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Integration und Partizipation statt Stigmatisierung ... - IDA

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Netz gegen Rassismus, für gleiche Rechte Berlin, 15. Juli 2013<br />

Koordinierungsstelle:<br />

DGB-B<strong>und</strong>esvorstand<br />

<strong>Integration</strong> <strong>und</strong> <strong>Partizipation</strong> <strong>statt</strong> <strong>Stigmatisierung</strong> -<br />

Zuwanderung aus EU-Staaten nach Deutschland<br />

Anforderungen an die künftige B<strong>und</strong>espolitik 1<br />

Im „Netz gegen Rassismus, für gleiche Rechte“ arbeiten r<strong>und</strong> 100 Organisationen zusammen.<br />

Sie haben sich zum Ziel gesetzt, gemeinsam für die Überwindung von Rassismus <strong>und</strong> Ausgrenzung<br />

einzutreten. Und sie unterstützen sich gegenseitig in ihrer alltäglichen Arbeit.<br />

Angesichts der anstehenden Neuwahl des Deutschen B<strong>und</strong>estages <strong>und</strong> angesichts der Diskussion<br />

über die Zuwanderung von Menschen aus Staaten der Europäischen Union nach Deutschland<br />

haben die Mitglieder des Netzes Anforderungen an die künftige B<strong>und</strong>espolitik formuliert<br />

<strong>und</strong> diese an die bisher im B<strong>und</strong>estag vertretenen Parteien übermittelt.<br />

I. Der Hintergr<strong>und</strong>: Deutschland, ein Zuwanderungsland<br />

Die Freizügigkeit von EU-Bürgern, sich in einem anderen Mitgliedstaat niederzulassen, einer<br />

selbständigen Tätigkeit nachzugehen oder eine Beschäftigung aufzunehmen, gehört zu den<br />

Gr<strong>und</strong>werten der Europäischen Union. Artikel 21 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen<br />

Union (AEUV) <strong>und</strong> Artikel 45 der Gr<strong>und</strong>rechtecharta legen fest, dass alle Unionsbürgerinnen<br />

<strong>und</strong> Unionsbürger sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei bewegen <strong>und</strong> aufhalten<br />

dürfen. Daneben gibt es spezielle Freizügigkeitsrechte der Arbeitnehmer (Artikel 45 AEUV), der<br />

Selbständigen (Dienstleistungsfreiheit Artikel 56 AEUV) <strong>und</strong> die Niederlassungsfreiheit (Artikel<br />

49 AEUV). Nur in Ausnahmefällen, wie bei der Aufnahme neuer Mitgliedstaaten, haben die Mitgliedstaaten<br />

das Recht, Übergangsfristen für die Arbeitnehmerfreizügigkeit <strong>und</strong> die Dienstleistungsfreiheit<br />

in Anspruch zu nehmen. Die Niederlassungsfreiheit, also die Freiheit, ein Unternehmen<br />

zu gründen, wurde dagegen in den Beitrittsverträgen nicht beschränkt. Österreich <strong>und</strong><br />

Deutschland haben von dem Recht auf Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit bei der<br />

Aufnahme der mittel- <strong>und</strong> osteuropäischen Staaten 2004 <strong>und</strong> 2007 Gebrauch gemacht.<br />

Im letzten Jahr sind r<strong>und</strong> 640.000 Nichtdeutsche aus den EU-Staaten nach Deutschland zugezogen<br />

<strong>und</strong> r<strong>und</strong> 363.000 fortgezogen. Hauptherkunftsländer sind Polen, Rumänien, Bulgarien<br />

<strong>und</strong> Ungarn 2 . Angesichts der stabilen konjunkturellen Entwicklung in Deutschland <strong>und</strong> der durch<br />

eine verordnete Sparpolitik beförderten Massenarbeitslosigkeit in den südeuropäischen Krisenländern<br />

nimmt seit 2010 auch die Zuwanderung aus Italien, Griechenland, Portugal <strong>und</strong> Spanien<br />

zu.<br />

In den Daten des Statistischen B<strong>und</strong>esamtes nicht enthalten – <strong>und</strong> auch nur schwer zu ermitteln<br />

