I n h a l t s v e r z e i c h n i s Seite 1. Hiltrup ... - Hiltruper Museum
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I n h a l t s v e r z e i c h n i s<br />
<strong>Seite</strong><br />
<strong>1.</strong> <strong>Hiltrup</strong> - vom Bauerndorf zum Industriestadtteil<br />
1<br />
a) Alt-St. Clemens<br />
b) Haus Herding<br />
5<br />
c) Bauernhöfe und Mühlen<br />
(ein ländlicher Wirtschaftsverbund)<br />
6<br />
d) BASF Farben + Fasern AG<br />
7<br />
11<br />
2. Das häusliche Glück, das am Faden hängt<br />
3. Schule in <strong>Hiltrup</strong><br />
4. Fremd in <strong>Hiltrup</strong> angekommen<br />
a) Missionare - Missionsschwestern<br />
b) Christuskirche<br />
12<br />
13<br />
14<br />
16<br />
19<br />
5. Die Pfarrkirche St. Clemens<br />
20<br />
und ihre ausstattung<br />
6. Entstehungsgeschichte der Vereine in <strong>Hiltrup</strong> 24<br />
Zusammenstellung:<br />
Elisabeth Egger Friedel<br />
Nieder-Eichholz Bärbel<br />
Reisener Karl Schmidt<br />
Gisela Schwarze<br />
Titelseite:<br />
Horst Arend
- 1 -<br />
Vom Bauerndorf zum Industriestadtteil<br />
<strong>Hiltrup</strong> ist ein beliebter und bedeutender Stadtteil Münsters. Die<br />
Voraussetzungen dafür wurden in den Gründerjahren um die<br />
Jahrhundertwende gelegt. Bis dahin war <strong>Hiltrup</strong> ein unbedeutendes<br />
Dörfchen im Münsterland. Wie überall in unserer Gegend bauten unsere<br />
Vorfahren in vorgeschichtlicher Zeit auf den eiszeitlichen Sanden des<br />
Emmerbaches ihre Hütten. Mit der Christianisierung um 800 leisteten<br />
die Bauern ihre Abgaben wie Roggen, Gerste, Leinen, Käse und Geld an<br />
den Dom zu Münster. Im 12. Jahrhundert bestand das Kirchspiel aus etwa<br />
25 Bauernhöfen. Für ihre Bewohner wurde um 1180 die Kirche Alt-St.<br />
Clemens geweiht. Von da an blieb ihnen der weite Weg zum Dom erspart.<br />
Das kleine Kirchlein, ein Juwel romanischer Baukunst, bot mit seinen<br />
dicken Mauern Zuflucht bei Gefahren. Der alte Handelsweg Münster-Köln<br />
führte in der Nähe an ihr vorbei. Bedingt durch das Anwachsen der<br />
Bevölkerung erhielt die Kirche 1517 einen gotischen Anbau. Rund um<br />
Kirche und Kirchhof ließen sich Handwerker und Wirte nieder. Die<br />
Bewohner haben in allen Jahrhunderten Seuchen, Mißernten und<br />
Krankheiten ertragen. Vor den Toren der befestigten Stadt Münster<br />
litten sie unter Überfällen, Plünderungen und Kriegen.<br />
Ursache für das Wachstum des Ortes gaben zwei Verkehrswege: die 1848<br />
eröffnete Eisenbahnstrecke von Münster nach Hamm und der<br />
Dortmund-Ems-Kanal, der 1899 eröffnet wurde. Dadurch wurden der<br />
Gemeinde mit ihren damals ca. 700 Einwohnern Grundlagen für eine<br />
industrielle Entwicklung geschaffen. 1903 gründete Max Winkelmann eine<br />
Lackfabrik, das Glasuritwerk. Damit begann der wirtschaftliche<br />
Aufschwung <strong>Hiltrup</strong>s. In der Folge siedelten sich weitere Betriebe der<br />
Eisenindustrie, der Industrie von Steinen und Erde, der Textil-und<br />
Holzindustrie in Bahnhofs- und Hafennähe an. Hinzu kamen die<br />
Baumschulen Hanses-Ketteler und Eschweiler. Die Gemeinde zählte 1905<br />
bereits 1447 Einwohner.<br />
1897 ließen sich die Missionare vom Heiligsten Herzen Jesu in <strong>Hiltrup</strong><br />
nieder; wenige Jahre später gründeten die Missionsschwestern ihren<br />
eigenen<br />
Orden. Beide Gemeinschaften sind bis heute weltweit tätig.<br />
Durch das Anwachsen der Bevölkerung war der Bau einer größeren<br />
Pfarrkirche<br />
nötig, die 1913 als Clemenskirche an der Ecke Marktallee/Hohe Geest<br />
eingeweiht wurde.<br />
Der Ortskern rund um Alt-St.-Clemens verlor nun seine Bedeutung.<br />
Menschen,<br />
die in den Unternehmen in Bahnhofsnähe arbeiteten, bauten entlang der<br />
heutigen<br />
Marktallee ihre Häuser. Diese entwickelte sich langsam zur<br />
Hauptgeschäftsstraße.<br />
Nach dem zweiten Weltkrieg ließen umsichtige politische Entscheidungen<br />
<strong>Hiltrup</strong> zum dominierenden Stadtteil Münsters werden. Die Investitionen<br />
in den Fünfzigerjahren lagen vornehmlich im Straßen-, Kanalisationsund<br />
Schulbau sowie in der Erschließung neuer Wohngebiete.
- 2 -<br />
Als 1950 dem damaligen Amt St. Mauritz 880 Vertriebene zugewiesen wurden, schaffte<br />
die Gemeinde die Baugebiete Ringstraße, Amelsbürener Straße und Lange Straße. Mit<br />
dem Bevölkerungswachstum entstand Schulraumnot. <strong>Hiltrup</strong> zählte 1948 insgesamt 7 290<br />
Bewohner. Bereits 1951 war an der Kardinal Straße die Ludgerischule als zweite<br />
Volksschule neben der Clemensschule an der Patronatsstraße eingeweiht worden. 1957<br />
richtete die Gemeinde in <strong>Hiltrup</strong>-Ost die Marienschule als weitere Volksschule ein.<br />
Die Erschließung der Baugebiete Heerdestiftung, Hülsheide und Blumenviertel<br />
erforderte 1964 eine Erweiterung der Marienschule. Für die evangelischen Schüler<br />
baute die Gemeinde 1958 die Paul-Gerhardt-Schule in <strong>Hiltrup</strong>-Mitte.<br />
Mit der Einweihung der Marienkirche löste sich 1956 die Pfarre von der Mutterpfarre<br />
St. Clemens ab. Neue Vereinsgründungen belebten das <strong>Hiltrup</strong>er Leben und gaben<br />
Zugezogenen die Möglichkeit der Integration. Niederlassungen von Industrie- und<br />
Handwerksbetrieben nahmen ständig zu; teilweise pflegen sie heute weltweite<br />
Handelsbeziehungen. Auch die Polizei-Führungsakademie trägt den Namen <strong>Hiltrup</strong> durch<br />
die Bereitstellung von Ausbildungsplätzen für in- und ausländische Polizeibeamte des<br />
höheren Dienstes in alle Welt.<br />
1961 lebten 10 137 Personen in <strong>Hiltrup</strong>. Die Gemeinde baute zentrale<br />
Entwässerungsanlagen.in <strong>Hiltrup</strong>-Mitte und <strong>Hiltrup</strong>-Ost. Der Jugendarbeit steht<br />
seit 1956 das Jugendheim an der Patronatsstraße zur Verfügung.<br />
1960 wurde das Baugebiet an der Lange Straße erweitert. Die Glasuritwerke bauten hier<br />
erste Wohnblocks für Werksangehörige. In den folgenden Jahren entwickelte <strong>Hiltrup</strong><br />
sich zu einem begehrten Vorstadtort mit hohem Wohnwert. Die Erschließung der<br />
Baugebiete Musikerviertel, Hünenburg, Emmerbachtal, Sternkamp, Sandfortsbusch und<br />
Klosterwald trug zum ständigen Wachsen der Bevölkerung bei. Flächendeckend wurden<br />
Kindergärten und Spielplätze eingerichtet. Es wurden die Voraussetzungen geschaffen,<br />
daß in <strong>Hiltrup</strong> jede Schulform errichtet wurde. Die Johannesschule als Sonderschule<br />
besteht seit 1965. Seit der Neuordnung des Schulwesens 1968 lernen die <strong>Hiltrup</strong>er<br />
Schüler in vier wohnortnahen Grundschulen. Im Schulzentrum am Klosterwald befinden<br />
sich die Hauptschule, die Realschule, das Immanuel-Kant-Gymnasium und das<br />
Kardinal-von-Galen-Gymnasium. Die Musikschule, heute eine Zweigstelle der<br />
Westfälischen Schule für Musik, wurde 1973 eröffnet.<br />
Die Schwestern vom Heiligsten Herzen Jesu gründeten 1905 ein Krankenhaus mit<br />
16 Betten im ehemaligen alten Pfarrhof. 1950 bauten die Schwestern an der<br />
Westfalenstraße ein Krankenhaus mit 175 Betten. Durch eine umfassende<br />
Erweiterung mit Zuschüssen der Gemeinde stehen heute den Kranken 450 Betten mit<br />
vielen Fachabteilungen zur Verfügung.
