02.03.2014 Aufrufe

Der schleichende Atomkrieg - Berliner Institut für kritische Theorie eV

Der schleichende Atomkrieg - Berliner Institut für kritische Theorie eV

Der schleichende Atomkrieg - Berliner Institut für kritische Theorie eV

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>Berliner</strong> Hefte für Politik<br />

und Kultur<br />

Aus dem Inhalt:<br />

GÜNTHER ANDERS, VOLKER HAUFF, WOLFGANG FRITZ HAUG:<br />

<strong>Der</strong> <strong>schleichende</strong> <strong>Atomkrieg</strong><br />

PROF. OSSIP K. FLECHTHEIM, HAUG,<br />

PROF. JOHN H. HERZ, REIMAR LENZ, MICHAEL MAUKE,<br />

THOMAS METSCHER UND HARTMUT ZIMMERMANN:<br />

Berlin-Diskussion<br />

GERHARD SCHOENBERNER, REINHARD STRECKER UND FRITZE WOLF:<br />

Eichmann und andere<br />

GÜNTHER W. LORENZ UND CHRISTIAN RIECHERS:<br />

Spaniens Faschismus<br />

NIKITA S. CHRUSCHTSCHOW:<br />

Gegen den Kult um meine Person<br />

Heft 20 Dezember 1961/Januar 1962


Das Argument<br />

herausgegeben von<br />

Wolfgang F. Haug und Christof Müller-Wirth<br />

in Verbindung mit<br />

Norbert Adrian, Günther Anders, Margherita von Brentano, Adolf Burg, Uwe<br />

Damm, Axel Eggebredit, Prof. Ossip K. Fleditheim, Peter Furth, Prof. Dietrich<br />

Goldsdimidt, Prof. Helmut Gollwitzer, Propst Heinrich Grüber, Wolfgang<br />

Hofmann, Prof. Michael Landmann, Reimar Lenz, Michael Mauke, Thomas<br />

Metscher, Dieter Rave, Irene von Reitzenstein, Wolf gang P. Schaar, Wolfdietrich<br />

Schnurre, Gerhard Schoenberner, Prof. Heinz Horst Schrey, Prof.<br />

Rudolf Sühnel, Rolf Ulrich, Prof. Wilhelm Weisdiedel, Hartmut Zimmermann<br />

Das Argument geht davon aus,<br />

daß es die gemeinsame Aufgabe der Intellektuellen ist,<br />

die Wahrheit zu suchen und auszusprechen<br />

daß die Resignation zum geistigen Spezialarbeiter<br />

einen Verrat an dieser Aufgabe betreutet<br />

Das Argument hält es für notwendig,<br />

angesichts der Bedenklichkeit<br />

des Aussprechens der Wahrheit<br />

die Wahrheit zu bedenken und auszusprechen<br />

angesichts der Schwierigkeiten<br />

beim Schreiben der Wahrheit<br />

diese Schwierigkeiten durch Schreiben der Wahrheit zu<br />

bekämpfen<br />

angesichts des Scheiterns der Aufklärung<br />

die Gründe dieses Scheiterns aufzuklären<br />

angesichts der Erfahrung,<br />

daß das Wirkliche nicht schon das Wahre ist,<br />

die Wirklichkeit wahrzunehmen<br />

angesichts der Erfahrung,<br />

daß Erkenntnisse nicht schon Argumente sind,<br />

Erkenntnisse zu Argumenten zu machen<br />

Das Argument will einen Ort bieten,<br />

wo die Kontakte hergestellt, die Informationen vermittelt<br />

die Analysen durchgeführt<br />

die Argumente geprüft werden können,<br />

um die genannten Aufgaben hier und jetzt zu konkretisieren<br />

DAS ARGUMENT erscheint etwa dreimonatlich • Einzelheft 2,— DM, zuzügl. Porto (Studenten<br />

und Schüler 1,— DM) • DAS ARGUMENT ist kein gewerbliches Unternehmen, Mitarbeit erfolgt<br />

grundsätzlich ohne Honorar; jeder Mitarbeiter bzw. Abonnent hat das Recht auf Einblick in<br />

die Rechnungslegung • Redaktion; Wolfgang F. Haug, Berlin W 35, Postfach 67 • Verlagsleitung:<br />

Dr. Christof Müller-Wirth, Karlsruhe-West, Postfach 4048 • Postscheckkonto: Karlsruhe Sonderkonto<br />

1182 18 • Bankkonto: Deutsche Bank,. Filiale Karlsruhe, Konto .Das Argument* Nr. 28769.


Inhalt<br />

<strong>Der</strong> <strong>schleichende</strong> <strong>Atomkrieg</strong><br />

Günther Anders<br />

Erklärung 2<br />

Volker Hauff und Wolfgang F. Haug<br />

<strong>Der</strong> <strong>schleichende</strong> <strong>Atomkrieg</strong> . . . . . . . 3<br />

Michael Mauke<br />

neutronic bomb . , 11<br />

Stefan Gant<br />

Zeitansage 11<br />

Berlin-Diskussion<br />

Wolf gang F. Haug<br />

Freiheit . . . unterzugehen? . . . . . . . 12<br />

Reimar Lenz<br />

Konkürrenz mit Hitler 19<br />

Michael Mauke<br />

Westberlins internationale Chance 19<br />

Hartmut Zimmermann<br />

Fragen über Fragen 21<br />

Thomas Metscher<br />

Berlin — Krise der westlichen Politik . . . . 25<br />

Prof. Ossip K. Flechtheim<br />

Wenn schon nicht idealistisch. 27<br />

Prof. John H. Herz<br />

Für eine UNO-Stadt Berlin . . . . . . . 29<br />

Eichmann und andere<br />

Fritze Wolf<br />

Die Schüler des Hofpredigers Stoecker . . . . 31<br />

Reinhard Strecker<br />

Die Namen nennen 34<br />

Gerhard Schoenberner<br />

Lehren aus dem Eichmann-Prozeß 35<br />

Kommentar eines spanischen Faschisten . . . . 43<br />

Peps Mauler<br />

Zwei Maulereien 44<br />

Spanien<br />

Günther W. Lorenz<br />

25 Jahre danach 45<br />

Christian Riechers<br />

Spaniens Mythos des 20. Jahrhunderts . . . . 48<br />

Bücher<br />

Thomas Harting<br />

Kolakowski 57<br />

Dokumentation<br />

Nikita S. Chruschtschow<br />

Gegen den Kult um meine Person 59<br />

Redaktionelle Anmerkungen .62


<strong>Der</strong> <strong>schleichende</strong> <strong>Atomkrieg</strong><br />

Günther Anders<br />

Erklärung<br />

Die Forderungen, die wir in unserer Zeitschrift vertreten, und zu<br />

denen der endgültige Abbruch aller Atomtests gehört, gelten<br />

selbstverständlich für alle Mächte. Atomtests, gleich von wem<br />

durchgeführt, sind nur dem Namen nach „Tests", d. h.: sie sind<br />

keine Laboratoriums-Experimente, sondern wirkliche Handlungen,<br />

die die Menschheit, und zwar die morgige genau so wie die<br />

heutige, effektiv gefährden.<br />

Unseligerweise hatte bereits in d,er Zeit, in der die drei großen<br />

Atommächte pausiert hatten, eine vierte Macht dieses Moratorium<br />

mißachtet: Frankreich. Die Tatsache, daß sich nun auch eine<br />

der großen Mächte, Sowjet-Rußland, durch die Zuspitzung der<br />

politischen, namentlich der Berlin-Krise, dazu hat verführen lassen,<br />

von neuem das Testing aufzunehmen, erfüllt uns mit Befremden,<br />

Trauer und Bestürzung. Dies um so mehr, als in jedem<br />

atomar gerüsteten Land starke Gruppen existieren, die auf die<br />

Wiederaufnahme der „Tests" seit langem gierig lauern, und die<br />

nun in diesem Präzedenzfall den gottgesandten Vorwand dafür<br />

begrüßen werden, um in Selbstgerechtigkeit gleichfalls neu zu<br />

beginnen. Die Folgen sind unabsehbar. Selbst wenn sich Sowjet-<br />

Rußland zu diesem Akt in der Hoffnung entschlossen haben sollte,<br />

damit vor der Gefahr eines Krieges, der atomar ausarten könnte,<br />

zu warnen und dem Ausbruch eines solchen Krieges dadurch einen<br />

Riegel vorzuschieben — und von diesem Motiv sind wir<br />

fest überzeugt — bleibt diese Methode der Friedenssicherung, abgesehen<br />

von deren äußerst fragwürdiger politischer Klugheit, für<br />

uns inakzeptabel, denn sie gehört zu jenen Maßnahmen der<br />

„deterrence", der Abschreckung, deren Fürsprecher wir bekämpfen,<br />

gleich wo sie auftreten.<br />

Was geschehen ist, ist bestimmt kein neues Hiroshima. Aber es<br />

stellt doch einen Akt dar, der eine Kettenreaktion nach sich ziehen<br />

und damit die Welt in ein einziges Hiroshima verwandeln<br />

könnte.<br />

Deshalb erheben wir mit aller uns zu Gebote stehenden Dringlichkeit<br />

unsere Stimme und verlangen von denjenigen, in deren<br />

Hand das Schicksal der Menschheit liegt, Zurückhaltung zu üben,<br />

es bei dieser Durchbrechung der Testpause zu belassen, Provokationen<br />

zu vermeiden, namentlich solche, die als Provokationen<br />

gemeint sind, die Verhandlungen in Genf unverzüglich, und zwar<br />

in erster Besetzung, wieder aufzunehmen, in Gipfeltreffen die<br />

Situation, die fast bis zum Zerreißpunkt gespannt ist, zu entspannen<br />

— und dadurch den Millionen, die noch immer auf Zukunft<br />

hoffen, zu beweisen, daß sie von Männern regiert werden,<br />

die den Aufgaben von heute und morgen wirklich gewachsen<br />

sind.<br />

2


s Volker Hauff und Wolfgang F. Haug<br />

<strong>Der</strong> <strong>schleichende</strong><br />

<strong>Atomkrieg</strong><br />

„Nicht das überleben der menschlichen Rasse<br />

stellt den höchsten Wert dar, sondern die<br />

Erhaltung dessen, was zur Zeit existiert."<br />

Deutsche Zeitung, 24. 10. 1961<br />

„<strong>Der</strong> die Verwandlungen scheut<br />

Mehr als das Unheil,<br />

Was kann er tun<br />

Wider das Unheil?"<br />

Max Frisch<br />

Biedermann und die Brandstifter<br />

Die einseitige Beendigung des nahezu drei Jahre andauernden,<br />

freiwilligen Verzichts auf Atomtests ist eine<br />

Bedrohung der Menschheit und kann schwerlich gerechtfertigt<br />

werden. Freilich ist die Vorgeschichte dazu nicht<br />

recht durchsichtig. Bereits im Juni 1961 — also mehr als<br />

zwei Monate vor Beginn der sowjetischen Atomexplosionen<br />

— konnte man in einer großen Tageszeitung der<br />

Bundesrepublik lesen: „In Ost und West besteht ein militärisches<br />

Interesse daran, die seit dem 31. Oktober 1958<br />

andauernde Periode der unkontrollierten Einstellung der<br />

Atomversuche abzubrechen V<br />

3


Die sowjetische Testreihe machte es möglich, daß jenes<br />

oft zitierte „militärische Interesse" seine Befriedigung<br />

finden konnte, in Ost und West.<br />

Die Folgen, die wir alle zu tragen haben, sind im Augenblick<br />

noch nicht überschaubar. Bei den amerikanischen<br />

Versuchsexplosionen des Jahres 1958 machte man die<br />

Feststellung, daß die Fall-out-Radioaktivität erst ungefähr<br />

sechs Monate nach der letzten Atomexplosion ihren<br />

Höhepunkt erreichte. Das hat seine Ursache darin, daß<br />

die radioaktiven Partikelchen bei der Explosion in die<br />

Stratosphäre geschleudert werden und erst nach einiger<br />

Zeit in die Troposphäre, die Luftschicht unserer Wetterbildung,<br />

zurückkehren 2 .<br />

Nach Ansicht führender Atomexperten hatte bereits am<br />

25. September 1961 die Radioaktivität den Stand von 1958<br />

erreicht 3 . Danach folgten, innerhalb von einem Monat,<br />

fünfzehn sowjetische Atomexplosionen mit einer Sprengkraft<br />

von insgesamt rund 100 Megatonnen. Das Mitglied<br />

der amerikanischen Atomenergie-Kommission Dr. G. T.<br />

Seaborg meinte: „Eine 100 Megatonnenbombe würde soviel<br />

Radioaktivität erzeugen, wie 60 Prozent aller Atomexplosionen<br />

zwischen 1945 und 1958 4 ."<br />

Den bisher höchsten Stand der Radioaktivität der Niederschläge<br />

in Norddeutschland seit fünf Jahren hat der Deutsche<br />

Wetterdienst in Schleswig für die Zeit vom 13. Oktober<br />

bis 10. November 1961 registriert. Die Meßstation<br />

Schleswig verzeichnet für den genannten Zeitraum eine<br />

durchschnittliche Radioaktivität der Niederschläge von<br />

1350 Pico-Curie. Das sind 100 Pico-Curie mehr als im<br />

Monatsdurchschnitt des September 1957.<br />

Auch in Italien hat die Radioaktivität einen bisher nicht<br />

festgestellten Stand erreicht. Die bisher höchste Wertung<br />

wurde am 2. November bei Pian Rose in den italienischfranzösischen<br />

Alpen mit 21 und zwei Tage später bei<br />

Rom mit 18 Pico-Curie pro Kubikmeter Luft gemessen 5 .<br />

Neueste Schätzungen, die aus französischen Quellen stammen,<br />

vermuten, daß der radioaktive Niederschlag in etwa<br />

sechs Monaten, also im März 1962, etwa zehnmal höher<br />

sein werde, als der bisher gemessene absolute Höchststand<br />

im Jahre 1959 6 .<br />

Erschreckendes ergeben die Berechnungen des amerikanischen<br />

Nobelpreisträgers Linnus Pauling: „40 000 noch<br />

Ungeborene nehmen schweren körperlichen Schaden durch<br />

die Explosion der 50-Megatonnen-Bombe V<br />

Als Zahl für die Todesfälle, durch Krebs oder Leukämie<br />

etwa, die vermutlich durch die neuesten Atomtests<br />

verursucht werden, gibt der französische Physiker Prof.<br />

F. Perriil, Leiter des Französischen Hohen Kommissariats<br />

4


für Atomenergie: „Die Explosion der Superbombe wird<br />

in den nächsten 30 Jahren 10 000 Menschenleben fordern 8 ."<br />

In gleicher Weise wurde von dem amerikanischen Atomexperten<br />

Prof. Lapp geäußert, daß das augenblickliche<br />

Fallout bereits die pro Jahr vertretbare Strahlungsdosis<br />

überschreitet 9 .<br />

Trotzdem wird von offiziellen europäischen, aber auch<br />

amerikanischen (ganz zu schweigen von den sowjetischen)<br />

Stellen der Versuch unternommen, die Auswirkungen<br />

von Atomexplosionen in unverantwortlicher Weise zu<br />

verharmlosen. Auch diese allgemeine Mystifikation der<br />

Weltbevölkerung, durchbrochen nur von den Regierungschefs<br />

einiger .blockfreien' Länder, wird sicherlich von<br />

dem gleichen „militärischen Interesse" diktiert, das auch<br />

die Wiederaufnahme der sogenannten Atomversuche"<br />

diktierte und das offenbar in Ost und West eine ähnliche<br />

beherrschende Position einnimmt und die Menschheit<br />

furchtbar bedroht.<br />

Um der Verschleierung, für die wir weiter unten ein Beispiel<br />

aus der westdeutschen Springerpresse bringen, aufklärend<br />

entgegenzuwirken, schalten wir hier einen Artikel<br />

aus der „Deutschen Zeitung" ein, der die Problematik<br />

der Beurteilung von Strahlenwirkungen kurz und<br />

verständlich darstellt:<br />

Zur Beurteilung von Strahlenwirkungen<br />

„Maßgebend für die Beurteilung der Strahlenwirkungen<br />

auf den Organismus ist vor allem die sogenannte Ionisation:<br />

jede Art energiereicher Strahlen, ob Teilchen-<br />

Strahlen oder elektromagnetische Wellen (Röntgenstrahlen),<br />

bewirkt, daß aus den eletrisch neutralen Atomen<br />

oder Atomverbänden (Moleküle) Elektronen herausgeschlagen<br />

und damit aus den Rest-Atomen (oder Atomverbänden)<br />

positiv geladene „Ionen" werden. Sie rufen<br />

in der lebenden Zelle mehr oder weniger tiefgreifende<br />

physikalisch-chemische Veränderungen hervor. Es gibt<br />

Alpha-Strahlen (schnelle Helium-Atomkerne), Beta-Strahlen<br />

(schnelle Elektronen), Gamma-Strahlen (elektro-magnetische<br />

Wellenstrahlen hoher Energie), Neutronen-Strahlen<br />

(bewegte Neutronen = elektrisch ungeladene Elementarteilchen)<br />

und Röntgen-Strahlen (elektro-magnetische<br />

Strahlen unterschiedlicher Energie), die getrennt oder<br />

nebeneinander auftreten können. Für die Gefährdung des<br />

menschlichen Organismus durch die Strahlung künstlicher<br />

Radioisotope, wie sie zum Beispiel nach Atomexplosionen<br />

5


auftreten, sprechen neben der Strahlungsart und -energie<br />

zwei wichtige Faktoren mit: Die besondere Empfindlichkeit<br />

bestimmter Organe („<strong>kritische</strong> Organe") und Lebensdauer<br />

der Isotope, angegeben durch die sogenannte Halbwertzeit,<br />

in der die Isotope jeweils zur Hälfte zerfallen.<br />

Für einige der wichtigsten radioaktiven Isotope lauten die<br />

Angaben:<br />

Element<br />

Kritisch. Organ<br />

Halbwertzeit<br />

Strahlung<br />

Strontium 90<br />

Caesium 137<br />

Jod 131<br />

Knochen,<br />

Dickdarm<br />

Gesamtkörper<br />

Leber, Milz,<br />

Muskeln<br />

Schilddrüse,<br />

Dickdarm<br />

28 Jahre<br />

30 Jahre<br />

8 Tage<br />

Beta<br />

Beta<br />

Beta,<br />

Gamma<br />

Die Schäden, die der Mensch durch ionisierende Strahlen<br />

erleiden kann, lassen sich in drei Arten einteilen: Nach<br />

Einwirkung einer bestimmten Strahlenmenge, zum Beispiel<br />

hoher Strahlungsdosen in kurzer Zeit, treten akute<br />

Strahlenschäden auf, die in ernsten Fällen zum Tode<br />

führen können; bei langanhaltender Einwirkung kleinerer<br />

Dosen können sich, zum Teil nach Jahren oder Jahrzehnten,<br />

Spätschäden einstellen; durch sprunghafte Änderungen<br />

an den Vererbungsträgern (Genen) kann es<br />

zu Erbschäden kommen, die erst in den folgenden Generationen<br />

erkennbar sind. Daraus ergibt sich, daß von<br />

-einer völlig unschädlichen Dosis nicht die Rede sein<br />

kann. Man hat daher den Begriff der „höchst zulässigen<br />

Strahlendosis" geprägt und versteht darunter jene Mengen<br />

von Strahlung, die nach den gegenwärtigen Kenntnissen<br />

aller Voraussicht nach keine merklichen körperlichen<br />

Schäden bei der betreffenden Person auf Lebenszeit<br />

hervorrufen, und deren mögliche Erbschäden noch<br />

annehmbar erscheinen.<br />

Dementsprechend setzte die internationale Strahlenschutzkommission<br />

1958 fest, daß die höchstzulässige Keimdrüsendosis<br />

für die Gesamtbevölkerung bis zum mittleren<br />

Fortpflanzungsalter von 30 Jahren fünf rem betragen soll.<br />

Das rem (röntgen equivalent man) ist eine nach der biologischen<br />

Wirkung ausgerichtete Dosiseinheit. Sie wird<br />

auch in der ersten Strahlenschutzverordnung der Bundesrepublik<br />

vom 24. Juni 1960 bei der Festsetzung höchstzulässiger<br />

Dosen für beruflich strahlenexponierte Personen<br />

verwendet. Danach darf beispielsweise die auf<br />

einen Zeitraum von 13 aufeinanderfolgenden Wochen<br />

6


verteilte, vom Körper aufgenommene Dosis höchstens<br />

drei rem betragen, jedoch jährlich höchstens fünf rem.<br />

Während die biologische Dosis rem auf strahlenbiologischen<br />

Experimenten mit Lebewesen beruht, ist die ihr<br />

entsprechende physikalische Dosis, das Röntgen (r), mit<br />

Instrumenten exakt zu bestimmen. Die Strahlenmenge ,<br />

eines Röntgen reicht aus, um unter zehn Milliarden Luftmolekülen<br />

ein Molekül zu ionisieren. Eine Ganzkörperbestrahlung<br />

des Menschen mit Strahlendosen von rund<br />

700 Röntgen ist als fast sicher tödliche Dosis anzusehen.<br />

400 Röntgen sind eine Dosis, bei der mindestens die<br />

Hälfte der Bestrahlten einer tödlich verlaufenden Strahlenkrankheit<br />

zum Opfer fällt, bei 100 bis 150 Röntgen<br />

werden die ersten Todesfälle erwartet, und 25 Röntgen<br />

gelten als Gefährdungsdosis, bei der feststellbare Schädigungen<br />

im allgemeinen nicht auftreten 10 .<br />

H. Rieger<br />

Bildzeitung: „Keine Angst vor Strahlen!"<br />

Riegers Ausführungen in der DZ fügen wir noch hinzu,<br />

daß unser Wissen über die Zusammenhänge zwischen<br />

dem Auftreten von „heißen Partikeln" und bestimmten<br />

Lungengeschwüren etwa noch so spärlich ist, daß wir<br />

die Gefahr noch nicht annähernd genau abschätzen können.<br />

Halten wir also fest: Es gibt keine ungefährlichen Dosen<br />

künstlicher Radioaktivität. Die Rede von sogenannten<br />

„Schwellenwerten" beruht entweder auf Unkenntnis oder<br />

bezweckt Verdummung.<br />

Wo Mystifikation praktiziert wird, steht die Springerpresse<br />

mit ihrem ungeheuren, täglich schätzungsweise<br />

über ein Dutzend Millionen Leser erreichenden Einfluß in<br />

vorderster Linie. Zwei Aspekte vor allem sind für diese<br />

unsere Betrachtung relevant:<br />

Auf die Nachricht von der Wiederaufnahme der „Versuche"<br />

durch die Sowjets schien es, als hätten die Russen<br />

mit ihrem Verhalten auf einen Schlag mehr für die<br />

Aufklärung über Atomgefahren getan als die ganze Anti-<br />

Atom-Kampagne vor drei Jahren: die Zeitungen Westdeutschlands<br />

waren voll von Nachrichten und Kommentaren<br />

über die furchtbarste aller Gefahren, in der die Menschheit<br />

schwebt. Demonstrierende <strong>Atomkrieg</strong>sgegner, die<br />

man bis vorgestern noch nicht genug verleumden und<br />

lächerlich machen konnte, waren plötzlich lieb Kind. Die<br />

Groschenpresse druckte Protesterklärungen ab und ver-<br />

7


öffentlichte Fotos von Demonstrationen. Eines allerdings<br />

ließ an der Ehrlichkeit der plötzlichen <strong>Atomkrieg</strong>s-Gegnerschaft<br />