– sind Beschäftigte, die grenzüberschreitend als Scheinselbständige, Leiharbeitskräfte oder<br />

entsandte Beschäftigte in Deutschland tätig werden. Waren die Arbeitseinsätze in der Vergangenheit<br />

auf wenige Wochen <strong>und</strong> einige Branchen beschränkt, so sind sie heute in allen Berei-<br />

1 Unbeschadet weiterer Positionen <strong>und</strong> Stellungnahmen zur B<strong>und</strong>estagswahl <strong>und</strong> zu den Wahlprogrammen<br />

der Parteien von Organisationen des „Netzes gegen Rassismus, für gleiche Rechte“ entsprechen<br />

die folgenden Anforderungen an die künftige Regierungspolitik den gemeinsamen Positionen des Netzes.<br />

2 Statistisches B<strong>und</strong>esamt. Vorläufige Wanderungsergebnisse 2012.


Zuwanderung aus EU-Staaten nach Deutschland – Anforderungen an die künftige B<strong>und</strong>espolitik<br />

chen zu finden. Rechtliche Gr<strong>und</strong>lagen dafür sind die Niederlassungsfreiheit, die Arbeitnehmerfreizügigkeit<br />

<strong>und</strong> insbesondere die Dienstleistungsfreiheit. In einigen Branchen, wie im Baugewerbe,<br />

in der Schlachtindustrie, in der Pflege, in der Transport- <strong>und</strong> Logistikbranche sowie bei<br />

den industrienahen Dienstleistungen, wird die Situation mobiler Beschäftigter systematisch dazu<br />

genutzt, die Mindestarbeits- <strong>und</strong> Entlohnungsbedingungen zu unterlaufen 3 .<br />

II. Die aktuelle Debatte: <strong>Stigmatisierung</strong>en <strong>statt</strong> Eingliederung<br />

Statt die mit der Einwanderung verb<strong>und</strong>enen ökonomischen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Herausforderungen<br />

anzunehmen <strong>und</strong> sachlich über die besten Wege zur Eingliederung <strong>und</strong> zur <strong>Partizipation</strong><br />

zu diskutieren, werden immer wieder Vorbehalte <strong>und</strong> Vorurteile gegenüber Zuwanderern<br />

geschürt. Im Sommer 2010, nach gewalttätigen Protesten französischer Roma gegen den Tod<br />

eines jungen Roma bei einer Polizeikontrolle, kündigte der französische Präsident Sarkozy<br />

Maßnahmen gegen die Minderheit an, die er diffamierend als „Verbrechensbekämpfung“ bezeichnete.<br />

Massenabschiebungen von Roma nach Osteuropa gehörten dazu. Der französische<br />

Einwanderungsminister Eric Besson legte nach. Er brachte einen Gesetzentwurf ein, nach dem<br />

Menschen ausländischer Herkunft die Staatsangehörigkeit aberkannt werden solle, wenn sie<br />

Gewalttaten verüben.<br />

Im Januar 2013 veröffentlichte der Deutsche Städtetag ein Positionspapier 4 zu Fragen der Zuwanderung<br />

aus Rumänien <strong>und</strong> Bulgarien. Er beklagte darin die wachsende Zahl an Zuwanderern<br />

aus den mittel- <strong>und</strong> osteuropäischen EU-Staaten. Zwar hat sich der Städtetag im Positionspapier<br />

<strong>und</strong> den öffentlichen Äußerungen bemüht, auf offene <strong>Stigmatisierung</strong>en zu verzichten,<br />

dennoch war <strong>und</strong> ist das Papier Ausgangspunkt für eine aufgeheizte Debatte. Im Fokus<br />

standen vor allem Angehörige der Roma, denen pauschal „Missbrauch der Freizügigkeit“ <strong>und</strong><br />