- 3 -<br />
Krankenpfleger/innen können sich seit 1951 in der angegliederten Krankenpflegeschule<br />
ausbilden lassen.<br />
Die Gemeinde förderte den Sport durch vielseitige Einrichtungen: Es entstanden 1963<br />
die Reithalle, 1966 die Sportanlage <strong>Hiltrup</strong>-Ost, 1968 das <strong>Hiltrup</strong>er Freibad, 1973<br />
die Trimm-dich-Bahn, 1974 das Hallenbad und die Dreifachturnhalle an der<br />
Westfalenstraße. Die Gemeinde kaufte große Flächen zur Erweiterung des <strong>Hiltrup</strong>er<br />
Erholungsgebietes rund um den <strong>Hiltrup</strong>er See. Durch erfolgreiche Verhandlungen der<br />
Gemeindevertreter wurde das Waldhotel Krautkrämer errichtet, das den Namen <strong>Hiltrup</strong><br />
weit über deutsche Grenzen hinaus trägt. 1965 genehmigte das Land Nordrhein-Westfalen<br />
<strong>Hiltrup</strong> ein Wappen: das Sonnenrad und der Anker leuchten rot auf gelbem Grund. 1969<br />
wurde die Nebenstelle des Amtes St. Mauritz, Sitz der heutigen<br />
Bezirksverwaltungsstelle, an der FriedhofStraße gebaut. Die Gemeinde wies die<br />
Gewerbegebiete Merkureck und Hansestraße aus. Neue Handwerks- und Industriebetriebe<br />
siedelten sich hier an.<br />
Die Hoesch-Röhrenwerke verlagerten 1966 ihren Betrieb nach Hamm. An diesem<br />
Standort produziert heute die dänische Rockwool-Mineralwoll-GmbH Dämmstoffe zur<br />
Wärme-, Kälte- und Schallisolierung.<br />
1965 verkaufte Familie Winkelmann ihre Lackfabrik an die Badische Anilin und<br />
Sodafabriken, Ludwigshafen (BASF). Weil die <strong>Hiltrup</strong>er Sande erschöpft waren, schloß<br />
1978 Leo Schencking sein <strong>Hiltrup</strong>er Kalksandsteinwerk; es bestehen jedoch weitere<br />
Niederlassungen im In- und Ausland. Der Landwirtschaftsverlag begann seinen Betrieb<br />
1948. Mit dem Bau der Kanal- und Eisenbahnüberführung entstanden 1982 neue<br />
Verwaltungs- und Druckereigebäude. Seit ihrer Renovierung 1963 entwickelte sich<br />
Alt-St.-Clemens langsam zum Zentrum der katholischen Gemeinde in <strong>Hiltrup</strong>-West. 1967<br />
wurde die neue Clemenskirche nach den neuen Liturgiebestimmungen renoviert. Dabei<br />
verlor sie ihre Ausmalung, alte Altäre und weitere Innenausstattung. Die evangelische<br />
Gemeinde weihte 1970 die Christuskirche ein. Die alte Kirche an der Hohen Geest wurde<br />
abgerissen. 1972 konnten das Pfarrzentrum und die Dienstwohnung bezogen werden. Auch<br />
in <strong>Hiltrup</strong>-Ost wurde ein Pfarrheim gebaut, das seit 1973 von jung und alt genutzt<br />
wird. Der alte Friedhof mit der 1962 erbauten Friedhofshalle in <strong>Hiltrup</strong>-Mitte bot<br />
nicht mehr genügend Grabstätten. Die Gemeinde legte 1965 den Waldfriedhof am Rande<br />
der Hohen Ward an; 1974 wurde dort die Friedhofshalle eingeweiht. Für alte Menschen<br />
besteht seit 1968 das Marienheim. Es wurde 1990 erweitert. Die Freiwillige Feuerwehr<br />
bezog 1966 ihr neues Gerätehaus an der Friedhofstraße. Das alte Feuerwehrhaus am<br />
Clemenskindergarten wird noch als Atelier genutzt. Seit 1973 bietet der Wochenmarkt<br />
an der Moränenstraße ein reichhaltiges
– 4 –<br />
Zum Zeitpunkt der Eingemeindung stand in <strong>Hiltrup</strong> die Stadthalle im Rohbau; 1980<br />
feierten viele <strong>Hiltrup</strong>er ihre Fertigstellung.<br />
Mit allen Voraussetzungen für die selbständige Versorgung als Kleinstadt ausgerüstet,<br />
fügte <strong>Hiltrup</strong> sich nur widerwillig am <strong>1.</strong> <strong>1.</strong> 1975 dem Gesetz der Landesregierung zur<br />
Eingemeindung. 80 % der Bevölkerung votierten in einer Abstimmung dagegen. Anstelle<br />
des Gemeinderates vertritt heute die Bezirksvertretung unter dem Vorsitz des<br />
Bezirksvorstehers die Interessen der Bürger unseres Stadtteils. Ratsvertreter aus<br />
<strong>Hiltrup</strong>-Mitte, <strong>Hiltrup</strong>-Ost, <strong>Hiltrup</strong>-West/ Amelsbüren und Berg-Fidel sitzen im Rat der<br />
Stadt Münster, um neben der Wahrnehmung gesamtstädtischer Interessen insbesondere auch<br />
die Anliegen ihres Stadtbezirkes durchzusetzen. Der südliche Stadtteil ist der größte<br />
Stadtteil Münsters und führt als einziger den Namen der ehemaligen Gemeinde in der<br />
Benennung Münster-<strong>Hiltrup</strong> weiter. Er umfaßt die ehemaligen Orte <strong>Hiltrup</strong>, Amelsbüren<br />
und den Stadtteil Berg-Fidel und zählt ca. 31 000 Einwohner.<br />
Nach der Eingemeindung zeichneten sich weitere Fortschritte ab.<br />
Seit 1983 verfügt das Immanuel-Kant-Gymnasium über eine eigene Turnhalle;<br />
im gleichen Jahr wurde die ehemalige Pfarrbücherei Stadtteilbücherei.<br />
Das <strong>Hiltrup</strong>er <strong>Museum</strong> gründete sich 1984 in Eigeninitiative des Heimatvereins;<br />
dort wird ehrenamtlich mit städtischen Zuschüssen die Stadtteilgeschichte<br />
aufgearbeitet. Oberbürgermeister Dr. Twenhöven übergab 1987 die Sportanlage<br />
<strong>Hiltrup</strong>-Süd ihrer Bestimmung.<br />
Seit 1988 befindet sich der <strong>Hiltrup</strong>er Bahnhof im Privatbesitz; seit 1989<br />
lädt eine Jugenddiskothek dort zu regelmäßigen Veranstaltungen ein.<br />
1986 wurde in <strong>Hiltrup</strong>-West ein weiterer Kindergarten neben der Ludgerusschule<br />
eröffnet. Die Hansestraße als Umgehungsstraße des Ortes wird seit 1990<br />
befahren. Weitere neu erschlossene Baugebiete in <strong>Hiltrup</strong>-West und <strong>Hiltrup</strong>-Ost<br />
ziehen immer wieder Neubürger in den Stadtteil. Ein ausgeschildertes<br />
Radwegesystem leitet Radfahrer durch das <strong>Hiltrup</strong>er Erholungsgebiet und<br />
in die umliegenden Orte. Auch Reitfreunde finden beschilderte Wege.<br />
Der Ausbau der Hülsebrockstraße ist abgeschlossen, die Hohe Geest an die<br />
Westfalenstraße neu angebunden.<br />
Mehrmals im Jahr zeigt sich das eigenständige Bewußtsein der <strong>Hiltrup</strong>er<br />
in Großveranstaltungen. Schützenfeste,mehrere Vereine und Pfarrfeste<br />
ziehen viele Besucher an.<br />
<strong>Hiltrup</strong> bietet heute ein plurales Angebot im Wohn-, Bildungs-, Gewerbe-,<br />
Industrie-, Gastronomie-, Gesundheits- und Erholungsbereich.<br />
(aus: Vereine in <strong>Hiltrup</strong>, Münster 1993)
- 5<br />
-Alt-St.-Clemens<br />
In der späteren Hälfte des 12. Jahrhunderts wurde die kleine romanische Clemenskirche<br />
aus Sandsteinen mit einem festen Turm gebaut. Im Turm ist ein kleiner Raum mit einer<br />
Doppelarkadenöffnung zum Altar hin eingebaut. Solch' eine Arkade ist sehr selten in<br />
Westfalen. Räume dieser Art ließ der Stifter für seine eigene Familie errichten; leider<br />
ist uns dieser Name nicht überliefert. 1518 baute man den spätgotischen Chorraum an.<br />
Bei der Einweihung des Altares legte der Bischof die Reliqiue (Überbleibsel) eines<br />
Märtyrers, vielleicht des hl. Clemens, in den Altar. Der Schlußstein der<br />
Gewölberippen über dem Altar zeigt ein Bild des hl. Clemens mit Tiara (dreifacher<br />
Krone), päpstlichem Kreuz und Anker. Das Mauerwerk des Turmes ist 150 cm dick. Er hat<br />
mehrere Lichtschlitze (keine Schießscharten) zur Beleuchtung der Treppe im Innern.<br />
Im oberen Teil hat er nach allen <strong>Seite</strong>n Öffnungen aus romanischer Zeit für den Klang<br />
der Glocke. Die Glocke trägt die Inschrift:<br />
St. Anna heit ick<br />
die levendigen rop ick<br />
die doden beschrey ick<br />
anno domini MDXXI (1521)<br />
An alter Ausstattung ist das Sakramentshäuschen von 1518 erhalten. Der Altar aus dem<br />
Jahre 1732 ist aus Baumberger Sandstein, ebenso die Muttergottes an der Nordseite.<br />
Die vier holzgeschnitzten Köpfe der Evangelisten stammen von der alten zerstörten<br />
Kanzel."Der Gute Hirte" aus Eichenholz (ca. 1780), der einstmals die Kanzel krönte,<br />
lag jahrelang unbeachtet im Garten des Marienheimes. Zufällig fand ihn ein Pater und<br />
stellte ihn im Kloster auf. Später wurde er der alten Kirche zurückgegeben. Wertvolle<br />
Altäre, Bilder, Heiligenfiguren, Kelche und Meßgewänder sind leider verlorengegangen.<br />
Besonders bedauerlich ist die Zerstörung des romanischen TaufSteines, an dem mehr als<br />
700 Jahre lang <strong>Hiltrup</strong>er getauft, wurden. Bei der Einweihung der neuen Clemenskirche<br />
vergaß man das alte Kirchlein jnd ließ es verfallen. Nach der Renovierung 1963 wurde<br />
es neu geweiht. Seit dem Jahre 1988 erfüllt die neue Orgel die Kirche mit Musik. Der<br />
Corpus eines alten Hofkreuzes aus westfälischer Eiche hängt an der Westwand. Die<br />
Eingangstür ist mit kleinen Bronzen von Egino Weinert geschmückt.<br />
Karl der Große hatte die Verbrennung der Toten als heidnisch verboten. Daher wurden<br />
sie nach der Christianisierung um die Kirche auf geweihter Erde begraben. Die Bewohner<br />
<strong>Hiltrup</strong>s schützten die Ruhe der Toten und suchten zugleich selber den Schutz der<br />
geweihten Stätte, wenn Feinde sie bedrohten. Im zweiten Weltkrieg diente der Kirchturm<br />
als Luftschutzbunker. Die Pfarrer lebten bis zu Beginn dieses Jahrhunderts auf dem<br />
benachbarten Pfarrhof. Auch Küster und Lehrer wohnten an der alten Kirche. E. Egger/B.<br />
Reisener Aus: <strong>Hiltrup</strong>er Lesebuch, Münster 1982
- 6 -<br />
Haus Herding zu <strong>Hiltrup</strong><br />
Die Ritter der Hiltorpe (urkundlich erwähnt 1218) gaben dem Kirchspiel den Namen.<br />
Sie erhielten ihr Gut Haus <strong>Hiltrup</strong> vermutlich vom Bischof als Lehen.<br />
Inmitten ihrer Ländereien lagen Kirche und Pfarrhof St. Clemens.<br />
Die Besitzer des Gutes nahmen stets die ersten Plätze in der Kirche ein.<br />
Der bekannteste Besitzer von Haus <strong>Hiltrup</strong> war Heinrich Herding (+ 1665) Sieben Jahre<br />
leitete er als Bürgermeister die Stadt Münster.<br />
Er nahm an den Verhandlungen zum Westfälischen Frieden mit Geschick teil und hatte an<br />
dessen glücklichen Abschluß großen Anteil.<br />
Sein Wahlspruch lautete:<br />
"Alles kann sich in diesem Augenblick wenden"<br />
Besitzer des Gutes Haus Herding zu <strong>Hiltrup</strong> ist heute Constantin Heeremann von Zuydtwyck.
