Die wirtschaftliche Integration der Flüchtlinge und ... - Ingolstadt
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<strong>Die</strong> <strong>wirtschaftliche</strong> <strong>Integration</strong> <strong>der</strong> <strong>Flüchtlinge</strong><br />
<strong>und</strong> Vertriebenen<br />
<strong>Die</strong> richtigen Leute am falschen Ort: anfängliche<br />
Probleme<br />
Als sich die Verwaltung auf die Ankunft <strong>der</strong> Vertriebenen<br />
vorbereitete, hatte sie vor, die Eintreffenden gleich in den<br />
Grenzdurchgangslagern nach Berufen zu registrieren.<br />
Man wollte sie beim Weitertransport in einen passenden<br />
Arbeitsamtsbezirk bringen, in dem entsprechende Stellen<br />
frei waren, <strong>und</strong> sie damit bayernweit optimal verteilen. Das<br />
Arbeitsministerium verfügte, dass „Lagerarbeitsämter“ zu<br />
bilden seien. 1 <strong>Die</strong>ser an sich vernünftige Plan scheiterte<br />
jedoch, weil einfach zu schnell zu viele Vertriebene<br />
ankamen <strong>und</strong> weitergeschleust werden mussten.<br />
De facto war es erst in den Ziellandkreisen <strong>und</strong> damit<br />
nur sehr begrenzt möglich, die Leute an passende<br />
Arbeitsorte zu weisen. Den Behörden lagen gar keine<br />
Informationen hinsichtlich <strong>der</strong> beruflichen <strong>und</strong> sozialen<br />
Zusammensetzung <strong>der</strong> Transporte vor. 2 <strong>Die</strong> Verteilung<br />
orientierte sich also hauptsächlich am vorhandenen<br />
Wohnraum, <strong>der</strong> richtige Arbeitsplatz war notgedrungen<br />
zweitrangig. 3 So meldete die Militärregierung Anfang<br />
1947 für den Raum <strong>Ingolstadt</strong> beispielsweise, dass<br />
gut ausgebildete <strong>Flüchtlinge</strong>, die in <strong>der</strong> Industrie tätig<br />
waren („even of academic professions“), nach <strong>Ingolstadt</strong><br />
eingewiesen worden waren, obwohl es zu diesem<br />
Zeitpunkt in <strong>der</strong> Stadt keine Industrie gab. 4 Somit mussten<br />
diese Leute über weite Strecken in die Arbeit pendeln.<br />
Das blieb bis in die 50er Jahre so.<br />
<strong>Die</strong>s blieb zunächst auch allgemein das Hauptproblem <strong>der</strong><br />
<strong>wirtschaftliche</strong>n <strong>Integration</strong>, denn die meisten <strong>Flüchtlinge</strong><br />
wurden wegen des Wohnraums zunächst in den strukturell<br />
<strong>und</strong> wirtschaftlich eher schwachen ländlichen Gebieten<br />
untergebracht. 5 Teilweise wuchsen die ländlichen<br />
Gemeinden durch Flüchtlingszuweisungen in Höhe von<br />
20 bis 30 % <strong>der</strong> ursprünglichen Bevölkerung „in die<br />
nächsthöhere Gemeindeklasse ..., ohne daß sich deshalb<br />
an <strong>der</strong> <strong>wirtschaftliche</strong>n Struktur <strong>und</strong> <strong>der</strong> Infrastruktur<br />
wesentliches geän<strong>der</strong>t hätte“. 6 Demgegenüber befanden<br />
sich die meisten industriell-gewerblichen Arbeitsplätze<br />
vor allem in den städtischen Regionen. 7 Trotz dieser<br />
Problematik <strong>und</strong> einiger Streitigkeiten wurde die<br />
Flüchtlingsverwaltung nicht den Arbeitsämtern unterstellt,<br />
was durchaus eine Organisationsmöglichkeit gewesen<br />
wäre.<br />
Neben <strong>der</strong> ungleichmäßigen Verteilung von Wohnraum<br />
<strong>und</strong> Arbeitsstellen war beson<strong>der</strong>s problematisch, dass<br />
sehr viele ankommende Familien nur aus Frauen,<br />
Kin<strong>der</strong>n <strong>und</strong> alten Leuten bestanden. 8 <strong>Die</strong> Männer waren<br />
häufig gefallen, in Kriegsgefangenschaft o<strong>der</strong> noch im<br />