„Betrug bei Sozialleistungen“ unterstellt wurde. B<strong>und</strong>esinnenminister Friedrich warnte vor einer<br />

neuen Dimension der „Armutszuwanderung“ ab 2014 (nach Aufhebung der Freizügigkeitsbeschränkungen).<br />

In einem Interview mit der Rheinischen Post am 25. Februar 2013 erklärte er:<br />

„Wenn sich dann erst einmal herum gesprochen hat, was in Deutschland mit Sozialleistungen<br />

möglich ist, können wir uns auf etwas gefasst machen.“ Organisationen, die Bürger den Zugang<br />

zu deutschen Sozialleistungen eröffneten, würden „wie Pilze aus dem Boden schießen“. Mit<br />

diesem Horrorszenario begründete er Forderungen nach Einschränkung der Personenfreizügigkeit<br />

<strong>und</strong> dem Ausschluss von sozialen Leistungen sowie Abschiebungserleichterungen <strong>und</strong><br />

Einreisesperren für EU-Bürger. Die EU-Kommission reagierte auf diese Forderungen skeptisch,<br />

denn bislang wurden keine Zahlen zum Missbrauch von Sozialleistungen vorgelegt.<br />

Dass diese Äußerungen <strong>und</strong> Forderungen des B<strong>und</strong>esinnenministers eine Steilvorlage für<br />

rechtsextreme Organisationen ist, verw<strong>und</strong>ert nicht. Die rechtsextreme Internetseite „Politically<br />

Incorrect“ beispielsweise berichtet ausführlich über die Forderungen des Innenministers, <strong>und</strong><br />

den dazu gehörenden Blogs schlagen all die im Zusammenhang mit anderen Gruppen schon<br />

bekannten Anfeindungen nun der Gruppe der Roma entgegen. Die NPD hängte sich mit einem<br />

Flugblatt an, in dem Sinti <strong>und</strong> Roma mit Kriminalität in Verbindung gebracht werden 5 .<br />

Die <strong>Stigmatisierung</strong>en ganzer Bevölkerungs- <strong>und</strong> Zuwanderergruppen entbehren auch inhaltlich<br />

jeder Gr<strong>und</strong>lage. Denn die Neuzuwanderung wirkt sich positiv auf die ökonomische <strong>und</strong> gesellschaftliche<br />

Entwicklung aus. Dies zeigen Untersuchungen des Instituts für Arbeitsmarkt <strong>und</strong> Berufsforschung<br />

sowie das Jahresgutachten des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen. Der<br />

3 Michaela Dälken. Grenzenlos faire Mobilität? Zur Situation von mobilen Beschäftigten aus den mittel<strong>und</strong><br />

osteuropäischen Staaten. Projekt Faire Mobilität des DGB-B<strong>und</strong>esvorstandes. September 2012<br />

4 Positionspapier des Deutschen Städtetags zu Fragen der Zuwanderung aus Rumänien <strong>und</strong> Bulgarien.<br />

22.01.2013<br />

5 Der Zentralrat der Sinti <strong>und</strong> Roma beantragte am 23. Mai 2013 ein Strafverfahren gegen die NPD Duisburg.<br />

2


Zuwanderung aus EU-Staaten nach Deutschland – Anforderungen an die künftige B<strong>und</strong>espolitik<br />

Sachverständigenrat sieht eine „messbare Freizügigkeitsdividende“ <strong>und</strong> keine belastbaren Zusammenhänge<br />

zwischen der Höhe von Sozialtransfers <strong>und</strong> der Zuwanderung 6 .<br />

Zuwanderer aus den mittel- <strong>und</strong> osteuropäischen Staaten <strong>und</strong> aus den südeuropäischen Krisenländern<br />

sind in Deutschland von Ausbeutung betroffen. Unternehmen nutzen die europäischen<br />

<strong>und</strong> nationalen Bestimmungen zur Umsetzung neuer „Geschäftsideen“ aus. Immobilienspekulanten<br />

vermieten so genannte Schrottimmobilien zu horrenden Preisen. Subunternehmen<br />

mit Sitz in einem EU-Staat zahlen weder Lohn noch Sozialversicherungsbeiträge.<br />

