Der schleichende Atomkrieg - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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<strong>Berliner</strong> Hefte für Politik<br />
und Kultur<br />
Aus dem Inhalt:<br />
GÜNTHER ANDERS, VOLKER HAUFF, WOLFGANG FRITZ HAUG:<br />
<strong>Der</strong> <strong>schleichende</strong> <strong>Atomkrieg</strong><br />
PROF. OSSIP K. FLECHTHEIM, HAUG,<br />
PROF. JOHN H. HERZ, REIMAR LENZ, MICHAEL MAUKE,<br />
THOMAS METSCHER UND HARTMUT ZIMMERMANN:<br />
Berlin-Diskussion<br />
GERHARD SCHOENBERNER, REINHARD STRECKER UND FRITZE WOLF:<br />
Eichmann und andere<br />
GÜNTHER W. LORENZ UND CHRISTIAN RIECHERS:<br />
Spaniens Faschismus<br />
NIKITA S. CHRUSCHTSCHOW:<br />
Gegen den Kult um meine Person<br />
Heft 20 Dezember 1961/Januar 1962
Das Argument<br />
herausgegeben von<br />
Wolfgang F. Haug und Christof Müller-Wirth<br />
in Verbindung mit<br />
Norbert Adrian, Günther Anders, Margherita von Brentano, Adolf Burg, Uwe<br />
Damm, Axel Eggebredit, Prof. Ossip K. Fleditheim, Peter Furth, Prof. Dietrich<br />
Goldsdimidt, Prof. Helmut Gollwitzer, Propst Heinrich Grüber, Wolfgang<br />
Hofmann, Prof. Michael Landmann, Reimar Lenz, Michael Mauke, Thomas<br />
Metscher, Dieter Rave, Irene von Reitzenstein, Wolf gang P. Schaar, Wolfdietrich<br />
Schnurre, Gerhard Schoenberner, Prof. Heinz Horst Schrey, Prof.<br />
Rudolf Sühnel, Rolf Ulrich, Prof. Wilhelm Weisdiedel, Hartmut Zimmermann<br />
Das Argument geht davon aus,<br />
daß es die gemeinsame Aufgabe der Intellektuellen ist,<br />
die Wahrheit zu suchen und auszusprechen<br />
daß die Resignation zum geistigen Spezialarbeiter<br />
einen Verrat an dieser Aufgabe betreutet<br />
Das Argument hält es für notwendig,<br />
angesichts der Bedenklichkeit<br />
des Aussprechens der Wahrheit<br />
die Wahrheit zu bedenken und auszusprechen<br />
angesichts der Schwierigkeiten<br />
beim Schreiben der Wahrheit<br />
diese Schwierigkeiten durch Schreiben der Wahrheit zu<br />
bekämpfen<br />
angesichts des Scheiterns der Aufklärung<br />
die Gründe dieses Scheiterns aufzuklären<br />
angesichts der Erfahrung,<br />
daß das Wirkliche nicht schon das Wahre ist,<br />
die Wirklichkeit wahrzunehmen<br />
angesichts der Erfahrung,<br />
daß Erkenntnisse nicht schon Argumente sind,<br />
Erkenntnisse zu Argumenten zu machen<br />
Das Argument will einen Ort bieten,<br />
wo die Kontakte hergestellt, die Informationen vermittelt<br />
die Analysen durchgeführt<br />
die Argumente geprüft werden können,<br />
um die genannten Aufgaben hier und jetzt zu konkretisieren<br />
DAS ARGUMENT erscheint etwa dreimonatlich • Einzelheft 2,— DM, zuzügl. Porto (Studenten<br />
und Schüler 1,— DM) • DAS ARGUMENT ist kein gewerbliches Unternehmen, Mitarbeit erfolgt<br />
grundsätzlich ohne Honorar; jeder Mitarbeiter bzw. Abonnent hat das Recht auf Einblick in<br />
die Rechnungslegung • Redaktion; Wolfgang F. Haug, Berlin W 35, Postfach 67 • Verlagsleitung:<br />
Dr. Christof Müller-Wirth, Karlsruhe-West, Postfach 4048 • Postscheckkonto: Karlsruhe Sonderkonto<br />
1182 18 • Bankkonto: Deutsche Bank,. Filiale Karlsruhe, Konto .Das Argument* Nr. 28769.
Inhalt<br />
<strong>Der</strong> <strong>schleichende</strong> <strong>Atomkrieg</strong><br />
Günther Anders<br />
Erklärung 2<br />
Volker Hauff und Wolfgang F. Haug<br />
<strong>Der</strong> <strong>schleichende</strong> <strong>Atomkrieg</strong> . . . . . . . 3<br />
Michael Mauke<br />
neutronic bomb . , 11<br />
Stefan Gant<br />
Zeitansage 11<br />
Berlin-Diskussion<br />
Wolf gang F. Haug<br />
Freiheit . . . unterzugehen? . . . . . . . 12<br />
Reimar Lenz<br />
Konkürrenz mit Hitler 19<br />
Michael Mauke<br />
Westberlins internationale Chance 19<br />
Hartmut Zimmermann<br />
Fragen über Fragen 21<br />
Thomas Metscher<br />
Berlin — Krise der westlichen Politik . . . . 25<br />
Prof. Ossip K. Flechtheim<br />
Wenn schon nicht idealistisch. 27<br />
Prof. John H. Herz<br />
Für eine UNO-Stadt Berlin . . . . . . . 29<br />
Eichmann und andere<br />
Fritze Wolf<br />
Die Schüler des Hofpredigers Stoecker . . . . 31<br />
Reinhard Strecker<br />
Die Namen nennen 34<br />
Gerhard Schoenberner<br />
Lehren aus dem Eichmann-Prozeß 35<br />
Kommentar eines spanischen Faschisten . . . . 43<br />
Peps Mauler<br />
Zwei Maulereien 44<br />
Spanien<br />
Günther W. Lorenz<br />
25 Jahre danach 45<br />
Christian Riechers<br />
Spaniens Mythos des 20. Jahrhunderts . . . . 48<br />
Bücher<br />
Thomas Harting<br />
Kolakowski 57<br />
Dokumentation<br />
Nikita S. Chruschtschow<br />
Gegen den Kult um meine Person 59<br />
Redaktionelle Anmerkungen .62
<strong>Der</strong> <strong>schleichende</strong> <strong>Atomkrieg</strong><br />
Günther Anders<br />
Erklärung<br />
Die Forderungen, die wir in unserer Zeitschrift vertreten, und zu<br />
denen der endgültige Abbruch aller Atomtests gehört, gelten<br />
selbstverständlich für alle Mächte. Atomtests, gleich von wem<br />
durchgeführt, sind nur dem Namen nach „Tests", d. h.: sie sind<br />
keine Laboratoriums-Experimente, sondern wirkliche Handlungen,<br />
die die Menschheit, und zwar die morgige genau so wie die<br />
heutige, effektiv gefährden.<br />
Unseligerweise hatte bereits in d,er Zeit, in der die drei großen<br />
Atommächte pausiert hatten, eine vierte Macht dieses Moratorium<br />
mißachtet: Frankreich. Die Tatsache, daß sich nun auch eine<br />
der großen Mächte, Sowjet-Rußland, durch die Zuspitzung der<br />
politischen, namentlich der Berlin-Krise, dazu hat verführen lassen,<br />
von neuem das Testing aufzunehmen, erfüllt uns mit Befremden,<br />
Trauer und Bestürzung. Dies um so mehr, als in jedem<br />
atomar gerüsteten Land starke Gruppen existieren, die auf die<br />
Wiederaufnahme der „Tests" seit langem gierig lauern, und die<br />
nun in diesem Präzedenzfall den gottgesandten Vorwand dafür<br />
begrüßen werden, um in Selbstgerechtigkeit gleichfalls neu zu<br />
beginnen. Die Folgen sind unabsehbar. Selbst wenn sich Sowjet-<br />
Rußland zu diesem Akt in der Hoffnung entschlossen haben sollte,<br />
damit vor der Gefahr eines Krieges, der atomar ausarten könnte,<br />
zu warnen und dem Ausbruch eines solchen Krieges dadurch einen<br />
Riegel vorzuschieben — und von diesem Motiv sind wir<br />
fest überzeugt — bleibt diese Methode der Friedenssicherung, abgesehen<br />
von deren äußerst fragwürdiger politischer Klugheit, für<br />
uns inakzeptabel, denn sie gehört zu jenen Maßnahmen der<br />
„deterrence", der Abschreckung, deren Fürsprecher wir bekämpfen,<br />
gleich wo sie auftreten.<br />
Was geschehen ist, ist bestimmt kein neues Hiroshima. Aber es<br />
stellt doch einen Akt dar, der eine Kettenreaktion nach sich ziehen<br />
und damit die Welt in ein einziges Hiroshima verwandeln<br />
könnte.<br />
Deshalb erheben wir mit aller uns zu Gebote stehenden Dringlichkeit<br />
unsere Stimme und verlangen von denjenigen, in deren<br />
Hand das Schicksal der Menschheit liegt, Zurückhaltung zu üben,<br />
es bei dieser Durchbrechung der Testpause zu belassen, Provokationen<br />
zu vermeiden, namentlich solche, die als Provokationen<br />
gemeint sind, die Verhandlungen in Genf unverzüglich, und zwar<br />
in erster Besetzung, wieder aufzunehmen, in Gipfeltreffen die<br />
Situation, die fast bis zum Zerreißpunkt gespannt ist, zu entspannen<br />
— und dadurch den Millionen, die noch immer auf Zukunft<br />
hoffen, zu beweisen, daß sie von Männern regiert werden,<br />
die den Aufgaben von heute und morgen wirklich gewachsen<br />
sind.<br />
2
s Volker Hauff und Wolfgang F. Haug<br />
<strong>Der</strong> <strong>schleichende</strong><br />
<strong>Atomkrieg</strong><br />
„Nicht das überleben der menschlichen Rasse<br />
stellt den höchsten Wert dar, sondern die<br />
Erhaltung dessen, was zur Zeit existiert."<br />
Deutsche Zeitung, 24. 10. 1961<br />
„<strong>Der</strong> die Verwandlungen scheut<br />
Mehr als das Unheil,<br />
Was kann er tun<br />
Wider das Unheil?"<br />
Max Frisch<br />
Biedermann und die Brandstifter<br />
Die einseitige Beendigung des nahezu drei Jahre andauernden,<br />
freiwilligen Verzichts auf Atomtests ist eine<br />
Bedrohung der Menschheit und kann schwerlich gerechtfertigt<br />
werden. Freilich ist die Vorgeschichte dazu nicht<br />
recht durchsichtig. Bereits im Juni 1961 — also mehr als<br />
zwei Monate vor Beginn der sowjetischen Atomexplosionen<br />
— konnte man in einer großen Tageszeitung der<br />
Bundesrepublik lesen: „In Ost und West besteht ein militärisches<br />
Interesse daran, die seit dem 31. Oktober 1958<br />
andauernde Periode der unkontrollierten Einstellung der<br />
Atomversuche abzubrechen V<br />
3
Die sowjetische Testreihe machte es möglich, daß jenes<br />
oft zitierte „militärische Interesse" seine Befriedigung<br />
finden konnte, in Ost und West.<br />
Die Folgen, die wir alle zu tragen haben, sind im Augenblick<br />
noch nicht überschaubar. Bei den amerikanischen<br />
Versuchsexplosionen des Jahres 1958 machte man die<br />
Feststellung, daß die Fall-out-Radioaktivität erst ungefähr<br />
sechs Monate nach der letzten Atomexplosion ihren<br />
Höhepunkt erreichte. Das hat seine Ursache darin, daß<br />
die radioaktiven Partikelchen bei der Explosion in die<br />
Stratosphäre geschleudert werden und erst nach einiger<br />
Zeit in die Troposphäre, die Luftschicht unserer Wetterbildung,<br />
zurückkehren 2 .<br />
Nach Ansicht führender Atomexperten hatte bereits am<br />
25. September 1961 die Radioaktivität den Stand von 1958<br />
erreicht 3 . Danach folgten, innerhalb von einem Monat,<br />
fünfzehn sowjetische Atomexplosionen mit einer Sprengkraft<br />
von insgesamt rund 100 Megatonnen. Das Mitglied<br />
der amerikanischen Atomenergie-Kommission Dr. G. T.<br />
Seaborg meinte: „Eine 100 Megatonnenbombe würde soviel<br />
Radioaktivität erzeugen, wie 60 Prozent aller Atomexplosionen<br />
zwischen 1945 und 1958 4 ."<br />
Den bisher höchsten Stand der Radioaktivität der Niederschläge<br />
in Norddeutschland seit fünf Jahren hat der Deutsche<br />
Wetterdienst in Schleswig für die Zeit vom 13. Oktober<br />
bis 10. November 1961 registriert. Die Meßstation<br />
Schleswig verzeichnet für den genannten Zeitraum eine<br />
durchschnittliche Radioaktivität der Niederschläge von<br />
1350 Pico-Curie. Das sind 100 Pico-Curie mehr als im<br />
Monatsdurchschnitt des September 1957.<br />
Auch in Italien hat die Radioaktivität einen bisher nicht<br />
festgestellten Stand erreicht. Die bisher höchste Wertung<br />
wurde am 2. November bei Pian Rose in den italienischfranzösischen<br />
Alpen mit 21 und zwei Tage später bei<br />
Rom mit 18 Pico-Curie pro Kubikmeter Luft gemessen 5 .<br />
Neueste Schätzungen, die aus französischen Quellen stammen,<br />
vermuten, daß der radioaktive Niederschlag in etwa<br />
sechs Monaten, also im März 1962, etwa zehnmal höher<br />
sein werde, als der bisher gemessene absolute Höchststand<br />
im Jahre 1959 6 .<br />
Erschreckendes ergeben die Berechnungen des amerikanischen<br />
Nobelpreisträgers Linnus Pauling: „40 000 noch<br />
Ungeborene nehmen schweren körperlichen Schaden durch<br />
die Explosion der 50-Megatonnen-Bombe V<br />
Als Zahl für die Todesfälle, durch Krebs oder Leukämie<br />
etwa, die vermutlich durch die neuesten Atomtests<br />
verursucht werden, gibt der französische Physiker Prof.<br />
F. Perriil, Leiter des Französischen Hohen Kommissariats<br />
4
für Atomenergie: „Die Explosion der Superbombe wird<br />
in den nächsten 30 Jahren 10 000 Menschenleben fordern 8 ."<br />
In gleicher Weise wurde von dem amerikanischen Atomexperten<br />
Prof. Lapp geäußert, daß das augenblickliche<br />
Fallout bereits die pro Jahr vertretbare Strahlungsdosis<br />
überschreitet 9 .<br />
Trotzdem wird von offiziellen europäischen, aber auch<br />
amerikanischen (ganz zu schweigen von den sowjetischen)<br />
Stellen der Versuch unternommen, die Auswirkungen<br />
von Atomexplosionen in unverantwortlicher Weise zu<br />
verharmlosen. Auch diese allgemeine Mystifikation der<br />
Weltbevölkerung, durchbrochen nur von den Regierungschefs<br />
einiger .blockfreien' Länder, wird sicherlich von<br />
dem gleichen „militärischen Interesse" diktiert, das auch<br />
die Wiederaufnahme der sogenannten Atomversuche"<br />
diktierte und das offenbar in Ost und West eine ähnliche<br />
beherrschende Position einnimmt und die Menschheit<br />
furchtbar bedroht.<br />
Um der Verschleierung, für die wir weiter unten ein Beispiel<br />
aus der westdeutschen Springerpresse bringen, aufklärend<br />
entgegenzuwirken, schalten wir hier einen Artikel<br />
aus der „Deutschen Zeitung" ein, der die Problematik<br />
der Beurteilung von Strahlenwirkungen kurz und<br />
verständlich darstellt:<br />
Zur Beurteilung von Strahlenwirkungen<br />
„Maßgebend für die Beurteilung der Strahlenwirkungen<br />
auf den Organismus ist vor allem die sogenannte Ionisation:<br />
jede Art energiereicher Strahlen, ob Teilchen-<br />
Strahlen oder elektromagnetische Wellen (Röntgenstrahlen),<br />
bewirkt, daß aus den eletrisch neutralen Atomen<br />
oder Atomverbänden (Moleküle) Elektronen herausgeschlagen<br />
und damit aus den Rest-Atomen (oder Atomverbänden)<br />
positiv geladene „Ionen" werden. Sie rufen<br />
in der lebenden Zelle mehr oder weniger tiefgreifende<br />
physikalisch-chemische Veränderungen hervor. Es gibt<br />
Alpha-Strahlen (schnelle Helium-Atomkerne), Beta-Strahlen<br />
(schnelle Elektronen), Gamma-Strahlen (elektro-magnetische<br />
Wellenstrahlen hoher Energie), Neutronen-Strahlen<br />
(bewegte Neutronen = elektrisch ungeladene Elementarteilchen)<br />
und Röntgen-Strahlen (elektro-magnetische<br />
Strahlen unterschiedlicher Energie), die getrennt oder<br />
nebeneinander auftreten können. Für die Gefährdung des<br />
menschlichen Organismus durch die Strahlung künstlicher<br />
Radioisotope, wie sie zum Beispiel nach Atomexplosionen<br />
5
auftreten, sprechen neben der Strahlungsart und -energie<br />
zwei wichtige Faktoren mit: Die besondere Empfindlichkeit<br />
bestimmter Organe („<strong>kritische</strong> Organe") und Lebensdauer<br />
der Isotope, angegeben durch die sogenannte Halbwertzeit,<br />
in der die Isotope jeweils zur Hälfte zerfallen.<br />
Für einige der wichtigsten radioaktiven Isotope lauten die<br />
Angaben:<br />
Element<br />
Kritisch. Organ<br />
Halbwertzeit<br />
Strahlung<br />
Strontium 90<br />
Caesium 137<br />
Jod 131<br />
Knochen,<br />
Dickdarm<br />
Gesamtkörper<br />
Leber, Milz,<br />
Muskeln<br />
Schilddrüse,<br />
Dickdarm<br />
28 Jahre<br />
30 Jahre<br />
8 Tage<br />
Beta<br />
Beta<br />
Beta,<br />
Gamma<br />
Die Schäden, die der Mensch durch ionisierende Strahlen<br />
erleiden kann, lassen sich in drei Arten einteilen: Nach<br />
Einwirkung einer bestimmten Strahlenmenge, zum Beispiel<br />
hoher Strahlungsdosen in kurzer Zeit, treten akute<br />
Strahlenschäden auf, die in ernsten Fällen zum Tode<br />
führen können; bei langanhaltender Einwirkung kleinerer<br />
Dosen können sich, zum Teil nach Jahren oder Jahrzehnten,<br />
Spätschäden einstellen; durch sprunghafte Änderungen<br />
an den Vererbungsträgern (Genen) kann es<br />
zu Erbschäden kommen, die erst in den folgenden Generationen<br />
erkennbar sind. Daraus ergibt sich, daß von<br />
-einer völlig unschädlichen Dosis nicht die Rede sein<br />
kann. Man hat daher den Begriff der „höchst zulässigen<br />
Strahlendosis" geprägt und versteht darunter jene Mengen<br />
von Strahlung, die nach den gegenwärtigen Kenntnissen<br />
aller Voraussicht nach keine merklichen körperlichen<br />
Schäden bei der betreffenden Person auf Lebenszeit<br />
hervorrufen, und deren mögliche Erbschäden noch<br />
annehmbar erscheinen.<br />
Dementsprechend setzte die internationale Strahlenschutzkommission<br />
1958 fest, daß die höchstzulässige Keimdrüsendosis<br />
für die Gesamtbevölkerung bis zum mittleren<br />
Fortpflanzungsalter von 30 Jahren fünf rem betragen soll.<br />
Das rem (röntgen equivalent man) ist eine nach der biologischen<br />
Wirkung ausgerichtete Dosiseinheit. Sie wird<br />
auch in der ersten Strahlenschutzverordnung der Bundesrepublik<br />
vom 24. Juni 1960 bei der Festsetzung höchstzulässiger<br />
Dosen für beruflich strahlenexponierte Personen<br />
verwendet. Danach darf beispielsweise die auf<br />
einen Zeitraum von 13 aufeinanderfolgenden Wochen<br />
6
verteilte, vom Körper aufgenommene Dosis höchstens<br />
drei rem betragen, jedoch jährlich höchstens fünf rem.<br />
Während die biologische Dosis rem auf strahlenbiologischen<br />
Experimenten mit Lebewesen beruht, ist die ihr<br />
entsprechende physikalische Dosis, das Röntgen (r), mit<br />
Instrumenten exakt zu bestimmen. Die Strahlenmenge ,<br />
eines Röntgen reicht aus, um unter zehn Milliarden Luftmolekülen<br />
ein Molekül zu ionisieren. Eine Ganzkörperbestrahlung<br />
des Menschen mit Strahlendosen von rund<br />
700 Röntgen ist als fast sicher tödliche Dosis anzusehen.<br />
400 Röntgen sind eine Dosis, bei der mindestens die<br />
Hälfte der Bestrahlten einer tödlich verlaufenden Strahlenkrankheit<br />
zum Opfer fällt, bei 100 bis 150 Röntgen<br />
werden die ersten Todesfälle erwartet, und 25 Röntgen<br />
gelten als Gefährdungsdosis, bei der feststellbare Schädigungen<br />
im allgemeinen nicht auftreten 10 .<br />
H. Rieger<br />
Bildzeitung: „Keine Angst vor Strahlen!"<br />
Riegers Ausführungen in der DZ fügen wir noch hinzu,<br />
daß unser Wissen über die Zusammenhänge zwischen<br />
dem Auftreten von „heißen Partikeln" und bestimmten<br />
Lungengeschwüren etwa noch so spärlich ist, daß wir<br />
die Gefahr noch nicht annähernd genau abschätzen können.<br />
Halten wir also fest: Es gibt keine ungefährlichen Dosen<br />
künstlicher Radioaktivität. Die Rede von sogenannten<br />
„Schwellenwerten" beruht entweder auf Unkenntnis oder<br />
bezweckt Verdummung.<br />
Wo Mystifikation praktiziert wird, steht die Springerpresse<br />
mit ihrem ungeheuren, täglich schätzungsweise<br />
über ein Dutzend Millionen Leser erreichenden Einfluß in<br />
vorderster Linie. Zwei Aspekte vor allem sind für diese<br />
unsere Betrachtung relevant:<br />
Auf die Nachricht von der Wiederaufnahme der „Versuche"<br />
durch die Sowjets schien es, als hätten die Russen<br />
mit ihrem Verhalten auf einen Schlag mehr für die<br />
Aufklärung über Atomgefahren getan als die ganze Anti-<br />
Atom-Kampagne vor drei Jahren: die Zeitungen Westdeutschlands<br />
waren voll von Nachrichten und Kommentaren<br />
über die furchtbarste aller Gefahren, in der die Menschheit<br />
schwebt. Demonstrierende <strong>Atomkrieg</strong>sgegner, die<br />
man bis vorgestern noch nicht genug verleumden und<br />
lächerlich machen konnte, waren plötzlich lieb Kind. Die<br />
Groschenpresse druckte Protesterklärungen ab und ver-<br />
7
öffentlichte Fotos von Demonstrationen. Eines allerdings<br />
ließ an der Ehrlichkeit der plötzlichen <strong>Atomkrieg</strong>s-Gegnerschaft<br />
zweifeln: hatte man früher ähnliche Proteste als<br />
„kommunistisch unterwandert" abgestempelt und die<br />
antikommunistische Schablone als probates Mittel gegen<br />
(nichtkommunistische) Opposition im Innern eingesetzt,<br />
so versuchte man jetzt, die Proteste gegen die sowjetischen<br />
„Versuche" zu Instrumenten der antikommunistischen<br />
Propaganda umzufälschen.<br />
Je mehr man lügt, lehrte Hitler, desto eher produziert<br />
man Glauben. Je unlogischer eine Konstruktion, desto<br />
eher wird sie logisch unangreifbar. Also beruhigten die<br />
Zeitungen, die eben noch die verbrecherische Gefährdung<br />
der Menschheit durch sowjeterzeugte Radioaktivität denunziert<br />