zweifeln: hatte man früher ähnliche Proteste als<br />

„kommunistisch unterwandert" abgestempelt und die<br />

antikommunistische Schablone als probates Mittel gegen<br />

(nichtkommunistische) Opposition im Innern eingesetzt,<br />

so versuchte man jetzt, die Proteste gegen die sowjetischen<br />

„Versuche" zu Instrumenten der antikommunistischen<br />

Propaganda umzufälschen.<br />

Je mehr man lügt, lehrte Hitler, desto eher produziert<br />

man Glauben. Je unlogischer eine Konstruktion, desto<br />

eher wird sie logisch unangreifbar. Also beruhigten die<br />

Zeitungen, die eben noch die verbrecherische Gefährdung<br />

der Menschheit durch sowjeterzeugte Radioaktivität denunziert<br />

hatten, wie immer schon ihre Leser: es bestehe<br />

nicht die geringste Gefahr. Offenbar schien der Zweck<br />

nur so erreichbar: indem sie das Aufklärungsmoment über<br />

Atomgefahren wieder zurücknahmen, blieb nurmehr das<br />

antikommunistische Stereotyp in der „Massenseele" haften.<br />

„Bild" brachte am 16. November 1961 einen halbseitigen,<br />

pseudo-aufklärerisch verfertigten Artikel mit der fetten,<br />

zweizeiligen Überschrift: „Keine Angst vor Strahlen!"<br />

An Hand von Ganzkörpermessungen der Radioaktivität<br />

von Erwachsenen (Ausnahme: ein 13jähriges Mädchen)<br />

sollte nachgewiesen werden, daß keine Gefährdung besteht.<br />

Die Darstellung hat einen doppelten Haken, an<br />

dem der ahnungslose Bildleser aufgehängt wird: 1. hat<br />

sich erst ein winziger Bruchteil der Radioaktivität niedergeschlagen<br />

— die Hauptniederschlagzeit wird für<br />

das Frühjahr 1962 vorausgesagt. Auch werden die radioaktiven<br />

Substanzen kaum direkt aus Luft oder Wasser<br />

aufgenommen, sondern mittelbar, das heißt aber: zeitlich<br />

später, über pflanzliche und tierische Nahrung, in der<br />

sich die fraglichen Stoffe konzentrieren. 2. sind vor allem<br />

Kleinkinder gefährdet, da der Körper beim Aufbau des<br />

Knochengerüstes einen sehr hohen Calziumbedarf hat<br />

und dazu neigt, statt Calzium auch Strontium 90 in den<br />

Körper einzubauen.<br />

„Die festgestellte radioaktive Strahlung ist etwa ein<br />

Tausendstel der Menge, bei der es anfängt, gefährlich<br />

zu werden," läßt „Bild" einen amerikanischen Major<br />

Onstead versichern. „Er ist Fachmann", weist „Bild" ihn<br />

schlicht aus.<br />

Wozu das Täuschungsmanöver dienen soll, wird gegen<br />

Schluß des „Bild"-Artikels klar: „Es werden sicher noch<br />

(Bomben) fallen", heißt es da. „Die USA können es nicht<br />

verantworten, Chruschtschow das Versuchsfeld allein zu<br />

8


überlassen. <strong>Der</strong> Friede beruht auf dem Gleichgewicht der<br />

Stärke." Wir verstehen, daß „Bild" sich jetzt schon eine<br />

Brücke bauen will, um kommende westliche „Versuche"<br />

zu begrüßen. In diesem ganzen Machwerk steckt soviel<br />

„Bild"-Ideologie, daß wir das Zitat zu Ende führen:<br />

„Wir müssen mit den Bomben leben. Wir sollten den Kopf<br />

nicht in den Sand stecken. Es gibt aber auch keinen<br />

Grund zur Panik." (Dietrich Beyersdorff)<br />

„Messen heißt: Mehr wissen"<br />

(Reklame in Westdeutschland)<br />

Am 23. November 1961 gab der indische Ministerpräsident<br />

bekannt, die Radioaktivität sei in seinem Land als<br />

Folge der jüngsten „Versuchs"-Reihe bereits auf das<br />

Fünfzig- bis Zweihundertfache gestiegen.<br />

Es bleibt im Augenblick das große Verdienst von Präsident<br />

Kennedy, daß er — wenigstens bis jetzt — entgegen<br />

den Forderungen einer starken Opposition, die sich vor<br />

allem um Nixon, Mansfield und Anderson schart 11 und<br />

lautstark amerikanische Atomtests in der Atmosphäre<br />

anstrebt, diesen Tatsachen Rechnung trug und auf Versuchsreihen<br />

in der Atmosphäre verzichtete.<br />

Eine erschreckende Perspektive erhält die Problematik<br />

jedoch dadurch, daß eine große französische Zeitung<br />

meldete, in Frankreich würden neue Versuchsexplosionen<br />

ernsthaft erwogen, die wieder in der Sahara stattfinden<br />

sollen 12 .<br />

In Frankreich scheint man offenbar nicht zu wissen, daß %<br />

jede Explosion ein „selbstmörderisches Geschäft" 13 ist<br />

— wie A. Stevenson zu Recht bemerkte — und „einen<br />

großen Sprung vorwärts in die Katastrophe" 14 darstellt.<br />

Natürlich haben alle jene Afterstrategen, die sich zum<br />

Ziel gemacht haben, die wahre Bedrohung der Menschheit<br />

zu verschleiern, es nicht an „Abwehrmaßnahmen"<br />

fehlen lassen. Die Empfehlung zur Schaffung eines Lebensmittelvorrates<br />

15 (Eichhörnchen-Aktion), Vorbereitungen<br />

zu einem Gesetz über die Pflicht, Bunker zu bauen 16 ,<br />

wie auch das Aufstellen von „Alarmplänen" 17 für die<br />

Bevölkerung haben genau so wenig gefehlt, wie die Entwicklung<br />

eines „Volksgeigerzählers" 18 (Reklame in Westdeutschen<br />

Schaufenstern: „Messen heißt — mehr wissen".)<br />

Die Welt bereitet sich anscheinend systematisch auf den<br />

atomaren Weltkrieg vor.<br />

Und in Amerika werden von Theologen ernsthafte Diskussionen<br />

darüber geführt, ob es einem Bürger erlaubt<br />

sei, im Falle eines <strong>Atomkrieg</strong>es einem Mitbürger den<br />

9


Zutritt zu seinem Atombunker mit der Waffe zu verwehren<br />

19 . Die einen bejahen, die anderen verneinen; und<br />

beide vergessen, daß sie durch einen <strong>Atomkrieg</strong> gleichermaßen<br />

getötet werden würden.<br />

Wer diesen drohenden <strong>Atomkrieg</strong> verhindern möchte,<br />

dem bietet sich nur eine einzige Handlungsalternative an,<br />

und die heißt: Abrüstung. Ob dazu allerdings Chruschtschows<br />

„Alles oder Nichts" — Politik ein geeignetes<br />

Mittel ist, muß — zumindest für die augenblickliche Situation<br />

— mit Recht bezweifelt werden. <strong>Der</strong> erste realisierbare<br />

Schritt wäre ein Abkommen über die kontrollierte<br />

Einstellung aller Kernwaffenversuche.<br />

Es ist begrüßenswert, daß die UdSSR inzwischen ihr Einverständnis<br />

mit der Wiederaufnahme der Genfer Verhandlungen<br />

erklärt hat. Zutiefst unverständlich bleiben<br />

jedoch die sowjetischen Atomexplosionen der vergangenen<br />

Monate. Wir erinnern an die Rede Chruschtschöws<br />

vor dem Obersten Sowjet vom Januar 1960:<br />

„Sollte einer der Staaten in der augenblicklichen Situation<br />

mit der Durchführung von Kernwaffenversuchen wieder<br />

anfangen, so ist es nicht schwierig, sich die Folgen vorzustellen.<br />

Andere Staaten, die die gleichen Waffen besitzen,<br />

würden gezwungen werden, den gleichen Weg<br />

einzuschlagen. Es würde der Anlaß werden, überall Kernwaffenversuche<br />

wiederaufzunehmen, unter allen Bedingungen<br />

und ohne jede Begrenzung ... Wenn eine Seite<br />

die Verpflichtung verletzen sollte, die sie freiwillig auf<br />

sich genommen hat, so würden sich die Verantwortlichen<br />

mit Schande bedecken und die Völker der ganzen Welt<br />

würden ihr Verdammungsurteil über sie aussprechen 20 ."<br />

Nachweise:<br />

(Abkürzungen: DZ = Deutsche Zeitung; FAZ = Frankfurter<br />

Allgemeine Zeitung; FR = Frankfurter Rundschau;<br />

FS = France Soir; NYT = New York Times; V = Vorwärts;<br />

WS = Welt am Sonntag)<br />

1) DZ 26. 6. 1961; 2) Vgl. hierzu: „Fallout und Luftzirkulation"<br />

FAZ 17. 10. 1961; 3) NYT 26. 9. 1961; 4) NYT<br />

9. 9. 1961; 5) Nach UPI 23. 11. 1961; 6) FAZ 26. 10. 1961;<br />

7) FR 21. 10. 1961; 8) DZ 26. 10. 1961; 9) DZ 10. 10. 1961;<br />

10) DZ 11. 11. 1961; 11) Vgl. hierzu: NYT 18. 9. 1961,<br />

NYT 12. 10. 1961, DZ 14. 10. 1961 und FAZ 2. 11. 1961;<br />

12) FS 30. 10. 1961; 13) NYT 20. 10. 1961; 14) FAZ<br />

31. 10. 1961; 15) FAZ 28. 10. 1961; 16) FAZ 21. 10. 1961;<br />

17) FAZ 26. 10. 1961; 18) DZ 6. 11. 1961 und FAZ 2. 11. 1961;<br />

19) V 25. 10. 1961 und NYT 3. 9. 1961; 20) WS 10. 9. 1961.<br />

10


Michael Mauke<br />

neutronic bomb<br />

„Zum Unterschied von den heutigen Atomwaffen würde<br />

die Neutronenbombe keine Verheerungen anrichten und<br />

nicht durch die Wärmestrahlung und die Druckwelle der<br />

Explosion töten ... Sie wäre eine Wasserstoffbombe ohne<br />

eine Spaltungsbombe als Zünder, eigens dazu bestimmt,<br />

menschliche Wesen zu töten, während sie den Gebäuden<br />

keinen Schaden zufügen würde."<br />

New York Times, 2. Juli 1961<br />

jede Stadt<br />

heißt heute AUSCHWITZ,<br />

eichmanns transporte<br />

rollen nicht mehr,<br />

geruhsam oder friedlos<br />

hausen wir<br />

in hellen, freundlichen räumen<br />

— den gaskammern von morgen.<br />

ahnungslos wie bienen im walde:<br />

bevor der sammler kommt<br />

mit Schwefel —<br />

und des honigs wegen<br />

alle erstickt.<br />

kühlschränke, Polstermöbel,<br />

kohlenschächte und turbinen<br />

bleiben unversehrt.<br />

lächelnd kehren die vertilger<br />

totes Ungeziefer<br />

zum hause hinaus.<br />

alle städte heißen heute<br />

AUSCHWITZ.<br />

die transporte<br />

kamen längst an.<br />

Stefan gant<br />

Zeitansage<br />

es tickt in der trinkmilch.<br />

im saft der orange<br />

schwimmt der tod deiner kinder,<br />

beim letzten ton des zeitzeichens<br />

ist es null uhr.<br />

11


Bérlin-Diskussion<br />

Ossip K. Flechtheim<br />

Wolfgang F. Haug<br />

John H. Herz<br />

Reimar Lenz<br />

Michael Mauke<br />

Thomas Metscher<br />

Hartmut Zimmermann<br />

Im Septemberheft der westdeutschen Zeitschrift „ja und<br />

nein" veröffentlichte W. F. Haug einige „Thesen zu Berlin".<br />

Angeregt durch ablehnende bzw. ergänzende Kritiken<br />

zu diesen Thesen lud Das Argument einige seiner<br />

Mitarbeiter zu einer Briefdiskussion über die angeschnittenen<br />

Fragen ein. Im Folgenden bringen wir eine leicht<br />

überarbeitete Fassung der Thesen neben einer Anzahl von<br />

Briefen. Uns scheint, daß die lockere Form einer solchen<br />

Briefdiskussion, in der die Widersprüche der Sache als<br />

solche der Meinungen auftreten — denn das möchten wir<br />

voraussetzen, daß alle Einwände sachlich begründet sind<br />

— den Schwierigkeiten des Berlin-Problems und unserer<br />

eigenen Situation am ehesten gerecht wird.<br />

Freiheit...<br />

unterzugehen ?<br />

Thesen zu Berlin von Wolfgang F. Haug<br />

Es erscheint angebracht, den folgenden Thesen zur „Berlin-Krise"<br />

einige Bemerkungen vorauszuschicken und<br />

einige Grundsätze wieder einmal zu beschwören, die sich<br />

bei einem weniger tabuisierten Thema oder in einer<br />

weniger irrationalen Gesellschaft von selbst verstünden:<br />

Die Thesen erheben keinen Anspruch darauf, originell zu<br />

sein. Sie enthalten einige Binsenwahrheiten, die von<br />

all denen gewußt werden, die politisch denken, einerlei<br />

ob sie im Regierungslager oder ob sie im Lager der<br />

12


Opposition stehen. Dennoch wird das Ergebnis der folgenden<br />

Überlegungen vermutlich einigen Staub aufwirbeln.<br />

Kein ernstzunehmender Politiker in unserem Staat glaubt<br />

wirklich an die Wiedervereinigung in absehbarer Zeit<br />

oder gar an die Rückeroberung ehemals deutscher Gebiete<br />

im Osten. In vertraulichen Gesprächen sind sie sofort bereit,<br />

dies zuzugeben. Adenauer, Brentano oder Lemmer<br />

haben schon vor Jahren geäußert, allerdings nicht in der<br />

Öffentlichkeit, man müsse die Oder-Neiße-Grenze eigentlich<br />

anerkennen. <strong>Der</strong> Unterschied der Auffassungen liegt<br />

nicht in der Einschätzung der objektiven Lage, sondern<br />

in der Frage, ob es angebracht sei, die Wahrheit zu<br />

verschweigen oder sie zu sagen.<br />

Die folgenden Überlegungen werden davon ausgehen, daß<br />

keine taktische Erwägung uns von der Pflicht entbindet,<br />

die Wahrheit anzusprechen, auch wenn dies dem Aussprechenden<br />

schaden sollte. Anders können Vernunft<br />

und Demokratie keine Chance haben. Im einzelnen soll<br />

versucht werden, Sein und Sollen auseinanderzuhalten,<br />

also die Analyse vom Wunschbild zu trennen und die<br />

Wahrheit von der Propaganda.<br />

I. Die Berlin-Situation<br />

Wenn die Rede ist, die Freiheit Berlins sei bedroht, so<br />

ist offenbar Westberlin damit gemeint. Wenn die USA<br />

der Sowjetunion drohen, notfalls für die Freiheit Berlins<br />

Krieg zu führen, so ist mit Berlin wiederum Westberlin<br />

gemeint. Die Schutzmächte Westberlins aber haben seit<br />

dem 13. August keine bewaffnete oder andersgeartete<br />

Aktion gestartet. Weder wußten sie, was für Aktionen<br />

sie hätten starten können, noch wogegen sich diese Aktionen<br />

richten sollten: für Westberlin und die zweieinhalb<br />

Millionen Westberliner hatte sich nämlich de<br />

facto nichts geändert. Weder war das politische System<br />

freier Wahlen angetastet, noch waren die Verkehrsverbindungen<br />

mit der Bundesrepublik abgeschnitten. Worin<br />

besteht also das, was unter dem Schlagwort „Berlin-Krise"<br />

durch alle politischen Erörterungen in der Bundesrepublik<br />

geistert und zum Zeitpunkt, da diese Thesen<br />

verfaßt werden, die Bundestagswahlpropaganda zu beherrschen<br />

beginnt?<br />

Für das isoliert betrachtete Westberlin hat sich nichts<br />

Entscheidendes geändert. Erst wenn man Berlin in der<br />

großen Ost-West-Politik der Nachkriegszeit situiert,<br />

mag es gelingen, die „Berlin-Krise" näher zu bestimmen.<br />

Die Teilung Deutschlands und Berlins, die Annektion<br />

früher deutscher Gebiete durch die UdSSR und Polen,<br />

13


überhaupt die Teilung Europas in einen westlichen und<br />

einen östlichen Einflußbereich gehören zu den Ergebnissen<br />

des Zweiten Weltkrieges, die auf Vereinbarungen<br />

der Westalliierten und der Sowjetunion zurückgehen.<br />

Das Gesamt der Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges wird<br />

unter dem Schlagwort des „Status quo" verstanden. Es<br />

besteht eine Art stillschweigende Übereinkunft von Ost<br />

und West, diesen Status quo nicht anders als in gegenseitiger<br />

Übereinstimmung zu verändern. Oder genauer<br />

gesagt: das durch Atomrüstung und Raketentechnik geschaffene<br />

militärische Gleichgewicht zwischen Ost und<br />

West macht es absolut unmöglich, gewaltsam am Status<br />

quo etwas zu ändern. So griff der Westen in Ungarn<br />

nicht ein trotz gegenteiliger Versprechungen seiner Propaganda.<br />

Zur „Berlin-Krise" nun hat Washington immer<br />

wieder ausdrücklich erklärt:<br />

„<strong>Der</strong> Propagandafehler, den der Westen in Ungarn<br />

gemacht hat, darf sich nicht wiederholen!"<br />

(Zitiert nach: „Stuttgarter Nachrichten", 22. 8. 61)<br />

Die „Berlin-Frage" ist eine Frage des Status quo.<br />

De facto würde sich am gegenwärtigen Status quo von<br />

Berlin erst dann etwas ändern, wenn eine der beiden<br />

Seiten versuchen würde, den Bereich der anderen unter<br />

ihre Macht zu bringen. Es kann jedoch nicht die Rede<br />

davon sein, daß sich eine der beiden Seiten angeschickt<br />

hat oder in absehbarer Zeit sich anschicken wird, diesen<br />

Schritt zu tun, der das sichere Risiko des Dritten, atomaren<br />

Weltkrieges in sidi birgt.<br />

Was die Sowjetunion unter der Bezeichnung der „Koexistenz"<br />

propagiert und was seit Kriegsende der Politik<br />

des Westens zugrundeliegt, ist nichts anderes als die<br />

defacto-Anerkennung des Status quo oder, anders ausgedrückt,<br />

die Einsicht, daß ein alles vernichtender <strong>Atomkrieg</strong><br />

als Mittel der Veränderung des Status quo niemals<br />

in Betracht kommen kann. Beide Seiten beschränkten<br />

sich darauf, ihr furchtbares Waffenarsenal zum Zwecke<br />

der Abschreckung bereitzuhalten. <strong>Der</strong> westliche Ausdruck<br />

dieser defensiven Politik ist in Europa die Nato,<br />

die geschaffen wurde, um etwaigen Expansionsbestrebungen<br />

des Ostens den Riegel vorzuschieben. Solange<br />

Westberlin vom Osten nicht direkt angegriffen wird,<br />

werden die USA und wird die Nato nicht eingreifen.<br />

So wenig wie sie für eine Wiedervereinigung Deutschlands<br />

oder die Rückgewinnung ehemals deutscher Gebiete<br />

eingegriffen haben oder je eingreifen werden.<br />

Worin besteht dann aber die „Berlin-Krise"?<br />

14


Die Krise um Berlin ist zunächst einmal Ausdruck und<br />

vorläufiger politischer Höhepunkt einer Krise im Wirtschaftsgefüge<br />

der DDR. Die Abwanderung einer zunehmenden<br />

Zahl von Ostdeutschen in den westlichen<br />

deutschen Staat drohte eine zunehmende wirtschaftliche<br />

Desorganisation und in deren Gefolge wachsende Schwierigkeiten<br />

in der sowieso schon wenig befriedigenden<br />

Versorgung der Bevölkerung zu bewirken. Mit Recht<br />

buchte die Bundesregierung den spektakulären Zustrom<br />

von Flüchtlingen als Erfolg ihrer Politik. <strong>Der</strong> ungeheure,<br />

im ganzen Ostblock beispiellose passive Widerstand<br />

eines großen Teils der DDR-Bevölkerung im Wirtschaftsgeschehen<br />

und die enorme, in die Millionen gehende<br />

Abwanderungsbewegung sind unbezweifelbare<br />

Erfolge der Propaganda der Bundesregierung. Dennoch<br />

ist die „Berlin-Krise" in Wirklichkeit nicht eine Krise<br />

der DDR. Sie ist vielmehr eine Krise der Politik der<br />

Bundesregierung.<br />

Die Bundesregierung ist zur Zeit die einzige Regierung<br />

Europas, die territoriale Forderungen stellt. <strong>Der</strong> Bundeskanzler<br />

