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„WIR SIND MENSCHEN DURCH DIE ANDEREN; DARUM LIEB DICH NICHT<br />
ALLEIN.“<br />
Zum malerischen Werk von <strong>Rosa</strong> <strong>Parz</strong><br />
ODER: Zur Ausstellung von <strong>Rosa</strong> <strong>Parz</strong>: individuell – universell bzw: elementar<br />
Das Folgende ist keine kunsttheoretische Abhandlung, dazu fehlt dem Verfasser zu Vieles, er wäre<br />
dazu also gar nicht legitimiert. Mit ausgewählten afrikanischen Sprichwörtern (1) soll zu zwei<br />
Werken von <strong>Rosa</strong> <strong>Parz</strong> und dazwischen von einem perspektivisch etwas allgemeineren Sichtpunkt zu<br />
deren Kunst und Bildern insgesamt hingeführt werden. Die Motivation zu dem Kontinente<br />
einbeziehenden Ansatz entstand bei der Vorbereitung zu einer Vernissage, welche mit einführenden<br />
Worten mitzugestalten der Autor die Ehre hatte. Dabei war dieses Vorgehen auf ein positives und<br />
erfreuliches Echo gestoßen und so wird der gleiche Versuch ein weiteres unternommen,<br />
„Gehst du zur Arbeit, so mache dein Gesicht fröhlich.“<br />
Zwei fröhlich gestimmte Frauen lächeln die Betrachtenden aus dem hier zuerst vorzustellenden Bild<br />
an. Von letzteren aus gesehen rechts befindet sich die Kleinere. Ihren Kopf, leicht nach links geneigt,<br />
lehnt sie an den Oberarm der Größeren und nur ihre Stirn überragt deren Schultern. Die Augen weit<br />
geöffnet blickt sie einen direkt an, freundlich und neugierig, gleichsam als würde sie sich auf eine<br />
Begegnung freuen. Tatsächlich findet eine solche statt, zumindest ästhetisch vermittelt für all jene, die<br />
sich den Porträtierten zuwenden. Mit dem rechten Schulterblatt berührt sie das Kleid der Zweiteren in<br />
Brusthöhe, den Arm lässt sie locker nach unten hängen, knapp oberhalb des Ellbogens wird er jedoch<br />
vom unteren Bildrand abgeschnitten. Entsprechend dem engen Zusammenstehen der Frauen ist der<br />
linke Arm der anderen nur im Bereich des Schultergelenks sichtbar, ansonsten verdeckt. Doch zu<br />
erkennen ist, dass er am Rücken der Kleineren liegt. Die Größere trägt eine Brille mit fast schwarzer<br />
Umrandung und breiten leicht orange eingefärbten Bügeln. Ihren Kopf hat sie deutlich stärker<br />
geneigt als diese und zwar hin zu der neben ihr Stehenden, wobei die Wangen deren kurzkrausiges,<br />
eng anliegend nach hinten gekämmtes schwarzes Haar berühren. Sie blickt nach links oben, aus dem<br />
Bild heraus. Ihr Lächeln verleiht diesem Blick etwas leicht Verschmitztes, während der Ausdruck<br />
jener, die einen anschaut, irgendwo zwischen der schon angedeuteten Neugierde und einem<br />
vorsichtigen Sich-Zurücknehmen zu liegen scheint. Beide Abgebildeten vermitteln mit ihren Lächeln<br />
einen recht zufriedenen Eindruck. Die Beschreibung ließe sich bis in all die anderen weiteren Details<br />
hinein breit weiterführen, angefangen von der sehr einfachen, an der Schulter breit geschnittenen<br />
ärmellosen Bluse aus blütenreinem, leuchtend weißem Gewebe, welche die Kleinere trägt, bis hin<br />
zum ebenfalls ärmelfreien, doch etwas schmäler geschnittenen Kleid der anderen, gefertigt übrigens<br />
aus einem Stoff in starkem Orange und geschmückt mit etwa Handflächen großen, schwarzen<br />
Liniengeflechten, welche jeweils irgendwo mittig und wurzelknorrig breit zusammenlaufen. Das<br />
gleiche Weiß der Bluse von jener wieder findet sich bei dieser als Tuch, das ihr ungezwungen über<br />