III. Herausforderungen <strong>und</strong> Anforderungen in Handlungsfeldern<br />

Das Netz gegen Rassismus ist überzeugt, dass B<strong>und</strong>, Länder <strong>und</strong> Kommunen die mit der Zuwanderung<br />

aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Union verb<strong>und</strong>enen Herausforderungen<br />

nicht länger ignorieren dürfen. Statt Vorurteile zu schüren, ist eine sachliche <strong>und</strong> lösungsorientierte<br />

Diskussion erforderlich. Ziel muss sein, die bisherige vor allem auf Drittstaatsangehörige<br />

ausgerichtete <strong>Integration</strong>spolitik zu erweitern <strong>und</strong> gleichzeitig Rahmenbedingungen zu schaffen,<br />

damit Zuwanderer aus EU-Staaten nicht länger ausgebeutet, diskriminiert oder stigmatisiert<br />

werden.<br />

Das Netz gegen Rassismus ist überzeugt, dass die Europäische Union <strong>und</strong> deren Mitgliedstaaten<br />

Strategien <strong>und</strong> Maßnahmen zur Verhinderung <strong>und</strong> Beseitigung von Vorbehalten, Diskriminierungen<br />

<strong>und</strong> Gewalttaten gegenüber ethnischen Minderheiten, insbesondere Roma, entwickeln<br />

<strong>und</strong> umsetzen müssen. Dabei müssen die Durchsetzung von Nichtdiskriminierung <strong>und</strong><br />

Gleichbehandlung sowie die Herstellung von Chancengleichheit handlungsleitend sein.<br />

a) <strong>Stigmatisierung</strong>en <strong>und</strong> Diskriminierungen verhindern – Schutz vor Diskriminierung<br />

ausbauen<br />

Auf dem Hintergr<strong>und</strong> der Zuwanderung nach Deutschland, insbesondere aus Bulgarien <strong>und</strong><br />

Rumänien, werden Minderheiten – vor allem Roma – für die Versäumnisse der Politik bei der<br />

Herstellung von Rahmenbedingungen für <strong>Integration</strong> <strong>und</strong> Chancengleichheit verantwortlich gemacht.<br />

Politikerinnen <strong>und</strong> Politiker sowie die Medien zeichnen ein Horrorszenario. Vorwürfe wie<br />

„Betrug bei Sozialleistungen“ <strong>und</strong> „Missbrauch der Freizügigkeit“ bis hin zu „Asylmissbrauch“<br />

<strong>und</strong> „Kriminalität“ finden sich in zahlreichen Reden <strong>und</strong> Artikeln.<br />

Wenig hilfreich war der im Zusammenhang mit dem Papier des Städtetags immer wieder verwendete<br />

Begriff „Armutsflüchtlinge“. Zuwanderer aus EU-Staaten, unabhängig davon aus welchen<br />

sozialen Verhältnissen sie stammen <strong>und</strong> aus welchen Gründen sie zuwandern, sind keine<br />

Flüchtlinge. Sie sind nach den EU-Verträgen freizügigkeitsberechtigt <strong>und</strong> dürfen wegen ihrer<br />

Staatsangehörigkeit nicht diskriminiert werden. Die Verwendung des Begriffes „Armutsflüchtlinge“,<br />

die wegen sozialer Leistungen nach Deutschland zuwandern, ist auch inhaltlich falsch,<br />

denn mehr als 80 Prozent der nach dem Beitritt der mittel- <strong>und</strong> osteuropäischen Staaten Zugewanderten<br />

sind erwerbstätig. Dies gilt auch für Zuwanderer aus Bulgarien <strong>und</strong> Rumänien. Wenn<br />

sie dennoch soziale Leistungen in Anspruch nehmen müssen, so hängt dies vor allem mit den<br />

weit verbreiteten Dumpinglöhnen in Deutschland zusammen.<br />

Diskriminierungen <strong>und</strong> menschenverachtende Äußerungen vor allem gegenüber Roma sind in<br />