fordert das Gebiet des Deutschen Reiches von<br />

1937, einige seiner Minister und Parteifreunde fordern<br />

sogar die Wiederherstellung des Gebiets von 1939. Zugleich<br />

behauptet die Bundesregierung, ihre Politik bewege<br />

sich innerhalb der Ziele der Nato. Durch die<br />

Schließung der Sektorengrenzen in Berlin ist der Widerspruch<br />

zwischen diesen auseinanderweisenden Bestandteilen<br />

der Politik der Bundesregierung so eklatant<br />

geworden, daß eine Krise daraus entstanden ist, in<br />

deren Gefolge sich die Kriegsgefahr beängstigend erhöht<br />

hat. Versucht man den Widerspruch innerhalb der<br />

westdeutschen Politik zu erklären, so bieten sich zwei<br />

Antworten an: Entweder die Bundesregierung betrügt<br />

bewußt die Deutschen (beider Staaten), weil sie fürchtet,<br />

ohne diesen Betrug Wahlstimmen zu verlieren. Oder<br />

aber die Bundesregierung hofft, die Nato dazu zu<br />

bringen, daß sie die agressiven Ziele der Bundesrepublik<br />

zu ihren eigenen macht. Daß die Bundesregierung wählen<br />

muß zwischen Krieg oder einer Änderung ihrer Politik,<br />

das ist der Kern der gegenwärtigen „Berlin-Krise". Oder<br />

wie Chrysostomus Zodel schrieb:<br />

„Den Preis dafür, daß es nicht zum Kriege kommt, muß<br />

die Bundesrepublik bezahlen. Und den Bürger darauf vorzubereiten,<br />

widerspricht leider den Wahlparolen der Regierungspartei.<br />

Trotzdem ist es Aufgabe des Kanzlers."<br />

(„Stuttgarter Nachrichten", 22. 8. 61)<br />

15


II. Berlin-Propaganda<br />

Mit wüsten Beschimpfungen bedachte Radio DDR die<br />

1 500 amerikanischen Soldaten, die zur Verstärkung der<br />

amerikanischen Garnison nach Berlin geschickt worden<br />

waren. („Frauenschänder", „Taximörder", „Messerstecher"<br />

und Ähnliches mehr.) Die westdeutsche Presse<br />

rächte sich dafür, indem sie die östliche Propaganda mit<br />

derjenigen Goebbels' gleichsetzte.<br />

Die Propagandaschlacht um Berlin, bei der sich beide<br />

Seiten an Lügen und subversiver Hetze wenig schuldig<br />

bleiben, fand schon in den ersten Tagen der Absperrung<br />

einen eklatanten Höhepunkt, als die gesamte Westberliner<br />

und fast die gesamte westdeutsche Presse<br />

• die DDR als „ein einziges KZ" bezeichnete;<br />

• die Abriegelung der Sektorengrenzen mit den „Verbrechen,<br />

für die Adolf Eichnjann vor Gericht steht,"<br />

gleichsetzte und kurzerhand<br />

• Ulbricht mit Hitler gleichsetzte.<br />

Die jungen Volksarmisten nannte die „freiheitliche"<br />

Westberliner Presse<br />

• „Ulbrichts KZ-Wächter" ' („<strong>Der</strong> Abend")<br />

• „Vaterlandslose Gesellen", „Menschenjäger",<br />

„Spießgesellen Ulbrichts" („B. Z.")<br />

• „Söldner etc. („nachtdepesche")<br />

• „Ulbrichts Handlanger" („Bild")<br />

(Alles Westberliner Zeitungen vom 14. 8. 1961)<br />

Dazu ist zu sagen:<br />

Die Gleichsetzung von Nationalsozialismus und Kommunismus<br />

bestimmt nicht erst seit heute den Ton einer gewissen<br />

Presse. Solange es sich um subjektive moralische<br />

Urteile dabei handelt, mag die Gleichstellung dahingehen.<br />

Sobald sie jedoch im Ton einer historisch-wissenschaftlichen<br />

Erkenntnis oder eines politischen Urteils vorgetragen<br />

wird, ist sie nicht nur falsch, sondern gefährlich.<br />

Eigentlich verlangt die Gleichsetzungsproblematik eine<br />

gründliche Erörterung, was den Rahmen dieser Thesen<br />

sprengen würde und einer künftigen Diskussion vorbehalten<br />

sein soll. Hier nur soviel: Wer die DDR mit<br />

Eichmanns KZ und Ulbricht mit Eichmann, Goebbels und<br />

Hitler gleichsetzt, macht sich damit — ganz abgesehen<br />

von seiner möglicherweise subjektiv ehrlichen Absicht:<br />

allein schon vom publizistischen „Masseneffekt" seiner<br />

Äußerungen her — zum Apologeten des absolut beispiellosen<br />

nazistischen . Völkermords. Indem er so in Westdeutschland<br />

publizistisch gegen den kommunistischen<br />

deutschen Teilstaat zu kämpfen meint, verniedlicht er im<br />

16


Endeffekt das ungeheuerlichste Verbrechen der Menschheitsgeschichte,<br />

wie er andererseits das kommunistische<br />

System in demagogischer Weise verteufelt.<br />

Für das demokratische Denken gilt aber die zynische<br />

Mystifikation der Massen mit Recht als verbrecherisch.<br />

Wenn ein Presseorgan diese Gleichsetzung betreibt, versucht<br />

es in verbrecherischer Weise das Volk zu verdummen.<br />

Während es einerseits die Verteufelung des<br />

Kommunismus betreibt, macht es sich andererseits der<br />

nationalsozialistischen Verharmlosungspropaganda schuldig.<br />

(Ein empörendes Beispiel lieferte die von Hans Zehrer<br />

redigierte „Welt".) Eine derartige Argumentation,<br />

ob sie selbst vor ihren Konsequenzen zurückschreckt<br />

oder nicht, kennt in der Tat keinen anderen Ausweg als<br />

den atomaren Weltkrieg. Indem sie unsere deutschen<br />

Brüder und Schwestern von drüben, soweit sie Kommunisten<br />

oder auch nur Mitläufer sind, verteufelt, hat sie<br />

den ersten Schritt zur Einleitung des Krieges schon getan.<br />

Die gesamte deutsche Massenpresse sowie ein Großteil<br />

der sogenannten „seriösen" Zeitungen legen diese Argumentation<br />

ihrer Berichterstattung zu Grunde.<br />

III. Berlin-Politik<br />

<strong>Der</strong> indische Ministerpräsident Nehru hat boshafte Kommentare<br />

ausgelöst mit einigen Bemerkungen zur Berlin-<br />

Frage, die jedoch zweifellos richtig sind bei aller bei<br />

uns ungewohnter Nüchternheit. Nehru sagte am 22. August<br />

im indischen Oberhaus, „die Existenz zweier deutscher<br />

Staaten sei eine Realität und normalerweise hätten<br />

souveräne Staaten das Recht, alle Bewegungen innerhalb<br />

ihrer Grenzen zu kontrollieren." Nehru verlieh<br />

seiner Überraschung Ausdruck, daß die Oder-Neiße-<br />

Grenze noch immer nicht anerkannt sei. Er sei überzeugt,<br />

„daß jeder Versuch, die Oder-Neiße-Grenze anzutasten,<br />

zum Krieg führen würde". Zu einer vernünftigen<br />

Berlin-Politik sagte er, „die sowjetischen Zusagen, sich<br />

nicht in das normale Leben Westberlins einzumischen,<br />

sollten eine der hauptsächlichsten Befürchtungen des<br />

Westens zerstreuen und den Weg für Verhandlungen freimachen."<br />

(Zitiert nach „Stuttgarter Nachrichten" vom<br />

24. 8. 61). Die einzige Antwort der westdeutschen Presse<br />

auf diese Äußerungen war die Forderung einiger Kommentatoren,<br />

man solle Indien mit dem Entzug der Entwicklungshilfe<br />

drohen. Politisch argumentiert wurde<br />

nicht. Man verhielt sich nach dem Palmström-Motto:<br />

„Was nicht sein darf, das kann nicht sein." Deswegen<br />

ist es nötig, abschließend an diese Betrachtung einige<br />

17


Forderungen an eine mögliche Politik für Westdeutschland<br />

und für die zweieinhalb Millionen Westberliner<br />

aufzustellen.<br />

Grundsätzlich ist nur eine solche Politik möglich, die<br />

das Risiko des Krieges nicht in sich einschließt. Es gibt<br />

keinen Einsatz, für keine der beiden Seiten, der das<br />

sichere Risiko der totalen Vernichtung rechtfertigt.<br />

Politik für Westberlin, für Deutschland muß von den<br />

Tatbeständen ausgehen, die, der Zweite Weltkrieg in<br />

Euröpa geschaffen hat. Dabei muß Deutschlands Kriegsschuld<br />

es den Deutschen verbieten, vom „Unrecht an<br />

Deutschland" zu sprechen. Wer auf den Krieg verzichtet,<br />

verzichtet auch auf die Rückgewinnung verlorener Gebiete.<br />

Denn wer diese vorbereitet, muß jenen wollen.<br />

Wer den Krieg vermeiden will, muß vom Status quo<br />

ausgehen.<br />

Zum Status quo gehört aber<br />

1. die Oder-Neiße-Grenze;<br />

2. die Teilung Deutschlands.<br />

Deutsche Politik, sofern sie nicht Krieg bedeuten soll,<br />

muß also<br />

1. die Ostgrenzen von 1945 und 1961 anerkennen;<br />

2. die DDR anerkennen.<br />

Was bedeutet eine solche Politik für Westberlin? Die<br />

gegenwärtige Krise der seitherigen Wiedervereinigungspolitik<br />

der Bundesregierung wurde dadurch ausgelöst,<br />

daß die DDR vollends den Sowjetsektor von Großberlin<br />

annektiert und damit die Voraussetzung für<br />

ihren Separatfriedensvertrag mit der UdSSR und dem<br />

Ostblock geschaffen hat. Die Westmächte sahen keinerlei<br />

Anlaß einzugreifen, da ihr Schutzgebiet Westberlin<br />

de facto nicht betroffen war. De facto hatte sich am<br />

Status quo nichts geändert. Die westliche Politik wird<br />

es auch in Zukunft sein, mit aller Entschiedenheit den<br />

Status quo für Westberlin zu bewahren. Folgende Ziele<br />

kann die westliche Politik für Westberlin verfolgen:<br />

1. Garantie des politischen Systems<br />

(freie Wahlen etc.) in Westberlin;<br />

2. Garantie des freien Zugangs nach Westberlin;<br />

3. Anwesenheit westlicher oder UNO-Truppen in<br />

Westberlin zur Sicherung der Punkte 1 und 2.<br />

Wichtiger als jeder Propagandasieg ist es zweifellos,<br />

den zweieinhalb Millionen Westberlinern ihre jetzige<br />

Lebensform zu erhalten. Dem nüchternen Betrachter<br />

drängt sich die Erkenntnis auf, daß dies in der Tat nur<br />

auf dem Wege der Anerkennung der DDR möglich ist.<br />

Oder wird die Bundesregierung einen Propagandasieg<br />

der Freiheit der Westberliner vorziehen?<br />

18


Reimar Lenz<br />

Konkurrenz mit Hitler<br />

Lieber W. F. H.,<br />

hab Dank für Deinen Berlin-Text, zu dem ich dreierlei<br />

Kritik habe:<br />

Ich finde, daß sich für Westberlin mit dem 13. August<br />

sehr viel verändert hat. Die Stadt West-Berlin hat ihre<br />

wichtigste Aufgabe verloren, Rest-Brücke zwischen beiden<br />

Deutschlands zu sein.<br />

Die Sowjetunion beabsichtigt durchaus, den Status quo in<br />

Berlin einseitig zu ihren Gunsten weiter zu verändern,<br />

indem sie auf einer demilitarisierten „freien" Stadt besteht.<br />

Lokal gesehen, ist ihre Politik also weiterhin agressiv,<br />

— wobei ich einräume, daß die SU sich in Bezug<br />

auf Deutschland insgesamt in der Defensive glaubt.<br />

Eine Fülle von einzelnen totalitären Mehoden, die in<br />

der DDR vor allem nach dem 13. angewandt werden, erinnert<br />

mich sehr wohl an Phasen des „Dritten Reiches".<br />

(Als einzigen Vergleichspunkt braucht man ja nicht dessen<br />

Endphase heranzuziehen.) Die Aufforderung an Kinder,<br />

ihre Eltern zu denunzieren, — die Drohungen gegen das<br />

Abhören von „Feindsendern" (so wörtlich), — die Pogromaufforderungen<br />

durch die Partei („Arbeiterfäuste"<br />

soll spüren, wer nicht hören kann; die Opfer bleiben dann<br />

irgendwo liegen), — Kindervorbeimärsche an Ulbricht, —<br />

die hysterische Propaganda (gegen Menschenhändler,<br />

Agentenkloaken, Rattennester usw.), — die Einrichtung<br />

von „Arbeitserziehungslagern" mit Einweisung auf unbestimmte<br />

Zeit, — die gesamte Terrorjustiz wegen Meinungsverbrechen:<br />

das alles kann durchaus konkurrieren<br />

mit Phasen des „Dritten Reiches".<br />

Göttingen, 13. Oktober 1961<br />

Michael Mauke<br />

Westberlins internationale Chance<br />

Lieber W. F. H.,<br />

besten Dank für die Ubersendung Deines Artikels zur<br />

Berlin-Krise; ich finde ihn anregend und mutig und stimme<br />

weitgehend mit seiner Aussage und Stellungnahme überein.<br />

Jedoch hätte ich zu einigen Punkten etwas einzuwenden.<br />

1. Wenn es auch zutrifft, daß die Aktion vom 13. August<br />

dieses Jahres am formalen Status quo von Westberlin<br />

nichts geändert hat — der Viermächtestatus für Gesamtberlin<br />

war ja schon lange nur noch eine hohle Fiktion —,<br />

so ist doch substantiell ein gewaltiger, schicksalhafter<br />

19


Schub passiert. So problematisch die bisherige Funktion<br />

der faktisch unter Dreimächtestatut stehenden Stadt Westberlin<br />

als Schaufenster, Flüchtlingsschleuse, Kontaktstelle<br />

und strategisch-militärischer Meldekopf immer gewesen<br />

ist, so sehr wurde das Leben in Westberlin durch und von<br />

dieser Kampf- und Frontstadt-Funktion her bestimmt. Seit<br />

dem 13. August ist diese Funktion im Prinzip verloren<br />

gegangen, und eine neue Aufgabe, die dieser Inselstadt —<br />

die nicht einmal eine „normale" Provinzgroßstadt werden<br />

kann, weil ihr eben die Provinz rundherum fehlt! •—<br />

Sinn und Zweck zu geben vermag, ist kaum in Sicht.<br />

2. Gerade wenn man die Tragödie Berlins und Westberlins<br />

vom Aspekt der Funktion betrachtet, wird klar, welche<br />

großen Chancen und Verpflichtungen in den zurückliegenden<br />

Jahren versäumt wurden. Es ist, von heute aus gesehen,<br />

ernstlich zu fragen, ob es in der Vergangenheit<br />

für Westberlin nicht Möglichkeiten gegeben hat, bei aller<br />

grundsätzlichen Wahrung der wirtschaftlichen Verknüpfung<br />

mit dem Westen die Aufgaben einer Brücke zwischen<br />

den deutschen Teilstaaten, zwischen West und Ost zu<br />

übernehmen. Westberlin hätte ein Ort sein können, wo<br />

beide Lager sich ständig, und ohne das Gesicht zu verlieren,<br />

sich konfrontieren, austauschen, besprechen. Doch<br />

alle Ansätze in dieser Richtung blieben stecken, oder<br />

wurden sogar massiv diskreditiert. Gibt es nicht zu denken,<br />

daß der Osten erst jetzt das Tor völlig zugemacht hat?<br />

Von einer eng gefaßten Staats- und Wirtschaftsräson wäre<br />

das doch schon spätestens am 18. Juni 1953 fällig gewesen.<br />

In der Rückblende mutet es fast wie ein Wunder an, daß<br />

acht Jahre lang das Brandenburger Tor noch offen blieb.<br />

3. Jetzt ist das Tor wirklich zugemacht worden, und daran<br />

sind nicht zuletzt die von Dir erwähnten publizistischpropagandistischen<br />

Angst- und Panikmacher schuld. Einer<br />

vorgeschobenen Festung kann nichts Ärgeres passieren,<br />

als wenn sie ihren strategischen Zweck verliert: die Konsequenzen<br />

sind kafkaesk — alles geht noch eine gute Weile<br />

so weiter wie bisher, aber die Straßen leeren sich, die<br />

Mauern bröckeln, bis die Stille der Sinnlosigkeit eines<br />

Tages bewußtwerdend hereinbricht und panische Flucht<br />

auslöst . . . Jenseits aller Tagesparolen haben sich Westund<br />

Ostmächte unausgesprochen längst auf einen neuen<br />

„Limes" quer durch Mitteleuropa geeinigt, der für absehbare<br />

Zeit den Status quo der Machtverhältnisse, der nur<br />

durch einen atomaren Weltkrieg zu Fall gebracht werden<br />

kann, fest fixieren soll, während die großen geschichtlichen<br />

Bewegungen, Verschiebungen und Auseinandersetzungen<br />

in Asien, Afrika und Südamerika stattfinden.<br />

Westberlin hat, nachdem es vorläufig seine nationale<br />

20


Chance verloren hat, nur noch eine internationale Chance:<br />

Als Aktionszentrum der Vereinten Nationen — gleichgültig,<br />

ob das Hauptquartier oder das europäische (Genfer)<br />

Zentrum hierhin verlegt wird — kann es zu großer internationaler<br />

Funktion und Bedeutung gelangen, und nur auf<br />

diesem Wege kann es auch wieder und überhaupt etwas<br />

für das in utopische Ferne gerückte Ziel der deutschen<br />

Wiedervereinigung tun. überhaupt scheint mir: die deutsche<br />

Wiedervereinigung wird in Zukunft nur noch durch<br />

europäische (föderative) Wiedervereinigung zu erlangen<br />

sein. Doch das ist ein andres Thema.<br />

Und nur die überhöhende und ausgleichende Dazwischenkunft<br />

der Vereinten Nationen, deren Mehrheit heute der<br />

Block der Neutralen repräsentiert, kann den lebensgefährlichen<br />

Prestigekonflikt von Ost und West in Berlin beheben<br />

und beiden Seiten ermöglichen, das Gesicht zu<br />

wahren: dem Westen, indem die Lebensform und die Freizügigkeit<br />

der Westbèrliner konkret garantiert wird; dem<br />

Osten, indem die Neutralität und Autonomie der Stadt<br />

durch die Vereinten Nationen verwirklicht und verkörpert<br />

wird. Berlin-Nikolasee, den 29. 10. 1961<br />

Hartmut Zimmermann<br />

Fragen Uber Fragen<br />

Lieber Haug,<br />

manchmal meint man, im Zeitalter der Thesen zu leben.<br />

Je komplizierter die Tatbestände in Politik und Gesellschaft<br />

werden, je bedrohlicher die Situationen, um so mehr<br />

scheint man versucht, die Probleme zu verdichten und<br />

Thesen zu formulieren, die Feststellung, Antwort und Aufforderung<br />

zum Handeln in einem sein wollen.<br />

So verführerisch und verständlich ein solches Verfahren<br />

auf den ersten Blick erscheint, so gefährlich ist es aber<br />

doch in seinen Konsequenzen. Gerade in explosiven Lagen<br />

sollte jede Entscheidung doppelt gewogen und die ihr zu<br />

Grunde liegende Analyse bis zu einem optimalen Punkt<br />

der Einsicht und des Verständnisses vorangetrieben werden.<br />

Dieses mir eigentümliche Mißtrauen gegen .Thesen" finde<br />

ich auch in Deinen Überlegungen zur Berlin-Frage erneut<br />

bestätigt. Sehr vieles in ihnen berührt mich sympathisch,<br />

nicht zuletzt der Mut, unbequem zu sein, und es ist keineswegs<br />

meine Absicht zu beckmessern. Aber zu Deinen Darlegungen<br />

fallen mir im wesentlichen nur Fragen ein; wie<br />

ich überhaupt meine, daß wir mit Antworten ruhig einmal<br />

zögern sollten, um erst die Fragen recht, d. h, dem Gegenstand<br />

annähernd adäquat, zu formulieren.<br />

Einîge der Fragen, die mir zu Deinen Thesen eingefallen<br />

21


sind, darf ich hier in lockerer Reihenfolge und Form einmal<br />

aufführen:<br />

Du sprichst in Deiner Einleitung von „Wahrheiten". Ist<br />

aber das, was Du im folgenden postulierst, nicht viel eher<br />

und richtiger mit „politischen Notwendigkeiten" zu umschreiben?<br />

Wenn es sich aber so verhält, müssen nicht gerade<br />

dann die Bedingungen und Bedingtheiten solcher Notwendigkeiten<br />

in ihrer ganzen Kompliziertheit aufgezeigt<br />

werden? In einem bestimmten, wertenden, politisch-moralischen<br />

Bezugssystem mögen dann solche „Notwendigkeiten"<br />

auch zu „Wahrheiten" werden. Dieses Bezugssystem<br />

gilt es dann aber, sichtbar zu machen. Krieg oder<br />

Frieden mag heute die Menschheitsfrage lauten. Aber sie<br />

ist eine politische Frage, die durch politisches Handeln<br />

beantwortet werden will, und zwar durch eine Politik der<br />

„langen Sicht". Die Koexistenz-Politik des Ostens ist eine<br />

solche. Sie ist durchaus offensiv mit recht konkreten Fernzielen.<br />

Es ist nicht die bloße Sicherung des „Status quo",<br />

die ihren Inhalt ausmacht, und die Antwort auf die Koexistenz-Politik<br />

des Ostens kann sich auch ihrerseits nicht<br />

auf eine Sicherung des Status quo beschränken.<br />

Das führt gleich zu einer anderen Frage: Was ist denn<br />

nun eigentlich der „Status quo"? Ist mit ihm allein die<br />

gebietsmäßige Abgrenzung der Einflußbereiche von West<br />

und Ost gemeint? Welcher Art ist denn aber der Einfluß<br />

in diesen Gebieten? In welchen Formen manifestiert er<br />

sich? Immerhin hat es in jüngster Zeit noch den Rapacki-<br />

Plan gegeben, der eine andere „Grenzziehung" oder eine<br />

andere „Absicherung" vorsah, als sie dann die Mauer vom<br />

13. 8. geschaffen hat. Und welche Möglichkeiten zur deutschen<br />

Wiedervereinigung in den Jahren nach 1945 gegeben<br />

waren, muß zumindest reflektiert werden, um deutlich<br />

zu machen, daß das „Gesamt der Ergebnisse des<br />

2. Weltkrieges", das Du als den „Status quo" bezeichnest,<br />

keineswegs in seiner heutigen konkreten Form etwa schon<br />

1945 festgestanden hat. Unter diesem Aspekt ist der 13. 8.<br />

1961 eben doch ein besonderes Datum und hat einen neuen<br />

Tatbestand geschaffen. Es erscheint mir zumindest des<br />

Nachdenkes wert, ob eine solche Anerkennung dieses Tatbestandes,<br />

wie Du sie forderst, wirklich eine Ideallösung<br />

darstellt, würde sie doch bedeuten, daß sich die Warschauer-Pakt-Staaten<br />

und die Mitglieder der NATO endgültig<br />

und definitiv unmittelbar gegenüberstünden.<br />

Ob sich für West-Berlin durch den 13. 8. 1961 wirklich<br />

„de facto" nichts geändert hat, muß füglich bezweifelt<br />

werden. Nicht nur die „Aufgabenstellung", von der Michael<br />

Mauke in seinem Brief spricht, auch im inneren Gefüge der<br />

Stadt hat sich viel, sehr viel geändert. Die Öffnung nach<br />

22


Ost-Berlin und zur DDR hatte für jeden einzelnen Westberliner<br />

und für West-Berlin als Ganzes eine existentielle<br />

Bedeutung. Wir haben es alle gespürt und werden es in<br />

noch stärkerem Maße spüren, was diese radikale Absdinürung<br />

der Außenbeziehungen zum Osten hin für uns bedeutet.Das<br />

ist nicht etwa nur eine „ sentimentale ", sondern durchaus<br />

auch eine politische Feststellung. An so banale Dinge<br />

wie die „Grenzgänger", die „Kino- und Theater-Besucher",<br />

die Familienbesuche, wagt man kaum zu erinnern, wenn,<br />

wie Du es tust, lediglich die „letzten Fragen" zur Diskussion<br />

gestellt werden. Wenn der Ausdruck „de facto" einen<br />

Sinn hat, dann doch den, daß es sich um das „Tatsächliche"<br />

handeln soll, und ich meine, daß sich gerade in diesem<br />

Bereich sehr viel geändert hat. Viel weniger scheint sich<br />

im juristischen Bereich geändert" zu haben, denn hier war<br />

die Lage Berlins immer voller Widersprüche und von<br />

großer Labilität. Doch ist „de facto" heute zu einem Modewort<br />

geworden, das eher verhüllt als erklärt. Zu leicht<br />

kann man sich hinter ihm verstecken, um zu vermeiden,<br />

die Dinge bei ihrem wahren Namen zu nennen.<br />

Sicher ist die Gleichsetzung von Ulbricht und Hitler falsch.<br />

Aber es hat wenig Sinn, einer Behauptung lediglich eine<br />

andere Behauptung entgegenzusetzen. Und so führt auch<br />

der Brief von Reimar Lenz in dieser Auseinandersetzung<br />

nicht weiter. Muß man nicht vielmehr fragen, wie es<br />

kommt, daß erneut Terror das Gesicht der DDR bestimmt?<br />

Es kann kaum bezweifelt werden, daß Stil und Methoden<br />

der SED im gegenwärtigen Zeitpunkt der braunen Barbarei<br />

manchmal nur zu ähnlich sind. Da kann man auch nicht mit<br />

Zahlen operieren und sagen, bei den Nazis waren es mehr,<br />

oder die Nazis waren brutaler. Ist es nicht vielleicht auch<br />

so, daß die kommunistische <strong>Theorie</strong> als dogmatische Verallgemeinerung<br />