die Schulter links hängt, sowie in ihrer gut sichtbaren oberen Zahnreihe. Auch der Rahmen des Bildes<br />
erhielt dieses gleiche Weiß und ein weiteres Mal aufgenommen ist es im Augenweiß der beiden<br />
Dargestellten. Das betont deren Blicke sehr oder umgekehrt: Die Aufmerksamkeit von Betrachtenden<br />
wird auch durch diese Farbverteilung als Erstes zu den Augen der beiden und dadurch zu deren<br />
Gesichtern geführt und offensichtlich ist: Sie gehören unterschiedlichen Kulturkreisen an.<br />
Noch immer ließe sich die Schilderung weiterführen. Dies nun lassend sei an dieser Stelle der Titel<br />
des Gemäldes angeführt: Zwei Mathematikerinnen.<br />
Diese Darstellung – und das mag angesichts dieser recht persönlich, ja freundschaftlich gehaltenen<br />
Szene doch überraschen – thematisiert offensichtlich einen Arbeitszusammenhang und etwas, worauf<br />
das oben zitierte Sprichwort aus Duala/Kamerun anspielt: „Gehst du zur Arbeit, mache dein Gesicht<br />
fröhlich.“ Denn es geht um Arbeit, aber nicht um Hausarbeit, was anzunehmen weiße Bluse und<br />
weißes Tuch verleiten könnten, sondern um eine intellektuelle, zu welcher das Weiß mindestens<br />
ebenso gut passt: Weiß wie gutes Papier, auf welchem Rechnungen vollzogen und auf welches<br />
Formeln geschrieben werden; weiß wie das Weiß der Augen, das als Zeichen für die Fähigkeit steht,<br />
die Welt analysieren zu können, was zum Mathematisieren erforderlich ist; oder weiß wie jenes der<br />
Zähne, jener Werkzeuge, die zupacken, verwandeln, umformen. Das wiederum könnte für so viele
Formeln und Algorithmen stehen, die Vergleichbares vermögen, wenn auch auf andere Art und<br />
Weise. Oder weiß eben wie jenes des Rahmens, das vielleicht auf jene Grenzen weist, die weiße Leere<br />
zwischen Räumen, welche genauso – wenn auch sicher nicht immer sofort und leicht zu verstehende<br />
– Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für mathematische Operationen darstellen und die<br />
ihrerseits Wirklichkeiten unterschiedlichster Art voneinander trennen.<br />
Nochmals sei zum Sprichwort zurückgekehrt: Die Art der Zufriedenheit in den beiden Gesichtern<br />
zeigt, dass es ums „Afrikanische“ dieses Sinnspruchs geht, um jenes, was Karl-Heinz Rathke, der<br />
Herausgeber von deren Sammlung, meint, wenn er erläutert: Das-Gesicht-fröhlich-machen heiße für<br />
Schwarze genau nicht, die Mundwinkel hinaufziehen, obwohl einem ganz anders zumute sei. „Nein,<br />
von solchen Krämpfen hält der Afrikaner im allgemeinen nicht viel. Es gibt bessere Mittel, bei der<br />
Arbeit fröhlich zu werden. Zum Beispiel, indem man Geräte, mit denen man alltäglich umgeht, schön<br />
gestaltet und verziert, sodaß es Spaß macht, mit ihnen zu arbeiten.“ Genauso ist die Schönheit<br />
mathematischer Formeln ein nicht unwichtiges Ziel, ebenso wie durch diese dann mühsames<br />
Herumwerken und -rechnen letztlich vereinfacht, das Lösen verwirrender Aufgabenstellungen<br />
dergestalt erleichtert werden soll, dass dieses schließlich Spaß und Freude bereitet.<br />
Übrigens: Ob wohl ein Bild mit den Titel „Zwei Mathematiker“ von ebenso viel Zärtlichkeit und<br />
Menschlichkeit geprägt wäre? Oder wäre die Abbildung zweier Männer mit einiger<br />
Wahrscheinlichkeit nicht doch weit sachlicher, eher unpersönlich. Würden diese nicht um Vieles<br />
nüchterner, trockener vermutlich in zwei grauen Anzügen gezeigt und jedenfalls kaum so zärtlich<br />