- 8 -<br />
Bauernhöfe in <strong>Hiltrup</strong> um 1900<br />
1 Möllers (früher Hünenbörger)<br />
2 Lohmann<br />
3 Hesker-Lengermann<br />
4 Eichstä'dt (früher Gerdemann)<br />
5 Niehoff (früher Buermann)<br />
6 Nölken (früher Wegmann)<br />
7 Haus Herding<br />
8 Storkamp (früher Schulze <strong>Hiltrup</strong>)<br />
9 Eckervogt<br />
10 Herrenburg<br />
11 Heitmann<br />
12 Hackenesch (früher Stertmann)<br />
13 Israel (früher Hülsmann)<br />
14 Israel (früher Eibers)<br />
15 Gut Hülsebrock<br />
16 Bornemann<br />
17 Peperhove<br />
18 Lördemann<br />
19 Haus Maser<br />
20 Haus Soest<br />
21 Holsen<br />
22 Lütke Wentrup<br />
23 Brenke (früher Große Wentrup)<br />
24 Watermann-Everding (früher Roth 1 and)
- 9 –<br />
Bauernhöfe und Mühlen - ein ländlicher Wirtschaftsverbund<br />
In der Jugendsteinzeit begann der Mensch, Ackerbau zu treiben. Er erfand<br />
einfache Werkzeuge, die ihm halfen, seine täglichen Arbeiten bequemer<br />
zu verrichten. Während Männer auf die Jagd gingen, hüteten Frauen das Feuer,<br />
bebauten Felder und bereiteten Nahrung zu. Zu ihrer täglichen Arbeit<br />
gehörte das Zerreiben von Hirse, Emmer (einer Wildweizenart) oder Gerste<br />
mit Hilfe von zwei handlichen Steinen. Sie waren es auch, die merkten,<br />
daß zerriebene Getreidekörner, mit Wasser oder Milch vermengt, gekocht<br />
oder als Fladen gebacken, eine sättigende Speise waren. Die Menschen erfanden<br />
immer wieder neue Möglichkeiten, sich das Mahlen zu erleichtern:<br />
Sie schütteten Getreide auf eine rauhe Steinplatte und zerrieben die Körner<br />
mit einem abgeflachten Stein. Sie merkten auch, daß sich Hirse in einem<br />
ausgehöhlten Baumstamm oder hohlen Stein mit einem Stampfer bequem zerquetschen<br />
ließ; damit entdeckten sie den Mörser. Sie nutzten ihn vermutlich auch für<br />
Gewürze und ölhaltige Früchte.<br />
Mit Hilfe von getrockneten, feingelöcherten Fellen trennten die Frauen<br />
Mehl und Schalenteile voneinander. Später stellten sie Geflechte von<br />
Pflanzenfasern zu diesem Zweck her. Als die Handweber gelernt hatten,<br />
Stoffe zu weben, ersetzten sie diese primitiven Siebe durch Gewebe.<br />
Dann entwickelten die Menschen Dreh- oder Handmühlen. Bei ihnen war der<br />
Unterstein gleichmäßig ausgehöhlt; sie hatten senkrechte Wände und einen<br />
geriffelten Boden. In den Unterstein war ein Drehstein eingelassen. Durch<br />
drehende Handbewegungen zerrieb er die Körner zwischen den Steinen.<br />
Wann und wo die Drehmühle zuerst erfunden wurde, liegt im geschichtlichen<br />
Dunkel.<br />
Die Menschen begannen, die Tierkraft für ihre Mühlen zu nutzen. Ein Esel,<br />
Pferd oder Ochse, an eine Deichsel gebunden, setzte den Drehstein in Bewegung.<br />
Die Technik der Menschen verbesserte sich. Bereits in der Antike nutzte man Wasser<br />
als Antriebskraft für Mühlen; die Römer brachten vermutlich dieses Wissen nach<br />
Norden, wo nach und nach die Stämme lernten, sich die Wasserkraft der Flußläufe<br />
dienlich zu machen. Aber auch die einfachen, handangetriebenen Mühlen blieben bis<br />
ins 20. Jahrhundert gebräuchlich.<br />
Seit dem frühen Mittelalter bis zum Jahre 1810 waren Mühlenbesitzer nur weltliche<br />
oder geistliche Grundherren, Erzbistümer, Bistümer und Klöster, die sich durch<br />
die Verpachtung der Mühlen an Müller feste Einnahmen verschafften. Der Mühlenzwang,<br />
d.h. die Verpflichtung jedes Bauern, auf einer bestimmten Mühle malen zu lassen,<br />
garantierte dem Müller laufende Arbeit und Einkünfte. Neben dem Mühlenzwang
egelte das Wasserrecht die Benutzung dieses Elements und sicherte die Rechte der<br />
Be- und Entwässerung.<br />
- 10 -<br />
Ende des 1<strong>1.</strong> Jahrhunderts errichteten Mühlenbauern die ersten Windmühlen<br />
in Deutschland. Zwei Bauarten lassen sich im Münsterland unterscheiden:<br />
die Bockwindmühle und die Holländer Windmühle. Die Bockwindmühle ist genannt<br />
nach dem Sockel, dem Bock, auf dem der drehbare Kasten mit Flügeln montiert ist.<br />
Die Holländer Windmühle dagegen hat einen gemauerten Turm, dem eine Holzhaube<br />
aufsitzt, die ihrerseits mit den Flügeln drehbar ist.<br />
Die Bauern brachten ihr Getreide zur Mühle. Während der Müller es zu Mehl mahlte,<br />
warteten sie vor der Tür. Der Eintritt in die Mühle war Außenstehenden untersagt. Der<br />
Müller gab den Bauern das Mehl. Als Lohn "multerte" er einen Teil des Getreides; d.h.<br />
er behielt zwischen 15 und 30 % des Mahlgutes zurück. Das Maß war sehr schwer zu<br />
überprüfen. Deshalb gerieten Müller bisweilen in den Verdacht, unehrlich zu sein.<br />
Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts nutzten die Müller als Antrieb für ihre Mühlen die<br />
Dampfkraft. Das war der Anfang zur Mehlfabrik. Das Müllereiwesen veränderte sich. Das<br />
Mahlgut wurde unter Zuhilfenahme von Sieben oder Gebläsen von Staub und Schmutz zunächst<br />
gereinigt, dann gewaschen. Das wieder getrocknete Getreide mahlte man und füllte es<br />
in Wollbeutel. Durch ständiges Rütteln und Schütteln befreite der Müller das Mehl<br />
von Schrotteilen. Das feine weiße Mehl fiel heraus; es war das "gebeutelte" Mehl.<br />
Durch den Aufschwung in der Mahltechnik entwickelte sich nun eine Handelsmüllerei.<br />
Der Zustand der reinen Lohnmüllerei gehörte der Vergangenheit an. Heute rinnt in<br />
modernen Großmühlen das Getreide, ohne mit menschlichen Händen in Berührung zu kommen,<br />
durch Walzen und Maschinen, um zuletzt als schneeweißes Mehl, säuberlich abgepackt,<br />
die Fabrik zu verlassen. Durch die Industrialisierung und Mechanisierung entstand ein<br />
Konkurrenzkampf, der die Verarbeitung vereinfachte, Arbeitskräfte einsparte und Kosten<br />
senkte. Viele Mühlen mußten ihr Mühlrad stillegen; heute erzählen sie als stumme Zeugen<br />
von einem uralten Handwerk.<br />
Auch in <strong>Hiltrup</strong> hat es im Laufe der Geschichte die verschiedensten Mühlen gegeben.<br />
Alte Flurbezeichnungen, Urkunden und steinerne Zeugen erzählen von <strong>Hiltrup</strong>s<br />
vergangene Zeiten.<br />
(Weitere Ausführungen zu Mühlen in <strong>Hiltrup</strong>: Eröffnungskatalog <strong>Hiltrup</strong>er<br />
<strong>Museum</strong>, Münster 1984)
- 11 -<br />
BASF Lacke + Farben AG<br />
Viele tausend Dosen Lack gehen täglich von <strong>Hiltrup</strong> aus auf die Reise in alle Welt;<br />
alle tragen sie einen farbenprächtigen Papagei als Warenzeichen. Das konnte Max<br />
Winkelmann kaum ahnen, als er 1903 nach <strong>Hiltrup</strong> kam, hier einen Kotten mit<br />
umliegenden Feldern und Wiesen kaufte und die Glasurit-Werke gründete. Neben dem<br />
Hamburger Stammhaus entwickelte sich <strong>Hiltrup</strong> vom kleinen Unternehmen zum größten<br />
Industriewerk Münster-<strong>Hiltrup</strong>s und zu einer der modernsten Lackfabriken in der<br />
Welt.<br />
1965 kaufte die BASF (Badische Anilin- und Sodafabrik) die Glasurit-Werke der<br />
Winkelmann AG und baute das Unternehmen weiter aus.<br />
Seit dem <strong>1.</strong> <strong>1.</strong> 1986 wurde der Firmensitz von Hamburg nach <strong>Hiltrup</strong> verlegt<br />
und der Name in BASF Lacke + Farben AG geändert. Etwa 2 500 Mitarbeiter<br />
beschäftigt allein dieses Werk. In einem dreijährigen Investitionsprogramm<br />
(1984-86) werden zur Zeit rund 200 Millionen DM investiert.<br />
Erstellt werden u.a. eine Lackproduktion (sie löst alte Einheiten ab)<br />
und ein neues Verwaltungsgebäude (zur Zeit das höchste Bürogebäude <strong>Hiltrup</strong>s).<br />
Die BASF Lacke + Farben AG hat 7 Produktionsstätten: <strong>Hiltrup</strong>, Köln, (2 Werke)<br />
Stuttgart, Besigheim und Würzburg. Weitere Tochtergesellschaften sind in<br />
Brasilien, England, Frankreich, Niederlande, Indien, Indonesien, Österreich,<br />
Spanien, USA.<br />
Hergestellt werden in verschiedenen Werken: Fahrzeuglacke, Autoreparaturlacke,<br />
Bautenanstrichmittel, Industrielacke, Holzlacke, Draht und<br />
Elektro-isolierlack-Systeme, Druckfarben und Pigmente.<br />
Das <strong>Hiltrup</strong>er Glasuritwerk ist das größte Industrieunternehmen Münsters.<br />
Jährlich werden Tausende verschiedener Farbtöne produziert.<br />
Markenzeichen ist der farbenprächtige Papagei, der in aller Welt verkündet:<br />
"Glasurit ist Farbe".<br />
Aus: 25 Jahre Heimatfreunde <strong>Hiltrup</strong><br />
Münster 1986
- 12 -<br />
Das häusliche Glück, das am Faden hängt<br />
Die "gute, alte Zeit" war so wenig gut wie die heutige. Das Schicksal der Frauen<br />
hieß für die Mehrheit von ihnen: Arbeiten, arbeiten, arbeiten. Von klein auf wurden<br />
die Mädchen zur Fügsamkeit und zur Arbeit angehalten. Der Vater bestimmte vor der<br />
Mutter, was zu tun sei, mußte seine Einwilligung zur Eheschließung geben und<br />
verfügte, wo z.B. das Mädchen mit seinen 14 Jahren nach Schulabschluß zu arbeiten<br />
hatte. Die Fremdbestimmung der Frauen und die damit verbundene Minderbewertung<br />
als Mensch (z.B. in der Rechtsprechung) und im Beruf (untergeordnete Tätigkeiten,<br />
niedrigere Bezahlung bei gleicher Arbeit) blieb noch nach dem 2. Weltkrieg vor<br />
allem von den Männern und ihren Institutionen wenig in Frage gestellt. Erst durch<br />
ein neues Selbstbewußtsein der Kriegsmütter und ihrer Töchter, die Zwangsarbeit<br />
im Krieg, Kriegs- und Nachkriegszeit allein hatten durchstehen müssen, setzte<br />
langsam eine Änderung ein.<br />
Handarbeiten und Nähen waren Tätigkeitsbereiche, die im Privaten fast<br />
ausschließlich von Frauen ausgeübt wurden - und selbstbestimmt waren. Sie bildeten<br />
einerseits kreative Fluchträume, in denen schon im Mittelalter Klosterfrauen mit<br />
dem ihnen zugestandenen Material Kunstwerke gestalteten (z. B. Hungertücher,<br />
geistliche Gewänder), von Männern allerdings oftmals als "kunstgewerblich"<br />
abgewertet.<br />
Andererseits spiegeln die Handarbeiten auch die jeweilige soziale Struktur bzw.<br />
die ständische Gliederung wider. Bei Kötters- und Arbeiterfrauen standen das Nähen<br />
von Kleidung, das Flicken und Ausbessern im Vordergrund; imgehobenen Bürgertum fand<br />
man Zeit zur Nadelmalerei, Filetstickerei u.a. Vielen Frauen jedoch war das<br />
Bedürfnis gemeinsam, die Textilien der Wohnung wie die Kleidung mit Handarbeiten<br />
zu schmücken.<br />
Handarbeiten haben bei aller Bindung an die Technik der Ausführung etwas<br />
Spielerisches, Gestaltendes. Durch das martialische Gebaren der<br />
Männergesellschaft durch die Jahrhunderte auch in der Kleidung wurde der<br />
friedfertige Charakter dieser weiblichen Tätigkeit besonders deutlich.