tschechischen <strong>und</strong> polnischen Arbeitsdienst. Abgesehen<br />
davon, dass sie entwurzelt <strong>und</strong> ohne eigenes Vermögen<br />
waren, fehlten den Familien damit die bisherigen Ernährer.<br />
Sie waren dann oft von <strong>der</strong> Fürsorge (Sozialhilfe) abhängig<br />
o<strong>der</strong> schlugen sich mit Gelegenheits- bzw. Hilfstätigkeiten<br />
o<strong>der</strong> Heimarbeit durch, z.B. in <strong>der</strong> Landwirtschaft (wofür<br />
sie meist unqualifiziert waren) o<strong>der</strong> mit Näharbeiten. 9<br />
Auch die Kin<strong>der</strong> wurden hierfür herangezogen, wie<br />
z.B. beim Hopfenzupfen in <strong>der</strong> Hallertau. 10 Das jedoch<br />
erregte den Unmut <strong>der</strong> bayerischen Bevölkerung, die<br />
teilweise ebenfalls auf diese Art des Zusatzverdienstes<br />
angewiesen war.<br />
<strong>Die</strong> Militärregierung im Stadt- <strong>und</strong> Landkreis <strong>Ingolstadt</strong><br />
schätzte 1947, es seien nur 15 % <strong>der</strong> hier anwesenden<br />
Vertriebenen zu körperlicher Arbeit tauglich („ablebodied<br />
expellee workers“). 11 Überdies sollen viele<br />
Firmen zumindest anfangs bevorzugt Einheimische<br />
eingestellt <strong>und</strong> die <strong>Flüchtlinge</strong> diskriminiert haben. 12 Auch<br />
vertriebene Existenzgrün<strong>der</strong> waren zu Beginn offenbar<br />
nicht ohne Weiteres willkommen, denn <strong>der</strong> Ingolstädter<br />
Stadtrat musste eigens Folgendes beschließen: „<strong>Die</strong><br />
Anträge von <strong>Flüchtlinge</strong>n auf Zulassung als selbständige<br />
Gewerbetreibende sollen nicht schlechter behandelt<br />
werden als die <strong>der</strong> einheimischen Gesuchsteller.“ 13<br />
Als die Vertriebenen mehr o<strong>der</strong> weniger notdürftig<br />
untergebracht waren, meist auf dem Land, fehlten<br />
ihnen dort die Arbeitsplätze. Immerhin hat die<br />
Flüchtlingsverwaltung in <strong>Ingolstadt</strong> bei <strong>der</strong> Verteilung<br />
zwischen Stadt <strong>und</strong> Land die berufliche Orientierung <strong>der</strong><br />
Vertriebenen nach Möglichkeit berücksichtigt. Während<br />
im Oktober 1946 von den Erwerbspersonen unter den<br />
<strong>Flüchtlinge</strong>n in <strong>der</strong> Stadt nur 8,9 % <strong>der</strong> Wirtschaftsabteilung<br />
Land- <strong>und</strong> Forstwirtschaft zuzuordnen waren, gehörte<br />
jeweils ein Fünftel den Sparten Handel <strong>und</strong> Verkehr sowie<br />
Öffentlicher <strong>Die</strong>nst <strong>und</strong> private <strong>Die</strong>nstleistungen an. Im<br />
Landkreis war es umgekehrt, die bäuerlichen <strong>Flüchtlinge</strong><br />
waren dort sogar viel stärker vertreten als im bayerischen<br />
Durchschnitt. Es blieb jedoch das Hauptproblem, dass<br />
vor allem die Sudetendeutschen <strong>und</strong> Schlesier mehr<br />
als die Einheimischen im verarbeitenden Gewerbe<br />
verortet waren. Bayern war damals noch überwiegend<br />
ein Agrarland: von <strong>der</strong> gesamten Erwerbsbevölkerung<br />
gehörten lediglich 33,9 % zur Wirtschaftsabteilung<br />
Industrie <strong>und</strong> Handwerk. 14 Von den Flüchtlings-<br />
Erwerbspersonen entfielen hingegen im Oktober 1946<br />
im Stadtkreis <strong>Ingolstadt</strong> 41,1 % auf diesen Zweig, im<br />
Landkreis sogar 42,9 %. 15 Beson<strong>der</strong>s die Letzteren<br />
konnten im landwirtschaftlich geprägten Umland, in <strong>der</strong><br />
es nur wenige kleine Gewerbebetriebe gab, kaum Arbeit<br />
finden.<br />
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