aufeinander bezogen? Die solcherart angedeutete Vermutung weiter denkend lässt sich fragen: Gibt<br />
es möglicherweise auch in der Art, wie mathematisches Arbeiten gestaltet und durchgeführt wird,<br />
größere Unterschiede je nachdem, ob es von Frauen oder von Männern geleistet wird? Angeregt<br />
durch dieses Bild sei die Frage einfach gestellt, ohne sie nun weiter in die Tiefe gehend aufnehmen zu<br />
können. Spannend dürfte ihre Bearbeitung sein.<br />
Nur Eines sei ergänzend zu diesem Thema angefügt: Vermutlich ist es nämlich ein eher männliches<br />
Gebaren, im Hinführen zu einem Bild, bzw. zu einer Künstlerin letztlich so grob verallgemeinernd<br />
gleich drei Kontinente zu streifen und in Beziehung zu setzen, wie es gerade geschieht. Bis vor<br />
kurzem zumindest prägten nicht afrikanische Realitäten <strong>Rosa</strong> <strong>Parz</strong>' Leben und Werk, sondern<br />
vielmehr jene von Europa und Lateinamerika. Damit wird fort geschritten zu Biographischem. Dieses<br />
ist hier weit direkter präsent als in vielen anderen Bildern. Obwohl <strong>Rosa</strong> <strong>Parz</strong> inzwischen über 25<br />
Jahre malt, gibt es bis zu diesem relativ jungen Werk kein gemaltes Porträt von ihr. Und in diese<br />
bislang erste Selbstporträtierung bezieht sie zwei wesentliche Züge ihres Lebens mit ein: Ihren – so sei<br />
es formuliert – „Brotberuf“ und ihre vielen Aufenthalte in Südamerika, wobei sie sich diesbezüglich<br />
auf den dreijährigen Einsatz in der Entwicklungszusammenarbeit bezieht, den sie schon in den<br />
1980er Jahren als Mathematikerin in Nikaragua geleistet hatte. In jener spannenden Aufbruchphase<br />
hatte solches Arbeiten viel Sinn bedeutet und Freude bereitet. Auch von daher ist der<br />
kamerunensische Satz wohl mehr als gerechtfertigt, selbst wenn er von einem dritten Kontinent<br />
stammt.<br />
Individuelles und Universelles sind in diesem so persönlichen Werk nicht zufällig aufs Intensivste<br />
verflochten.<br />
Bevor nun von einem etwas entfernteren Perspektivenort auf <strong>Parz</strong>' malerisches Oeuvre eingegangen<br />
wird, sei zumindest noch kurz eine letzte künstlerisch-mathematische Assoziation mit Bezug auf die<br />
Dekorelemente des orangen Kleids im Selbstporträt, die Liniengeflechte mit den wurzelartig breiten<br />
Mitten, angefügt. Es gibt eine Arbeitsphase, in welcher die Künstlerin viele solche Figuren weit<br />
großformatiger nur mit schwarzer Tusche gestaltet hat und zwar unter anderem, indem sie jeweils<br />
aufs Blatt gebrachte dicke Farbkleckse durch mehr oder weniger intensives Blasen, also mit Atemluft,<br />
zu skurrilen Linien ausgeformt hatte. Eindringlicher als die Dekorfiguren auf dem Stoff des Kleides<br />
haben mich jene Zeichnungen der Mathematiklehrerin an Figuren erinnert, wie sie entstehen können,<br />
wenn fraktale Algorithmen bildlich dargestellt werden. Zumindest eine Erinnerungsspur aus jener<br />
Schaffensperiode dürfte sich in dieser Ausschmückung finden.<br />
„Der einzelne Pfeil redet im Köcher nicht.“<br />
In ihrer Malarbeit verwendet <strong>Parz</strong> ganz unterschiedliche Materialien, mit und auf denen sie arbeitet,<br />
viele Farben, Techniken, Motive. Sie verfügt, so lässt sich sagen, über viele Pfeile. Und tatsächlich
würde wahrscheinlich eine einzige Technik oder Hauptfarbe allein bald einmal langweilen, die<br />