- 13 -<br />
Schule in <strong>Hiltrup</strong><br />
Aus der Zeit vor 1800 geben nur wenige Hinweise detaillierte Rückschlüsse auf<br />
das <strong>Hiltrup</strong>er Schulwesen. 1614 wird beurkundet, daß eine Schule und regelmäßiger<br />
Unterricht in <strong>Hiltrup</strong> nicht existieren.<br />
Gelegentliche Unterrichtsunterweisungen übernahm der Küster. Es ist anzunehmen,<br />
daß die Küsterschule von <strong>Hiltrup</strong> zurückgehen muß auf die Regierungszeit<br />
Christoph Bernhards von Galen, der mit der groß angelegten Schul- und<br />
Kirchenordnung vom Jahre 1675 allen Kirchengemeinden die Einrichtung von<br />
Schulen zwingend vorschrieb. Der Küster verrichtete seine Schultätigkeit, die<br />
sich hauptsächlich auf den Gesang von Kirchenliedern, die Kenntnis bestimmter<br />
Gebete, sowie das Buchstabieren oder Lesen einfacher Sätze beschränkte neben<br />
seinen kirchlichen Aufgabenbereichen in der Küsterei.<br />
In <strong>Hiltrup</strong> belegt eine Urkunde von 1727 erstmalig das Verlangen nach einer<br />
Schulmeisterstelle; dabei sollte dem derzeitig amtierenden Küster diese Aufgabe<br />
übertragen werden. Das pflichtmäßige Schulgeld deckte zunächst den gesamten<br />
Aufgabenbereich der Schule, auch die Einkünfte des Lehrers. Später konnte dieses<br />
Geld nur noch einen Teil der Aufgaben begleichen. Den fehlenden Betrag ergänzte<br />
die Gemeinde.<br />
Ein gesonderter Schulraum in <strong>Hiltrup</strong> ist 1811 urkundlich erwähnt.<br />
Er war "nach Süden hin an die Küsterei" (von Alt-St. Clemens) eingerichtet.<br />
Mit der wachsenden Einwohnerzahl <strong>Hiltrup</strong>s baute die Gemeinde 1890 eine<br />
Mädchenschule in der Nähe von Alt-St. Clemens. Bereits 1904 wurde eine<br />
Jungenschule, "Alte Clemensschule", Patronatsstraße, errichtet.<br />
Heute stehen den <strong>Hiltrup</strong>ern vier wohnortnahe Grundschulen, eine Sonderschule,<br />
alle Formen der weiterführenden Schulen und eine Musikschule zur Verfügung.<br />
(Weitere ausführliche Berichte in: Schule in <strong>Hiltrup</strong>, Münster 1987<br />
Katalog zur Wechselausstellung Schulkind in <strong>Hiltrup</strong>)
- 14-<br />
Fremd in <strong>Hiltrup</strong> angekommen<br />
Am 27. 10. 1989 lebten in <strong>Hiltrup</strong> 22 035 Menschen. Sie stammen aus 3 997<br />
Geburtsorten.<br />
Fremde kamen aus unterschiedlichsten Gründen nach <strong>Hiltrup</strong>.<br />
<strong>1.</strong> Kanalarbeiter<br />
Die rasante industrielle Entwicklung zwischen Ruhr und Lippe in den Jahren 1870<br />
- 1890 machte den Bau einer Wasserstraße für den Transport von Massengütern<br />
erforderlich. Am 9. Juli 1886 beschloß der Preußische Landtag den Bau eines "Kanals<br />
von Dortmund nach den Emshäfen". 1892 begannen die Kanalbauarbeiten. Nachfahren der<br />
damaligen, von auswärts kommenden Kanalbauarbeiter leben heute noch in <strong>Hiltrup</strong>.<br />
2. Saisonarbeiter<br />
Vornehmlich in den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts kamen<br />
Saisonarbeiter aus Schlesien und Polen nach <strong>Hiltrup</strong>, um in den Ziegeleien und<br />
Gartenbaubetrieben zu arbeiten. Sie reisten mit der Bahn an und wohnten in sehr<br />
bescheidenen Unterkünften, die die Betriebe zur Verfügung stellten. Nach Beendigung<br />
der "Saisonarbeit" zogen die meisten in ihre Heimat zurück.<br />
3. Zwangsarbeiter/Kriegsgefangene<br />
Insgesamt 10 Millionen Menschen aus allen besetzten europäischen Ländern,<br />
insbesondere aus Polen und der Sowjetunion, wurden von den Deutschen 1941 - 1945<br />
als Arbeitssklaven verschleppt. Sie mußten zumeist unter brutalen Bedingungen in<br />
der deutschen Industrie, bei Bauern und Handwerkern arbeiten - auch in <strong>Hiltrup</strong> -,<br />
um die deutschen Frontsoldaten zu ersetzen. Ebenso wurden die meisten<br />
Kriegsgefangenen gegen die Bestimmungen der Genfer Konvention als Arbeitssklaven<br />
eingesetzt. Unzählige verhungerten, wurden ermordet, vergast, in Massengräbern<br />
verscharrt.<br />
4. Flucht und Vertreibung<br />
Bereits vor der Potsdamer Konferenz begannen die Sowjets und Polen<br />
mit der Vertreibung der Deutschen aus den von ihnen beanspruchten<br />
Gebieten östlich der Oder-Neiße-Grenze.<br />
9 Millionen Deutsche wurden aus den deutschen Provinzen West- und Ostpreußen,<br />
Pommern und Schlesien vertrieben; 3,5 Millionen Sudetendeutsche aus<br />
der Tschechoslowakei; 1,3 Millionen Deutsche, die in Polen gelebt hatten;<br />
2 Millionen Angehörige deutscher Volksgruppen aus Ungarn, Jugoslawien<br />
und Rumänien. Flüchtlinge und Vertriebene kamen auch in <strong>Hiltrup</strong> an<br />
und fanden eine neue Heimat.
- 15 -<br />
5_. Gastarbeiter<br />
Durch den Wirtschaftsaufschwung der Nachkriegsjahre und des "Wirtschaftswunders"<br />
der Sechziger ging die Arbeitslosenzahl auf 223 000 zurück. Es fehlten<br />
Arbeitskräfte. Deshalb warb man in den damaligen "Armenhäusern" Europas Arbeiter<br />
an: Italien, Spanien, Portugal, Griechenland. Später folgten Jugoslawien und<br />
Türkei.<br />
In Abgrenzung zu den Millionen "Fremdarbeitern", d.h. Zwangsarbeitern vor<br />
1945 wählte man den Begriff "Gastarbeiter".<br />
In <strong>Hiltrup</strong> fanden viele Gastarbeiter in Industrieunternehmen und Betrieben einen<br />
Arbeitsplatz. Nur wenige kehrten in ihre Heimat zurück. Sie wurden unsere<br />
Mitbürger.<br />
6. Aussiedler<br />
Jahrzehntelange Unterdrückung, Verfolgung und Zwangsarbeit der Rußlanddeutschen<br />
und ebenso der Deutschstämmigen in Polen, die nach 1945 meist zwangsweise als<br />
billige Arbeiter in Schlesien, Pommern und Ostpreußen bleiben mußten - ohne<br />
Deutsch sprechen zu dürfen - führten zur Übersiedlung nach Deutschland - auch<br />
nach <strong>Hiltrup</strong>.<br />
7. Asylbewerber<br />
Religions- und Rassenhaß, politische Verfolgung, Hungersnöte und Angst vor<br />
kriegerischen Auseinandersetzungen treiben die Menschen aus allen Teilen dieser<br />
Welt in jene Länder, in denen Frieden und Wohlstand herrschen auch nach <strong>Hiltrup</strong>.<br />
(Vergl. hierzu ausführliche Situationsberichte in<br />
"Fremd in <strong>Hiltrup</strong> angekommen",<br />
Katalog zur VI. Wechselausstellung, Münster 1992
- 16 -<br />
<strong>Hiltrup</strong>er Missionare<br />
"Meine ganze Diözese steht Ihnen zur Verfügung, suchen Sie sich einen Ort, der Ihnen<br />
für Ihre Arbeit am geeignetsten erscheint!" Mit diesen Worten und dem Segen des Bischofs<br />
Dr. Hermann Dingeisted von Münster begab sich der Herz-Jesu-Missionar Hubert Linckens<br />
auf die Suche nach einem Standort für ein Missionshaus. Er wählte <strong>Hiltrup</strong>, weil es<br />
über eine Bahnstation verfügte. Pater Hubert Linckens MSC hatte von der preußischen<br />
Regierung den Auftrag erhalten, Missionare für die Südsee heranzubilden, die in den<br />
Gebieten unter deutscher Verwaltung tätig werden sollten. Am 8. Dezember 1897 wurde<br />
das große Kloster der Missionare vom heiligsten Herzen Jesu in <strong>Hiltrup</strong> eingeweiht.<br />
Durch Geldspenden vieler Katholiken (das kleine Liebeswerk) konnten Schüler und<br />
Internat unterhalten werden.<br />
Die anfängliche Zahl von 19 Priestern, 42 Theologiestudenten, 47 Brüdern und 8 Novizen<br />
stieg ständig. Hunderte von Priestermissionaren und -brüdern trugen schon bald den<br />
Namen <strong>Hiltrup</strong> in alle Welt. Das neugotische Gebäude war Wahrzeichen für Missionsgeist<br />
und Begeisterung in Deutschland, in Europa, in der Südsee und in Amerika. Harte<br />
Prüfungen blieben den <strong>Hiltrup</strong>er Missionaren nicht erspart: Im Jahre 1904 wurden in der<br />
Südsee 2 Patres, drei Brüder und fünf <strong>Hiltrup</strong>er Missionsschwestern ihres Glaubens wegen<br />
ermordet. Im Ersten Weltkrieg verloren 46 Missionare ihr Leben. 1919 vertrieben die<br />
Japaner alle Ordensleute von den Marshall-Inseln. Der aus <strong>Hiltrup</strong> gebürtige Josef<br />
Winkelmann wurde 1928 in China von Räubern umgebracht. Im Zweiten Weltkrieg kamen 281<br />
Patres, Brüder, Studenten und Schüler ums Leben. Davon wurden 14 Missionare in der<br />
Südsee ermordet, 59 Missionare und Schwestern starben in Konzentrationslagern der<br />
japanischen Besatzungstruppen. 1941 vertrieb die Gestapo die Missionare aus <strong>Hiltrup</strong><br />
und beschlagnahmte das Kloster. Zum Dank für das mutige Eintreten des "Löwen von<br />
Münster" in der Nazizeit wurde die Schule nach Wiedereröffnung<br />
"Kardinal-von-Galen-Schule" genannt.<br />
Nach dem Zweiten Weltkrieg begann neues Leben. Von 1946 bis 1970 sind über<br />
100 Priester aus der <strong>Hiltrup</strong>er Schule und dem Internat hervorgegangen.<br />
Sie wirken in aller Welt als Botschafter der Liebe Gottes in Seelsorge und<br />
Entwicklungshilfe. Aufgeteilt in 16 Provinzen standen 1983 weltweit<br />
2 400 Herz-Jesu-Patres, -Brüder und -Bischöfe im Dienste dieses internationalen<br />
Ordens. Aus den ehemaligen Missionsstationen sind inzwischen eigenständige<br />
"Junge Kirchen" geworden.<br />
- 17 -<br />
1975 übernahm das Btstura Münster das Gymnasium; das Missionshaus wurde verkauft.<br />
Aber die <strong>Hiltrup</strong>er Missionare blieben <strong>Hiltrup</strong> treu. Im Klosterwald entstand ein<br />
modernes, kleineres Kloster. Hier lebt die Gemeinschaft im Dienst der Kirche;<br />
Brüder, Fratres und Patres, etwa 30 an der Zahl. Einige arbeiten am<br />
Kardinal-von-Galen-Gymnasiumi andere in der Seelsorge, z. B. in der St.
