähiger zu machen.<br />
2. In e<strong>in</strong>er global agierenden Wirtschaft ist e<strong>in</strong> hohes Maß an<br />
<strong>in</strong>terkultureller Kompetenz der Fach- und Führungskräfte e<strong>in</strong><br />
<strong>Know</strong>-<strong>how</strong>- und Kommunikationsvorteil. Sie sollte daher e<strong>in</strong> fester<br />
Qualifizierungsbauste<strong>in</strong> <strong>in</strong> noch mehr beruflichen Aufstiegsweiterbildungen<br />
werden.<br />
3. In Wirtschaft, Gesellschaft und Politik sollte das Image der<br />
Aufstiegsfortbildung weiterh<strong>in</strong> gestärkt werden, <strong>in</strong>dem über <strong>die</strong><br />
vielen Vorteile des Systems für den E<strong>in</strong>zelnen, <strong>die</strong> Unternehmen<br />
und den Staat <strong>in</strong>sgesamt <strong>in</strong>formiert <strong>wir</strong>d. Wirtschafts- und Bildungspolitik<br />
haben hier e<strong>in</strong>e wichtige geme<strong>in</strong>same Schnittstelle<br />
ihrer jeweiligen Gestaltungsfunktionen.<br />
4. Für Menschen, <strong>die</strong> „von unten“ oder quer <strong>in</strong> unser Bildungssystem<br />
e<strong>in</strong>steigen und primär über <strong>in</strong>formell gewonnene Kompetenzen<br />
verfügen, muss es neue Kompetenzprüfverfahren geben, <strong>die</strong><br />
dann <strong>in</strong> anerkannte und anrechenbare Zertifikate münden. Denn<br />
immer mehr Menschen überschreiten <strong>die</strong> nationalen Grenzen der<br />
Bildungssysteme und haben Biografien mit e<strong>in</strong>em beruflichen<br />
Werdegang, der nicht <strong>in</strong> starre Schemas passt. Hier besitzt <strong>die</strong><br />
berufliche Weiterbildung e<strong>in</strong>en wichtigen Ansatzpunkt, um noch<br />
mehr Menschen e<strong>in</strong>e Karriereperspektive <strong>in</strong> Deutschland schaffen<br />
zu können.<br />
5. Die Förderung der Durchlässigkeit im deutschen Weiterbildungssystem<br />
macht aus Sicht der Wirtschaft umso mehr S<strong>in</strong>n,<br />
desto weniger sie e<strong>in</strong>e Akademisierung der beruflichen Weiterbildung<br />
bedeutet. Schließlich resultiert <strong>die</strong> berufliche Handlungsfähigkeit<br />
als das Leitmotiv für <strong>die</strong> IHK-Weiterbildungslehrgänge<br />
und -Abschlussprüfungen unmittelbar aus den Mitgliedsunternehmen.<br />
E<strong>in</strong>e Entkoppelung der Qualifizierungs<strong>in</strong>halte und<br />
-methoden, weg von der beruflichen Praxis und h<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>em<br />
Arbeiten im Wissenschafts- und Forschungskontext, würde <strong>die</strong><br />
besondere Leistungsfähigkeit <strong>die</strong>ses Bildungszweiges bee<strong>in</strong>trächtigen:<br />
Gleichwertigkeit ja – aber nicht Gleichartigkeit, <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem<br />
Spannungsfeld ist der Diskurs über mehr Durchlässigkeit zu<br />
führen.<br />
Damit beendete Prof. Dr. Esser se<strong>in</strong>en Vortrag. Stellvertretend für<br />
das bee<strong>in</strong>druckte Publikum formulierte e<strong>in</strong> Teilnehmer:<br />
„Gut, dass <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser Position jemand arbeitet, der <strong>wir</strong>klich weiß,<br />
worum es <strong>in</strong> der Praxis aktuell und <strong>in</strong> Zukunft geht.“<br />
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