Gestalterin ebenso wie die Betrachtenden. So gilt es im Folgenden und in der gebotenen Kürze auf<br />
diese Vielfalt einzugehen. Begonnen sei mit Bemerkungen zu den Ausstellungsprojekten, deren es<br />
schon viele gibt. In ihnen zeigt sich etwas sehr Elementares darin, dass <strong>Parz</strong> über ihre Arbeiten gerne<br />
die Formulierung eines Spannungsfeldes stellt: FRAGIL – FUERTE, zerbrechlich – stark, lautete z.B.<br />
der Titel ihrer Präsentation in Kopfing, oder SCHUTZZONEN – FARBSCHICHTEN jener einer<br />
anderen und für die kommende in Linz wird ((bzw falls doch nicht – dann einfach im Konjunktiv:<br />
für eine kommende Ausstellung könnte)) als Überschrift stehen: INDIVIDUELL – UNIVERSELL.<br />
Auch wenn regelmäßig solche Paare zu finden sind, so sind diese nicht als sich ausschließender<br />
Gegensatz gedacht, sondern als CONJUNCTIO OPPOSITORUM, als Verbindung von Gegensätzen/<br />
Gegensätzlichem, um einen weiteren Titel und zwar jenen einer Gemeinschaftsausstellung mit einer<br />
Weberin in Wels zu zitieren. Solche Werkschauen sind eigentlich eigene, zeitlich begrenzte<br />
Kunstwerke/Installationen oder, wie beispielsweise im Juli 2011 in Salzburg, kommunikative<br />
Aktionskunst.<br />
Der Köcher von <strong>Rosa</strong> <strong>Parz</strong> ist wahrlich prall gefüllt. Und wie in einem solchen Behälter ein kleinster<br />
und ein größter Pfeil gemeinsam zu finden sind, so bewegt sich die Künstlerin in Spannungsfeldern,<br />
die wie Köcher viel Unterschiedliches mit einschließen. Da knistert oder rasselt es, wie dort, wo viele<br />
Pfeile locker, aber nicht eng gepresst in ihrem Gefäß stecken. Der Kommentar von Karl-Heinz<br />
Rathke zu dieser Weisheit aus dem ostafrikanischen Wadschaggo passt neuerlich: „Wenn hier das<br />
Rasseln der Pfeile im Köcher als ,Reden' angesprochen wird, wird auf die Notwendigkeit von<br />
Menschen hingewiesen, miteinander zu reden. Denn mein Wort zum andern und das des andern zu<br />
mir ist für mich, für ihn und für die Gemeinschaft lebensnotwendig (Vitamin). Ohne<br />
problemlösendes Palaver gibt es kein fruchtbares Zusammenleben.“ So kann übrigens dieser<br />
afrikanische Sinnspruch, signalisiert durch das Wort „Reden“, höchst friedvoll interpretiert werden:<br />
Die Pfeile können stehen für Kommunikation, für Austausch, Gespräch: als Mittel zum Überleben, zu<br />
gutem Leben, als Werkzeuge für Frieden, nicht als Waffen für Krieg! Genau in diesem Sinne lassen<br />
sich all die Elemente von <strong>Parz</strong> Kunst als Pfeile verstehen, als Sich Ausdrücken, Kommunizieren in<br />
Farben und mittels vieler Materialien, Techniken, Motive.<br />
Der Köcher der Künstlerin ist, wie gesagt, prall gefüllt. Tusche auf Papier, die oben angesprochenen<br />
Liniengeflechte, Acryl, Amarandt und Rote Erde, sandartige Gestaltungsmittel, aufgetragen auf<br />
Leinwand, aber auch auf Windelstoff oder Fliegengitter, ein Untergrund der im kommenden<br />
Abschnitt wieder zu finden ist, usw.. Intensive Farben, die sich in vielen Bildern finden, sind geprägt<br />
von mittelamerikanisch/indigenen Farbgebungen. Im individuellen Werk einer europäischen<br />
Künstlerin spiegelt sich viel von Universellem, von Begegnungen mit Menschen eines anderen<br />
Kulturkreises und mit deren ästhetischen Ausdrucksformen. Ein zentrales Motiv von <strong>Rosa</strong> <strong>Parz</strong>, jenes<br />
der Spirale oder des Labyrinths, ist von jenem gleichen Raum Zentralamerika inspiriert und es ist in<br />