Clemens-Pfarre, oder sie versorgen im eigenen Haus alte und kranke Mitbrüder. Sechs<br />
junge Fratres studieren in Münster Theologie. Das Haus steht allen Menschen offen<br />
zum "Atemholen", zu Gespräch, Besinnung, Gebet. Hier treffen sich Frauen, Männer,<br />
Jugendliche, Katecheten, in Gruppen oder als Einzelne, um in Tagen der Ruhe und<br />
Einkehr neue Kraft zu schöpfen für das Christsein im Alltag.<br />
Missionsschwestern<br />
Die Ordensgemeinschaft der Missionsschwestern vom heiligsten Herzen Jesu<br />
von <strong>Hiltrup</strong> wurde 1899 von Pater Hubert Linckens MSC gegründet. Sie begeht<br />
als Gründungstag den 25. 3. 1900, die Einkleidungsfeier der ersten elf<br />
Schwestern.<br />
Das Ziel der Gründung war, deutsche Schwestern für den missionarischen<br />
Dienst in Papua-Neuguinea heranzubilden, um die Arbeit der "<strong>Hiltrup</strong>er<br />
Missionare" zu unterstützen. Die erste General oberin war Mutter Franziska<br />
Fleige MSC (1868-1951). Die ersten zwölf Missionarinnen machten sich<br />
1902 von <strong>Hiltrup</strong> aus auf die Reise in die Südsee und begannen ihre<br />
segensreiche Tätigkeit in Schule und Krankenpflege. Jahr für Jahr<br />
traten junge Schwestern dem Orden bei, so daß nach und nach viele Niederlassungen<br />
in allen Erdteilen gegründet werden konnten. Im Jahre 1956 wurde das Generalat<br />
von <strong>Hiltrup</strong> nach Rom verlegt. Heute arbeiten ca 1 600 Botschafterinnen<br />
der Liebe Gottes in folgenden Ländern:<br />
Deutschland, USA, Australien, Südwestafrika, Peru, Neu-Guinea, Italien, Spanien,<br />
Korea. Vom pulsierenden Leben des Ordens zeugen die Neugründungen in Indien und in<br />
der Dominikanischen Republik.<br />
Die Zahl der Schwestern in den einheimischen Missionsgebieten nimmt ständig zu. Darum<br />
treten die europäischen Ordensfrauen auf Beratungsfunktionen zurück, um den<br />
landgeborenen Mitschwestern die Verantwortung zu übertragen. Schwerpunkt ihrer<br />
Arbeit ist neben pastoralen, sozialen und caritativen Tätigkeiten die Heranbildung<br />
einheimischer Frauen in qualifizierten Bildungszentren. Die Kraftquelle ihres Tuns<br />
ist das Gebet und die Verehrung des heiligsten Herzens Jesu, wie es der Ordensgründer<br />
Hubert Linckens schon empfahl.
- 18 -<br />
Eine ständige Ausstellung im Mutterhaus der <strong>Hiltrup</strong>er Missionarinnen an der<br />
Westfalenstraße zeigt die Tätigkeitsbereiche in den Entwicklungsländern.<br />
Viele Exponate von Masken, Dämonen, Waffen, Schmuck, Handarbeiten und exotischen<br />
Tieren geben Einblick in fremde Kulturen. Hier wird auch die Erinnerung wach<br />
gehalten an fünf Schwestern, zwei Patres und drei Brüder, die 1904 ihres Glaubens<br />
wegen in Neu-Guinea ermordet wurden.<br />
Viele <strong>Hiltrup</strong>er haben in der Kriegs- und Nachkriegszeit Zuflucht, Hilfe und Trost<br />
im Mutterhaus der Schwestern gefunden.<br />
Selbst Konrad Adenauer fand hier 1945 ein sicheres Obdach, um Vorgespräche zur<br />
Gründung seiner Partei zu führen. In kranken Tagen fühlten sich die <strong>Hiltrup</strong>er bei<br />
den Schwestern geborgen, seit sie im Jahre 1920 im Alten Pfarrhof eine<br />
Krankenpflegestation errichteten. Das große Krankenhaus mit den vielen<br />
Fachstationen wurde 1962 eröffnet. Unzählige <strong>Hiltrup</strong>er und auswärtige Patienten<br />
fanden hier Genesung und sind dankbar für die liebevolle Pflege und den christlichen<br />
Geist dieses internationalen Hauses.<br />
Aus: 25 Jahre Heimatfreunde <strong>Hiltrup</strong><br />
Münster 1986
Christuskirche<br />
- 19 -<br />
Die wenigen evangelischen Christen, die im 19. Jahrhundert nach <strong>Hiltrup</strong> kamen, waren<br />
vor allem mit Bau und Betrieb von Bahn und Kanal sowie der Ziegelherstellung<br />
verbunden. Von den etwa 900 Kanalarbeitern im Streckenabschnitt Amelsbliren-<strong>Hiltrup</strong><br />
waren ca. 30 - 50 % evangelisch. Durch den Zuzug von Mitarbeitern des Werkes von<br />
Max Winkelmann und weiterer Betriebe entstand allmählich die evangelische<br />
Gemeinde.<br />
Die Evangelischen im Kreisgebiet Münster (Diaspora) wurden bis zum<br />
2. Weltkrieg von Münster aus betreut. 1859 lebten 523 Mitglieder<br />
der evangelischen Kirche im Kreis, in <strong>Hiltrup</strong> selbst drei. Wenige Jahre<br />
zuvor war die Zahl durch die inzwischen nach dem Bau der Bahnlinie<br />
Hamm-Münster wieder weggezogenen evangelischen Arbeiter bereits höher gewesen.<br />
Seit 1910 wurde das Privathaus von Professor Nübel in der Kloster-Straße 12, das<br />
spätere Pfarrhaus, mit Bibelstunden und Gottesdiensten evangelisches "Zentrum".<br />
Gottesdienste wurden seit 1914 in einem Klassenraum der Clemensschule gefeiert. Ein<br />
zusätzliches Problem ergab sich aus dem häufigen Wechsel der Hilfsprediger, die für<br />
die Evangelischen im Landkreis Münster zuständig waren. Führende<br />
Gemeindemitglieder, auch aus <strong>Hiltrup</strong>, baten 1928, darin unterstützt vom Presbyterium<br />
der Gemeinde Münster und dem für Münster zuständigen Superintendenten in Ahaus, um<br />
Abhilfe.<br />
Seit etwa 1925 gab es konkrete Pläne für den Bau einer Kapelle oder Kirche in <strong>Hiltrup</strong>.<br />
1927 berichtete Professor Nübel, einer der eifrigsten Förderer des Projektes, vor<br />
dem Presbyterium der Gesamtgemeinde Münster über konkrete Möglichkeiten eines<br />
Grundstückserwerbs. Nach dem Erwerb eines Grundstückes an der heutigen Straße Hohe<br />
Geest, zähen Verhandlungen und Überlegungen um Größe und Ausstattung eines "Betund<br />
Gemeindehauses in <strong>Hiltrup</strong>" wurde dieses im Juli 1932 vom Konsistorium<br />
(entspricht der heutigen Kirchenleitung) mit einem sehr schmalen Kostenrahmen<br />
genehmigt.<br />
Die Grundsteinlegung erfolgte am 16. Juli 1932. Die fertiggestellte Kapelle<br />
enthielt 300 Sitzplätze und einen Gemeinderaum. Seitdem fand in <strong>Hiltrup</strong> alle 14 Tage<br />
Gottesdienst statt. Mit dem stetigen Wachstum der Gemeinde nahm die Zahl der<br />
evangelischen Christen konstant zu. Der kleine Gottesraum bot den vielen Gläubigen<br />
nicht mehr genügend Platz.<br />
1939 besuchten 50 evangelische Kinder die <strong>Hiltrup</strong>er Volksschule. 1946 mußte<br />
aufgrund der vielen Flüchtlingskinder eine evangelische Volksschule gegründet<br />
werden. Am 30. Januar 1954 wurde die Evangelische Gemeinde <strong>Hiltrup</strong>, zu der neben<br />
Amelsbüren damals noch Drensteinfurt und Rinkerode gehörten, selbständig. 1970<br />
konnte die Christuskirche an der Hülsebrockstraße geweiht werden.<br />
(vergl. hierzu Katalog: Fremd in <strong>Hiltrup</strong> angekommen, Münster 1992)
- 20 -<br />
Die Pfarrkirche St. Clemens und ihre Ausstattung<br />
Täglich fällt unser Blick auf die mächtigen Türme von St. Clemens. Die Kirche<br />
ist ruhender Pol inmitten des Verkehrs an der Kreuzung Marktallee/ Hohe Geest, an<br />
der höchsten Erhebung unseres Stadtteils, 67,5 m über N.N. Ist uns aber bewußt,<br />
daß wir ein architektonisch interessantes, denkmalgeschütztes Haus Gottes<br />
besitzen?<br />
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts plante und baute der Architekt Hilger<br />
Hertel im Münsterland viele Kirchen im historisierenden gotischen Stil. Er<br />
beeinflußte damit die Architektur im Bistum. In <strong>Hiltrup</strong> baute im selben Stil der<br />
Architekt Wucherpfennig aus Münster die inzwischen abgerissene Herz-Jesu-Kapelle<br />
der <strong>Hiltrup</strong>er Missionare und die ebenfalls abgerissene Kapelle der <strong>Hiltrup</strong>er<br />
Missionsschwestern. Nach seinem Tod holten Fachleute Prof. Ludwig Becker (*1855,<br />
+ 1940), Dombaumeister in Mainz, ins Bistum Münster, wo er eine Reihe bedeutender<br />
Kirchen erstellte.<br />
Becker, dem Alten verpflichtet bei strenger wissenschaftlicher Prüfung, plante<br />
jeweils Neues. Dabei liebte er den Stilpluralismus. Für 317 Kirchen, die er neu<br />
erbaute, erweiterte oder restaurierte, machte er stets neuartige Entwürfe. Seine<br />
berühmtesten Kirchen sind St. Elisabeth in Bonn und St. Lutwinus in Mettlach. Auch<br />
im Mlinsterland steht eine Reihe großartiger Zeugen seiner Architektur: St. Clemens<br />
in Rheda, St. Marien in Warendorf, St. Johannes in Bö'sensell, St. Fabian und<br />
Sebastian in Osterwick u.a.<br />
Alle diese Bauten zeigen neben neugotischen und/oder neuromanischen<br />
historisierenden Elementen deutliche Züge des Jugendstils. Neuromanische Kirchen<br />