der Erfahrungen aus dem Industrialisierungsprozeß<br />

unter den besonderen Bedingungen der Sowjetunion,<br />

übertragen auf die Erfordernisse einer sehr<br />

viel differenzierteren, hochindustrialisierten Gesellschaft,<br />

auf deren Probleme noch immer keine Antwort gibt, und<br />

daß daher ihre Anwendung in der Praxis der DDR notwendig<br />

auch „reaktionäre Züge" zeigen muß? Welche deutschen<br />

traditionellen Eigentümlichkeiten spielen außerdem<br />

im Herrschaftssystem der DDR eine Rolle? (die besondere<br />

deutsche Tradition des Kommunismus, der in seiner Geschichte,<br />

abgesehen von der Anfangszeit, kaum je ein<br />

dauerhaftes Verhältnis zur Arbeiterschaft hat herstellen<br />

können; das deutsche Verständnis von Gehorsam und Befehl;<br />

unser traditionelles Verhältnis zur Gewalt und zur<br />

Macht; das Fehlen einer lebendigen und mutigen Schicht<br />

der Intelligenz etc. etc.).<br />

23


Wichtiger aber noch für Deine Fragestellung scheint mir<br />

zu sein, einmal zu untersuchen, welche Möglichkeiten eine<br />

politische Führung wie die der DDR hat, die eigene politische<br />

Ordnung zu stabilisieren, und zwar gerade dann,<br />

wenn ökonomische Erfolge noch für längere Zeit schwer<br />

realisierbar erscheinen und die Führung selbst durch die<br />

Fülle immer erneut gegebener und dann nicht gehaltener<br />

Versprechungen kaum noch einmal die Chance hat, das<br />

Vertrauen der Bevölkerung zu erwerben? Liegt bei einer<br />

solchen Situation nicht der Versuch nahe, »außenpolitische"<br />

Erfolge zu erreichen, um die eigene Herrschaft zu<br />

stabilisieren (Ähnliches haben auch die Nazis getan)? Daß<br />

es immer Tendenzen in der SED gegeben hat, die Sowjetunion<br />

für eine solche Politik auch bereits zu einem früheren<br />

Zeitpunkt zu gewinnen, ist kaum zu bezweifeln.<br />

Noch eine letzte Bemerkung zu dem Teil III Deiner Thesen,<br />

die einen einleitenden Gedanken von mir wieder aufnimmt:<br />

Jede Politik, die nur darauf ausgeht, das, was Du den<br />

„Status quo" nennst, lediglich „anzuerkennen", muß letztlich<br />

versagen. Was wir wirklich brauchen, ist der Einbau<br />

der auf uns zukommenden „politischen Notwendigkeiten"<br />

in eine umfassende Vorstellung einer deutschen oder gesamtwestlichen<br />

„Ostpolitik". (Dabei bleibt im einzelnen<br />

zu fragen, ob die politischen Notwendigkeiten genau die<br />

sind, die Du aufzählst. Ist z. B. die Anerkennung der<br />

Oder-Neiße-Linie für die Sowjetunion oder gar die DDR<br />

genau so wichtig wie z. B. für Polen und für eine sinnvolle<br />

deutsche Ostpolitik? Bleibt das militärische Auseinanderrücken<br />

der beiden Militärblöcke nicht auch in Zukunft<br />

wichtig und der Überlegung wert? etc. etc.) Für die Konzipierung<br />

einer solchen umfassenden „Ostpolitik" bietet die<br />

Lösung der Berlin-Krise einen wichtigen Ansatzpunkt. Gerade<br />

unter diesem Aspekt darf man dann allerdings nicht<br />

die gesamte politische Auseinandersetzung auf die Berlind-<br />

Frage verengen. Genau an diesem Punkt beginnt dann<br />

erst die eigentliche Problematik. Hier gilt es, Stellung zu<br />

nehmen zu den Ergebnissen der sozialen Revolutionen,<br />

die im Ostblock stattgefunden haben und ständig weiter<br />

stattfinden. Hier muß ein neues Verständnis des Begriffs<br />

der Freiheit und der Demokratie gewonnen werden, ein<br />

Verständnis, das sich auch kritisch verhalten muß zur<br />

Situation in der eigenen Gesellschaft. Dieser Aufgabenstellung<br />

fügt sich ein in die Notwendigkeit, auch für die<br />

Politik gegenüber den Entwicklungsländern eine neue politische<br />

Perspektive zu finden.<br />

Du wirst verstehen, wenn ich diese mir am wichtigsten erscheinenden<br />

Themen hier nicht im einzelnen weiter ver-<br />

24


folge. Ich wollte mit meinem Brief lediglich „infrage stellen",<br />

nicht um zu entmutigen, sondern um deutlich zu<br />

machen, daß wir alle »weiter'-überlegen müssen, zeitlich<br />

wie auch räumlich. Es würde mich freuen» wenn meine<br />

wenigen und willkürlich herausgegriffenen Fragen die<br />

Notwendigkeit dazu deutlich gemacht haben.<br />

Berlin NW, 2. November 1961 Herzlich Dein H. Z.<br />

Thomas Metscher<br />

Berlin - Krise der westlichen Politik<br />

An der Berlinkrise zeigt sich, was die oppositionelle Linke<br />

seit Jahren vorausgesagt hat: der Zusammenbruch der<br />

westlichen Politik. Oder genauer: daß diese Politik schon<br />

immer ohne Alternative gewesen ist, d. h., das Moment der<br />

Reflexion über eigene Voraussetzungen, das den Begriff<br />

des Politischen ausmacht und die Möglichkeit zur Flexibilität<br />

und Revision offenhält, nie gekannt hat; also eigentlich<br />

den Titel des Politischen nicht verdient. <strong>Der</strong> Widerspruch,<br />

der, obwohl-als ein solcher bestritten, dieser Politik<br />

immanent war, bestand darin, daß als einziges Mittel<br />

politischer Aktion der Aufbau einer nuklearen Abschrekkungsfront<br />

angesehen wurde (die sog. deterrent theory),<br />

ohne daß jedoch der militärische Einsatz der Bombe hätte,<br />

wie auch immer, gerechtfertigt werden können, ja, ohne<br />

daß man — von einigen Faschisten im Pentagon abgesehen<br />

— überhaupt damit gerechnet hat, die Drohung zur Wahrheit<br />

werden zu lassen und die nuklearen Vernichtungsmittel<br />

einzusetzen. Drohung also zugleich mit der zynischtreuherzigen<br />

Versicherung, es nie so weit kommen zu<br />

lassen; die Möglichkeit universaler Vernichtung als Mittel,<br />

diese selbst zu vermeiden und gleichzeitig politisches<br />

Prestige zu wahren. — Einseitiges Vertrauen auf militärische<br />

Stärke, die Bombe als Substrat der Außenpolitik<br />

definiert den Militarismus heute; insofern steckt selbst in<br />

den wûstesteû Propagandareden des Neuen Deutschland<br />

noch ein Körnchen Wahrheit.<br />

In Berlin ist nun deutlich geworden, daß dieser Widerspruch<br />

nicht eine Angelegenheit bloß theoretischer Uberlegung,<br />

sondern, immer schon, ein solcher unserer politischen<br />

Praxis gewesen ist. Nur durch militärisches Eingreifen hätte<br />

die „Mauer" verhindert werden können, ja, was schwerer<br />

wiegt, lediglich durch militärisches Eingreifen kann auf die<br />

Dauer weiteren sowjetischen Agressionen begegnet werden.<br />

Mit der Vernichtungsdrohung müßte der Westen also<br />

ernst machen. Er muß einen Krieg beginnen, bleibt er .dem<br />

Gesetz, nach dem er angetreten, treu. Seine Alternative<br />

besteht aus einer generellen Kapitulation: entweder vor<br />

25


den Sowjets oder vor den Militaristen in seinen eigenen<br />

Reihen.<br />

Die ganze abendländische Verteidigungsideologie ist also<br />

weggeblasen; es müßte auch den Blinden klargeworden<br />

sein, daß sich westliche Nachkriegspolitik wenigstens in<br />

einem Punkt von der sowjetischen nicht unterschied: dem<br />

der Heuchelei, des Zynismus und der Brutalität; also in<br />

moralischer Disqualifikation. *<br />

» » «<br />

Vom Gesichtspunkt dieser Analyse aus betrachtet, besteht<br />

das Verdienst der Vorschläge Hàugs darin, die einzigen<br />

uns gebliebenen Möglichkeiten einer politischen<br />

Lösung des Problems skizziert zu haben, d. h., einer solchen<br />

Lösung, die nicht Kapitulation bedeutet. Wird der Westen<br />

endlich, im Angesicht der Katastrophe, beginnen, Politik<br />

zu betreiben?<br />

Die Chancen sind verpaßt, günstigere Bedingungen auszuhandeln.<br />

Heute bleibt uns nur noch der Weg über die<br />

Anerkennung von Oder-Neiße und DDR — oder Krieg in<br />

Deutschland als Beginn der universalen Vernichtung. Was<br />

aber für Berlin? Auch ich sehe, wie Mauke, nur Sicherheit<br />

über die UNO. In diese Richtung müßte sich westliche Verhandlungsbereitschaft<br />

orientieren.<br />

Zu einem Einwand (Lenz): Im großen und ganzen stelle ich<br />

mich hinter die „Ideologiekritik" Haugs an der westdeutschen<br />

Presse, obgleich das Problem natürlich, wie Haug<br />

wissen wird, einer differenzierteren Analyse bedürfte. Auch<br />

die entschiedenste Ablehnung und Verurteilung der Methoden<br />

der SED darf uns nicht verführen, leichtfertige<br />

Parallelen zu den nationalsozialistischen Verbrechen zu<br />

ziehen; wer die Unterschiede zwischen Buchenwald und<br />

Qstberlin, die nicht quantitativer sondern qualitativer<br />

Natur sind, hinwegleugnet, macht sich in der Tat, bewußt<br />

oder unbewußt, zum posthumen Apologeten der Judenvernichtung,<br />

ja, treibt de facto faschistische Agitation.<br />

Um jedem börartigen Mißverständnis vorzubeugen: <strong>Der</strong>jenige,<br />

der die Differenz in der Qualität zwischen SS und<br />

SED aufrechterhält, identifiziert sich damit noch lange nicht<br />

und in keiner Weise mit der Ulbrichtdiktatur. Im Gegenteil:<br />

seine Kritik ist wahrscheinlich entschiedener und aufrichtiger<br />

als die Propaganda der anderen, aus dem einfachen<br />

Grund, weil sie den Phänomenen gerechter wird<br />

und nicht alles blind und emotional in einen Topf wirft;<br />

sich überdies weigert, die gegenwärtige politisch-gesellschaftliche<br />

Realität demagogisch unter die Alternative<br />

freiheitlich-totalitär zu subsumieren.<br />

Belfast, 5. November 1961<br />

26


Prof. Ossip K. Flechtheim<br />

Wenn schon nicht „idealistisch",<br />

dann wenigstens „realistisch"<br />

Lieber W. F. H„<br />

Besten Dank für Ihren Brief.<br />

Ich stimme mit Lenz überein, daß Ulbricht und Hitler sich<br />

ähneln — identisch sind sie sicherlich nicht. Auch ist<br />

Ulbricht nur Teil eines größeren Ganzen — die Parallele<br />

Hitler-Chruschtschow ist sehr falsch und gefährlich.<br />

An der Berlin-Frage läßt sich klar erkennen, wie weit heute<br />

ethische Forderung und politische Realität auseinanderklaffen.<br />

Würde man auf der Grundlage einer Ethik der<br />

Nächstenliebe, der Gewaltlosigkeit, des Opfers etwa im<br />

Sinne eines Ghandi oder Bhave, eines Tolstoi oder Schweitzer<br />

an die Problematik Berlins und Deutschlands herangehen,<br />

so ließe sich durchaus denken, daß die zwei Millionen<br />

Westberliner freiwillig auf ihre große Stadt verzichten<br />

würden, um mit der Hilfe der gesamten friedliebenden<br />

Welt eine neue Stadt des Friedens in Westdeutschland<br />

aufzubauen. In diesem Falle wäre auch der Westen ganz<br />

frei, jede Art von Anerkennung der DDR zu verweigern.<br />

Er wäre keinem Druck ausgesetzt und hätte auch noch eine<br />

moralisch absolut unangreifbare Position. Wir wissen nicht,<br />

ob eine solche ganz selbstlose Opfertat heute in der Welt<br />

verstanden würde — es ist utopisch, sie zu fordern, da<br />

wir <strong>Berliner</strong> selber einfach nicht die moralische Überlegenheit<br />

besitzen, um sie durchzuführen. Junge Menschen<br />

könnten vielleicht einmal so selbstlos und weitsichtig<br />

handeln — wir Älteren sind so sehr Sklaven unserer Vorurteile<br />

und Gewohnheiten, unserer täglichen Sorge und<br />

Habe, daß wir uns eher mit allen Risiken der Gewalt und<br />

des Unterganges im Kriege abfinden, als daß wir freiwillig<br />

im Frieden ein ganz großes Opfer zu bringen imstande<br />

wären.<br />

Verzichten wir also auf eine genauere Erörterung der verschiedenen<br />

Aspekte einer „idealistischen" Lösung, die vielleicht<br />

auf lange Sicht gesehen gar nicht so „unrealistisch"<br />

wäre, wie man allgemein behaupten würde. Versuchen wir,<br />

mit ein paar Worten eine „realistische" Perspektive zu<br />

eröffnen.<br />

Auszugehen ist von der schmerzlichen Tatsache, daß gerade<br />

in Berlin die militärische und politische Position des<br />

Westens schwächer geworden ist. Heute verfügt die Sowjetunion<br />

über so viele A- und H-Bomben, daß die militärische<br />

Verteidigung Berlins in einem totalen Krieg nur<br />

um den Preis der Zerstörung, wenn nicht der Menschheit,<br />

27


ao zumindest Europas und damit auch Berlins möglich<br />

wäre. Ohne Einsatz von Atombomben aber wäre Berlin in<br />

einem „konventionellen" Krieg schon gar nicht zu halten.<br />

Politisch gesehen arbeitet die Zeit noch für den status quo,<br />

d. h., für die allmähliche Festigung der deutschen Spaltung<br />

und die Anerkennung der beiden deutschen Teilstaaten.<br />

Die Regelungen von 1945 bis 1949 mögen rein juristisch<br />

noch so unanfechtbar sein — politisch werden sie immer<br />

problematischer: Selbst der Jurist kommt auf die Dauer<br />

nicht um die sog. „normative Kraft des Faktischen" herum.<br />

Wir werden uns also wohl oder übel damit abfinden müssen,<br />

daß die Verhandlungen über Berlin, die so bald wie<br />

möglich einsetzen sollten, voraussichtlich mit einem Ubereinkommen<br />

enden werden, das der neuen Machtkonstellation<br />

in Mitteleuropa Rechnung trägt.. <strong>Der</strong> Westen wird<br />

nicht umhin können, in der einen oder anderen Form die<br />

Existenz zweier deutscher Staaten und ihre derzeitigen<br />

Grenzen anzuerkennen. Eine solche diplomatische Anerkennung<br />

schließt durchaus nicht die moralische Billigung<br />

eines bestimmten politischen oder sozialen Systems ein.<br />

Sie scheint mir aber heute die Voraussetzung für die Gewährleistung<br />

der Freiheit Berlins und seiner freien Zufahrtswege<br />

seitens des Ostens zu sein, ja, darüber hinaus<br />

wohl eine Basis für den Beginn einer noch so begrenzten<br />

und schwachen Entspannung zwischen den Großmächten,<br />

die wir so bitter nötig haben. Eine solche Anerkennung<br />

würde vielleicht auch eine Annäherung zwischen den beiden<br />

deutschen Teilstaaten erleichtern, die wiederum die<br />

Freizügigkeit teilweise wiederherstellen könnte. Eines<br />

sollte uns dabei besonders am Herzen liegen: eine Amnestie<br />

für die politischen Gefangenen in der DDR — hierauf<br />

sollte der Westen bei den bevorstehenden Verhandlungen<br />

drängen und hierfür sollte er bereit sein, eine Amnestie<br />

der in der Bundesrepublik inhaftierten Kommunisten anzubieten.<br />

Auf die Einzelheiten brauchen wir hier nicht einzugehen:<br />

Berlin selber könnte als Freistadt in Zoll-, Währungs- und<br />

Wirtschaftsunion mit der Bundesrepublik und unter dem<br />

Protektorat der Westmächte oder neutraler Staaten konstitutiert<br />

werden. Man könnte auch an eine Stadt der UNO<br />

denken, die auch die Verbindungswege garantieren würde.<br />

Eine solche Lösung scheint praktikabler zu sein als etwa<br />

der auch schon diskutierte Austausch von Territorien oder<br />

gar Bevölkerungen. Wird aber eine solche Vereinbarung<br />

von Dauer sein? Wird der Osten nicht bald neue Forderungen<br />

stellen? Wird nicht das Streben nach nationaler<br />

Einheit alle derartigen Vereinbarungen gefährden?<br />

28


Eine Lösung für die Jahrhunderte ist heute unmöglich. Es<br />

wäre schon viel gewonnen, wenn die Freiheit Berlins und<br />

der Friede in Mitteleuropa für einige Jahre oder Jahrzehnte<br />

gesichert werden könnten. Vielleicht wird dann<br />

die Zeit auch einmal für eine bessere Welt arbeiten, so<br />

wie es der fünfundsiebzig jährige Thomas Mann erhoffte:<br />

„wenn wir sie — die Zeit — gewähren lassen bei ihrem<br />

Werk des Ausgleichs und der Aufhebung von Gegensätzen<br />

zu höherer Einheit, und wenn wir sie, der Einzelne<br />

und die Völker, erfüllen mit der Arbeit an uns selbst."<br />

„Die Zeit", sagte jener große Deutsche und Europäer, „ist<br />

ein kostbares Geschenk, uns gegeben, damit wir in ihr<br />

klüger, besser, reifer, vollkommener werden. Sie ist der<br />

Friede selbst, und Krieg ist nichts als das wilde Verschmähen<br />

der Zeit, der Ausbruch aus ihr in sinnlose Ungeduld."<br />

Prof. John H. Herz<br />

FUr eine UNO-Stadt Berlin<br />

Es scheint, daß der von den Sowjets kürzlich unterbreitete<br />

Vorschlag, den Sitz der Vereinten Nationen nach Westberlin<br />

zu verlegen, im Westen wenig Widerhall findet.<br />

Vielleicht war er tatsächlich darauf angelegt, nicht nur<br />

Berlin sondern auch die Weltorganisation in eine Falle zu<br />

locken. Wenn der Westen geschickt wäre, könnte er jedoch<br />

ganz im Gegenteil diesen Vorschlag als vielleicht einzigartige<br />

Gelegenheit zur gleichzeitigen Lösung zweier verzwickter<br />

Weltprobleme — des Berlin-Problems und des<br />

Problems des Sekretariats der Vereinten Nationen — benützen,<br />

nämlich dadurch, daß er zwischen beiden ein Junktim<br />

schafft.<br />

Das heißt also, daß die Westmächte Chruschtschows Vorschlag,<br />

die Vereinten Nationen (entweder ganz oder den<br />

größten Teil dieser Organisation) nach Westberlin zu verlegen,<br />

ernstlich in Erwägung ziehen sollten, vorausgesetzt,<br />

daß a) Chruschtschow seinen Troika-Plan endgültig fallen<br />

läßt, d. h., auch für die 1963 fällige Neuwahl eines Generalsekretärs<br />

(wie er es ja bereits für die Wahl des einstweiligen<br />

Generalsekretärs, U Thant, getan hat) ; denn nur unter<br />

einem unabhängigen und „veto"freien Leiter kann die<br />

Organisation in Berlin und von Berlin aus vernünftig funktionieren.<br />

b) Dié Sowjetunion und das ostdeutsche Regime<br />

vereinbaren mit den jetzigen drei Besatzungsmächten<br />

einen echten Freistadt-Status für Westberlin, in dem die<br />

Exterritorialität der Stadt so detailliert wie möglich festgelegt<br />

wird, was praktisch bedeutet, daß die Bevölkerung<br />

der Stadt und ihre Regierung Souveränität genießen.<br />

29


c) <strong>Der</strong> Osten erkennt das Recht der Freistadt an, den Vereinten<br />