ganz unterschiedlichen Formen und selbst als Installation zu finden. So kombinierte sie das Aufbeziehungsweise<br />
Aushängen ihrer Bilder in einer Ausstellung einmal mit der Gestaltung eines<br />
raumgreifenden dreidimensionalen Labyrinths, in welches sich Besuchende hineinbegeben konnten.<br />
All das spiegelt ihre Freude am Arbeiten, ihre Lust am Experimentieren, um einen weiteren Bezug<br />
zum Leitgedanken des ersten Teils anzudeuten. Dies sei mit einer nächsten kleinen, jedoch sehr<br />
eindrucksvollen Episode illustriert: „<strong>Rosa</strong> <strong>Parz</strong> malt zu Gesängen & Rhythmen verschiedener<br />
Kulturen.“ Dieses Wagnis ging sie am 1. Juli 2011 in Salzburg beim 13. Cantus MM, Musik- und<br />
Kulturfestival in Salzburg ein, bei welchem Musikgruppen aus Spanien, Ecuador, Süd-Afrika,<br />
Lettland & Polen eine musikalische Reise um die Welt gestalteten, eine Benefizveranstaltung<br />
zugunsten der Sonneninsel Seekirchen. Welch eindrückliches Werk innerhalb der kurzen Zeit eines<br />
Konzertes entstand, ist wirklich erstaunlich und lässt sich auf folgender URL erahnen (geöffnet<br />
Anfang Januar 2012): http://www.kinderkrebshilfe.com/veranstaltungen/cantus-mm.html.<br />
Biographisch anmerken dazu ist, dass <strong>Parz</strong> nebst Mathematik zusätzlich kath. Theologie studiert hat<br />
und Religion unterrichtet. Wenn ihre vielen „Pfeile im Köcher“ wie angesprochen Mittel der<br />
Friedenskommunikation sind, so mag eine der Quellen dazu im zentralen christlichen Gebot der<br />
Nächsten- und Selbstliebe liegen, welches in der Sprache der Aandonga in Südwestafrika wie folgt<br />
ausgedrückt wird: „Wir sind Menschen durch die anderen; darum lieb dich nicht allein.“<br />
Damit ist zur zweiten abschließenden Bild-Beschreibung und -Interpretation übergeleitet.
„Wie groß auch ein Auge sein mag, zwei sind besser.“<br />
Diagonal gegenüberliegend, oben links und unten rechts, befinden sich auf diesem über ein Meter<br />
breiten und knapp zwei Meter hohen Bild, zwei isolierte Augen, gemalt in intensiven Farben.<br />
Unterschiedlich dicke Linien in sandiger ROTER ERDE geben ihnen die Form. In das starke, die<br />
Augenform füllende Himmelblau ist oben markant, ebenfalls in Rote Erde der Pupillenpunkt getupft,<br />
unten ist dieser kaum mehr zu erkennen, Im oberen Auge ist zudem die untere Umrandungslinie<br />
unterschiedlich stark, aber zum Blau hin gut erkennbar in Türkis übermalt. Einige weitere Schimmer<br />
des gleichen Türkis hin zu den begrenzenden oberen Linien oder hinein in sie sind bei beiden Augen<br />
angebracht.<br />
Ungefähr mittig wird das Bild von einer deutlich gemalten Trennlinie horizontal geteilt. Der violette<br />
Strich vermag allerdings das dominierende dunkle Glutrot nicht zu begrenzen Denn jenes Rot, nicht<br />
flächig aufgetragen - sondern gesprenkelt und gleichsam durchzogen von einem schwärzlichen<br />
Nachtblau, strebt über diese Grenze hinweg nach oben in den anderen Bereich und in dessen<br />
Farbgebung.<br />
Fehlt noch eine Beschreibung der zentralen Motive im Vordergrund, welche das Bild insgesamt<br />
beherrschen, in der Diagonale flankiert von den beschriebenen Augen, unten rechts dem oben links.<br />
Sie könnten gut an die, den Hintergrund trennende Linie geklebt sein: Rechts zwei lange, eher<br />
schmale Figuren, die aneinandergekoppelt scheinen und, ihrerseits etwa zwei Fünftel der Höhe des<br />