hatten, wie immer schon ihre Leser: es bestehe<br />
nicht die geringste Gefahr. Offenbar schien der Zweck<br />
nur so erreichbar: indem sie das Aufklärungsmoment über<br />
Atomgefahren wieder zurücknahmen, blieb nurmehr das<br />
antikommunistische Stereotyp in der „Massenseele" haften.<br />
„Bild" brachte am 16. November 1961 einen halbseitigen,<br />
pseudo-aufklärerisch verfertigten Artikel mit der fetten,<br />
zweizeiligen Überschrift: „Keine Angst vor Strahlen!"<br />
An Hand von Ganzkörpermessungen der Radioaktivität<br />
von Erwachsenen (Ausnahme: ein 13jähriges Mädchen)<br />
sollte nachgewiesen werden, daß keine Gefährdung besteht.<br />
Die Darstellung hat einen doppelten Haken, an<br />
dem der ahnungslose Bildleser aufgehängt wird: 1. hat<br />
sich erst ein winziger Bruchteil der Radioaktivität niedergeschlagen<br />
— die Hauptniederschlagzeit wird für<br />
das Frühjahr 1962 vorausgesagt. Auch werden die radioaktiven<br />
Substanzen kaum direkt aus Luft oder Wasser<br />
aufgenommen, sondern mittelbar, das heißt aber: zeitlich<br />
später, über pflanzliche und tierische Nahrung, in der<br />
sich die fraglichen Stoffe konzentrieren. 2. sind vor allem<br />
Kleinkinder gefährdet, da der Körper beim Aufbau des<br />
Knochengerüstes einen sehr hohen Calziumbedarf hat<br />
und dazu neigt, statt Calzium auch Strontium 90 in den<br />
Körper einzubauen.<br />
„Die festgestellte radioaktive Strahlung ist etwa ein<br />
Tausendstel der Menge, bei der es anfängt, gefährlich<br />
zu werden," läßt „Bild" einen amerikanischen Major<br />
Onstead versichern. „Er ist Fachmann", weist „Bild" ihn<br />
schlicht aus.<br />
Wozu das Täuschungsmanöver dienen soll, wird gegen<br />
Schluß des „Bild"-Artikels klar: „Es werden sicher noch<br />
(Bomben) fallen", heißt es da. „Die USA können es nicht<br />
verantworten, Chruschtschow das Versuchsfeld allein zu<br />
8
überlassen. <strong>Der</strong> Friede beruht auf dem Gleichgewicht der<br />
Stärke." Wir verstehen, daß „Bild" sich jetzt schon eine<br />
Brücke bauen will, um kommende westliche „Versuche"<br />
zu begrüßen. In diesem ganzen Machwerk steckt soviel<br />
„Bild"-Ideologie, daß wir das Zitat zu Ende führen:<br />
„Wir müssen mit den Bomben leben. Wir sollten den Kopf<br />
nicht in den Sand stecken. Es gibt aber auch keinen<br />
Grund zur Panik." (Dietrich Beyersdorff)<br />
„Messen heißt: Mehr wissen"<br />
(Reklame in Westdeutschland)<br />
Am 23. November 1961 gab der indische Ministerpräsident<br />
bekannt, die Radioaktivität sei in seinem Land als<br />
Folge der jüngsten „Versuchs"-Reihe bereits auf das<br />
Fünfzig- bis Zweihundertfache gestiegen.<br />
Es bleibt im Augenblick das große Verdienst von Präsident<br />
Kennedy, daß er — wenigstens bis jetzt — entgegen<br />
den Forderungen einer starken Opposition, die sich vor<br />
allem um Nixon, Mansfield und Anderson schart 11 und<br />
lautstark amerikanische Atomtests in der Atmosphäre<br />
anstrebt, diesen Tatsachen Rechnung trug und auf Versuchsreihen<br />
in der Atmosphäre verzichtete.<br />
Eine erschreckende Perspektive erhält die Problematik<br />
jedoch dadurch, daß eine große französische Zeitung<br />
meldete, in Frankreich würden neue Versuchsexplosionen<br />
ernsthaft erwogen, die wieder in der Sahara stattfinden<br />
sollen 12 .<br />
In Frankreich scheint man offenbar nicht zu wissen, daß %<br />
jede Explosion ein „selbstmörderisches Geschäft" 13 ist<br />
— wie A. Stevenson zu Recht bemerkte — und „einen<br />
großen Sprung vorwärts in die Katastrophe" 14 darstellt.<br />
Natürlich haben alle jene Afterstrategen, die sich zum<br />
Ziel gemacht haben, die wahre Bedrohung der Menschheit<br />
zu verschleiern, es nicht an „Abwehrmaßnahmen"<br />
fehlen lassen. Die Empfehlung zur Schaffung eines Lebensmittelvorrates<br />
15 (Eichhörnchen-Aktion), Vorbereitungen<br />
zu einem Gesetz über die Pflicht, Bunker zu bauen 16 ,<br />
wie auch das Aufstellen von „Alarmplänen" 17 für die<br />
Bevölkerung haben genau so wenig gefehlt, wie die Entwicklung<br />
eines „Volksgeigerzählers" 18 (Reklame in Westdeutschen<br />
Schaufenstern: „Messen heißt — mehr wissen".)<br />
Die Welt bereitet sich anscheinend systematisch auf den<br />
atomaren Weltkrieg vor.<br />
Und in Amerika werden von Theologen ernsthafte Diskussionen<br />
darüber geführt, ob es einem Bürger erlaubt<br />
sei, im Falle eines <strong>Atomkrieg</strong>es einem Mitbürger den<br />
9
Zutritt zu seinem Atombunker mit der Waffe zu verwehren<br />
19 . Die einen bejahen, die anderen verneinen; und<br />
beide vergessen, daß sie durch einen <strong>Atomkrieg</strong> gleichermaßen<br />
getötet werden würden.<br />
Wer diesen drohenden <strong>Atomkrieg</strong> verhindern möchte,<br />
dem bietet sich nur eine einzige Handlungsalternative an,<br />
und die heißt: Abrüstung. Ob dazu allerdings Chruschtschows<br />
„Alles oder Nichts" — Politik ein geeignetes<br />
Mittel ist, muß — zumindest für die augenblickliche Situation<br />
— mit Recht bezweifelt werden. <strong>Der</strong> erste realisierbare<br />
Schritt wäre ein Abkommen über die kontrollierte<br />
Einstellung aller Kernwaffenversuche.<br />
Es ist begrüßenswert, daß die UdSSR inzwischen ihr Einverständnis<br />
mit der Wiederaufnahme der Genfer Verhandlungen<br />
erklärt hat. Zutiefst unverständlich bleiben<br />
jedoch die sowjetischen Atomexplosionen der vergangenen<br />
Monate. Wir erinnern an die Rede Chruschtschöws<br />
vor dem Obersten Sowjet vom Januar 1960:<br />
„Sollte einer der Staaten in der augenblicklichen Situation<br />
mit der Durchführung von Kernwaffenversuchen wieder<br />
anfangen, so ist es nicht schwierig, sich die Folgen vorzustellen.<br />
Andere Staaten, die die gleichen Waffen besitzen,<br />
würden gezwungen werden, den gleichen Weg<br />
einzuschlagen. Es würde der Anlaß werden, überall Kernwaffenversuche<br />
wiederaufzunehmen, unter allen Bedingungen<br />
und ohne jede Begrenzung ... Wenn eine Seite<br />
die Verpflichtung verletzen sollte, die sie freiwillig auf<br />
sich genommen hat, so würden sich die Verantwortlichen<br />
mit Schande bedecken und die Völker der ganzen Welt<br />
würden ihr Verdammungsurteil über sie aussprechen 20 ."<br />
Nachweise:<br />
(Abkürzungen: DZ = Deutsche Zeitung; FAZ = Frankfurter<br />
Allgemeine Zeitung; FR = Frankfurter Rundschau;<br />
FS = France Soir; NYT = New York Times; V = Vorwärts;<br />
WS = Welt am Sonntag)<br />
1) DZ 26. 6. 1961; 2) Vgl. hierzu: „Fallout und Luftzirkulation"<br />
FAZ 17. 10. 1961; 3) NYT 26. 9. 1961; 4) NYT<br />
9. 9. 1961; 5) Nach UPI 23. 11. 1961; 6) FAZ 26. 10. 1961;<br />
7) FR 21. 10. 1961; 8) DZ 26. 10. 1961; 9) DZ 10. 10. 1961;<br />
10) DZ 11. 11. 1961; 11) Vgl. hierzu: NYT 18. 9. 1961,<br />
NYT 12. 10. 1961, DZ 14. 10. 1961 und FAZ 2. 11. 1961;<br />
12) FS 30. 10. 1961; 13) NYT 20. 10. 1961; 14) FAZ<br />
31. 10. 1961; 15) FAZ 28. 10. 1961; 16) FAZ 21. 10. 1961;<br />
17) FAZ 26. 10. 1961; 18) DZ 6. 11. 1961 und FAZ 2. 11. 1961;<br />
19) V 25. 10. 1961 und NYT 3. 9. 1961; 20) WS 10. 9. 1961.<br />
10
Michael Mauke<br />
neutronic bomb<br />
„Zum Unterschied von den heutigen Atomwaffen würde<br />
die Neutronenbombe keine Verheerungen anrichten und<br />
nicht durch die Wärmestrahlung und die Druckwelle der<br />
Explosion töten ... Sie wäre eine Wasserstoffbombe ohne<br />
eine Spaltungsbombe als Zünder, eigens dazu bestimmt,<br />
menschliche Wesen zu töten, während sie den Gebäuden<br />
keinen Schaden zufügen würde."<br />
New York Times, 2. Juli 1961<br />
jede Stadt<br />
heißt heute AUSCHWITZ,<br />
eichmanns transporte<br />
rollen nicht mehr,<br />
geruhsam oder friedlos<br />
hausen wir<br />
in hellen, freundlichen räumen<br />
— den gaskammern von morgen.<br />
ahnungslos wie bienen im walde:<br />
bevor der sammler kommt<br />
mit Schwefel —<br />
und des honigs wegen<br />
alle erstickt.<br />
kühlschränke, Polstermöbel,<br />
kohlenschächte und turbinen<br />
bleiben unversehrt.<br />
lächelnd kehren die vertilger<br />
totes Ungeziefer<br />
zum hause hinaus.<br />
alle städte heißen heute<br />
AUSCHWITZ.<br />
die transporte<br />
kamen längst an.<br />
Stefan gant<br />
Zeitansage<br />
es tickt in der trinkmilch.<br />
im saft der orange<br />
schwimmt der tod deiner kinder,<br />
beim letzten ton des zeitzeichens<br />
ist es null uhr.<br />
11
Bérlin-Diskussion<br />
Ossip K. Flechtheim<br />
Wolfgang F. Haug<br />
John H. Herz<br />
Reimar Lenz<br />
Michael Mauke<br />
Thomas Metscher<br />
Hartmut Zimmermann<br />
Im Septemberheft der westdeutschen Zeitschrift „ja und<br />
nein" veröffentlichte W. F. Haug einige „Thesen zu Berlin".<br />
Angeregt durch ablehnende bzw. ergänzende Kritiken<br />
zu diesen Thesen lud Das Argument einige seiner<br />
Mitarbeiter zu einer Briefdiskussion über die angeschnittenen<br />
Fragen ein. Im Folgenden bringen wir eine leicht<br />
überarbeitete Fassung der Thesen neben einer Anzahl von<br />
Briefen. Uns scheint, daß die lockere Form einer solchen<br />
Briefdiskussion, in der die Widersprüche der Sache als<br />
solche der Meinungen auftreten — denn das möchten wir<br />
voraussetzen, daß alle Einwände sachlich begründet sind<br />
— den Schwierigkeiten des Berlin-Problems und unserer<br />
eigenen Situation am ehesten gerecht wird.<br />
Freiheit...<br />
unterzugehen ?<br />
Thesen zu Berlin von Wolfgang F. Haug<br />
Es erscheint angebracht, den folgenden Thesen zur „Berlin-Krise"<br />
einige Bemerkungen vorauszuschicken und<br />
einige Grundsätze wieder einmal zu beschwören, die sich<br />
bei einem weniger tabuisierten Thema oder in einer<br />
weniger irrationalen Gesellschaft von selbst verstünden:<br />
Die Thesen erheben keinen Anspruch darauf, originell zu<br />
sein. Sie enthalten einige Binsenwahrheiten, die von<br />
all denen gewußt werden, die politisch denken, einerlei<br />
ob sie im Regierungslager oder ob sie im Lager der<br />
12
Opposition stehen. Dennoch wird das Ergebnis der folgenden<br />
Überlegungen vermutlich einigen Staub aufwirbeln.<br />
Kein ernstzunehmender Politiker in unserem Staat glaubt<br />
wirklich an die Wiedervereinigung in absehbarer Zeit<br />
oder gar an die Rückeroberung ehemals deutscher Gebiete<br />
im Osten. In vertraulichen Gesprächen sind sie sofort bereit,<br />
dies zuzugeben. Adenauer, Brentano oder Lemmer<br />
haben schon vor Jahren geäußert, allerdings nicht in der<br />
Öffentlichkeit, man müsse die Oder-Neiße-Grenze eigentlich<br />
anerkennen. <strong>Der</strong> Unterschied der Auffassungen liegt<br />
nicht in der Einschätzung der objektiven Lage, sondern<br />
in der Frage, ob es angebracht sei, die Wahrheit zu<br />
verschweigen oder sie zu sagen.<br />
Die folgenden Überlegungen werden davon ausgehen, daß<br />
keine taktische Erwägung uns von der Pflicht entbindet,<br />
die Wahrheit anzusprechen, auch wenn dies dem Aussprechenden<br />
schaden sollte. Anders können Vernunft<br />
und Demokratie keine Chance haben. Im einzelnen soll<br />
versucht werden, Sein und Sollen auseinanderzuhalten,<br />
also die Analyse vom Wunschbild zu trennen und die<br />
Wahrheit von der Propaganda.<br />
I. Die Berlin-Situation<br />
Wenn die Rede ist, die Freiheit Berlins sei bedroht, so<br />
ist offenbar Westberlin damit gemeint. Wenn die USA<br />
der Sowjetunion drohen, notfalls für die Freiheit Berlins<br />
Krieg zu führen, so ist mit Berlin wiederum Westberlin<br />
gemeint. Die Schutzmächte Westberlins aber haben seit<br />
dem 13. August keine bewaffnete oder andersgeartete<br />
Aktion gestartet. Weder wußten sie, was für Aktionen<br />
sie hätten starten können, noch wogegen sich diese Aktionen<br />
richten sollten: für Westberlin und die zweieinhalb<br />
Millionen Westberliner hatte sich nämlich de<br />
facto nichts geändert. Weder war das politische System<br />
freier Wahlen angetastet, noch waren die Verkehrsverbindungen<br />
mit der Bundesrepublik abgeschnitten. Worin<br />
besteht also das, was unter dem Schlagwort „Berlin-Krise"<br />
durch alle politischen Erörterungen in der Bundesrepublik<br />
geistert und zum Zeitpunkt, da diese Thesen<br />
verfaßt werden, die Bundestagswahlpropaganda zu beherrschen<br />
beginnt?<br />
Für das isoliert betrachtete Westberlin hat sich nichts<br />
Entscheidendes geändert. Erst wenn man Berlin in der<br />
großen Ost-West-Politik der Nachkriegszeit situiert,<br />
mag es gelingen, die „Berlin-Krise" näher zu bestimmen.<br />
Die Teilung Deutschlands und Berlins, die Annektion<br />
früher deutscher Gebiete durch die UdSSR und Polen,<br />
13
überhaupt die Teilung Europas in einen westlichen und<br />
einen östlichen Einflußbereich gehören zu den Ergebnissen<br />
des Zweiten Weltkrieges, die auf Vereinbarungen<br />
der Westalliierten und der Sowjetunion zurückgehen.<br />
Das Gesamt der Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges wird<br />
unter dem Schlagwort des „Status quo" verstanden. Es<br />
besteht eine Art stillschweigende Übereinkunft von Ost<br />
und West, diesen Status quo nicht anders als in gegenseitiger<br />
Übereinstimmung zu verändern. Oder genauer<br />
gesagt: das durch Atomrüstung und Raketentechnik geschaffene<br />
militärische Gleichgewicht zwischen Ost und<br />
West macht es absolut unmöglich, gewaltsam am Status<br />
quo etwas zu ändern. So griff der Westen in Ungarn<br />
nicht ein trotz gegenteiliger Versprechungen seiner Propaganda.<br />
Zur „Berlin-Krise" nun hat Washington immer<br />
wieder ausdrücklich erklärt:<br />
„<strong>Der</strong> Propagandafehler, den der Westen in Ungarn<br />
gemacht hat, darf sich nicht wiederholen!"<br />
(Zitiert nach: „Stuttgarter Nachrichten", 22. 8. 61)<br />
Die „Berlin-Frage" ist eine Frage des Status quo.<br />
De facto würde sich am gegenwärtigen Status quo von<br />
Berlin erst dann etwas ändern, wenn eine der beiden<br />
Seiten versuchen würde, den Bereich der anderen unter<br />
ihre Macht zu bringen. Es kann jedoch nicht die Rede<br />
davon sein, daß sich eine der beiden Seiten angeschickt<br />
hat oder in absehbarer Zeit sich anschicken wird, diesen<br />
Schritt zu tun, der das sichere Risiko des Dritten, atomaren<br />
Weltkrieges in sidi birgt.<br />
Was die Sowjetunion unter der Bezeichnung der „Koexistenz"<br />
propagiert und was seit Kriegsende der Politik<br />
des Westens zugrundeliegt, ist nichts anderes als die<br />
defacto-Anerkennung des Status quo oder, anders ausgedrückt,<br />
die Einsicht, daß ein alles vernichtender <strong>Atomkrieg</strong><br />
als Mittel der Veränderung des Status quo niemals<br />
in Betracht kommen kann. Beide Seiten beschränkten<br />
sich darauf, ihr furchtbares Waffenarsenal zum Zwecke<br />
der Abschreckung bereitzuhalten. <strong>Der</strong> westliche Ausdruck<br />
dieser defensiven Politik ist in Europa die Nato,<br />
die geschaffen wurde, um etwaigen Expansionsbestrebungen<br />
des Ostens den Riegel vorzuschieben. Solange<br />
Westberlin vom Osten nicht direkt angegriffen wird,<br />
werden die USA und wird die Nato nicht eingreifen.<br />
So wenig wie sie für eine Wiedervereinigung Deutschlands<br />
oder die Rückgewinnung ehemals deutscher Gebiete<br />
eingegriffen haben oder je eingreifen werden.<br />
Worin besteht dann aber die „Berlin-Krise"?<br />
14
Die Krise um Berlin ist zunächst einmal Ausdruck und<br />
vorläufiger politischer Höhepunkt einer Krise im Wirtschaftsgefüge<br />
der DDR. Die Abwanderung einer zunehmenden<br />
Zahl von Ostdeutschen in den westlichen<br />
deutschen Staat drohte eine zunehmende wirtschaftliche<br />
Desorganisation und in deren Gefolge wachsende Schwierigkeiten<br />
in der sowieso schon wenig befriedigenden<br />
Versorgung der Bevölkerung zu bewirken. Mit Recht<br />
buchte die Bundesregierung den spektakulären Zustrom<br />
von Flüchtlingen als Erfolg ihrer Politik. <strong>Der</strong> ungeheure,<br />
im ganzen Ostblock beispiellose passive Widerstand<br />
eines großen Teils der DDR-Bevölkerung im Wirtschaftsgeschehen<br />
und die enorme, in die Millionen gehende<br />
Abwanderungsbewegung sind unbezweifelbare<br />
Erfolge der Propaganda der Bundesregierung. Dennoch<br />
ist die „Berlin-Krise" in Wirklichkeit nicht eine Krise<br />
der DDR. Sie ist vielmehr eine Krise der Politik der<br />
Bundesregierung.<br />
Die Bundesregierung ist zur Zeit die einzige Regierung<br />
Europas, die territoriale Forderungen stellt. <strong>Der</strong> Bundeskanzler<br />
fordert das Gebiet des Deutschen Reiches von<br />
1937, einige seiner Minister und Parteifreunde fordern<br />
sogar die Wiederherstellung des Gebiets von 1939. Zugleich<br />
behauptet die Bundesregierung, ihre Politik bewege<br />
sich innerhalb der Ziele der Nato. Durch die<br />
Schließung der Sektorengrenzen in Berlin ist der Widerspruch<br />
zwischen diesen auseinanderweisenden Bestandteilen<br />
der Politik der Bundesregierung so eklatant<br />
geworden, daß eine Krise daraus entstanden ist, in<br />
deren Gefolge sich die Kriegsgefahr beängstigend erhöht<br />
hat. Versucht man den Widerspruch innerhalb der<br />
westdeutschen Politik zu erklären, so bieten sich zwei<br />
Antworten an: Entweder die Bundesregierung betrügt<br />
bewußt die Deutschen (beider Staaten), weil sie fürchtet,<br />
ohne diesen Betrug Wahlstimmen zu verlieren. Oder<br />
aber die Bundesregierung hofft, die Nato dazu zu<br />
bringen, daß sie die agressiven Ziele der Bundesrepublik<br />
zu ihren eigenen macht. Daß die Bundesregierung wählen<br />
muß zwischen Krieg oder einer Änderung ihrer Politik,<br />
das ist der Kern der gegenwärtigen „Berlin-Krise". Oder<br />
wie Chrysostomus Zodel schrieb:<br />
„Den Preis dafür, daß es nicht zum Kriege kommt, muß<br />
die Bundesrepublik bezahlen. Und den Bürger darauf vorzubereiten,<br />
widerspricht leider den Wahlparolen der Regierungspartei.<br />
Trotzdem ist es Aufgabe des Kanzlers."<br />
(„Stuttgarter Nachrichten", 22. 8. 61)<br />
15
II. Berlin-Propaganda<br />
Mit wüsten Beschimpfungen bedachte Radio DDR die<br />
1 500 amerikanischen Soldaten, die zur Verstärkung der<br />
amerikanischen Garnison nach Berlin geschickt worden<br />
waren. („Frauenschänder", „Taximörder", „Messerstecher"<br />
und Ähnliches mehr.) Die westdeutsche Presse<br />
rächte sich dafür, indem sie die östliche Propaganda mit<br />
derjenigen Goebbels' gleichsetzte.<br />
Die Propagandaschlacht um Berlin, bei der sich beide<br />
Seiten an Lügen und subversiver Hetze wenig schuldig<br />
bleiben, fand schon in den ersten Tagen der Absperrung<br />
einen eklatanten Höhepunkt, als die gesamte Westberliner<br />
und fast die gesamte westdeutsche Presse<br />
• die DDR als „ein einziges KZ" bezeichnete;<br />
• die Abriegelung der Sektorengrenzen mit den „Verbrechen,<br />
für die Adolf Eichnjann vor Gericht steht,"<br />
gleichsetzte und kurzerhand<br />
• Ulbricht mit Hitler gleichsetzte.<br />
Die jungen Volksarmisten nannte die „freiheitliche"<br />
Westberliner Presse<br />
• „Ulbrichts KZ-Wächter" ' („<strong>Der</strong> Abend")<br />
• „Vaterlandslose Gesellen", „Menschenjäger",<br />
„Spießgesellen Ulbrichts" („B. Z.")<br />
• „Söldner etc. („nachtdepesche")<br />
• „Ulbrichts Handlanger" („Bild")<br />
(Alles Westberliner Zeitungen vom 14. 8. 1961)<br />
Dazu ist zu sagen:<br />
Die Gleichsetzung von Nationalsozialismus und Kommunismus<br />
bestimmt nicht erst seit heute den Ton einer gewissen<br />
Presse. Solange es sich um subjektive moralische<br />
Urteile dabei handelt, mag die Gleichstellung dahingehen.<br />
Sobald sie jedoch im Ton einer historisch-wissenschaftlichen<br />
Erkenntnis oder eines politischen Urteils vorgetragen<br />