aus dieser Zeit sind seltener als neugotische. Architekt Ludwig Becker plante jedes<br />
Detail innen und außen einschließlich der sakralen Ausstattung. Die<br />
Bauausführung übernahmen ortsansässige Kollegen.<br />
Unsere <strong>Hiltrup</strong>er Kirche St. Clemens weist viele beachtenswerte Bauteile auf, deren<br />
Schönheitiund Einmaligkeit dem stillen Betrachter nicht verborgen bleiben. Die<br />
dreischiffige Basilika ist nicht, wie bei Kirchen allgemein üblich, geostet,<br />
sondern die Chorapsis zeigt nach Norden. Zwei mächtige, quadratische<br />
Chorflankentürme, 44,5 m hoch, überragen das steile Satteldach. Die Türme sind<br />
von leicht abgewalmten Mansarddächern gekrönt, die wiederum mit kleinen<br />
spitzförmigen Dachfenstern verziert sind. Die dreifachen Arkaden an jeder <strong>Seite</strong><br />
lassen den Klang der drei Glocken weit ins Land erschallen. Die Blendgliederungen<br />
mit den kleinen Rundbögen mildern das Massige der Türme. Die beschwingte Linie<br />
der Turmdächer und die Art der Verzierung zeigen die Elemente des Jugendstils,<br />
ebenso die Giebelseiten mit den ansteigenden stilisierten Rundbogenfriesen; es<br />
sind neue
- 21 -<br />
Schmuckelemente in der Kunst nach 1900. Beim Langhaus (38 m lang, 19 m breit) werden<br />
die neuromanisch inspirierten Rundbogenfenster von schmalen, senkrecht verlaufenen<br />
Lisenen untergliedert. Die Rundbogenfenster sind mit einer Klötzchenfriesrahmung<br />
verziert. Im Giebel der rechten Apsis befindet sich eine ausdrucksvolle<br />
Fensterrosette. Die Fenster in den Apsiden sind fein gestaltet und durch Lisenen<br />
aus Kunststein unterteilt.<br />
An der Eingangsseite von St. Clemens erkennen wir klar die dreigliedrig<br />
angelegte klassische Basilika; die <strong>Seite</strong>nschiffe sind halb so hoch wie das<br />
Hauptschiff. Sehr fein gestaltet ist das Eingangsportal mit seiner reduzierten<br />
Vorhalle.<br />
Sein Giebel mit dem Rahmengesims zeigt ein Muster aus Rauten, die sich wiederholen<br />
mit Medaillons und Rautenflächen. Der romanisierte Halbbogen, verziert mit<br />
versetztem Röllchenfries, ruht auf zwei Säulen. Eingefaßt ist das Portal mit einem<br />
umlaufenden Dekorrahmen mit knöpfartigen Medaillons.<br />
Auf dem Kapitell der linken Säule zeigt sich ein Löwe, der einem Drachen ins<br />
Genick beißt; auf der rechten <strong>Seite</strong> zeigt das Kapitell ebenfalls einen Löwen,<br />
der einem Drachen an die Gurgel greift. Beide Kapitelle aus Kunststein,<br />
romanisch inspiriert, weisen auf Christus hin.<br />
Leider zeigt die neu gestaltete EingangstUr nicht mehr die ehemaligen<br />
rankenverzierten Eisenbeschläge. Aber an den <strong>Seite</strong>neingängen sind sie zu sehen. Die<br />
kräftige Holztür wird von rot gestrichenen, fein geschmiedeten Ranken gehalten,<br />
deren Spitzen in stilisierten Blüten enden. Die Säulen zu beiden <strong>Seite</strong>n der<br />
Türumrahmung mit Blätterkapitellen lassen antike Vorbilder erahnen, sind allerdings<br />
ganz im Stil der neuen Zeit gestaltet. Das große Fenster über dem Eingangsgiebel<br />
weist in seinen Proportionen und Linien moderne Stilelemente auf. Das Baumaterial<br />
ist Ibbenbürener Sandstein. Alle Sockel, Gesimse, Fensterwangen und Laibungen außen<br />
an der Kirche sind aus Kunststein gefertigt, in der Kirche dagegen aus Baumberger<br />
Sandstein.<br />
Im Innern von St. Clemens fällt der unsymmetrische Grundriß auf, bedingt durch die<br />
verschiedenen großen Apsiden des Querhauses und des Sakristeianbaus. Der Typus der<br />
drei schiffigen Basilika mit Querhaus war in der Romantik geläufig. In Westfalen<br />
war jedoch mehr die Halle verbreitet. Die Einzelformen von St. Clemens sind an der<br />
Romantik orientiert, z.B. der Obergaden, der das Mittelschiff erhellt. Der Innenraum<br />
ist gegliedert durch Rechteckstützen, die das Kreuzrippengewölbe, aus der Gotik<br />
entlehnt, im Schnitt 14 m hoch tragen.
- 22 -<br />
Der Chor liegt lichtdurchflutet nach Norden gerichtet. Halbsäulen, vom Boden<br />
aufgehend, enden in ausdrucksstarken Kapitellen, die leider in großer Höhe dem<br />
Gottesdienstbesucher kaum auffallen. Acht dieser Säulen, davon die beiden äußeren<br />
mit jeweils zwei dünneren Nebensäulen, zeigen sorgfältig gearbeitete Darstellungen<br />
vom Lamm Gottes mit den sieben Siegeln und der Siegesfahne, daneben einen Phönix,<br />
eine Taube, einen Pelikan mit drei Jungen, alles uralte Symbole für Christus. Die<br />
Säulen dazwischen tragen Kapitelle mit Lotus, Akanthus oder Lilienmotiven in der<br />
Formensprache des Jugendstils. Unter jedem Fenster sind zwei Apostelfiguren auf<br />
vergoldeten Konsolen, mit Ornamenten und stilisierten Blüten verziert, flankiert<br />
von Kerzenhaltern. Es ergibt sich der Eindruck eines emporstrebenden neoromanischen<br />
Chores.<br />
In der Kapelle auf der linken <strong>Seite</strong> befindet sich ein Taufstein aus Baumberger<br />
Sandstein mit vier Flachreliefs: ein geflügelter Stierkopf, ein geflügelter Löwe,<br />
ein geflügelter Engelskopf in <strong>Seite</strong>nansicht, ein geflügelter Adlerkopf - sie<br />
erinnern an die Apostel Matthäus, Markus, Lukas und Johannes. Daneben sind in den<br />
Blattranken Eichenblätter zu erkennen; sie symbolisieren die Stärke des Glaubens.<br />
Die Kapelle an der östlichen <strong>Seite</strong> mit ihren ausgewogenen Proportionen ist durch<br />
acht Säulen gegliedert. Die romanisierten Kapitelle weisen auf das Evangelium hin.<br />
Auf dem ersten links wachen zwei Drachen, daneben Löwe und Stier als Sinnbilder für<br />
Markus und Lukas. Es folgen wiederum zwei Kapitelle mit Drachen. Das nächste zeigt<br />
junge Adler, anschließend das Kapitell Engel und Adler als Zeichen für Matthäus und<br />
Johannes. An der Ecksäule wachen Adler. Die kleinen Holzreliefs mit der Darstellung<br />
der hl. Theresia von Avila und dem hl. Antonius stammen ursprünglich vom<br />
Marienaltar. Alle Gewölbe sind in Rabitz-Putztechnik erstellt.<br />
Der alte Kreuzweg, auf Holz gemalt, ist von Girlanden eingefaßt. Die Kreuze, die<br />
die einzelnen Stationen angeben, sind verziert mit kleinen Halbkugeln,<br />
stilisierten Knospen, die an vielen Stellen innen und außen an der Kirche als<br />
Schmuck auftauchen. Auch im Mittelteil der alten Beichtstühle tauchen halbflache<br />
Kreise auf, die neben Rosetten ins Holz geschnitzt sind. Stilisierte Rosen mit<br />
langgezogenen Stäben verzieren die Wangen der Bänke aus gemasertem Kiefernholz.<br />
Kunstvolle Steinmetzarbeit aus Baumberger Sandstein läßt sich am Ambo erkennen; er<br />
wurde aus der ehemaligen Kommunionbank gestaltet. Die kleinen Säulen am Altar und<br />
drei Kerzenleuchter, aus derselben Steinmetzwerkstatt, stammen von der früheren<br />
Brüstung, die bis 1967 den Chorraum umschloß.<br />
Auf dem Fußboden sind noch Keramikfliesen des ursprünglichen Bodenbelages zu<br />
erkennen. Die Figuren und Reliefs im gesamten Kirchenraum sind alten
- 23 -<br />
Altären entnommen. Seit kurzem ziert ein großes Kreuz, dessen Korpus sich früher<br />
im Hauptaltar befand, den Chorraum und gibt ihm Ausstrahlung und Würde. Auch die<br />
Apostel entnahm man dem ehemaligen Hauptaltar. Leider sind die Umrahmungen<br />
verloren gegangen. Die Muttergottes stand früher im Marienaltar, umgeben von<br />
weiteren Heiligen. Außergewöhnlich schön ist die selten anzutreffende Bemalung<br />
ihres Gewandes mit blauem Muster, goldenen Medaillons und Säumen. In der<br />
Taufkapelle befindet sich ein Relief: Jesus segnet die Kinder. Dabei ist die rechte<br />
Frauenfigur auffällig; es könnte eine Münsterländerin sein mit der typischen<br />
Haube. Die hl. Mutter Anna und der hl. Clemens mit seiner dreifachen Krone (er<br />
hat die Gesichtszüge von Papst Leo XIII) sind Zeugnisse des Kunstschaffens zu<br />
Beginn unseres Jahrhunderts. Alle Figuren und Reliefs erstellte der Holzbildhauer<br />
Gerd Brüx aus Kleve. Sie sind ausdrucksvoll gearbeitet und aus christlichem<br />
Glauben entstanden.<br />
Der Kirchenraum wurde 1913 reich ausgemalt. Die Ausmalung war nicht nur als<br />
schmückendes Element zu verstehen, sondern beinhaltete ein durchdachtes<br />
theologisches Programm. Der Historismus entdeckte die Schönheit frühchristlicher<br />
und romanischer Mosaiken wieder. Die Malereien in den Kirchen sollten Illusionen<br />
von Mosaiken und Mosaikinkrustationen geben. Auch die Clemenskirche war reich<br />