Gesamtbildes messend, mittig an jene Trennlinie angebracht sein könnten - sowie links davon die viel<br />
breitere rechteckige Form, vorstellbar zum Beispiel als nichtperspektivisch gezeichneter Tisch,<br />
welcher von jener Trennlinie, mit seinen Beinen an ihr festgemacht, nach unten hängt und von dem<br />
so etwas wie eine Serviette hinunterfällt. Das Ganze ist erneut im sandiger Roter Erde gestaltet und<br />
auch diese Motive sind ausgefüllt; ausgefüllt mit „Goldgelbem Licht“, um für einmal die Farbgebung<br />
mit dem Titel eines anderen Bildes von <strong>Parz</strong> zu charakterisieren.<br />
Trägermaterial für dieses Bild ist ein auf einen dunklen Rahmen gespanntes Fliegengitter.<br />
Was ist hier zu sehen?<br />
Etwa zwei menschliche Gestalten, die sich auf einem Weg in einer unbestimmbaren Umgebung und<br />
Situation befinden? Könnte Katastrophales geschehen sein oder sich eben ereignen? Genau über den<br />
zwei Figuren scheint ja etwas auseinanderzubrechen. Und was bedeutet dann jenes „Tisch“-Gebilde,<br />
das sich links hinter ihnen befindet? Vielleicht das, was sie an Wertvollem gerade noch<br />
zusammengepackt haben und das sie hinter sich herziehen, und von dem sie gerade etwas verlieren?<br />
Die zwei Wanderden sind zudem mit einander verbunden: Gilt also für sie, was in Nigeria wie folgt<br />
gesagt wird? „Wer getragen wird, weiß nicht wie weit die Stadt entfernt ist.“ Aber was könnten da die<br />
Augen bedeuten? Symbolisieren sie etwas von Geborgenheit, von Zuspruch in solch einer<br />
feindseligen Umgebung? Irgendwie freundlich wirken sie ja durch das kräftige Himmelblau, zudem<br />
findet sich die Rote Erde der Augenlinien in der Linienführung für die Figuren.<br />
Oder ist überhaupt das Ganze völlig anders, gleichsam von einer anderen Seite her zu betrachten?<br />
Könnte nicht eine schöpferische Situation, die Trennung einer Ursuppe in Himmel und Erde<br />
dargestellt werden und die Augen entsprechend die Augen Gottes sein? Also Symbol jener Kraft, die<br />
den Gestalten sagt: „Wir sind Menschen durch die anderen; darum lieb dich nicht allein.“<br />
Das alles lässt sich in diesem Bild sehen und möglicherweise viel mehr und ganz anderes. Wer was<br />
sieht, oder was zuerst gesehen wird, das wird mit von der Persönlichkeit derjenigen abhängen, die<br />
hinschauen. Elementar gilt: Auch sehen ist Kommunizieren und im Verstehen dessen, was jemand<br />
anderer gestaltet (gemalt, geschrieben, usw.) hat oder spricht, spielt immer etwas von mir selber mit.<br />
Manchmal ist solches Kommunizieren eine conjunctio oppositorum, eine Verbindung von<br />
Gegensätzen.<br />
Nun ist bislang die Bildunterschrift noch nicht einbezogen, die lautet: „el rab“. Sie weist in den<br />
arabischen Raum. Tatsächlich war <strong>Rosa</strong> <strong>Parz</strong> im Herbst 2010 nach Ägypten gefahren(mit einer<br />
Freundin ägyptischer Herkunft) und schon im folgenden Jahr wollte sie etwas von dem, was sie bei<br />
diesem Aufenthalt gefühlt, gespürt, wahrgenommen hat, in einem Bild festhalten. Dazu hat sie einen<br />
arabischen Schriftzug(von einem Kalenderbildchen aus einem koptischen Kloster) gewählt und<br />
diesen einfach in den von ihr gemalten Hintergrund gestellt. Als sie später einen ägyptischen Freund
fragte, wie der Schriftzug zu übersetzen sei, erhielt sie als Antwort: Gott.<br />