wird, ist sie nicht nur falsch, sondern gefährlich.<br />
Eigentlich verlangt die Gleichsetzungsproblematik eine<br />
gründliche Erörterung, was den Rahmen dieser Thesen<br />
sprengen würde und einer künftigen Diskussion vorbehalten<br />
sein soll. Hier nur soviel: Wer die DDR mit<br />
Eichmanns KZ und Ulbricht mit Eichmann, Goebbels und<br />
Hitler gleichsetzt, macht sich damit — ganz abgesehen<br />
von seiner möglicherweise subjektiv ehrlichen Absicht:<br />
allein schon vom publizistischen „Masseneffekt" seiner<br />
Äußerungen her — zum Apologeten des absolut beispiellosen<br />
nazistischen . Völkermords. Indem er so in Westdeutschland<br />
publizistisch gegen den kommunistischen<br />
deutschen Teilstaat zu kämpfen meint, verniedlicht er im<br />
16
Endeffekt das ungeheuerlichste Verbrechen der Menschheitsgeschichte,<br />
wie er andererseits das kommunistische<br />
System in demagogischer Weise verteufelt.<br />
Für das demokratische Denken gilt aber die zynische<br />
Mystifikation der Massen mit Recht als verbrecherisch.<br />
Wenn ein Presseorgan diese Gleichsetzung betreibt, versucht<br />
es in verbrecherischer Weise das Volk zu verdummen.<br />
Während es einerseits die Verteufelung des<br />
Kommunismus betreibt, macht es sich andererseits der<br />
nationalsozialistischen Verharmlosungspropaganda schuldig.<br />
(Ein empörendes Beispiel lieferte die von Hans Zehrer<br />
redigierte „Welt".) Eine derartige Argumentation,<br />
ob sie selbst vor ihren Konsequenzen zurückschreckt<br />
oder nicht, kennt in der Tat keinen anderen Ausweg als<br />
den atomaren Weltkrieg. Indem sie unsere deutschen<br />
Brüder und Schwestern von drüben, soweit sie Kommunisten<br />
oder auch nur Mitläufer sind, verteufelt, hat sie<br />
den ersten Schritt zur Einleitung des Krieges schon getan.<br />
Die gesamte deutsche Massenpresse sowie ein Großteil<br />
der sogenannten „seriösen" Zeitungen legen diese Argumentation<br />
ihrer Berichterstattung zu Grunde.<br />
III. Berlin-Politik<br />
<strong>Der</strong> indische Ministerpräsident Nehru hat boshafte Kommentare<br />
ausgelöst mit einigen Bemerkungen zur Berlin-<br />
Frage, die jedoch zweifellos richtig sind bei aller bei<br />
uns ungewohnter Nüchternheit. Nehru sagte am 22. August<br />
im indischen Oberhaus, „die Existenz zweier deutscher<br />
Staaten sei eine Realität und normalerweise hätten<br />
souveräne Staaten das Recht, alle Bewegungen innerhalb<br />
ihrer Grenzen zu kontrollieren." Nehru verlieh<br />
seiner Überraschung Ausdruck, daß die Oder-Neiße-<br />
Grenze noch immer nicht anerkannt sei. Er sei überzeugt,<br />
„daß jeder Versuch, die Oder-Neiße-Grenze anzutasten,<br />
zum Krieg führen würde". Zu einer vernünftigen<br />
Berlin-Politik sagte er, „die sowjetischen Zusagen, sich<br />
nicht in das normale Leben Westberlins einzumischen,<br />
sollten eine der hauptsächlichsten Befürchtungen des<br />
Westens zerstreuen und den Weg für Verhandlungen freimachen."<br />
(Zitiert nach „Stuttgarter Nachrichten" vom<br />
24. 8. 61). Die einzige Antwort der westdeutschen Presse<br />
auf diese Äußerungen war die Forderung einiger Kommentatoren,<br />
man solle Indien mit dem Entzug der Entwicklungshilfe<br />
drohen. Politisch argumentiert wurde<br />
nicht. Man verhielt sich nach dem Palmström-Motto:<br />
„Was nicht sein darf, das kann nicht sein." Deswegen<br />
ist es nötig, abschließend an diese Betrachtung einige<br />
17
Forderungen an eine mögliche Politik für Westdeutschland<br />
und für die zweieinhalb Millionen Westberliner<br />
aufzustellen.<br />
Grundsätzlich ist nur eine solche Politik möglich, die<br />
das Risiko des Krieges nicht in sich einschließt. Es gibt<br />
keinen Einsatz, für keine der beiden Seiten, der das<br />
sichere Risiko der totalen Vernichtung rechtfertigt.<br />
Politik für Westberlin, für Deutschland muß von den<br />
Tatbeständen ausgehen, die, der Zweite Weltkrieg in<br />
Euröpa geschaffen hat. Dabei muß Deutschlands Kriegsschuld<br />
es den Deutschen verbieten, vom „Unrecht an<br />
Deutschland" zu sprechen. Wer auf den Krieg verzichtet,<br />
verzichtet auch auf die Rückgewinnung verlorener Gebiete.<br />
Denn wer diese vorbereitet, muß jenen wollen.<br />
Wer den Krieg vermeiden will, muß vom Status quo<br />
ausgehen.<br />
Zum Status quo gehört aber<br />
1. die Oder-Neiße-Grenze;<br />
2. die Teilung Deutschlands.<br />
Deutsche Politik, sofern sie nicht Krieg bedeuten soll,<br />
muß also<br />
1. die Ostgrenzen von 1945 und 1961 anerkennen;<br />
2. die DDR anerkennen.<br />
Was bedeutet eine solche Politik für Westberlin? Die<br />
gegenwärtige Krise der seitherigen Wiedervereinigungspolitik<br />
der Bundesregierung wurde dadurch ausgelöst,<br />
daß die DDR vollends den Sowjetsektor von Großberlin<br />
annektiert und damit die Voraussetzung für<br />
ihren Separatfriedensvertrag mit der UdSSR und dem<br />
Ostblock geschaffen hat. Die Westmächte sahen keinerlei<br />
Anlaß einzugreifen, da ihr Schutzgebiet Westberlin<br />
de facto nicht betroffen war. De facto hatte sich am<br />
Status quo nichts geändert. Die westliche Politik wird<br />
es auch in Zukunft sein, mit aller Entschiedenheit den<br />
Status quo für Westberlin zu bewahren. Folgende Ziele<br />
kann die westliche Politik für Westberlin verfolgen:<br />
1. Garantie des politischen Systems<br />
(freie Wahlen etc.) in Westberlin;<br />
2. Garantie des freien Zugangs nach Westberlin;<br />
3. Anwesenheit westlicher oder UNO-Truppen in<br />
Westberlin zur Sicherung der Punkte 1 und 2.<br />
Wichtiger als jeder Propagandasieg ist es zweifellos,<br />
den zweieinhalb Millionen Westberlinern ihre jetzige<br />
Lebensform zu erhalten. Dem nüchternen Betrachter<br />
drängt sich die Erkenntnis auf, daß dies in der Tat nur<br />
auf dem Wege der Anerkennung der DDR möglich ist.<br />
Oder wird die Bundesregierung einen Propagandasieg<br />
der Freiheit der Westberliner vorziehen?<br />
18
Reimar Lenz<br />
Konkurrenz mit Hitler<br />
Lieber W. F. H.,<br />
hab Dank für Deinen Berlin-Text, zu dem ich dreierlei<br />
Kritik habe:<br />
Ich finde, daß sich für Westberlin mit dem 13. August<br />
sehr viel verändert hat. Die Stadt West-Berlin hat ihre<br />
wichtigste Aufgabe verloren, Rest-Brücke zwischen beiden<br />
Deutschlands zu sein.<br />
Die Sowjetunion beabsichtigt durchaus, den Status quo in<br />
Berlin einseitig zu ihren Gunsten weiter zu verändern,<br />
indem sie auf einer demilitarisierten „freien" Stadt besteht.<br />
Lokal gesehen, ist ihre Politik also weiterhin agressiv,<br />
— wobei ich einräume, daß die SU sich in Bezug<br />
auf Deutschland insgesamt in der Defensive glaubt.<br />
Eine Fülle von einzelnen totalitären Mehoden, die in<br />
der DDR vor allem nach dem 13. angewandt werden, erinnert<br />
mich sehr wohl an Phasen des „Dritten Reiches".<br />
(Als einzigen Vergleichspunkt braucht man ja nicht dessen<br />
Endphase heranzuziehen.) Die Aufforderung an Kinder,<br />
ihre Eltern zu denunzieren, — die Drohungen gegen das<br />
Abhören von „Feindsendern" (so wörtlich), — die Pogromaufforderungen<br />
durch die Partei („Arbeiterfäuste"<br />
soll spüren, wer nicht hören kann; die Opfer bleiben dann<br />
irgendwo liegen), — Kindervorbeimärsche an Ulbricht, —<br />
die hysterische Propaganda (gegen Menschenhändler,<br />
Agentenkloaken, Rattennester usw.), — die Einrichtung<br />
von „Arbeitserziehungslagern" mit Einweisung auf unbestimmte<br />
Zeit, — die gesamte Terrorjustiz wegen Meinungsverbrechen:<br />
das alles kann durchaus konkurrieren<br />
mit Phasen des „Dritten Reiches".<br />
Göttingen, 13. Oktober 1961<br />
Michael Mauke<br />
Westberlins internationale Chance<br />
Lieber W. F. H.,<br />
besten Dank für die Ubersendung Deines Artikels zur<br />
Berlin-Krise; ich finde ihn anregend und mutig und stimme<br />
weitgehend mit seiner Aussage und Stellungnahme überein.<br />
Jedoch hätte ich zu einigen Punkten etwas einzuwenden.<br />
1. Wenn es auch zutrifft, daß die Aktion vom 13. August<br />
dieses Jahres am formalen Status quo von Westberlin<br />
nichts geändert hat — der Viermächtestatus für Gesamtberlin<br />
war ja schon lange nur noch eine hohle Fiktion —,<br />
so ist doch substantiell ein gewaltiger, schicksalhafter<br />
19
Schub passiert. So problematisch die bisherige Funktion<br />
der faktisch unter Dreimächtestatut stehenden Stadt Westberlin<br />
als Schaufenster, Flüchtlingsschleuse, Kontaktstelle<br />
und strategisch-militärischer Meldekopf immer gewesen<br />
ist, so sehr wurde das Leben in Westberlin durch und von<br />
dieser Kampf- und Frontstadt-Funktion her bestimmt. Seit<br />
dem 13. August ist diese Funktion im Prinzip verloren<br />
gegangen, und eine neue Aufgabe, die dieser Inselstadt —<br />
die nicht einmal eine „normale" Provinzgroßstadt werden<br />
kann, weil ihr eben die Provinz rundherum fehlt! •—<br />
Sinn und Zweck zu geben vermag, ist kaum in Sicht.<br />
2. Gerade wenn man die Tragödie Berlins und Westberlins<br />
vom Aspekt der Funktion betrachtet, wird klar, welche<br />
großen Chancen und Verpflichtungen in den zurückliegenden<br />
Jahren versäumt wurden. Es ist, von heute aus gesehen,<br />
ernstlich zu fragen, ob es in der Vergangenheit<br />
für Westberlin nicht Möglichkeiten gegeben hat, bei aller<br />
grundsätzlichen Wahrung der wirtschaftlichen Verknüpfung<br />
mit dem Westen die Aufgaben einer Brücke zwischen<br />
den deutschen Teilstaaten, zwischen West und Ost zu<br />
übernehmen. Westberlin hätte ein Ort sein können, wo<br />
beide Lager sich ständig, und ohne das Gesicht zu verlieren,<br />
sich konfrontieren, austauschen, besprechen. Doch<br />
alle Ansätze in dieser Richtung blieben stecken, oder<br />
wurden sogar massiv diskreditiert. Gibt es nicht zu denken,<br />
daß der Osten erst jetzt das Tor völlig zugemacht hat?<br />
Von einer eng gefaßten Staats- und Wirtschaftsräson wäre<br />
das doch schon spätestens am 18. Juni 1953 fällig gewesen.<br />
In der Rückblende mutet es fast wie ein Wunder an, daß<br />
acht Jahre lang das Brandenburger Tor noch offen blieb.<br />
3. Jetzt ist das Tor wirklich zugemacht worden, und daran<br />
sind nicht zuletzt die von Dir erwähnten publizistischpropagandistischen<br />
Angst- und Panikmacher schuld. Einer<br />
vorgeschobenen Festung kann nichts Ärgeres passieren,<br />
als wenn sie ihren strategischen Zweck verliert: die Konsequenzen<br />
sind kafkaesk — alles geht noch eine gute Weile<br />
so weiter wie bisher, aber die Straßen leeren sich, die<br />
Mauern bröckeln, bis die Stille der Sinnlosigkeit eines<br />
Tages bewußtwerdend hereinbricht und panische Flucht<br />
auslöst . . . Jenseits aller Tagesparolen haben sich Westund<br />
Ostmächte unausgesprochen längst auf einen neuen<br />
„Limes" quer durch Mitteleuropa geeinigt, der für absehbare<br />
Zeit den Status quo der Machtverhältnisse, der nur<br />
durch einen atomaren Weltkrieg zu Fall gebracht werden<br />
kann, fest fixieren soll, während die großen geschichtlichen<br />
Bewegungen, Verschiebungen und Auseinandersetzungen<br />
in Asien, Afrika und Südamerika stattfinden.<br />
Westberlin hat, nachdem es vorläufig seine nationale<br />
20
Chance verloren hat, nur noch eine internationale Chance:<br />
Als Aktionszentrum der Vereinten Nationen — gleichgültig,<br />
ob das Hauptquartier oder das europäische (Genfer)<br />
Zentrum hierhin verlegt wird — kann es zu großer internationaler<br />
Funktion und Bedeutung gelangen, und nur auf<br />
diesem Wege kann es auch wieder und überhaupt etwas<br />
für das in utopische Ferne gerückte Ziel der deutschen<br />
Wiedervereinigung tun. überhaupt scheint mir: die deutsche<br />
Wiedervereinigung wird in Zukunft nur noch durch<br />
europäische (föderative) Wiedervereinigung zu erlangen<br />
sein. Doch das ist ein andres Thema.<br />
Und nur die überhöhende und ausgleichende Dazwischenkunft<br />
der Vereinten Nationen, deren Mehrheit heute der<br />
Block der Neutralen repräsentiert, kann den lebensgefährlichen<br />
Prestigekonflikt von Ost und West in Berlin beheben<br />
und beiden Seiten ermöglichen, das Gesicht zu<br />
wahren: dem Westen, indem die Lebensform und die Freizügigkeit<br />
der Westbèrliner konkret garantiert wird; dem<br />
Osten, indem die Neutralität und Autonomie der Stadt<br />
durch die Vereinten Nationen verwirklicht und verkörpert<br />
wird. Berlin-Nikolasee, den 29. 10. 1961<br />
Hartmut Zimmermann<br />
Fragen Uber Fragen<br />
Lieber Haug,<br />
manchmal meint man, im Zeitalter der Thesen zu leben.<br />
Je komplizierter die Tatbestände in Politik und Gesellschaft<br />
werden, je bedrohlicher die Situationen, um so mehr<br />
scheint man versucht, die Probleme zu verdichten und<br />
Thesen zu formulieren, die Feststellung, Antwort und Aufforderung<br />
zum Handeln in einem sein wollen.<br />
So verführerisch und verständlich ein solches Verfahren<br />
auf den ersten Blick erscheint, so gefährlich ist es aber<br />
doch in seinen Konsequenzen. Gerade in explosiven Lagen<br />
sollte jede Entscheidung doppelt gewogen und die ihr zu<br />
Grunde liegende Analyse bis zu einem optimalen Punkt<br />
der Einsicht und des Verständnisses vorangetrieben werden.<br />
Dieses mir eigentümliche Mißtrauen gegen .Thesen" finde<br />
ich auch in Deinen Überlegungen zur Berlin-Frage erneut<br />
bestätigt. Sehr vieles in ihnen berührt mich sympathisch,<br />
nicht zuletzt der Mut, unbequem zu sein, und es ist keineswegs<br />
meine Absicht zu beckmessern. Aber zu Deinen Darlegungen<br />
fallen mir im wesentlichen nur Fragen ein; wie<br />
ich überhaupt meine, daß wir mit Antworten ruhig einmal<br />
zögern sollten, um erst die Fragen recht, d. h, dem Gegenstand<br />
annähernd adäquat, zu formulieren.<br />
Einîge der Fragen, die mir zu Deinen Thesen eingefallen<br />
21
sind, darf ich hier in lockerer Reihenfolge und Form einmal<br />
aufführen:<br />
Du sprichst in Deiner Einleitung von „Wahrheiten". Ist<br />
aber das, was Du im folgenden postulierst, nicht viel eher<br />
und richtiger mit „politischen Notwendigkeiten" zu umschreiben?<br />
Wenn es sich aber so verhält, müssen nicht gerade<br />
dann die Bedingungen und Bedingtheiten solcher Notwendigkeiten<br />
in ihrer ganzen Kompliziertheit aufgezeigt<br />
werden? In einem bestimmten, wertenden, politisch-moralischen<br />
Bezugssystem mögen dann solche „Notwendigkeiten"<br />
auch zu „Wahrheiten" werden. Dieses Bezugssystem<br />
gilt es dann aber, sichtbar zu machen. Krieg oder<br />
Frieden mag heute die Menschheitsfrage lauten. Aber sie<br />
ist eine politische Frage, die durch politisches Handeln<br />
beantwortet werden will, und zwar durch eine Politik der<br />
„langen Sicht". Die Koexistenz-Politik des Ostens ist eine<br />
solche. Sie ist durchaus offensiv mit recht konkreten Fernzielen.<br />
Es ist nicht die bloße Sicherung des „Status quo",<br />
die ihren Inhalt ausmacht, und die Antwort auf die Koexistenz-Politik<br />
des Ostens kann sich auch ihrerseits nicht<br />
auf eine Sicherung des Status quo beschränken.<br />
Das führt gleich zu einer anderen Frage: Was ist denn<br />
nun eigentlich der „Status quo"? Ist mit ihm allein die<br />
gebietsmäßige Abgrenzung der Einflußbereiche von West<br />
und Ost gemeint? Welcher Art ist denn aber der Einfluß<br />
in diesen Gebieten? In welchen Formen manifestiert er<br />
sich? Immerhin hat es in jüngster Zeit noch den Rapacki-<br />
Plan gegeben, der eine andere „Grenzziehung" oder eine<br />
andere „Absicherung" vorsah, als sie dann die Mauer vom<br />
13. 8. geschaffen hat. Und welche Möglichkeiten zur deutschen<br />
Wiedervereinigung in den Jahren nach 1945 gegeben<br />
waren, muß zumindest reflektiert werden, um deutlich<br />
zu machen, daß das „Gesamt der Ergebnisse des<br />
2. Weltkrieges", das Du als den „Status quo" bezeichnest,<br />
keineswegs in seiner heutigen konkreten Form etwa schon<br />
1945 festgestanden hat. Unter diesem Aspekt ist der 13. 8.<br />
1961 eben doch ein besonderes Datum und hat einen neuen<br />
Tatbestand geschaffen. Es erscheint mir zumindest des<br />
Nachdenkes wert, ob eine solche Anerkennung dieses Tatbestandes,<br />
wie Du sie forderst, wirklich eine Ideallösung<br />
darstellt, würde sie doch bedeuten, daß sich die Warschauer-Pakt-Staaten<br />
und die Mitglieder der NATO endgültig<br />
und definitiv unmittelbar gegenüberstünden.<br />
Ob sich für West-Berlin durch den 13. 8. 1961 wirklich<br />
„de facto" nichts geändert hat, muß füglich bezweifelt<br />
werden. Nicht nur die „Aufgabenstellung", von der Michael<br />
Mauke in seinem Brief spricht, auch im inneren Gefüge der<br />
Stadt hat sich viel, sehr viel geändert. Die Öffnung nach<br />
22
Ost-Berlin und zur DDR hatte für jeden einzelnen Westberliner<br />
und für West-Berlin als Ganzes eine existentielle<br />
Bedeutung. Wir haben es alle gespürt und werden es in<br />
noch stärkerem Maße spüren, was diese radikale Absdinürung<br />
der Außenbeziehungen zum Osten hin für uns bedeutet.Das<br />
ist nicht etwa nur eine „ sentimentale ", sondern durchaus<br />
auch eine politische Feststellung. An so banale Dinge<br />
wie die „Grenzgänger", die „Kino- und Theater-Besucher",<br />
die Familienbesuche, wagt man kaum zu erinnern, wenn,<br />
wie Du es tust, lediglich die „letzten Fragen" zur Diskussion<br />
gestellt werden. Wenn der Ausdruck „de facto" einen<br />
Sinn hat, dann doch den, daß es sich um das „Tatsächliche"<br />
handeln soll, und ich meine, daß sich gerade in diesem<br />
Bereich sehr viel geändert hat. Viel weniger scheint sich<br />
im juristischen Bereich geändert" zu haben, denn hier war<br />
die Lage Berlins immer voller Widersprüche und von<br />
großer Labilität. Doch ist „de facto" heute zu einem Modewort<br />
geworden, das eher verhüllt als erklärt. Zu leicht<br />
kann man sich hinter ihm verstecken, um zu vermeiden,<br />
die Dinge bei ihrem wahren Namen zu nennen.<br />
Sicher ist die Gleichsetzung von Ulbricht und Hitler falsch.<br />
Aber es hat wenig Sinn, einer Behauptung lediglich eine<br />
andere Behauptung entgegenzusetzen. Und so führt auch<br />
der Brief von Reimar Lenz in dieser Auseinandersetzung<br />
nicht weiter. Muß man nicht vielmehr fragen, wie es<br />
kommt, daß erneut Terror das Gesicht der DDR bestimmt?<br />
Es kann kaum bezweifelt werden, daß Stil und Methoden<br />
der SED im gegenwärtigen Zeitpunkt der braunen Barbarei<br />
manchmal nur zu ähnlich sind. Da kann man auch nicht mit<br />
Zahlen operieren und sagen, bei den Nazis waren es mehr,<br />
oder die Nazis waren brutaler. Ist es nicht vielleicht auch<br />
so, daß die kommunistische <strong>Theorie</strong> als dogmatische Verallgemeinerung<br />
der Erfahrungen aus dem Industrialisierungsprozeß<br />
unter den besonderen Bedingungen der Sowjetunion,<br />
übertragen auf die Erfordernisse einer sehr<br />
viel differenzierteren, hochindustrialisierten Gesellschaft,<br />
auf deren Probleme noch immer keine Antwort gibt, und<br />
daß daher ihre Anwendung in der Praxis der DDR notwendig<br />
auch „reaktionäre Züge" zeigen muß? Welche deutschen<br />
traditionellen Eigentümlichkeiten spielen außerdem<br />
im Herrschaftssystem der DDR eine Rolle? (die besondere<br />
deutsche Tradition des Kommunismus, der in seiner Geschichte,<br />
abgesehen von der Anfangszeit, kaum je ein<br />
dauerhaftes Verhältnis zur Arbeiterschaft hat herstellen<br />
können; das deutsche Verständnis von Gehorsam und Befehl;<br />
unser traditionelles Verhältnis zur Gewalt und zur<br />
Macht; das Fehlen einer lebendigen und mutigen Schicht<br />
der Intelligenz etc. etc.).<br />
23
Wichtiger aber noch für Deine Fragestellung scheint mir<br />