EU-Ländern weit verbreitet. Im Januar 2013 ging der Mitbegründer der ungarischen FIDESZ,<br />

Zsolt Bayer, sogar so weit, Roma jegliche Menschenwürde abzusprechen.<br />

Zwar gilt in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union das Verbot von Diskriminierungen<br />

wegen der ethnischen Herkunft, dennoch bestehen erhebliche Defizite bei der Anwendung der<br />

Richtlinien. Auch die EU-Kommission sieht bei der Verhinderung von Diskriminierungen im Zusammenhang<br />

mit der Umsetzung des Freizügigkeitsrechts von EU-Bürgern erheblichen Nachbesserungsbedarf.<br />

Sie hat daher den Entwurf einer „Richtlinie über Maßnahmen zur Erleichte-<br />

6 Sachverständigenrat deutscher Stiftungen: Jahresgutachten 2013. Kernbotschaften, Seite 18<br />

3


Zuwanderung aus EU-Staaten nach Deutschland – Anforderungen an die künftige B<strong>und</strong>espolitik<br />

rung der Ausübung der Rechte, die Arbeitnehmern im Rahmen der Freizügigkeit zustehen“ 7<br />

veröffentlicht. Darin fordert sie, Behinderungen der Mitgliedstaaten <strong>und</strong> Diskriminierungen gegenüber<br />

mobilen Arbeitnehmerinnen <strong>und</strong> Arbeitnehmern abzuschaffen.<br />

Die Organisationen des Netzes gegen Rassismus sind der Auffassung, dass eine Beschränkung<br />

des Rechts auf Freizügigkeit eine Aufgabe der Gr<strong>und</strong>freiheiten der Europäischen Union<br />

bedeuten würde. Eine Beschränkung verbietet sich <strong>und</strong> ist nur befristet akzeptabel bei der Neuaufnahme<br />

weiterer Mitgliedstaaten. Außerdem müssen das Verbot von Diskriminierung <strong>und</strong> das<br />

Gleichbehandlungsgebot im Alltag <strong>und</strong> in den Politiken der Mitgliedstaaten durchgesetzt werden.<br />

Die Organisationen des Netzes fordern vom B<strong>und</strong>estag <strong>und</strong> von der künftigen B<strong>und</strong>esregierung<br />

im Rahmen einer umfassenden Strategie gegen Rassismus,<br />

die Bekämpfung von Antiziganismus in alle Maßnahmen, Projekte <strong>und</strong> Strukturen, die sich<br />

die Bekämpfung von Rassismus zum Ziel gesetzt haben, als festen Bestandteil aufzunehmen,<br />

sowie die Förderung der Antirassismusarbeit insgesamt auszubauen,<br />

die Ausweitung der Rechte der Antidiskriminierungsstelle des B<strong>und</strong>es, um Medien, Verbände<br />

<strong>und</strong> Parteien bei einer Verletzung des Diskriminierungsverbots abmahnen zu können,<br />

sich im Rahmen der Europäischen Union dafür einzusetzen, dass bei Verstößen gegen den<br />

Minderheitenschutz Sanktionen gegenüber den Mitgliedstaaten durchgesetzt werden,<br />

sich im Rahmen der Europäischen Union dafür einzusetzen, dass die EU-Roma-Strategie 8<br />

um die Bekämpfung von Diskriminierungen <strong>und</strong> Ausgrenzungen erweitert <strong>und</strong> zügig umgesetzt<br />

wird.<br />

b) Politik der <strong>Integration</strong> <strong>und</strong> <strong>Partizipation</strong> schaffen – Kommunen stärken<br />

Die mit der Zuwanderung aus südeuropäischen Krisenländern <strong>und</strong> mittel- <strong>und</strong> osteuropäischen<br />