Eines der indianisch-inspirierten und oft dargestellten Spiralsymbole - welche übrigens ebenfalls für<br />
Göttliches stehen können - jenes mit dem Titel „Goldgelbes Licht“, ist mit den gleichen Farb-<br />
Elementen, sandfarbenem Amarandt und starkem golden-hellen Orange-Gelb gestaltet wie dieser<br />
Schriftzug. So manches im künstlerischen Schaffen ist intuitives Schaffen. Darauf stößt man bei <strong>Rosa</strong><br />
<strong>Parz</strong> öfter.<br />
Wenn vorhin von der rechteckigen „Tisch“-Figur gesagt wurde, sie würde sich links hinter den<br />
beiden - als stilisierten Personen interpretierten - Linien befinden, so war das klarerweise die<br />
abendländische Sichtweise. Im Arabischen aber wird nicht von links nach rechts, sondern von rechts<br />
nach links gelesen. Die eingespielte Blickbewegung verläuft umgekehrt, das hieße aber auch, dass das<br />
oben als das zusammengepackt Wertvolle Bezeichnete nicht gezogen, sondern gestoßen würde! Mit<br />
diesem Wechsel dreht sich nun gleichzeitig die Richtung der Diagonale der beiden Augen: „Hinten“<br />
befindet sich in diesem Falle das Auge rechts unten und jenes oben entsprechend vorne. Orientiert an<br />
der Weise des Lesens im Orient eine optimistische Bewegung dargestellt mit einem im Okzident oft<br />
verwendeten Gottessymbol – dem Auge. Aber nicht mit einem einzigen, wie es das Abendland<br />
traditionell verwendet, sondern mit deren zwei; was eine möglicherweise provokante Verdoppelung<br />
sein könnte, zumindest wenn diese mit dem afrikanischen Sinnspruch kombiniert wird:<br />
„Wie groß auch ein Auge sein mag, zwei sind besser.“<br />
Vom persönlich biographischen Ausgangspunkt, der individuell eingefangenen Stimmung im<br />
Ägypten nur ein halbes Jahr vor dem Arabischen Frühling, und vom darauffolgend geschehenen,<br />
universell verfolgten gesellschaftlichen Umbruch her betrachtet - lässt sich diese Arbeit nochmals<br />
ganz anders meditieren: Eine morbide arabische Gesellschaft scheint unter, eine junge, lebendige auf<br />
zu gehen. Ob das Fliegengitter, worauf das Ganze gemalt ist, etwas über die Befreiung aus<br />
Gefängnisgittern aussagt, oder etwas über die Transparenz des Lichtes Gottes, welche in so vielen<br />
Gegebenheiten durchscheint, braucht nicht entschieden zu werden. Doch gewiss ist dessen<br />
Verwendung nicht rein zufällig, vom Maltechnischen her nicht – <strong>Parz</strong> hat sich da in intensiver Arbeit<br />
etwas Eigenes sehr kreativ angeeignet – und inhaltlich nicht: Das intuitiv Gestaltete passt so oder so.<br />
Ganz zum Schluss zwei weitere kleine lebensgeschichtliche Bemerkungen. Die eine: Es gibt ein<br />
wunderbares Bild mit dem Titel „Siesta“. Bevor sie es gemalt hat, hat <strong>Rosa</strong> <strong>Parz</strong>, so erzählte sie<br />
einmal, dessen Motiv viele Jahre als Bild nur im Kopf mit sich getragen. Und die andere: Im Sommer<br />
2011 hat die Künstlerin gemeinsam mit ihrer Tochter ihren Mann für einige Wochen nach Korea<br />
begleiten können.<br />
Nun: Auf die künstlerische Verarbeitung ihrer Eindrücke von dieser Reise dürfen wir gespannt sein.<br />
Allerdings weiß nur die Künstlerin allein – oder vielleicht nicht einmal sie selber –, ob dies so lange<br />
dauern wird wie bei „Siesta“ oder so kurz wie bei „el rab“.<br />
Dr. Guido Rüthemann, Januar 2012<br />
(1) vgl. K.H. Rahtke, Der Vater ist ein schattiger Baum, Aspach 1998, S. 15, 43, 52, 61 und: Des<br />
Menschen Herz ist wie der Ozean, Wien 1999, S. 26