zu sein, einmal zu untersuchen, welche Möglichkeiten eine<br />
politische Führung wie die der DDR hat, die eigene politische<br />
Ordnung zu stabilisieren, und zwar gerade dann,<br />
wenn ökonomische Erfolge noch für längere Zeit schwer<br />
realisierbar erscheinen und die Führung selbst durch die<br />
Fülle immer erneut gegebener und dann nicht gehaltener<br />
Versprechungen kaum noch einmal die Chance hat, das<br />
Vertrauen der Bevölkerung zu erwerben? Liegt bei einer<br />
solchen Situation nicht der Versuch nahe, »außenpolitische"<br />
Erfolge zu erreichen, um die eigene Herrschaft zu<br />
stabilisieren (Ähnliches haben auch die Nazis getan)? Daß<br />
es immer Tendenzen in der SED gegeben hat, die Sowjetunion<br />
für eine solche Politik auch bereits zu einem früheren<br />
Zeitpunkt zu gewinnen, ist kaum zu bezweifeln.<br />
Noch eine letzte Bemerkung zu dem Teil III Deiner Thesen,<br />
die einen einleitenden Gedanken von mir wieder aufnimmt:<br />
Jede Politik, die nur darauf ausgeht, das, was Du den<br />
„Status quo" nennst, lediglich „anzuerkennen", muß letztlich<br />
versagen. Was wir wirklich brauchen, ist der Einbau<br />
der auf uns zukommenden „politischen Notwendigkeiten"<br />
in eine umfassende Vorstellung einer deutschen oder gesamtwestlichen<br />
„Ostpolitik". (Dabei bleibt im einzelnen<br />
zu fragen, ob die politischen Notwendigkeiten genau die<br />
sind, die Du aufzählst. Ist z. B. die Anerkennung der<br />
Oder-Neiße-Linie für die Sowjetunion oder gar die DDR<br />
genau so wichtig wie z. B. für Polen und für eine sinnvolle<br />
deutsche Ostpolitik? Bleibt das militärische Auseinanderrücken<br />
der beiden Militärblöcke nicht auch in Zukunft<br />
wichtig und der Überlegung wert? etc. etc.) Für die Konzipierung<br />
einer solchen umfassenden „Ostpolitik" bietet die<br />
Lösung der Berlin-Krise einen wichtigen Ansatzpunkt. Gerade<br />
unter diesem Aspekt darf man dann allerdings nicht<br />
die gesamte politische Auseinandersetzung auf die Berlind-<br />
Frage verengen. Genau an diesem Punkt beginnt dann<br />
erst die eigentliche Problematik. Hier gilt es, Stellung zu<br />
nehmen zu den Ergebnissen der sozialen Revolutionen,<br />
die im Ostblock stattgefunden haben und ständig weiter<br />
stattfinden. Hier muß ein neues Verständnis des Begriffs<br />
der Freiheit und der Demokratie gewonnen werden, ein<br />
Verständnis, das sich auch kritisch verhalten muß zur<br />
Situation in der eigenen Gesellschaft. Dieser Aufgabenstellung<br />
fügt sich ein in die Notwendigkeit, auch für die<br />
Politik gegenüber den Entwicklungsländern eine neue politische<br />
Perspektive zu finden.<br />
Du wirst verstehen, wenn ich diese mir am wichtigsten erscheinenden<br />
Themen hier nicht im einzelnen weiter ver-<br />
24
folge. Ich wollte mit meinem Brief lediglich „infrage stellen",<br />
nicht um zu entmutigen, sondern um deutlich zu<br />
machen, daß wir alle »weiter'-überlegen müssen, zeitlich<br />
wie auch räumlich. Es würde mich freuen» wenn meine<br />
wenigen und willkürlich herausgegriffenen Fragen die<br />
Notwendigkeit dazu deutlich gemacht haben.<br />
Berlin NW, 2. November 1961 Herzlich Dein H. Z.<br />
Thomas Metscher<br />
Berlin - Krise der westlichen Politik<br />
An der Berlinkrise zeigt sich, was die oppositionelle Linke<br />
seit Jahren vorausgesagt hat: der Zusammenbruch der<br />
westlichen Politik. Oder genauer: daß diese Politik schon<br />
immer ohne Alternative gewesen ist, d. h., das Moment der<br />
Reflexion über eigene Voraussetzungen, das den Begriff<br />
des Politischen ausmacht und die Möglichkeit zur Flexibilität<br />
und Revision offenhält, nie gekannt hat; also eigentlich<br />
den Titel des Politischen nicht verdient. <strong>Der</strong> Widerspruch,<br />
der, obwohl-als ein solcher bestritten, dieser Politik<br />
immanent war, bestand darin, daß als einziges Mittel<br />
politischer Aktion der Aufbau einer nuklearen Abschrekkungsfront<br />
angesehen wurde (die sog. deterrent theory),<br />
ohne daß jedoch der militärische Einsatz der Bombe hätte,<br />
wie auch immer, gerechtfertigt werden können, ja, ohne<br />
daß man — von einigen Faschisten im Pentagon abgesehen<br />
— überhaupt damit gerechnet hat, die Drohung zur Wahrheit<br />
werden zu lassen und die nuklearen Vernichtungsmittel<br />
einzusetzen. Drohung also zugleich mit der zynischtreuherzigen<br />
Versicherung, es nie so weit kommen zu<br />
lassen; die Möglichkeit universaler Vernichtung als Mittel,<br />
diese selbst zu vermeiden und gleichzeitig politisches<br />
Prestige zu wahren. — Einseitiges Vertrauen auf militärische<br />
Stärke, die Bombe als Substrat der Außenpolitik<br />
definiert den Militarismus heute; insofern steckt selbst in<br />
den wûstesteû Propagandareden des Neuen Deutschland<br />
noch ein Körnchen Wahrheit.<br />
In Berlin ist nun deutlich geworden, daß dieser Widerspruch<br />
nicht eine Angelegenheit bloß theoretischer Uberlegung,<br />
sondern, immer schon, ein solcher unserer politischen<br />
Praxis gewesen ist. Nur durch militärisches Eingreifen hätte<br />
die „Mauer" verhindert werden können, ja, was schwerer<br />
wiegt, lediglich durch militärisches Eingreifen kann auf die<br />
Dauer weiteren sowjetischen Agressionen begegnet werden.<br />
Mit der Vernichtungsdrohung müßte der Westen also<br />
ernst machen. Er muß einen Krieg beginnen, bleibt er .dem<br />
Gesetz, nach dem er angetreten, treu. Seine Alternative<br />
besteht aus einer generellen Kapitulation: entweder vor<br />
25
den Sowjets oder vor den Militaristen in seinen eigenen<br />
Reihen.<br />
Die ganze abendländische Verteidigungsideologie ist also<br />
weggeblasen; es müßte auch den Blinden klargeworden<br />
sein, daß sich westliche Nachkriegspolitik wenigstens in<br />
einem Punkt von der sowjetischen nicht unterschied: dem<br />
der Heuchelei, des Zynismus und der Brutalität; also in<br />
moralischer Disqualifikation. *<br />
» » «<br />
Vom Gesichtspunkt dieser Analyse aus betrachtet, besteht<br />
das Verdienst der Vorschläge Hàugs darin, die einzigen<br />
uns gebliebenen Möglichkeiten einer politischen<br />
Lösung des Problems skizziert zu haben, d. h., einer solchen<br />
Lösung, die nicht Kapitulation bedeutet. Wird der Westen<br />
endlich, im Angesicht der Katastrophe, beginnen, Politik<br />
zu betreiben?<br />
Die Chancen sind verpaßt, günstigere Bedingungen auszuhandeln.<br />
Heute bleibt uns nur noch der Weg über die<br />
Anerkennung von Oder-Neiße und DDR — oder Krieg in<br />
Deutschland als Beginn der universalen Vernichtung. Was<br />
aber für Berlin? Auch ich sehe, wie Mauke, nur Sicherheit<br />
über die UNO. In diese Richtung müßte sich westliche Verhandlungsbereitschaft<br />
orientieren.<br />
Zu einem Einwand (Lenz): Im großen und ganzen stelle ich<br />
mich hinter die „Ideologiekritik" Haugs an der westdeutschen<br />
Presse, obgleich das Problem natürlich, wie Haug<br />
wissen wird, einer differenzierteren Analyse bedürfte. Auch<br />
die entschiedenste Ablehnung und Verurteilung der Methoden<br />
der SED darf uns nicht verführen, leichtfertige<br />
Parallelen zu den nationalsozialistischen Verbrechen zu<br />
ziehen; wer die Unterschiede zwischen Buchenwald und<br />
Qstberlin, die nicht quantitativer sondern qualitativer<br />
Natur sind, hinwegleugnet, macht sich in der Tat, bewußt<br />
oder unbewußt, zum posthumen Apologeten der Judenvernichtung,<br />
ja, treibt de facto faschistische Agitation.<br />
Um jedem börartigen Mißverständnis vorzubeugen: <strong>Der</strong>jenige,<br />
der die Differenz in der Qualität zwischen SS und<br />
SED aufrechterhält, identifiziert sich damit noch lange nicht<br />
und in keiner Weise mit der Ulbrichtdiktatur. Im Gegenteil:<br />
seine Kritik ist wahrscheinlich entschiedener und aufrichtiger<br />
als die Propaganda der anderen, aus dem einfachen<br />
Grund, weil sie den Phänomenen gerechter wird<br />
und nicht alles blind und emotional in einen Topf wirft;<br />
sich überdies weigert, die gegenwärtige politisch-gesellschaftliche<br />
Realität demagogisch unter die Alternative<br />
freiheitlich-totalitär zu subsumieren.<br />
Belfast, 5. November 1961<br />
26
Prof. Ossip K. Flechtheim<br />
Wenn schon nicht „idealistisch",<br />
dann wenigstens „realistisch"<br />
Lieber W. F. H„<br />
Besten Dank für Ihren Brief.<br />
Ich stimme mit Lenz überein, daß Ulbricht und Hitler sich<br />
ähneln — identisch sind sie sicherlich nicht. Auch ist<br />
Ulbricht nur Teil eines größeren Ganzen — die Parallele<br />
Hitler-Chruschtschow ist sehr falsch und gefährlich.<br />
An der Berlin-Frage läßt sich klar erkennen, wie weit heute<br />
ethische Forderung und politische Realität auseinanderklaffen.<br />
Würde man auf der Grundlage einer Ethik der<br />
Nächstenliebe, der Gewaltlosigkeit, des Opfers etwa im<br />
Sinne eines Ghandi oder Bhave, eines Tolstoi oder Schweitzer<br />
an die Problematik Berlins und Deutschlands herangehen,<br />
so ließe sich durchaus denken, daß die zwei Millionen<br />
Westberliner freiwillig auf ihre große Stadt verzichten<br />
würden, um mit der Hilfe der gesamten friedliebenden<br />
Welt eine neue Stadt des Friedens in Westdeutschland<br />
aufzubauen. In diesem Falle wäre auch der Westen ganz<br />
frei, jede Art von Anerkennung der DDR zu verweigern.<br />
Er wäre keinem Druck ausgesetzt und hätte auch noch eine<br />
moralisch absolut unangreifbare Position. Wir wissen nicht,<br />
ob eine solche ganz selbstlose Opfertat heute in der Welt<br />
verstanden würde — es ist utopisch, sie zu fordern, da<br />
wir <strong>Berliner</strong> selber einfach nicht die moralische Überlegenheit<br />
besitzen, um sie durchzuführen. Junge Menschen<br />
könnten vielleicht einmal so selbstlos und weitsichtig<br />
handeln — wir Älteren sind so sehr Sklaven unserer Vorurteile<br />
und Gewohnheiten, unserer täglichen Sorge und<br />
Habe, daß wir uns eher mit allen Risiken der Gewalt und<br />
des Unterganges im Kriege abfinden, als daß wir freiwillig<br />
im Frieden ein ganz großes Opfer zu bringen imstande<br />
wären.<br />
Verzichten wir also auf eine genauere Erörterung der verschiedenen<br />
Aspekte einer „idealistischen" Lösung, die vielleicht<br />
auf lange Sicht gesehen gar nicht so „unrealistisch"<br />
wäre, wie man allgemein behaupten würde. Versuchen wir,<br />
mit ein paar Worten eine „realistische" Perspektive zu<br />
eröffnen.<br />
Auszugehen ist von der schmerzlichen Tatsache, daß gerade<br />
in Berlin die militärische und politische Position des<br />
Westens schwächer geworden ist. Heute verfügt die Sowjetunion<br />
über so viele A- und H-Bomben, daß die militärische<br />
Verteidigung Berlins in einem totalen Krieg nur<br />
um den Preis der Zerstörung, wenn nicht der Menschheit,<br />
27
ao zumindest Europas und damit auch Berlins möglich<br />
wäre. Ohne Einsatz von Atombomben aber wäre Berlin in<br />
einem „konventionellen" Krieg schon gar nicht zu halten.<br />
Politisch gesehen arbeitet die Zeit noch für den status quo,<br />
d. h., für die allmähliche Festigung der deutschen Spaltung<br />
und die Anerkennung der beiden deutschen Teilstaaten.<br />
Die Regelungen von 1945 bis 1949 mögen rein juristisch<br />
noch so unanfechtbar sein — politisch werden sie immer<br />
problematischer: Selbst der Jurist kommt auf die Dauer<br />
nicht um die sog. „normative Kraft des Faktischen" herum.<br />
Wir werden uns also wohl oder übel damit abfinden müssen,<br />
daß die Verhandlungen über Berlin, die so bald wie<br />
möglich einsetzen sollten, voraussichtlich mit einem Ubereinkommen<br />
enden werden, das der neuen Machtkonstellation<br />
in Mitteleuropa Rechnung trägt.. <strong>Der</strong> Westen wird<br />
nicht umhin können, in der einen oder anderen Form die<br />
Existenz zweier deutscher Staaten und ihre derzeitigen<br />
Grenzen anzuerkennen. Eine solche diplomatische Anerkennung<br />
schließt durchaus nicht die moralische Billigung<br />
eines bestimmten politischen oder sozialen Systems ein.<br />
Sie scheint mir aber heute die Voraussetzung für die Gewährleistung<br />
der Freiheit Berlins und seiner freien Zufahrtswege<br />
seitens des Ostens zu sein, ja, darüber hinaus<br />
wohl eine Basis für den Beginn einer noch so begrenzten<br />
und schwachen Entspannung zwischen den Großmächten,<br />
die wir so bitter nötig haben. Eine solche Anerkennung<br />
würde vielleicht auch eine Annäherung zwischen den beiden<br />
deutschen Teilstaaten erleichtern, die wiederum die<br />
Freizügigkeit teilweise wiederherstellen könnte. Eines<br />
sollte uns dabei besonders am Herzen liegen: eine Amnestie<br />
für die politischen Gefangenen in der DDR — hierauf<br />
sollte der Westen bei den bevorstehenden Verhandlungen<br />
drängen und hierfür sollte er bereit sein, eine Amnestie<br />
der in der Bundesrepublik inhaftierten Kommunisten anzubieten.<br />
Auf die Einzelheiten brauchen wir hier nicht einzugehen:<br />
Berlin selber könnte als Freistadt in Zoll-, Währungs- und<br />
Wirtschaftsunion mit der Bundesrepublik und unter dem<br />
Protektorat der Westmächte oder neutraler Staaten konstitutiert<br />
werden. Man könnte auch an eine Stadt der UNO<br />
denken, die auch die Verbindungswege garantieren würde.<br />
Eine solche Lösung scheint praktikabler zu sein als etwa<br />
der auch schon diskutierte Austausch von Territorien oder<br />
gar Bevölkerungen. Wird aber eine solche Vereinbarung<br />
von Dauer sein? Wird der Osten nicht bald neue Forderungen<br />
stellen? Wird nicht das Streben nach nationaler<br />
Einheit alle derartigen Vereinbarungen gefährden?<br />
28
Eine Lösung für die Jahrhunderte ist heute unmöglich. Es<br />
wäre schon viel gewonnen, wenn die Freiheit Berlins und<br />
der Friede in Mitteleuropa für einige Jahre oder Jahrzehnte<br />
gesichert werden könnten. Vielleicht wird dann<br />
die Zeit auch einmal für eine bessere Welt arbeiten, so<br />
wie es der fünfundsiebzig jährige Thomas Mann erhoffte:<br />
„wenn wir sie — die Zeit — gewähren lassen bei ihrem<br />
Werk des Ausgleichs und der Aufhebung von Gegensätzen<br />
zu höherer Einheit, und wenn wir sie, der Einzelne<br />
und die Völker, erfüllen mit der Arbeit an uns selbst."<br />
„Die Zeit", sagte jener große Deutsche und Europäer, „ist<br />
ein kostbares Geschenk, uns gegeben, damit wir in ihr<br />
klüger, besser, reifer, vollkommener werden. Sie ist der<br />
Friede selbst, und Krieg ist nichts als das wilde Verschmähen<br />
der Zeit, der Ausbruch aus ihr in sinnlose Ungeduld."<br />
Prof. John H. Herz<br />
FUr eine UNO-Stadt Berlin<br />
Es scheint, daß der von den Sowjets kürzlich unterbreitete<br />
Vorschlag, den Sitz der Vereinten Nationen nach Westberlin<br />
zu verlegen, im Westen wenig Widerhall findet.<br />
Vielleicht war er tatsächlich darauf angelegt, nicht nur<br />
Berlin sondern auch die Weltorganisation in eine Falle zu<br />
locken. Wenn der Westen geschickt wäre, könnte er jedoch<br />
ganz im Gegenteil diesen Vorschlag als vielleicht einzigartige<br />
Gelegenheit zur gleichzeitigen Lösung zweier verzwickter<br />
Weltprobleme — des Berlin-Problems und des<br />
Problems des Sekretariats der Vereinten Nationen — benützen,<br />
nämlich dadurch, daß er zwischen beiden ein Junktim<br />
schafft.<br />
Das heißt also, daß die Westmächte Chruschtschows Vorschlag,<br />
die Vereinten Nationen (entweder ganz oder den<br />
größten Teil dieser Organisation) nach Westberlin zu verlegen,<br />
ernstlich in Erwägung ziehen sollten, vorausgesetzt,<br />
daß a) Chruschtschow seinen Troika-Plan endgültig fallen<br />
läßt, d. h., auch für die 1963 fällige Neuwahl eines Generalsekretärs<br />
(wie er es ja bereits für die Wahl des einstweiligen<br />
Generalsekretärs, U Thant, getan hat) ; denn nur unter<br />
einem unabhängigen und „veto"freien Leiter kann die<br />
Organisation in Berlin und von Berlin aus vernünftig funktionieren.<br />
b) Dié Sowjetunion und das ostdeutsche Regime<br />
vereinbaren mit den jetzigen drei Besatzungsmächten<br />
einen echten Freistadt-Status für Westberlin, in dem die<br />
Exterritorialität der Stadt so detailliert wie möglich festgelegt<br />
wird, was praktisch bedeutet, daß die Bevölkerung<br />
der Stadt und ihre Regierung Souveränität genießen.<br />
29
c) <strong>Der</strong> Osten erkennt das Recht der Freistadt an, den Vereinten<br />
Nationen oder ihren Behörden jenen Status und jene<br />
Privilegien einzuräumen, die sie jetzt auf Grund einschlägiger<br />
Abkommen mit den Vereinigten Staaten genießen.<br />
d) Die Sowjet-Union und die DDR schließen mit den Vereinten<br />
Nationen (letztere im Namen all ihrer Mitglieder<br />
handelnd) ein Abkommen, wonach das Recht der freien<br />
Zufahrt nach Westberlin mittels einer internationalisierten,<br />
von den Vereinten Nationen zu kontrollierenden und<br />
patroullierenden Autobahn wie auch durch uneingeschränkte<br />
Garantien der Luft-, Eisenbahn- und Wasserwege<br />
nach Berlin für die Bürger aller Länder und den<br />
Verkehr aller Völker garantiert wird, e) Als Gegenleistung<br />
erklärt sich der Westen bereit, Berlins gegenwärtigen Besatzungsstatus<br />
zu beenden und seine Truppen zu Gunsten<br />
einer Truppe der Vereinten Nationen zurückzuziehen.<br />
Westberlin verzichtet auf seine gegenwärtigen politischen<br />
und verwaltungstechnischen (nicht jedoch seine wirtschaftlichen!)<br />
Bindungen an die Bundesrepublik.<br />
Eine solche oder ähnliche Regelung würde Westberlin so<br />
viel Schutz bieten wie es unter einem neuen Status überhaupt<br />
möglich wäre, da eine Verletzung dieses Status ja<br />
die ganze Welt betreffen würde. Sie könnte auch Chruschtschow<br />
attraktiv erscheinen, a) da sie dessen schon seit so<br />
langer Zeit und so oft wiederholte Forderung nach einem<br />
neuen Status Westberlins befriedigen würde, ohne daß er<br />
sein Gesicht zu verlieren brauchte; b) da sie tatsächlich<br />
manche Reibungsflächen aus der Welt schaffen würde; c) da<br />
sie eine defacto Anerkennung der DDR bedeuten würde. Aus<br />
diesem letzteren Grunde mag sie dem Westen widerwärtig<br />
sein. Jedoch wird er zu dieser Anerkennung früher oder später<br />
sowieso gezwungen sein, und je eher es geschieht, umso<br />
weniger „Gesicht" verliert er dabei. Und im Gegensatz<br />
zu einer weitverbreiteten Fehlauffassung würde der Westen<br />
und besonders die Deutschen durch ein solches Sichde-facto-Abfinden<br />
in keiner Weise gezwungen sein, die<br />
Hoffnung auf dereinstige Wiedervereinigung und die Forderung<br />
nach Wiedervereinigung aufzugeben. Andrerseits<br />
kann es der Westen nicht zulassen, daß deutsche Empfindlichkeit<br />
dauernd eine Kompromißlösung verhindert, die<br />
vielleicht die einzige Alternative zu einem furchtbaren<br />
Zusammenstoß darstellt. (Deutsch von L. Flechtheim)<br />
New York, November 1961<br />
30
Eichmann und andere<br />
Fritze Wolf<br />
Die Schüler des<br />
Hofpredigers Stoecker<br />
Wenige Tage bevor Berlin vollends zerteilt wurde, tagten<br />
in der ehemaligen Reichshauptstadt 350 Delegierte eines<br />
Verbandes, der mit Recht von sich sagen könnte, daß er<br />
als eine der ersten Organisationen in Deutschland an der<br />
Wegbereitung des Faschismus gearbeitet hat. Er sagt- es<br />
indes nicht, vielleicht noch nicht wieder. Aber seine Vertreter<br />
nehmen den ehrenwerten Mund doch wieder beachtlich<br />
voll. Zu ihrem Kummer hat ihr gesellschaftlicher und<br />
mehr noch ihr staatlicher Einfluß durch die Ereignisse des<br />
Jahres 1945 etwas gelitten. Aber das soll jetzt anders werden.<br />