Nationen oder ihren Behörden jenen Status und jene<br />

Privilegien einzuräumen, die sie jetzt auf Grund einschlägiger<br />

Abkommen mit den Vereinigten Staaten genießen.<br />

d) Die Sowjet-Union und die DDR schließen mit den Vereinten<br />

Nationen (letztere im Namen all ihrer Mitglieder<br />

handelnd) ein Abkommen, wonach das Recht der freien<br />

Zufahrt nach Westberlin mittels einer internationalisierten,<br />

von den Vereinten Nationen zu kontrollierenden und<br />

patroullierenden Autobahn wie auch durch uneingeschränkte<br />

Garantien der Luft-, Eisenbahn- und Wasserwege<br />

nach Berlin für die Bürger aller Länder und den<br />

Verkehr aller Völker garantiert wird, e) Als Gegenleistung<br />

erklärt sich der Westen bereit, Berlins gegenwärtigen Besatzungsstatus<br />

zu beenden und seine Truppen zu Gunsten<br />

einer Truppe der Vereinten Nationen zurückzuziehen.<br />

Westberlin verzichtet auf seine gegenwärtigen politischen<br />

und verwaltungstechnischen (nicht jedoch seine wirtschaftlichen!)<br />

Bindungen an die Bundesrepublik.<br />

Eine solche oder ähnliche Regelung würde Westberlin so<br />

viel Schutz bieten wie es unter einem neuen Status überhaupt<br />

möglich wäre, da eine Verletzung dieses Status ja<br />

die ganze Welt betreffen würde. Sie könnte auch Chruschtschow<br />

attraktiv erscheinen, a) da sie dessen schon seit so<br />

langer Zeit und so oft wiederholte Forderung nach einem<br />

neuen Status Westberlins befriedigen würde, ohne daß er<br />

sein Gesicht zu verlieren brauchte; b) da sie tatsächlich<br />

manche Reibungsflächen aus der Welt schaffen würde; c) da<br />

sie eine defacto Anerkennung der DDR bedeuten würde. Aus<br />

diesem letzteren Grunde mag sie dem Westen widerwärtig<br />

sein. Jedoch wird er zu dieser Anerkennung früher oder später<br />

sowieso gezwungen sein, und je eher es geschieht, umso<br />

weniger „Gesicht" verliert er dabei. Und im Gegensatz<br />

zu einer weitverbreiteten Fehlauffassung würde der Westen<br />

und besonders die Deutschen durch ein solches Sichde-facto-Abfinden<br />

in keiner Weise gezwungen sein, die<br />

Hoffnung auf dereinstige Wiedervereinigung und die Forderung<br />

nach Wiedervereinigung aufzugeben. Andrerseits<br />

kann es der Westen nicht zulassen, daß deutsche Empfindlichkeit<br />

dauernd eine Kompromißlösung verhindert, die<br />

vielleicht die einzige Alternative zu einem furchtbaren<br />

Zusammenstoß darstellt. (Deutsch von L. Flechtheim)<br />

New York, November 1961<br />

30


Eichmann und andere<br />

Fritze Wolf<br />

Die Schüler des<br />

Hofpredigers Stoecker<br />

Wenige Tage bevor Berlin vollends zerteilt wurde, tagten<br />

in der ehemaligen Reichshauptstadt 350 Delegierte eines<br />

Verbandes, der mit Recht von sich sagen könnte, daß er<br />

als eine der ersten Organisationen in Deutschland an der<br />

Wegbereitung des Faschismus gearbeitet hat. Er sagt- es<br />

indes nicht, vielleicht noch nicht wieder. Aber seine Vertreter<br />

nehmen den ehrenwerten Mund doch wieder beachtlich<br />

voll. Zu ihrem Kummer hat ihr gesellschaftlicher und<br />

mehr noch ihr staatlicher Einfluß durch die Ereignisse des<br />

Jahres 1945 etwas gelitten. Aber das soll jetzt anders werden.<br />

Und so wollen sie sich bald wieder „genauso für den<br />

nationalen Gedanken einsetzen, wie die ältere Generation<br />

es getan hat". Was garnicht so abwegig ist, wie unsere<br />

harmlosen Leser denken mögen, repräsentiert doch die<br />

Bundesrepublik, wie der hochgestellte christlich-demokratische<br />

Festredner den ehrbaren Versammelten zuruft, wieder<br />

ein „militärisch und wirtschaftlich machtvolles Deutschland".<br />

Begeistert applaudieren die Korporierten und verpflichten<br />

sich in einer Resolution „zur sofortigen oder<br />

künftigen ehrenamtlichen Übernahme eines staatlichen<br />

oder sozialen Amtes". Für derartige Ämter kann man<br />

dieser einflußreichen Elite in der Tat eine traditionelle<br />

Neigung nicht absprechen. Können sie doch darauf hinweisen,<br />

daß sie sich schon immer für das „Verhältnis von<br />

Volk und Staat und die Volkstumsarbeit" interessiert<br />

haben, soweit sie nicht durch „Grenzlandsarbeit" anderweitig<br />

in Anspruch genommen waren. Es ist wahr, daß die<br />

Lehren Adolf Stoeckers, ihres auch heute noch mit Verehrung<br />

genannten Lehrers, viele Jahrzehnte lang nichts<br />

von ihrer Wirkung auf den Verband verloren haben. Auch<br />

die antisemitische Agitation des heute achtzigjährigen<br />

Verbandes war ja nicht verloren. Nur gebührt dem Hof-<br />

31


prediget Stoecker das historische Verdienst, nicht nur die<br />

erste letztlich durch Antisemitismus zusammengehaltene<br />

Massenbewegung als Waffe gegen die Sozialdemokratie<br />

ins politische Leben gerufen, sondern auch den Herrschenden,<br />

nämlich dem Königshaus, den ostelbischen Rittergutsbesitzern<br />

und einigen Herren von der schweren Industrie,<br />

die epochale Nützlichkeit dieses seines Verfahrens klar<br />

vor Augen geführt zu haben. Ein gewichtiger Grund, sich<br />

heute dankbar auf ihn zu berufen.<br />

Da es sich empfiehlt, die in dieser Glosse mitgeteilten Aussprüche<br />

zweimal zu lesen und da unsere Leser es zudem<br />

vorziehen mögen, über derartige gesellschaftliche Entwicklungen<br />

nicht nur in Form einer Glosse informiert zu werden,<br />

fügen wir hier, in vollem Wortlaut, einen Bericht<br />

von Klaus Gennrich über die genannte Tagung an, den der<br />

<strong>Berliner</strong> „Tagesspiegel" am 8. August 1961 veröffentlichte:<br />

Festakt des Kyffhäuser-Verbandes<br />

Studenten wollen politisches Interesse wecken<br />

Auf einem Festakt des Verbandes der Vereine Deutscher<br />

Studenten (Kyffhäuser-Verband) sagte der Verbandsvorsitzende,<br />

Dr. Herbert Fankhänel, man habe den 80. Verbandstag<br />

des Bundes mit dem Thema „Soziale Aufgaben<br />

einst und heute" nach Berlin einberufen, da hier das Wissen<br />

vom anderen Teil Deutschlands mehr als anderswo in<br />

alle Überlegungen einbezogen werde.<br />

Nach einem Grußwort des Zehlendorfer Bezirksbürgermeisters<br />

Dr. Stiewe, in dessen Bezirk die Verbandstagung<br />

und der abschließende Festakt mit 350 Delegierten stattfanden,<br />

hielt Professor Dr. Karl Jordan, Kiel, den Festvortrag<br />

über „Die Vereine Deutscher Studenten und die sozialen<br />

Aufgaben in acht Jahrzehnten". Jordan schilderte die<br />

Wirkung der Lehren Adolf Stoeckers und Friedrich Naumanns<br />

auf den Verband, der einige Monate vor der sozialen<br />

Botschaft Wilhelms I. im Jahre 1881 im Kyffhäuser ins<br />

Leben gerufen wurde. <strong>Der</strong> Verband habe seit 1890 die<br />

staatliche Sozialpolitik Wilhelms II. energisch unterstützt.<br />

Um die Jahrhundertwende seien in der Arbeit des Verbandes<br />

„nationalpolitische Fragen" in den Vordergrund<br />

getreten. Dazu hätten vor allem das „Verhältnis von Volk<br />

und Staat und die Volkstumsarbeit" gehört. Dabei hätte<br />

die „Grenzlandsarbeit" eine besondere Rolle gespielt.<br />

Jordan klagte im Verlauf seiner weiteren Ausführungen<br />

darüber, daß heute weit weniger Mitglieder dieses Korporationsverbandes<br />

in „offiziellen Stellungen" tätig seien als<br />

vor 1945. Das will man allerdings beheben. Zu diesem<br />

Zweck faßte man eine Resolution, derzufolge sich alle ak-<br />

32


tiven und inaktiven Mitglieder des Kyffhäuser-Verbandes<br />

zur sofortigen oder künftigen ehrenamtlichen Übernahme<br />

eines staatlichen oder sozialen Amtes verpflichten.<br />

<strong>Der</strong> Bundestagsabgeordnete Professor Dr. Friedensburg<br />

wandte sich in seiner Ansprache gegen Alarm- und Panikgerüchte<br />

um die Lage in Berlin. Für die Situation<br />

Berlins sei es tröstlich zu wissen, daß die Bundesrepublik<br />

wieder ein „militärisch und wirtschaftlich machtvolles<br />

Deutschland" repräsentiere. Friedensburg rief die begeistert<br />

beifallspendenden Korporationsstudenten auf, sich<br />

„genauso für den nationalen Gedanken einzusetzen wie<br />

die ältere Generation das getan hat", denn ein so „hoher<br />

und unvergänglicher Wert wie der nationale Gedanke"<br />

verliere auch durch seinen zeitweiligen Mißbrauch nicht<br />

an Gültigkeit. Falls einmal der „Ruf nach Freiwilligen"<br />

nötig würde, den „Dienst an Volk und Vaterland" zu erfüllen,<br />

sollten die Studenten dazu bereit sein. Die eigene<br />

Abneigung gegen Opfer und Mühen und der Wunsch,<br />

gut leben zu wollen, bergen nach Friedensburgs Worten<br />

eine größere Gefahr für die Freiheit des Westens und<br />

Berlins als die politische Tagessituation."<br />

Reinhard Strecker<br />

Die Namen nennen<br />

Es ist die Öffnung der schon bestehenden Archive und<br />

die Schaffung eines zentralen <strong>Institut</strong>s vonnöten, an dem<br />

über das Dritte Reich, seine Verbrechen, seine Helfer<br />

und über den deutschen Widerstand geforscht werden<br />

kann. Man muß betonen, daß <strong>Institut</strong>e, in denen Dokumente<br />

nur über die Staatsanwaltschaft oder, wie die in<br />

Deutschland übliche Definition heißt, ausschließlich ' zu<br />

Zwecken „rein wissenschaftlicher Forschung" (d. h. Entfernung<br />

des Gegenwartsbezugs, keine Namensnennungen)<br />

eingesehen werden können, diesem Ziele nicht<br />

entsprechen.<br />

Es gilt immer noch'-als opportun, gegen die Verbrechen<br />

der Nazis ganz allgemein sich auszusprechen. Es gilt aber<br />

als im höchsten Grade unfein, gegen die Verbrechen von<br />

Prof. Six zu sein. Eine Reinigung unseres öffentlichen<br />

Lebens von den Verbrechern der NS-Zeit und ihren Helfershelfern<br />

ist aber ohne Namensnennung nicht möglich.<br />

Ein Dr. Pook, der den lukrativen Einfall hatte, das Zahngold<br />

der Ermordeten sammeln zu lassen, darf heute seine<br />

33


lebenden Patienten in Berlin versorgen. Ein Ferdinand<br />

Fried alias Prof. Friedrich Zimmermann, einer der vulgärsten<br />

Antisemiten, der das deutsche Volk schon in<br />

den ersten Jahren des NS-Regimes über den „zersetzenden"<br />

Einfluß der Juden „aufklärte", ist an führender Stelle<br />

im deutschen Journalismus tätig. Ein Dr. Achim Gercke,<br />

Rassesachverständiger beim Reichsinnenministerium, ist<br />

seit vielen Jahren Mitarbeiter der evangelischen Landeskirche<br />

Hannover. Es ist einfach unmöglich, daß ein<br />

Prof. Dr. Berber heute noch an einer deutschen Universität<br />

lehren darf; es sollte nicht geduldet werden, daß<br />

ein Herr Seraphim Professor an der Verwaltungsakademie<br />

Nordrhein-Westfalen ist.<br />

Ein Globke im Bundeskanzleramt, ein Conring im Bundestag,<br />

ein Reinefarth im Landtag, ein Baumkötter in der<br />

Ärztekammer, ein Zimmermann in der Anwaltskammer,<br />

ein Faust und Ambros in der Industrie- und Handelskammer<br />

und an der Börse stellen eine nachträgliche Billigung<br />

der Untaten des Dritten Reiches seitens ihrer Berufskollegen<br />

dar, die sie nicht ausschließen. Es ist eine<br />

Illusion, zu glauben, das Problem stürbe mit den belasteten<br />

Personen aus. Es bleibt uns als unbewältigte Gegenwart<br />

und raubt auch jedem „Neuoeginn" seine moralische<br />

Grundlage.<br />

(Auszug aus dem Protokoll der Rede von<br />

Reinhard Strecker auf der XVI. Delegiertenkonferenz<br />

des SDS am 6. 10. 1961)<br />

34


Gerhard Schoenberner<br />

Eichmann<br />

und die Deutschen<br />

Warum und zu Welchem Ende wird 16 Jahre nach Kriegsende<br />

dieser Prozeß geführt? Wozu der ganze Aufwand<br />

für jenen Einen? Kann sein Tod etwas sühnen? Ist es<br />

nicht endlich an der Zeit, die Vergangenheit ruhen zu<br />

lassen? Gibt es nicht neue Gefahren, die unsere volle<br />

Aufmerksamkeit verlangen? So wird in verschiedenen<br />

Tonlagen, je nach Intelligenz und politischer Einstellung,<br />

immer wieder gefragt.<br />

Tatsächlich ist noch nie in der Menschheitsgeschichte vor<br />

einem Gericht eine so furchtbare Anklage erhoben worden,<br />

wie 1961 in Jerusalem. So wenig die menschliche<br />

Sprache Worte hat, diese Bluttaten zu beschreiben, so<br />

wenig kennt das Gesetz eine Strafe, die sie sühnen<br />

könnte. Es geht und ging weder um den Angeklagten<br />

allein, der seiner Bedeutungslosigkeit entsprechend während<br />

des Verfahrens immer mehr in den Hintergrund<br />

trat, noch um das Urteil gegen ihn, das heute kaum<br />

jemand noch interessiert. Israels Versuch, den Massenmord<br />

an den Juden Europas vor aller Welt gerichtsnotorisch<br />

zu machen, kann einen Sinn nur erhalten, wenn<br />

man den Prozeß als historische Lektion versteht.<br />

35


Nicht ein selbstquälerischer Zwang, immer wieder in die<br />

Vergangenheit zurückzukehren, läßt uns gerade Sn<br />

Deutschland zu dieser immer wieder vertagten Auseinandersetzung<br />

raten, sondern die Sorge um die innere<br />

Verfassung unseres Volkes und die äußere, in der es<br />

morgen leben wird. Es kann eine ganze Nation auf die<br />

.Dauer nicht ein Leben mit der Lüge führen, ohne schweren<br />

Schaden zu nehmen. Die beängstigend pathologischen<br />

Züge unserer Gesellschaft, ihr neurotisches Verhältnis<br />

zur eigenen Geschichte und ihr noch immer gestörtes<br />

politisches Bewußtsein sprechen eine deutliche Sprache.<br />

Nach dem Zusammenbruch der Hitlerdiktatur haben sich<br />

die Deutschen aus materiell und psychologisch sehr verständlichen<br />

Gründen auf den äußeren Aufbau, die Schaffung<br />

einer materiellen Basis konzentriert. Imponierende<br />

Fassaden aus Glas und Beton zeugen davon. <strong>Der</strong> innere<br />

Gesundungsprozeß ging weniger zielstrebig vor sich.<br />

Mußte man zuerst die Folgen beseitigen, ehe man über<br />

deren Ursachen nachdenken konnte, so meinte man später<br />

die Frage nach den Ursachen mit dem Hinweis auf<br />

die rasche Beseitigung der Folgen abtun zu können. <strong>Der</strong><br />

immer wiederholte Versuch, die Vergangenheit zu umgehen,<br />

sie zu tabuisieren und aus dem Gedächtnis zu<br />

löschen, führte je länger je mehr zu ebenso grotesken<br />

wie unwürdigen Manövern. Diese Politik des Als-ob ist<br />

gescheitert, sie mußte scheitern, weil die „unbewältigte<br />

Vergangenheit", hundertmal verleugnet und nur zu gut<br />

„bewältigt", in die Gegenwart mitgeschleppt wurde, weil<br />

sie täglich spürbar in unsere Gegenwart hineinwirkt und,<br />

solange nicht innerlich und äußerlich wirklich überwunden,<br />

selbst Teil dieser Gegenwart ist.<br />

« • *<br />

Es ist für den Grad der allgemeinen Erkenntnis dieses<br />

Tatbestandes charakteristisch, daß der Prozeß zunächst<br />

und zuvörderst unter dem Gesichtspunkt seiner möglichen<br />

„Wirkung im Ausland" beobachtet und mit dem<br />

Ziel öffentlich erörtert wurde, sie auf diese Weise bereits<br />

psychologisch abzufangen, wie man das auch nach der<br />

Kölner Synagogenschändung bis zur Peinlichkeit und mit<br />

höchst zweifelhaftem Erfolg versucht hat 1 . Muß man wirklich<br />

noch sagen, daß „die Optik", auf die man hierzulande<br />

so ängstlich bedacht ist, um so besser sein wird, je mehr<br />

wir sichtbar machen, daß es uns um die Sache selbst<br />

geht, und daß wir aus der Vergangenheit gelernt haben?<br />

1 Vgl. Gerhard Schoenberner, Das Menetekel von Köln,<br />

Argument Nr. 16, Seite 40 f.<br />

36


Tatsächlich ist die befürchtete „antideutsche Welle" ausgeblieben,<br />

sogar in Israel. Es war naturgemäß unvermeidlich,<br />

daß der Prozeß vor allem in den während des<br />

zweiten Weltkriegs Überfallenen europäischen Nachbarstaaten<br />

schmerzhafte Erinnerungen weckte. Gewiß war<br />

für die Völker, die unter der deutschen Besatzungsmacht<br />

leben mußten, der Unterschied zwischen Wehrmacht, Feldpolizei<br />

und SS im Endeffekt wenig relevant: es waren<br />

Deutsche hier wie dort, ihre Funktion schien eher eine<br />

Sache der Arbeitsteilung. Immerhin weiß man heute doch<br />

genügend über den Charakter einer Diktatur, um das<br />

deutsche Volk mit der Nazibewegung nicht schlechthin<br />

gleichzusetzen, wenn man es sich außerhalb Deutschlands<br />

bei dieser Trennung auch nicht ganz so bequem macht<br />

wie bei uns. Zum anderen übersieht man hierzulande<br />

immer, daß sich das Ausland eine sehr viel schärfere<br />

Erinnerung an jene Jahre bewahrt hat, die wir so gründlich<br />

verdrängt haben, und daß die Tatsachen, von denen<br />

man hier nicht oder doch nur zögernd spricht, als müßte<br />

man das Geheimnis dieser Schande hüten, dort ohnehin<br />

allgemein bekannt sind.<br />

Wir haben von einer Behandlung der Vergangenheit nur<br />

soweit und solange etwas zu fürchten, als wir sie in<br />

unserer Gegenwart noch nicht überwunden haben. Es<br />

handelt sich, genau besehen, fast immer um Erscheinungen<br />

unseres heutigen öffentlichen Lebens, die auf dem<br />

historischen Hintergrund nur besonders peinlich ins Licht<br />

rücken, weil er Maßstäbe zu ihrer Beurteilung setzt,<br />

denen man sich nicht auszusetzen wagt. Konkret gesagt:<br />

wenn etwas „dem deutschen Ansehen im Ausland schadet",<br />

so ist es die Tatsache, daß heute noch oder schon<br />

wieder allzu viele Diener des braunen Mordregimes in<br />

Amt und Würden sitzen, während jene, die dagegen gekämpft<br />

haben oder fliehen mußten, ungestraft öffentlich<br />

verleumdet werden dürfen. Das charakterisiert nicht nur,<br />

wie weit die „unbewältigte Vergangenheit" selbst in die<br />

Reihen demokratischer Parteien, in Regierung und Parlament<br />

hineinreicht. Es legt dem Ausland auch Rückschlüsse<br />

auf die Mentalität einer Bevölkerung nahe, auf deren<br />

Zustimmung solche Politik und solche Wahlkampftaktik<br />

offensichtlich mit Erfolg spekulieren kann.<br />

• * *<br />

Die einzigen realen Gefahren im Zusammenhang mit dem<br />

Eichmannprozeß scheinen mir jene psychologischen Momente<br />

zu sein, die der intellektuellen und moralischen<br />

Selbstprüfung, zu der jener uns allen Anlaß gibt, noch<br />

im Wege stehen.<br />

37


Da ist zunächst die Tatsache, daß der Gegenstand des<br />

Verfahrens so außerhalb unserer menschlichen Erfahrung<br />

und Vorstellung liegt, daß er zunächst in sie zurückgeholt<br />

werden muß. 1943, als die Massenabschlachtung der jüdischen<br />

Bevölkerung ihren Höhepunkt erreichte, schrieb<br />

der damalige Reichskommissar für das Ostland an den<br />

Minister für die besetzten Ostgebiete:<br />

„Was ist dagegen Katyn? Man stelle sich nur einmal vor,<br />

solche Vorkommnisse würden auf der Gegenseite bekannt<br />

und dort ausgeschlachtet. Wahrscheinlich würde eine<br />

solche Propaganda einfach nur deshalb wirkungslos bleiben,<br />

weil Hörer und Leser nicht bereit wären, derselben<br />

Glauben zu schenken."<br />

Die Entwicklung bis in die Nachkriegszeit hinein hat<br />

diese Prognose bestätigt. Wie die Nazipropaganda gerade<br />

durch das Ausmaß ihrer Unwahrheit schon wieder<br />

glaubwürdig erschien, weil derart phantastische Lügen<br />

niemand für möglich hielt, so war die Wahrheit über die<br />

Naziverbrechen so unfaßbar, daß sich die Urheber völlig<br />

zurecht mit dem Gedanken beruhigen konnten, sie werde,<br />

auch wenn sie bekannt würde, garnicht geglaubt, sondern<br />

als „fürchterliche Erfindung" der Propaganda abgetan werden<br />

2 .<br />

Es steht dazu nur scheinbar im Widerspruch, wenn ich<br />

hinzufüge, daß es angesichts der psychologischen Gewöhnung<br />

der Öffentlichkeit an atomare „Endlösungen",<br />

unvergleichlich jenem ersten Versuch in Hiroshima, zunehmend<br />

schwieriger sein mag, die Erfahrung von Auschwitz<br />

überhaupt noch zu begreifen, denn hier wie dort<br />

ist es doch gerade die völlige Unkenntnis des realistischen<br />

Details und das Unvermögen, die realen Dimensionen<br />

noch zu erfassen, die eine gedanken- und widerspruchslose<br />

Hinnahme oberflächlichster Art bewirken.<br />

* * *<br />

Dazu kommt erschwerend die Tendenz zahlreicher, von<br />

der Eichmann-Konjunktur bestimmter Publikationen minderer<br />

Qualität zu einem Sensationalismus, der das Thema<br />

geschäftlich ausschlachtet und es gleichzeitig deformiert,<br />

indem er Sekundärerscheinungen in den Vordergrund<br />

rückt und auf diese Weise das öffentliche Interesse fehlleitet.<br />

Einher damit ging der billige Versuch einer Dämonisierung<br />

Eichmanns, der in einer Art negativen Personenkults<br />

zum willkommenen Sündenbock ernannt wurde,<br />

den man nur verdammen muß, um sich selbst zu<br />

exculpieren. Von ihm spricht man, um bequemer über<br />

soviele andere schweigen zu können, deren Namen zu<br />

2 Vgl. Kommentar eines spanischen Faschisten Seite 43.<br />

38


nennen heute weniger opportun ist. Die Entrüstung wird<br />

ins Ethische gewendet und so neutralisiert, bevor sie<br />

politisch wirksam werden und zu einer allgemeinen Erkenntnis<br />

beitragen kann. Sie erschöpft sich an jener<br />

einen Person und erlaubt so, jeder Schlußfolgerung auszuweichen.<br />

Dabei hat gerade der Prozeß gezeigt, daß dieser Eichmann,<br />

den die Boulevardpresse zu satanischer Größe<br />

aufblies, nichts mehr als ein subalterner kleiner Beamter<br />

war, obrigkeitsgläubig und herrschsüchtig zugleich, beschränkt<br />

und pedantisch wie nur irgendein Bürokrat, also<br />

alles andere als eine singuläre Erscheinung. Es wäre<br />

sicher sehr beruhigend gewesen, die Teufelei, für die er<br />

zum Symbol geworden ist, als pathologische Ausnahmeerscheinung<br />

erklären zu können. Tatsächlich unterschied<br />

er sich nur in Rang und Funktion, nicht aber in Mentalität<br />

und Verhalten von dem nach Zehntausenden zählenden<br />

Heer der mittleren und kleinen Eichmanns, mit<br />

deren Duldung und Hilfe die riesige Vernichtungsmaschinerie<br />

erst betrieben werden konnte.<br />

<strong>Der</strong> allein wichtigen Frage, welche gesellschaftlichen Faktoren<br />

