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Rede zur Entlassung der Abiturientinnen und Abiturienten

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tiefschürfen<strong>der</strong>, eure Fragen an die Welt dringlicher. Und ihr saht<br />

auch insgesamt wie<strong>der</strong> besser aus.<br />

Und dann folgten zwei Jahre wun<strong>der</strong>voller Oberstufenzeit. Die Last<br />

des immensen Lernstoffs habt ihr tapfer getragen. Und ihr seid so<br />

klug geworden <strong>und</strong> so kritisch. Meinem Deutsch-Kurs habe ich zu<br />

danken für viele, viele St<strong>und</strong>en voller intellektuellem Vergnügen.<br />

Voller Freude am Interpretieren <strong>und</strong> am Diskutieren über das, was<br />

„die Welt im Innersten zusammenhält“ o<strong>der</strong> über die Frage, ob<br />

„Faserland“ nun Kunst o<strong>der</strong> Ramsch ist.<br />

In an<strong>der</strong>en Fächern ging es <strong>der</strong>weil – so hörte ich von euch – um<br />

solch gewichtige Dinge wie die Übertragung am Synapsenspalt,<br />

Neurotransmitter, Polynomfunktionen, die These „The world is<br />

flat“, inverse Matrix, reale <strong>und</strong> imaginäre Räume, polyrhythmische<br />

Strukturen, Sozial- <strong>und</strong> Marktkonformitätsprinzip, Transzendenz<strong>und</strong><br />

Immanenzerfahrungen, Utilitarismus, das Meer als<br />

französische Leidenschaft, Senecas moralische Briefe, Motorik <strong>und</strong><br />

Proteinfällung.<br />

Ihr Lieben, glaubt mir, ihr seid die einzigen im Raum, die<br />

momentan wissen, was sich hinter all dem verbirgt. So umfassend<br />

gebildet wie <strong>der</strong>zeit werdet ihr wohl niemals wie<strong>der</strong> sein!<br />

Aber in all den Jahren ging es ja nicht nur um Stoffvermittlung…<br />

Es ging auch um Herzensbildung. Wir vergessen das oft. Aber in<br />

den vergangenen acht Jahren seid ihr auch ein ganzes Stück weit<br />

erwachsener geworden. Ihr habt gelernt, mit an<strong>der</strong>en zu leben <strong>und</strong><br />

zu lernen. Euch mit dem An<strong>der</strong>ssein <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en im Diskurs<br />

auseinan<strong>der</strong>zusetzen <strong>und</strong> – so ist unsere Hoffnung – dieses<br />

An<strong>der</strong>ssein zu akzeptieren <strong>und</strong> zu respektieren, auch wenn es<br />

manchmal schwerfiel. Aber Toleranz bedeutet eben auch die<br />

Überwindung eigener Moralvorstellungen. Und letztendlich lernen<br />

wir durch diese Selbstüberwindung „frei zu sein vom Zwang <strong>der</strong><br />

Feindseligkeit dem An<strong>der</strong>sdenkenden gegenüber“. So jedenfalls hat<br />

es <strong>der</strong> Psychoanalytiker Alexan<strong>der</strong> Mitscherlich formuliert. Und ihr<br />

habt diese Freiheit <strong>zur</strong> Toleranz sicherlich bei euren zahlreichen<br />

Auslandsaufenthalte kennen gelernt; manche haben Bäume<br />

gepflanzt in China, an<strong>der</strong>e sind in Südkorea <strong>zur</strong> Schule gegangen,<br />

wie<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e haben unsere Partnerschulen in Polen, in<br />

Weißrussland o<strong>der</strong> in Tansania besucht <strong>und</strong> vielleicht erkannt, dass<br />

An<strong>der</strong>s-Sein <strong>und</strong> An<strong>der</strong>s-Denken keine Bedrohung darstellen

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