Und so wollen sie sich bald wieder „genauso für den<br />
nationalen Gedanken einsetzen, wie die ältere Generation<br />
es getan hat". Was garnicht so abwegig ist, wie unsere<br />
harmlosen Leser denken mögen, repräsentiert doch die<br />
Bundesrepublik, wie der hochgestellte christlich-demokratische<br />
Festredner den ehrbaren Versammelten zuruft, wieder<br />
ein „militärisch und wirtschaftlich machtvolles Deutschland".<br />
Begeistert applaudieren die Korporierten und verpflichten<br />
sich in einer Resolution „zur sofortigen oder<br />
künftigen ehrenamtlichen Übernahme eines staatlichen<br />
oder sozialen Amtes". Für derartige Ämter kann man<br />
dieser einflußreichen Elite in der Tat eine traditionelle<br />
Neigung nicht absprechen. Können sie doch darauf hinweisen,<br />
daß sie sich schon immer für das „Verhältnis von<br />
Volk und Staat und die Volkstumsarbeit" interessiert<br />
haben, soweit sie nicht durch „Grenzlandsarbeit" anderweitig<br />
in Anspruch genommen waren. Es ist wahr, daß die<br />
Lehren Adolf Stoeckers, ihres auch heute noch mit Verehrung<br />
genannten Lehrers, viele Jahrzehnte lang nichts<br />
von ihrer Wirkung auf den Verband verloren haben. Auch<br />
die antisemitische Agitation des heute achtzigjährigen<br />
Verbandes war ja nicht verloren. Nur gebührt dem Hof-<br />
31
prediget Stoecker das historische Verdienst, nicht nur die<br />
erste letztlich durch Antisemitismus zusammengehaltene<br />
Massenbewegung als Waffe gegen die Sozialdemokratie<br />
ins politische Leben gerufen, sondern auch den Herrschenden,<br />
nämlich dem Königshaus, den ostelbischen Rittergutsbesitzern<br />
und einigen Herren von der schweren Industrie,<br />
die epochale Nützlichkeit dieses seines Verfahrens klar<br />
vor Augen geführt zu haben. Ein gewichtiger Grund, sich<br />
heute dankbar auf ihn zu berufen.<br />
Da es sich empfiehlt, die in dieser Glosse mitgeteilten Aussprüche<br />
zweimal zu lesen und da unsere Leser es zudem<br />
vorziehen mögen, über derartige gesellschaftliche Entwicklungen<br />
nicht nur in Form einer Glosse informiert zu werden,<br />
fügen wir hier, in vollem Wortlaut, einen Bericht<br />
von Klaus Gennrich über die genannte Tagung an, den der<br />
<strong>Berliner</strong> „Tagesspiegel" am 8. August 1961 veröffentlichte:<br />
Festakt des Kyffhäuser-Verbandes<br />
Studenten wollen politisches Interesse wecken<br />
Auf einem Festakt des Verbandes der Vereine Deutscher<br />
Studenten (Kyffhäuser-Verband) sagte der Verbandsvorsitzende,<br />
Dr. Herbert Fankhänel, man habe den 80. Verbandstag<br />
des Bundes mit dem Thema „Soziale Aufgaben<br />
einst und heute" nach Berlin einberufen, da hier das Wissen<br />
vom anderen Teil Deutschlands mehr als anderswo in<br />
alle Überlegungen einbezogen werde.<br />
Nach einem Grußwort des Zehlendorfer Bezirksbürgermeisters<br />
Dr. Stiewe, in dessen Bezirk die Verbandstagung<br />
und der abschließende Festakt mit 350 Delegierten stattfanden,<br />
hielt Professor Dr. Karl Jordan, Kiel, den Festvortrag<br />
über „Die Vereine Deutscher Studenten und die sozialen<br />
Aufgaben in acht Jahrzehnten". Jordan schilderte die<br />
Wirkung der Lehren Adolf Stoeckers und Friedrich Naumanns<br />
auf den Verband, der einige Monate vor der sozialen<br />
Botschaft Wilhelms I. im Jahre 1881 im Kyffhäuser ins<br />
Leben gerufen wurde. <strong>Der</strong> Verband habe seit 1890 die<br />
staatliche Sozialpolitik Wilhelms II. energisch unterstützt.<br />
Um die Jahrhundertwende seien in der Arbeit des Verbandes<br />
„nationalpolitische Fragen" in den Vordergrund<br />
getreten. Dazu hätten vor allem das „Verhältnis von Volk<br />
und Staat und die Volkstumsarbeit" gehört. Dabei hätte<br />
die „Grenzlandsarbeit" eine besondere Rolle gespielt.<br />
Jordan klagte im Verlauf seiner weiteren Ausführungen<br />
darüber, daß heute weit weniger Mitglieder dieses Korporationsverbandes<br />
in „offiziellen Stellungen" tätig seien als<br />
vor 1945. Das will man allerdings beheben. Zu diesem<br />
Zweck faßte man eine Resolution, derzufolge sich alle ak-<br />
32
tiven und inaktiven Mitglieder des Kyffhäuser-Verbandes<br />
zur sofortigen oder künftigen ehrenamtlichen Übernahme<br />
eines staatlichen oder sozialen Amtes verpflichten.<br />
<strong>Der</strong> Bundestagsabgeordnete Professor Dr. Friedensburg<br />
wandte sich in seiner Ansprache gegen Alarm- und Panikgerüchte<br />
um die Lage in Berlin. Für die Situation<br />
Berlins sei es tröstlich zu wissen, daß die Bundesrepublik<br />
wieder ein „militärisch und wirtschaftlich machtvolles<br />
Deutschland" repräsentiere. Friedensburg rief die begeistert<br />
beifallspendenden Korporationsstudenten auf, sich<br />
„genauso für den nationalen Gedanken einzusetzen wie<br />
die ältere Generation das getan hat", denn ein so „hoher<br />
und unvergänglicher Wert wie der nationale Gedanke"<br />
verliere auch durch seinen zeitweiligen Mißbrauch nicht<br />
an Gültigkeit. Falls einmal der „Ruf nach Freiwilligen"<br />
nötig würde, den „Dienst an Volk und Vaterland" zu erfüllen,<br />
sollten die Studenten dazu bereit sein. Die eigene<br />
Abneigung gegen Opfer und Mühen und der Wunsch,<br />
gut leben zu wollen, bergen nach Friedensburgs Worten<br />
eine größere Gefahr für die Freiheit des Westens und<br />
Berlins als die politische Tagessituation."<br />
Reinhard Strecker<br />
Die Namen nennen<br />
Es ist die Öffnung der schon bestehenden Archive und<br />
die Schaffung eines zentralen <strong>Institut</strong>s vonnöten, an dem<br />
über das Dritte Reich, seine Verbrechen, seine Helfer<br />
und über den deutschen Widerstand geforscht werden<br />
kann. Man muß betonen, daß <strong>Institut</strong>e, in denen Dokumente<br />
nur über die Staatsanwaltschaft oder, wie die in<br />
Deutschland übliche Definition heißt, ausschließlich ' zu<br />
Zwecken „rein wissenschaftlicher Forschung" (d. h. Entfernung<br />
des Gegenwartsbezugs, keine Namensnennungen)<br />
eingesehen werden können, diesem Ziele nicht<br />
entsprechen.<br />
Es gilt immer noch'-als opportun, gegen die Verbrechen<br />
der Nazis ganz allgemein sich auszusprechen. Es gilt aber<br />
als im höchsten Grade unfein, gegen die Verbrechen von<br />
Prof. Six zu sein. Eine Reinigung unseres öffentlichen<br />
Lebens von den Verbrechern der NS-Zeit und ihren Helfershelfern<br />
ist aber ohne Namensnennung nicht möglich.<br />
Ein Dr. Pook, der den lukrativen Einfall hatte, das Zahngold<br />
der Ermordeten sammeln zu lassen, darf heute seine<br />
33
lebenden Patienten in Berlin versorgen. Ein Ferdinand<br />
Fried alias Prof. Friedrich Zimmermann, einer der vulgärsten<br />
Antisemiten, der das deutsche Volk schon in<br />
den ersten Jahren des NS-Regimes über den „zersetzenden"<br />
Einfluß der Juden „aufklärte", ist an führender Stelle<br />
im deutschen Journalismus tätig. Ein Dr. Achim Gercke,<br />
Rassesachverständiger beim Reichsinnenministerium, ist<br />
seit vielen Jahren Mitarbeiter der evangelischen Landeskirche<br />
Hannover. Es ist einfach unmöglich, daß ein<br />
Prof. Dr. Berber heute noch an einer deutschen Universität<br />
lehren darf; es sollte nicht geduldet werden, daß<br />
ein Herr Seraphim Professor an der Verwaltungsakademie<br />
Nordrhein-Westfalen ist.<br />
Ein Globke im Bundeskanzleramt, ein Conring im Bundestag,<br />
ein Reinefarth im Landtag, ein Baumkötter in der<br />
Ärztekammer, ein Zimmermann in der Anwaltskammer,<br />
ein Faust und Ambros in der Industrie- und Handelskammer<br />
und an der Börse stellen eine nachträgliche Billigung<br />
der Untaten des Dritten Reiches seitens ihrer Berufskollegen<br />
dar, die sie nicht ausschließen. Es ist eine<br />
Illusion, zu glauben, das Problem stürbe mit den belasteten<br />
Personen aus. Es bleibt uns als unbewältigte Gegenwart<br />
und raubt auch jedem „Neuoeginn" seine moralische<br />
Grundlage.<br />
(Auszug aus dem Protokoll der Rede von<br />
Reinhard Strecker auf der XVI. Delegiertenkonferenz<br />
des SDS am 6. 10. 1961)<br />
34
Gerhard Schoenberner<br />
Eichmann<br />
und die Deutschen<br />
Warum und zu Welchem Ende wird 16 Jahre nach Kriegsende<br />
dieser Prozeß geführt? Wozu der ganze Aufwand<br />
für jenen Einen? Kann sein Tod etwas sühnen? Ist es<br />
nicht endlich an der Zeit, die Vergangenheit ruhen zu<br />
lassen? Gibt es nicht neue Gefahren, die unsere volle<br />
Aufmerksamkeit verlangen? So wird in verschiedenen<br />
Tonlagen, je nach Intelligenz und politischer Einstellung,<br />
immer wieder gefragt.<br />
Tatsächlich ist noch nie in der Menschheitsgeschichte vor<br />
einem Gericht eine so furchtbare Anklage erhoben worden,<br />
wie 1961 in Jerusalem. So wenig die menschliche<br />
Sprache Worte hat, diese Bluttaten zu beschreiben, so<br />
wenig kennt das Gesetz eine Strafe, die sie sühnen<br />
könnte. Es geht und ging weder um den Angeklagten<br />
allein, der seiner Bedeutungslosigkeit entsprechend während<br />
des Verfahrens immer mehr in den Hintergrund<br />
trat, noch um das Urteil gegen ihn, das heute kaum<br />
jemand noch interessiert. Israels Versuch, den Massenmord<br />
an den Juden Europas vor aller Welt gerichtsnotorisch<br />
zu machen, kann einen Sinn nur erhalten, wenn<br />
man den Prozeß als historische Lektion versteht.<br />
35
Nicht ein selbstquälerischer Zwang, immer wieder in die<br />
Vergangenheit zurückzukehren, läßt uns gerade Sn<br />
Deutschland zu dieser immer wieder vertagten Auseinandersetzung<br />
raten, sondern die Sorge um die innere<br />
Verfassung unseres Volkes und die äußere, in der es<br />
morgen leben wird. Es kann eine ganze Nation auf die<br />
.Dauer nicht ein Leben mit der Lüge führen, ohne schweren<br />
Schaden zu nehmen. Die beängstigend pathologischen<br />
Züge unserer Gesellschaft, ihr neurotisches Verhältnis<br />
zur eigenen Geschichte und ihr noch immer gestörtes<br />
politisches Bewußtsein sprechen eine deutliche Sprache.<br />
Nach dem Zusammenbruch der Hitlerdiktatur haben sich<br />
die Deutschen aus materiell und psychologisch sehr verständlichen<br />
Gründen auf den äußeren Aufbau, die Schaffung<br />
einer materiellen Basis konzentriert. Imponierende<br />
Fassaden aus Glas und Beton zeugen davon. <strong>Der</strong> innere<br />
Gesundungsprozeß ging weniger zielstrebig vor sich.<br />
Mußte man zuerst die Folgen beseitigen, ehe man über<br />
deren Ursachen nachdenken konnte, so meinte man später<br />
die Frage nach den Ursachen mit dem Hinweis auf<br />
die rasche Beseitigung der Folgen abtun zu können. <strong>Der</strong><br />
immer wiederholte Versuch, die Vergangenheit zu umgehen,<br />
sie zu tabuisieren und aus dem Gedächtnis zu<br />
löschen, führte je länger je mehr zu ebenso grotesken<br />
wie unwürdigen Manövern. Diese Politik des Als-ob ist<br />
gescheitert, sie mußte scheitern, weil die „unbewältigte<br />
Vergangenheit", hundertmal verleugnet und nur zu gut<br />
„bewältigt", in die Gegenwart mitgeschleppt wurde, weil<br />
sie täglich spürbar in unsere Gegenwart hineinwirkt und,<br />
solange nicht innerlich und äußerlich wirklich überwunden,<br />
selbst Teil dieser Gegenwart ist.<br />
« • *<br />
Es ist für den Grad der allgemeinen Erkenntnis dieses<br />
Tatbestandes charakteristisch, daß der Prozeß zunächst<br />
und zuvörderst unter dem Gesichtspunkt seiner möglichen<br />
„Wirkung im Ausland" beobachtet und mit dem<br />
Ziel öffentlich erörtert wurde, sie auf diese Weise bereits<br />
psychologisch abzufangen, wie man das auch nach der<br />
Kölner Synagogenschändung bis zur Peinlichkeit und mit<br />
höchst zweifelhaftem Erfolg versucht hat 1 . Muß man wirklich<br />
noch sagen, daß „die Optik", auf die man hierzulande<br />
so ängstlich bedacht ist, um so besser sein wird, je mehr<br />
wir sichtbar machen, daß es uns um die Sache selbst<br />
geht, und daß wir aus der Vergangenheit gelernt haben?<br />
1 Vgl. Gerhard Schoenberner, Das Menetekel von Köln,<br />
Argument Nr. 16, Seite 40 f.<br />
36
Tatsächlich ist die befürchtete „antideutsche Welle" ausgeblieben,<br />
sogar in Israel. Es war naturgemäß unvermeidlich,<br />
daß der Prozeß vor allem in den während des<br />
zweiten Weltkriegs Überfallenen europäischen Nachbarstaaten<br />
schmerzhafte Erinnerungen weckte. Gewiß war<br />
für die Völker, die unter der deutschen Besatzungsmacht<br />
leben mußten, der Unterschied zwischen Wehrmacht, Feldpolizei<br />
und SS im Endeffekt wenig relevant: es waren<br />
Deutsche hier wie dort, ihre Funktion schien eher eine<br />
Sache der Arbeitsteilung. Immerhin weiß man heute doch<br />
genügend über den Charakter einer Diktatur, um das<br />
deutsche Volk mit der Nazibewegung nicht schlechthin<br />
gleichzusetzen, wenn man es sich außerhalb Deutschlands<br />
bei dieser Trennung auch nicht ganz so bequem macht<br />
wie bei uns. Zum anderen übersieht man hierzulande<br />
immer, daß sich das Ausland eine sehr viel schärfere<br />
Erinnerung an jene Jahre bewahrt hat, die wir so gründlich<br />
verdrängt haben, und daß die Tatsachen, von denen<br />
man hier nicht oder doch nur zögernd spricht, als müßte<br />
man das Geheimnis dieser Schande hüten, dort ohnehin<br />
allgemein bekannt sind.<br />
Wir haben von einer Behandlung der Vergangenheit nur<br />
soweit und solange etwas zu fürchten, als wir sie in<br />
unserer Gegenwart noch nicht überwunden haben. Es<br />
handelt sich, genau besehen, fast immer um Erscheinungen<br />
unseres heutigen öffentlichen Lebens, die auf dem<br />
historischen Hintergrund nur besonders peinlich ins Licht<br />
rücken, weil er Maßstäbe zu ihrer Beurteilung setzt,<br />
denen man sich nicht auszusetzen wagt. Konkret gesagt:<br />
wenn etwas „dem deutschen Ansehen im Ausland schadet",<br />
so ist es die Tatsache, daß heute noch oder schon<br />
wieder allzu viele Diener des braunen Mordregimes in<br />
Amt und Würden sitzen, während jene, die dagegen gekämpft<br />
haben oder fliehen mußten, ungestraft öffentlich<br />
verleumdet werden dürfen. Das charakterisiert nicht nur,<br />
wie weit die „unbewältigte Vergangenheit" selbst in die<br />
Reihen demokratischer Parteien, in Regierung und Parlament<br />
hineinreicht. Es legt dem Ausland auch Rückschlüsse<br />
auf die Mentalität einer Bevölkerung nahe, auf deren<br />
Zustimmung solche Politik und solche Wahlkampftaktik<br />
offensichtlich mit Erfolg spekulieren kann.<br />
• * *<br />
Die einzigen realen Gefahren im Zusammenhang mit dem<br />
Eichmannprozeß scheinen mir jene psychologischen Momente<br />
zu sein, die der intellektuellen und moralischen<br />
Selbstprüfung, zu der jener uns allen Anlaß gibt, noch<br />
im Wege stehen.<br />
37
Da ist zunächst die Tatsache, daß der Gegenstand des<br />
Verfahrens so außerhalb unserer menschlichen Erfahrung<br />
und Vorstellung liegt, daß er zunächst in sie zurückgeholt<br />
werden muß. 1943, als die Massenabschlachtung der jüdischen<br />
Bevölkerung ihren Höhepunkt erreichte, schrieb<br />
der damalige Reichskommissar für das Ostland an den<br />
Minister für die besetzten Ostgebiete:<br />
„Was ist dagegen Katyn? Man stelle sich nur einmal vor,<br />
solche Vorkommnisse würden auf der Gegenseite bekannt<br />
und dort ausgeschlachtet. Wahrscheinlich würde eine<br />
solche Propaganda einfach nur deshalb wirkungslos bleiben,<br />
weil Hörer und Leser nicht bereit wären, derselben<br />
Glauben zu schenken."<br />
Die Entwicklung bis in die Nachkriegszeit hinein hat<br />
diese Prognose bestätigt. Wie die Nazipropaganda gerade<br />
durch das Ausmaß ihrer Unwahrheit schon wieder<br />
glaubwürdig erschien, weil derart phantastische Lügen<br />
niemand für möglich hielt, so war die Wahrheit über die<br />
Naziverbrechen so unfaßbar, daß sich die Urheber völlig<br />
zurecht mit dem Gedanken beruhigen konnten, sie werde,<br />
auch wenn sie bekannt würde, garnicht geglaubt, sondern<br />
als „fürchterliche Erfindung" der Propaganda abgetan werden<br />
2 .<br />
Es steht dazu nur scheinbar im Widerspruch, wenn ich<br />
hinzufüge, daß es angesichts der psychologischen Gewöhnung<br />
der Öffentlichkeit an atomare „Endlösungen",<br />
unvergleichlich jenem ersten Versuch in Hiroshima, zunehmend<br />
schwieriger sein mag, die Erfahrung von Auschwitz<br />
überhaupt noch zu begreifen, denn hier wie dort<br />
ist es doch gerade die völlige Unkenntnis des realistischen<br />
Details und das Unvermögen, die realen Dimensionen<br />
noch zu erfassen, die eine gedanken- und widerspruchslose<br />
Hinnahme oberflächlichster Art bewirken.<br />
* * *<br />
Dazu kommt erschwerend die Tendenz zahlreicher, von<br />
der Eichmann-Konjunktur bestimmter Publikationen minderer<br />
Qualität zu einem Sensationalismus, der das Thema<br />
geschäftlich ausschlachtet und es gleichzeitig deformiert,<br />
indem er Sekundärerscheinungen in den Vordergrund<br />
rückt und auf diese Weise das öffentliche Interesse fehlleitet.<br />
Einher damit ging der billige Versuch einer Dämonisierung<br />
Eichmanns, der in einer Art negativen Personenkults<br />
zum willkommenen Sündenbock ernannt wurde,<br />
den man nur verdammen muß, um sich selbst zu<br />
exculpieren. Von ihm spricht man, um bequemer über<br />
soviele andere schweigen zu können, deren Namen zu<br />
2 Vgl. Kommentar eines spanischen Faschisten Seite 43.<br />
38
nennen heute weniger opportun ist. Die Entrüstung wird<br />
ins Ethische gewendet und so neutralisiert, bevor sie<br />
politisch wirksam werden und zu einer allgemeinen Erkenntnis<br />
beitragen kann. Sie erschöpft sich an jener<br />
einen Person und erlaubt so, jeder Schlußfolgerung auszuweichen.<br />
Dabei hat gerade der Prozeß gezeigt, daß dieser Eichmann,<br />
den die Boulevardpresse zu satanischer Größe<br />
aufblies, nichts mehr als ein subalterner kleiner Beamter<br />
war, obrigkeitsgläubig und herrschsüchtig zugleich, beschränkt<br />
und pedantisch wie nur irgendein Bürokrat, also<br />
alles andere als eine singuläre Erscheinung. Es wäre<br />
sicher sehr beruhigend gewesen, die Teufelei, für die er<br />
zum Symbol geworden ist, als pathologische Ausnahmeerscheinung<br />
erklären zu können. Tatsächlich unterschied<br />
er sich nur in Rang und Funktion, nicht aber in Mentalität<br />
und Verhalten von dem nach Zehntausenden zählenden<br />
Heer der mittleren und kleinen Eichmanns, mit<br />
deren Duldung und Hilfe die riesige Vernichtungsmaschinerie<br />
erst betrieben werden konnte.<br />
<strong>Der</strong> allein wichtigen Frage, welche gesellschaftlichen Faktoren<br />
zur Herrschaft der Eichmanns geführt und sie möglich<br />
gemacht haben, weicht man mit der — übrigens von*-<br />
Carl Zuckmayer gelieferten — Formel aus, die das deutsche<br />
Volk ebenso schizophren wie primitiv in die „guten<br />
Deutschen", die in Staat und Armee „nur ihre Pflicht"<br />
taten, und die „bösen Nazis" samt Gestapo und SS einteilt.<br />
Das führt automatisch zu einer Entlastung sämtlichen<br />
Mitläufer- und Mittätertums von jeglicher Verantwortung<br />
und läßt es womöglich, wegen nicht voller Ubereinstimmung<br />
mit dem Unrecht, nachträglich noch heroisch<br />
erscheinen. Das führt, negativ gewendet, folgerichtig zu<br />
dem einfältigen Vorwurf, es habe einer auch „gegen deutsche<br />
Soldaten" gekämpft, statt „nur gegen die Nazis".<br />
Solange man in Deutschland nicht begreift, daß die gesamte<br />
Staatsapparatur dank der blinden Pflichtbesessenheit<br />
der deutschen Beamten das nie versagende Exekutivorgan<br />
der Nazidiktatur war und die Wehrmacht —<br />
unabhängig vom Grad ihrer direkten Mitwirkung —<br />
qua Funktion Schrittmacher des Systems der Gaskammern,<br />
solange hat man von dem Problem, um das es<br />