ausgemalt mit Engeln und Heiligen, dem Osterlamm auf Goldgrund mit Ranken,<br />
geometrischen Ornamenten, stilisierten Blüten. Aber die dunkle Ausmalung und<br />
die dunklen Fenster machten den Innenraum düster. Deshalb ließ man alle<br />
Wandmalereien bei der Renovierung 1967 beseitigen. Die nachkonziliare liturgische<br />
Neuordnung verkannte wertvolle Ausstattungen, die als überflüssig oder nicht mehr<br />
zeitgemäß empfunden wurden. Leider reichten die Denkmalschutzbestimmungen in<br />
jenen Jahren nicht aus, altes Kirchengut zu schützen. Inzwischen steht St. Clemens<br />
unter Denkmalschutz.<br />
Zur Einweihung am 26. November 1913 erhielt die Kirche eine reiche Ausstattung<br />
an Meßgewändern, Altartüchern, Kelchen, eine Monstranz, ein Vortragekreuz und<br />
Kerzenleuchter. Alle diese Gegenstände weisen deutlich Merkmale des Jugendstils<br />
auf. Die meisten von ihnen sind weiterhin in sakralem Gebrauch. In den 75 Jahren<br />
ihres Bestehens hat die Kirche gute und böse Zeiten überstanden. Tausende von<br />
Kindern sind hier getauft, unzählige Tote beklagt, viele junge Ehen eingesegnet<br />
worden. Dieses Haus Gottes möge auch in Zukunft den Gläubigen und Betenden Zuflucht<br />
gewähren in Freud und Leid!<br />
Aus: 75 Jahre St. Clemens,<br />
Münster 1988
- 24 -<br />
Entstehungsgeschichte der Vereine in <strong>Hiltrup</strong><br />
Wenn Menschen Interessierendes gemeinsam betreiben wollen, finden sie sich<br />
in Gruppen und Organisationen zusammen. Solche Zusammenschlüsse setzen<br />
sich einmal materielle Ziele, indem sie die Sicherung der materiellen<br />
Existenz der Mitglieder in den zeitgegebenen Verhältnissen anstreben,<br />
zum anderen ideelle Zwecke, um geistige Interessen zu realisieren, z.B.<br />
Zunft, Gilde, Bruderschaft, Genossenschaft, Gesellschaft, Bund, Verband,<br />
Klub, Verein, Bewegung, Kreis, Verbindung, Chor, Gemeinschaft.<br />
Aus der Zeit vor 1600 stammen die Nachbarschaften, z.B. im westlichen<br />
Münsterland, vereinsanaloge Zusammenschlüsse aufgrund von Ansässigkeit,<br />
in der Regel Hausbesitz, in einem Gebiet. Die Mitglieder übernahmen<br />
schriftlich festgelegte oder mündlich überlieferte Pflichten bei<br />
Familienfesten, Not- und Sterbefällen. Ein wichtiger Aspekt war auch<br />
immer die Hilfe für die Armen. Kurzum, der Verein vermittelt Selbstwertgefühl,<br />
Orientierungshilfe und Sicherheit. Nach einer Schätzung betrug die Zahl<br />
der Vereine in Deutschland 1928 etwa 250 000. Gegenwärtig gehören ca.<br />
56 % der Bevölkerung der Bundesrepublik, davon 73 % Männer und 37 %<br />
Frauen, freiwilligen Organisationen an. Der Organisationsgrad ist etwa<br />
von gleicher Höhe wie der in der USA und England. Es wäre sicher sehr<br />
aufschlußreich für unser Gemeinwesen, die Bedeutung von Vereinen, besonders<br />
von Sportgemeinschaften im Alltag, zu untersuchen und damit die Kultur<br />
und Freizeitpolitik in einer Stadt zu hinterfragen. In welchem Maße<br />
den Vereinen in der Gemeinde eine Integrationsfunktion zukommt und welche<br />
Bedeutung sie für die Gestaltung des lokalen und überregionalen Kräftefeldes<br />
haben können, zeigt der Leitartikel in den Westfälischen Nachrichten<br />
vom 2. Juni 1993 von Stefan Reker. Er schreibt wie folgt:<br />
"Die Saat geht auf.<br />
Schmerz und Wut bestimmen die ersten Reflexe auf einen so niederträchtigen,<br />
barbarischen Mordanschlag wie in Solingen, doch die politischen Reaktionen<br />
sollten von diesen Gefühlen tunlichst nicht beherrscht werden.<br />
Nach jenem traurigen Höhepunkt einer nicht abreißenden Serie von<br />
Schandtaten gegen Ausländer in Deutschland muß über notwendige Konsequenzen<br />
diskutiert werden.<br />
Mit simplen Reaktionsmustern kommen wir dem Kern des Problems keinen Schritt<br />
näher. Im Gegenteil, durch vorschnelle Rufe nach politischen Sofortmaßnahmen<br />
im Gefolge schlimmer Gewalttaten würde nur der fatale Eindruck verstärkt, daß<br />
die Politik durch Gewald erfolgreich zum Handeln angestoßen werden kann.
- 25 -<br />
Die Ursachen der Gewaltwelle in Deutschland liegen tiefer. Wir alle spüren: Es läuft<br />
etwas falsch in unserer Gesellschaft. Jeder sieht die Anzeichen: Gewalt auf den<br />
Schulhöfen, Gewalt auf den Bildschirmen, Kindesmißbrauch und Kinderpornographie,<br />
um nur einige zu nennen. Jetzt geht die Saat auf, die in langfristigen<br />
gesellschaftlichen Trends zur Vereinzelung der Menschen gelegt wurde.<br />
In den Städten bilden Einpersonen-Haushalte oft die Mehrheit. Die meisten Kinder<br />
wachsen heute ohne Geschwister auf, die Zahl der in Kirchen oder Vereinen<br />
engagierten Helfer sinkt unablässig, während Spielhallen und Videotheken wie<br />
Pilze aus dem Boden schießen. Das sind die Symptome einer zunehmend bindungslosen<br />
Gesellschaft. In diesem Umfeld wächst auch die Zahl der Entwurzelten, der von<br />
Rücksichtnahme und Solidarität Entwöhnten. Die Ausländer sind nur die ersten, die<br />
es trifft. Diese Gesellschaft droht den Geist der guten Nachbarschaft zu verlieren".<br />
Gerade Vereine wirken diesem Zeitgeist entgegen, weil sie sich des einzelnen<br />
annehmen. Welche Merkmale sind dem Vereinswesen zuzurechnen, um es von sonstigen<br />
Gruppen und Organisationsbindungen zu unterscheiden?<br />
<strong>1.</strong> Ein Hauptmerkmal des Vereins ist die Freiwilligkeit, das gilt für Gründung,<br />
Eintritt, Austritt, Auflösung, selbst für die Teilnahme an<br />
Vereinsaktivitäten.<br />
2. Ein weiteres Merkmal ist, daß die Vereine auf Dauer angelegt sind, auf<br />
Fortbestand, im Wechsel der Mitglieder.<br />
3. Der Dauer des Vereins dient auch der Vereinsgeist, der aus dem<br />
gemeinsamen Interesse und dem geselligen Umgang erwächst.<br />
4. Wichtig ist auch, daß die vom Vereinszweck geforderte Einstellung<br />
und Aktivität nicht das gesamte oder auch überwiegende Lebensverhalten der<br />
Vereinsangehörigen prägt, sondern nur einen geringen Teil davon. Die Vereine<br />
beanspruchen den Menschen nur in der Freizeit.<br />
In den Jahrhunderten vor der Französischen Revolution und vor den von ihr ausgehenden<br />
Reformen in Deutschland bestimmte das Verhalten der Bevölkerungsangehörigen die<br />
Einbindung in die geburts- und berufsständige Sozialordnung. Als Grunddirektive<br />
für das soziale Leben dominierte nicht die Freiheit, sondern die Anpassung an<br />
Tradition und Konvention und bot somit die erstrebte Lebens- und daseinssicherung.<br />
Es gab aber auch eine Festkultur, die sich durch die Jahrhunderte fortbildete.<br />
Die geselligen Bedürfnisse fanden Erfüllung im "Haus" als dem Ort der
- 26 -<br />
Begegnung der Klein- und Großfamilie, in der Pflege der Nachbarschaft und des<br />
Bekanntenkreises, in den Feiern des Ortes und der Kirchengemeinde.<br />
In diesem Zusammenhang stellte sich auch das Streben nach freiwilligen<br />
Zusammenschlüssen ein. Zwar gab es in der ständigen Gesellschaft keine<br />
Vereinsfreiheit, aber auch kein grundsätzliches Vereinsverbot, sondern die<br />
Obrigkeiten hatten das Recht, Vereinsbildungen zu genehmigen, wenn der Vereinszweck<br />
nicht das Gemeinwohl, den religiösen Frieden, die politische Ordnung gefährdete.<br />
Bis 1850 bestand in Deutschland das Recht der Regierungen und zuständigen Behörden<br />
fort, Vereine zu verbieten. Es war eine Frucht der Revolution von 1848, daß die<br />
Vereinsfreiheit in der Paulskirchenverfassung und nach deren Aufhebung -<br />
richtungsweisend auch für Deutschland - 1850 in der Preußischen Verfassung,<br />
allerdings mit Gesetzesvorbehalt, niedergelegt wurde.<br />
Eine Sicherung des einzelnen in Leben, im Tod und im Jenseits bot die Mitgliedschaft<br />
in einer religiösen Bruderschaft durch Ausübung caritativer Aufgaben,<br />
Totenbetreuung und Seelenfürsorge. In Münster, einer Stadt von damals 14 000<br />
Einwohnern, gab es im Jahre 1700 ca. 25 verschiedene Bruderschaften. Die Sodalität<br />
in <strong>Hiltrup</strong> war eine solche Bruderschaft und als solche die älteste und bekannte<br />
kirchliche Vereinsorganisation (gegründet von 1849).<br />
Seit dem 15. Jahrhundert entstanden die Schützenvereine. Sie waren aus den<br />
allgemeinen Einwohnerwehren des Mittelalters hervorgegangen. Da jeder Bürger zur<br />
Verteidigung der Stadt verpflichtet war, mußte er auch die Waffen: Armbrust und<br />
Gewehr, handhaben können. Das lernte er am besten in einer Gemeinschaft und im<br />