zur Herrschaft der Eichmanns geführt und sie möglich<br />

gemacht haben, weicht man mit der — übrigens von*-<br />

Carl Zuckmayer gelieferten — Formel aus, die das deutsche<br />

Volk ebenso schizophren wie primitiv in die „guten<br />

Deutschen", die in Staat und Armee „nur ihre Pflicht"<br />

taten, und die „bösen Nazis" samt Gestapo und SS einteilt.<br />

Das führt automatisch zu einer Entlastung sämtlichen<br />

Mitläufer- und Mittätertums von jeglicher Verantwortung<br />

und läßt es womöglich, wegen nicht voller Ubereinstimmung<br />

mit dem Unrecht, nachträglich noch heroisch<br />

erscheinen. Das führt, negativ gewendet, folgerichtig zu<br />

dem einfältigen Vorwurf, es habe einer auch „gegen deutsche<br />

Soldaten" gekämpft, statt „nur gegen die Nazis".<br />

Solange man in Deutschland nicht begreift, daß die gesamte<br />

Staatsapparatur dank der blinden Pflichtbesessenheit<br />

der deutschen Beamten das nie versagende Exekutivorgan<br />

der Nazidiktatur war und die Wehrmacht —<br />

unabhängig vom Grad ihrer direkten Mitwirkung —<br />

qua Funktion Schrittmacher des Systems der Gaskammern,<br />

solange hat man von dem Problem, um das es<br />

geht, überhaupt nichts begriffen.<br />

Adolf Eichmann war gewiß nicht das kleine Rädchen in<br />

der großen Maschinerie, als das ihn sein Verteidiger<br />

gern darstellen wollte, aber er war weder der Satan<br />

schlechthin, noch war er allein. Die Verderbnis, die es<br />

zu erkennen gilt, war verteufelt umfassend.<br />

39


Eine weitere Gefahr liegt in der Fixierung und Beschränkung<br />

des allgemeinen Interesses auf die jüdische Frage,<br />

denn damit wird die Erkenntnis der Barbarei vermindert,<br />

so paradox das angesichts der am jüdischen Volk verübten<br />

Untaten klingen mag. Die Zwecktheorie, nach der<br />

die Judenverfolgung gleichsam der „Sündenfall" eines<br />

bis dahin moralisch intakten politischen Systems gewesen<br />

sei, ist auch nur eine weitere Abwandlung der zahlreichen<br />

seit Kriegsende gehörten Ausflüchte vor der<br />

Wahrheit. Sogar Adolf Eichmann war nicht nur mit der<br />

Deportation der Juden beschäftigt, und er hatte zahlreiche<br />

Komplicen, die sich mit nicht weniger grausigem Erfolg<br />

der Unterdrückung und Dezimierung vor allem der slawischen<br />

Völker widmeten.<br />

Aber auch der Ansatz bei Kriegsbeginn, obwohl der<br />

Einsicht einer Stufe näher, greift immer noch zu kurz,<br />

weil er die Vorbereitungsjahre des inneren Terrors nach<br />

1933 bewußt oder unbewußt der Zeit des Friedens und<br />

der Rechtsordnung zuschlägt. Zur Erkenntnis des Systems<br />

gehört auch die Kenntnis seiner Entstehung. Nur wenn<br />

man die Hitlerei bis an ihre frühen Würzein verfolgt<br />

und in jeder Phase ihrer Entwicklung die gesellschaftlichen,<br />

ökonomischen und ideologischen, politischen und<br />

psychologischen Faktoren umfassend berücksichtigt, in<br />

ihren allseitigen Zusammenhängen analysiert und einschätzt,<br />

wird man die Ursachen der Folgen erkennen.<br />

Aber selbst eine isolierte Untersuchung der Judenverfolgung,<br />

wenn sie sich nicht auf das Phänomen der Gaskammern<br />

begrenzt, sondern die Vorgeschichte des Antisemitismus<br />

und seiner Quellen einbezieht, könnte schon<br />

zu bemerkenswerten Resultaten führen. Es gehört kein<br />

besonderer Scharfsinn dazu, zu erraten, warum unsere<br />

amtliche „politische Bildung" von Ausnahmen abgesehen<br />

eben diese Erkenntnisse um jeden Preis zu verhindern<br />

sucht.<br />

* * *<br />

Schließlich besteht die ernste Gefahr, daß die große Zahl<br />

der Presseberichte, Magazinserien, Bücher und Filme über<br />

die Judenverfolgung das Interesse der Konsumenten bis<br />

zu einem Punkt überanstrengt, wo es in Ubersättigung<br />

und Teilnahmslosigkeit umschlagen kann. Fatalerweise<br />

fallen hier die Gegebenheiten des freien Marktes und<br />

die Wünsche bestimmter politischer Kreise mit der psychologischen<br />

Disposition eines Publikums zusammen, das<br />

den Eichmann-Prozeß ohnehin eher als Abschluß der<br />

gegenwärtigen Periode lästiger Selbstprüfungen denn als<br />

ihren Beginn betrachtet.<br />

40


Nachdem die Konfrontation mit dem eigenen Gestern<br />

schon unvermeidlich geworden ist, scheinen viele Deutsche<br />

fest entschlossen, diesen Anblick möglichst schnell<br />

hinter sich zu bringen, um ihn dann umso gründlicher<br />

und diesmal endgültig zu vergessen. Diese Leute huldigen<br />

dem Irrtum, die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit<br />

ließe sich absolvieren wie eine Entschlackungskur<br />

und zu einem bestimmten Zeitpunkt, zum Beispiel<br />

der Urteilsverkündung des Jerusalemer Gerichts, einfach<br />

abschließen.<br />

Eine derartige Reaktion wäre verhängnisvoll, weil mit<br />

diesem Termin noch nicht einmal die juristische Bestandsaufnahme<br />

abgeschlossen ist, von allem anderen ganz zu<br />

schweigen. Auf den Eichmann-Prozeß werden der Auschwitz<br />

und der Sobiborprozeß folgen, die ihrerseits nur<br />

zwei besonders wichtige Verfahren unter zahlreichen anderen<br />

sind, die in den nächsten Monaten gegen Mitglieder<br />

von KZ-Verwaltungen und Erschießungskommandos angestrengt<br />

werden. Es kann nur gut sein, wenn die deutsche<br />

Öffentlichkeit sich rechtzeitig auf diesen Tatbestand einstellt.<br />

* * *<br />

Die Verfolgung und Aburteilung von Naziverbrechen<br />

durch die Justiz ist sicher das geringste, was man tun<br />

muß, aber sie ist unerläßlich und scheint schwer genug.<br />

Man mag bedauern, daß es erst jetzt dazu kommt, aber<br />

es wäre verhängnisvoll, sie mit diesem Argument abzv<br />

werten. <strong>Der</strong> Versuch, in der Aufklärung krimineller Vergehen<br />

Straftaten, wie Raub, Mißhandlung, Totschlag und<br />

Mord politische Motive zu erkennen oder eine gerichtliche<br />

Untersuchung mit politischen Begründungen abzulehnen,<br />

geht fehl. Er verkennt, in welchen Zustand der<br />

Unsicherheit unsere gesamte Rechtspflege geraten müßte,<br />

wollte man für die unter dem Naziregime geförderten<br />

und organisierten Verbrechen einen Generalpardon erlassen.<br />

Ihre Aburteilung ist vielmehr nur ein Akt der Wiederherstellung<br />

normaler, zivilisierter Rechtsverhältnisse.<br />

Diese Aktion muß erweitert werden durch eine im Grunde<br />

selbstverständliche Forderung, die man hierzulande unglücklicherweise<br />

schon für mutig hält: nämlich die Säuberung<br />

der öffentlichen Ämter auch von solchen politisch<br />

belasteten Personen, die juristisch nicht mehr oder überhaupt<br />

nicht belangt werden können. Es gibt eine moralische<br />

und ideelle Mitschuld, die unabhängig von Paragraphen<br />

weiterbesteht. Es geht hier nicht um eine neue<br />

Entnazifizierung, die ungefähr das Gegenteil von dem<br />

41


war, was hätte geschehen müssen. Aber die Tatsache,<br />

daß man einer Zuchthausstrafe entgangen ist, kann noch<br />

nicht als Qualifikation gelten, den demokratischen Staat<br />

zu repräsentieren.<br />

Das Richtergesetz versucht bereits, belasteten Juristen<br />

einen lautlosen Abgang zu erleichtern, — wie wir inzwischen<br />

wissen, mit recht mäßigem Erfolg. In der Ärzteschaft<br />

gibt es ähnliche Probleme, die durch einen falschen<br />

Korpsgeist nicht gerade leichter gelöst werden.<br />

Nun ist es gewiß besonders unerträglich, in Justiz und<br />

Medizin Menschen zu wissen, die die ethischen Grundlagen<br />

ihres Berufes so gründlich verraten haben. Aber<br />

in anderen Bereichen unseres gesellschaftlichen Lebens<br />

fehlt bisher jede Handhabe dagegen, daß sich ehemals<br />

prominente Mitarbeiter des NS-Regimes wieder in führende<br />

Stellungen drängen.<br />

Hier hätte eine demokratisch wache öffentliche Meinung<br />

in Funktion zu treten. Wir befinden uns heute in der<br />

Gefahr, auf pauschale Anschuldigungen von außen nur<br />

noch polemisch zu reagieren, statt sie sachgerecht zu prüfen.<br />

Daß die subjektive moralische Berechtigung der<br />

Vorwürfe in diesem oder jenem Falle anfechtbar sein<br />

mag oder daß sie in propagandistischer Vergröberung<br />

übertreiben, enthebt noch nicht der Verflichtung, zu untersuchen,<br />

welche realen Anlässe man selbst geliefert<br />

hat. Hier, wie auch in einigen anderen politischen Fragen,<br />

sollten wir zu der guten Regel zurückkehren, das<br />

entscheidende Kriterium einer These nicht darin zu sehen,<br />

wer sie aufgestellt hat, sondern ob sie logisch und sachlich<br />

zutreffend ist.<br />

Aber es geht garnicht um diese oder jene Person, diese<br />

oder jene Organisation, die heute von sich reden machen.<br />

Sie sind nur Symptome eines allgemeinen Zustandes,<br />

der ihr Wiederauftreten erst ermöglicht hat und auch<br />

mit ihrem Verschwinden nicht zu bestehen aufhört. An<br />

ihm haben wir alle teil.<br />

Damit erhebt sich die Frage, was die große Mehrheit jener<br />

tun soll, deren politischer Irrtum und persönliches Versagen<br />

die Katastrophe möglich gemacht haben. Sie sind die<br />

einzigen, die sich selbst verzeihen können, falls sie es<br />

vermögen. Aber, das ist wohl klar, es geht bei der<br />

Forderung nach Auseinandersetzung mit der Vergangenheit<br />

garnicht um eine permanente moralische<br />

Selbstverdammung sondern darum, zu lernen und besser<br />

zu machen, die Ursachen der Folgen zu erkennen, die<br />

Zusammenhänge zu begreifen und die Lehren der Geschichte<br />

auf die Praxis unseres gesellschaftlichen Lebens<br />

anzuwenden.<br />

42


Lieber Leser!<br />

Kommentar eines<br />

spanischen Faschisten<br />

(Leitartikel einer der größten spanischen Zeitungen<br />

zum Eichmann-Prozeß)<br />

Als Symptom und als Beispiel für alles, was heute geschieht,<br />

ist es sehr interessant, unsere Aufmerksamkeit<br />

auf den Prozeß gegen diese gekaufte Figur zu lenken, die<br />

sich Adolf Eichmann nennt. Die Wurzel der heutigen Tragödie<br />

liegt in dem feigen Repressaliengeist und der Übelkeit<br />

erregenden Rachsucht, die heute, 16 Jahre nach den Ereignissen,<br />

in dem monströsen und lächerlichen Prozeß von<br />

Israel noch einmal zum Ausdruck kommen und den finsteren<br />

Sieger von 1945 Schlaflosigkeit verursachen. Man<br />

hätte den Schaden leicht vermeiden können, wenn die<br />

Sieger am Ende des Krieges nur etwas großzügiger gewesen<br />

wären. Die Sieger konnten jedoch gar nicht großzügig<br />

sein, da sich, wie der Eichmann-Prozeß beweist, in ihren<br />

Herzen weder Mitleid noch Ritterlichkeit noch christlicher<br />

Geist verbirgt. Ich meinerseits habe schon sehr oft behauptet,<br />

daß die Besiegten den Sieg, die Sieger aber die Niederlage<br />

verdient hätten.<br />

Ich wiederhole noch einmal, die Nazi-Faschisten waren<br />

nicht so schlecht, wie die Juden sie darstellen, und wenn<br />

es überhaupt eine Judenverfolgung unter dem Hitler-<br />

Regime gegeben hat — die Verfolgung, der die Nazis heute<br />

durch die Juden ausgesetzt sind, ist bei weitem grausamer<br />

als die vor 15 Jahren. Ich bin sicher, daß in Deutschland<br />

niemals Gaskammern zur Vernichtung der Juden errichtet<br />

wurden, wie behauptet wird. Sie waren lediglich technische<br />

Anlagen der Wehrmacht, um die Wirkung des Gases<br />

auf die Gasmasken der Soldaten zu erproben. Alles andere,<br />

was darüber gesagt worden ist, ist eine fürchterliche Erfindung.<br />

Als Beweis haben die Juden in Argentinien einen<br />

sog. Eichmann (er)gefunden, haben ihn wie eine Nachtigall<br />

gejagt, haben ihn dressiert wie einen Zirkusclown 2. Klasse,<br />

der für eine Sonntagsaufführung gemietet wird, und so<br />

wird der Welt eine Show geboten von Haß, Rachsucht und<br />

Vergeltungsmaßnahmen, bereichert mit Bildern und Politik<br />

niederster Ordnung.<br />

Danach kann uns nichts mehr in dieser Welt in Erstaunen<br />

versetzen. Eine Gruppe französischer Militärs hat sich in<br />

Algerien erheben müssen. Das ist eine nur zu nutzlose<br />

Haltung, entstanden aus Ekel und Verachtung vor dieser<br />

Welt, die uns die Sieger, die nicht zu gewinnen wußten,<br />

43


hinterlassen haben. Man sagt, nur edle Männer könnten<br />

verlieren, aber es ist viel schwieriger, siegen zu lernen.<br />

Eine Gruppe von jungen Kubanern, schlecht beraten und<br />

noch schlechter informiert vom CIA, ließ ihr Leben am<br />

schönen Strand der karibischen See, die von sowjetischen<br />

Panzern erfüllt war.<br />

Heute oder morgen, hier oder dort, wird irgend jemand<br />

eines Tages dieser Welt Einhalt gebieten, wenn überhaupt<br />

diese Welt, die heute ohne Ordnung und ohne Gerechtigkeit<br />

am Rande des Abgrunds lebt, gerettet werden muß.<br />

Dagegen herrscht in Spanien Achtung vor Menschen und<br />

Gottesfurcht und es ist, trotz unserer kleinen Irrtümer, eine<br />

Oase der bürgerlichen, politischen und sozialen Organisation.<br />

Einen freundlichen Gruß von Ihrem lieben Freund<br />

RODRIGO ROYO *<br />

(* <strong>Der</strong> Cheiredaktem von „Airiba", dem Zentralorgan der<br />

spanischen Falange, in „S. P.", Madrid, 1. 5. 61)<br />

Repe Mauler<br />

Zwei Maulerelen<br />

das schwerverständliche<br />

wir sind der entrüstung überdrüssig, wir sind es müde,<br />

auf das gute recht zu pochen, lange genug<br />

sind wir für das unterlegene eingetreten, unsere stimmen<br />

sind heiser vom beklagen des unwiderruflichen, wenn sie<br />

in den staub getreten war, haben wir uns solidarisch<br />

erklärt mit der Schwachheit.<br />

ob wir das schwer verständliche endlich verstehen?<br />

Üble nachrede auf pepe mauler<br />

ausgeliefert seinen nächsten,<br />

brauchend, die nichts für ihn haben,<br />

ihnen zu helfen hilflos, ein überflüssiger,<br />

fassungslos vor hunger, ein steinreicher,<br />

versteinert im Überfluß.<br />

die bereitung des nötigen fand ihn<br />

abwesend, träumend das verfrühte<br />

war er<br />

aus sich herausgegangen.<br />

44


Spanien<br />

Günter W. Lorenz<br />

25 Jahre danach<br />

Spanien oder der Prüfstein des Westens<br />

Es ist jetzt 25 Jahre her, seit jener kleine und unbedeutende<br />

Provinzgeneral Francisco Franco de Bahamonde<br />

jäh ins Rampenlicht der Weltöffentlichkeit trat. Als 1936<br />

der spanische Bürgerkrieg begann, angezettelt von den<br />

Reaktionären und Gegnern der Republik, war er ein unbekannter<br />

Kolonialoffizier, der hinter dem Rücken seiner<br />

Vorgesetzten Ränke mit Hitler und Mussolini spann, um,<br />

über die Köpfe seiner Mitverschworenen wie Sanjurjo<br />

hinweg, selbst an die Macht zu kommen. Heute freilich,<br />

25 Jahre nach dem Beginn eines der schmutzigsten Intrigenstücke<br />

der Weltgeschichte, will sich der gleiche Francisco<br />

Franco seiner einstigen Verbündeten nicht mehr<br />

entsinnen.<br />

Vor kurzem erst, während er sich in Burgos wieder einmal<br />

als Sieger und Erretter des Vaterlandes feiern ließ,<br />

sagte er in kaum mehr zu überbietendem Zynismus, sein<br />

Regime sei nicht mit denen Hitlers und Mussolinis zu<br />

vergleichen. Auch wäre die Unterstützung der faschistischen<br />

Armee Spaniens durch die Legionen Italiens und<br />

Deutschlands nur „vorwiegend symbolisch" gewesen.<br />

Gewiß doch, der „Caudillo Spaniens von Gottesgnaden"<br />

kann sich ja nicht täuschen. Gewiß war dann auch die<br />

Bombardierung der wehrlosen Stadt Guernica durch die<br />

deutsche Legion Condor nur ein symbolischer Akt. Gewiß<br />

war die Beschießung der offenen Stadt Almeria durch<br />

den Panzerkreuzer „Deutschland" nur ein symbolischer<br />

Akt. Gewiß nur symbolisch gemeint war die Deportation<br />

francogegnerischer Emigranten nam der Besetzung<br />

Frankreichs durch Hitlertruppen in deutsche Konzentrationslager,<br />

Ja, der Caudillo hat recht: In seinem Lande und unter<br />

seinem Regime ist vieles nur als symbolisch zu betra,chten.<br />

Die Niederknüppelung von Studentendemonstrationen<br />

zum Beispiel; die Inhaftierung unliebsamer Schrift-<br />

45


steller; die überfüllten Gefängnisse; die ständige Angst<br />

vor dem Zuchthaus Carabanchel, in dem Tausende und<br />

Abertausende von Spaniern leben. All das sind Symbole.<br />

Aber es sind Symbole, die gegen den sprechen, der sich<br />

' ihrer bedient.<br />

Spanien ist — das einzusehen können sich nur Wirrköpfe<br />

oder Fanatiker weigern — ein totalitärer Staat absolutistischer<br />

Prägung, der sich zwar in der Form vom Imperium<br />

Hitlers unterscheidet, in Wirklichkeit aber die Methoden<br />

und den Geist des Anstreichers aus Braunau imitiert.<br />

Das ist, 25 Jahre nach dem „glorreichen Sieg der Bewegung",'<br />

nach der „Befreiung Spaniens vom Bolschewismus"<br />

ein trauriges Fazit.<br />

Es gab in letzter Zeit immer wieder Optimisten, die,<br />

nach rechts eindeutig blind, lauter Vorteile für Spanien<br />

in der Person des Francisco Franco erblicken wollten.<br />

Sie übersehen geflissentlich oder aus purem Unvermögen<br />

die wahre Situation im Lande eines Diktators, der<br />

sich eifrig der Schar verteidigungswilliger Abendländer<br />

angeschlossen hat, ohne aber auch nur einmal darauf hinzuweisen,<br />

was es in seinem Lande eigentlich zu verteidigen<br />

gibt. In Wirklichkeit wird weder Europa noch gar<br />

der humanistische Geist Europas hinter den Pyrenäen<br />

verteidigt, sondern die fetten Pfründen einiger weniger,<br />

die sich auf Kosten eines ganzen Volkes nun schon ein<br />

Vierteljahrhundert an der Macht halten.<br />

Spanien war einmal ein Land höchster geistiger Blüte.<br />

Heute ist es erloschen. <strong>Der</strong> Geist steht unter der Knute,<br />

die Mutigen werden zum Schweigen gebracht. Erinnern<br />

wir uns: Juan Goytisolo, der jetzt im Pariser Exil lebende<br />

junge Schriftsteller wurde von Francos Polizei so zusammengeschlagen,<br />

daß ihn nicht einmal seine Freunde erkennen<br />

konnten. Erinnern wir uns der Deportierten und<br />

Inhaftierten. Ganz zu schweigen von der Ermordung so<br />

vieler, an der Spitze Garcia Lorca, die man noch immer<br />

als Ubereifer der Bürgerkrieger hinzustellen wünscht.<br />

Wenn man die Tatsache des Mordes nicht gänzlich leugnet<br />

...<br />

<strong>Der</strong> spanische Geist ist verarmt. Die Besten haben das<br />

Land verlassen, die Zurückgebliebenen wagen nicht zu<br />

sprechen. Unerbittlich wacht ein sogenanntes „Ministerium<br />

für Information" über die Linientreue derer, die<br />

noch schreiben dürfen. Die Verdrehung der Begriffe —<br />

Information — Zensur — spricht aller Gerechtigkeit Hohn.<br />

Wie die frommen Worte des Caudillo und seiner Satrapen,<br />

wenn sie von der Freiheit des Westens sprechen und<br />

vergessen, ihre Opfer in den Zuchthäusern zu erwähnen.<br />

Das Regime des Generalissimus Franco ist ein Regime<br />

46


der perfektionierten Lüge, der Täuschung und — der<br />

Korruption. Korrupt wie die bestechlichen Beamten einer<br />

klerofaschistischen Staatsbürokratie sind die willfährigen<br />

Barden des Systems in Literatur und Presse. Geschickt<br />

und mit der ihm eigenen Bauernschläue hat es Franco<br />

erreicht, den Film als das wesentliche Massen-Kommunikationsmittel<br />

in seine Dienste zu stellen. Was in spanischen<br />

Ateliers an Leinwandepen heroischen und verlogenen<br />

Charakters jährlich produziert wird, steht ebenbürtig<br />

neben den Ufa-Produkten der Herren Hugenberg und<br />

Goebbels. Ist es verwunderlich, daß ein Mann wie der<br />

Regisseur Bardem das Land verläßt, wenn ihn nur ein<br />

weltweiter Protest aus dem Zuchthaus holen kann? Und<br />

sein Verbrechen? Er hatte den sozial<strong>kritische</strong>n und ehrlichen,<br />

in aller Welt preisgekrönten Film „Calle Mayor"<br />

(Die Hauptstraße) gedreht. Dieser Film paßt aber nicht<br />

in das Schema der alles gutheißenden, alles belobenden<br />

Propaganda.<br />

An den Universitäten sieht es nicht besser aus. Die<br />

Lehrpläne wissen nichts von Sartre und nichts von Nietzsche.<br />

Und wenn schon, in einem Anflug von kosmopolitischem<br />

Denken, über atheistische Philosophen doziert<br />

wird, dann stehen hinter dem Katheder katholische Geistliche,<br />

die eo ipso eine Garantie dafür sind, daß um<br />

Gotteswillen an der Philosophie der Existenzialisten von<br />

Kierkegard bis Heidegger, am Werk Nietzsches und des<br />

Karl Marx kein gutes Haar gelassen wird.<br />

Nun mußte in letzter Zeit Francisco Franco eine ganz<br />

neue Erfahrung machen. Die katholische Kirche, bisher<br />

seine treueste und zuverlässigste Weggefährtin, hat sich<br />

recht deutlich von ihm distanziert. Wovon im Ausland<br />

kaum ein Wort zu erfahren war: <strong>Der</strong> Primas von Spanien,<br />

Kardinal-Erzbischof Pia y Deniel hat Francos Regierungsmethoden<br />

in einem Hirtenbrief mit denen Hitlers verglichen<br />

und dem Caudillo mehr oder minder deutlich den<br />

Rücken gekehrt. <strong>Der</strong> Anlaß: Eine Umfrage in mehreren<br />

nordspanischen Provinzen hatte ergeben, daß die breiten Bevölkerungsschichten<br />