geht, überhaupt nichts begriffen.<br />
Adolf Eichmann war gewiß nicht das kleine Rädchen in<br />
der großen Maschinerie, als das ihn sein Verteidiger<br />
gern darstellen wollte, aber er war weder der Satan<br />
schlechthin, noch war er allein. Die Verderbnis, die es<br />
zu erkennen gilt, war verteufelt umfassend.<br />
39
Eine weitere Gefahr liegt in der Fixierung und Beschränkung<br />
des allgemeinen Interesses auf die jüdische Frage,<br />
denn damit wird die Erkenntnis der Barbarei vermindert,<br />
so paradox das angesichts der am jüdischen Volk verübten<br />
Untaten klingen mag. Die Zwecktheorie, nach der<br />
die Judenverfolgung gleichsam der „Sündenfall" eines<br />
bis dahin moralisch intakten politischen Systems gewesen<br />
sei, ist auch nur eine weitere Abwandlung der zahlreichen<br />
seit Kriegsende gehörten Ausflüchte vor der<br />
Wahrheit. Sogar Adolf Eichmann war nicht nur mit der<br />
Deportation der Juden beschäftigt, und er hatte zahlreiche<br />
Komplicen, die sich mit nicht weniger grausigem Erfolg<br />
der Unterdrückung und Dezimierung vor allem der slawischen<br />
Völker widmeten.<br />
Aber auch der Ansatz bei Kriegsbeginn, obwohl der<br />
Einsicht einer Stufe näher, greift immer noch zu kurz,<br />
weil er die Vorbereitungsjahre des inneren Terrors nach<br />
1933 bewußt oder unbewußt der Zeit des Friedens und<br />
der Rechtsordnung zuschlägt. Zur Erkenntnis des Systems<br />
gehört auch die Kenntnis seiner Entstehung. Nur wenn<br />
man die Hitlerei bis an ihre frühen Würzein verfolgt<br />
und in jeder Phase ihrer Entwicklung die gesellschaftlichen,<br />
ökonomischen und ideologischen, politischen und<br />
psychologischen Faktoren umfassend berücksichtigt, in<br />
ihren allseitigen Zusammenhängen analysiert und einschätzt,<br />
wird man die Ursachen der Folgen erkennen.<br />
Aber selbst eine isolierte Untersuchung der Judenverfolgung,<br />
wenn sie sich nicht auf das Phänomen der Gaskammern<br />
begrenzt, sondern die Vorgeschichte des Antisemitismus<br />
und seiner Quellen einbezieht, könnte schon<br />
zu bemerkenswerten Resultaten führen. Es gehört kein<br />
besonderer Scharfsinn dazu, zu erraten, warum unsere<br />
amtliche „politische Bildung" von Ausnahmen abgesehen<br />
eben diese Erkenntnisse um jeden Preis zu verhindern<br />
sucht.<br />
* * *<br />
Schließlich besteht die ernste Gefahr, daß die große Zahl<br />
der Presseberichte, Magazinserien, Bücher und Filme über<br />
die Judenverfolgung das Interesse der Konsumenten bis<br />
zu einem Punkt überanstrengt, wo es in Ubersättigung<br />
und Teilnahmslosigkeit umschlagen kann. Fatalerweise<br />
fallen hier die Gegebenheiten des freien Marktes und<br />
die Wünsche bestimmter politischer Kreise mit der psychologischen<br />
Disposition eines Publikums zusammen, das<br />
den Eichmann-Prozeß ohnehin eher als Abschluß der<br />
gegenwärtigen Periode lästiger Selbstprüfungen denn als<br />
ihren Beginn betrachtet.<br />
40
Nachdem die Konfrontation mit dem eigenen Gestern<br />
schon unvermeidlich geworden ist, scheinen viele Deutsche<br />
fest entschlossen, diesen Anblick möglichst schnell<br />
hinter sich zu bringen, um ihn dann umso gründlicher<br />
und diesmal endgültig zu vergessen. Diese Leute huldigen<br />
dem Irrtum, die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit<br />
ließe sich absolvieren wie eine Entschlackungskur<br />
und zu einem bestimmten Zeitpunkt, zum Beispiel<br />
der Urteilsverkündung des Jerusalemer Gerichts, einfach<br />
abschließen.<br />
Eine derartige Reaktion wäre verhängnisvoll, weil mit<br />
diesem Termin noch nicht einmal die juristische Bestandsaufnahme<br />
abgeschlossen ist, von allem anderen ganz zu<br />
schweigen. Auf den Eichmann-Prozeß werden der Auschwitz<br />
und der Sobiborprozeß folgen, die ihrerseits nur<br />
zwei besonders wichtige Verfahren unter zahlreichen anderen<br />
sind, die in den nächsten Monaten gegen Mitglieder<br />
von KZ-Verwaltungen und Erschießungskommandos angestrengt<br />
werden. Es kann nur gut sein, wenn die deutsche<br />
Öffentlichkeit sich rechtzeitig auf diesen Tatbestand einstellt.<br />
* * *<br />
Die Verfolgung und Aburteilung von Naziverbrechen<br />
durch die Justiz ist sicher das geringste, was man tun<br />
muß, aber sie ist unerläßlich und scheint schwer genug.<br />
Man mag bedauern, daß es erst jetzt dazu kommt, aber<br />
es wäre verhängnisvoll, sie mit diesem Argument abzv<br />
werten. <strong>Der</strong> Versuch, in der Aufklärung krimineller Vergehen<br />
Straftaten, wie Raub, Mißhandlung, Totschlag und<br />
Mord politische Motive zu erkennen oder eine gerichtliche<br />
Untersuchung mit politischen Begründungen abzulehnen,<br />
geht fehl. Er verkennt, in welchen Zustand der<br />
Unsicherheit unsere gesamte Rechtspflege geraten müßte,<br />
wollte man für die unter dem Naziregime geförderten<br />
und organisierten Verbrechen einen Generalpardon erlassen.<br />
Ihre Aburteilung ist vielmehr nur ein Akt der Wiederherstellung<br />
normaler, zivilisierter Rechtsverhältnisse.<br />
Diese Aktion muß erweitert werden durch eine im Grunde<br />
selbstverständliche Forderung, die man hierzulande unglücklicherweise<br />
schon für mutig hält: nämlich die Säuberung<br />
der öffentlichen Ämter auch von solchen politisch<br />
belasteten Personen, die juristisch nicht mehr oder überhaupt<br />
nicht belangt werden können. Es gibt eine moralische<br />
und ideelle Mitschuld, die unabhängig von Paragraphen<br />
weiterbesteht. Es geht hier nicht um eine neue<br />
Entnazifizierung, die ungefähr das Gegenteil von dem<br />
41
war, was hätte geschehen müssen. Aber die Tatsache,<br />
daß man einer Zuchthausstrafe entgangen ist, kann noch<br />
nicht als Qualifikation gelten, den demokratischen Staat<br />
zu repräsentieren.<br />
Das Richtergesetz versucht bereits, belasteten Juristen<br />
einen lautlosen Abgang zu erleichtern, — wie wir inzwischen<br />
wissen, mit recht mäßigem Erfolg. In der Ärzteschaft<br />
gibt es ähnliche Probleme, die durch einen falschen<br />
Korpsgeist nicht gerade leichter gelöst werden.<br />
Nun ist es gewiß besonders unerträglich, in Justiz und<br />
Medizin Menschen zu wissen, die die ethischen Grundlagen<br />
ihres Berufes so gründlich verraten haben. Aber<br />
in anderen Bereichen unseres gesellschaftlichen Lebens<br />
fehlt bisher jede Handhabe dagegen, daß sich ehemals<br />
prominente Mitarbeiter des NS-Regimes wieder in führende<br />
Stellungen drängen.<br />
Hier hätte eine demokratisch wache öffentliche Meinung<br />
in Funktion zu treten. Wir befinden uns heute in der<br />
Gefahr, auf pauschale Anschuldigungen von außen nur<br />
noch polemisch zu reagieren, statt sie sachgerecht zu prüfen.<br />
Daß die subjektive moralische Berechtigung der<br />
Vorwürfe in diesem oder jenem Falle anfechtbar sein<br />
mag oder daß sie in propagandistischer Vergröberung<br />
übertreiben, enthebt noch nicht der Verflichtung, zu untersuchen,<br />
welche realen Anlässe man selbst geliefert<br />
hat. Hier, wie auch in einigen anderen politischen Fragen,<br />
sollten wir zu der guten Regel zurückkehren, das<br />
entscheidende Kriterium einer These nicht darin zu sehen,<br />
wer sie aufgestellt hat, sondern ob sie logisch und sachlich<br />
zutreffend ist.<br />
Aber es geht garnicht um diese oder jene Person, diese<br />
oder jene Organisation, die heute von sich reden machen.<br />
Sie sind nur Symptome eines allgemeinen Zustandes,<br />
der ihr Wiederauftreten erst ermöglicht hat und auch<br />
mit ihrem Verschwinden nicht zu bestehen aufhört. An<br />
ihm haben wir alle teil.<br />
Damit erhebt sich die Frage, was die große Mehrheit jener<br />
tun soll, deren politischer Irrtum und persönliches Versagen<br />
die Katastrophe möglich gemacht haben. Sie sind die<br />
einzigen, die sich selbst verzeihen können, falls sie es<br />
vermögen. Aber, das ist wohl klar, es geht bei der<br />
Forderung nach Auseinandersetzung mit der Vergangenheit<br />
garnicht um eine permanente moralische<br />
Selbstverdammung sondern darum, zu lernen und besser<br />
zu machen, die Ursachen der Folgen zu erkennen, die<br />
Zusammenhänge zu begreifen und die Lehren der Geschichte<br />
auf die Praxis unseres gesellschaftlichen Lebens<br />
anzuwenden.<br />
42
Lieber Leser!<br />
Kommentar eines<br />
spanischen Faschisten<br />
(Leitartikel einer der größten spanischen Zeitungen<br />
zum Eichmann-Prozeß)<br />
Als Symptom und als Beispiel für alles, was heute geschieht,<br />
ist es sehr interessant, unsere Aufmerksamkeit<br />
auf den Prozeß gegen diese gekaufte Figur zu lenken, die<br />
sich Adolf Eichmann nennt. Die Wurzel der heutigen Tragödie<br />
liegt in dem feigen Repressaliengeist und der Übelkeit<br />
erregenden Rachsucht, die heute, 16 Jahre nach den Ereignissen,<br />
in dem monströsen und lächerlichen Prozeß von<br />
Israel noch einmal zum Ausdruck kommen und den finsteren<br />
Sieger von 1945 Schlaflosigkeit verursachen. Man<br />
hätte den Schaden leicht vermeiden können, wenn die<br />
Sieger am Ende des Krieges nur etwas großzügiger gewesen<br />
wären. Die Sieger konnten jedoch gar nicht großzügig<br />
sein, da sich, wie der Eichmann-Prozeß beweist, in ihren<br />
Herzen weder Mitleid noch Ritterlichkeit noch christlicher<br />
Geist verbirgt. Ich meinerseits habe schon sehr oft behauptet,<br />
daß die Besiegten den Sieg, die Sieger aber die Niederlage<br />
verdient hätten.<br />
Ich wiederhole noch einmal, die Nazi-Faschisten waren<br />
nicht so schlecht, wie die Juden sie darstellen, und wenn<br />
es überhaupt eine Judenverfolgung unter dem Hitler-<br />
Regime gegeben hat — die Verfolgung, der die Nazis heute<br />
durch die Juden ausgesetzt sind, ist bei weitem grausamer<br />
als die vor 15 Jahren. Ich bin sicher, daß in Deutschland<br />
niemals Gaskammern zur Vernichtung der Juden errichtet<br />
wurden, wie behauptet wird. Sie waren lediglich technische<br />
Anlagen der Wehrmacht, um die Wirkung des Gases<br />
auf die Gasmasken der Soldaten zu erproben. Alles andere,<br />
was darüber gesagt worden ist, ist eine fürchterliche Erfindung.<br />
Als Beweis haben die Juden in Argentinien einen<br />
sog. Eichmann (er)gefunden, haben ihn wie eine Nachtigall<br />
gejagt, haben ihn dressiert wie einen Zirkusclown 2. Klasse,<br />
der für eine Sonntagsaufführung gemietet wird, und so<br />
wird der Welt eine Show geboten von Haß, Rachsucht und<br />
Vergeltungsmaßnahmen, bereichert mit Bildern und Politik<br />
niederster Ordnung.<br />
Danach kann uns nichts mehr in dieser Welt in Erstaunen<br />
versetzen. Eine Gruppe französischer Militärs hat sich in<br />
Algerien erheben müssen. Das ist eine nur zu nutzlose<br />
Haltung, entstanden aus Ekel und Verachtung vor dieser<br />
Welt, die uns die Sieger, die nicht zu gewinnen wußten,<br />
43
hinterlassen haben. Man sagt, nur edle Männer könnten<br />
verlieren, aber es ist viel schwieriger, siegen zu lernen.<br />
Eine Gruppe von jungen Kubanern, schlecht beraten und<br />
noch schlechter informiert vom CIA, ließ ihr Leben am<br />
schönen Strand der karibischen See, die von sowjetischen<br />
Panzern erfüllt war.<br />
Heute oder morgen, hier oder dort, wird irgend jemand<br />
eines Tages dieser Welt Einhalt gebieten, wenn überhaupt<br />
diese Welt, die heute ohne Ordnung und ohne Gerechtigkeit<br />
am Rande des Abgrunds lebt, gerettet werden muß.<br />
Dagegen herrscht in Spanien Achtung vor Menschen und<br />
Gottesfurcht und es ist, trotz unserer kleinen Irrtümer, eine<br />
Oase der bürgerlichen, politischen und sozialen Organisation.<br />
Einen freundlichen Gruß von Ihrem lieben Freund<br />
RODRIGO ROYO *<br />
(* <strong>Der</strong> Cheiredaktem von „Airiba", dem Zentralorgan der<br />
spanischen Falange, in „S. P.", Madrid, 1. 5. 61)<br />
Repe Mauler<br />
Zwei Maulerelen<br />
das schwerverständliche<br />
wir sind der entrüstung überdrüssig, wir sind es müde,<br />
auf das gute recht zu pochen, lange genug<br />
sind wir für das unterlegene eingetreten, unsere stimmen<br />
sind heiser vom beklagen des unwiderruflichen, wenn sie<br />
in den staub getreten war, haben wir uns solidarisch<br />
erklärt mit der Schwachheit.<br />
ob wir das schwer verständliche endlich verstehen?<br />
Üble nachrede auf pepe mauler<br />
ausgeliefert seinen nächsten,<br />
brauchend, die nichts für ihn haben,<br />
ihnen zu helfen hilflos, ein überflüssiger,<br />
fassungslos vor hunger, ein steinreicher,<br />
versteinert im Überfluß.<br />
die bereitung des nötigen fand ihn<br />
abwesend, träumend das verfrühte<br />
war er<br />
aus sich herausgegangen.<br />
44
Spanien<br />
Günter W. Lorenz<br />
25 Jahre danach<br />
Spanien oder der Prüfstein des Westens<br />
Es ist jetzt 25 Jahre her, seit jener kleine und unbedeutende<br />
Provinzgeneral Francisco Franco de Bahamonde<br />
jäh ins Rampenlicht der Weltöffentlichkeit trat. Als 1936<br />
der spanische Bürgerkrieg begann, angezettelt von den<br />
Reaktionären und Gegnern der Republik, war er ein unbekannter<br />
Kolonialoffizier, der hinter dem Rücken seiner<br />
Vorgesetzten Ränke mit Hitler und Mussolini spann, um,<br />
über die Köpfe seiner Mitverschworenen wie Sanjurjo<br />
hinweg, selbst an die Macht zu kommen. Heute freilich,<br />
25 Jahre nach dem Beginn eines der schmutzigsten Intrigenstücke<br />
der Weltgeschichte, will sich der gleiche Francisco<br />
Franco seiner einstigen Verbündeten nicht mehr<br />
entsinnen.<br />
Vor kurzem erst, während er sich in Burgos wieder einmal<br />
als Sieger und Erretter des Vaterlandes feiern ließ,<br />
sagte er in kaum mehr zu überbietendem Zynismus, sein<br />
Regime sei nicht mit denen Hitlers und Mussolinis zu<br />
vergleichen. Auch wäre die Unterstützung der faschistischen<br />
Armee Spaniens durch die Legionen Italiens und<br />
Deutschlands nur „vorwiegend symbolisch" gewesen.<br />
Gewiß doch, der „Caudillo Spaniens von Gottesgnaden"<br />
kann sich ja nicht täuschen. Gewiß war dann auch die<br />
Bombardierung der wehrlosen Stadt Guernica durch die<br />
deutsche Legion Condor nur ein symbolischer Akt. Gewiß<br />
war die Beschießung der offenen Stadt Almeria durch<br />
den Panzerkreuzer „Deutschland" nur ein symbolischer<br />
Akt. Gewiß nur symbolisch gemeint war die Deportation<br />
francogegnerischer Emigranten nam der Besetzung<br />
Frankreichs durch Hitlertruppen in deutsche Konzentrationslager,<br />
Ja, der Caudillo hat recht: In seinem Lande und unter<br />
seinem Regime ist vieles nur als symbolisch zu betra,chten.<br />
Die Niederknüppelung von Studentendemonstrationen<br />
zum Beispiel; die Inhaftierung unliebsamer Schrift-<br />
45
steller; die überfüllten Gefängnisse; die ständige Angst<br />
vor dem Zuchthaus Carabanchel, in dem Tausende und<br />
Abertausende von Spaniern leben. All das sind Symbole.<br />
Aber es sind Symbole, die gegen den sprechen, der sich<br />
' ihrer bedient.<br />
Spanien ist — das einzusehen können sich nur Wirrköpfe<br />
oder Fanatiker weigern — ein totalitärer Staat absolutistischer<br />
Prägung, der sich zwar in der Form vom Imperium<br />
Hitlers unterscheidet, in Wirklichkeit aber die Methoden<br />
und den Geist des Anstreichers aus Braunau imitiert.<br />
Das ist, 25 Jahre nach dem „glorreichen Sieg der Bewegung",'<br />
nach der „Befreiung Spaniens vom Bolschewismus"<br />
ein trauriges Fazit.<br />
Es gab in letzter Zeit immer wieder Optimisten, die,<br />
nach rechts eindeutig blind, lauter Vorteile für Spanien<br />
in der Person des Francisco Franco erblicken wollten.<br />
Sie übersehen geflissentlich oder aus purem Unvermögen<br />
die wahre Situation im Lande eines Diktators, der<br />
sich eifrig der Schar verteidigungswilliger Abendländer<br />
angeschlossen hat, ohne aber auch nur einmal darauf hinzuweisen,<br />
was es in seinem Lande eigentlich zu verteidigen<br />
gibt. In Wirklichkeit wird weder Europa noch gar<br />
der humanistische Geist Europas hinter den Pyrenäen<br />
verteidigt, sondern die fetten Pfründen einiger weniger,<br />
die sich auf Kosten eines ganzen Volkes nun schon ein<br />
Vierteljahrhundert an der Macht halten.<br />
Spanien war einmal ein Land höchster geistiger Blüte.<br />
Heute ist es erloschen. <strong>Der</strong> Geist steht unter der Knute,<br />
die Mutigen werden zum Schweigen gebracht. Erinnern<br />
wir uns: Juan Goytisolo, der jetzt im Pariser Exil lebende<br />
junge Schriftsteller wurde von Francos Polizei so zusammengeschlagen,<br />
daß ihn nicht einmal seine Freunde erkennen<br />
konnten. Erinnern wir uns der Deportierten und<br />
Inhaftierten. Ganz zu schweigen von der Ermordung so<br />
vieler, an der Spitze Garcia Lorca, die man noch immer<br />
als Ubereifer der Bürgerkrieger hinzustellen wünscht.<br />
Wenn man die Tatsache des Mordes nicht gänzlich leugnet<br />
...<br />
<strong>Der</strong> spanische Geist ist verarmt. Die Besten haben das<br />
Land verlassen, die Zurückgebliebenen wagen nicht zu<br />
sprechen. Unerbittlich wacht ein sogenanntes „Ministerium<br />
für Information" über die Linientreue derer, die<br />
noch schreiben dürfen. Die Verdrehung der Begriffe —<br />
Information — Zensur — spricht aller Gerechtigkeit Hohn.<br />
Wie die frommen Worte des Caudillo und seiner Satrapen,<br />
wenn sie von der Freiheit des Westens sprechen und<br />
vergessen, ihre Opfer in den Zuchthäusern zu erwähnen.<br />
Das Regime des Generalissimus Franco ist ein Regime<br />
46
der perfektionierten Lüge, der Täuschung und — der<br />
Korruption. Korrupt wie die bestechlichen Beamten einer<br />
klerofaschistischen Staatsbürokratie sind die willfährigen<br />
Barden des Systems in Literatur und Presse. Geschickt<br />
und mit der ihm eigenen Bauernschläue hat es Franco<br />
erreicht, den Film als das wesentliche Massen-Kommunikationsmittel<br />
in seine Dienste zu stellen. Was in spanischen<br />
Ateliers an Leinwandepen heroischen und verlogenen<br />
Charakters jährlich produziert wird, steht ebenbürtig<br />
neben den Ufa-Produkten der Herren Hugenberg und<br />
Goebbels. Ist es verwunderlich, daß ein Mann wie der<br />
Regisseur Bardem das Land verläßt, wenn ihn nur ein<br />
weltweiter Protest aus dem Zuchthaus holen kann? Und<br />
sein Verbrechen? Er hatte den sozial<strong>kritische</strong>n und ehrlichen,<br />
in aller Welt preisgekrönten Film „Calle Mayor"<br />
(Die Hauptstraße) gedreht. Dieser Film paßt aber nicht<br />
in das Schema der alles gutheißenden, alles belobenden<br />
Propaganda.<br />
An den Universitäten sieht es nicht besser aus. Die<br />
Lehrpläne wissen nichts von Sartre und nichts von Nietzsche.<br />
Und wenn schon, in einem Anflug von kosmopolitischem<br />
Denken, über atheistische Philosophen doziert<br />
wird, dann stehen hinter dem Katheder katholische Geistliche,<br />
die eo ipso eine Garantie dafür sind, daß um<br />
Gotteswillen an der Philosophie der Existenzialisten von<br />
Kierkegard bis Heidegger, am Werk Nietzsches und des<br />
Karl Marx kein gutes Haar gelassen wird.<br />
Nun mußte in letzter Zeit Francisco Franco eine ganz<br />
neue Erfahrung machen. Die katholische Kirche, bisher<br />
seine treueste und zuverlässigste Weggefährtin, hat sich<br />
recht deutlich von ihm distanziert. Wovon im Ausland<br />
kaum ein Wort zu erfahren war: <strong>Der</strong> Primas von Spanien,<br />
Kardinal-Erzbischof Pia y Deniel hat Francos Regierungsmethoden<br />
in einem Hirtenbrief mit denen Hitlers verglichen<br />
und dem Caudillo mehr oder minder deutlich den<br />
Rücken gekehrt. <strong>Der</strong> Anlaß: Eine Umfrage in mehreren<br />
nordspanischen Provinzen hatte ergeben, daß die breiten Bevölkerungsschichten<br />