friedlichen, sportlichen Wettkampf miteinander. Dabei kam die Geselligkeit nicht<br />
zu kurz, zumal Rat und Obrigkeit diese Aktivitäten im eigenen Interesse stark<br />
förderten, getreu dem Wahlspruch: Wehrhaftigkeit, Frömmigkeit und Frohsinn<br />
erleichtern das irdische Leben.<br />
Der Wandel der ständischen Ordnung zur bürgerlichen Gesellschaftsordnung, die<br />
Bauernbefreiung, die Gewerbefreiheit und der Beginn der Industralisierung und die<br />
Arbeiterwanderbewegung als Folge davon, machten sich immer stärker bemerkbar. Aber<br />
ohne ein Mindestmaß von kulturellen Fertigkeiten: Lesen, Schreiben, Rechnen;<br />
kurzum Bildung, war ein Zusammenschluß zur wirksamen Durchsetzung von Interessen<br />
und Forderungen nur schwer möglich. Allgemein ist zu wenig bekannt, daß um 1800 ca.<br />
50 % der deutschen Bevölkerung Analphabeten waren.<br />
Die Bemühungen der Regierung durch Anwendung von Zwang zum Schulbesuch
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trugen bereits in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts Früchte. Im Jahre<br />
1826 gab es in der Provinz Westfalen mit rund 1 Million Einwohnern bereits 1 632<br />
Elementarschulen mit Lehrern, die an Seminaren ausgebildet waren, 28 Mittlere<br />
Schulen und 9 Gymnasien.<br />
Die Verwaltung setzte mit wachsender Energie den regelmäßigen Schulbesuch<br />
durch. Bildung aber macht den Aufgeschlossenen fähig, Möglichkeiten zur<br />
Teilnahme am Gesellschafts-, Arbeits- und Kulturleben zu nützen und in Vereinen<br />
aktiv mitzuwirken.<br />
Die einzelnen waren nun nach de« Übergang von der ständischen zur bürgerlichen<br />
Sozialordnung frei und vor dem Gesetz gleich, aber auch herausgefordert, im<br />
Wettbewerb Miteinander durch Leistung die soziale Position abzugrenzen oder aber<br />
auch zu verbessern. Nach und nach konnte man jetzt traditionelle Bindungen und<br />
Hemmungen abstreifen und den eigenen Interessen und Neigungen in neuen Formen<br />
nachgehen. Jeder war in den veränderten Gesellschafts- und Uaweltverhältnissen<br />
gezwungen, sich selbst zu behaupten. So suchte er eine neue Bindung und Halt in<br />
Vereinen, deren ideelle und materielle Zwecke in Geselligkeit, Religion,<br />
Weltanschauung, Arbeit und Fortbildung, kulturellen Leben und in sozialer<br />
Hilfestellung zum Ausdruck kamen.<br />
Unter diesen geschichtlichen Gegebenheiten kann man die Gründung der ersten uns<br />
bekannten Vereinsgründung in <strong>Hiltrup</strong> einordnen, z.B. den Männergesangverein 1848.<br />
Unter den musischen Aktivitäten war der Gesang ein sehr volkstümlicher<br />
Vereinszweck, so daß sich gegen Ausgang des 18. Jahrhunderts auch<br />
Arbeitergesangvereine bildeten. Die Liedertafel in Münster von 1822 ging aus einem<br />
Offiziersquartett hervor. Seit 1831 gab es den Bund Norddeutscher Liedertafeln -<br />
eine exclusive Vereinigung. Doch gehörte die Zukunft den Männergesangvereinen,<br />
denen sich jeder anschließen konnte. Unter diesen spielten die Lehrergesangvereine<br />
eine besondere Rolle. 1846 entstand der Märkisch-Westfälische Provinzialsängerbund.<br />
1848 wurde in <strong>Hiltrup</strong> der Männergesangverein MGV 1848 von dem Pfarrer Theysing und<br />
dem Lehrer Voß ins Leben gerufen. Dem 1908 gegründeten Westfälischen<br />
Provinzialsängerbund gehörten 1830 rund 35 000 Sänger in 952 Vereinen an.<br />
Aus dem Gesangverein MGV 1848 erwuchs 1851 der BUrgerschUtzenverein <strong>Hiltrup</strong>. 1458<br />
gab es in Münster bereits zwei Schützenbruderschaften. Das Schützenwesen war so<br />
bekannt und beliebt, daß in vielen Kirchspielen Münsters und in der Umgebung<br />
Schützenbruderschaften entstanden. Die Schützenfeste waren echte
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Höhepunkte im jeweiligen Vereinsleben: Wettstreit, Festfreude verbanden<br />
die Gemeinschaft, man wollte sich zeigen und beachtet wissen.<br />
1819 wurde in Münster der erste landwirtschaftliche Verein gegründet;<br />
1876 erfolgte in <strong>Hiltrup</strong> die Gründung des Landwirtschaftlichen Ortsvereins.<br />
Es ging den Vereinen darum, "für die Landwirtschaft nachteilige Gewohnheiten<br />
und Mißbräuche abzustellen, auf Sittlichkeit und Wohlstand der Eingesessenen<br />
erfolgreich einzuwirken, Wiesenanlagen zu fördern ... vermehrten Fruchtbau<br />
einzuführen und die Viehzucht überhaupt zu steigern". 1908 waren der<br />
1899 errichteten Landwirtschaftskammer Westfalen-Lippe 252 Vereine mit<br />
ca. 42 000 Mitgliedern angeschlossen.<br />
Von den Kleintieren wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Ziege vermehrt gehalten,<br />
nicht nur als sogenannte Bergmannskuh im Ruhrgebiet, sondern es gab auch in der Stadt<br />
Münster um 1900 vier Ziegenzuchtvereine. Auch in <strong>Hiltrup</strong> gab es einen<br />
Ziegenzuchtverein. Der Westfälische Ziegenzuchtverband, 1907 gegründet, umfaßte 1925<br />
sogar 563 Vereine.<br />
Die vielerorts bestehenden Kaninchenzuchtvereine hatten zu Mitgliedern - wie ein<br />
Vorsitzender 1908 erläuterte - überwiegend kleine Leute. Zwar sei die<br />
Kaninchenzuchthaltung wenig angesehen, aber sie sei geeignet zur Selbstversorgung<br />
mit Fleisch und zum Zugewinn durch Fellverkauf, und deshalb licht selten notwendig.<br />
In <strong>Hiltrup</strong> wurde ein Rassekaninchenzuchtverein ;rst 1945 gegründet.<br />
Mn anderer Aspekt zur Gründung eines Vereins war die Abwehr von Naturschäden md<br />
Feuersnot. In den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts hatten eingeübte süddeutsche<br />
Feuerwehren Aufsehen wegen ihrer Erfolge bei der Brandbekämpfung srregt. Daher suchte<br />
man in den wachsenden Ortschaften von dem pflichtgemäßen lürgereinsatz bei Ausbruch<br />
eines Feuers wegzukommen, um mit geübten Leuten lie Löschgeräte effektiver zum<br />
Einsatz zu bringen. 1893 wurde in <strong>Hiltrup</strong> !ie Freiwillige Feuerwehr gegründet. Der<br />
Westfälische Feuerwehrverband rfaßte von den in der Provinz bestehenden rund 370<br />
Freiwilligen Feuerwehren m Jahre 1904 mit rund 10 000 Mitgliedern 258 Wehren.<br />
eit Mitte des letzten Jahrhunderts hat sich das kirchliche Leben über<br />
ie Gottesdienstteilnahme hinaus auch in Vereinen abgespielt. Damals entstand<br />
er Slogan, daß ein guter Katholik der ist, der nicht nur die Kirchengebote<br />
rfüllt, sondern auch Mitglied mindestens in einem kirchlichen Verein ist.<br />
uch im kirchlichen Leben <strong>Hiltrup</strong>s kommt den Vereinen traditionell eine<br />
roße Bedeutung zu. Ihren Ursprung haben sie in teilweise im 19. Jahrhundert<br />
egründeten Bruderschaften und Sodalitäten, über die Dokumente im Bistumsarchiv
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zugänglich sind, z.B. die Skapulierbruderschaft, die Rosenkranzbruderschaft, der<br />
Verein der christlichen Familien zur Verehrung der Hl. Familie Jesus, Maria, Josef,<br />
die Männer- und Jünglingssodalität (Gründungsurkunde 1854), die<br />
Jungfrauenkongregation (Gründung 1916). Am 4. Juni 1906 wurde in <strong>Hiltrup</strong> die Kath.<br />
Arbeitnehmerbewegung unter Dechant Unckel gegründet "... seine Hauptaufgabe ...<br />
Kirche in der Welt der Arbeit und Stimme der Arbeitnehmer in der Kirche zu sein"<br />
(1903 hatte Max Winkelmann in <strong>Hiltrup</strong> die Glasurit-werke gegründet).<br />
Im Kriegsjähr 1916 schlössen sich 254 Frauen <strong>Hiltrup</strong>s zum Verein christlicher Mütter<br />
zusammen. Bereits 1910 vereinten sich evangelische Frauen zur Evangelischen<br />
Frauenhilfe. Auf katholischer <strong>Seite</strong> wurde 1916 der Caritasverband gegründet. Bei<br />
den evangelischen Christen arbeiteten die regionalen Vereine in der Inneren<br />
Mission, "um die sozialen Schäden zu bekämpfen und zu heilen".<br />
Über die Vereinsgründungen zwischen den beiden Weltkriegen und besonders nach<br />
dem 2. Weltkrieg ist ausführlich in dem Buch "<strong>Hiltrup</strong>er Vereine" berichtet<br />
worden,so daß sich eine weitere Berichterstattung erübrigt.<br />
Allen Mitgliedern, Männern und Frauen in den Vereinen, die sich im Laufe der Jahre<br />
für ihre Gemeinschaften selbstlos und treu zur Verfügung gestellt haben, sei an<br />
dieser Stelle Anerkennung und dank gesagt. Sie haben sich nicht nur um ihren Verein,<br />
sondern auch um ihren Heimatort <strong>Hiltrup</strong> verdient gemacht.<br />
Benutzte Literatur:<br />
Gerhard Kratsch: Vereine mit ideellen Zwecken im 19. Jahrhundert,<br />
Sonderdruck, Münster 1982