Franco und Kirche miteinander identifizieren,<br />

und daß aus diesem Grunde nur noch sieben<br />

von hundert spanischen Arbeitern am Sonntag den Gottesdienst<br />

besuchen. Reaktion in Madrid: Kommunistische<br />

Wühlarbeit und von Moskau gesteuerte Propaganda.<br />

Von der Presse wurde der Hirtenbrief Pia y Deniels<br />

schamvoll ausgeschwiegen.<br />

September 1960: „Ich verfüge" beginnt ein neues Gesetz,<br />

das der Gottesgnaden-Führer erlassen hat, um sich die<br />

unruhigen Intellektuellen vom Halse zu schaffen. Fortan,<br />

heißt es in dem Gesetz, sollen Demonstranten und an-<br />

47


dere „Gegner unseres Staates" — wobei Franco sowohl<br />

den Staat als auch das spanische Volk mit sich identifiziert<br />

— wie Straßenräuber und Brandstifter behandelt<br />

und ohne Nachsicht Militärgerichten zur Aburteilung<br />

überstellt werden. Die legale Justiz wird somit vollends<br />

entmachtet. Erste Auswirkung: 121 Professoren, Schriftsteller,<br />

Geistliche, Wissenschaftler und oppositionelle Politiker<br />

wurden „symbolisch" zu einem Jahr Zuchthaus<br />

verurteilt, weil sie gemeinsam eine Bittschrift an den<br />

Caudillo unterzeichnet und um Lehr- und Meinungsfreiheit<br />

gebeten haben. Begründung: Die Unterzeichnung eines<br />

Schriftstückes durch 121 Personen erfüllt den Tatbestand<br />

der Geheimbündelei und der geplanten Verschwörung.<br />

So also funktioniert Francos Rechtsapparat. So wird mit<br />

einer Freiheit jongliert, die Franco solange nach außen<br />

hin als verteidigungswürdig bezeichnet, solange der Dollar<br />

ins Land rollt. Schon verlangt es dem Führer Spaniens,<br />

aus seinem Lande eine Atommacht werden zu lassen:<br />

Unüberhörbar hat er von Amerika Atombomben für<br />

Spanien gefordert. Während der Westen, wie schon 1936,<br />

tatenlos zusieht, schickt Francisco Franco de Bahamonde<br />

sich an, sein Regime der Gewalt im 25. Jahr seiner Regierung<br />

erneut zu stabilisieren. Diesmal mit Hilfe jener<br />

Mächte, die Freiheit und Demokratie zu verteidigen bereit<br />

sind.<br />

Christian Riechers<br />

Spaniens Mythos des<br />

zwanzigsten Jahrhunderts<br />

Die historische Stunde des reaktionären Spaniens kündet<br />

sich an. Die pragmatistischen Demokraten Westeuropas<br />

aber verharren weiter in ihrer gewohnten Realitätsblindheit<br />

und — gleich einem pawlowschen Reflex —<br />

zeigt sich in ihren Gesichtern das mokante Lächeln der<br />

weichaufgeklärten Entideologisierten, wenn immer General<br />

Franco verkündet: „Spanien ist die Nation, die der<br />

Welt, eine moderne und wirksame Lösung bieten kann,<br />

um einen dauernden Frieden zwischen den sozialen<br />

Schichten zu garantieren. Wenn wir uns nach außen als<br />

eine Lösung anbieten können, so sind wir für die Spanier<br />

die Lösung; ich wage zu behaupten: die einzige<br />

48


Lösung." Dodh das bloße liberale Lächeln bestätigt nur<br />

das. von Franco gesagte.<br />

Die Stärke reaktionärer Ideologien erwächst nicht zuletzt<br />

aus der Schwäche ihrer Gegner, sich ernsthaft mit<br />

ihnen zu beschäftigen. Spätestens seit dem Zeitpunkt, da<br />

konservativ-reaktionäres Denken. aufhörte, vornehmlich<br />

zur ideologischen Überhöhung und Abstützung von Thron<br />

und Altar zu dienen, und den aufkommenden faschistischen<br />

Bewegungen half, ihre durch keinen Vernunftsgrund<br />

zu rechtfertigende Herrschaft mit den in dieses Bündnis<br />

eingebrachten vorbürgerlichen gesellschaftlichen Ordnungsvorstellungen<br />

zu rechtfertigen, spätestens von da<br />

an scheint offen zutage zu liegen, daß reaktionäres Denken<br />

in toto nur funktional als verlogene Herrschaftsapologie<br />

zu verstehen ist, ohne daß irgendeinem Moment<br />

dieses Denkens noch Erkenntnis innewohnte.<br />

Analog dem Vorgehen vergangener faschistischer Apologetik,<br />

liegt die Funktion universaler, organizistischer<br />

Ordnungsvorstellungen weniger darin, ein am mittelalterlichen<br />

Gesellschaftsbild orientiertes System zu stiften, als<br />

handgreiflich klarzumachen, daß das omnipotente Ganze<br />

des spanischen Führerstaates über den individuellen Freiheits-Bestrebungen<br />

seiner Teile liegt. Folgerichtig können<br />

in einem jüngst in Spanien erschienenen Handwörterbuch<br />

der Sozialwissenschaften Termini wie „Freiheit" oder<br />

„Republik" völlig fehlen. Das wird dann wieder durch<br />

eine eingehende Behandlung der Begriffe „Autorität" und<br />

„Hierarchie" wettgemacht. Die Polemik des Auslandes bewirkt<br />

aber doch, daß Franco und seine Ideologen Begriffe<br />

wie „Freiheit" und „Demokratie" nicht ganz negieren<br />

können. Indem sie Demokratie als nur „organische", Kritik<br />

als „fundiert und lösend" und Freiheit als „verantwortliche",<br />

„als authentische Freiheit nicht die Freiheit gegen<br />

einen Staat, sondern innerhalb eines Staates", konzipieren,<br />

heben sie diese Begriffe auf.<br />

Mythos nach Schablone<br />

Geschichtliche Kontinuität wird geleugnet. Spanische Geschichte<br />

beginnt erst mit dem Putsch der reaktionären<br />

Generäle am 18. Juli 1936 gegen die republikanische Regierung.<br />

Alle vorhergehende Geschichte war Abweichung:<br />

„Renaissance, Reformation, die französischen Enzyklopädisten,<br />

der philosophische Liberalismus sind die großen Stufen<br />

eines historischen Prozesses, der heute bei seiner<br />

logischen Lösung anlangt: dem Kommunismus." Mit dem<br />

Sieg General Francos über die spanische Republik wird<br />

der „lange Prozeß einer historischen, ideologischen und<br />

49


konstitutionellen Krise von mehr als hundertfünfzig Jahren"<br />

beendet. Es versteht sich bei dieser Art der Beweisführung,<br />

daß geschichtliche Krisen keine ökonomischen<br />

Gründe haben können: „Die materielle Kraft ist nie mehr<br />

als ein bloßes Hilfsmittel gewesen, das nicht verdient,<br />

als entscheidend qualifiziert zu werden." Fragen nach den<br />

wirtschaftlichen Ursachen menschlichen Glücks können so<br />

garnicht aufkommen. Geschichte ist nur Kampf geistiger<br />

Prinzipien. General Franco: „übereinstimmend mit unserem<br />

Schicksal wurden wir am 18. Juli 1936 Vorkämpfer<br />

eines Unternehmens übernationalen Ausmaßes. Auf unserem<br />

Boden begann damals der große Kampf, um die<br />

Grundwerte der christlichen Kultur zu retten."<br />

Stiftungsdatum des neuen spanischen Staates wie auch<br />

Person des Stifters werden zu einem Mythos gemacht. Ungleich<br />

Mussolini und Hitler war Franco am Anfang des Bürgerkriegs<br />

noch nicht der Führer der Bewegung gegen die Republik.<br />

Dennoch werden Franco die charismatischen Attribute<br />

eines geborenen Führers, eines Caudillo, zugesprochen:<br />

„Das Caudillotum entspringt aus einer historischen Situation<br />

der Krise und der Liquidation der Vergangenheit ... Ein<br />

ganzes Volk wird gestoßen, sein Vertrauen in einen Mann<br />

zu legen, der die vitalen historischen Ideen eines Volkes<br />

verkörpert, dem außergewöhnliche Qualitäten zuerkannt<br />

werden und der den Wiederaufbau und die Errichtung<br />

neuer Systeme von Ideen und Werten vornimmt." Unfreiwillig<br />

dekpuvrierend heißt es, daß man das Volk<br />

„stoßen" muß, dem Caudillo zu vertrauen, ohne daß dieses<br />

Vertrauen spontan sich einstellt, obwohl nach Professor<br />

Pascual Marin Pérez „die moralischen Qualitäten des<br />

Caudillo in Francisco Franco größer sind als in Augustus,<br />

Karl V. und Napoleon".<br />

»Die Diktatur des Säbels ist nobler«<br />

•Die reaktionäre spanische Ideologie führt mit größerer<br />

Entschiedenheit weiter, was über die Grenzen ihres jeweiligen<br />

Herrschaftsbereiches hinaus die eigentlich wichtige<br />

Funktion faschistischer Ideologie war: die radikale Kritik<br />

der liberal-demokratischen Systeme, aus denen Faschismus<br />

sich entwickelte. <strong>Der</strong> militärische Zusammenbruch Italiens<br />

und Deutschlands sowie die darauffolgende Subsumption so<br />

disparater Phänomene wie Faschismus und Stalinismus<br />

unter dem Begriff „Totalitarismus", wobei mehr die terroristische<br />

Praxis als die geschichtlichen Ursachen und Entwicklungsgesetzlichkeiten<br />

untersucht wurden, haben diese<br />

Wahrheit des Faschismus verdeckt. General Franco und<br />

seine Ideologen erinnern uns wieder daran.<br />

50


Die heutigen spanischen Reaktionäre wiederholen im<br />

Grunde nur die Prophezeiungen des 1853 verstorbenen<br />

traditionalistischen Staatsdenkers Donoso Cortés de Valdemaga.<br />

Donoso Cortés, dessen Gedankengänge uns seit<br />

den zwanziger Jahren durch den geistvollen reaktionären<br />

Rechtsdenker Carl Schmitt vermittelt wurden, sieht die<br />

große Alternative sich aufdrängen: die blutige Entscheidungsschlacht<br />

zwischen Katholizismus und atheistischem<br />

Sozialismus. In dieser Auseinandersetzung sei die Entscheidung<br />

für die eine oder die andere Seite unausweichbar<br />

geworden, ein Schwanken ausgeschlossen. „Wenn sich die<br />

schädlichen Kräfte in politischen Verbänden festsetze^,<br />

dann konzentriert sich notwendig und unausweichlich die<br />

Widerstandskraft in einer einzigen Harid. Das ist die klare<br />

einsichtige und unwiderlegbare <strong>Theorie</strong> der Diktatur." Die<br />

unleugbare Existenz konkurrierender politischer Gruppen,<br />

die weniger Emanation „schädlichen" aufklärerischen Denkens<br />

sind als durch die Antagonismen der sich entfaltenden<br />

Klassengesellschaft bedingt werden, dient per se der Rechtfertigung<br />

eines Regimes, das den Menschen die Wahl zwischen<br />

Freiheit und Diktatur nicht mehr gestattet. „Ginge es<br />

darum", so sagt Donoso, „dann stimmte ich für die Freiheit<br />

wie alle hier. Aber das Problem liegt ja so: wir haben<br />

nur die Wahl zwischen der Diktatur der Revolution und<br />

der Diktatur der Regierung . . . zwischen der Diktatur des<br />

Dolches und der Diktatur des Säbels. Ich wähle die Diktatur<br />

des Säbels — sie ist nobler."<br />

Donosos Entscheidung für die „Diktatur des Säbels" fällt<br />

gegen die Idee des Fortschritts in der Geschichte. Fruchtbar<br />

wird sein Ansatz nur einem Denken, das gegenüber<br />

seiner reaktionären Attitude nicht wie der klassische<br />

Liberalismus die Widersprüche der Klassengesellschaft auf<br />

einer höheren gedachten, nicht realen, Ebene irrational<br />

harmonisiert und damit ideell die Ganzheit herstellt, die<br />

reaktionäre Ideologie als reale dekretiert, vielmehr die<br />

Überwindung dieser Konfliktsgesellschaft durch gesellschaftsverändernde<br />

Praxis in seine Reflexion aufnimmt.<br />

Donoso respektiert daher den atheistischen Sozialismus<br />

in dem Maße als er danach trachtet, ihn als seinen Todfeind<br />

zu vernichten. <strong>Der</strong> Sozialismus ist für ihn „satanische<br />

Theologie", die sich aber vor dem Liberalismus durch das<br />

Zuendedenken von dessen Denkansätzen auszeichnet. Die<br />

Liberalen fallen seiner Verachtung anheim, weil sie die<br />

Widersprüche in ihrem Denken unvermittelt weiter bestehen<br />

lassen, weil sie bestenfalls als „clasa discutidora",<br />

als diskutierende Klasse, gelten, die schwatzen, während<br />

die Reaktionäre und ihre Todfeinde handeln.<br />

51


<strong>Der</strong> die Verwandlungen scheut<br />

mehr als das Unheil...<br />

Bereits Faschismus und Nationalsozialismus wurden seinerzeit<br />

nicht allein von ihren eigenen Repräsentanten als<br />

probate Lösungen begrüßt, die Emanzipationsbestrebungen<br />

der Arbeiterklasse brutal zu unterdrücken, gleichgültig ob<br />

sie reformerisch oder revolutionär sich artikulierten. Gegenüber<br />

der im Aufbau begriffenen Sowjetunion, die das<br />

Interesse der Linken auf sich zog, bot Italien und später<br />

Deutschland den reaktionären Konservativen der liberalen<br />

westlichen Länder den Anblick eines wirtschaftsfriedlichen<br />

Arkadiens, in dem der Knüppel in der Hand der Herrschenden<br />

noch nicht vollends zum Spazierstock degeneriert<br />

war. „Wenn ich Italiener gewesen wäre", erklärte Winston<br />

Churchill 1927 nach einem Besuch bei Mussolini, „bin ich<br />

sicher, daß ich voll und ganz von Anfang bis zum Ende<br />

zusammen mit euch den siegreichen Kampf gegen die bestialischen<br />

Lüste und Passionen des Leninismus ausgefochten<br />

hätte. Nach außen hin hat eure Bewegung der Welt<br />

einen Dienst erwiesen. Italien hat gezeigt, daß es eine<br />

Weise gibt, die Massen des Volkes zu einer wirklichen<br />

Zusammenarbeit mit der Ehre und den Interessen des Staates<br />

aufzurufen."<br />

Daß Faschismus und Nazismus in den parlamentarisch<br />

regierten Ländern Westeuropas sich nicht als einzig mögliche<br />

Alternative zu den sozialistischen Bewegungen durchsetzen<br />

konnten, lag nicht zuletzt daran, daß ihre imperialistischen<br />

Abenteuer vom Abessinienkrieg über die Annexion<br />

Österreichs und der Tschechoslowakei bis zum Angriff<br />

auf Polen auf die Dauer mit dem imperialistischen<br />

Selbstverständnis selbst ihrer wohlwollendsten britischen<br />

und französischen Bewunderer nicht länger koexistieren<br />

konnten. Die „unentschlossenen Liberalen" in den westlichen<br />

Ländern sahen zudem innen- wie außenpolitisch<br />

noch genügend Spielraum, Donosos unerbittlicher Alternative<br />

aus dem Wege zu gehen.<br />

Das heutige Spanien, ohnê die tatkräftige Geburtshilfe<br />

Mussolinis und Hitlers und ohne die Neutralität der westlichen<br />

Demokratien garnicht existierend, drängt sich mit<br />

größerem Erfolg als seine deutschen und italienischen Vorgänger<br />

immer stärker als einzig mögliche Alternative zu<br />

allen Versuchen auf, die die Veränderung der heutigen •<br />

gesellschaftlichen Zustände als Voraussetzung für das Zustandekommen<br />

menschenwürdiger Zustände betrachten.<br />

Die westlichen Länder mit parlamentarischem System,<br />

die 1945 den fälligen Sturz des Franco-Regimes verschliefen,<br />

haben in ihm ihren festen Verbündeten gegen<br />

52


die Staaten des Warschauer Paktes und den unerbittlichsten<br />

Kritiker ihrer gegenwärtigen Zustände gefünden.<br />

SUndenbock Kapitalismus<br />

„Die Völker wollen sich erneuern", ruft General Franco<br />

aus, „sie sind aber nidit sicher, den Weg zu finden. Ihnen<br />

heute das kapitalistische und liberale Gespenst zu predigen,<br />

hieße Wasser einem Ertrinkenden reichen. <strong>Der</strong> Augenblick<br />

duldet keine Mystifikationen. Die westliche Kultur<br />

verteidigen, heißt nicht den Kapitalismus verteidigen. <strong>Der</strong><br />

Kapitalismus ist genau gesagt die Last, an der die westliche<br />

Welt leidet." Eine Änderung der kapitalistischen<br />

Produktionsweise, die die Abschaffung der durch sie bedingten<br />

ökonomischen und politischen Herrschaftsverhältnisse<br />

zur Folge hätte, ist in Madrid kaum vorgesehen,<br />

wenn auch als innenpolitische Forderung in diesem Lande<br />

versteinerter Feudalstrukturen und marginaler Industrialisierung<br />

der groteske Ruf ertönt: „Die kapitalistische Gesellschaft<br />

muß verschwinden!" Wirtschaftsminister Erhard<br />

und Bankier Abs als Hohepriester kapitalistischer Wirtschaftspolitikwürden<br />

jedoch kaum zu wichtigen Gesprächen<br />

nach Madrid fahren, wenn die Spanier ernsthaft den Kapitalismus<br />

bedrohten.<br />

Die Kritik der spanischen Reaktionäre richtet sich nur deswegen<br />

gegen den Kapitalismus in den westeuropäischen<br />

Ländern, weil dieser sich im Augenblick noch den Luxus<br />

leistet, daß unter dem schütteren Schutz verfassungsmäßiger,<br />

allgemeiner Grundrechte die um ihren Anteil am Profit<br />

untereinander erbittert kämpfenden organisierten Wirtschaftsinteressen<br />

ebensosehr das System aus der, ideologisch<br />

vorgesehenen, Balance bringen dürfen, wie den eifrig<br />

ihre Integration ins System betreibenden Organisationen<br />

der Arbeiterschaft die hypothetische Chance bleibt, sie<br />

könnten mit Kritik und politischen Aktionen seine Überwindung<br />

vorbereiten. Spanisch ausgedrückt: gegenüber den<br />

„substantiellen" Freiheiten, die den Menschen in seiner<br />

Privatheit in „organischer" Abhängigkeit vom Staat zustehen,<br />

lassen die kapitalistischen Staaten noch zu viel an<br />

„sekundären, zusätzlichen Freiheiten" zu. Zu diesen gehören,<br />

nach den Worten des früheren Außenministers<br />

Artajo, „die der Parteibildung, des Streiks,, der Gewerkschaften.<br />

<strong>Der</strong> Kommunismus ist das Produkt der Herrschaft<br />

der sekundären Freiheiten über die substantiellen . . .<br />

Daher bremst die spanische Regierung bekanntlich die<br />

sekundären Freiheiten: es gibt keine Parteien, keine<br />

Streicks und keine Pressefreiheit im demokratischen<br />

Sinne."<br />

53


Les extrêmes se touchent<br />

Dieser Standpunkt kommt dem enragierten Antikommunisten<br />

so sehr entgegen wie er den gutmütigen demokratischen<br />

Pragmatisten schockiert und am weiteren Zuhören<br />

hindert. Die reaktionäre Kritik, an den Manipulationen<br />

des politisch unmündig gehaltenen Bürgers durch die Propagandamaschinen<br />

der Parteien hinter dem Fetisch „freier<br />

Wahlen" oder daran, daß „nationale oder ausländische,<br />

kulturelle oder politische, wirtschaftliche oder industrielle<br />

Druckgruppen zu eigenem Nutzen eine Vormachtstellung<br />

mißbrauchen", oder an dem munteren Indentaghineinleben<br />

der pragmatistischen Liberalen, die dies zulassen und bei<br />

guten Verhältnissen sogar noch als Beweis für die Überlegenheit<br />

ihrer Ordnung ausgeben gegenüber der totalitärreaktionären,<br />

die sich darin schon ankündigt — diese<br />

Kritik ähnelt in ihren Ergebnissen oft der linken, die allerdings<br />

von anderen Voraussetzungen herkommt.<br />

<strong>Der</strong> Reaktionär wie der Fortschrittliche beziehen in ihr<br />

politisches Denken die Zeitperspektive mit ein, während<br />

der pragmatistische Politiker die jeweils gegenwärtigen<br />

.Gegebenheiten verabsolutiert und an ihnen bestenfalls<br />

kleine Reparaturen ausführen kann, weil ihm — neben<br />

anderen durchaus realen Bedingungen der täglichen Praxis<br />

— das moderne Schlagwort vom Ende aller Ideologien<br />

verbietet, zukünftiges Handeln über einen langen Zeitraum<br />

hinaus gedanklich vorwegzunehmen.<br />

<strong>Der</strong> spanische Reaktionär hat buchstäblich nur ein verzweifeltes<br />