Franco und Kirche miteinander identifizieren,<br />
und daß aus diesem Grunde nur noch sieben<br />
von hundert spanischen Arbeitern am Sonntag den Gottesdienst<br />
besuchen. Reaktion in Madrid: Kommunistische<br />
Wühlarbeit und von Moskau gesteuerte Propaganda.<br />
Von der Presse wurde der Hirtenbrief Pia y Deniels<br />
schamvoll ausgeschwiegen.<br />
September 1960: „Ich verfüge" beginnt ein neues Gesetz,<br />
das der Gottesgnaden-Führer erlassen hat, um sich die<br />
unruhigen Intellektuellen vom Halse zu schaffen. Fortan,<br />
heißt es in dem Gesetz, sollen Demonstranten und an-<br />
47
dere „Gegner unseres Staates" — wobei Franco sowohl<br />
den Staat als auch das spanische Volk mit sich identifiziert<br />
— wie Straßenräuber und Brandstifter behandelt<br />
und ohne Nachsicht Militärgerichten zur Aburteilung<br />
überstellt werden. Die legale Justiz wird somit vollends<br />
entmachtet. Erste Auswirkung: 121 Professoren, Schriftsteller,<br />
Geistliche, Wissenschaftler und oppositionelle Politiker<br />
wurden „symbolisch" zu einem Jahr Zuchthaus<br />
verurteilt, weil sie gemeinsam eine Bittschrift an den<br />
Caudillo unterzeichnet und um Lehr- und Meinungsfreiheit<br />
gebeten haben. Begründung: Die Unterzeichnung eines<br />
Schriftstückes durch 121 Personen erfüllt den Tatbestand<br />
der Geheimbündelei und der geplanten Verschwörung.<br />
So also funktioniert Francos Rechtsapparat. So wird mit<br />
einer Freiheit jongliert, die Franco solange nach außen<br />
hin als verteidigungswürdig bezeichnet, solange der Dollar<br />
ins Land rollt. Schon verlangt es dem Führer Spaniens,<br />
aus seinem Lande eine Atommacht werden zu lassen:<br />
Unüberhörbar hat er von Amerika Atombomben für<br />
Spanien gefordert. Während der Westen, wie schon 1936,<br />
tatenlos zusieht, schickt Francisco Franco de Bahamonde<br />
sich an, sein Regime der Gewalt im 25. Jahr seiner Regierung<br />
erneut zu stabilisieren. Diesmal mit Hilfe jener<br />
Mächte, die Freiheit und Demokratie zu verteidigen bereit<br />
sind.<br />
Christian Riechers<br />
Spaniens Mythos des<br />
zwanzigsten Jahrhunderts<br />
Die historische Stunde des reaktionären Spaniens kündet<br />
sich an. Die pragmatistischen Demokraten Westeuropas<br />
aber verharren weiter in ihrer gewohnten Realitätsblindheit<br />
und — gleich einem pawlowschen Reflex —<br />
zeigt sich in ihren Gesichtern das mokante Lächeln der<br />
weichaufgeklärten Entideologisierten, wenn immer General<br />
Franco verkündet: „Spanien ist die Nation, die der<br />
Welt, eine moderne und wirksame Lösung bieten kann,<br />
um einen dauernden Frieden zwischen den sozialen<br />
Schichten zu garantieren. Wenn wir uns nach außen als<br />
eine Lösung anbieten können, so sind wir für die Spanier<br />
die Lösung; ich wage zu behaupten: die einzige<br />
48
Lösung." Dodh das bloße liberale Lächeln bestätigt nur<br />
das. von Franco gesagte.<br />
Die Stärke reaktionärer Ideologien erwächst nicht zuletzt<br />
aus der Schwäche ihrer Gegner, sich ernsthaft mit<br />
ihnen zu beschäftigen. Spätestens seit dem Zeitpunkt, da<br />
konservativ-reaktionäres Denken. aufhörte, vornehmlich<br />
zur ideologischen Überhöhung und Abstützung von Thron<br />
und Altar zu dienen, und den aufkommenden faschistischen<br />
Bewegungen half, ihre durch keinen Vernunftsgrund<br />
zu rechtfertigende Herrschaft mit den in dieses Bündnis<br />
eingebrachten vorbürgerlichen gesellschaftlichen Ordnungsvorstellungen<br />
zu rechtfertigen, spätestens von da<br />
an scheint offen zutage zu liegen, daß reaktionäres Denken<br />
in toto nur funktional als verlogene Herrschaftsapologie<br />
zu verstehen ist, ohne daß irgendeinem Moment<br />
dieses Denkens noch Erkenntnis innewohnte.<br />
Analog dem Vorgehen vergangener faschistischer Apologetik,<br />
liegt die Funktion universaler, organizistischer<br />
Ordnungsvorstellungen weniger darin, ein am mittelalterlichen<br />
Gesellschaftsbild orientiertes System zu stiften, als<br />
handgreiflich klarzumachen, daß das omnipotente Ganze<br />
des spanischen Führerstaates über den individuellen Freiheits-Bestrebungen<br />
seiner Teile liegt. Folgerichtig können<br />
in einem jüngst in Spanien erschienenen Handwörterbuch<br />
der Sozialwissenschaften Termini wie „Freiheit" oder<br />
„Republik" völlig fehlen. Das wird dann wieder durch<br />
eine eingehende Behandlung der Begriffe „Autorität" und<br />
„Hierarchie" wettgemacht. Die Polemik des Auslandes bewirkt<br />
aber doch, daß Franco und seine Ideologen Begriffe<br />
wie „Freiheit" und „Demokratie" nicht ganz negieren<br />
können. Indem sie Demokratie als nur „organische", Kritik<br />
als „fundiert und lösend" und Freiheit als „verantwortliche",<br />
„als authentische Freiheit nicht die Freiheit gegen<br />
einen Staat, sondern innerhalb eines Staates", konzipieren,<br />
heben sie diese Begriffe auf.<br />
Mythos nach Schablone<br />
Geschichtliche Kontinuität wird geleugnet. Spanische Geschichte<br />
beginnt erst mit dem Putsch der reaktionären<br />
Generäle am 18. Juli 1936 gegen die republikanische Regierung.<br />
Alle vorhergehende Geschichte war Abweichung:<br />
„Renaissance, Reformation, die französischen Enzyklopädisten,<br />
der philosophische Liberalismus sind die großen Stufen<br />
eines historischen Prozesses, der heute bei seiner<br />
logischen Lösung anlangt: dem Kommunismus." Mit dem<br />
Sieg General Francos über die spanische Republik wird<br />
der „lange Prozeß einer historischen, ideologischen und<br />
49
konstitutionellen Krise von mehr als hundertfünfzig Jahren"<br />
beendet. Es versteht sich bei dieser Art der Beweisführung,<br />
daß geschichtliche Krisen keine ökonomischen<br />
Gründe haben können: „Die materielle Kraft ist nie mehr<br />
als ein bloßes Hilfsmittel gewesen, das nicht verdient,<br />
als entscheidend qualifiziert zu werden." Fragen nach den<br />
wirtschaftlichen Ursachen menschlichen Glücks können so<br />
garnicht aufkommen. Geschichte ist nur Kampf geistiger<br />
Prinzipien. General Franco: „übereinstimmend mit unserem<br />
Schicksal wurden wir am 18. Juli 1936 Vorkämpfer<br />
eines Unternehmens übernationalen Ausmaßes. Auf unserem<br />
Boden begann damals der große Kampf, um die<br />
Grundwerte der christlichen Kultur zu retten."<br />
Stiftungsdatum des neuen spanischen Staates wie auch<br />
Person des Stifters werden zu einem Mythos gemacht. Ungleich<br />
Mussolini und Hitler war Franco am Anfang des Bürgerkriegs<br />
noch nicht der Führer der Bewegung gegen die Republik.<br />
Dennoch werden Franco die charismatischen Attribute<br />
eines geborenen Führers, eines Caudillo, zugesprochen:<br />
„Das Caudillotum entspringt aus einer historischen Situation<br />
der Krise und der Liquidation der Vergangenheit ... Ein<br />
ganzes Volk wird gestoßen, sein Vertrauen in einen Mann<br />
zu legen, der die vitalen historischen Ideen eines Volkes<br />
verkörpert, dem außergewöhnliche Qualitäten zuerkannt<br />
werden und der den Wiederaufbau und die Errichtung<br />
neuer Systeme von Ideen und Werten vornimmt." Unfreiwillig<br />
dekpuvrierend heißt es, daß man das Volk<br />
„stoßen" muß, dem Caudillo zu vertrauen, ohne daß dieses<br />
Vertrauen spontan sich einstellt, obwohl nach Professor<br />
Pascual Marin Pérez „die moralischen Qualitäten des<br />
Caudillo in Francisco Franco größer sind als in Augustus,<br />
Karl V. und Napoleon".<br />
»Die Diktatur des Säbels ist nobler«<br />
•Die reaktionäre spanische Ideologie führt mit größerer<br />
Entschiedenheit weiter, was über die Grenzen ihres jeweiligen<br />
Herrschaftsbereiches hinaus die eigentlich wichtige<br />
Funktion faschistischer Ideologie war: die radikale Kritik<br />
der liberal-demokratischen Systeme, aus denen Faschismus<br />
sich entwickelte. <strong>Der</strong> militärische Zusammenbruch Italiens<br />
und Deutschlands sowie die darauffolgende Subsumption so<br />
disparater Phänomene wie Faschismus und Stalinismus<br />
unter dem Begriff „Totalitarismus", wobei mehr die terroristische<br />
Praxis als die geschichtlichen Ursachen und Entwicklungsgesetzlichkeiten<br />
untersucht wurden, haben diese<br />
Wahrheit des Faschismus verdeckt. General Franco und<br />
seine Ideologen erinnern uns wieder daran.<br />
50
Die heutigen spanischen Reaktionäre wiederholen im<br />
Grunde nur die Prophezeiungen des 1853 verstorbenen<br />
traditionalistischen Staatsdenkers Donoso Cortés de Valdemaga.<br />
Donoso Cortés, dessen Gedankengänge uns seit<br />
den zwanziger Jahren durch den geistvollen reaktionären<br />
Rechtsdenker Carl Schmitt vermittelt wurden, sieht die<br />
große Alternative sich aufdrängen: die blutige Entscheidungsschlacht<br />
zwischen Katholizismus und atheistischem<br />
Sozialismus. In dieser Auseinandersetzung sei die Entscheidung<br />
für die eine oder die andere Seite unausweichbar<br />
geworden, ein Schwanken ausgeschlossen. „Wenn sich die<br />
schädlichen Kräfte in politischen Verbänden festsetze^,<br />
dann konzentriert sich notwendig und unausweichlich die<br />
Widerstandskraft in einer einzigen Harid. Das ist die klare<br />
einsichtige und unwiderlegbare <strong>Theorie</strong> der Diktatur." Die<br />
unleugbare Existenz konkurrierender politischer Gruppen,<br />
die weniger Emanation „schädlichen" aufklärerischen Denkens<br />
sind als durch die Antagonismen der sich entfaltenden<br />
Klassengesellschaft bedingt werden, dient per se der Rechtfertigung<br />
eines Regimes, das den Menschen die Wahl zwischen<br />
Freiheit und Diktatur nicht mehr gestattet. „Ginge es<br />
darum", so sagt Donoso, „dann stimmte ich für die Freiheit<br />
wie alle hier. Aber das Problem liegt ja so: wir haben<br />
nur die Wahl zwischen der Diktatur der Revolution und<br />
der Diktatur der Regierung . . . zwischen der Diktatur des<br />
Dolches und der Diktatur des Säbels. Ich wähle die Diktatur<br />
des Säbels — sie ist nobler."<br />
Donosos Entscheidung für die „Diktatur des Säbels" fällt<br />
gegen die Idee des Fortschritts in der Geschichte. Fruchtbar<br />
wird sein Ansatz nur einem Denken, das gegenüber<br />
seiner reaktionären Attitude nicht wie der klassische<br />
Liberalismus die Widersprüche der Klassengesellschaft auf<br />
einer höheren gedachten, nicht realen, Ebene irrational<br />
harmonisiert und damit ideell die Ganzheit herstellt, die<br />
reaktionäre Ideologie als reale dekretiert, vielmehr die<br />
Überwindung dieser Konfliktsgesellschaft durch gesellschaftsverändernde<br />
Praxis in seine Reflexion aufnimmt.<br />
Donoso respektiert daher den atheistischen Sozialismus<br />
in dem Maße als er danach trachtet, ihn als seinen Todfeind<br />
zu vernichten. <strong>Der</strong> Sozialismus ist für ihn „satanische<br />
Theologie", die sich aber vor dem Liberalismus durch das<br />
Zuendedenken von dessen Denkansätzen auszeichnet. Die<br />
Liberalen fallen seiner Verachtung anheim, weil sie die<br />
Widersprüche in ihrem Denken unvermittelt weiter bestehen<br />
lassen, weil sie bestenfalls als „clasa discutidora",<br />
als diskutierende Klasse, gelten, die schwatzen, während<br />
die Reaktionäre und ihre Todfeinde handeln.<br />
51
<strong>Der</strong> die Verwandlungen scheut<br />
mehr als das Unheil...<br />
Bereits Faschismus und Nationalsozialismus wurden seinerzeit<br />
nicht allein von ihren eigenen Repräsentanten als<br />
probate Lösungen begrüßt, die Emanzipationsbestrebungen<br />
der Arbeiterklasse brutal zu unterdrücken, gleichgültig ob<br />
sie reformerisch oder revolutionär sich artikulierten. Gegenüber<br />
der im Aufbau begriffenen Sowjetunion, die das<br />
Interesse der Linken auf sich zog, bot Italien und später<br />
Deutschland den reaktionären Konservativen der liberalen<br />
westlichen Länder den Anblick eines wirtschaftsfriedlichen<br />
Arkadiens, in dem der Knüppel in der Hand der Herrschenden<br />
noch nicht vollends zum Spazierstock degeneriert<br />
war. „Wenn ich Italiener gewesen wäre", erklärte Winston<br />
Churchill 1927 nach einem Besuch bei Mussolini, „bin ich<br />
sicher, daß ich voll und ganz von Anfang bis zum Ende<br />
zusammen mit euch den siegreichen Kampf gegen die bestialischen<br />
Lüste und Passionen des Leninismus ausgefochten<br />
hätte. Nach außen hin hat eure Bewegung der Welt<br />
einen Dienst erwiesen. Italien hat gezeigt, daß es eine<br />
Weise gibt, die Massen des Volkes zu einer wirklichen<br />
Zusammenarbeit mit der Ehre und den Interessen des Staates<br />
aufzurufen."<br />
Daß Faschismus und Nazismus in den parlamentarisch<br />
regierten Ländern Westeuropas sich nicht als einzig mögliche<br />
Alternative zu den sozialistischen Bewegungen durchsetzen<br />
konnten, lag nicht zuletzt daran, daß ihre imperialistischen<br />
Abenteuer vom Abessinienkrieg über die Annexion<br />
Österreichs und der Tschechoslowakei bis zum Angriff<br />
auf Polen auf die Dauer mit dem imperialistischen<br />
Selbstverständnis selbst ihrer wohlwollendsten britischen<br />
und französischen Bewunderer nicht länger koexistieren<br />
konnten. Die „unentschlossenen Liberalen" in den westlichen<br />
Ländern sahen zudem innen- wie außenpolitisch<br />
noch genügend Spielraum, Donosos unerbittlicher Alternative<br />
aus dem Wege zu gehen.<br />
Das heutige Spanien, ohnê die tatkräftige Geburtshilfe<br />
Mussolinis und Hitlers und ohne die Neutralität der westlichen<br />
Demokratien garnicht existierend, drängt sich mit<br />
größerem Erfolg als seine deutschen und italienischen Vorgänger<br />
immer stärker als einzig mögliche Alternative zu<br />
allen Versuchen auf, die die Veränderung der heutigen •<br />
gesellschaftlichen Zustände als Voraussetzung für das Zustandekommen<br />
menschenwürdiger Zustände betrachten.<br />
Die westlichen Länder mit parlamentarischem System,<br />
die 1945 den fälligen Sturz des Franco-Regimes verschliefen,<br />
haben in ihm ihren festen Verbündeten gegen<br />
52
die Staaten des Warschauer Paktes und den unerbittlichsten<br />
Kritiker ihrer gegenwärtigen Zustände gefünden.<br />
SUndenbock Kapitalismus<br />
„Die Völker wollen sich erneuern", ruft General Franco<br />
aus, „sie sind aber nidit sicher, den Weg zu finden. Ihnen<br />
heute das kapitalistische und liberale Gespenst zu predigen,<br />
hieße Wasser einem Ertrinkenden reichen. <strong>Der</strong> Augenblick<br />
duldet keine Mystifikationen. Die westliche Kultur<br />
verteidigen, heißt nicht den Kapitalismus verteidigen. <strong>Der</strong><br />
Kapitalismus ist genau gesagt die Last, an der die westliche<br />
Welt leidet." Eine Änderung der kapitalistischen<br />
Produktionsweise, die die Abschaffung der durch sie bedingten<br />
ökonomischen und politischen Herrschaftsverhältnisse<br />
zur Folge hätte, ist in Madrid kaum vorgesehen,<br />
wenn auch als innenpolitische Forderung in diesem Lande<br />
versteinerter Feudalstrukturen und marginaler Industrialisierung<br />
der groteske Ruf ertönt: „Die kapitalistische Gesellschaft<br />
muß verschwinden!" Wirtschaftsminister Erhard<br />
und Bankier Abs als Hohepriester kapitalistischer Wirtschaftspolitikwürden<br />
jedoch kaum zu wichtigen Gesprächen<br />
nach Madrid fahren, wenn die Spanier ernsthaft den Kapitalismus<br />
bedrohten.<br />
Die Kritik der spanischen Reaktionäre richtet sich nur deswegen<br />
gegen den Kapitalismus in den westeuropäischen<br />
Ländern, weil dieser sich im Augenblick noch den Luxus<br />
leistet, daß unter dem schütteren Schutz verfassungsmäßiger,<br />
allgemeiner Grundrechte die um ihren Anteil am Profit<br />
untereinander erbittert kämpfenden organisierten Wirtschaftsinteressen<br />
ebensosehr das System aus der, ideologisch<br />
vorgesehenen, Balance bringen dürfen, wie den eifrig<br />
ihre Integration ins System betreibenden Organisationen<br />
der Arbeiterschaft die hypothetische Chance bleibt, sie<br />
könnten mit Kritik und politischen Aktionen seine Überwindung<br />
vorbereiten. Spanisch ausgedrückt: gegenüber den<br />
„substantiellen" Freiheiten, die den Menschen in seiner<br />
Privatheit in „organischer" Abhängigkeit vom Staat zustehen,<br />
lassen die kapitalistischen Staaten noch zu viel an<br />
„sekundären, zusätzlichen Freiheiten" zu. Zu diesen gehören,<br />
nach den Worten des früheren Außenministers<br />
Artajo, „die der Parteibildung, des Streiks,, der Gewerkschaften.<br />
<strong>Der</strong> Kommunismus ist das Produkt der Herrschaft<br />
der sekundären Freiheiten über die substantiellen . . .<br />
Daher bremst die spanische Regierung bekanntlich die<br />
sekundären Freiheiten: es gibt keine Parteien, keine<br />
Streicks und keine Pressefreiheit im demokratischen<br />
Sinne."<br />
53
Les extrêmes se touchent<br />
Dieser Standpunkt kommt dem enragierten Antikommunisten<br />
so sehr entgegen wie er den gutmütigen demokratischen<br />
Pragmatisten schockiert und am weiteren Zuhören<br />
hindert. Die reaktionäre Kritik, an den Manipulationen<br />
des politisch unmündig gehaltenen Bürgers durch die Propagandamaschinen<br />
der Parteien hinter dem Fetisch „freier<br />
Wahlen" oder daran, daß „nationale oder ausländische,<br />
kulturelle oder politische, wirtschaftliche oder industrielle<br />
Druckgruppen zu eigenem Nutzen eine Vormachtstellung<br />
mißbrauchen", oder an dem munteren Indentaghineinleben<br />
der pragmatistischen Liberalen, die dies zulassen und bei<br />
guten Verhältnissen sogar noch als Beweis für die Überlegenheit<br />
ihrer Ordnung ausgeben gegenüber der totalitärreaktionären,<br />
die sich darin schon ankündigt — diese<br />
Kritik ähnelt in ihren Ergebnissen oft der linken, die allerdings<br />
von anderen Voraussetzungen herkommt.<br />
<strong>Der</strong> Reaktionär wie der Fortschrittliche beziehen in ihr<br />
politisches Denken die Zeitperspektive mit ein, während<br />
der pragmatistische Politiker die jeweils gegenwärtigen<br />
.Gegebenheiten verabsolutiert und an ihnen bestenfalls<br />
kleine Reparaturen ausführen kann, weil ihm — neben<br />
anderen durchaus realen Bedingungen der täglichen Praxis<br />
— das moderne Schlagwort vom Ende aller Ideologien<br />
verbietet, zukünftiges Handeln über einen langen Zeitraum<br />
hinaus gedanklich vorwegzunehmen.<br />
<strong>Der</strong> spanische Reaktionär hat buchstäblich nur ein verzweifeltes<br />
Interesse an der Aufrechterhaltung der anachronistischen<br />
Herrschaft seiner Schicht. Er ist illusionslos<br />
genug einzusehen, daß jeder ernsthafte Versuch innerhalb<br />
der kapitalistischen Länder, die Ideen von Freiheit und<br />
Demokratie zu verwirklichen, daß außenpolitisch jede geglückte<br />
Bemühung um Entspannung, daß jeglicher Machtzuwachs<br />
der Staaten mit kommunistischer Führung seine<br />
Position bedroht. Daher vermag er auch genau zu erkennen,<br />
wo seine Überlebenschancen liegen, bei welchen<br />
Gruppen er Verbündete findet, auf die er sich fest verlassen<br />
kann. Je verfahrener die Lage in Frankreich oder in<br />
Deutschland, desto heftiger die spanische Kritik an den<br />
Zuständen, die noch demokratische Initiative zulassen,<br />
desto verlockender die spanische Lösung für alle die, denen<br />
Demokratie, Gleichheit und Freiheit von jeher unpassender<br />
Christbaumschmuck ihres starken Staates war, dessen<br />
Vollendung sie im Staate Hitlers nur deswegen nicht erblicken<br />
konnten, weil dieser buchstäblich keine Experimente<br />
scheute. Franco ist da zuverlässiger und vorsichtiger.<br />
<strong>Der</strong> Linke kritisiert die gesellschaftlichen Verhältnisse,<br />
, 54 *
weil er fürchtet, sie könnten auf der jetzige» Stufe ihrer<br />