EU-Mitgliedstaaten verb<strong>und</strong>enen gesellschaftlichen <strong>und</strong> integrationspolitischen Herausforderungen<br />

für B<strong>und</strong>, Länder <strong>und</strong> Kommunen wurden lange ignoriert. Dennoch hätten – angesichts<br />

der schon in den letzten Jahren ansteigenden Zuwanderung aus den genannten Ländern –<br />

längst angemessene Strategien <strong>und</strong> Maßnahmen entwickelt werden können. Verständlich ist<br />

zwar, dass nun Kommunen über besondere Probleme <strong>und</strong> fehlende finanzielle Spielräume klagen.<br />

Der Städtetag verkennt jedoch, dass angesichts<br />

- der hohen Erwerbsquote von Zuwanderern aus Rumänien <strong>und</strong> Bulgarien <strong>und</strong><br />

- einer gegenüber den lange in Deutschland lebenden Personen mit Migrationshintergr<strong>und</strong> im<br />

Durchschnitt höheren Qualifikation von Neuzuwanderern aus den mittel- <strong>und</strong> osteuropäischen<br />

Staaten<br />

eine differenzierte Strategie zur <strong>Integration</strong> <strong>und</strong> Herstellung von Chancengleichheit erforderlich<br />

ist. B<strong>und</strong>, Länder <strong>und</strong> Kommunen müssen ihre Verpflichtungen wahrnehmen <strong>und</strong> Beiträge für<br />

ein umfassendes, die kulturellen Hintergründe der Zuwandernden berücksichtigendes, Programm<br />

zur Eingliederung <strong>und</strong> <strong>Partizipation</strong> entwickeln <strong>und</strong> umsetzen.<br />

Das Programm sollte insbesondere folgende Bausteine enthalten:<br />

Schaffung eines Rechtsanspruches auf die Teilnahme an einem <strong>Integration</strong>skurs nach § 43<br />

Aufenthaltsgesetz für alle EU-Bürger. Bislang können EU-Bürger nur auf Antrag an das<br />

BAMF teilnehmen, wenn ausreichend Plätze vorhanden sind. Das <strong>Integration</strong>sangebot des<br />

BAMF beinhaltet weitere Kurse, wie Alphabethisierungskurse <strong>und</strong> „Mütterkurse“. Auch hier<br />

sollte die Teilnahme ermöglicht werden.<br />

7 Der Richtlinienentwurf COM (2013) 236 dient unter anderem der Eindämmung der Diskriminierung von<br />

EU-Wanderarbeitern aufgr<strong>und</strong> ihrer Staatsangehörigkeit. Er enthält auch einen Artikel, nach dem die Familienangehörigen<br />

in den Schutz einbezogen werden können.<br />

8 Europäische Kommission. EU-Rahmen für nationale Strategien zur <strong>Integration</strong> von Roma bis 2020.<br />

KOM (2011) 173<br />

4


Zuwanderung aus EU-Staaten nach Deutschland – Anforderungen an die künftige B<strong>und</strong>espolitik<br />

Angebote für niedrigschwellige Bildungsförderung <strong>und</strong> Erleichterung des Zugangs zum Bildungssystem.<br />

Dabei einbezogen werden muss die Einrichtung zusätzlicher kultursensibler<br />

Angebote in Kindertageseinrichtungen <strong>und</strong> Horten sowie die Förderung der jeweiligen Herkunftssprache<br />

während der gesamten Schulausbildung.<br />

Ausbau von spezifischen Angeboten der beruflichen Ausbildung <strong>und</strong> bei der Arbeitsvermittlung.<br />

Das schon vorhandene Angebot der B<strong>und</strong>esagentur für Arbeit, Informationen in den<br />

verschiedenen EU-Sprachen zur Verfügung zu stellen, sollte auch von den Handwerks- <strong>und</strong><br />

Industrie- <strong>und</strong> Handelskammern zum Anlass für eigene Aktivitäten genommen werden. Betriebe<br />

<strong>und</strong> Unternehmen sollten verstärkt die Möglichkeiten der begleitenden Hilfen nutzen,<br />

um Jugendlichen den erfolgreichen Abschluss einer Ausbildung zu gewährleisten.<br />