Interesse an der Aufrechterhaltung der anachronistischen<br />

Herrschaft seiner Schicht. Er ist illusionslos<br />

genug einzusehen, daß jeder ernsthafte Versuch innerhalb<br />

der kapitalistischen Länder, die Ideen von Freiheit und<br />

Demokratie zu verwirklichen, daß außenpolitisch jede geglückte<br />

Bemühung um Entspannung, daß jeglicher Machtzuwachs<br />

der Staaten mit kommunistischer Führung seine<br />

Position bedroht. Daher vermag er auch genau zu erkennen,<br />

wo seine Überlebenschancen liegen, bei welchen<br />

Gruppen er Verbündete findet, auf die er sich fest verlassen<br />

kann. Je verfahrener die Lage in Frankreich oder in<br />

Deutschland, desto heftiger die spanische Kritik an den<br />

Zuständen, die noch demokratische Initiative zulassen,<br />

desto verlockender die spanische Lösung für alle die, denen<br />

Demokratie, Gleichheit und Freiheit von jeher unpassender<br />

Christbaumschmuck ihres starken Staates war, dessen<br />

Vollendung sie im Staate Hitlers nur deswegen nicht erblicken<br />

konnten, weil dieser buchstäblich keine Experimente<br />

scheute. Franco ist da zuverlässiger und vorsichtiger.<br />

<strong>Der</strong> Linke kritisiert die gesellschaftlichen Verhältnisse,<br />

, 54 *


weil er fürchtet, sie könnten auf der jetzige» Stufe ihrer<br />

Entwicklung leicht in Faschismus umschlagen. „<strong>Der</strong> die<br />

Verwandlungen scheut / mehr als das Unheil, / was kann<br />

er tun, / wider das Unheil?," fragt er wie Max Frisch eine<br />

Gesellschaft, in der die Frage nach dem Fortschritt in der<br />

Geschichte so suspekt und obszön ist, daß sie ungestellt<br />

bleibt, wie die, ob dann an ihrer Stelle Rückfall in die<br />

Barbarei einziger Ausweg sei, stillschweigend akzeptiert<br />

wird, indem die Gutwilligen sie verdrängen.<br />

Die Hispanisierung Westeuropas<br />

Die antikommunistische Einheitsfront ist nicht mehr ohne<br />

General Franco und sein System denkbar. Die Tendenz der<br />

Mitgliedsländer, sich auf dieses System hinzuentwickeln,<br />

ist offenbar. Dazu bedürfte es nicht einmal einer Machtergreifung<br />

durch die OAS in Frankreich und deren offene<br />

Unterstützung durch den spanischen Staat. Eine Serie<br />

antiliberaler Gesetze in der Bundesrepublik wie Ehescheidungsgesetz,<br />

Jugendwohlfahrtsgesetz, Notdienstverordnungen,<br />

zu schweigen von dem bevorstehenden Notstandsgesetz,<br />

deuten an, wie die Legislative ein System vorweg<br />

institutionell abstützt, das vorläufig noch nicht zu sich<br />

selbst gekommen ist. Die politisch aktiven unter den CDU-<br />

Abgeordneten, denen wir diese Gesetze verdanken, die<br />

sich als des Caudillos fünfte Kolonne lieber in Madrid<br />

beim „Komitee zur Verteidigung der christlichen Kultur"<br />

politischen Rat holen als in Berlin das Fiasko ihrer<br />

Deutschlandpolitik zu überdenken, dokumentieren seit<br />

langem, daß die Weiterentwicklung der westdeutschen<br />

Demokratie ihnen so fern liegt wie der ihnen vom Grundgesetz<br />

aufgetragene Schutz der spärlichen Ansätze von<br />

Demokratie vor der antikommunistisch aufgeladenen<br />

kollektiven Verteidigungsmonomanie, die mit totalitärem<br />

Anflug jene zu schützen vorgibt.<br />

„Wir leben in schwierigen Zeiten", sagte General Franco,<br />

„die Zweifel, Zersplitterung und innere Kämpfe nicht erlauben.<br />

Starke Mächte sind nötig." Seine Wahrheit begreifen<br />

nun auch langsam diejenigen Politiker, die bisher<br />

verdienstvoll zögerten, und jetzt, ihre Gegner und sich<br />

selbst überrundend, für Gemeinsamkeit in den Lebensfragen<br />

der Nation, für ein Kabinett der nationalen Konzentration,<br />

gegen Parteienhader und das „kleinkarierte Parteiengezänk"<br />

(Brandt) zu Felde ziehen, hierin getreulich<br />

begleitet durch die gekränkte nationalistische Masche der<br />

fast schon allmächtigen Springer-Presse. Ihr Anspruch<br />

allerdings, die deutsche Demokratie verteidigen zu wollen<br />

und dabei die Frage der inneren Parteidemokratie durch<br />

55


Ausschluß der Abweichenden zu regeln, aus „Jugenderinrierungen"<br />

an frühere Abneigung, weiter General Franco<br />

zu mißachten, gleichzeitig aber mit seinen ernsthaftesten<br />

deutschen Bewunderern um jeden Preis zusammenzuarbeiten,<br />

macht deutlich, daß diê titanische Anstrengung, bei<br />

diesem Maß an Schizophrenié sich noch als normal zu gebärden,<br />

einer besseren Sache verloren ging.<br />

Während die Linken an den Einsichten verzweifeln, die<br />

sie mit den Reaktionären teilen, beginnen diese beruhigt,<br />

für Deutschland die Stunde Spaniens einzuläuten.<br />

Folgende Ausgaben des ARGUMENT<br />

sind noch erhältlich:<br />

Nr. 17: Die atomare Situation (I)<br />

mit Beiträgen von Günther Anders, Peter Furth, Reimar<br />

Lenz, Françoise Sagan, Carlo Schellemann u. a.<br />

Nr. 18: Die atomare Situation (II)<br />

mit Beiträgen von Volker Hauff, Thomas Metscher, Prof.<br />

Horst-Heinz Schrey, Jean-Paul Sartre u. a.<br />

Nr. 19: Das neue Polen<br />

und die Deutschen<br />

mit Beiträgen von Margherita von Brentano, Jens Daniel,<br />

Prof. Hans Morgenthau, Prof. Percy Schramm, Ludwig<br />

Zimmerer u. a.<br />

In der Sonderflugblatt-Reihe<br />

des ARGUMENT:<br />

Nr. 2: Günther Anders: Offener Brief an Präsident Kennedy.<br />

Zum Fall Eatherley.<br />

(DM—.50)<br />

Themen des nächsten ARGUMENT:<br />

<strong>Der</strong> Jugoslawische Sozialismus.<br />

Portugiesischer Faschismus und portugiesisches Kolonialsystem.<br />

56


BCkcher<br />

Thomas Harting<br />

Philosophie aus dem heutigen Polen:<br />

Kolakowski<br />

<strong>Der</strong> Versuch, eine Brücke zum polnischen Nachbarvolk zu<br />

schlagen, den das „Argument" in die Wege geleitet hat,<br />

wird nicht dabei stehen bleiben dürfen, die sozialen und<br />

politischen Verhältnisse des heutigen Polen uns nâhér zu<br />

bringen. Es gehört zu den verheerenden Auswirkungen<br />

des sogenannten Kalten Krieges, daß wir auch über die<br />

Lage der Philosophie in Polen meist nur mangelhaft<br />

orientiert sein können. Wenn man davon ausgeht, daß<br />

die Entscheidungen über den Weg eines Volkes im Denken<br />

seiner Intellektuellen vorbereitet werden und ihren<br />

deutlichsten Ausdruck finden, so wird man diesen Mangel<br />

besonders schmerzlich empfinden. Als allgemein zugängliche<br />

und nennenswerte Publikation aus dem philosophischen<br />

Leben des heutigen Polen liegt uns lediglich die<br />

Essaysammlung „<strong>Der</strong> Mensch ohne Alternative" 1 in<br />

deutscher Sprache vor, deren Verfasser Leszek Kolakowski<br />

es wohl verdient, daß man ihm mit der größten Aufmerksamkeit<br />

entgegenkommt.<br />

Das ergibt sich ohne weiteres, wenn man das Prinzip<br />

seines Denkens kennenlernt. Besonders aufschlußreich<br />

in dieser Hinsicht ist die in der Sammlung zuletzt aufgeführte<br />

Arbeit mit der Überschrift „<strong>Der</strong> Priester und<br />

der Narr", Niederschlag einer intensiven Beschäftigung<br />

mit der Geschichte der Philosophie und zugleich das ausdrückliche<br />

Bekenntnis des eigenen Standorts enthaltend.<br />

Im Thema steht die Auseinandersetzung Kolakowskis mit<br />

Fragen, vor die sich das Denken jedesmal gestellt finden<br />

kann, wenn es sich anschickt, seine Quellen aufzusuchen<br />

und die Grenzen des in ihm Möglichen kennenzulernen.<br />

Die Philosophie, davon geht Kolakowski aus, habe sich<br />

niemals vom Erbe der Theologie freigemacht. So sei die<br />

erste Frage, welche die moderne Philosophie aus der von<br />

ihm als „theologisch" bezeichneten Tradition — gemeint<br />

ist vor allem das christlich-abendländische Denken —<br />

übernommen habe, die Frage nach der Möglichkeit einer<br />

Eschatologie. Ebenso gehöre das Problem der Theodizee<br />

zum theologischen Erbe im modernen Denken. Das Verhältnis<br />

von Natur und Gnade sowie die Frage nach der<br />

Möglichkeit von Offenbarung sind weitere Hauptpunkte,<br />

1 Leszek Kolakowski: „<strong>Der</strong> Mensch ohne Alternative". Von der Möglichkeit<br />

und Unmöglichkeit, Marxist zu sein. 248 Seiten. DM 8,50,<br />

Piper Verlag, Mündien, 1960.<br />

57


deren Kolakowski in diesem Zusammenhang Erwähnung<br />

tut. Es bleibt nidit aus, daß die Frage nach dem Bezug<br />

des Denkens auf das Absolute in den Mittelpunkt der<br />

Erörterung tritt. Die Beispiele, welche Kolakowski bringt,<br />

gelten einesteils dem Nachweis, daß die herkömmlichen<br />

Problemstellungen nicht schlechthin nichtig sind, sondern<br />

vielmehr im modernen Denken aufgehen konnten. Die<br />

Substanz seines Vortrags zeigt sich jedoch erst, wenn er<br />

auf den unversöhnlich scheinenden Antagonismus zwischen<br />

Philosophie, die sich des Absoluten habhaft wähnt,<br />

und einem Denken, welches nicht müde wird, die anerkannten<br />

Absoluta in Frage zu stellen, zu sprechen kommt.<br />

Um rücksichtslose Verfraglichung und Destruktion angemaßter<br />

Absolutheit im Denken, wo immer sie auftreten<br />

mag, ist es Kolakowski zu tun. Will man dies als das<br />

positive Prinzip seines Denkens bezeichnen, so bleibt doch<br />

noch fraglich, ob es sich von dem Ansatz her, welcher<br />

Kolakowski eigentümlich ist, befriedigend verwirklichen<br />

läßt. Er redet einer „Philosophie, die ohne Absolutes und<br />

ohne ein Endziel auszukommen versucht", das Wort und<br />

stellt sie als Philosophie des Narren in Anlehnung an<br />

Georges Sorel der Philosophie des Priesters gegenüber.<br />

„<strong>Der</strong> Priester ist der Wächter des Absoluten, er dient<br />

dem Kultus des Endgültigen und der anerkannten Selbstverständlichkeiten,<br />

die in der Tradition verwurzelt sind.<br />

<strong>Der</strong> Narr ist der Zweifler an allem, was als selbstverständlich<br />

gilt, er verkehrt zwar in guter Gesellschaft,<br />

doch er gehört ihr nicht an und sagt ihr Impertinenzen.<br />

Er könnte dies nicht tun, wenn er selbst zur guten Gesellschaft<br />

gehörte." In diesen Worten kehrt sich das<br />

Gesicht eines Denkens hervor, dem es ernst um den<br />

eigenen Anspruch ist. Kolakowskis Eintreten für die<br />

Philosophie des Narren, „also für die Haltung der negativen<br />

Wachsamkeit gegenüber jedem Absoluten" ist durchaus<br />

kein leeres Sich-aufspielen-wollen.<br />

Es würde zu weit führen, die Vorzüge und Schwächen<br />

seines Standpunktes hier im Einzelnen darzutun. Diesem<br />

energischen Kopf ist jedenfalls der größtmögliche Einfluß<br />

in seinem Heimatland zu wünschen. An einem überzeugenden<br />

Vertreter des ebenso notwendigen wie einseitigen<br />

Prinzips, welches in Kolakowskis Denken bestimmend<br />

wirkt, fehlt es leider in der jüngeren Generation<br />

philosophischer Schriftsteller in Westdeutschland. Um so<br />

mehr Grund, sich im Gegenstoß zur übermächtig scheinenden<br />

restaurativen Oberflächenströmung des sogenannten<br />

Zeitgeistes mit Kolakowski auseinanderzusetzen, um<br />

das Wesentliche seiner Gedankengesinnung in die jeweils<br />

eigene aufzunehmen.<br />

58


Dokumentation<br />

Nikita S. Chruschtschow<br />

Gegen den Kult<br />

um meine Person<br />

In vielen Parteitagsreden und auch nicht selten in unserer<br />

Presse wird, wenn von der Tätigkeit des ZK unserer<br />

Partei die Rede ist, besondere Betonung auf meine Person<br />

gelegt, wird meine Rolle bei der Verwirklichung<br />

wichtiger Maßnahmen der Partei und der Regierung unterstrichen.<br />

Ich verstehe die guten Gefühle, von denen sich diese<br />

Genossen leiten lassen. Erlauben Sie mir jedoch, mit<br />

allem Nachdruck zu unterstreichen, daß alles, was an<br />

meine Adresse gerichtet ist, an die Adresse des Zentralkomitees<br />

unserer Leninschen Partei, an die Adresse des<br />

Präsidiums des ZK gerichtet werden muß. Keine einzige<br />

große Maßnahme, keine einzige verantwortungsvolle<br />

Rede erfolgte bei uns auf Weisung einer Einzelperson,<br />

sondern sie sind das Ergebnis kollektiver Beratung und<br />

kollektiver Entscheidung. Auch dieses Schlußwort ist von<br />

dem leitenden Kollektiv geprüft und bestätigt worden.<br />

In der kollektiven Führung, in der kollegialen Entscheidung<br />

aller prinzipiellen Fragen liegt unsere große Kraft,<br />

Genossen.<br />

über welche Fähigkeiten der eine oder andere Funktionär<br />

auch verfügen möge, wieviel Kräfte er der Sache<br />

auch widmen möge, man kann keinen richtigen, dauerhaften<br />

Erfolg ohne Unterstützung des Kollektivs, ohne<br />

die aktivste Teilnahme der gesamten Partei, der breiten<br />

Volksmassen an der Durchführung der vorgesehenen<br />

Maßnahmen erreichen. Dies alles müssen wir gut verstehen<br />

und ständig daran denken.<br />

Die kommunistischen Führer sind stark durch die Tätigkeit<br />

der von ihnen geführten Massen. Wenn sie die Interessen<br />

der Partei, die Interessen des Volkes richtig<br />

verstehen und zum Ausdruck bringen, wenn sie, ohne<br />

ihre Kräfte, ihre Energie und selbst ihr Leben zu schonen,<br />

für diese Interessen kämpfen, wenn sie im großen<br />

und im kleinen von der Partei nicht zu trennen sind,<br />

wie die Partei nicht vom Volk zu trennen ist — solche<br />

59


Führer werden von der Partei und dem Volk immer<br />

unterstützt werden. Ünd die Sache, für die ein solcher<br />

Führer kämpft, wird unweigerlich triumphieren.<br />

Selbstverständlich muß man über Fähigkeiten verfügen,<br />

die für den Kampf um die Sache der Partei, um die<br />

Lebensinteressen des Volkes notwendig sind. Unsere<br />

ideologischen Gegner, unsere Feinde konzentrieren ja in<br />

erster Linie ihr Feuer auf die Führer, die ein Aktiv um<br />

die leitenden Organe vereinigen und durch dieses Aktiv<br />

das ganze Volk und damit die Sache auf dem einzig richtigen<br />

Leninschen Weg voranbringen.<br />

Hier auf dem Parteitag wurde zum Beispiel viel darüber<br />

gesprochen, welche wütende Energie die parteifeindlichen<br />

Fraktionäre Molotow, Kaganowitsch, Malenkow und andere<br />

gegen das Leninsche Zentralkomitee der Partei ünd<br />

gegen mich persönlich entfalteten. Indem sie gegen den<br />

Kurs der Partei auftraten, der von dem XX. Parteitag aufgezeichnet<br />

wurde, richteten die Spalter das Feuer hauptsächlich<br />

auf den ihnen nicht genehmen Chruschtschow.<br />

Warum gegen Chruschtschow? Darum, weil Chruschtschow<br />

durch den Willen der Partei auf den Posten des<br />

Ersten Sektretärs des Zentralkomitees gestellt worden ist.<br />

Die Fraktionäre haben sich grausam geirrt. Die Partei<br />

hat sie sowohl ideologisch als auch organisatorisch zerschlagen<br />

...<br />

Die Marxisten-Leninisten, die sich entschieden gegen alle<br />

widerwärtigen Erscheinungen des Personenkults wenden,<br />

haben die Autorität der Führer stets anerkannt und werden<br />

sie auch stets anerkennen.<br />

Es wäre aber falsch, den einen oder anderen Führer<br />

herauszustellen, ihn irgendwie von dem leitenden Kollektiv<br />

zu trennen und ihn übermäßig zu loben. Dies<br />

widerspricht den Prinzipien des Marxismus-Leninismus.<br />

Es ist bekannt, mit welcher Unversöhnlichkeit Marx, Engels<br />

und Lenin sich gegen diejenigen wandten, die ihre<br />

Verdienste lobten. Dabei kann man die große Rolle und<br />

die Verdienste der Begründer des wissenschaftlichen<br />

Kommunismus, Marx, Engels und Lenin, vor der Arbeiterklasse,<br />

vor der ganzen Menschheit nicht hoch genug<br />

einschätzen. Den wahren Marxisten-Leninisten sind die<br />

Gefühle sowohl des Eigenlobes als auch der besonderen<br />

Betonung und der übermäßigen Übertreibung der Rolle<br />

einzelner Funktionäre zutiefst fremd. Für sie ist es direkt<br />

beleidigend, wenn irgendjemand beharrlich versucht, sie<br />

zu trennen und von dem führenden Kern der Genossen<br />

zu isolieren.<br />

Wir Kommunisten schätzen die Autorität einer richtigen<br />

und reifen Führung hoch ein und unterstützen sie. Wir<br />

60


müssen die Autorität, der von der Partei und dem Volk<br />

anerkannten Führer schützen. Doch jeder Führer muß<br />

auch die andere Seite der Sache verstehen. — Er darf<br />

nicht mit seiner Stellung prahlen, er darf es nicht vergessen,<br />

daß dieser Mensch, wenn er den einen oder anderen<br />

Posten einnimmt, nur den Willen der Partei, den<br />

Willen des Volkes ausführt, die ihm vielleicht die höchste<br />

Macht übertragen haben, die aber niemals die Kontrolle<br />

über ihn verlieren. <strong>Der</strong> Führer, der dies vergißt, muß<br />

für solche Fehler bitter zahlen. Ich möchte sagen — entweder<br />

zahlt er bei Lebzeiten oder das Volk verzeiht<br />

ihm auch nach dem Tode nicht, wie dies mit der Verurteilung<br />

des Personenkults Stalins geschehen ist. Einen<br />

Menschen, der es vergißt, daß er verpflichtet ist, den<br />

Willen der Partei, den Willen des Volkes zu erfüllen,<br />

kann man eigentlich auch nicht als richtigen Führer bezeichnen.<br />

Solche „Führer" dürfen bei uns weder in der<br />

Partei noch im Staatsapparat sein.<br />

(Aus der Schlußrede Chruschtschows zum 22. Parteitag<br />

der KPSU)<br />

Leserbrief<br />

Sehr geehrter Herr Müller-Wirth,<br />

Ihr Sonderheft über Polen fand ich sehr eindrucksvoll und<br />

orientierend. Jeder Versuch unsererseits, mit Polen ,als<br />

einer Kulturnation in eine menschlich-unmittelbare Beziehung<br />

zu kommen, muß mit Dankbarkeit vermerkt werden.<br />

Neben den Juden hat die Polen das dünkelhafte Vorurteil<br />

der Deutschen durch Generationen getroffen: bessér<br />

als Juden und Polen wähnten wir uns noch immer. Es gehört<br />

zu den beschämenden Einsichten der Nachkriegszeit,<br />

daß zur Revision dieses Vorurteils kaum etwas und vor<br />

allem offiziell so gut wie nichts geschah. Weil Polen sozusagen<br />

auf der anderen Seite der Welt liegt, schien man es<br />

gleichsam nicht nötig zu haben, zu einem vollen Bewußtsein<br />

dessen zu kommen, was wir dieser Nation angetan<br />

haben. Aber die anderen und auch unsere Verbündeten<br />

vergessen nicht so rasch. Ideologische Einfärbungen, die<br />

uns trennen, können nicht zum Verschwinden bringen, daß<br />

wir in Jahrhunderten dieses verächtlichen Herabblickens<br />

tief in die Schuld der Mißachteten geraten sind. Vielleicht<br />

wird das bei uns im Laufe der Zeit auch noch von einigen<br />

mehr als jenen Intellektuellen anerkannt werden, von<br />

denen man ebenfalls nicht weiß, ob man sich vor ihnen<br />

ängstigen oder sie verachten soll.<br />

Ihr<br />

Alexander Mitscherlich<br />

61


Redaktionelle<br />

Anmerkungen<br />

Lieber ARGUMENT-Leser!<br />

Die das ARGUMENT schreiben und verantworten, bezahlen<br />

und verkaufen, sind zum großen Teil Studenten. Ohne<br />

mancherlei Unterstützung von außerhalb der Studentenschaft<br />

wäre es kaum möglich gewesen, drei Jahre lang<br />

durchzuhalten.<br />

t<br />

Die neue Aufmachung, in der das ARGUMENT seit Heft 19<br />

erscheint, erhöht nicht nur die Möglichkeiten qualitativer<br />

und quantitativer Weiterentwicklung, sondern auch das<br />

Risiko, das mit der Herausgabe einer weniger kommerziellen<br />

als kämpferischen Zeitschrift verbunden ist.<br />

Das ARGUMENT, an dem keiner seiner Mitarbeiter etwas<br />

verdient, ist die zur Zeit wohl einzige Zeitschrift, deren<br />

Abrechnung laut Impressum öffentlich einzusehen ist.<br />

Andererseits ist das ARGUMENT mehr als gewöhnlich<br />

auf Gemeinschaftsleistungen seiner Mitarbeiter und Leser<br />

angewiesen.<br />

Da es möglich sein sollte, das ARGUMENT auch weiterhin<br />

Studenten und Schülern zum halben Preis zu überlassen,<br />

sind wir auch in Zukunft auf zusätzliche Spenden und<br />

Patenschaftsabonnements angewiesen.<br />

Wo ein Mehr nicht möglich scheint, bitten wir unsere<br />

Leser herzlich, wenigstens folgende Punkte zu beachten:<br />

• Rechnungen werden i. A. nicht verschickt.<br />

• Wir bitten, die Zahlkarte zu benutzen, die jedem Heft<br />

beiliegt.<br />

• Bitte vergessen Sie nicht den Betrag fürs Porto (—,25) !<br />

Beim letzten Mal sind einige überflüssige Mahnungen<br />

verschickt worden, was durch die Neueinrichtung des Versands<br />

in Karlsruhe verursacht war. Aber auch wo Mahnungen<br />

durchaus nicht überflüssig sind, bleiben sie unerfreulich.<br />

Wir bitten fürs erstere um Entschuldigung und<br />

zweifeln im übrigen nicht daran, bei unseren Lesern Einsicht<br />

in die Notwendigkeit unserer Arbeit zu finden.<br />

Die Herausgeber.<br />

<strong>Der</strong> vorliegenden Ausgabe liegt der Aufruf zum Ostermarsch<br />

der Atomwaffengegner 1962 bei. Wir empfehlen<br />

dieses Unternehmen dringend der Unterstützung unserer<br />

Leser. Für Berlin hat das Vorstandsmitglied des Argument-<br />

Klubs, Heiko Dahle, die Vorbereitung des nächsten Ostermarsches<br />

übernommen. Interessenten erhalten Auskunft<br />

beim Argument-Klub, Berlin W 35, Postfach 67.<br />

<strong>Der</strong> Ausgabe liegt ebenfalls ein ausführliches Verzeichnis<br />

des Cotta-Verlages, Stuttgart, bei, das wir der besonderen<br />

Aufmerksamkeit unserer Leser empfehlen.<br />

62

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!