Entwicklung leicht in Faschismus umschlagen. „<strong>Der</strong> die<br />
Verwandlungen scheut / mehr als das Unheil, / was kann<br />
er tun, / wider das Unheil?," fragt er wie Max Frisch eine<br />
Gesellschaft, in der die Frage nach dem Fortschritt in der<br />
Geschichte so suspekt und obszön ist, daß sie ungestellt<br />
bleibt, wie die, ob dann an ihrer Stelle Rückfall in die<br />
Barbarei einziger Ausweg sei, stillschweigend akzeptiert<br />
wird, indem die Gutwilligen sie verdrängen.<br />
Die Hispanisierung Westeuropas<br />
Die antikommunistische Einheitsfront ist nicht mehr ohne<br />
General Franco und sein System denkbar. Die Tendenz der<br />
Mitgliedsländer, sich auf dieses System hinzuentwickeln,<br />
ist offenbar. Dazu bedürfte es nicht einmal einer Machtergreifung<br />
durch die OAS in Frankreich und deren offene<br />
Unterstützung durch den spanischen Staat. Eine Serie<br />
antiliberaler Gesetze in der Bundesrepublik wie Ehescheidungsgesetz,<br />
Jugendwohlfahrtsgesetz, Notdienstverordnungen,<br />
zu schweigen von dem bevorstehenden Notstandsgesetz,<br />
deuten an, wie die Legislative ein System vorweg<br />
institutionell abstützt, das vorläufig noch nicht zu sich<br />
selbst gekommen ist. Die politisch aktiven unter den CDU-<br />
Abgeordneten, denen wir diese Gesetze verdanken, die<br />
sich als des Caudillos fünfte Kolonne lieber in Madrid<br />
beim „Komitee zur Verteidigung der christlichen Kultur"<br />
politischen Rat holen als in Berlin das Fiasko ihrer<br />
Deutschlandpolitik zu überdenken, dokumentieren seit<br />
langem, daß die Weiterentwicklung der westdeutschen<br />
Demokratie ihnen so fern liegt wie der ihnen vom Grundgesetz<br />
aufgetragene Schutz der spärlichen Ansätze von<br />
Demokratie vor der antikommunistisch aufgeladenen<br />
kollektiven Verteidigungsmonomanie, die mit totalitärem<br />
Anflug jene zu schützen vorgibt.<br />
„Wir leben in schwierigen Zeiten", sagte General Franco,<br />
„die Zweifel, Zersplitterung und innere Kämpfe nicht erlauben.<br />
Starke Mächte sind nötig." Seine Wahrheit begreifen<br />
nun auch langsam diejenigen Politiker, die bisher<br />
verdienstvoll zögerten, und jetzt, ihre Gegner und sich<br />
selbst überrundend, für Gemeinsamkeit in den Lebensfragen<br />
der Nation, für ein Kabinett der nationalen Konzentration,<br />
gegen Parteienhader und das „kleinkarierte Parteiengezänk"<br />
(Brandt) zu Felde ziehen, hierin getreulich<br />
begleitet durch die gekränkte nationalistische Masche der<br />
fast schon allmächtigen Springer-Presse. Ihr Anspruch<br />
allerdings, die deutsche Demokratie verteidigen zu wollen<br />
und dabei die Frage der inneren Parteidemokratie durch<br />
55
Ausschluß der Abweichenden zu regeln, aus „Jugenderinrierungen"<br />
an frühere Abneigung, weiter General Franco<br />
zu mißachten, gleichzeitig aber mit seinen ernsthaftesten<br />
deutschen Bewunderern um jeden Preis zusammenzuarbeiten,<br />
macht deutlich, daß diê titanische Anstrengung, bei<br />
diesem Maß an Schizophrenié sich noch als normal zu gebärden,<br />
einer besseren Sache verloren ging.<br />
Während die Linken an den Einsichten verzweifeln, die<br />
sie mit den Reaktionären teilen, beginnen diese beruhigt,<br />
für Deutschland die Stunde Spaniens einzuläuten.<br />
Folgende Ausgaben des ARGUMENT<br />
sind noch erhältlich:<br />
Nr. 17: Die atomare Situation (I)<br />
mit Beiträgen von Günther Anders, Peter Furth, Reimar<br />
Lenz, Françoise Sagan, Carlo Schellemann u. a.<br />
Nr. 18: Die atomare Situation (II)<br />
mit Beiträgen von Volker Hauff, Thomas Metscher, Prof.<br />
Horst-Heinz Schrey, Jean-Paul Sartre u. a.<br />
Nr. 19: Das neue Polen<br />
und die Deutschen<br />
mit Beiträgen von Margherita von Brentano, Jens Daniel,<br />
Prof. Hans Morgenthau, Prof. Percy Schramm, Ludwig<br />
Zimmerer u. a.<br />
In der Sonderflugblatt-Reihe<br />
des ARGUMENT:<br />
Nr. 2: Günther Anders: Offener Brief an Präsident Kennedy.<br />
Zum Fall Eatherley.<br />
(DM—.50)<br />
Themen des nächsten ARGUMENT:<br />
<strong>Der</strong> Jugoslawische Sozialismus.<br />
Portugiesischer Faschismus und portugiesisches Kolonialsystem.<br />
56
BCkcher<br />
Thomas Harting<br />
Philosophie aus dem heutigen Polen:<br />
Kolakowski<br />
<strong>Der</strong> Versuch, eine Brücke zum polnischen Nachbarvolk zu<br />
schlagen, den das „Argument" in die Wege geleitet hat,<br />
wird nicht dabei stehen bleiben dürfen, die sozialen und<br />
politischen Verhältnisse des heutigen Polen uns nâhér zu<br />
bringen. Es gehört zu den verheerenden Auswirkungen<br />
des sogenannten Kalten Krieges, daß wir auch über die<br />
Lage der Philosophie in Polen meist nur mangelhaft<br />
orientiert sein können. Wenn man davon ausgeht, daß<br />
die Entscheidungen über den Weg eines Volkes im Denken<br />
seiner Intellektuellen vorbereitet werden und ihren<br />
deutlichsten Ausdruck finden, so wird man diesen Mangel<br />
besonders schmerzlich empfinden. Als allgemein zugängliche<br />
und nennenswerte Publikation aus dem philosophischen<br />
Leben des heutigen Polen liegt uns lediglich die<br />
Essaysammlung „<strong>Der</strong> Mensch ohne Alternative" 1 in<br />
deutscher Sprache vor, deren Verfasser Leszek Kolakowski<br />
es wohl verdient, daß man ihm mit der größten Aufmerksamkeit<br />
entgegenkommt.<br />
Das ergibt sich ohne weiteres, wenn man das Prinzip<br />
seines Denkens kennenlernt. Besonders aufschlußreich<br />
in dieser Hinsicht ist die in der Sammlung zuletzt aufgeführte<br />
Arbeit mit der Überschrift „<strong>Der</strong> Priester und<br />
der Narr", Niederschlag einer intensiven Beschäftigung<br />
mit der Geschichte der Philosophie und zugleich das ausdrückliche<br />
Bekenntnis des eigenen Standorts enthaltend.<br />
Im Thema steht die Auseinandersetzung Kolakowskis mit<br />
Fragen, vor die sich das Denken jedesmal gestellt finden<br />
kann, wenn es sich anschickt, seine Quellen aufzusuchen<br />
und die Grenzen des in ihm Möglichen kennenzulernen.<br />
Die Philosophie, davon geht Kolakowski aus, habe sich<br />
niemals vom Erbe der Theologie freigemacht. So sei die<br />
erste Frage, welche die moderne Philosophie aus der von<br />
ihm als „theologisch" bezeichneten Tradition — gemeint<br />
ist vor allem das christlich-abendländische Denken —<br />
übernommen habe, die Frage nach der Möglichkeit einer<br />
Eschatologie. Ebenso gehöre das Problem der Theodizee<br />
zum theologischen Erbe im modernen Denken. Das Verhältnis<br />
von Natur und Gnade sowie die Frage nach der<br />
Möglichkeit von Offenbarung sind weitere Hauptpunkte,<br />
1 Leszek Kolakowski: „<strong>Der</strong> Mensch ohne Alternative". Von der Möglichkeit<br />
und Unmöglichkeit, Marxist zu sein. 248 Seiten. DM 8,50,<br />
Piper Verlag, Mündien, 1960.<br />
57
deren Kolakowski in diesem Zusammenhang Erwähnung<br />
tut. Es bleibt nidit aus, daß die Frage nach dem Bezug<br />
des Denkens auf das Absolute in den Mittelpunkt der<br />
Erörterung tritt. Die Beispiele, welche Kolakowski bringt,<br />
gelten einesteils dem Nachweis, daß die herkömmlichen<br />
Problemstellungen nicht schlechthin nichtig sind, sondern<br />
vielmehr im modernen Denken aufgehen konnten. Die<br />
Substanz seines Vortrags zeigt sich jedoch erst, wenn er<br />
auf den unversöhnlich scheinenden Antagonismus zwischen<br />
Philosophie, die sich des Absoluten habhaft wähnt,<br />
und einem Denken, welches nicht müde wird, die anerkannten<br />
Absoluta in Frage zu stellen, zu sprechen kommt.<br />
Um rücksichtslose Verfraglichung und Destruktion angemaßter<br />
Absolutheit im Denken, wo immer sie auftreten<br />
mag, ist es Kolakowski zu tun. Will man dies als das<br />
positive Prinzip seines Denkens bezeichnen, so bleibt doch<br />
noch fraglich, ob es sich von dem Ansatz her, welcher<br />
Kolakowski eigentümlich ist, befriedigend verwirklichen<br />
läßt. Er redet einer „Philosophie, die ohne Absolutes und<br />
ohne ein Endziel auszukommen versucht", das Wort und<br />
stellt sie als Philosophie des Narren in Anlehnung an<br />
Georges Sorel der Philosophie des Priesters gegenüber.<br />
„<strong>Der</strong> Priester ist der Wächter des Absoluten, er dient<br />
dem Kultus des Endgültigen und der anerkannten Selbstverständlichkeiten,<br />
die in der Tradition verwurzelt sind.<br />
<strong>Der</strong> Narr ist der Zweifler an allem, was als selbstverständlich<br />
gilt, er verkehrt zwar in guter Gesellschaft,<br />
doch er gehört ihr nicht an und sagt ihr Impertinenzen.<br />
Er könnte dies nicht tun, wenn er selbst zur guten Gesellschaft<br />
gehörte." In diesen Worten kehrt sich das<br />
Gesicht eines Denkens hervor, dem es ernst um den<br />
eigenen Anspruch ist. Kolakowskis Eintreten für die<br />
Philosophie des Narren, „also für die Haltung der negativen<br />
Wachsamkeit gegenüber jedem Absoluten" ist durchaus<br />
kein leeres Sich-aufspielen-wollen.<br />
Es würde zu weit führen, die Vorzüge und Schwächen<br />
seines Standpunktes hier im Einzelnen darzutun. Diesem<br />
energischen Kopf ist jedenfalls der größtmögliche Einfluß<br />
in seinem Heimatland zu wünschen. An einem überzeugenden<br />
Vertreter des ebenso notwendigen wie einseitigen<br />
Prinzips, welches in Kolakowskis Denken bestimmend<br />
wirkt, fehlt es leider in der jüngeren Generation<br />
philosophischer Schriftsteller in Westdeutschland. Um so<br />
mehr Grund, sich im Gegenstoß zur übermächtig scheinenden<br />
restaurativen Oberflächenströmung des sogenannten<br />
Zeitgeistes mit Kolakowski auseinanderzusetzen, um<br />
das Wesentliche seiner Gedankengesinnung in die jeweils<br />
eigene aufzunehmen.<br />
58
Dokumentation<br />
Nikita S. Chruschtschow<br />
Gegen den Kult<br />
um meine Person<br />
In vielen Parteitagsreden und auch nicht selten in unserer<br />
Presse wird, wenn von der Tätigkeit des ZK unserer<br />
Partei die Rede ist, besondere Betonung auf meine Person<br />
gelegt, wird meine Rolle bei der Verwirklichung<br />
wichtiger Maßnahmen der Partei und der Regierung unterstrichen.<br />
Ich verstehe die guten Gefühle, von denen sich diese<br />
Genossen leiten lassen. Erlauben Sie mir jedoch, mit<br />
allem Nachdruck zu unterstreichen, daß alles, was an<br />
meine Adresse gerichtet ist, an die Adresse des Zentralkomitees<br />
unserer Leninschen Partei, an die Adresse des<br />
Präsidiums des ZK gerichtet werden muß. Keine einzige<br />
große Maßnahme, keine einzige verantwortungsvolle<br />
Rede erfolgte bei uns auf Weisung einer Einzelperson,<br />
sondern sie sind das Ergebnis kollektiver Beratung und<br />
kollektiver Entscheidung. Auch dieses Schlußwort ist von<br />
dem leitenden Kollektiv geprüft und bestätigt worden.<br />
In der kollektiven Führung, in der kollegialen Entscheidung<br />
aller prinzipiellen Fragen liegt unsere große Kraft,<br />
Genossen.<br />
über welche Fähigkeiten der eine oder andere Funktionär<br />
auch verfügen möge, wieviel Kräfte er der Sache<br />
auch widmen möge, man kann keinen richtigen, dauerhaften<br />
Erfolg ohne Unterstützung des Kollektivs, ohne<br />
die aktivste Teilnahme der gesamten Partei, der breiten<br />
Volksmassen an der Durchführung der vorgesehenen<br />
Maßnahmen erreichen. Dies alles müssen wir gut verstehen<br />
und ständig daran denken.<br />
Die kommunistischen Führer sind stark durch die Tätigkeit<br />
der von ihnen geführten Massen. Wenn sie die Interessen<br />
der Partei, die Interessen des Volkes richtig<br />
verstehen und zum Ausdruck bringen, wenn sie, ohne<br />
ihre Kräfte, ihre Energie und selbst ihr Leben zu schonen,<br />
für diese Interessen kämpfen, wenn sie im großen<br />
und im kleinen von der Partei nicht zu trennen sind,<br />
wie die Partei nicht vom Volk zu trennen ist — solche<br />
59
Führer werden von der Partei und dem Volk immer<br />
unterstützt werden. Ünd die Sache, für die ein solcher<br />
Führer kämpft, wird unweigerlich triumphieren.<br />
Selbstverständlich muß man über Fähigkeiten verfügen,<br />
die für den Kampf um die Sache der Partei, um die<br />
Lebensinteressen des Volkes notwendig sind. Unsere<br />
ideologischen Gegner, unsere Feinde konzentrieren ja in<br />
erster Linie ihr Feuer auf die Führer, die ein Aktiv um<br />
die leitenden Organe vereinigen und durch dieses Aktiv<br />
das ganze Volk und damit die Sache auf dem einzig richtigen<br />
Leninschen Weg voranbringen.<br />
Hier auf dem Parteitag wurde zum Beispiel viel darüber<br />
gesprochen, welche wütende Energie die parteifeindlichen<br />
Fraktionäre Molotow, Kaganowitsch, Malenkow und andere<br />
gegen das Leninsche Zentralkomitee der Partei ünd<br />
gegen mich persönlich entfalteten. Indem sie gegen den<br />
Kurs der Partei auftraten, der von dem XX. Parteitag aufgezeichnet<br />
wurde, richteten die Spalter das Feuer hauptsächlich<br />
auf den ihnen nicht genehmen Chruschtschow.<br />
Warum gegen Chruschtschow? Darum, weil Chruschtschow<br />
durch den Willen der Partei auf den Posten des<br />
Ersten Sektretärs des Zentralkomitees gestellt worden ist.<br />
Die Fraktionäre haben sich grausam geirrt. Die Partei<br />
hat sie sowohl ideologisch als auch organisatorisch zerschlagen<br />
...<br />
Die Marxisten-Leninisten, die sich entschieden gegen alle<br />
widerwärtigen Erscheinungen des Personenkults wenden,<br />
haben die Autorität der Führer stets anerkannt und werden<br />
sie auch stets anerkennen.<br />
Es wäre aber falsch, den einen oder anderen Führer<br />
herauszustellen, ihn irgendwie von dem leitenden Kollektiv<br />
zu trennen und ihn übermäßig zu loben. Dies<br />
widerspricht den Prinzipien des Marxismus-Leninismus.<br />
Es ist bekannt, mit welcher Unversöhnlichkeit Marx, Engels<br />
und Lenin sich gegen diejenigen wandten, die ihre<br />
Verdienste lobten. Dabei kann man die große Rolle und<br />
die Verdienste der Begründer des wissenschaftlichen<br />
Kommunismus, Marx, Engels und Lenin, vor der Arbeiterklasse,<br />
vor der ganzen Menschheit nicht hoch genug<br />
einschätzen. Den wahren Marxisten-Leninisten sind die<br />
Gefühle sowohl des Eigenlobes als auch der besonderen<br />
Betonung und der übermäßigen Übertreibung der Rolle<br />
einzelner Funktionäre zutiefst fremd. Für sie ist es direkt<br />
beleidigend, wenn irgendjemand beharrlich versucht, sie<br />
zu trennen und von dem führenden Kern der Genossen<br />
zu isolieren.<br />
Wir Kommunisten schätzen die Autorität einer richtigen<br />
und reifen Führung hoch ein und unterstützen sie. Wir<br />
60
müssen die Autorität, der von der Partei und dem Volk<br />
anerkannten Führer schützen. Doch jeder Führer muß<br />
auch die andere Seite der Sache verstehen. — Er darf<br />
nicht mit seiner Stellung prahlen, er darf es nicht vergessen,<br />
daß dieser Mensch, wenn er den einen oder anderen<br />
Posten einnimmt, nur den Willen der Partei, den<br />
Willen des Volkes ausführt, die ihm vielleicht die höchste<br />
Macht übertragen haben, die aber niemals die Kontrolle<br />
über ihn verlieren. <strong>Der</strong> Führer, der dies vergißt, muß<br />
für solche Fehler bitter zahlen. Ich möchte sagen — entweder<br />
zahlt er bei Lebzeiten oder das Volk verzeiht<br />
ihm auch nach dem Tode nicht, wie dies mit der Verurteilung<br />
des Personenkults Stalins geschehen ist. Einen<br />
Menschen, der es vergißt, daß er verpflichtet ist, den<br />
Willen der Partei, den Willen des Volkes zu erfüllen,<br />
kann man eigentlich auch nicht als richtigen Führer bezeichnen.<br />
Solche „Führer" dürfen bei uns weder in der<br />
Partei noch im Staatsapparat sein.<br />
(Aus der Schlußrede Chruschtschows zum 22. Parteitag<br />
der KPSU)<br />
Leserbrief<br />
Sehr geehrter Herr Müller-Wirth,<br />
Ihr Sonderheft über Polen fand ich sehr eindrucksvoll und<br />
orientierend. Jeder Versuch unsererseits, mit Polen ,als<br />
einer Kulturnation in eine menschlich-unmittelbare Beziehung<br />
zu kommen, muß mit Dankbarkeit vermerkt werden.<br />
Neben den Juden hat die Polen das dünkelhafte Vorurteil<br />
der Deutschen durch Generationen getroffen: bessér<br />
als Juden und Polen wähnten wir uns noch immer. Es gehört<br />
zu den beschämenden Einsichten der Nachkriegszeit,<br />
daß zur Revision dieses Vorurteils kaum etwas und vor<br />
allem offiziell so gut wie nichts geschah. Weil Polen sozusagen<br />
auf der anderen Seite der Welt liegt, schien man es<br />
gleichsam nicht nötig zu haben, zu einem vollen Bewußtsein<br />
dessen zu kommen, was wir dieser Nation angetan<br />
haben. Aber die anderen und auch unsere Verbündeten<br />
vergessen nicht so rasch. Ideologische Einfärbungen, die<br />
uns trennen, können nicht zum Verschwinden bringen, daß<br />
wir in Jahrhunderten dieses verächtlichen Herabblickens<br />
tief in die Schuld der Mißachteten geraten sind. Vielleicht<br />
wird das bei uns im Laufe der Zeit auch noch von einigen<br />
mehr als jenen Intellektuellen anerkannt werden, von<br />
denen man ebenfalls nicht weiß, ob man sich vor ihnen<br />
ängstigen oder sie verachten soll.<br />
Ihr<br />
Alexander Mitscherlich<br />
61
Redaktionelle<br />
Anmerkungen<br />
Lieber ARGUMENT-Leser!<br />
Die das ARGUMENT schreiben und verantworten, bezahlen<br />
und verkaufen, sind zum großen Teil Studenten. Ohne<br />
mancherlei Unterstützung von außerhalb der Studentenschaft<br />
wäre es kaum möglich gewesen, drei Jahre lang<br />
durchzuhalten.<br />
t<br />
Die neue Aufmachung, in der das ARGUMENT seit Heft 19<br />
erscheint, erhöht nicht nur die Möglichkeiten qualitativer<br />
und quantitativer Weiterentwicklung, sondern auch das<br />
Risiko, das mit der Herausgabe einer weniger kommerziellen<br />
als kämpferischen Zeitschrift verbunden ist.<br />
Das ARGUMENT, an dem keiner seiner Mitarbeiter etwas<br />
verdient, ist die zur Zeit wohl einzige Zeitschrift, deren<br />
Abrechnung laut Impressum öffentlich einzusehen ist.<br />
Andererseits ist das ARGUMENT mehr als gewöhnlich<br />
auf Gemeinschaftsleistungen seiner Mitarbeiter und Leser<br />
angewiesen.<br />
Da es möglich sein sollte, das ARGUMENT auch weiterhin<br />
Studenten und Schülern zum halben Preis zu überlassen,<br />
sind wir auch in Zukunft auf zusätzliche Spenden und<br />
Patenschaftsabonnements angewiesen.<br />
Wo ein Mehr nicht möglich scheint, bitten wir unsere<br />
Leser herzlich, wenigstens folgende Punkte zu beachten:<br />
• Rechnungen werden i. A. nicht verschickt.<br />
• Wir bitten, die Zahlkarte zu benutzen, die jedem Heft<br />
beiliegt.<br />
• Bitte vergessen Sie nicht den Betrag fürs Porto (—,25) !<br />
Beim letzten Mal sind einige überflüssige Mahnungen<br />
verschickt worden, was durch die Neueinrichtung des Versands<br />
in Karlsruhe verursacht war. Aber auch wo Mahnungen<br />
durchaus nicht überflüssig sind, bleiben sie unerfreulich.<br />
Wir bitten fürs erstere um Entschuldigung und<br />
zweifeln im übrigen nicht daran, bei unseren Lesern Einsicht<br />
in die Notwendigkeit unserer Arbeit zu finden.<br />
Die Herausgeber.<br />
<strong>Der</strong> vorliegenden Ausgabe liegt der Aufruf zum Ostermarsch<br />
der Atomwaffengegner 1962 bei. Wir empfehlen<br />
dieses Unternehmen dringend der Unterstützung unserer<br />
Leser. Für Berlin hat das Vorstandsmitglied des Argument-<br />
Klubs, Heiko Dahle, die Vorbereitung des nächsten Ostermarsches<br />
übernommen. Interessenten erhalten Auskunft<br />
beim Argument-Klub, Berlin W 35, Postfach 67.<br />
<strong>Der</strong> Ausgabe liegt ebenfalls ein ausführliches Verzeichnis<br />
des Cotta-Verlages, Stuttgart, bei, das wir der besonderen<br />
Aufmerksamkeit unserer Leser empfehlen.<br />
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