Finanzielle Unterstützung der Kommunen durch den B<strong>und</strong> z.B. bei Errichtung <strong>und</strong> Betrieb<br />

von Notunterkünften <strong>und</strong> am gestiegenen Bedarf orientierte Förderung von Beratungseinrichtungen.<br />

Ausweitung der kultursensiblen Sozialarbeit <strong>und</strong> des Quartiersmanagements unter Beteiligung<br />

der Migrantenverbände sowie<br />

Verbesserungen bei der ges<strong>und</strong>heitlichen Versorgung <strong>und</strong> des Krankenversicherungsschutzes.<br />

Dazu gehört auch eine eindeutige Regelungen, die den Zugang zu Sozialleistungen,<br />

einschließlich SGB II <strong>und</strong> Sozialhilfe, europarechtskonform gewährleistet.<br />

c) Sozialpolitische <strong>und</strong> arbeitsmarktpolitische Maßnahmen anpassen <strong>und</strong> ausbauen – gleiche<br />

Chancen herstellen<br />

Menschen, die aufgr<strong>und</strong> von Massenarbeitslosigkeit oder fehlenden Perspektiven nach<br />

Deutschland kommen, haben oft unzureichende Informationen <strong>und</strong> vielfach überhöhte unrealistische<br />

Erwartungen. Häufig treten unseriöse Vermittler bereits im Herkunftsland auf, die für die<br />

Vermittlung angeblich sicherer Arbeitsplätze eine Gebühr verlangen. Oft handelt es sich aber<br />

um eine Gewerbeanmeldung oder einen Vermittlungsvertrag für den Einsatz in der häuslichen<br />

Pflege ohne jeglichen Schutz.<br />

Eine besondere Zielgruppe für die Herstellung von Chancengleichheit am Arbeitsmarkt stellen<br />

die grenzüberschreitend eingesetzten Beschäftigten dar. Dabei handelt es sich um Arbeitnehmerinnen<br />

<strong>und</strong> Arbeitnehmer, die von einem Unternehmen (oft auch Briefkastenfirma) mit Sitz im<br />

Ausland zur Erbringung einer Dienstleistung entsandt werden. Da sie weder in Deutschland ihren<br />

ersten Wohnsitz haben noch Beiträge zur Sozialversicherung leisten, werden sie von der<br />

Migrations- <strong>und</strong> <strong>Integration</strong>spolitik nicht erfasst. Gleichwohl sind sie im Straßenbild vieler Großstädte<br />

als Tagelöhner zu finden.<br />

Das Netz gegen Rassismus ist überzeugt, dass die sozial- <strong>und</strong> arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen<br />

hinsichtlich der Neuzuwanderung nicht ausreichend sind, weder in Bezug auf die Größenordnung<br />

noch konzeptionell. Gefordert sind unter anderem folgende Maßnahmen:<br />

• Information, Beratung <strong>und</strong> Unterstützung von zuwandernden Arbeitnehmerinnen <strong>und</strong> Arbeitnehmern<br />

• Schaffung von Möglichkeiten, entgangene Lohnansprüche im Arbeitsortland auch unmittelbar<br />

gegenüber dem Generalunternehmer oder Auftraggeber einzuklagen<br />

• Maßnahmen zur beruflichen <strong>Integration</strong> durch Zugang zur Berufsberatung <strong>und</strong> zu Weiterbildungsmaßnahmen<br />

für Arbeitslose<br />

• Tatsächliche Einbeziehung zuwanderungswilliger Jugendlicher aus allen EU-Staaten zum<br />

Programm MobiPro-EU 9 <strong>und</strong> Veröffentlichung der Zugangskriterien in allen EU-Sprachen<br />

• Klarstellung der Leistungsansprüche von neu zugewanderten EU-Bürgern auf Leistungen<br />

nach SGB II <strong>und</strong> SGB XII<br />

9 Die Förderrichtlinie des Programms „Förderung der beruflichen Mobilität von ausbildungsinteressierten<br />

Jugendlichen <strong>und</strong> arbeitslosen jungen Fachkräften aus Europa (MobiPro-EU)“ sieht zwar keine Beschränkung<br />

auf einzelne EU-Staaten vor. Dennoch wird vor allem in den südeuropäischen Ländern für<br />

die Teilnahme an dem Programm geworben.<br />

5


Zuwanderung aus EU-Staaten nach Deutschland – Anforderungen an die künftige B<strong>und</strong>espolitik<br />

• Ausschluss von Unternehmen von öffentlichen Aufträgen, die bereits wegen Lohn- oder Sozialversicherungsbetrug<br />

aufgefallen sind. In diesem Zusammenhang müssen auch die Kontrollen<br />

auf Einhaltung des Mindestlohns in verschiedenen Branchen verstärkt werden.<br />

d) Armut bekämpfen – Solidarität mit den Herkunftsländern schaffen<br />

Seit den 1990er Jahren haben nationale <strong>und</strong> internationale Organisationen regelmäßig auf die<br />

desolaten Lebensbedingungen großer Teile der Roma-Bevölkerung in den Ländern Mittelost<strong>und</strong><br />

Südosteuropas hingewiesen <strong>und</strong> die verantwortlichen Regierungen ebenso wie OSZE <strong>und</strong><br />

Europäische Union aufgefordert, vor Ort entsprechende Programme umzusetzen, wie sie<br />

schließlich von der Europäischen Union in der Kommunikation der Kommission an die Mitgliedstaaten<br />

2011 gefordert wurden. Die Situation der von der Wende hin zur Marktwirtschaft massiv<br />

durch Arbeitslosigkeit <strong>und</strong> Ausgrenzung betroffenen Roma hat sich in den vergangenen Jahren<br />

massiv verschlechtert. Diese Situation ist seit über zwanzig Jahren bekannt <strong>und</strong> vielfach dokumentiert.<br />

Von den Umstrukturierungen von Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft sind in den jeweiligen Ländern<br />

viele Bevölkerungsgruppen betroffen; bei Roma kommt jedoch ein entscheidendes Moment<br />

hinzu: der massive Rassismus, der seit Jahren von rechtsradikalen Parteien systematisch geschürt<br />

wird. Er beruht auf einem oftmals massiven Hass gegen Roma <strong>und</strong> ist inzwischen bis<br />

weit in die Mitte der Gesellschaften akzeptiert. Dieser Rassismus ist nicht nur ein ideologisches<br />

Problem oder ein Ergebnis mangelhafter politischer oder pädagogischer Aufklärung. Er bestimmt<br />

die Lebenswirklichkeit vieler Roma <strong>und</strong> zeigt sich in der systematischen Ausgrenzung<br />

vom Zugang zu Bildung, Wohnen, Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Arbeit.<br />

Das Netz gegen Rassismus fordert daher die B<strong>und</strong>esregierung auf, eine aktive Rolle bei der<br />

Umsetzung der EU-Strategie zur Verbesserung der Lage von Roma in Europa zu übernehmen.<br />

Sie muss ihren Einfluss über die Europäische Union auf die Herkunftsländer geltend machen,<br />

damit endlich die Programme zur gleichberechtigten Teilhabe von Roma umgesetzt werden.<br />

Dies gilt, insbesondere für Infrastrukturprogramme im Bereich von Wohnen <strong>und</strong> Arbeit. Zudem<br />

soll die B<strong>und</strong>esregierung auch über bi-laterale Programme die Herkunftsländer bei der Schaffung<br />

der gleichberechtigten Teilhabe der Roma-Minderheiten unterstützen.<br />

Um die Situation aller Bürgerinnen <strong>und</strong> Bürger in den Herkunftsländern zu verbessern <strong>und</strong> die<br />

weit verbreitete Perspektivlosigkeit abzubauen, müssen Deutschland <strong>und</strong> die EU die Herkunftsländer<br />

bei der wirtschaftlichen, der demokratischen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Entwicklung fördern<br />

<strong>und</strong> unterstützen.<br />

6

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